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POLITICAL LEADERSHIP Annäherungen aus Wissenschaft und Praxis
polisphere – your gate to politics & consulting Berlin/München/Brüssel 2008
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Regina Jankowitsch & Annette Zimmer (Hg.): Political Leadership. Annäherungen aus Wissenschaft und Praxis, polisphere Berlin/München/Brüssel 2008. ISBN 978-3-9-3845622-4 © polisphere – your gate to politics & consulting Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Satz und Layout: polisphere, Berlin/München/Brüssel Umschlag: Plett, Schulte und Partner, München. Saatchi & Saatchi, Wien Herstellung: GGP media on demand, Pößneck
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INHALTSVERZEICHNIS A) ZUGÄNGE ZU POLITICAL LEADERSHIP „Political Leadership“: Perspektiven und Befunde der vergleichenden Politikwissenschaft
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Kritische Hinterfragung eines Konzepts - Demokratietheoretische Anmerkungen
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Leadership Revisited: Zur Wiederentdeckung der Persönlichkeit in der Politik
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Von Platon zu Burns – Geschichte und Philosophie von Political Leadership
71
von Ludger Helms
von Anton Pelinka
von Sigrid Rosenberger
von Regina Jankowitsch & David Wineroither
B) KONTEXTE UND KONZEPTE VON POLITICAL LEADERSHIP Political Leadership in der Europäischen Union von Ingeborg Tömmel
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Frauen als politische Leaders
115
Leadership in zivilgesellschaftlichen Organisationen
135
Die Inszenierung von Führung: Narzissmus und Charisma in der Politik
159
Gerechtigkeit, Gemeinwohl und prozedurale Integrität
185
von Brigitte Geißel & Petra Meier
von Christiane Frantz & Annette Zimmer
von Johannes Steyrer und Heinz Stahl von Peter Rinderle
C) POLITICAL LEADERSHIP AUF DEM PRÜFSTAND Have We Succeeded? Political Leadership Lessons from the United States
209
Die „Guten Führer“ ihrer Nation: ein zentral-europäisches Muster konservativen „Leaderships“?
221
von Kathleen E. Schafer
von Andreas Pribersky
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Romanian political class: 18 years of personal profit and defiance
235
Albania: Between reality and dream
249
Funktion und Auftrag politischer Bildung
257
von Ovidiu Vanghele von Altin Raxhimi
von Christian Sebastian Moser und Michael Rosecker
D) POLITIK ALS BERUF „Es ist immer ein Quäntchen Glück dabei“: Der Einstieg in die professionelle Politik.
277
Politische Führung bedarf Leistungsbereitschaft und Leidenschaft
285
Interview mit Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
293
Interview mit EU-Kommissarin Dr. Benita Ferrero-Waldner
299
Interview mit Helmut Schmidt
305
Interview mit Prof. Dr. Rita Süssmuth
315
von Niels Annen, MdB (SPD)
von Miriam Gruß, MdB (FDP)
Geführt von Regina Jankowitsch Geführt von Regina Jankowitsch
Geführt von Annette Zimmer & Janina Evers Geführt von Annette Zimmer & Janina Evers
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VORWORT Für Wähler und Wählerinnen, Parteimitglieder und die Medien hatte sie immer Bedeutung: die politische Führungspersönlichkeit, die für eine Richtung steht, polarisiert und die Dinge auf den Punkt bringt. Dagegen war Political Leadership für die Sozialwissenschaften in Europa lange Zeit kein zentrales Thema. Dies ist auch verständlich angesichts der jüngsten Vergangenheit und der allzu schlechten Erfahrungen mit charismatischen Führerpersönlichkeiten. Für gesellschaftlichen und politischen Wandel sowie für Stagnation und Reformstau werden primär Strukturen und nicht die Führerschaft einzelner Persönlichkeiten verantwortlich gemacht. Und zu Recht hat das Leitmotiv „Große Männer machen Geschichte“ inzwischen ausgedient. Und dennoch ist etwas dran an der politischen Führungspersönlichkeit, gerade in Zeiten des Wandels und der turbulenten Umweltbedingungen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Analyse von Funktion und Bedeutung politischer Führung inzwischen wieder auf die sozialwissenschaftliche Agenda gerückt ist. Es erfolgte fast durch die „Hintertür“ infolge der „Medialisierung der Politik“ als wählerwirksame Inszenierung von Politikern und Politikerinnen. Doch ebenso wichtig war sicherlich die Veränderung der Großwetterlage in der internationalen Politik wie in Europa. Und es sind neue Akteure – die NGOs – hinzugekommen, die nicht nur gemanagt werden, sondern durchaus auf Leadership hin angelegt sind. Der vorliegende Band ist Ausdruck des neuen Interesses am Faktor „Persönlichkeit“ in der Politik, das nicht zuletzt in einer Reihe aktueller Veröffentlichungen deutlich wird (vgl. Pollak et al 2008; Grassel/Korte 2008; Helms 2005a; Rosenberger 2005). Dabei ist der Fokus auf „Leadership“ ganz bewusst gewählt: Es geht um das Spannungsverhältnis von Struktur und Person, um Politik als Raum des Möglichen und Machbaren, um Ziele und Visionen als praxisbezogene Leitideen politischen Handelns. Aber es geht auch um die Schattenseiten von Political Leadership, die Irrwege und Schwierigkeiten bei der Übernahme von Macht und Verantwortung. Der Band ist zudem als erste Annäherung an die Thematik konzipiert. Während im angelsächsischen Kontext „Leadership“ immer schon Thema der Politikwissenschaft war (vgl. Jankowitsch 2008; Burns 1979; Bass 1974), hat man sich in Europa gegenüber einem manageriellen oder gar handwerklichen Verständnis personenzentrierter Politikgestaltung - von Ausnahmen abgesehen (Blondel 1987; Elgie 1995; Pelinka 1997; Helms 2005b) - eher distanziert verhalten. Hier scheint sich aktuell eine Trendwende abzuzeichnen. Dies hat viel mit der zunehmenden Verberuflichung von Politik zu tun. Wer einmal eingestiegen ist, kommt nur schwer wieder raus. Allzu schnell gibt es kein zurück mehr in ein Leben ohne Politik. Gleichzeitig droht die Politik ihre Bodenhaftung zu verlieren. Unsere Demokratie lebt nicht von den
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Berufspolitikern und Politikerinnen, sondern von den Bürgern und Bürgerinnen, die Politik vor allem in Form von zivilgesellschaftlichem Engagement und eben nicht als Beruf betreiben. Dass dies nicht in Vergessenheit gerät, dazu ist Leadership notwendig. Adressiert wird daher ganz bewusst kein primär universitäres Publikum, sondern die interessierte Öffentlichkeit: Journalisten, Coaches, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Public Affairs Agenturen sowie Politiker und Politikerinnen im Haupt- und im Ehrenamt. Den Leser bzw. die Leserin erwarten Beiträge, die die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven und auf Basis verschiedener Erfahrungen ausleuchten. Es kommen Politikwissenschaftler und wissenschaftlerinnen ebenso zu Wort wie Journalisten und Journalistinnen. Neben Überblicksartikeln mit Handbuchcharakter finden sich Essays zur aktuellen Verfasstheit von Political Leadership in alten und ganz jungen Demokratien. Erfahrene Politiker und Politikerinnen blicken zurück auf ihren Berufsweg als Political Leaders; Vertreter der jüngeren Politikergeneration setzen sich kritisch bis distanziert mit Political Leadership auseinander. Die Herausgabe des Bandes „Political Leadership – Annäherungen aus Wissenschaft und Praxis“ wird ermöglicht mittels einer Unterstützung durch „Die Erste österreichische Spar-Casse Privatstiftung“ in Wien. Hierfür danken die Herausgeberinnen ganz herzlich. Im Besonderen gilt unser Dank aber den Autoren und Autorinnen sowie den Interviewpartnern. Ein weiteres Dankeschön geht an die Mitarbeiter Janina Evers und Marc Uri sowie an den Verleger Florian Busch-Janser. Der Band ist in vier Kapitel gegliedert, die jeweils unterschiedliche Aspekte und Zugänge beleuchten. Einen Einstieg in die Thematik aus politikwissenschaftlicher Sicht bietet Kapitel A) „Zugänge zu Political Leadership“. Ludger Helms behandelt die institutionellen Rahmenbedingungen von Political Leadership. Er zeigt, warum Political Leadership in den USA, Großbritannien oder Frankreich unterschiedlich wahrgenommen und ausgeführt wird. Anton Pelinka hinterfragt radikal Sinn und Zweck des Ansatzes: Brauchen starke Demokratien überhaupt Political Leaders oder sind sie mit gutem Politikmanagement nicht besser bedient? Sigrid Rosenberger geht auf die Genese des Konzeptes ein und stellt Kriterien zur Messung der Qualität von Political Leadership vor. Regina Jankowitsch und David Wineroither wagen einen Blick zurück und behandeln aus der Perspektive der politischen Theorie ausgewählte Political Leaders wie Theoretiker jeweils im Kontext ihrer Zeit. Kapitel B) „Kontexte und Konzepte von Political Leadership“ fragt aus politikwissenschaftlicher wie organisationstheoretischer Sicht nach Grenzen und Chancen des Ansatzes. Ingeborg Tömmel zeigt: Es kommt auf die Gelegenheit an. Political Leadership in Brüssel braucht ein „Window of Opportunity“. Dies trifft auch für Frauen in politischen Ämtern zu, wie der Beitrag von Brigitte Geissel und Petra Meier deutlich macht. Christiane Frantz und Annette Zimmer lenken den Blick auf Führungspersönlichkeiten in NGOs
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und NPOs. Johannes Steyrer und Heinz Stahl diskutieren den Nexus, die enge Verbindung zwischen Narzissmus und Charisma bei Politikern, während Peter Rinderle die Frage nach der Integrität von Politikern und Politikerinnen stellt. Die Beiträge in Kapitel C) „Political Leadership auf dem Prüfstand“ nehmen eine kritisch reflektierende Perspektive auf die aktuelle Entwicklung von Leadership in alten und sehr jungen Demokratien ein. In ihrem Essay fragt Kathleen Schafer mit Blick auf die USA: „Have we succeeded“? Andreas Pribersky diagnostiziert die Renaissance eines rückwärtsgewandten Leitbildes von Leadership in Osteuropa und speziell in Ungarn. Der Journalist Ovidiu Vanghele lenkt den Blick auf Rumänien und die Gefährdung von Leadership durch überbordende Korruption. Der Situationsbericht von Altin Raxhimi aus Albanien dokumentiert die Suche von Politik und Parteien nach Vorbildern und Konzepten von Leadership unter schwierigen ökonomischen Bedingungen. Der Beitrag von Christian Moser und Michael Rosecker, der auf die Arbeit österreichischer Parteiakademien fokussiert, behandelt Relevanz und Notwendigkeit politischer Bildung. Tissy Bruns nimmt sich des Themas als Journalistin an und warnt vor einer medialen Überinszenierung von Leadership. Im Kapitel D) „Politik als Beruf“ kommen die Akteure und Akteurinnen der Politik selbst zu Wort. Die Bundestagsabgeordneten Nils Annen (SPD) und Miriam Gruß (FDP) setzen sich in ihren Kurzbeiträgen mit Leadership als Konzept auseinander. Vier Interviews mit Spitzen-Politikern und Politikerinnen aus Österreich und Deutschland vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von Political Leadership als Leitbild und Motiv politischen Handelns: Prof. Dr. Rita Süßmuth, Bundestagspräsidentin von 1988–1998, Dr. Benita Ferrero-Waldner, seit 2005 EU-Kommissarin für Äußeres, Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Dr. Heinz Fischer, amtierender österreichischer Bundespräsident, beschreiben im Face-to-Face-Gespräch, was sie unter Political Leadership verstehen. Wir wollen mit diesem Buch zu weiteren Fragen, Diskussionen und Beiträgen motivieren – Sie, die WissenschaftlerInnen, sich dem weitestgehend noch völlig weißen Feld der Erforschung von Leadership im politischen Umfeld zu widmen und die Lücken aufzufüllen; Sie, die JournalistInnen, Ihre Kanäle und Plattformen zur wiederkehrenden Hinterfragung von Qualität in der Politik zu verwenden; Sie, die interessierten BürgerInnen, sich in konstruktiver Kritik zu ertüchtigen und somit nicht nur am Wahltag Korrektiv sein zu können und letztlich Sie, die PolitikerInnen, der Professionalität zu huldigen sowie Ihre Vorbildfunktionen ernst- und wahrzunehmen. Möge "Political Leadership - Annäherungen aus Wissenschaft und Praxis" die Debatten beleben! Danke. Wien/Münster Juni 2009 Annette Zimmer
Regina Jankowitsch
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Zitierte Literatur: Bass, Bernhard M., 1974: Bass & Stogdill's Handbook of Leadership, New York: The Free Press Blondel, Jean, 1987: Political Leadership. Towards a General Analysis, London: Sage Burns, James McGregor, 1979: Leadership, New York: Harper and Row Elgie, Robert, 1995: Political Leadership in Liberal Democracies, Houndsmills: Palgrave Macmillan Grasselt, Nico / Korte, Karl-Rudolf, 2008: Führung in Politik und Wirtschaft, Wiesbaden: VS-Verlag Helms, Ludger, 2005a: Regierungsorganisation und politische Führung in Deutschland, Wiesbaden: VS-Verlag Helms, Ludger, 2005b: Presidents, Prime Ministers and Chancellors. Executive Leadership in Western Democracies, Houndsmills: Palgrave Macmillan Jankowitsch, Regina, 2008: Political Leadership, in: Pollak, Johannes et al (Hrsg.): Politik und Persönlickkeit, Wien: facultas: 197-211 Pelinka, Anton, 1997: „Leadership“ zur Funktionalität eines Konzeptes, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 26, 4: 369-376 Pollak, Johannes et al (Hrsg.), 2008: Politik und Persönlichkeit, Wien: facultas Rosenberger, Sigrid Elisabeth, 2005: Der Faktor Persönlichkeit in der Politik. Leadershipanalyse des Kanzlers Willy Brandt, Wiesbaden: VS-Verlag
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A) ZUGÄNGE ZU POLITICAL LEADERSHIP
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„POLITICAL LEADERSHIP“: PERSPEKTIVEN UND BEFUNDE DER VERGLEICHENDEN POLITIKWISSENSCHAFT LUDGER HELMS Die generellen Anforderungen an „political leadership“ durch Regierungen und Regierungschefs der westlichen Demokratien sind einander durchaus ähnlich, die konkreten Bedingungen politischer Führung je nach Kontext jedoch hochgradig voneinander verschieden. Rationale Erwartungen an politische Führung und faire Bewertungen erreichter Leistungen setzen einen angemessenen Referenzrahmen voraus. Die auf die Analyse grundlegender institutioneller Rahmenbedingungen von „political leadership“ konzentrierte vergleichende Politikwissenschaft kann dazu beitragen, den Bedingungsrahmen von politischer Führung in unterschiedlichen nationalen Kontexten zu erhellen. Indem sie die jeweiligen Begrenzungen der Handlungsmächtigkeit politischer Akteure ins Licht rückt, kann sie insbesondere dabei helfen, unangemessene Erwartungen an Regierungen und Regierungschefs zu zerstreuen und stattdessen den Sinn für das jeweils Mögliche zu schärfen. Damit leistet die vergleichende Politikwissenschaft einen wichtigen Beitrag zur rationalen Fundierung von „political leadership“ auf der Ebene der Gesellschaft.
Ludger Helms, Prof. Dr. phil. habil., Jg. 1967, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Forschung und Lehre an der Universität Heidelberg, der Universität Göttingen, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Harvard University, der University of California at Berkeley, der London School of Economics and Political Science, der Universität Tokio und der Central European University, Budapest. Publikationen: Alleinautor von fünf Monographien und mehr als 50 Aufsätzen in internationalen Fachzeitschriften; thematisch einschlägige Veröffentlichungen u.a.: Presidents, Prime Ministers and Chancellors: Executive Leadership in Western Democracies, London 2005; Regierungsorganisation und politische Führung in Deutschland, Wiesbaden 2005. Kontaktdaten: Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck, Universitätsstraße 15, A-6020 Innsbruck, Tel.: +43 512 5077050, Fax: +43 512 5072849, ludger.helms@uibk.ac.at
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1. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der vergleichenden „political leadership“Forschung
Vergleichen
schafft Maßstäbe. Das gilt für den historischen wie für den
internationalen Vergleich, und keineswegs ausschließlich im Rahmen der Beschäftigung mit „political leadership“, sondern ganz generell. Ohne einen zumindest impliziten Vergleich sind Urteile und Bewertungen allenfalls mit großen Einschränkungen möglich. Das gilt wiederum nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für andere Bereiche, nicht zuletzt für die Politik. In der Demokratie bilden politische Bewertungen der Regierenden durch die Regierten, vor allem anlässlich bzw. in Form von Wahlen, ein zentrales Element der Herrschaftsorganisation bzw. -ausübung. Klassischen Demokratietheorien zufolge geht es dabei konkret um eine vergleichende Bewertung konkurrierender Bewerber innerhalb eines Systems als Grundlage von Macht zuweisenden Wahlen. Idealtypisch besitzen auf dieser Basis getroffene Wahlentscheidungen sowohl retrospektiven als auch prospektiven Charakter. Während bei der retrospektiven Dimension die in der ablaufenden Legislaturperiode gezeigten Leistungen der Regierung und, zumeist in geringerem Maße, der Opposition im Vordergrund stehen, ist die prospektive Dimension der Urteilsbildung auf die Abschätzung der künftigen Problemlösungsfähigkeit miteinander konkurrierender Akteure konzentriert. In vielen konsolidierten Demokratien, wie in den meisten jungen Demokratien, entspricht das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten nur zum Teil den Idealen der Theorie repräsentativer Demokratie. Seit den achtziger Jahren ist vielerorts von einer Politik-, Staats- und/oder Demokratieverdrossenheit die Rede (Arzheimer, 2002; Dalton 2004). Zu ihren zentralen Kennzeichen gehört mangelndes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit, zuweilen auch die Problemlösungswilligkeit sämtlicher Bewerber um die politischen Führungsämter des Staates; ihre beiden wichtigsten Indikatoren sind eine geringe bzw. zurückgehende Beteiligung an Wahlen und/oder Wahlerfolge populistischer Protestparteien. Über die Ursachen dieses Phänomens herrscht in der internationalen Politikwissenschaft keine Einigkeit. Ein klassischer Erklärungsansatz hebt vor allem auf die aus Sicht vieler Wähler mangelnde Unterscheidbarkeit konkurrierender Bewerber bzw. deren Regierungsprogramme ab. Andere Ansätze betonen stärker die Bedeutung subjektiver historischer Erfahrungen von Bürgern. Dieser Lesart zufolge stellt sich Politik-, Staatsund Demokratieverdrossenheit als Ergebnis zurückliegender Enttäuschungen ein, die in einem als negativ empfundenen Spannungsverhältnis zwischen Wahlkampfäußerungen politischer Akteure und deren späterem Handeln an der Regierung wurzeln.1
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Im Einzelfall kann freilich auch der historische Schatten einer mehrheitlich als überragend bewerteten Führungspersönlichkeit dafür verantwortlich sein, dass
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Angesichts einer weit fortgeschrittenen medialen Internationalisierung ist jedoch zu vermuten, dass nicht sämtliche der enttäuschten Erwartungen an „political leadership“ hausgemacht sind. Die in einigen Ländern geradezu chronische „Erwartungslücke“ (Raichur/Waterman 1993) hat – so eine zentrale These dieses Beitrags – mit großer Wahrscheinlichkeit auch etwas mit der Anlegung von aus dem Ausland importierten Vergleichsund Bewertungsmaßstäben zu tun, die einem bestimmten System wenig angemessen sind. Viele der Idealvorstellungen in Bezug auf „political leadership“, auf die man im kontinentalen Westeuropa trifft, entstammen den beiden angelsächsischen Demokratien USA und Großbritannien – ein für sich betrachtet bemerkenswertes Phänomen, da im direkten Vergleich dieser beiden Systeme miteinander die Unterschiede bei weitem überwiegen (HodderWilliams/Ceaser 1986; Walles 1988; Watts 2008). In den Köpfen nicht weniger Bürger, Journalisten, aber auch Politikwissenschaftler hat sich ein Set von Erwartungen eingenistet, das aus dem vermeintlich Besten beider Welten komponiert ist. Zu den Merkmalen guter politischer Führung wird dabei parteienübergreifende Autorität und Integrationskraft (wie sie idealtypisch amerikanische Präsidenten auszeichnet) ebenso gezählt wie eine große, auf Kompromisse wenig angewiesene Durchsetzungsstärke des Regierungschefs (als idealtypisches Merkmal britischer Premierminister). Der Anspruch der vergleichenden „leadership“-Forschung im hier umrissenen Problemkontext muss es sein, Differenzierungen zu erarbeiten, welche dabei helfen können, unangemessene Erwartungen an „political leadership“ zu vermeiden und stattdessen ein Gespür für das in unterschiedlichen Systemen Mögliche zu vermitteln. Das schließt, wie im Schlussabschnitt des Beitrags zu zeigen ist, die Identifikation länderübergreifender Herausforderungen, Entwicklungs- und Konvergenztrends nicht aus. Das Streben nach analytischer Differenzierung und Synthese bildet vielmehr die Basis für ein angemessen komplexes Verständnis von Kontinuität und Wandel von „political leadership“ in einer zunehmend interdependenten Welt. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der international vergleichenden Dimension der komparativen Beschäftigung mit „political leadership“ im spezielleren Bereich von „executive leadership“ wie sie von Regierungschefs und deren Teams zu leisten ist. Auf eine andere Dimension der Differenzierung ist zumindest am Rande hinzuweisen: Die konkreten Rahmenbedingungen politischer Führung können auch innerhalb eines Landes und innerhalb ein und desselben Bereichs im Zeitvergleich ausgesprochen unterschiedlich beschaffen sein. Dies hat damit zu tun, dass die längerfristig stabilen institutionellen und politisch-kulturellen Parameter eines Gemeinwesens zwar die gegenwärtige Auswahl politischer Alternativen bzw. politische Führungsleistungen selbst als defizitär empfunden werden. So ist es gewiss kaum ein Zufall, dass ausgerechnet die unmittelbaren Nachfolger Roosevelts, Adenauers oder Thatchers verbreitet als besonders schwache Führungspersönlichkeiten wahrgenommen wurden. Vgl. dazu Helms (2005a).
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fundamentale Komponenten des Handlungskorridors von Regierungen und Regierungschefs darstellen, jedoch keineswegs die einzigen relevanten Determinanten sind. Zu den üblicherweise besonders wichtigen Aspekten der politischen Rahmenbedingungen von „political leadership“ gehören so unterschiedliche Dinge wie die parteipolitische und personelle Zusammensetzung der Regierung, die Qualität des elektoralen Mandats der Regierung bzw. des Regierungschefs, die finanziellen Spielräume einer Regierung, die Stärke und Geschlossenheit des gegnerischen politischen Lagers oder, ganz allgemein, die politische und ökonomische „Großwetterlage“. Diese Faktoren generieren jeweils einen spezifischen „Handlungskorridor“, in dem Regierungen bzw. Regierungschefs agieren müssen. Ein empirischer Vergleich dieser „Handlungskorridore“ erlaubt es, die Regierungen bzw. Regierungschefs eines Landes zu unterschiedlichen Gruppen zusammenzufügen, innerhalb derer „faire“ Vergleiche möglich sind. In diesem Sinne unterschieden William Lammers und Michael Genovese im US-amerikanischen Kontext zwischen „high-opportunity presidents“ and „low-opportunity presidents“ (Lammers/Genovese 2000). Ein solcher Zugang ermöglicht die Konzentration auf die eigentliche „leadership“-Leistung und deren vergleichende Bewertung. Die in der vergleichenden Sozialforschung üblicherweise lediglich als Abstraktum bzw. methodologische Behelfskonstruktion bemühte Formel „ceteris paribus – unter sonst gleichen Bedingungen“ wird dabei gleichsam inhaltlich konkretisiert. Auf dieser Grundlage können „political leaders“ mit mäßigen Erfolgen auf der Ebene der Gesetzgebung im Hinblick auf ihre persönliche Führungsleistung unter Umständen sogar besser abschneiden als solche mit größeren legislativen Erfolgen, wenn etwa im zweiten Fall ungewöhnlich großzügige Gestaltungspotentiale nicht ausgeschöpft wurden. Historisches Augenmaß ist also schon für die Analyse und Bewertung von politischer Führung innerhalb eines Landes oder Systems absolut unentbehrlich. In international vergleichenden Analysen gilt es um so mehr, historische Unterschiede der Bedingungen politischer Führung innerhalb von Systemen zu „kontrollieren“, um Vergleiche mit womöglich doppelter Schieflage zu vermeiden. 2. Dimensionen des internationalen Vergleichs von „political leadership“ 2.1 Konzeptueller Fokus Gemäß der oben formulierten Problemstellung liegt der Schwerpunkt dieses Abschnitts nicht auf der Präsentation unterschiedlicher Beispiele von „political leadership“ aus unterschiedlichen Ländern bzw. Systemen, sondern auf dem internationalen Vergleich der strukturellen Bedingungen von „executive leadership“. Das speziellere Interesse gilt den grundlegenden institutionellen Parametern politischer Führung. Für die Wahl eines auf die Institutionen konzentrierten Fokus gibt es, ganz besonders für eine praxisorientierte Politikwissenschaft, gute Gründe: Institutionen sind zwar keineswegs die einzig
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relevanten Komponenten der Bedingungen politischer Führung, aber sie sind beinahe die einzige politisch gestaltbare Größe in einem Meer nicht direkt beeinflussbarer Faktoren (Rockman 1997, 64). Deshalb gilt: Das Verständnis der institutionellen Parameter liefert nicht nur einen Schlüssel zum vergleichenden Studium politischer Führung; es bildet zugleich die zentrale Grundlage der Formulierung und Realisierung politischer Reformagenden zur Optimierung der Bedingungen und Ergebnisse von „political leadership“. Die hier entwickelte institutionelle Perspektive ist einem theoretischen Grundverständnis von politischen Institutionen und Akteuren verpflichtet, das in der internationalen Politikwissenschaft unter der Bezeichnung „akteurzentrierter Institutionalismus“ zu großem Einfluss gelangt ist (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000). Ihm zufolge handelt es sich bei Institutionen um Regeln bzw. Regelsysteme, die das Handeln individueller Akteure (etwa Regierungschefs) und korporativer Akteure (etwa politische Parteien) einerseits erst ermöglichen, andererseits jedoch begrenzen. Ferner wird davon ausgegangen, dass Institutionen spezifische Anreize für politisches Handeln schaffen und langfristig auch die Präferenzen von politischen Akteuren prägen können. Zugleich wird anerkannt, dass Akteure umgekehrt in der Lage sind, institutionelle Arrangements zu verändern. Die entscheidende Leistung des „akteurzentrierten Institutionalismus“ besteht darin, dass er einen Zugang zum Studium politischer Akteure im Rahmen bestimmter institutioneller Arrangements ermöglicht, während viele andere Ansätze Regierungen, Parlamente usw. selbst als politische Institutionen bezeichnen und deshalb Gefahr laufen, das Spannungsverhältnis zwischen institutionellen Regeln und handelnden Akteuren konzeptuell aus dem Blick zu verlieren. Eine weitere Stärke des „akteurzentrierten Institutionalismus“ besteht darin, dass er Raum lässt für die Einbeziehung „informaler Institutionen“2 – ein Aspekt, ohne den gerade das Studium von politischer Führung praktisch undenkbar ist. Anders als häufig zu lesen ist, produzieren Analysen mit institutionellem Fokus keineswegs ein steriles oder radikal reduktionistisches Bild der Bedingungen politischer Führung. Vielmehr sind Institutionen auf der Ebene des politischen Gemeinwesens in hohem Maße Ausdruck bestimmter Interessenkonstellationen und politisch-kultureller Werte von Gesellschaften. Das gilt jedenfalls für demokratische Systeme mit Institutionen, die aus einem pluralistisch2
Bei ihnen handelt es sich, ein wenig verkürzt ausgedrückt, um „ungeschriebene Regeln“. Sie sind nicht unbedingt weniger wichtig als geschriebene Regeln. Sie können die Wirkungen des formalen Institutionensystems im Einzelfall sowohl verstärken als auch abschwächen, die geschriebenen Regeln optimieren und ergänzen, aber auch unterlaufen und effektiv außer Kraft setzen. Informale Institutionen sind Ausdruck spezifischer politischer, historischer und kultureller Konstellationen; ihre Entstehung und Evolution ist jedoch zugleich in hohem Maße abhängig von den bestehenden formalen Institutionen, in deren Kontext sie sich ansiedeln (Helmke/Levitsky 2004). Wertvolle Einsichten in die informalen Aspekte des Regierens deutscher und österreichischer Bundesregierungen bietet Rudzio (2005).
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demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess hervorgegangen sind – im Gegensatz zu Institutionen, die ihre Entstehung dem Einfluss äußerer Mächte verdanken (etwa einer Kolonial- oder Besatzungsmacht). Hinter institutionellen Arrangements demokratischer Regime mit einer starken Konzentration von Entscheidungsmacht und eng begrenzten Mitwirkungs- oder Kontrollrechten politisch-gesellschaftlicher Minderheiten steht in der Regel eine stark majoritär geprägte politische Kultur – so traditionell in Großbritannien. Umgekehrt spiegeln stark am Prinzip der Gewaltenteilung ausgerichtete Institutionen üblicherweise entweder betont machtskeptische oder aber ausgeprägt konsensorientierte Werthaltungen politischer und gesellschaftlicher Akteure wider – so im Falle der Vereinigten Staaten einerseits und der Schweiz andererseits. 2.2 Kernmerkmale unterschiedlicher Regierungssystemtypen Die heute in der Politikwissenschaft vielleicht am weitesten verbreitete institutionelle Differenzierung von Regierungssystemen bezieht sich auf den Gegensatz zwischen Systemen mit starken und schwachen institutionellen Mechanismen der Gewaltenteilung. Die vergleichende Politikwissenschaft unterscheidet diesbezüglich zwischen Mehrheits- und Konsensusdemokratien (Lijphart 1984; 1999). Andere Autoren differenzieren nach dem Grad des „institutionellen Pluralismus“ eines Systems (Colomer 1996, 9), wiederum andere unterscheiden „souveräne Demokratien“ und „semi-souveräne Demokratien“ (Schmidt 2002, 176). Immer geht es, bei Unterschieden im Detail, um die Anzahl und Stärke von Institutionen bzw. institutionellen Akteuren, welche die Durchsetzungsfähigkeit einer regierenden Mehrheit beschränken und diese zu Kompromissen zwingen. In Teilen der jüngeren „leadership“Literatur gilt dieser Unterschied als die wichtigste Größe, die über die Durchsetzungsund Gestaltungsfähigkeit von Regierungen und Regierungschefs (mit)bestimmt (Rockman 1997, 60; Peters 1997, 72). Einigen Autoren, wie George Tsebelis (2002), erscheinen die Anzahl, Stärke und Positionierung von „Vetospielern“ gar als die praktisch einzig entscheidenden Variablen, welche über die jeweils gegebenen Möglichkeiten der Veränderung des politischen Status Quo in einem System bestimmen.3
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Dabei wird zwischen „institutional veto players“ (wie Staatsoberhäuptern oder Parlamenten) und „partisan veto players“ (etwa den an einer Regierungskoalition beteiligten Parteien) sowie zwischen individuellen und kollektiven Vetospielern unterschieden. Wichtiger als die bloße Anzahl von Vetospielern ist diesem Ansatz zufolge die relative Positionierung von Vetospielern, deren Vetomacht durch präferenzstrukturierende Einflüsse wie insbesondere übereinstimmende parteipolitische Mehrheiten bzw. parteipolitischen Gleichklang gegebenenfalls „absorbiert“ werden kann (Tsebelis 2002: 12). – Nicht alle Autoren, die mit dem außerordentlich populären Begriff des Vetospielers arbeiten, übernehmen die theoretischen Aspekte des von Tsebelis entwickelten Konzepts. Oftmals werden vor allem die klassischen institutionellen bzw. konstitutionellen Gegengewichte zur Regierung wie starke
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Der Einfluss institutioneller Unterschiede auf dieser Ebene ist kaum zu überschätzen. Das zeigen vergleichende Studien zu Ländern mit gravierend unterschiedlich stark gewaltenteilig angelegten Systemen, wie etwa Deutschland und Großbritannien. Von kurzen und seltenen Ausnahmephasen abgesehen, können deutsche Kanzler und Bundesregierungen von der institutionell untermauerten Durchsetzungsstärke britischer Regierungen und Premierminister nur träumen (Helms 1996, 2005a). Die „Vetospielerdichte“ ist jedoch nicht die einzige institutionelle Komponente von Regierungssystemen, die über die grundlegenden Bedingungen von politischer Führung entscheidet. Die „klassische“ institutionenbezogene Unterscheidung von Regierungssystemen differenziert Systeme danach, ob sie der Gruppe präsidentieller Demokratien oder parlamentarischer Demokratien angehören. Das Primärmerkmal parlamentarischer Regierungssysteme ist die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung oder, anders ausgedrückt, das Recht einer parlamentarischen Mehrheit, auf spezieller institutioneller Grundlage (dem Misstrauensvotum) die Regierung aus politischen Gründen abzuberufen. Daraus ergibt sich in der Praxis parlamentarischer Systeme eine starke Tendenz zur Gewaltenverschmelzung zwischen Teilen des Parlaments und der Regierung. Diese führt zur Ausdifferenzierung eines Gegenübers von Regierungsmehrheit und Opposition und begünstigt ferner ein hohes Maß an Abstimmungsdisziplin innerhalb der parlamentarisch repräsentierten Parteien, das für Mehrheitsfraktionen und Minderheitsfraktionen aus Gründen politischer Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen wichtig ist. Ein zentrales Bestimmungsmerkmal präsidentieller Systeme bildet die feste Amtszeit des Präsidenten. Eine politische Verantwortlichkeit des Präsidenten gegenüber der Legislative mit der Möglichkeit eines Misstrauensvotums ist im präsidentiellen System nicht vorgesehen. Statt Gewaltenverschmelzung herrscht in formal-institutioneller Hinsicht Gewaltentrennung vor. Effektive Entscheidungspolitik ist freilich auch im präsidentiellen System nur auf der Grundlage intensiver Kooperationen zwischen Exekutive und Legislative möglich. Innerhalb der Familie der konsolidierten westlichen Demokratien verkörpern die Vereinigten Staaten das einzige präsidentielle Regierungssystem. Sämtliche größeren Regierungssysteme Westeuropas mit Ausnahme der Schweiz gehören hingegen der Gruppe parlamentarischer Regierungssysteme an. Je nachdem, ob es in ihnen ein gewähltes Staatsoberhaupt, einen Präsidenten, oder aber einen Erbmonarchen gibt, lassen sie sich weiter differenzieren in parlamentarische Republiken (etwa Deutschland und Italien) oder parlamentarische Monarchien (etwa Großbritannien und Spanien). Aus dieser Differenzierung wird bereits ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen parlamentarischen und zweite Kammern, Verfassungsgerichte und unabhängige Zentralbanken als maßgebliche potentielle Vetospieler von regierenden Mehrheiten behandelt; vgl. etwa Schmidt (2002).
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präsidentiellen Demokratien erkennbar: Während es in parlamentarischen Systemen stets eine „doppelköpfige Exekutive“ (bestehend aus dem Regierungschef und einem Staatspräsidenten oder Monarchen) gibt, ist die präsidentielle Demokratie durch eine „geschlossene Exekutive“ gekennzeichnet. Im Amt des amerikanischen Präsidenten fließen somit die Funktionen des Regierungschefs und des Staatsoberhauptes zusammen. Damit sind spezifische Ressourcen der politischen Repräsentation und Integration verbunden, über die ein Premierminister eines präsidentiellen Systems üblicherweise nicht verfügt. In parlamentarischen Demokratien liegen wesentliche Integrationsressourcen eher in den Händen des vom Regierungschef strukturell abgegrenzten Staatsoberhaupts. Ihm, nicht so sehr dem Regierungschef, kommt „von Amts wegen“ wie auch in der Verfassungspraxis die Aufgabe zu, als über den Parteien stehende Integrationsinstanz zu wirken. Von den größeren Ländern Westeuropas ist in diesem Zusammenhang vor allem das Regierungssystem der V. Republik Frankreich erklärungsbedürftig, denn in ihm ist der Präsident üblicherweise sowohl mit Blick auf zentrale politische Grundsatzentscheidungen als auch repräsentative bzw. integrative Aktivitäten der maßgebliche Akteur. Das hat viel mit dem spezifischen institutionellen Gepräge der V. Französischen Republik zu tun, deren Grundformat vielen jüngeren Demokratien in Osteuropa als Vorbild bei den Verfassungsgebungsprozessen nach 1989 diente (von Beyme 2003).4 In diesem Modell werden zentrale Merkmale des parlamentarischen Systems mit solchen des präsidentiellen Systems kombiniert: Einerseits gibt es das Prinzip parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regierung sowie eine „doppelköpfige Exekutive“; andererseits wird der Präsident direkt vom Volk gewählt und verfügt über sehr weit reichende politische Entscheidungskompetenzen, von denen im französischen Fall jedoch viele lediglich den Charakter von politischen Konventionen besitzen, die vom ersten Inhaber des Präsidentenamtes, Charles de Gaulles, begründet wurden (Bell 2000). In Teilen der politikwissenschaftlichen Literatur werden Systeme wie das französische als „semi-präsidentielle Demokratien“ klassifiziert – eine einflussreiche, aber nichtsdestotrotz umstrittene Klassifikation.5 Jene Politikwissenschaftler, die dafür eintreten, Systemklassifikationen an einem Primärkriterium – der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung – festzumachen, betrachten Systeme dieser Art stattdessen als „parlamentarische Demokratie mit Präsidialdominanz bzw. Präsidialhegemonie“ (Steffani 1983, 396). Mit Blick auf die Verfassungspraxis erscheint dies vor allem für Phasen geteilter parteipolitischer Kontrolle von Präsidentenamt und Nationalversammlung (der so genannten „cohabitation“) angemessen, in denen – 4
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Der eigentliche Archetyp dieses Regierungssystems ist aus historischer Perspektive jedoch weniger die V. Republik Frankreich als die nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland begründete Weimarer Republik (1918-1933). Den besten Überblick über unterschiedliche Konzeptualisierungen von „SemiPräsidentialismus“ bietet Elgie (2004).
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wie in anderen parlamentarischen Systemen üblich – eindeutig der Premierminister, nicht der Präsident, den Ton angibt. Im direkten strukturellen Vergleich erscheinen französische „Minderheitspräsidenten“ (François Mitterrand zwischen 1986 und 1988 und von 1993 bis 1995 und Jacques Chirac von 1997 bis 2007) denn auch als erheblich schwächer als amerikanische Präsidenten in Phasen von „divided government“, geteilter parteipolitischer Kontrolle des Weißen Hauses und des Kongresses (Conley 2007).6 In Phasen einheitlicher Mehrheitsverhältnisse eröffnen „semipräsidentielle“ Systeme dem Präsidenten hingegen außergewöhnlich großzügige Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Für einige Systeme dieser Kategorie, darunter Russland, ließe sich mit Blick auf die Verfassungspraxis statt von einem „halbierten Präsidentialismus“ eher von einem „Superpräsidentialismus“ (Mommsen 2001) sprechen.7 Für den internationalen Vergleich von „political leadership“ bedeutet dies unter anderem, dass gerade die handlungsmächtigen und über die Grenzen ihres eigenen Landes weithin sichtbaren Präsidenten „semi-präsidentieller“ Systeme sich kaum als Referenzmodell parlamentarischer Regierungschefs eignen. Das gilt nicht nur für die im engeren Sinne institutionellen Handlungsbedingungen von Präsidenten („semi-präsidentieller“ Systeme) und Premierministern (parlamentarischer Demokratien). In manchen „semi-präsidentiellen“ Systemen, darunter zweifellos Frankreich, ist der gesamte politische Prozess einschließlich der politisch-kulturellen Parameter mehr oder minder auf den Präsidenten hin ausgerichtet (Kempf 2007). Das Amt gebietet enormen Respekt – nicht nur unter den Anhängern eines amtierenden Präsidenten, sondern auch, und machtpolitisch entscheidender, unter politischen Gegnern und Medienakteuren (Kuhn 2005, 318-319; Chalaby 2005, 287).
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Die große Mehrheit amerikanischer Präsidenten nach 1945 agierte zumindest während Teilen ihrer Amtzeit als „Minderheitspräsident“. Präsident Carter (1977-1981) war der bislang letzte Präsident der USA, der sich ohne Unterbrechung auf eine Mehrheit seiner Partei im Kongress stützen konnte. Als das wichtigste Führungsinstrument dient amerikanischen Präsidenten ohne eigene Mehrheit im Kongress in der Regel das präsidentielle Veto bzw. die Drohung mit diesem (Cameron 2000). Gemeint ist ein Regime, in dem der Präsident als der alles entscheidende Akteur erscheint – in einem Maße, das aus demokratietheoretischer Perspektive als bedenklich gelten muss. Für Russland selbst waren „superpräsidentielle“ Merkmale nach verbreiteter Einschätzung insbesondere für die Präsidentschaft Vladimir Putins kennzeichnend; vgl. Shevtsova (2006) und Pravda (2006). Eine entgegen gesetzte Entwicklungstendenz kennzeichnet die österreichische Verfassungspraxis seit 1945: Formal von einigen Autoren als semipräsidentielles System klassifiziert, ist der politische Prozess in der Zweiten Republik durch einen konsequenten „Rollenverzicht“ des Bundespräsidenten und eine prominente Position des Kanzlers geprägt. Vgl. Wineroither (2007).
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2.3. Die institutionellen Machtbegrenzungen unterschiedlicher Regierungssystemtypen „Political leadership“ unter den Bedingungen der liberalen Demokratie bedeutet, dass „chief executives“ die Umsetzung ihrer politischen Agenden stets im Kontext spezifischer Begrenzungen verfolgen müssen. In keinem demokratischen Regierungssystem ist die Exekutive vollständig frei, ihr Programm umzusetzen. Dies wäre unvereinbar mit dem Prinzip der Gewaltenbegrenzung als gemeinsame Komponente grundlegend unterschiedlicher Varianten liberaler Demokratie. Die Bedeutung einzelner „Kontrollakteure“ variiert – unter sonst gleichen Bedingungen – jedoch erheblich zwischen unterschiedlichen Regierungssystemen. „Kontrolle“ meint jüngeren Konzeptualisierungen des Begriffs zufolge dabei nicht ausschließlich nachträgliche, sondern auch begleitende und zum Teil bereits im voraus Einfluss nehmende Kontrolle (Helms 2005b). In den vergangenen Jahren ist die internationale Literatur zum Vergleich der Bedingungen und Manifestationen von „political leadership“ in parlamentarischen und präsidentiellen Demokratien, zumeist am Beispiel Großbritanniens und den USA, auf eine beachtliche Zahl angewachsen (vgl. etwa Hart 1991, Hargrove 2001, Rose 2005, Heffernan 2005; Bevir/Rhodes 2006). Statt die Einsichten dieser Beiträge lediglich zusammenzufassen, soll hier ein breiter angelegter Überblick geboten werden, der die strukturellen Handlungsbedingungen in parlamentarischen, präsidentiellen und „semipräsidentiellen“ Systemen aus vergleichender Perspektive beleuchtet. Angesichts der außerordentlich großen Variationsbreite von Regierungssystemen selbst innerhalb einer dieser Kategorien wird dabei jeweils exemplarisch der Prototyp der jeweiligen Regierungsform – Großbritannien (Parlamentarismus), USA (Präsidentialismus) und Frankreich („SemiPräsidentialismus“) – in das Zentrum der Betrachtung gestellt (vgl. Schaubild 1).
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Schaubild 1: Kontrollakteure und deren Kontrollpotential gegenüber „chief executives“ in parlamentarischen, präsidentiellen und „semi-präsidentiellen“ Demokratien Kontrollpotential unterschiedlicher Akteure Parlamentarismus
Präsidentialismus
„SemiPräsidentialismus“
Kontrollakteur
Premier
Präsident
Präsident*
Partei
stark
schwach
mittel
Kabinett
stark
unbedeutend
unbedeutend
Legislative
mäßig
stark
schwach
stark
stark
Massenöffentlichkeit mittel/stark
Anm.: *Die Bewertungen sind auf Präsidenten der V. Republik Frankreich während des Zustands gleichgerichteter parteipolitischer Kontrolle von Präsidentenamt und Nationalversammlung bezogen. Quelle: Rockman (2003: 56) mit Ergänzungen und abweichenden Bewertungen des Autors. Politische Parteien als Akteure, die über den Bewegungsspielraum von „chief executives“ mitentscheiden, sind in allen drei Systemen von Bedeutung. Der Einfluss der Parteien beginnt schon mit bzw. noch vor der Rekrutierung in das politische Führungsamt und bleibt eine potentiell wichtige Größe in sämtlichen Phasen des gouvernementalen Entscheidungsprozesses. Mit Abstand am geringsten ist ihre Rolle jedoch im präsidentiellen System der Vereinigten Staaten, wo sich Parteien üblicherweise um ihren Kandidaten bzw. Präsidenten scharen und diesem von der Personalselektion bis zur Formulierung des Regierungsprogramms zumeist vollständig freie Hand lassen. Die relative Schwäche der amerikanischen Parteien manifestiert sich auch bei Abstimmungen im Kongress; die parteipolitischen Linien sind vergleichsweise durchlässig und wenig stabil, womit speziell aus Sicht von „Minderheitspräsidenten“ beträchtliche Handlungsspielräume verbunden sind. Auch die Parteien in „semi-präsidentiellen“ Demokratien nach dem Muster der V. Französischen Republik sind, gemessen an den Standards rein parlamentarischer Systeme, schwach. Angesichts des im Kern parlamentarischen Charakters „semi-präsidentieller“ Demokratien kommt den Parteien in Systemen dieses Typs jedoch alles in allem eine deutlich prominentere Rolle zu als im präsidentiellen System der Vereinigten Staaten.
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Das manifestiert sich auch auf der Ebene parteipolitischer Kontrolle von politischer Führung. Allerdings prallt interne Kritik aus den Regierungsparteien in Phasen ungeteilter Mehrheitsmacht zumeist am Präsidenten ab und wird vom „Premier des Präsidenten“ absorbiert. In parlamentarischen Regierungssystemen (ohne Präsidialhegemonie) sind Macht und Einfluss der Parteien dagegen ausgesprochen groß. Nicht zufällig werden parlamentarische Demokratien weithin als Parteiendemokratien oder gelegentlich, mit kritischem Unterton, als Parteienstaaten bezeichnet. Greifbar wird die große Macht von Parteien gerade in einem System wie dem britischen, in dem es wenige konstitutionelle „checks and balances“ gibt, die den Bewegungsspielraum der Regierung einschränken. Keineswegs zufällig wurde das politische Ende einiger der besonders machtvoll erscheinenden Premiers wie Margaret Thatcher oder Tony Blair ausgerechnet durch ihre eigene Partei eingeläutet. Das Kabinett als eigenständiger Kontrollakteur ist sowohl im Regierungssystem der USA als auch in jenem der V. Republik Frankreich faktisch bedeutungslos. In Frankreich sind interministerielle Ausschüsse („conseils restreints“ und „comités interministérieles“) als strategische Entscheidungszentren ungleich wichtiger als das Kabinett; bei den Kabinettsministern handelt es sich üblicherweise um enge Vertraute des Präsidenten, die diesem ihr Amt verdanken und sich weder kollektiv noch individuell gegen diesen stellen. In den Vereinigten Staaten fehlt dem Kabinett selbst der für andere Systeme übliche verfassungsrechtliche Status. Das amerikanische Kabinett ist aber nicht nur in formaler Hinsicht eine „secondary political institution“ (Fenno 1966, 5); auch seine Funktionen sind stark auf repräsentationspolitische Aspekte beschränkt. Einige Autoren konstatierten deshalb lapidar, in den Vereinigten Staaten existiere „kein Kabinett“ (Lösche 1989, 119). Obwohl es heute praktisch keine parlamentarische Demokratie gibt, für die mit Blick auf die Verfassungspraxis ohne größere Einschränkungen von einem System der Kabinettsregierung gesprochen werden könnte (Weller 2003), ist die Bedeutung des Kabinetts in rein parlamentarischen Regierungssystemen – unter sonst gleichen Bedingungen – ungleich größer als in präsidentiellen oder „semi-präsidentiellen“ Regimen. Premierminister parlamentarischer Systeme können danach streben, die Rolle des Kabinetts durch die Schaffung neuer Entscheidungsgremien unterhalb der Kabinettsebene (Kabinettsausschüsse) oder parallele Entscheidungsgremien (wie Koalitionsausschüsse) zu modifizieren. In beiden Fällen ist eine effektive Stärkung ihrer Position möglich, wenn auch keineswegs garantiert.8 Gegen den entschiedenen Willen des gesamten Kabinetts regieren 8
Für „Koalitionsdemokratien“ wie Deutschland oder Österreich ist die Einrichtung von Koalitionsrunden bzw. -ausschüssen typisch (Müller/Strøm 2000); in Ländern mit traditioneller Vorherrschaft von Einparteienregierungen wie Großbritannien bilden Kabinettsausschüsse ein Funktionsäquivalent. Hier wie dort geht es primär um eine Steigerung der Effektivität des gouvernementalen Entscheidungsprozesses. Der Effekt auf den Status des Regierungschefs ist in hohem Maße abhängig von den jeweiligen Kontextbedingungen. Das gilt auch für die Bundesrepublik: Während
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können sie jedoch nicht. Das politische Rückgrat des Kabinetts in der parlamentarischen Demokratie bilden in aller Regel wiederum die politischen Parteien; ihre Repräsentanten sitzen an den Schaltstellen der Macht in den Ministerien.9 Auch häufige Kabinettsumbildungen, durch die oppositionell gestimmte Minister „ausrangiert“ werden können, oder die Rekrutierung parteiloser „Technokraten-Minister“ ohne parteipolitische Hausmacht sind üblicherweise nur auf der Grundlage eines ausdrücklichen oder zumindest stillschweigenden Einverständnisses der Mehrheitsparteien möglich. Im präsidentiellen Regierungssystem bildet die Legislative das zentrale Gegengewicht zu einem innerhalb des Exekutivterrains praktisch allmächtigen Präsidenten. Nachhaltige politische Erfolge amerikanischer Präsidenten müssen weniger innerhalb der Exekutive, als vielmehr auf dem Capitol Hill errungen werden – auf der Grundlage eines breiten Arsenals von Instrumenten und Strategien, die von sachpolitischer Überzeugungsarbeit hinter verschlossenen Türen über Formen der Überredung, Einschüchterung und Drohung bis zu ausgreifenden öffentlichen Mobilisierungskampagnen („going public“) reichen (Edwards 1990; Herring 2006; Larocca 2006).10 In vergleichenden Arbeiten, die auf die Gegenüberstellung des US-amerikanischen und des britischen Regierungssystems konzentriert sind, erscheint die Kontrollmacht des Kongresses als „stark“, die des Unterhauses als „schwach“ (Rockman 2003, 56). Im weiter gefassten internationalen Vergleich ist diese Akzentuierung nicht ganz überzeugend. Gemessen an der evidenten Machtlosigkeit der französischen Nationalversammlung gegenüber dem Präsidenten der V. Republik muten die Kontrollmöglichkeiten des britischen House of Commons gegenüber dem Premierminister – erwähnt seien lediglich die „Prime Minister’s Question Time“ und vor allem die Möglichkeit eines Misstrauensvotums – geradezu großzügig an. Das gilt mit Abweichungen im Detail auch für die Bedingungen politischer Kontrolle der Exekutive durch das Parlament in anderen parlamentarischen Regierungssystemen.11 Der französische Präsident ist dem Zugriff politischer
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Bundeskanzler Helmut Kohl von der Existenz eines informellen Koalitionsgremiums nachhaltig profitierte, indizierte die Einrichtung eines entsprechenden Gremiums im Falle Helmut Schmidts eher den schleichenden Machtverfall des Kanzlers (Helms 2005c: 85-134). Das gilt im Übrigen keineswegs nur für die eigens dafür vorgesehenen im engeren Sinne politischen Positionen, sondern auch für viele administrative Positionen. Nach Befunden der jüngeren Forschung hat sich die Tendenz zur informellen Parteipolitisierung der Ministerialverwaltung in vielen Ländern verstärkt (Peters/Pierre 2004). Obwohl das amerikanische Regierungssystem dem Präsidenten beachtliche Spielräume eröffnet, um auf der Grundlage von präsidialen Verordnungen („executive orders“) zu regieren, lassen sich größere Misserfolge auf der Ebene von „legislative leadership“ hierdurch keinesfalls kompensieren. Unter sonst gleichen Bedingungen schwächer ist das Kontrollpotential des Parlaments in parlamentarischen Systemen nach dem Muster der Bundesrepublik (wie auch Spaniens, Belgiens, Ungarns oder Polens), in dem „konstruktive“ Varianten des Misstrauensvotums installiert wurden, um die Regierung vor rein negativen, „destruktiven“ Mehrheiten zu schützen. Von
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Kontrolle durch das Parlament tatsächlich vollständig enthoben. Formal entspricht dem der weitgehende formale Ausschluss des Präsidenten aus dem legislativen Verfahren (mit Ausnahme spezieller Prüfungsrechte im Ausfertigungsstadium eines Gesetzes). Durch seine unbestrittene Position an der Spitze der Machtpyramide einer regierenden Mehrheit besitzt er nichtsdestoweniger eine außerordentlich große faktische Entscheidungsmacht auch im Gesetzgebungsverfahren. Die große Bedeutung einer kritischen Öffentlichkeit als Kontrollinstanz von Regierungen demokratischer Systeme wird heute von niemandem ernsthaft bestritten. Der internationale Vergleich gestattet indes auch mit Blick auf diesen Aspekt gewisse Differenzierungen. In Demokratien präsidentiellen und „semi-präsidentiellen“ Typs gehören öffentliches Ansehen und Unterstützung zu den wichtigsten Ressourcen des Präsidenten überhaupt. Betroffen vom Ausmaß öffentlicher Unterstützung (zwischen zwei Wahlen) sind insbesondere die Kapazitäten von Präsidenten beim politischen Agenda-Setting sowie im legislativen Verfahren. Populäre Präsidenten sind nicht zuletzt in Auseinandersetzungen mit anderen politischen Akteuren erfolgreicher12; unpopuläre Präsidenten stoßen zum Teil auch auf Ablehnung bei Akteuren des eigenen Lagers, die fürchten, mit in den Sog der öffentlichen Unpopularität des Präsidenten zu geraten. Auf den ersten Blick ist der Einfluss der Öffentlichkeit bzw. der öffentlichen Meinung auf die Regierungschefs parlamentarischer Systeme sogar noch größer als im Fall der Präsidenten präsidentieller bzw. „semi-präsidentieller“ Systeme. Denn anders als jene sind diese nicht für eine fixe Periode in ihr Amt gewählt und in diesem Sinne deutlich verwundbarer. Tatsächlich sorgt der für parlamentarische Demokratien charakteristische Mechanismus der Gewaltenfusion von Regierung und parlamentarischer Mehrheit jedoch dafür, dass regierende Mehrheiten – eine hinreichende Bereitschaft, tatsächlich zu führen vorausgesetzt – weitgehend unabhängig von Schwankungen der öffentlichen Zustimmung zwischen zwei Wahlen regieren können, zumindest bis zum Einsetzen des nächsten Wahlkampfs. Das in den meisten parlamentarischen Demokratien im Falle negativer öffentlicher Zustimmungswerte zu beobachtende Zaudern von Regierungsakteuren ist
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großer Bedeutung für das Kontrollpotential von Parlamenten ist daneben insbesondere die strukturelle Beschaffenheit des Ausschusssystems (Schnapp/Harfst 2005). Dabei gilt, dass eine konsequente Ressortorientierung und eine langfristig stabile personelle Zusammensetzung der mit Gesetzgebung befassten Parlamentsausschüsse die Kontrollmacht des Parlaments gegenüber der Regierung erhöhen. Überdurchschnittlich hohe Popularitätswerte („job approval“) kennzeichneten in den USA nach 1945 etwa die Präsidentschaften Roosevelts, Eisenhowers und Kennedys. Bei allen Amtsinhabern gibt es jedoch beträchtliche Schwankungen in der öffentlichen Zustimmung; außerordentlich groß waren diese im Falle von George W. Bush. Das Ausmaß öffentlicher Popularität gilt als relevante Größe insbesondere mit Blick auf die jeweilige Kompromissbereitschaft der Legislative; in den USA wurde jedoch ein Einfluss der Popularität des Präsidenten sogar auf die Entscheidungspraxis des Supreme Court ermittelt (Yates/Whitford 1998).
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deshalb nicht wirklich rational – am ehesten noch in Bundesstaaten, in denen es zu bundespolitisch relevanten Veränderungen der politischen Kräfteverhältnisse auch zwischen zwei Wahlen der nationalen Volksvertretung kommen kann. Die verbreitete Tendenz zur ängstlichen Gleichsetzung von „opinion polls“ und Wahlergebnissen, die Kultivierung einer „Stimmungsdemokratie“ muss als eine der wichtigsten Faktoren gelten, welche die strukturellen Voraussetzungen von „political leadership“ mit einer zumindest mittelfristigen Zielorientierung untergraben. 3. Ausblick: Internationale Trends und Herausforderungen Das Streben nach komparativer Differenzierung sollte nicht den Blick für die strukturellen Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Entwicklungstrends in den Bedingungen politischer Führung trüben. Von den strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen liberalen Demokratien war am Rande bereits die Rede: Die Prinzipien der Gewaltenteilung einschließlich der zeitlichen Befristung von politischer Entscheidungsgewalt und der demokratischen Verantwortlichkeit der Inhaber von Regierungsämtern gehören zu den konstitutiven Komponenten jeder liberalen Demokratie. Auch das Erfordernis der Kompromissfindung kann zu den allgemeinen Merkmalen politischer Führung in der Demokratie gezählt werden, obgleich es diesbezüglich gravierende Unterschiede zwischen einzelnen Ländern bzw. Systemtypen gibt. Schließlich muss zu den strukturellen Kennzeichen demokratischer politischer Führung auch das Recht auf Opposition gerechnet werden. Ein wesentlicher Teil der öffentlichkeitsbezogenen Tätigkeiten regierender Mehrheiten besteht darin, sich öffentlich mit den Argumenten opponierender Minderheiten auseinanderzusetzen und ihre eigene Position im Rahmen dieser Auseinandersetzungen zu behaupten. Aus politikwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive ist die Beschäftigung mit länderübergreifenden Herausforderungen und Wandlungen der spezielleren Bedingungen und Manifestationen politischer Führung in den liberalen Demokratien jedoch mindestens so interessant und wichtig wie die vergleichende Analyse der langfristig stabilen Rahmenbedingungen. Um ein mögliches Missverständnis zu vermeiden, sei betont, dass international zu beobachtende Entwicklungstrends die Unterschiede zwischen einzelnen Demokratietypen und Modellen politischer Führung, wie sie in den vorausgehenden Abschnitten umrissen wurden, freilich nicht aufheben. Schließlich erfolgen selbst gleichgerichtete Entwicklungen von unterschiedlichen Ausgangsniveaus aus und bleiben eingebunden in unterschiedliche Kontexte. Zum Teil agieren, wie im Rahmen dieses Beitrags zugunsten anderer Aspekte lediglich angedeutet werden konnte, überdies selbst unterschiedliche Amtsinhaber innerhalb eines Systems unter gravierend unterschiedlichen Bedingungen.
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Gleichwohl ungeachtet gibt es einige auffällige Gemeinsamkeiten in der jüngeren Entwicklungsgeschichte der Bedingungen von „political leadership“ in den konsolidierten westlichen Demokratien. Unübersehbar ist zunächst die in den meisten Ländern gewachsene Sichtbarkeit des Regierungschefs. Dies ist nicht zuletzt den Wirkungen zunehmend stärker kommerzialisierter Massenmedien zuzuschreiben, die in hohem Maße auf den Personalisierungsfaktor setzen. Zum Teil wird durch die wachsende Medialisierung von Politik jedoch lediglich die tatsächlich aufgewertete Position von Regierungschefs wirkungsvoll verstärkt. Regierungsintern kam es vielerorts zu einer Aufwertung der Position des Regierungschefs unter anderem als Ergebnis des gestiegenen Koordinationsbedarfs einer zunehmend ressortübergreifend angelegten Regierungspolitik, welcher von der Regierungszentrale zu leisten ist (Peters/Rhodes/Wright 2000, 9-10). Von mindestens so großer Bedeutung war die Herausbildung eines komplexen Systems der internationalen „Gipfeldiplomatie“ (im Stile der Ratstreffen der Europäischen Union oder der G8-Konferenzen). Die gewachsene Präsenz von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern auf der internationalen Bühne zieht eine erhöhte Sichtbarkeit auch auf der nationalen Ebene nach sich. Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich die gewachsene Prominenz des „chief executive“ potentiell als strategische Ressource auch im Rahmen innenpolitischer Entscheidungsprozesse erweist. In Teilen der jüngeren Literatur wurden einzelne dieser Aspekte zu der populären These von der „Präsidentialisierung“ politischer Führung in den westlichen Demokratien gebündelt (Poguntke/Webb 2005).13 Die Effekte der Medialisierung sind jedoch nicht auf den Aspekt einer größeren Sichtbarkeit von bzw. öffentlicher Aufmerksamkeit gegenüber Regierungschefs beschränkt. Zu den zentralen restriktiven Wirkungen einer wachsenden Mediendichte und Intensität der Medienberichterstattung vornehmlich kommerzieller Medien gehört nicht zuletzt ein wachsender Zeitdruck, der auf politischen Entscheidungsträgern lastet. Die Zeithorizonte der kommerzialisierten Medienwelt sind noch kürzer als jene der Politik; abwägendes Abwarten ist mit den Gesetzen des Marktes nur begrenzt vereinbar. Entsprechend groß ist der mediale Druck auf politische Entscheidungsträger, die Medien als Gegenleistung für die Ressource Aufmerksamkeit tagtäglich mit neuen Informationen zu füttern und möglichst auch auf der Ebene von Entscheidungspolitik deren zeitlichen „Vorgaben“ zu entsprechen (Meyer 2001).14 Die intensivierten und in gewisser Weise anspruchsvoller gewordenen Beziehungen zwischen Politik und Medien machen auf Seiten von Regierungen
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Zur konzeptuellen und empirischen Kritik vgl. Helms (2005d) und Goetz (2006: 76-83). Das Ganze geschieht im Rahmen von Entscheidungskontexten, in denen angesichts zum Teil dramatisch gewachsener Komplexität politischer Herausforderungen ein besonders großer Zeitbedarf für hinreichend gründliche und legitime Entscheidungen besteht (Rosa 2005).
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wiederum den Einsatz spezifischer finanzieller, personeller und zeitbezogener Ressourcen erforderlich, die ausschließlich der Zielerreichung eines erfolgreichen „Medienmanagements“ gewidmet sind und oftmals an anderer Stelle fehlen (Helms 2008). Die aus demokratietheoretischer Perspektive vielleicht schwerwiegendste Veränderung der Bedingungen politischer Führung in den konsolidierten Demokratien betrifft das gewandelte Verhältnis zwischen Regierungen als staatlichen Entscheidungsakteuren einerseits und vetomächtigen Akteuren des privaten Sektors andererseits. Das Gespräch mit der Lobby gehörte schon immer zum Geschäft des Regierens, aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich der potentielle Einfluss einzelner Akteure des privaten Sektors, ganz besonders von global agierenden Großunternehmen, deutlich erhöht. Der Anteil gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen, den Regierungen weitgehend autonom, ohne spezielle Rücksichten auf die Interessen von Akteuren des privaten Sektors, treffen können, ist seit geraumer Zeit im Abnehmen begriffen. Zahlreiche Aspekte des Zustands des politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Systems entziehen sich der autonomen Gestaltungsmacht von Regierungen. Einige Betrachter haben international organisierte Firmen, die glaubhaft mit Abwanderung ins Ausland drohen können, längst als die eigentlichen „Inhaber der Investitions- und Beschäftigungshoheit“ (Offe 2003, 14) identifiziert. In vielen Ländern ist eine erhöhte Bereitschaft von Regierungen zu beobachten, über informelle Verhandlungen mit vetomächtigen Akteuren des privaten Sektors gesamtgesellschaftlich vertretbare Lösungen zu erreichen. Diese Praxis geht freilich mit schweren Belastungen der demokratischen Qualität von politischer Führung und politischen Entscheidungen einher (Crouch 2004). Hinzuweisen ist insbesondere auf die potentielle „Entparlamentarisierung“ des politischen Entscheidungsprozesses und drohende Verstöße gegen das demokratische Gleichheitsprinzip. Die Wissenschaft hat hierzu eine Reihe von Lösungsvorschlägen entwickelt, deren Umsetzung zumindest zu einer Entschärfung der entstehenden Probleme beitragen könnte (Grimm 2003, 208-209). Neben anderen, voraussetzungsvolleren Lösungsansätzen ist vor allem der zumindest nachträglichen öffentlichen Kontrolle entsprechender Verhandlungen und Verhandlungsergebnisse ein positiver Effekt zuzutrauen. Sie bildet das Pendant zu einer angemessen intensiven und glaubwürdigen öffentlichen Begründung von Regierungspolitik, die angesichts nachhaltig veränderter Legitimationsvorstellungen in den westlichen Demokratien mehr denn je als „conditio sine qua non“ zeitgemäßer politischer Führung gelten muss.
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KRITISCHE HINTERFRAGUNG EINES KONZEPTS DEMOKRATIETHEORETISCHE ANMERKUNGEN ANTON PELINKA
Zwischen Leadership und Demokratie besteht kein Gegensatz, sehr wohl aber ein Spannungsverhältnis. Die politikwissenschaftliche Leadership-Typologie, wie sie insbesondere von James MacGregor Burns und Jean Blondel entwickelt wurde, hilft dieses Spannungsverhältnis verstehen. Auf diese Typologie stützen sich die folgenden Ausführungen, die vor allem unterstreichen sollen, dass die demoskopisch messbare Sehnsucht nach Leadership, nicht nur in Form der Sehnsucht nach dem „starken Mann“, implizit auf vor-, früh- oder antidemokratischen Vorstellungen beruht. Stabile Demokratien führen zur Erosion des Faktors Persönlichkeit in der Politik, weil in einem stabilen politischen Markt Parteien – getrieben vom Stimmenmaximierungskalkül – Personen und Inhalte entsprechend der politischen Nachfrage positionieren. „Starke Männer“ sind Zeichen demokratischer Instabilität – oder der Abwesenheit von Demokratie überhaupt. Das Fehlen „starker Männer“, aber auch das Fehlen einer ausgeprägten Sehnsucht nach „Leadership“ ist als Indikator für den Erfolg der Demokratie zu werten
Anton Pelinka, 1975 - 2006 o. Univ.Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, seit 2006 Professor of Nationalism Studies and Political Science, CentralEuropean University, Budapest. Seit 1990 Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Konfliktforschung, Wien. Publikationen: v.a. zu Fragen der Demokratietheorie (z.B. Dynamische Demokratie, 1974; Politics of the Lesser Evil, 1999) und zur Analyse politischer Systeme (z.B. Austria. Out of the Shadow of the Past, 1998; Democracy Indian Style, 2003).
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Dass
Politik
von
Menschen
„gemacht“
wird,
ist
die
Einsicht
in
eine
Selbstverständlichkeit. Dass Politik von einigen wenigen Menschen „gemacht“ wird, während die große Zahl mehr oder weniger auf die Rolle von Konsumentinnen und Konsumenten reduziert wird, ist eine doppelbödige Aussage: Sie kann als Feststellung eines faktischen Zustandes gemacht werden; eine Feststellung, die auch als Kritik bestehender Verhältnisse deutbar ist. Diese Aussage kann aber auch als Beschreibung einer der „Natur“ von Mensch und Gesellschaft entsprechenden Arbeitsteilung zwischen Führern und Geführten verstanden werden – und damit als ein Versuch, einen Status quo ideologisch zu rechtfertigen. Alle empirisch überprüfbaren Befunde über die Ordnung der Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart gehen von einer gegebenen Arbeitsteilung aus: Die politische Ordnung der Gesellschaft verteilt unterschiedliche Rollen und damit aber auch unterschiedliche Macht. Dieser Befund kann nun wiederum in einer ambivalenten Weise gedeutet werden: Die elitentheoretische Deutung: Die in allen politischen Ordnungen festzustellende Ungleichheit der Machtverteilung – ausgedrückt in den Begriffen „Herrschaft“ und „Herrschaftssystem“ – wird durch die Existenz bestimmter Gruppen (zum Beispiel politischer Parteien, aber auch von Verfassungsorganen wie Parlamenten und Regierungen) ausgedrückt. Diese „Funktionseliten“ besitzen, unabhängig von der Art und Weise ihrer (z.B. demokratischen, auf freie Wahlen gestützten) Legitimation, gegenüber der Gesellschaft insgesamt ein Mehr an Macht. Die Leadership-theoretische Deutung: Die Ungleichheit der Machtverteilung wird nicht auf Gruppen und Institutionen bezogen gesehen, sondern auf Personen. Diese werden, wiederum unabhängig von ihrer Legitimationsgrundlage, ins Zentrum einer (mehr oder weniger kritischen, mehr oder weniger affirmativen) Betrachtung gerückt. Der Gesellschaft insgesamt werden einzelne Personen, im Extremfall eine einzige Person, gegenübergestellt. Diese beiden Zugänge schließen einander keineswegs aus. Sie bezeichnen jedoch sehr wohl verschiedene Formen des Verständnisses von Gesellschaft, insbesondere aber auch verschiedene Zugänge zur Demokratie. Ein Demokratieverständnis, das – in Fortführung der demokratietheoretischen Ansätze von Schumpeter und Downs – vor allem auf den Wettbewerb zwischen Parteien abgestellt ist, folgt im Wesentlichen einer bestimmten Variante der Elitentheorie. Nicht zufällig hat Peter Bachrach diesen Zugang „Die Theorie der demokratischen Elitenherrschaft“ genannt. (Bachrach 1970)
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Das Konzept von Leadership ist wesentlich von den Wirtschaftswissenschaften beeinflusst, insbesondere von der Management-Lehre. Das ist keineswegs ein Grund, dass die Politikwissenschaft diesem Konzept skeptisch oder gar ablehnend gegenüberzustehen hätte. Von Adam Smith bis Joseph Schumpeter gibt es viele Beispiele dafür, wie anregend, wie wesentlich der Input von Erkenntnissen war, die aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaft in den der Politikwissenschaft transferiert wurde. Aber es ist dennoch wichtig, festzuhalten, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein die Debatte über Politische Leadership im Wesentlichen außerhalb und gegen die Demokratietheorie geführt wurde: Von Plato bis Machiavelli in fruchtbarer, weil anregender; vom Faschismus in unfruchtbarer und bedrohlicher Form. Braucht Demokratie Leadership? Um die Vereinbarkeit von Demokratie und Leadership analysieren zu können, braucht es eine klare Begriffsbestimmung. Bezüglich der Demokratie ist dies einfach: Demokratie ist – im Sinne der weitgehend unbestrittenen Kriterien liberaler Demokratie – die Kombination von Mehrheitsherrschaft und Garantien für Minderheits- und Individualrechte. Dies bedeutet, dass dem Wettbewerb um Wählerstimmen auf der Grundlage einer Parteienpluralität ebenso zentrale Bedeutung zukommt wie der Wächterrolle von Höchstgerichten (wie des USSupreme Court oder des österreichischen Verfassungsgerichtshofes) zur Begrenzung der Mehrheitsherrschaft. Leadership ist hingegen ein Begriff, der durch die in der Alltagssprache vorhandene Neigung zur Beliebigkeit viel schwerer in einer analysierbaren oder gar operationalisierbaren Form zu fassen ist. Das beginnt schon bei der Semantik: Um den historisch besetzten Begriffen wie „Führer“ oder „Duce“ zu vermeiden, wird gerade in der Deutschsprachigen Literatur auf den Begriff Leadership rekurriert. Das hilft zwar, vordergründige Missverständnisse zu vermeiden; das ändert aber nichts an dem ambivalenten Beziehungsgeflecht zwischen Demokratie und Leadership. Deshalb ist es hilfreich, ja unvermeidlich, sich auf eine differenzierte Begriffsbestimmung einzulassen. In der politikwissenschaftlichen Literatur zum Thema Leadership hat sich hier die auf James MacGregor Burns zurückgehende Unterscheidung zwischen „Transforming“ und „Transactional Leadership“ als sinnvoll erwiesen. Transactional Leadership „occurs when one person takes the initiative of making contact with others for the purpose of an exchange of valued things…“ (Burns 1979, 19). Transforming Leadership „occurs when one or more persons engage with others in such a way that leaders and followers raise one another to higher levels of motivation and morality…“(Burns 1979, 20).
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Mit anderen Worten: Transactional Leadership stellt nicht eine neue Qualität her; transactional leaders sind auch grundsätzlich austauschbar, ihre Bedeutung ist nicht unverwechselbar mit ihrer Person verbunden. Transforming Leadership ist gerade durch die Herstellung einer neuen Qualität bestimmt. Transforming leaders sind daher auch durch ihren unverwechselbaren, spezifisch mit ihrer Person verbundenen Einfluss auf die Politik und damit auch auf die Geschichte charakterisiert. Die von Jean Blondel vorgestellte Dichotomie zwischen „heroes“ and „mere office holders“ entspricht tendenziell der Unterscheidung bei Burns. (Blondel 1987, 19 – 26) Aber gerade auch die Beispiele, die Blondel oder auch Burns (Burns 2003) für „heroes“ oder „transforming leaders“ vorlegen, zeigen deutlich, dass dieser Typus von Leadership in einem System kaum existiert: in der stabilen liberalen Demokratie. In Demokratien sind „heroes“ entweder nur in Zeiten eines Neuanfanges (Konrad Adenauer 1949), politischer Krise (Charles De Gaulle 1958) oder extremer äußerer Bedrohung (Churchill 1940, Franklin D. Roosevelt 1941) vorstellbar. In Zeiten politischer Stabilität sind Heroengestalten, denen ein (negativ oder positiv zu bewertender) Qualitätssprung nachgesagt werden kann, ansatzweise und nur in Ausnahmefällen existent (Margret Thatcher ab 1979, Ronald Reagan ab 1981). Aber auch an diesen Beispielen sind die engen Grenzen von Leadership in der Demokratie deutlich: Bevor Reagan entscheidende Akzente setzen konnte, die die USA prägten, war die Gesellschaft schon in Bewegung geraten. Ab den 1960er Jahren hatte ein „Rechtsdrift“ eingesetzt. Die „Nixon Democrats“ – traditionell demokratische Wählerschichten vor allem des „blue collar“Segments – hatten sich von der demokratischen Partei abzuwenden begonnen. Das Konzept des mit Franklin D. Roosevelt verbundenen Sozialstaates („New Deal“) hatte an Akzeptanz eingebüßt – auch im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung und den von John F. Kennedy und Lyndon Johnson forcierten Reformen. Zuerst existierte „Nixonland“ – und dann kam Reagans Abkehr von dem Rooseveltschen Paradigma (Perlstein 2008). „Mere office holders“ oder „transactional leaders“ entsprechen in der Demokratie dem Typus des politischen Unternehmers oder Managers: Sie sind einerseits unverzichtbar. Andererseits kann und darf von ihnen nicht erwartet werden, dass sie die Gesellschaft zu einer neuen Qualität führen, die von dieser gar nicht antizipiert und daher auch nicht gewollt wird. Denn wie Unternehmer oder Manager vom Markt abhängen, so haben „transactional leaders“ ihre der Demokratie immanente Bindung an die Gesellschaft, bei den Wählerinnen und Wählern, vorhandenen Interessen und Bedürfnisse. Demokratie bedeutet auch, dass eine über diese Interessen und Bedürfnisse hinausgehende Leadership demokratisch nicht legitimiert ist. Das bedeutet nicht, dass sich demokratisch legitimierte PolitikerInnen immer nur an die jeweils aktuellen demoskopischen Befunde halten müssen – das wäre ja die Abdankung der repräsentativen Demokratie. Aber was immer
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PolitikerInnen in der Demokratie machen, das ist immer von der Notwendigkeit gelenkt, demokratisch nicht sanktioniert zu werden. Auch wenn die strategisch entscheidend eingeschätzten Markt-, d.h. Wählersegmente im Moment noch keine Zustimmung zu einer bestimmten Politik signalisieren, so muss die Erwartung doch plausibel sein, dass dies in einer nicht allzu lang bemessenen Zeitspanne der Fall sein wird. Für den Typus des heroischen, des „tranforming leaders“ ist in einer stabilen Demokratie auf Dauer kein Platz. Das Verhältnis von Mahatma Gandhi und Pandit Nehru ist dafür ein Beleg: Gandhi, der „transforming leader“ der indischen Unabhängigkeitsbewegung, verweigerte die Übernahme einer institutionalisierten Führungsrolle im demokratischen, unabhängigen Indien. Diese („transactional“) Rolle kam Nehru zu, der als Premierminister nach einer langen Periode des auch und gerade in Wahlerfolgen gemessenen Erfolges die unvermeidliche Erfahrung frustrierender Misserfolge machen musste. (Brown 2003, 275–299) Gandhi verließ die Rolle des Propheten nicht. Das aber wäre notwendig gewesen, hätte er ein „Amt“ übernommen, das ihn in einen institutionellen Rahmen mit unvermeidlich damit verbundenen Rollenzwängen hineingestellt hätte – gerade weil es eine Rolle in einer sich stabilisierenden Demokratie gewesen wäre. Für „heroes“ ist in der Demokratie wenig bis kein Platz – mit Ausnahme in Phasen der Transformation (Pelinka 1999): Das demokratische Indien ist auch das Ergebnis der persönlichen Einflussnahme Mahatma Gandhis und Pandit Nehrus; Konrad Adenauer hatte zweifellos prägenden Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Demokratie ab 1949; Charles De Gaulle prägte 1958 im Übergang von der Vierten zur Fünften Republik die französische Demokratie; das Ende der Sowjetunion ist mit der Persönlichkeit Michail Gorbatschows entscheidend verbunden; die Republik Südafrika ist ohne die persönliche Handschrift Nelson Mandelas schwer vorstellbar. Aber der Erfolg der indischen, der deutschen und der französischen Demokratie erwies sich gerade darin, dass sie sich nicht nur von den Persönlichkeiten der Gründer, sondern auch von der Notwendigkeit von „heroes“ zu emanzipieren verstanden. Der Erfolg demokratischer Transformation erweist sich gerade darin, dass „transforming leadership“ sich selbst überflüssig macht. Demokratie braucht Leadership – aber welche? Demokratie kann bestimmte Gesetzmäßigkeiten der Politik nicht aufheben. Dazu zählt die ungleiche Verteilung von Macht. Demokratie kann die Pyramide gesellschaftlicher Ordnung, in der viele „unten“ und wenige „oben“ sind, nicht einebnen. Allerdings kann Demokratie - den Zugang zu den institutionellen Entscheidungsträgern und damit zur politischen Macht verbreitern und egalisieren. Demokratie kann und soll die Pyramide durchlässig machen.
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- den Abstand zwischen „unten“ und „oben“ verringern. Demokratie kann und soll die Pyramide flacher machen. Damit ist die demokratische Verträglichkeit von „Transactional Leadership“ im Sinne von Burns und von „mere office holders“ im Sinne von Blondel klargestellt: Selbstverständlich braucht es in der Demokratie institutionell zu benennende Entscheidungsträger und –innen, die in dieser – relativ eingeschränkten – Form Leadership ausüben. Die Begrenzung dieser Leadership besteht aber in der Abhängigkeit vom politischen Markt. „Transactional Leadership“ legitimiert sich über den Markt – und zwar direkt zum Zeitpunkt der Wahl, indirekt aber durch die von den Techniken der Demoskopie ermöglichte und verfeinerte, permanente Orientierung am Markt. Es ist demokratisch immanent, das heißt innerhalb der Demokratie logisch, wenn eine Partei, wenn ein „leader“ keine Entscheidungen trifft, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die eigenen Wahlaussichten wesentlich vermindern. Das gilt nicht für alle Politikfelder im gleichen Umfang. Die Politik USamerikanischer Präsidenten zeigt, dass eine eigenständige, kräftige, persönliche Handschrift in der Außenpolitik eher möglich ist als in den verschiedenen, als Innenpolitik anzusprechenden Politikfeldern. Die Ursache für diese Besonderheit der Außenpolitik ist, dass diese in hohem Ausmaß Adressaten einbezieht, die nicht am – nationalen – politischen Markt vertreten sind. Personen und Interessen anderer Staaten haben in einem politischen System grundsätzlich keine Subjekt-, sondern nur eine Objektrolle. Es ist kein Zufall, dass in Demokratien die Außenpolitik immer wieder dazu dient, Leadership zu demonstrieren, die im Gestrüpp der Innenpolitik verloren zu gehen droht. Dieser Fluchtmechanismus lässt sich – unter höchst unterschiedlichen Voraussetzungen – sowohl für die Präsidentschaft Bill Clintons, nach der Niederlage bei den Kongresswahlen 1994, als auch für die Präsidentschaft George W. Bushs, im Zusammenhang mit dem umstrittenen Wahlausgang 2000 und den Ereignissen des September 2001 feststellen (Reich 1997; Clarke 2004): Da außenpolitischer Aktivismus es der Tendenz nach ermöglicht, politische Gewinne innenpolitisch zu investieren und politische Verluste als Kosten im weitesten Sine nach außen zu transferieren, ist dies eine Konsequenz des Zwanges, Leadership zu demonstrieren, die als Folge des Gefangenseins in den engen Grenzen des (innen)politischen Marktes kaum demonstrierbar ist. Dies ist nicht nur im Zusammenhang mit dem US-Präsidentialismus zu beobachten. Winston Churchills Leadership bestand in außenpolitischen Erfolgen, seine Führungsrolle war insbesondere zwischen der französischen Kapitulation im Juni 1940 und dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941. Dass es ihm dann nicht gelang, diese Erfolgsbilanz im Sommer 1945 in einen Wahlerfolg umzusetzen, weist auf die Notwendigkeit hin, zwischen innen- und
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außenpolitischer Leadership differenzieren zu müssen. Dies begründet auch die Neigung zur Militarisierung als Folge des Bemühens, Leadership zu demonstrieren: Eine Leadership und Personalisierung besonders betonende, positiv hervorhebende politische Kultur führt zu einem bestimmten außenpolitischen Konfliktverhalten. (Burns 2003, 186– 98) Demokratien essen Leadership auf Die mit der liberalen, der pluralistischen, „Volk“ als Markt definierenden Demokratie ohne Probleme zu vereinbarende Form von Leadership ist „transactional“. Politische Führungsrollen werden durch Institutionalisierung, durch Routine und Austauschbarkeit bestimmt. Um in einer Demokratie eine Leadership-Funktion einnehmen zu können, braucht es eine demokratische Legitimation. Diese stützt sich immer direkt oder indirekt auf Wahlergebnisse, also auf die am politischen Markt zu einem Zeitpunkt – der Wahl – auftretende Nachfrage, auf die bei der Wahl zum Ausdruck gebrachten Präferenzen. Da die Methoden der Demoskopie erstens, die Trends auch zwischen den Wahlterminen erkennbar machen; und, zweitens, allen Konkurrenten – also allen Parteien – offen stehen, bewirkt dies eine unvermeidliche Konvergenz der Angebote, also der politischen Programme der Parteien. Natürlich hängt es vom Ausmaß der Fragmentierung des politischen Marktes ab, wie stark diese Konvergenz ist – je geringer die Fragmentierung, desto eindeutiger bestimmbar ist diese Mitte: Grundsätzlich gewinnt, wer die politische Mitte besetzt. „Fragmentierung“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht die Zahl der im Wettbewerb stehenden Parteien. Fragmentierung bedeutet, dass bestimmte Konfliktlinien („cleavages“) den politischen Markt in Teilmärkte zerteilen (Lijphart 1977, insbes. 53 – 103): So wie es in Nordirland keinen nordirischen, sondern einen katholischen und einen protestantischen Markt gibt, was sich in der Existenz von ausschließlich eindeutig protestantisch oder katholisch definierten Parteien äußert; und so wie es in Bosnien-Herzegowina – als Indikator des Fehlens nationaler Zusammengehörigkeit (anders ausgedrückt: eines einheitlichen politischen Marktes) – de facto nur muslimische, serbische und kroatische Parteien gibt. In diesem Fall funktioniert die Konvergenz nur in den Teilmärkten, z.B. im protestantischen und im katholischen Segment, nicht aber in Nordirland insgesamt. Doch auch in diesen Teilmärkten ist es notwendig, sich an der jeweiligen Mitte zu orientieren – sei sie die Mitte des einen oder des anderen Segments der fragmentierten Gesellschaft. Wenn eine Partei, wenn eine Person mit Berufung auf Leadership sich dieser Logik zu entziehen versucht, wird diese Partei, wird diese Person durch eine Wahlniederlage bestraft und auf diese Weise daran gehindert, Leadership ausüben zu können. Das eben bewirkt die Tendenz zur Austauschbarkeit von
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Leadership, zur Austauschbarkeit von Parteien; und das bedeutet, dass die Differenz der klar abgrenzbaren Angebote zugunsten nur wenig unterscheidbarer Grautöne verloren geht. Die real existierende liberale Demokratie neigt dazu, im Sinne des von Niklas Luhmann verwendeten Begriffes der Autopoiesis sich selbst zu steuern – und die vermeintlichen Steuermänner mit der Funktion zu betrauen, diesen Vorgang durch entsprechende Narrative zu verschleiern. Man kann auch Michel Foucault bemühen, dessen Verständnis von Macht als Abfolge einander bedingenden Handlungen kaum einen Raum für „transforming leadership“ lässt. (Ullmann 2008, 20 – 26) Demokratie unterstreicht mehr als jede andere politische Ordnung den Systemcharakter von Politik – und macht Political Leadership zu einer Funktion, die auf „supports“ und „demands“ reagiert. Diese demokratisch bewirkte, der Demokratie immanente Einbettung von Leadership in ein grundsätzlich sich selbst steuerndes System bedeutet die tendenzielle Auflösung von Leadership. Aaron Wildavskys Typologie – die Differenzierung des Leadership-Stils in „fatalistic“, „hierarchical“, „markets“, „communitarian“ – verweist auf die logische Konsequenz, mit der Leadership in einer stabilen Demokratie konfrontiert ist: Leadership wird mit einer Marktlogik konfrontiert. (Wildavsky 1989, 101) Leadership reduziert sich auf die Notwendigkeit, die Entwicklungsdynamik des politischen Marktes zu erkennen, um auf gegenwärtige und unmittelbar bevorstehende Trends entsprechend reagieren zu können. Demokratie impliziert, dass Political Leadership auf die wesentlichen, aus der Gesellschaft kommenden, politischen Nachfragen reagiert. Damit ist Leadership auf die beiden Funktionen des Reagierens auf politische Bedürfnisse und des politischen Marketings reduziert. Das bedeutet nicht, dass Leadership in der Demokratie ausschließlich im Reagieren auf die momentan zu beobachtenden Trends auf dem politischen (Wähler-) Markt besteht. Leadership bedeutet auch, die Trends vorherzusehen. Allerdings wird ein präventives Reagieren auf zukünftige Trends dann bestraft, wenn das Eintreten dieser Trends falsch prognostiziert wird; oder wenn durch Wunschdenken („Ideologie“) der eigene, persönliche Blick auf die Gesellschaft die Sicht der Realität behindert. In diesem Sinne ist Leadership in der Demokratie der Leadership in der Marktwirtschaft gleichzusetzen: Wirtschaftliche Leadership zerstört sich selbst, wenn sie die Entwicklungsdynamik der Nachfrage falsch einschätzt. Die Funktion der Vermarktung von Politik ist ebenfalls dem wirtschaftlichen Marketing ähnlich. Ein (politisches) Produkt kann nur dann, durch bestimmte Werbetechniken, erfolgreich am (politischen) Markt platziert werden, wenn es auf eine prinzipiell vorhandene Nachfrage reagiert – diese bestärkt, eventuell vorzeitig und so wirksam macht. Aber – unter der Voraussetzung eines vorhandenen Konkurrenzmechanismus – ist es nicht vorstellbar, dass ein
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Anbieter, eine Partei, eine überhaupt nicht vorhandene Nachfrage, ein überhaupt nicht vorhandenes Bedürfnis kreiert. „Manipulation“ ist möglich – aber in den Grenzen, den der Slogan ausdrückt: „You can fool all the people some time; you fool some people all the time; but you can’t fool all the people all time.“ Das garantiert auch der Wettbewerbscharakter; und wie der Zusammenbruch der politischen Systeme sowjetischen Typs in Europa zeigt, erfährt die Manipulation politischer Bedürfnisse auch in Einparteiensystemen ihre Grenzen. Die Sehnsucht nach Leadership Die Neigung, politische Erwartungen auf Personen zu projizieren, hat vordemokratische Wurzeln: Dem „Caesar“, dem „dux“ werden die Aufgaben übertragen, das „Heil“ der Gesellschaft zu garantieren. Eine analoge Neigung ist jedoch auch in etablierten Demokratien zu beobachten: Auch Demokratien, ja gerade erfolgreiche Demokratien provozieren den Wunsch, der demokratisch legitimen Macht ein Gesicht zu geben. Die demokratische Routine erweckt Sehnsüchte. Die in eine stabile liberale Demokratie immanent angelegte Neigung, kräftige politische Farben in nur wenig unterscheidbare Grautöne zu verwandeln, verletzt bestimmte archaische Bedürfnisse. Menschen projizieren ihre Erwartungen auf Menschen. Dass eine sich auf den Marxismus berufende Partei wie die KPdSU extrem anfällig für den dem Marxismus so widersprechenden Persönlichkeitskult um Lenin und Stalin war, ist ein Teil dieses Phänomens: Politische Loyalitäten, politische Mobilisierungen verlangen offenkundig auch nach einer Personalisierung von Macht, auch wenn diese – theoretisch und offiziell – als Teil eines entpersonalisierten Kräfteparallelogramms von Klassen und Bewegungen und Parteien gesehen wird. In seinem erstmals 1867 veröffentlichen Buch „The English Constitution“ legt Walter Bagehot eine Differenzierung vor, die zu einem bestimmten, pragmatischen Umgang mit der Sehnsucht nach Leadership in einer Demokratie einlädt: Er unterscheidet zwischen Institutionen, die „dignified“, und solchen, die „efficient“ sind. Zu ersteren zählt er die Monarchie und das House of Lords; zu den letzteren den Premierminister, das Kabinett und das House of Commons. (Bagehot 1963) Diese in der Geschichte der in mehreren Schritten erfolgenden Zurückstufung der britischen Monarchie und der damit verbundenen Demokratisierung Großbritanniens begründete Unterscheidung unterstreicht, dass gewisse, vordemokratische und/oder nicht rationale Sehnsüchte auf die Teile des politischen Systems gelenkt werden, deren reale politische Bedeutung in Richtung null tendiert; und dass die Teile des Systems, in denen die zentralen politischen Entscheidungen getroffen werden, sich von den Folgen und
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Belastungen, die von diesen Sehnsüchten in Form von Erwartungen ausgelöst werden, weitgehend freihalten können. Diese Sehnsucht nach Leadership muss auch im Zusammenhang mit den Grenzen der Möglichkeit und Bereitschaft zur politischen Betätigung gesehen werden. Der Repräsentativcharakter aller bekannten Formen von Demokratie ist ja auch die Folge einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung: In der Demokratie sind zwar alle eingeladen, sich an der Politik zu beteiligen – aber nur wenige können insgesamt von der und für die Politik leben. Die Begrenztheit der politischen Partizipation ist geradezu eine anthropologische Grundkomponente der Politik. (Lipset 1981) Dennoch: Die liberale Demokratie nimmt nicht die gesellschaftlichen Bedürfnisse, wie diese sein sollen, zur Grundlage – sondern die Bedürfnisse, wie sie tatsächlich sind. Die Sehnsucht nach Leadership entspricht offenbar einem Grundbedürfnis wesentlicher Segmente der Gesellschaft. Es kann daher nicht genügen, auf das Archaische oder Vormoderne dieser Sehnsucht zu verweisen. In der Demokratie müssen Antworten gefunden werden, die diese Sehnsucht zu befriedigen vermögen. Das führt zu einer lose-lose-Situation der Politik: Parteien und Akteure versuchen, durch entsprechende (Selbst-) Stilisierungen und Inszenierungen die vorhandenen Sehnsüchte zufrieden zu stellen. Damit gehen sie aber in eine Falle, die in der letztlich unvermeidlichen Unerfüllbarkeit dieser Sehnsüchte besteht. Die Leadership-Falle, die mit der Falle des Populismus weitgehend deckungsgleich ist, nährt immer und immer wieder den Anti-Politik-Affekt; bestärkt die Neigung, in der Politik schlechthin ein „schmutziges Geschäft“ und in den Politikerinnen und Politikern nur an ihren – angeblichen oder tatsächlichen – Privilegien interessierte Zyniker, bzw. Lügner zu sehen. Die Politik in der Demokratie kann kurzfristig der Leadership-Falle nicht entgehen: Um des kurzfristigen, an Marktvorteilen (sprich: Wahlerfolgen) gemessenen Erfolges willen stellt sich die Politik unter einen Erfolgsdruck, der zum Scheitern führen muss. Die Selbststilisierung und Selbstinszenierung im Polit-Theater namens Leadership wird Teil einer Abwärtsspirale, die langfristig die Demokratie insgesamt schwächen muss: Wenn sich Leadership als zynisches Spiel mit den Sehnsüchten der Wählerinnen und Wähler herausstellt; ein Spiel, das die Gestaltungsmacht von Leadership maßlos zu überzeichnen neigt, dann richtet sich der verständliche Zorn der wegen ihrer Sehnsüchte Manipulierten letztlich gegen die Demokratie als solche. Personen statt Strukturen? Politische Bewegungen, Parteien und Milieus sind vor allem die Folge und der Ausdruck von „cleavages“ – von Bruchlinien, die in einer Gesellschaft bestimmte Teile der Gesellschaft gegeneinander stellen: Bürgertum gegen Proletariat, Zentrum gegen Peripherie, Katholizismus gegen Protestantismus, Materialismus
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gegen Postmaterialismus, nationale Mehrheit gegen nationale Minderheit – um nur einige dieser Gegensätze zu nennen. (Lane, Ersson 2003, insbes. 100 – 122) Österreich liefert ein interessantes Beispiel für den Hintergrund der Renaissance der Leadership-Debatte in einer stabilen Demokratie. Die Zweite Republik – nach 1945 als besonders eindrucksvolles Beispiel eines strukturellen Netzwerkes von friedensstiftenden Absprachen in Form von Junktims, Kompromissen und Machtbeteiligungsgarantien stabilisiert – erlebte insbesondere ab 1986 ein Zerbröckeln der diese Stabilität begründeten Strukturen. Die Konkordanzdemokratie wurde immer mehr zur Konfliktdemokratie. Der Zulauf zu den beiden Großparteien ging zurück, das als „Sozialpartnerschaft“ bezeichnete System korporativer Absprachen zwischen den Wirtschaftsverbänden begann an Bedeutung zu verlieren, und neben der Organisationsdichte der Parteien und der Wahlbeteiligung generell nahm auch der Konzentrationsgrad des Parteiensystems ab: Nutznießer waren die alte, sich „populistisch“ neu positionierende FPÖ und die neu entstandenen Grünen. Das war der Hintergrund einer mit den populistischen Tendenzen nicht nur, aber vor allem der FPÖ eng verbundenen Personalisierung: Parteien schienen „out“, Personen „in“ zu sein. Politikerinnen und Politiker wurden primär nach den Maßstäben einer Individualmoral gesehen. Ein „Anti-Politiker“-Effekt war die Folge – und bildete den Hintergrund für eine Erwartungshaltung, die den Ausweg aus dieser als Dilemma empfundenen Situation in Kategorien wie dem „Charakter“ der einzelnen politischen Akteure sahen. (Ullmann 2008, insbes. 46 – 141) Diese vom Verfall traditioneller Strukturen bewirkte Personalisierung war voll von Widersprüchen: Mit der populistischen Berufung auf „das Volk“ wurde eine Führer-VolkBeziehung eingefordert, die dem demokratischen Ruf nach einem Weniger an Demokratie entspricht: Das Paradoxon der Geführten, die nach einem starken Führer rufen. Das Kippen eines auf Strukturen aufbauenden Loyalitätsgefüges war nicht das Resultat eines Versagens, sondern eines objektiv nachvollziehbaren Erfolges eben dieser Strukturen: Die Zweite Republik war nach allen nur denkbaren Vergleichdaten eine Erfolgsgeschichte repräsentativer Demokratie. Die liberale Demokratie widerspricht einer über die Anforderungen an „mere office holders“ hinausgehenden Erwartungen an das politische Führungspersonal. Die liberale Demokratie kann aber die archaischen, vormodernen Gefühle offenkundig nicht oder nur unzureichend befriedigen, die lustvoll eine Fremdbestimmung durch starke Personen einfordern. Die liberale Demokratie hat ein affektives Defizit. Interessant ist, wie zwei stabile Demokratien dieser am Beispiel Österreich zu verfolgenden Ablöse einer strukturzu einer personenbezogenen
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Erwartungshaltung – bisher – nicht gefolgt sind: Die Demokratie Japans und der Schweiz. Während die Erfolgsbilanz der Demokratie in Japan nach 1945 auch damit erklärt werden kann, dass dem Kaiserhaus die Rolle eines entmachteten, aber mit hoher Symbolik befrachteten „dignified“ Teils der Politik zukommt – und damit das de facto parlamentarische System Japans von größeren Leadership-Erwartungen freihält, kann die Schweiz allein schon durch ihr Verfassungsgefüge als eine liberale Demokratie angesprochen werden, die sich der Leadership-Debatte prinzipiell zu entziehen scheint: Eine Demokratie ohne eigentliches „Staatsoberhaupt“ und ohne Regierungschef, indem eine kollektive Führung durch ein Gremium, bestehend aus sieben gleichberechtigten Personen, im Zentrum des Entscheidungsprozesses steht – und durch eine ausgeprägte, weit entwickelte Form direkter Demokratie balanciert wird. Die rasche, systemisch bedingte Rotation der japanischen Premiers und das Fehlen einer institutionell vorgegebenen Führungsrolle einer Person machen die Schweiz und Japan zu Beispielen, wie man der überfrachteten LeadershipDebatte insgesamt entgehen kann. Was Bradley M. Richardson und Scott C. Flanagan schon 1984 für Japan festgestellt haben, gilt für Japan nach wie vor – und gilt grundsätzlich für die Schweiz: Eine Orientierung an Personen, die verschiedene Gruppen (z.B. innerparteiliche Fraktionen) repräsentieren, begünstigt keineswegs eine Orientierung an einer einzigen, an „der“ Persönlichkeit, von der erwartet wird, in direktem Kontakt mit dem „Volk“ – unter weitgehender Ausschaltung intermediärer Strukturen – die als homogen fingierten Interessen dieses „Volkes“ zu befriedigen. Im Gegenteil: Personenbezogene Loyalitäten, wie für das politische System Japans und der Schweiz typisch, drücken einen institutionellen Pluralismus aus. Dieser reflektiert und stärkt intermediäre Strukturen. (Richardson, Flanagan 1984, 171 – 192) Die Personalisierung der Politik findet statt – mit der Konsequenz eines Netzwerkes, das eine Balance zwischen einer Pluralität von Personen und Strukturen herstellt, ohne dass die entscheidende Rolle einer einzigen Person als „Führer“ eingefordert wird. Das „Männliche“ der Leadership Hannah Arendt beschäftigt sich in ihrem Buch „Men in Dark Times“ mit zehn Personen, denen sie je eine biographische Skizze widmet – Karl Jaspers widmet sie sogar zwei. Von diesen zehn Personen sind acht Männer: Gotthold Ephraim Lessing, Angelo Guiseppe Roncalli, eben Karl Jaspers, Hermann Broch, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Waldemar Gurian und Randall Jarrell. Zwei Skizzen sind Frauen gewidmet: Rosa Luxemburg und Isak Dinesen. (Arendt 1968). Nun ist der Begriff bei Arendt „Men in Dark Times“ keineswegs auf einer bestimmten Theorie aufgebaut, schon gar nicht auf einer Theorie von Leadership. Arendt unterstreicht in ihrem Vorwort auch die Subjektivität, die Zufälligkeit der
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Auswahl: Personen mit kultureller, insbesondere literarischer Bedeutung, von denen nur einige politischen Stellenwert im engeren Sinn hatten. Doch diesen zehn Personen räumt Arendt einen besonderen Stellenwert ein – bezogen auf die Geschichte, auf die gesellschaftlichen Entwicklungsphasen, in denen diese Personen wirkten. Und damit haben sie auch eine jedenfalls indirekte politische Größe. Mit Ausnahme von Rosa Luxemburg waren sie alle nicht Politiker im Sinne der Ausübung einer entsprechenden Funktion. Sie alle waren aber politische sensible Menschen, denen politische Wirksamkeit indirekter Art wohl zu bestätigen ist. Dass Arendt, die ja – ausgedrückt etwa in ihrer Beschäftigung mit Rahel Varnhagen (Arendt 1995) – für die genderProblematik, für das spezifisch Weibliche in Gesellschaft und Politik höchst sensibel war, acht Männern nur zwei Frauen gegenüberstellte, deutet auf die gender-spezifischen Folgen einer Geschichts- und Politikbetrachtung, die auf die Rolle einzelner Persönlichkeiten konzentriert ist. „Macher“ in jeder nur denkbaren Weise sind männlich konnotiert. Die mit dem Begriff „Leadership“ verbundene Tendenz, politische Entwicklungen vor allem als das Resultat individuellen Handelns zu sehen, sieht diese Entwicklungen zwangsläufig vor allem als das Resultat der historischen und auch der aktuellen Rolle von Männern. Man muss nicht die in den Faschismen jeglicher Prägung, insbesondere aber im deutschen Nationalsozialismus sichtbare Deutung von der notwendigen Rollentrennung zwischen einem „Führer“ und einer weiblich konzipierten „Masse“ denken, um in politischen Personalisierungstendenzen die Neigung zu sehen, gender-spezifische Rollenzuweisungen indirekt zu vertiefen: Die Projektion der Heils- und Erlösungserwartungen auf eine Person ist generell eine, die sich an Männer richtet. Die extreme Rechte im Europa des beginnenden 21.Jahrhnderts ist – durchaus in Übereinstimmung mit analogen Trends des 20.Jahrhunderts – durch ein Merkmal besonders ausgezeichnet: Diese zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus oszillierenden Parteien (Front National, Vlaams Belang, NPD, Dänische Volkspartei, Tschechische Republikaner, etc.) sind vor allem „Männerparteien“: Sie werden überproportional von Männern gewählt. (Mudde 2007, 111 – 117) Der „gender gap“, der die Parteien der äußersten Rechten charakterisiert, korreliert mit den historischen Bildern von den durchwegs männlichen Führern der antidemokratischen Bewegungen im Europa des 20. Jahrhunderts. Was immer unter Politischer Leadership verstanden wird – der Begriff ist unvermeidlich mit der Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verbunden. Leadership ist per se öffentlich, und die Forderung nach, bzw. die Erwartung an Political Leadership baut auf einer Tendenz, die Trennung von Staat und Gesellschaft zumindest implizit besonders hervorzuheben. (Rosenberger, Sauer 2004) Das gilt für den Persönlichkeitskult in
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kommunistischen Systemen – das „Private“ bei Lenin, Stalin und Mao war streng geheim. Das gilt – den wesentlich anderen Voraussetzungen zum Trotz – der Tendenz nach in Demokratien: Die Folgen von Franklin D. Roosevelts Erkrankung – die vollständige Lähmung seiner Beine – wurde vor der Öffentlichkeit versteckt: „Die Masse“ sollte ihren (demokratisch bestellten) „Führer“ nicht im Zustand physischer Schwäche sehen. (Black 2003) Gesund, kräftig, maskulin – das wird mit Leadership assoziiert. Für die Eigenschaften, die mit weiblich konnotiert sind, ist da wenig Platz. In den Studien zur autoritären Persönlichkeit wird den geschlechtsspezifischen Differenzierungen ein systematischer Stellenwert eingeräumt. (Adorno et al. 1982, 188 f., 197) Ohne dass die Ergebnisse, die auf Erhebungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA beruhen, überinterpretiert werden dürfen: Frauen und Männer repräsentieren teilweise unterschiedliche Bilder von Gesellschaft und Politik. Frauen sind keineswegs immuner oder anfälliger für autoritäre Tendenzen als Männer. Aber die Vorstellungen von Autorität sind bei Frauen und Männern sehr eng mit Männern, bzw. „typisch männlichen“ Attributen besetzt. Das Konzept von „Political Leadership“ ist jedenfalls indirekt nur zu oft Ausdruck einer Sehnsucht nach einer starken Person, von der erwartet wird, Unrecht zu beseitigen und Recht herzustellen. Diese Sehnsucht ist nicht wirklich von der Sehnsucht nach dem „starken Mann“ zu trennen – einer Sehnsucht, die, geprägt von archaischen Bildern, von Heldenmythen, zur Flucht aus der Komplexität der Gesellschaft und der Politik einlädt. Aber es sind nicht zufällig immer männliche Helden, die in diese Bilder passen – von Herkules und Achilles bis zu Robin Hood und Che Guevara. Die faktische Personalisierung der Politik und die Überhöhung dieser real existierenden Entwicklung in Form einer Konzeption von Leadership, die Personen gegen und tendenziell über Strukturen stellen, fördert damit unvermeidlich ein Bild der Politik, in der Männer dominieren – und zwar nicht als empirisch gestützte Beschreibung der Wirklichkeit, sondern als normative Vorstellung. Das „Heidnische“ der Leadership Robert Kaplan bezieht sich in seiner Analyse von Leadership direkt auf Niccolo Machiavelli und indirekt auf Max Weber: Nicht die Mittel der Politik sind für Leadership das entscheidende Beurteilungskriterium, sondern das Resultat. Franklin D. Roosevelts nicht gerade offene und ehrliche Politik, mit der er die USA ab 1939 schrittweise in den Krieg führte, an der Seite Großbritanniens; und Yitzhak Rabins „policy mix“ aus brutaler Härte und Friedensbereitschaft sind für Kaplan Beispiele, wie „transforming leadership“ unter demokratischen Rahmenbedingungen funktionieren kann: „Like Machiavelli, Churchill, Sun-Tzu, and Thucydides all believed in a morality of results rather than of good intentions.” (Kaplan 2002, 53)