aufgedeckt September 2010
Unabh채ngiges magazin zu den jugendmedientagen in niedersachen Herausgegeben von der Junge presse niedersachsen
inhalt
Schritt für Schritt ins Nirwana der Kritik…S.03
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht jährlich eine Rangliste der Pressefreiheit. Deutschland Befindet sich nur auf dem 18. Platz. Was läuft hier schief?
„In Tschetschenien verschwindet man eben schneller“…S.04
so schlimm ist es um die Pressefreiheit in russland gar nicht bestellt, findet Gunnar G. jütte, gründer von russland.ru.
Die realität, wie ich sie sehe…S.05-06
eine photografie bildet vermeintlich die wirklichkeit ab. Fotojournalisten tragen somit eine groSSe verantwortung. nicht immer können sie dieser gerecht werden.
Frische Argumente liefern – eigene Schlüsse zulassen...S.07-08
Wenn Journalismus zur Aktionsform wird: Der Film „Uranium – is it a country“ ist das Ergebnis einer intensiven, investigativen Recherche, auf den Spuren unseres Stroms.
Kritischer journalismus - Hast du dazu was zu sagen?...S.10-11 Teilnehmer der Jugendmetientage schreiben auf, was ihnen inden sinn kommt.
Die Chance undichter Stellen...S.12
Wie das Whistleblower-Netzwerk Wikileaks dazu beitragen könnte kritischen Qualitätsjournalismus zu fördern.
Foto: Malika Hagemann (jugendfotos.de)
„Haltet euch aus unserem Job raus“ …S.13 Journalismus und PR - Zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben sollten. Die Realität sieht leider anders aus.
Kein Thema genieSSt Immunität ...S.14-15
Was satire kann und darf, erzählt Christian sieh, redakteur bei extra 3.
„Ich will die Atzen nicht verurteilen“...S.16
Musik kann den meinungsbildungsprozess unterstützen. Mit kritischen texten warten auch die beatpoeten auf. warum, das erzählen sie uns im interview.
Soweit die Hörerschaft reicht...S.17 Ein Plädoyer für einen Bürgerfunk den (fast) niemand hören möchte.
Kritischer Journalismus 2.0...S.19 Die Chancen des Qualitätsjournalismus im Internet
Was bleibt hinter hübschen Worten?...S.20
Kommerzialisierung, Servicejournalismus – das Feuilleton muss viele Stempel ertragen. Eine Suche nach der Kultur des Kulturjournalisten.
E d itor i a l Liebe Leser und Leserinnen, in den vergangenen Jahren konnten wir beobachten, wie sich die Medienlandschaft immer mehr veränderte. Vielfältiger ist sie geworden und vor allem schneller. Das ist zum einen positiv, denn uns stehen viel mehr Informationen zur Verfügung. Der Konsum von Nachrichten und Unterhaltung ist hierdurch viel einfacher geworden. Aber während Fernsehsender und Magazine für einzelne Zielgruppen, neue Blogs und Internetseiten wie Pilze aus dem Boden schießen, gibt es kaum noch einen Ort, an dem mehr als eine lokale Tageszeitung angeboten wird. Neue Nachrichtenmagazine findet man eher im Netz, als auf dem Papier, einfach weil es lukrativer ist. Schnell muss es gehen und billig muss es sein. Die Konkurrenz schläft nie. Doch eben dieser Druck führt zu allerlei Schlamperei und Manipulation. Die Atomindustrie und andere „Bösewichte“ kaufen sich das Wohlwollen der Herausgeber, die sich durch Anzeigen finanzieren. Journalisten missbrauchen ihre Macht oder werden zum Opfer der Recherchefalle Internet. Zudem führt erhöhter Zeitdruck zu mangelnder Recherche. Informationen aus Pressemitteilungen werden übernommen, ohne sie zu hinterfragen. Als Leser müssen wir uns fragen, was wir eigentlich noch glauben können.
Schritt für Schritt ins Nirwana der Kritik
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht jährlich eine Rangliste der Pressefreiheit. Wider jeder Annahme befindet sich Deutschland nur auf dem 18. Platz. Was läuft hier schief? VON Amadeus Ulrich Vergleicht man Deutschland mit Ländern wie China, dem Iran oder Kambodscha, in denen die Pressefreiheit nicht im Grundgesetz verankert ist, kritische Journalisten verfolgt und ermordet werden, erscheint es wie ein Ort uneingeschränkter Pressefreiheit. Jedoch ist diese Annahme nach genauerer Betrachtung ein Trugschluss. Man wird ja wohl noch Fragen dürfen
Wie kann es sein, dass vor wenigen Wochen das Amtsgericht Dresden zwei freie Journalisten zu einer Geldstrafe verurteilte, weil sie kritische Fragen stellten? Genügen etwa zwei Fragen, um an die Grenzen der Pressefreiheit in Deutschland zu stoßen? Scheinbar ja: Die beiden Journalisten wurden der üblen Nachrede gegen zwei Polizisten beschuldigt, nachdem sie über die Sachsensumpf-Affäre berichtet hatten: „Ermittelten die Polizisten möglicherweise illegal oder verdeckt gegen N.? Gerieten sie unter Druck, weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?“ Für diese Fragen, die in dem Bericht auf Zeit Online auftauchten, wurden die beiden Journalisten vom Amtsgericht zu 50 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Sie wurden de facto für die Ausübung ihres Berufes bestraft. Darf man in Deutschland folglich keine kritischen Fragen mehr stellen? Das ist doch schließlich Sinn und Zweck des Journalismus. „Der Schuldspruch bedroht die Pressefreiheit und die investigative Recherche“, schrieb der Zeit-Autor Markus Horeld in einem Kommentar. Die Organisation der „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) beanstandet, dass Urteile dieser Art dazu führen, dass Journalisten in Deutschland in Zukunft zurückhaltender mit Kritik sein werden, da sie eine Strafe fürchten müssen. Das berge eine Gefahr für die Pressefreiheit in Deutschland. Warum nur Platz 18?
Ausgehend von den Jugendmedientagen zum Thema kritischer Journalismus, in deren Rahmen wir auch diese Ausgabe planten, haben wir uns einmal kritisch umgeschaut, wo noch verantwortungsvoller Journalismus zu finden ist. Und was gegen die Missstände getan werden kann. "Objektivität gibt es nicht“, war die Essenz der einführenden Podiumsdisskussion auf den niedersächsischen Jugendmedientagen. Eine eigene Meinung ist wichtig, sie muss lediglich begründet werden und sich auf gute Recherchen stützen können. Auch wir haben uns eine gebildet. Viel Spaß mit dieser Ausgabe! Melanie Petersen
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Um die Rangliste bezüglich der Pressefreiheit zu erstellen, wurden anhand eines Fragebogens die Partner-Organisationen und das Korrespondenten-Netzwerk der ROG sowie Journalisten, Rechercheure, Juristen und Menschenrechtler der Länder befragt. Auch wurde auf jegliche Verstöße gegen die Pressefreiheit geachtet, die innerhalb eines Jahres im Land zu beobachten waren. Der Fragebogen bestand hauptsächlich aus Ja-Nein-Fragen. Beispielsweise musste beantwortet werden, ob in diesem Jahr Journalisten überwacht, verfolgt oder entführt wurden. Auch in Deutschland wurde dieser Fragebogen beantwortet. Ergebnis: Platz 18. Die Organisation ROG kritisierte zum Beispiel den Quellenschutz in der BRD. Deutsche Journalisten müssten befürchten, dass geheime Informanten enttarnt würden; dabei sei diese Anonymität höchst entscheidend für investigative Recherchen. „Ohne ausreichenden Quellenschutz kann es keine Pressefreiheit geben“, erklärte Elke Schäfer, Geschäftsführerin der deutschen Sektion der ROG. Auch werden in Deutschland zeitweise Fälle bekannt, in denen die Staatsanwaltschaft und die Polizei Telefone von Journalisten abhören. Doch damit nicht genug: Laut ROG sei in der Bundesrepublik ein zunehmender Einfluss von PR-Abteilungen auf die Inhalte der Medien zu beobachten.
„Ein Schritt in die richtige Richtung“
Doch gibt es gute Nachrichten: Vor Kurzem wurde ein Bundesgesetzesentwurf verabschiedet, der die Pressefreiheit stärken soll. Bislang konnten Journalisten wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen verfolgt werden, wenn ein Beamter einem Journalist geheime Dokumente gab, die er dann veröffentlichte. Nun müssen sich Journalisten nicht mehr sorgen, ob sie bestraft werden, wenn sie geheime Daten publik machen. Der Deutsche Journalistenverbund (DJV) sagte, es sei „ein Schritt in die richtige Richtung“. Konkret drehte sich der Gesetzesentwurf um den Paragrafen 353b im Strafgesetzbuch, in dem bis dato stand, dass Amtsträgern, die ein Dienstgeheimnis verraten, eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren droht. Dieses Gesetz nutzten die Staatsanwälte vermehrt gegen kritische Journalisten. Dadurch waren
Foto: Nicola Brocca
Razzien in Redaktionen möglich, in denen die Computer und Unterlagen der des Geheimnisverrats beschuldigten Journalisten durchsucht werden konnten. Dies ist nun nicht mehr möglich. Jedoch kritisierte der DJV-Vorsitzende Michael Konken unlängst, dass die „Anstiftung zum Geheimnisverrat“ immer noch ein Strafbestand sei und Ermittlungsbehörden hier möglicherweise kritisch gegen Journalisten vorgehen könnten. „Im internationalen Vergleich ist die Lage der Pressefreiheit in Deutschland derzeit zwar gut“, sagte Anja Viohl, Pressereferentin der Reporter ohne Grenzen, in einem Interview mit Politikorange (PO), „doch im Vergleich zu skandinavischen Staaten wie Schweden und Finnland besteht noch Nachholbedarf. Dies betrifft etwa den verbesserungswürdigen Zugang zu Behördeninformationen, auch der Quellenschutz und die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses sind bei einigen Gesetzen noch nicht optimal verankert.“
Amadeus Ulrich Darmstadt 18 Jahre Amadeus ist Gymnasialschüler, möchte später Journalistik in HH oder München studieren und danach auf eine Journalistenschule gehen.
„In Tschetschenien verschwindet man eben schneller“
1990 wanderte der Hannoveraner Journalist Gunnar G. Jütte nach Russland aus und gründete dort das Online-Magazin russland.ru. mit May Naomi Blank sprach er über die Arbeitsbedingungen von Journalisten in der russischen Föderation und sieht das Thema Pressefreiheit eher gelassen.
Gunnar G. Jütte bei den niedersächsichen Jugendmedientagen in Hannover
Reporter ohne Grenzen listet Russland in Sachen Pressefreiheit auf Platz 153 von rund 175 untersuchten Ländern weltweit. Auch die OSZE und die UN kritisieren in regelmäSSigen Abständen die fehlende Pressefreiheit in Russland. Was sagen Sie dazu?
Russland ist nicht mit unserer Demokratie zu vergleichen Das ist eine andere Form. Kritik an der Obrigkeit wird nicht so gerne gesehen. Das hat es in tausend Jahren nicht gegeben, das kann man auch nicht innerhalb von zehn Jahren erwarten. Es passieren solche Sachen, wie dass ein Journalist fürchterlich zusammengeschlagen wurde, weil er gegen irgendeinen Moskauer Ortsbürgermeister geschrieben hat. Ich glaube, dass er sogar später gestorben ist. Es gibt Gebiete, wo man als kritischer Journalist einen auf den Hut kriegen würde. Das ist eben so. Meine Frau hat mir verboten aus Tschetschenien eine Berichterstattung zu machen, weil man da einfach schneller mal verschwindet. Es gibt den ganzen Süd-Kaukasus und die ganzen Gebiete um Turkmenistan, die ich als problematisch einschätzen würde, auch was journalistische Berichterstattung angeht. Aber ich glaube nicht, dass es in Russland eine bewusst von oben gesteuerte Einschränkung der Pressefreiheit gibt. Was ist die Konsequenz daraus? Wie Ihre Frau gesagt hat, einfach nicht mehr nach Tschetschenien?
Ich denke schon, dass es sicherlich auch wichtig ist, dass es Leute gibt, die aus Tschetschenien berichten. Das ist aber mit einem sehr hohen Risiko verbunden. Ich würde wegen einer solchen Berichterstattung nicht meine Ehe aufs Spiel setzen. Es ist sehr schwierig aus Tschetschenien zu berichten. Gut, man kann dann eine Menschenrechtsverletzung hier und eine Menschenrechtsverletzung da zusammentragen, ist auch wichtig, ist aber auch müßig.
Findest du es nicht fragwürdig, dass so viele TV-Sender und auch Zeitungen unter Kontrolle der Regierung oder im Besitz von staatlichen oder staatstreuen Unternehmen so wie Gasprom sind?
2009 wurden drei Journalisten in Russland erschossen, zum Beispiel Anastassija Baburowa, eine freie Mitarbeiterin der Nowaja Gaseta. Die Täter wurden bis jetzt nicht gefasst...
Ja, das ist sicherlich eine bedenkliche Sache. Aber vorher war es nicht viel besser. Da waren sie unter Kontrolle der Oligarchen. Die haben mit ihren Fernsehsendern ihre eigenen Interessen vertreten. ARD und ZDF sind für mich genauso Staatssender. Natürlich wäre das schöner, wenn alles frei wäre. Aber das ist es nun mal nicht.
Gut, ja, will man jetzt den Staat verurteilen, dass sie die Täter noch nicht gefasst haben? Ich gehe schon davon aus, dass nach den Tätern auch gesucht wird. Aber es ist nicht so leicht.
Aber gibt es nicht auch so etwas wie eine indirekte staatliche Kontrolle? Ich stelle mir vor, ein Journalist schreibt etwas Kremlkritisches, da wird er doch nicht mehr zur nächsten Pressekonferenz der Regierung eingeladen, oder?
Wenn das so wäre, würden einige meiner Kollegen hier schon lange keine Akkreditierung mehr kriegen. Und da schreiben wirklich welche dermaßen Hasstiraden gegen den Kreml und gegen Putin, dass es mir kalt den Rücken runter läuft. Und die kriegen jedes Jahr ihre Akkreditierung und sind immer auf jeder Pressekonferenz. Ein Kollege vom Focus, Boris Reitschuster, ist da sicherlich ein herausragendes Beispiel. Der trifft sich wirklich offensiv mit Oppositionellen. Können auch russische Journalisten unbehelligt kritisch berichten?
Bei russischen Journalisten ist das wirklich schwer zu sagen. Die sind von ihrem ganzen Stil her anders. Da gibt es nicht, was wir als kritischen Journalismus bezeichnen. Die haben da eher die Schere im Kopf oder dass sie lieber gerne etwas Positives über ihr Land berichten wollen. Aber es gibt auch kritischen Journalismus. Echo Moskau ein gutes Beispiel dafür, oder die Nowaja Gaseta.
Was ist Ihr Zukunftsausblick?
Ich gehe davon aus, dass es für Journalisten immer bessere Arbeitsmöglichkeiten gibt. Gerade auch mit Medvedev, der eine viel offenere Haltung dazu hat. In den ersten Jahren unter Putin war es egal, wie die Demokratie da weiterläuft. Da ging es erst mal darum, es in Russland so hinzukriegen, dass jeder was zu essen und zu trinken gekriegt hat. Medvedev weiß genau, dass Presseeinschränkung mitden neuen Medien nicht mehr geht. Er ist bereit für offene Kritik. Das hat man gerade in den letzten Monaten gesehen. Selbst Putin wurde offen kritisiert und das wurde verbreitet! Das war vorher nicht möglich. Pressefreiheit muss sein. Das wissen die da oben. Aber der Weg dahin, da darf man Russland nicht zu sehr unter Druck setzen.
May Naomi Blank Oldenburg 20 Jahre
May studiert Politikwissenschaften in Berlin und möchte mal zur Critical Mass in San Francisco.
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„Eine Fotografie zeigt nie die Wahrheit“ Richard Avendon
Die Realität, wie ich sie sehe
eine Fotografie bildet vermeintlich die wirklichkeit ab. Fotojournalisten tragen somit eine groSSe verantwortung. nicht immer können sie dieser gerecht werden.
VON Vivian Warren Seite 3. Das Bild einer Frau – genaugenommen könnte es auch ein Mann sein, ein Kind – mit weit aufgerissenen Augen, der Mund steht offen, die Wangen sind eingefallen, das Gesicht wirkt vollkommen ausgemergelt. Sie/Er/Es ist tot. Vermutlich erst seit Stunden. Und innerhalb dieser Stunden, hat ein Fotograf sich an das Bett der Toten gestellt, ist ganz nah ran gegangen, hat scharf gestellt und abgedrückt. Die Grenze zwischen Information und Spektakel sind fließend. Dargestelltes Leid ist für uns zum Alltag geworden – erschreckend nur noch für die wenigsten. Brauchen wir solche Bilder wirklich, um das Grauen nachzuvollziehen, dass wir nicht erleben? Seit voranschreitender Digitalisierung aller Lebensbereiche, hat sich auch die Medienwelt weiter beschleunigt. Hunderte, tausende, Millionen von Fotografien gehen Tag für Tag um den Globus und machen unsere Welt zu einem großen Bilderbuch, jederzeit verfügbar und abrufbar. Wir erwarten von diesem Bilderbuch, dass es uns zu jeder Zeit perfekt informiert, unterhält und nebenbei: „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“. Wir wollen aufgeschreckt und aufgeklärt werden – aber, Bitte nicht zu sehr! Wir wollen Moral, Zeitvertreib und Information in einem. Doch, wo beginnt die Ethik die wir erwarten? Wie viel Manipulation verträgt ein Bild?
Kai Löffelbein und Marcus Reichmann, Fotografiestudenten an der FFH Hannover gehören zu der Generation neuer Fotojournalisten die sich
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in Zukunft mit den Problematiken der Bilderflut auseinandersetzen müssen. Ihrer Ansicht nach, braucht die Berichterstattung aus Krisengebieten keine Abbildungen von Leichen oder Verletzten. Die oftmals auf Dramatik ausgelegten Bildern lösen lange nicht mehr den gewünschten Schock bei den Konsumenten. Viel eindrucksvoller sind Bilderserien oder Reportagen, die das Grauen nur indirekt darstellen. Ein Loch in der Wand, Blutstropfen im Schnee, ein zerstörtes Zuhause – diese Bilder lassen dem Betrachter Raum für die eigene Imagination. Sie verlangen Empathiefähigkeit und genau Betrachtung. Zeit. Das, was der Medienkonsument von heute nicht investieren will. Informationen und Nachrichten sind zu einem come-and-go Produkt geworden. Schließlich haben wir ein tägliches Pensum zu absolvieren – das Bombenattentat hier, der Skandal da, in Berlin sprang eine Neunjährige aus dem Fenster – nichts besonderes. Der normale Wahnsinn. Was stört da das Bild eines zerschmetterten Schädels? Wir schlucken was uns vorgelegt wird und hinterfragen niemals seinen Wahrheitsgehalt. Ein Foto ist der ultimative Beweis. Für viele die Objektivität schlecht hin. Und dabei sind wir Generation Photoshop. Karin Blüher, Referentin zum Thema Sozialfotografie auf den Jugendmedientagen Niedersachsen und langjährige Fotografin bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, steht der drastischen Darstellung in Krisengebieten zwiespältig gegenüber. Zwar bestünde durchaus ein informativer Wert der Fotografien, jedoch hält sie es für illegitim diese aus reiner Sensationslust zu erstellen.
Information ist auch ohne eindeutige Darstellung möglich und notwendig. Den Konsumenten muss und sollte nicht zum Voyeur werden. Für sie ist es viel wichtiger, das Pressefoto selbst eine Geschichte erzählen zu lassen. Verantwortungsvoller Fotojournalismus ist mehr als bloßes sehen, rangehen, abdrücken. Fotogafieren ist Aussagen treffen, Geschichten erzählen und Menschen verstehen. Und das braucht Zeit. Zeit, die der Journalist haben und sich nehmen muss. Die Zeit, sich mit der Umgebung der Menschen vertraut zu machen und ihre Situation nachzuvollziehen. Ein guter Fotojournalist sollte es schaffen, das Bild nicht nur blosse Illustration des Geschriebenen, sondern selbst eine Geschichte sein zu lassen. Auch der Konsument muss verstehen lernen
Das verlangt jedoch auch vom Betrachter, genauer hinzusehen. Einen Moment inne zu halten. Das Bild auf sich wirken lassen. Wann haben wir das zuletzt getan? Wir erwarten schnelle Information und wollen eigentlich gar nicht mehr so genau hinsehen. Schließlich ist es viel einfacher, nur kurz hinzusehen, aufzunehmen und zu reproduzieren. Vielleicht ist auch das einer der Gründe, warum die meisten Medien und Berichterstattungen keinen großen Wert mehr auf gute Fotografie legen. Das Honorarniveu der Pressefotografen ist in den letzten Jahren stetig gefallen. Einmalhonorare sind die Regel, eine Festanstellung für viele nichts als Träumerei. Geschossen werden muss, was die Redakteure auf dem Tisch und wir vor der Nase haben wollen. Und das ist zumeist spektakulär, sen-
"Tristan Neuhaus" / www.jugendfotos.de
sationell, brutal – kurz; ein Eyecatcher soll es sein. So banal und kurzlebig diese auch sind. Und wenn er dies nicht ist, kann heute praktischerweise auch schnell nachgeholfen werden. Ein bisschen Retouche hier, ein bisschen stempeln da – ein bisschen glatter, ein bisschen straffer, ein bisschen dunkler – fertig ist die Welt wie WIR sie sehen. Wir wissen um die neuen Möglichkeiten von Photoshop und Co – und trotzdem halten wir die Kamera für die objektivste Form der Berichterstattung. Nicht, dass Fotografie das zu irgendeinem Zeitpunkt gewesen wäre. Bildbearbeitung existierte auch schon zu Zeiten der analogen Fotografie, jedoch ist sie heute unvergleichlich einfacher. Von einer tiefgreifenden Veränderung ist man heute „nur noch einen Klick entfernt“, wodurch sie natürlich leichter von der Hand geht. Die meist durchgeführten Eingriffe sind Belichtung und Kontrast – Entfernung von Gegenständen, Farbveränderungen und weitere inhaltliche Veränderungen werden von den meisten Bildagenturen und Printmedien nicht akzeptiert – sofern sie entdeckt werden. Eine groSSe Verantwortung
Proportional zu den Möglichkeiten wächst auch die Verantwortung des Fotografen. Wie viel Bearbeitung ist tolerierbar und was ist Verzerrung? Und vor allem; wie informativ muss mein Foto sein? Der Produzent muss immer mehr und öfter selbst einschätzen lernen, was sein Foto auslöst und wie er zur Meinungsbildung oder Manipulation des Konsumenten beträgt.
Karin Blüher, eine der wenigen die eine langfährige Festanstellung genießen durfte, lehnt jede Form der Bildmanipulation vollstündig ab. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus stehe hier an erster Stelle und lasse keinen Spielraum für Veränderungen der „Realität“. Journalisten haben, egal auf welche Art und Weise, den Auftrag die Öffentlichkeit zu informieren und zu einer unabhängigen, vielfältigen Meinngsbildung beizutragen. In wie fern das durch kurzlebige, sensationelle Fotos möglich ist, muss jeder Journalist für sich selbst abwiegen. Genau so, wie der Konsument abwiegen muss, wie viel Zeit er für seine Meinungsbildung und Information opfern möchte und sollte. Ob es wirklich erstrebenswert ist, Nachrichten unreflektiert und schnell aufzunehmen, oder ob es sich nicht lohnt einen Moment länger hinzusehen. Im Endeffekt, ist die Frage nach Ethik im Fotojournalismus eine Frage nach der Berichterstattung die wir uns wünschen. Ob wir wirklich ein „Bild“ dessen erhalten wollen, was auf der anderen Seite des Globus geschieht – oder ob wir bereit sind, aus purer Faulheit die subjektive, inszenierte Realität eines anderen zu übernehmen. Zu seinem und unseren Nachteil. Ein kleines Mädchen liegt auf dem trockenen Wüstenboden. Die Hände hält es schützend vor das Gesicht, dass Richtung Boden zeigt. Seine Rippen zeichnen sich deutlich ab, Arme und Beine sind nur noch Haut und Knochen. Hinter ihm lauert ein Geier, den Blick starr auf das kauernde Kind
gerichtet, wartend. Auch hier ist jemand stehen geblieben, hat sich die richtige Perspektive gesucht, mehrmals die Position gewechselt, rangezoomt und abgedrückt. Dieser jemand hieß Kevin Carter und erhielt den Pullitzer Preis für sein Foto. Monate später nahm er sich das Leben.
Vivian Warren Uelzen 16 Jahre
Vivian geht aufs Gymnasium. Sie möchte mal ein wirklich kritisches Statement von ihrem Politiklehrer hören.
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Frische Argumente liefern – eigene Schlüsse zulassen
Wenn Journalismus zur Aktionsform wird: Der Film „Uranium – is it a country“ ist das Ergebnis einer intensiven, investigativen Recherche, auf den Spuren unseres Stroms. Ein gelungenes Projekt eines sehr jungen und eigenständigen Filmteams, das der Atomindustrie den Spiegel vorhält. von Ruben neugebauer
Nichts als Sand, so weit das Auge reicht. Nicht weit entfernt von der Uranmine Olympic Dam wühlt Red Dodd, ein australischer Aborigine, im Boden herum. Er sucht so genannte „Bushonions“, winzige Zwiebelchen, die man in der Erde des Outbacks findet. „Das wichtigste dabei ist – wie bei allen Dingen –, wenn man ein Loch gräbt, muss man es wieder zu machen, damit der Rest erhalten bleibt“ erklärt er. Immer wieder werden seine Erläuterungen durch einen Schnitt unterbrochen. Dann spricht Bruno Chareyron von CRIIRAD, einer französischen NGO, und listet die verschiedenen Schritte zur Aufarbeitung und Nutzung von Uran auf. In der Summe bleibt eine Menge radioaktiven Mülls übrig. Zwiebeln für die Generationen nach uns
„Die Gegenüberstellung der Szenen ist ein Sinnbild dafür, wie die westliche Welt mit der Erde umgeht und wie eben die Kultur der Aborigines dies tut“, sagt Kerstin Schnatz von der Jugendinitiative „Strahlendes Klima“, die sich mit „Uranium – is it a country“ auf eine Spurensuche nach der Herkunft unseres Stroms begeben hat. Vier von ihnen sind bis ins Australische Outback gereist, um den Weg des Urans, mit dem in Europa Strom produziert wird, vom Ursprung bis zum Kraftwerk zu verfolgen. Der Film zeigt Pipelines, die wertvolle Grundwasser Reservoirs anzapfen und riesige Halden mit radioaktivem Schlamm. Ein Nachhal-
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tigkeitsprinzip, wie es von Red Dodd durch den Umgang mit den Buschzwiebeln beschrieben wird, gibt es bei der Nutzung von Uran nicht. "Während in Deutschland über die Endlagerung der hochradioaktiven Brennstäbe diskutiert wird, fehlt oft das Bewusstsein, dass ein Großteil des radioaktiven Mülls schon in den Abbauländern des Atombrennstoffs anfällt. Der radioaktive Abfallschlamm der zurückgelassen wird enthält 70-85% der ursprünglichen Radioaktivität des Urans.", so Schnatz. Eigene Schlüsse ziehen
„Uranium - is it a country“ hält der vermeintlich sauberen Kernenergie den Spiegel vor. Der Film beleuchtet den Gegenstand „Uranabbau“ aus verschiedenen Blickwinkeln. Sowohl Gegner als auch Befürworter kommen zu Wort. Dennoch ist der Film keine neutrale Doku. „Während des Projekts haben wir festgestellt, dass es Objektivität eigentlich nicht gibt. Jede Journalistin, jeder Journalist hat seinen eigenen Standpunkt und das ist auch gut so.“, sagt Schnatz. „Ich denke es ist wichtig, diesen Standpunkt nicht hinter einem Schleier vermeintlicher Objektivität zu verstecken. Es ist legitim und notwendig dem Publikum die eigene Meinung offen zulegen. Das heißt aber nicht, dass man Tatsachen und Fakten der Gegenseite verschweigen sollte.“ „Die Befürworter des Uranabbaus nehmen wir durchaus ernst. Es war uns sehr wichtig, deren Argumente ebenfalls zu Gehör zu
bringen." "Nur wenn man auch die Argumentation der Atomlobby zugänglich macht, kann man überzeugen." Auf Off-Text wird bewusst verzichtet Die FilmmacherInnen möchten den Zuschauern die Möglichkeit geben eigene Schlüsse zu ziehen. Das Filmteam will frische Argumente liefern, statt dem Publikum die eigene Meinung überzustülpen. Trotzdem hat der Film eine klare message . Dies gilt auch für ihr neues Projekt: Ein Kurzfilm über eine Urankonferenz, auf der vom Uranabbau Betroffene aus der ganzen Welt, zumeist Indigena, ihre Geschichten erzählen. Klare message
Die Botschaft aus diesem Kurzfilm ist: „Wer Atomstrom nutzt, ist für die Menschenrechtsverletzung und die Umweltverschmutzung in den Ländern, wo das Uran abgebaut wird, mitverantwortlich.“ Der neue Film soll Mitte September zum Höhepunkt der Verhandlungen um die Laufzeiten der AKWs in Deutschland herauskommen. In diesem Fall sieht sich Schnatz eher als Aktivistin und Teil der Antiatombewegung, denn als Journalistin. Dazu gehört auch, dass die Filme von „Strahlendes Klima" kostenlos zur Verfügung stehen und Vorführungen über ein System von Filmpaten oftmals mit Aktionen, wie Stromwechselpartys, verbunden werden.
FruchtflEisch ÜBER WAS WIRD NICHT KRITISCH GENUG BERICHTET?
Julia, 13 Jahre aus Garbsen „Über bestimmte Länder werden auch nur bestimmte Vorurteile verbreitet. “
Das Filmteam bei der Arbeit
Polizeikontrollen und Touri-Programm
Das Rad nicht neu erfinden
„Wir wollen mit dem Film etwas bewegen.“, sagt Schnatz. Dafür scheute das Team keine Kosten und Mühen. Über ein Jahr Recherche und 30.000 Euro stecken hinter dem Projekt. Der Film wurde ohne eine Produktionsfirma realisiert. Die Idee dazu entstand bei einer Work&Travel Reise. "Angefangen haben wir mit der groben Aufteilung in technische und journalistische Arbeit. Isabel Huber, mit der die Idee zum Projekt gemeinsam entstand, war von Anfang an Kamerafrau, während ich für´s journalistische und die Koordination der Projektgruppe zuständig war. Aber letztendlich ist es doch so, dass eigentlich alle ein bisschen alles gemacht haben - vor allem in den Bereichen Regie und Produktion.", so Schnatz. Größere Probleme gab es bei den Dreharbeiten keine. Etwas heikel war nur eine Situation, als das Filmteam mehrfach einen Urantransport mit dem Auto überholt hatte, um dessen Strahlung zu messen und daraufhin über Stunden von der französischen Polizei festgehalten wurde. Für die Uranmine in Australien gab es keine offizielle Drehgenehmigung. Davon haben sich die jungen Filmemacher aber nicht abschrecken lassen: Die Aufnahmen entstanden bei einer Führung für Touristen.
Für andere junge Filmaktivisten gibt Kerstin Schnatz folgende Tipps: „Sucht euch möglichst eine einzige, klare Botschaft aus! Seid euch darüber im Klaren, wen ihr erreichen wollt! Vernetzt euch mit anderen Leuten und Organisationen, die schon lange zu eurem Thema arbeiten. Man muss das Rad des Aktivismus nicht neu erfinden."
Sunita, 19 jAHRE AUS pASSAU „Über den Einfluss der Lobbyarbeit auf die Politik.“
Ruben Neugebauer Berlin 21 Jahre
Fotos und Frage: Lara Weber
Weitere Informationen zu den Projekten der Initiative sowie den Film als Stream gibt es unter www.strahlendesklima.de
Theresa, 18 jahre, Aus Liebenau
Er studiert Chemie, versucht die Welt zu retten und greift nach den Sternen.
„Über Natur/ Umwelt aber auch Kriege und Konflikte.“
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frei schnauze
Kritischer Journalismus HAST DU DAZU ETWAS ZU SAGEN? Teilnehmer der niedersächsischen Jugendmedientage schrieben auf, was ihnen zum Thema der Ausgabe in den Sinn kommt.
Die vierte Gewalt und der Pakt mit dem Teufel Über Motivation und Antrieb des Journalisten – ein philosophischer Diskurs Eine Meinung hat jeder. Ahnung und Aufklärung, auf welche sie sich gründet, nicht unbedingt. Doch nur wer informiert ist, kann sich eine wirklich eigene Meinung bilden – ein Prozess, der nicht immer einfach und erst recht nicht immer angenehm ist. So werden absolute Wahrheiten und fertig gedachte Anschauungen nicht nur gerne verkauft, sondern ebenso willig und dankbar angenommen. Die Gefahr von der Überzeugung aus der Konservendose hat uns die Geschichte indes in den prächtigsten Farben und Facetten zur Genüge offenbart.
Foto: "Julian Beger" / www.jugendfotos.de
Schon die großen Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts wussten, dass allein Wissen und Information in dieser Hinsicht emanzipieren. Sie bilden das Fundament einer stabilen Gesellschaft, der Demokratie, sichern Nachhaltigkeit und bewahren die menschliche Herde vor dem gemeinsamen unaufhaltsamen Sturz in die Tiefe. Da kommt nun also der Journalist daher: ein unabhängiger Querdenker, kritisch, aufgeschlossen, mutig und frei im Geist. Er stellt Wegweiser auf, Schaubilder, vielleicht sogar die ein oder andere Gedenktafel. „Sei gewarnt und sei bedacht. Hier geht’s bergab!“ Er klärt auf, bildet, regt zum Denken an. Nicht weniger aber auch nicht mehr: Eine Brüstung am Rande der Schlucht – das kann und will er simpel auch nicht. Wer fallen will, der falle. Der Journalist glaubt an Verständnis und Einsicht seiner Mitmenschen. Der Journalist ist Weltverbesserer. Ja, vielleicht hoffnungsloser und sozialromantischer Optimist. Er glaubt, dass Dinge sich ändern können, man Menschen wachrütteln, sie zum Denken und Fragenstellen anregen kann. Und ihnen damit die Möglichkeit geben, ihr Verhalten zu ändern, aus ihrem Trott zu erwachen. Aus dieser Überzeugung gründet sich eine große Verantwortung. Es gilt, Themen vielseitig zu beleuchten, nach kritischen Aspekten zu suchen und die verschiedenen Seiten eines Problems darzustellen. Das Ideal der Berichterstattung ist dabei Objektivität: ebenso angestrebt wie unerreichbar. Schließlich ist der Autor immer auch Teil seines Werkes. Seine Biographie, seine moralischen Ideen, Überzeu-
gungen, seine gesamte Persönlichkeit sind untrennbar mit den Zeilen verwoben. Bereits die Entscheidung für ein bestimmtes Thema, die ihm zugeteilte Relevanz, unterliegt ja diesem Einfluss. So wichtig der Journalist seine Aufgabe, ja, seine Berufung nimmt, so wichtig nimmt er also sich selbst. Schreibt sich Bedeutsamkeit zu, schöpft Selbstwert und Lebensrecht. Recherche aus persönlicher Eitelkeit? Die Suche nach der Wahrheit als eine Suche nach Sinn und Zweck des Seins? Eine höchst philosophische Fragestellung… Verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält – das hat die Menschheit seit jeher umgetrieben und die unterschiedlichsten Wissenschaften hervorgebracht. Von verschiedenen Seiten laufen hier die Philosophie, Juristerey, Medicin und [leider auch] die Theologie zusammen und bündeln sich in dem Wunsch, Zusammenhänge von Mikro- und Makrokosmos verstehen. Das große Ganze, dem nicht nur der geschätzte Doktor Faust nachspürte, gibt es so nicht, ist Utopie, vielleicht gar bloßer Zufall. Letztlich ändert das an Rolle und Bedeutung, an Aufgabe, Funktion und Dienstpflicht des Journalisten recht wenig. Zwar muss er sich auf der einen Seite wohl zunächst damit zufrieden geben, das Kleine zu beleuchten. Dessen Bedeutung ist und bleibt objektiv, unterliegt dem allgemeinen und persönlichen Interesse, hat sich äußeren Faktoren unterzuordnen. Der Notwendigkeit und der Ehrenhaftigkeit des steten Fahndens nach kritischen Aspekten, des Wunsches nach Aufklärung tut das jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil – lasst uns unsere Sicht auf die Dinge zur Sprache bringen. Und lasst uns das stolz und selbstbewusst tun! Erst das macht den Kosmos unterhaltsam und spannend. Und belebender, als die eigene Seele an den Teufel zu verkaufen, ist es allemal.
Hannah Menne Berlin 22 Jahre Hannah kommt jetzt ins vierte Semester ihres Medizinstudiums.
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Journalis-Muss Kritiklos Kritiklos gehst du durch die Welt Kritiklos auch wenn dir etwas nicht gefällt Kritiklos nimmst du hin, was man dir sagt Kritiklos glaubst du; ohne jemals nachgehakt Doch du solltest hinterfragen, ob das, was dir die Leute sagen, alles so stimmt, wie sie's erzählen oder doch ein paar Details noch fehlen Nur mit kritischem Denken, lässt du dich nicht einfach lenken. Mach dir deine eignen Gedanken ohne Grenzen, ohne Schranken von jeglicher Zensur befreit Es herrsche die Gedankenfreiheit! Jeder ist deswegen ausgerufen, es mal mit eigenen Gedanken zu versuchen und den anderen nicht nach dem Mund zu reden denn das kann man auch als "faul" auslegen
Wenn Politiker Wahlversprechen brechen Wenn Unternehmen für Treffen blechen Wenn die Lobby die Gesetze malt Wenn Länder töten für Öl und Macht Wenn ein Konzern über die Umwelt lacht Und der Steuerzahler zahlt Wenn Werbung achtjährige Kinder manipuliert Wenn sich die erste Welt einen Kehricht für die dritte interessiert Wenn Hunderttausende Tiere verrecken im eig’nen Kot Wenn vor den Flüchtlingen jeder flieht Wenn die Junge Welt nur schwarz sieht Und die Bild nur rosarot Wenn sich in Deutschland das Kastensystem etabliert Wenn niemand Alkohol als Droge deklariert Wenn die Politik sich in ein Denkmal verbohrt Wenn der Mensch für Geld und Ruhm alles tut Wenn Medien mitschuldig sind an mangelndem Spendenmut Wo war denn eure Berichterstattung? In Haiti ward ihr sofort vor Ort. Wenn Dann hilft uns nur Kritischer Journalis-muss. Von Simon Herker und Fania Stehmann
Denn um eine eigene Meinung zu erhalten, muss der Verstand im Kopfe walten Er muss arbeiten und Überlegungen anstellen, Dinge überprüfen und Entscheidungen fällen Und was zuvor für wahr befunden, kann sich ändern - innerhalb von wenigen Sekunden Kritiklos gehst du durch die Welt Kritiklos redest du dir schön, was dir nicht gefällt Kritiklos glaubst du jedem Anzugträger Kritiklos denn selber zu denken, wäre ja doch schwerer Von Sabrina v. Oehsen
Von der Schwierigkeit Kritik zu üben Ich kenne niemanden, der noch nicht in eine Situation geraten ist, in der er kritisieren musste. Sei es einfach nur, dass eine Freundin wissen will, wie man das neue Outfit findet oder in der Klasse etwas zu einem Referat gesagt werden soll, manchmal muss man vielleicht sogar im Rahmen einer journalistischen Tätigkeit seine Meinung zu dem neuesten Buch oder Film äußern. Ich wage zu behaupten, dass es vielen sehr schwer fällt. Aber warum ist das eigentlich so? Da ist zum einem dieser Gedanke, dass man von jedem gemocht oder zumindest anerkannt werden will. Man überlegt es sich lieber dreimal, bevor man jemanden kritisiert, aus Angst dessen Sympathie zu verspielen. Mit positiven Kommentaren geht man häufig leichtfertiger um. Oft ist das dann nicht ganz ehrlich. Außerdem fürchtet man auch die Reaktion des Kritisierten. Je härter eine Kritik ausgefallen ist, desto mehr lebt man in der Furcht, der Andere könnte zurückschlagen. Niemand hört gerne Kritik an sich selbst. Für manche ist dies ein Grund, ihre Meinung gar nicht erst kundzutun. Wer Kritik äußern möchte, sollte sich überlegen, wie sicher er sich seiner Sache ist. Man braucht immer eine gute Begründung für sein Urteil. Ansonsten ist Offenheit immer der beste Weg. Nur so können wir alle voneinander lernen. Andernfalls machen wir immer wieder dieselben Fehler. Allerdings ist dies keine Berechtigung grundlos zu beleidigen. Kritik, ob positiv oder negativ, sollte immer angemessen sein. So betrachtet gibt es eigentlich keinen Grund, nicht zu sagen,was man denkt. Also los, sagt eure Meinung! Lara Weber, 13 Jahre
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Watergate. Wallraff. Wikileaks. Investigativer Journalismus, da denkt man an Geheimdokumente. Da werden Erinnerungen wach an die Watergate- Affaire oder an Günther Wallraff, der sich als Hans Esser bei der Bildzeitung einschlich. Das hört sich an nach einer Prise Abenteuer und nach Enthüllungsstories. Kritischer Journalismus also, so wie er eigentlich sein sollte. Doch auch der hat eine kritische Seite. Erst kürzlich kritisierte die NGO „Reporter ohne Grenzen“ die Veröffentlichung der Afghanistan- Logbücher durch die Internetplattform Wikileaks. Was bis dahin noch als Meilenstein des kritischen Journalismus gelobt wurde, geriet nun selbst in die Kritik. Mangelnder Quellenschutz, so lautete der Befund der Journalistenorganisation: Beanstandet wurde vor Allem, dass Namen von Afghanen veröffentlicht wurden, die mit den ISAF-Truppen kooperiert hatten. Diese stünden nun unter Lebensgefahr. „Eine solche Unvorsicht gefährdet unsere Quellen und die Zukunft des Informationsmedium Internet“, mahnte „Reporter ohne Grenzen“. „Journalistische Arbeit beinhaltet immer auch die Selektion von Information.“ Jeder Journalist trägt eine Verantwortung, so die Essenz der Wikileaks- Kritik. Indem er Informationen verbreitet oder nicht verbreitet, nimmt er Einfluss auf die Welt. „Es gibt eine ethische Verantwortung gegenüber denen, über die man berichtet“, sagt Günter Bartsch, der Geschäftsführer von Netzwerk Recherche. Sein Verein setzt sich in Deutschland für den recherchierenden Journalismus ein. Wenn die Diskussion sich um den investigativen Journalismus in Deutschland dreht, dann fällt früher oder später das Reizwort „Wallraff“. Günther Wallraff, der Reporter in Verkleidung, der die Bildzeitung entlarvte und undercover das Schicksal der Gastarbeiter recherchierte mittlerweile hat diese Ikone ihren ein Glanz verloren. Der letzte Wallraff- Film geriet unter den Vorwurf, Klischees über Afrikaner zu bedienen und damit zu verfestigen. Der Spagat zwischen Wahrheitsverpflichtung und Wirkung des Veröffentlichten ist die Herausforderung des Investigativen Journalisten. „Man muss sich genau überlegen, wer von der Information profitiert und ob man sich instrumentalisieren lässt“, meint Günter Bartsch hierzu. „Als Investigativer Journalist brauch man eine Haltung, sonst kommt man zu keinem Recherche- Ergebnis.“
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Foto: Melanie Petersen
von May Naomi Blank
Die Chance undichter Stellen Wie das WhistleblowerJedes Foto bekommt eine Bildunterschrift und einen fotonachweis. Die Bildunterschrift steht an einer beliebigen stelle in weisser oder schwarvon Rebecca Ciesielski zer farbe im bild.
Netzwerk Wikileaks dazu beitragen könnte kritischen Qualitätsjournalismus zu fördern. Wikileaks ist eine nach dem „Wiki-Prinzip“ aufgebaute Internetplattform, die es sich nach eigenen Angaben zum Ziel gemacht hat, jedem, der sich im Besitz öffentlichkeitsrelevanter Dokumente befindet, Raum zur anonymen Veröffentlichung ebendieser zu bieten. Dabei geht es den Gründern und Mitwirkenden des bereits seit 2006 bestehenden Netzwerks primär darum, durch besonders große Nutzerfreundlichkeit möglichst viele Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen, was beispielsweise erklärt, warum die Seitengestaltung nahezu mit dem Wikipedia-Interface identisch ist. Wikileaks möchte der Globalen Gemeinschaft ein Forum geben, in dem Artikel und sonstige Dokumente auf Glaubwürdigkeit, Plausibilität, Falsifizierbarkeit und Wahrheitsgehalt hin geprüft werden können. Dieser Prozess soll im Allgemeinen zu mehr Transparenz und in letzter Konsequenz zu stabilerer Demokratie führen. Wie bereits bei Wikipedia greift hier der Grundgedanke, dass eine Information sich tendenziell umso weiter der Wahrheit annähert, je größer die Öffentlichkeit ist, die die Möglichkeit erhält sie zu überprüfen und differenziert zu verhandeln. Dementsprechend werden die User nicht allein in die Quellenbeschaffung, sondern auch in den Prüfprozess eingebunden. Bislang geschah dies mit großem Erfolg. Auf der, momentan aus finanziellen Gründen noch inaktiven, deutschen Seite von Wikileaks findet man Angaben, nach denen das Portal seit seiner Gründung vor vier Jahren schon weit mehr als eine Millionen Dokumente von regimekritischen Gemeinschaften und aus sonstigen Quellen erhalten hat. Darunter befand sich in jüngster Zeit auch ein Video, auf welchem zu sehen ist, wie in Bagdad zwölf Zivilisten aus einem US-Hubschrauber erschossen werden. Die Nachrichten-
agentur Reuters hatte zwei Jahre lang vergeblich versucht in den Besitz dieses Dokuments zu gelangen. Solche Erfolge konnten nur erzielt werden, da Wikileaks bislang das Ideal der Unzensierbarkeit und somit der Gefahrenminimierung für seine Informanten aufrecht erhält, indem es durch kryptographische Verschlüsselungsmechanismen seine Informationskanäle anonymisiert. Dieser spannende neue Weg, den weitaus weniger erfolgreich auch die Plattform Cryptome.org beschritten hat, könnte in näherer Zukunft zur Ablösung des Informations- und Quellenmonopols der herkömmlichen Medien führen. Diese verschweigen oftmals ihre Quellen und Informanten, nicht nur um diese zu schützen, sondern auch um ihre exponierte Stellung als Mittler zwischen „Rohdokument“ und Rezipient zu festigen. Da Wikileaks jedem Interessierten die Möglichkeit eröffnet anhand des Originaldokuments die jeweilige journalistische Arbeit zu prüfen, kann auch jeder mitbestimmen, welche Dokumente tatsächlich von politischem und gesellschaftlichem Interesse sind, was eine demokratischere Themenfindung nach sich ziehen könnte. Da Wikileaks sich nicht nur zur Prüfung der Authentizität von Quellen verpflichtet fühlt, sondern auch für die jeweilige rezipientenfreundliche Kontextualisierung, könnte es passieren, dass „herkömmliche Medien“ auch durch Wikileaks an Bedeutung verlieren. Gegen diese Befürchtung kann man anführen, dass Wikileaks nach der Veröffentlichung der afghanischen „Kriegstagebücher“ mit drei etablierten Medien (Der Spiegel, The Guardian und The New York Times) zwecks adäquater Analyse und Aufbereitung der Dokumente eine Symbiose einging, deren Produkt es den Lesern ermöglichen
sollte, die Dokumente angemessen zu bewerten. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass durch eine allgemein überprüfbare Faktenlage und die damit einhergehende Verengung des Raums für freie Interpretation, Selektion oder sogar Manipulation, die Bedeutung von qualitativ hochwertigem Journalismus unter Umständen sogar zunehmen könnte. Dafür müssten sich die einzelnen Medien jedoch auf ihre speziellen Fähigkeiten rückbesinnen und sich so selbstbewusst wie selbstreflektiert in der sich weiter differenzierenden Medienlandschaft positionieren. Sie müssen sich eindringlicher fragen, in welchen Bereichen sie ihre konkreten Aufgaben und Verantwortlichkeiten gegenüber den Medienkonsumenten erkennen und wie sie diesen Aufgaben am besten gerecht werden können. Nur um wieder das vielzitierte Beispiel des Buchs aufzurufen: es gibt trotz der Erfindung des IPads und handlicher Netbooks, auf denen man ganze Ebook-Bibliotheken mit sich herumtragen könnte, noch immer viele klassische Buchhandlungen, die trotz (oder wegen) der ständigen medialen Höherentwicklung nicht an Bedeutung verlieren. Diese Bedenken sollten letztlich jedoch sekundär sein, gegenüber einem Forum, das es tatsächlich schaffen könnte den idealistischen Intentionen seiner Macher gerecht zu werden und somit auch längerfristig als Mittel gegen Intransparenz und defizitäre Demokratie zu fungieren. Rebecca Ciesielski Berlin 20 Jahre Rebecca wird im kommenden Semester ein Publizistik- und Kulturanthropologiestudium beginnen
„Haltet euch aus unserem Job raus“ Journalismus und PR. Zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben sollten. Die Realität sieht leider anders aus.
Um ihre Fähigkeiten für Werbezwecke zu benutzen, werden immer öfter Journalisten von PR Agenturen eingespannt. Dabei geht es nicht ausschließlich um Geld; auch der Handel mit sogenannten „ExclusivInformationen“ boomt: Eine Hand wäscht die andere, wenn Firmen Journalisten pikante, exklusive oder besonders wichtige Informationen anbieten, um im Gegenzug schlechte Presse zu vermeiden. Doch dies ist nicht die einzige Methode, scheinbar seriösen Journalismus für eigene Zwecke zu missbrauchen. Auch das Imitieren des klassischen Journalismus’ findet bei PR Agenturen große Beliebtheit. Im Namen von Firmen, Stiftungen und Organisationen finden scheinbar seriöse Studien und Meinungsumfragen statt, die durch ihre Professionalität und ihren Aufzug Vertrauenswürdigkeit suggerieren sollen. Die Ergebnisse werden kostenlos an die Medien weitergegeben, die diese immer wieder unreflektiert übernehmen. Doch nicht jeder akzeptiert diese teilweise äußerst dubiosen Vorgänge. So gibt es zum Beispiel Vereine wie „Netzwerk Recherche e.V.“ oder „LobbyControl“, die sich für mehr Transparenz und gegen Lobbyismus und Manipulation durch PR Strategen einsetzen. Und auch sonst ist nicht jeder von Journalisten
als PR- oder, wie es so schön heißt, „Öffentlichkeitsarbeiter" überzeugt. So monierte zum Beispiel der frühere VW-Kommunikationsvorstand Klaus Kocks in Anbetracht von Journalisten, die die Arbeit von PR Arbeitern übernehmen: „Haltet euch aus unserem Job raus – und hört auf, die Preise zu ruinieren“. Auch wenn die Grenze zwischen den beiden Professionen immer mehr zu verwischen scheint; nicht jeder Journalist ist ein guter Promoter und nicht jeder Promoter ein guter Journalist. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob die beiden Berufe sich tatsächlich noch voneinander trennen lassen. Ist es nicht längst an der Zeit, die Verschmelzung anzuerkennen? Diverse Fachhochschulen und der Deutsche Journalisten-Verband (der auf seiner Homepage „Leitlinien für die Arbeit von Journalisten in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ vorstellt) tun es offenbar bereits. So gibt es an der FH Gelsenkirchen seit etwa fünf Jahren den Studiengang „Journalismus und Public Relations“. Beim Betreten der Homepage wird man zur Begrüßung sofort, dezent mit zwei Ausrufezeichen versehen, darauf hingewiesen, „das Motto der studentischen Kampagne ‚I love JPR’ stets im Hinterkopf“ zu bewahren. Auch andere Fachhochschulen bieten verknüpfte Ausbildungen an. Aufgrund der aktuellen Marktsituation scheint von Nachwuchsjournalisten erwartet zu werden, sich auf beiden Gebieten auszukennen. Nicht umsonst muss sich „Netzwerk-Recherche e.V.“ regelmäßig den Vorwurf anhören, ihr Ziel, „Journalisten machen keine PR“ sei realitätsfern, sei man doch unlängst von den Informationen der PR-Branche und gelegentlichen Gehaltsboosts abhängig. Auf diese Anschuldigung kontert Günter Bartsch, Geschäftsführer des Vereins, jedoch mit der Forderung, Nachwuchsjournalisten besser über PR Mittel und Lobbyismus aufzuklären und mehr Zeit in Recherche-
Annemieke Overweg
Man schägt ein Magazin auf und liest einen Artikel über das heiß diskutierte Thema Atomkraft. Von „Kernenergie als Brückentechnologie“ ist die Rede und Experten, die sich gegen den Ausstieg aussprechen, kommen zu Wort und elaborieren lang und breit die Vorzüge von Reaktoren und der Nutzung von Uran. Doch statt sich im Verlauf auch kritisch mit der Technologie auseinander zusetzen, wird in dem Text kein Wort verloren über negative Auswirkungen oder Gefahren. Also blättert man weiter und auf der nächsten Seite erwartet einen die Werbung eines Stromanbieters. Alles Zufall? Wohl kaum...
training und Praxisbeispiele, anhand derer der Einfluss von PR auf die Medien deutlich wird, zu investieren. Diese Art der Auseinandersetzung sei die bessere Alternative zum Zusammenlegen zweier Ausbildungen, die im Grunde zu vollkommen verschiedenen Berufen hinleiten.
angewiesen. PR-Schaffende sind einzig ihrem Auftraggeber und dessen Zwecken und Zielen verpflichtet. Die Informationen, die sie produzieren, werden durch sie selektiert und präpariert, bevor sie für Journalisten und die breite Masse zugänglich gemacht werden.
Doch was ist eigentlich das Bedenkliche am Einfluss von Public Relations auf den Journalismus? Durch das Einstellen von qualifizierten Journalisten erhoffen sich die Firmen und Verbände vor allem die Möglichkeit, in die Medienberichterstattung eingreifen zu können und die Schreiber für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.
Und auch Lobbyismus, der mindestens eine genauso große Rolle spielt wie PR, wird mit Sorge betrachtet. Anfang des Jahres hat HansJürgen Papier, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts, in einem Interview mit der „Börsen-Zeitung“ mit der Kernthese „Lobbyismus ist eine latente Gefahr für den Rechtsstaat“, auf die Problematik hingewiesen. Anders als die FH Gelsenkirchen anrät, JPR zu lieben, sollte man wohl besser die Tatsache im Kopf behalten, dass es zu den Aufgaben eines Journalisten gehört, die ihm präsentierten Fakten zu hinterfragen und kritisch mit Quellen umzugehen. Ein Journalist trägt Verantwortung gegenüber seiner Leserschaft und muss stets darauf bedacht sein, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich lässt sich der PR Branche nicht pauschal ein ‚Böse’Stempel aufdrücken und es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass jede Agentur machtpolitische Absichten hat. Trotzdem sollte klar sein, dass es bei PR im weitesten Sinne darum geht, ein bestimmtes Produkt beziehungsweise eine Person zu vertreten und zu verkaufen. Immer dann, wenn Journalismus und Public Relations aufeinandertreffen und unkritisch mit gelieferten Materialien umgegangen wird, kann es gefährlich werden. So ist es in gewisser Weise auch ein Versagen von Journalisten und Redaktionen, dass der Einfluss von PR zunimmt und dem Druck nichts entgegengesetzt wird. Denn je schlechter die Redaktion ausgestattet ist und je weniger Mitarbeiter, Zeit, und Geld zur Verfügung stehen, desto mehr sind die Journalisten auf vorgefertigte Informationen aus den PR Agenturen
Annemieke Overweg Uelzen 18 Jahre Annemieke macht gerade das Abitur. Sie liebäugelt mit dem Jounalismus, aber den Weg dahin lässt sie sich noch offen.
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"Die Satire darf alles"
Kein Thema geniesst Immunität
Christian Sieh ist Redakteur bei extra3, einem wöchentlichen Satiremagazin im NDR. Len Sander hat auf den Jugenmedientagen einen Satire-Workshop bei ihm besucht und herausgefunden, was Satire kann und was sie darf. von len sander
Feind falsch macht. Durch Überspitzung, Übertreibung, Ironisierung entsteht ein Effekt, dass der Zuschauer klar mitkriegt, „da macht jemand Unfug, da produziert jemand Missstände, ich kann darüber noch lachen, aber ich weiß schon, da läuft was falsch, da wird was kritisiert“, aber dadurch, dass das über eine humoristische Form geschieht, geht das auch leichter in die Köpfe der Leute rein.
Was ist Satire? Satire ist eine Form der Kritik, die Missstände aufzeigt und Schuldige benennt. Und dabei im Idealfall eine lachende Erkenntnis beim Zuhörer, Fernsehschauer oder Leser hinterlässt. Das heißt, dass ich über etwas lache, dass ein Feind -so nennen wir das bei extra3-, jemand, der für Missstände verantwortlich ist, ins Lächerliche gezogen wird und einem klar dargestellt wird, was der
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Gibt es unkritische Satire? Nein, gibt es nicht, Satire kann nicht unkritisch sein, weil Satire Kritik ist. Viele Leute verwechseln Comedy mit Satire, weil man bei Comedy auch lachen kann. Bei Satire sollte man immer am Ende wissen: was wollte der Autor der Satire eigentlich sagen, was wollte er kritisieren, welchen Finger wollte er in welche Wunde legen. Deswegen kann sich Satire auch nur, wie Matthias Riechling, den man vom Satiregipfel kennt, mit dem beschäftigen, was veränderbar ist. Das heißt, ich kann keine satirischen Kommentare machen darüber, dass es regnet, weil ich niemanden finden kann, der dafür verantwortlich ist. Kann Satire denn Missstände verändern? Natürlich kann Satire Missstände verändern, weil sie im Idealfall ein Bewusstsein für Missstände beim Zuhörer weckt, der gleichzeitig auch Wähler ist. Wenn man jetzt wie im Falle der FDP, die mit dem Wahlversprechen in den Wahlkampf gegangen ist – das ist aber jetzt meine politische
Meinung – in einer großen Wirtschaftskrise die Steuern zu senken, dann kann man mit Satire die Leute darauf hinweisen, dass das gar nicht sein kann und dass die Partei das schon häufiger getan hat und immer wieder tun wird und hoffentlich das Bewusstsein schaffen, dass die Leute sich nicht von billigen Wahlversprechen einfach so einkassieren lässt. Wobei ich aber sagen muss – zur Ehrenrettung der FDP – dass das kein FDP-Phänomen ist und für beinah alle politischen Parteien gilt. Wo liegen die Grenzen der Satire? Andere Formen der Medien müssen sich irgendwie an die Grenzen des guten Geschmacks halten, das muss die Satire nicht. Kurt Tucholsky hat gesagt: „Die Satire darf alles.“, woran ich auch glaube. Man sollte nur dabei daran denken, dass man den Begriff „Satire“ dabei definieren muss. Wenn ich Schuldige, die an Missständen verantwortlich sind, kritisiere, dann darf ich mich auch an ihnen abarbeiten. Was Satire nicht darf, meine ich, ist persönlich werden. Es muss mit dem Wesen des Missstandes zu tun haben. Ich kann nicht, wenn ich mit der Politik von Herrn Schäuble nicht einverstanden bin, mich an ihm abarbeiten und dann Witze über seine Behinderung machen. Das ist geschmacklos und hat auch nichts mit der Kritik an seiner Politik zu tun. Aber wenn man Satire richtig definiert, darf Satire alles.
Wie wäre denn die Medienwelt ohne die Satire? Langweilig. Denn ich glaube, dass ein gut geschriebener Kommentar in einer Zeitung nicht so leicht seine Kritik vermittelt, wie es die Satire tut. Das soll die Wirkung von Kommentaren nicht schmälern, aber Menschen sind ungeduldig, gucken ja immer weniger Nachrichtensendungen, politische Formate, deswegen haben sie einen leichteren Zugang zu Satire, weil sie dann auch was zu lachen haben und den Irrsinn, der draußen passiert, noch mit einem Schmunzeln ertragen. Das ist auch etwas, was extra3 will, den Irrsinn der Woche zu verarbeiten und trotz dieses Wahnsinns den Menschen noch ein Lachen aufs Gesicht zu zaubern. Braucht man Satire überhaupt? Ja, genau aus diesem Grund. Menschen wollen Lachen. Galgenhumor ist etwas Wichtiges. Dass du den größten Irrsinn ertragen kannst, weil du letztendlich darüber lachen kannst. Du kannst auch mit Satire und Witz Menschen kleiner machen. Man könnte zum Beispiel die NPD dämonisieren. Man könnte sagen: „Das ist eine gefährliche rechtsradikale Partei, vor der wir alle Angst haben müssen.“ Man kann aber auch zeigen, was für kleine Piefkes das sind, die überhaupt keine Lösung auf die Probleme unserer Gesellschaft haben, sondern einfach nur Lautsprecher sind, die selber nicht wissen, was sie erzählen, sondern einfach plumpe Parolen von sich geben.
Wir können zeigen, was für lächerliche Gestalten das sind, mit lächerliche Parolen, die in sich nicht griffig sind und überhaupt keinen Sinn ergeben. Wir können, wie im „Telekolleg Deutsch für Nazis“, vorführen, dass im mecklenburgischen Landtag die NPD-Fraktion, diese deutschtümelnden Volksgenossen, nicht mal der deutschen Sprache mächtig sind. Dann ist schon viel gewonnen. Das kann Satire. Du sprichst von Schuldigen. Sind Probleme nicht vielschichtiger? Das einfachste Argument eines politischen Verantwortungsträgers ist, dass er dir, wenn du mit einem Missstand kommst, erstmal die Ursachen auseinandernimmt, die du im Zweifel nicht verstehst. Aber ein politisch Handelnder hat eine Verantwortung. Das heißt nicht, dass er persönlich ein Problem verursacht haben muss oder daran Schuld ist. Aber er ist und bleibt dafür verantwortlich und hat sich deswegen auch zu rechtfertigen und deswegen auch der Kritik zu stellen. Gibt es Tabu-Themen, die man, deiner Meinung nach, satirisch nicht anrühren sollte und wenn ja, welche? Es gibt keine Tabu-Themen in der Satire. Die darf es nicht geben. Wenn man sich an die Regeln der Satire hält und sagt: „Ich benenne Schuldige“, dann kann es keinen Schuldigen geben, bei dem man sagt, dass man sich mit ihm
nicht beschäftigen kann. Man nehme das Thema des Palästina-Israel-Konfliktes. Es ist unglaublich schwierig, darüber eine gute Satire zu machen, denn man bewegt sich auf sehr dünnem Eis, aber man darf nicht schon von vornherein die Beschäftigung mit dieser Problematik vermeiden. Sei es, weil beide Seiten, Israelis und Palästinenser, viele Missstände begehen. Sei es, weil man sagt: „Ich kritisiere die Siedlungspolitik der Israelis nicht, weil wir den Juden so viel Leid zugefügt haben.“ Das eine schließt das andere nicht aus, deswegen hat ein israelischer Ministerpräsident keinen Freifahrtschein, zu tun und zu lassen, was er will, ohne dabei Opfer der Satire zu werden.
Len Sander Hannover 13 Jahre Len ist im Vorstand der JPN. Er hat die JMT nds. 2010 mitorganisiert. Und dank des Workshops weiß er jetzt, wie Satire funktioniert.
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„Ich will die Atzen nicht verurteilen“
Foto: Ruben Neugebauer
Die Beatpoeten, das sind Egge, 29, bekannter Poetry Slammer und Costa, 27, DJ. Die Beatpoeten haben sich 2006 gegründet. Aber „so richtig SpaSS“ macht das ganze erst seit zweieinhalb Jahren, nachdem sie aufgehört haben „einen zu hohen Anspruch“ an sich zu haben und zehnminütige Kurzgeschichten in Liederform zu schreiben. von Len sander
Hat kritischer Journalismus etwas mit kritischer Musik zu tun? Costa: Ja, ganz ehrlich, wenn man mal vom Zeitungssterben absieht, wenn es keine kritischen Journalisten mehr gibt, dann wüssten wir nicht mehr, was in der Welt passiert. Und deswegen ist es etwas Richtiges, wenn man klischee-mäßig von der „vierten Gewalt im Staat“ redet. Darauf sind wir auch angewiesen. Als Musiker. Passen elektronische Musik und sozialkritische Texte zusammen? Costa: Wir haben das Projekt angefangen als Mischung aus Poetry Slam, aus Gedichten und Kurzgeschichten und wollten, wie die Beatpoeten, daher der Name, aus den 1950er Jahren, das mit moderner Musik verbinden. Und heutzutage ist elektronische Musik nicht das Frischeste, aber das, was die meisten Leute anspricht. Andererseits
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muss man auch beachten, wo elektronische Musik herkommt: In den 1980er Jahren war es gerade in den USA die Musik der Schwarzen und der Homosexuellen und dadurch eigentlich auch Randgruppenmusik. Jetzt ohne das allzu böse zu meinen. Und was die Atzen machen, ist halt Volksmusik, aber da gibt es auch verschiedene Facetten. So richtige Goa oder Drum'n'Bass- Sachen, die wirst du wohl auch nicht im Radio laufen hören, also im normalen bürgerlichen Radio. Deswegen bleibt da immer ein bestimmter Anteil an Kritik über. Wollt ihr mit eurer Musik etwas verändern und wo sind die Grenzen der Musik? Costa: Niemand geht aus einem Konzert raus und denkt: „Jetzt änder' ich sofort etwas!“ Aber, im Grunde genommen, reicht es ja wenn Menschen irgendwo hingehen, sich etwas anschauen, sich etwas anhören und ein gutes Gefühl haben. Also Spaß hatten. Und deswegen will ich solche
Musik wie die Atzen oder andere elektronische Musik nicht verurteilen, weil wenn Menschen Spaß haben, eine gute Zeit, nicht auf Kosten anderer, ist doch 'ne super Sache. Bringt ihr auf die Schnelle einen Vierzeiler zum Thema „kritisch sein“?
Jan-Egge: Um verkrustete Gedanken zum Tanzen zu bringen, reicht es einfach schon, mit der Stirn zu runzeln.
Soweit die Hörerschaft reicht...
Der Bürgerrundfunk ist ein kleiner aber dennoch wichtiger Teil unseres Mediensystems. Durch die lockeren und die relativ unabhängigen Strukturen gewährleitstet er eine Vielfalt, die sich weder private noch öffentlich-rechtliche Sender "leisten" können. Das weiSS nicht jeder zu schätzen. Ein Plädoyer für einen Bürgerfunk den (fast) niemand hören möchte.
von Melanie Petersen
Der Fall Flora
Am 22.März 2007 wurde auf einer Versammlung der niedersächsischen Landesmedienanstalt etwas beschlossen, was es in Niedersachsen so noch nich gab. Die Lizens von Radio Flora, dem damaligen hannoverschen BürgerrundfunkSender, wurde nicht verlängert. Bei einer Studie von TNS-Emnid im Rahmen einer Media-Analyse 2006 lag Radio Flora weit unter dem Landesdurchschnitt bei den Hörerzahlen. Die schlechte Akzeptanz führte dazu, das die Versammlung der Niedersächsischen Landesmedienanstalt dem Antrag auf Lizenzverlängerung von Radio Flora nicht entsprechen konnte.Die Frequenz wurde neu ausgeschrieben und Radio Flora konnte sich nicht mehr durchsetzen. Zwei andere Bewerber haben sich zusammengefunden und sind 2009 unter dem Namen Leinehertz 106,5 zum ersten Mal auf Sendung gegangen.
ten. Die Bedarf es jedoch, wenn Reichweitenanalysen darüber entscheiden, ob die Lizens eines Bürgerrundfunksenders verlängert wird oder nicht. Darf Reichweite beim Bürgerfunk ein Argument sein?
Die Privaten Sender richten sich aufgrund kapitalistischer Gesetze nach der zahlungskräf-
Was soll Bürgerfunk leisten?
Radio Flora und seine Hörer haben kein Verständnis für diese Entscheidung. Für die Analyse wurden 500 Personen deutscher Sprache befragt und dabei ein "weitester Hörerkreis" von 3,8 % ermittelt. Neben deutschen Sendungen waren, und sind jetzt noch im Internet, jede Woche auch Sendungen in 12 weiteren Sprachen zu hören. Die HörerInnen dieser Sendungen sind bei der Befragung nicht berücksichtigt worden. Eine Abschlussarbeit eines Journalistik-Studenten an der FH Hannover hat jedoch ergeben, dass Radio Flora mit diesen Sendungen einen wichtigen Beitrag zur Integration leistet. Da stellt sich doch die Frage, welche Aufgabe Bürgerrundfunk hat, wenn diese nicht dazugehört. Er dient der Ergänzung zum privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er soll Medienkompetenz vermitteln, interessierten Bürgern die Möglichkeit geben, selbst Rundfunk zu machen und lokale und regionale Berichterstattung sichern. All das kann der Bürgerfunk. Aber eines kann er anscheinend nicht, oder darf es auf jeden Fall nicht: Minderheiten vertreten. Denn Minderheiten sind naturgegeben in der Minderheit und können somit auch keine große Hörerschaft bie-
tigen Masse aus. Auch die Öffentlich-rechtlichen haben den Auftrag für jeden Bürger da zu sein. Dass das eine Aufgabe ist, die nicht geleistet werden kann, versteht sich von selbst. Versucht man möglichst viele Menschen zu erreichen, so muss man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, was ein sehr flaches Programm zur Folge hätte. Also wird ein bisschen Unterhaltung und ein bisschen Anspruchsvolles zusammengepackt und fertig ist der Salat. Bürgerfunk bildet in Deutschland die Ergänzung zum dualen System. Nun mag die Relevanz der einzelnen Themen nicht überragend sein, dennoch, er ist ein ernstzunehmendes Instrument der Demokratie - erstmal unabhängig davon, ob er genutzt wird oder nicht. Denn senden darf hier im Grunde jeder und sofern er sich an das Gesetz hält darf er sagen, was er will. Dabei ist er unabhängig von Sendekonzepten. So wird vor allem auch den Personen die Möglichkeit gegeben sich Gehör zu verschaffen, die im Privaten und Öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern nicht zu Wort kommen, die Minderheiten. Und damit
sind Personen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle oder Menschen mit Handycap, gemeint. Aber auch noch viel kleinere Gruppen, wie Selbsthilfegruppen für bestimmte Krankheiten, oder Migranten, die noch gar kein Deutsch können. Gruppen, die es noch nicht geschafft haben sich zu organisieren, die durch niemanden vertreten werden. Die es aber dennoch gibt, die hier leben und zu unserer Gesellschaft dazugehören. Da Medien eine immer größere Rolle in unserem Leben spielen, sollte wirklich jeder diese Chance bekommen, vor allem auch bei den Medien, die unter anderem vom Land finanziert werden und somit von jedem einzelnen Bürger. Das sieht nicht jeder so. Mittlerweile ist es so ziemlich allen möglich das Internet zu nutzen, um seinen Belangen Luft zu machen. Aber das kann nicht als Argument dafür reichen, dass der Rundfunk nur noch massentauglichen Einheitsbrei produziert, anstatt seiner gesllschaftlichen Aufgabe nachzukommen. Es wird damit argumentiert, dass Bürgerrundfunk keinen Sinn mache, wenn kaum noch jemand zuhört. Da fragt man sich, ob es dann auch keinen Sinn mehr macht Rollstuhlrampen zu bauen, wenn es doch kaum Behinderte gibt, oder gleichgeschlechtliche Ehen zuzulassen, wenn doch fast keiner homosexuell ist. Und warum sollte man noch Deutsch-Kurse in Deutschland anbieten, hier spricht doch fast jeder Deutsch. Fast.
Melanie Petersen Hannover 27 Jahre Melanie studiert Journalistik. Meistens fällt es ihr schwer, nur Beobachter zu sein und verliert dadurch ihre Distanz - nur allzu gern.
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f r is c h , f r u ch t i g , s e lb s t g e p r e sst
impr e ss um Diese Ausgabe von politikorange entstand auf den ersten niedersächsischen Landesmedientagen in Hannover. Herausgeber und Redaktion: politikorange – Netzwerk Demokratieoffensive, c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.politikorange.de
Als Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm erreicht das Mediennetzwerk politikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Jugendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive. Das Multimedium
Foto: Nachnahme Vornahme/
politikorange wurde 2002 als Veranstaltungsmagazin ins Leben gerufen. Seit den Politiktagen gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Print- und Online-Programm. 2004 erschienen die ersten Themenmagazine: staeffi* und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.
Wie komm’ ich da ran?
Wer macht politikorange?
Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen, über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. Radiosendungen strahlen wir mit wechselnden Sendepartnern aus. Auf www. politikorange.de berichten wir live von Kongressen und Großveranstaltungen. Dort stehen bereits über 50 politikorange-Ausgaben und unsere Radiosendungen im Archiv zum Download bereit.
Junge Journalisten – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Knipser und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redaktionsteams sorgen dafür, dass politikorange immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugendpresse stehen mit Rat und Tat zur Seite.
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Karikaturen: Alexander Zimmermann
Warum politikorange?
In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugendlichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Handeln. politikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Engagement – denn politikorange ist frisch, fruchtig und selbstgepresst.
Melanie
Petersen
(melanie@stadtkind-
hannover.de) Redaktion: Len Sander, May Naomi Blank, Vivian Warren, Melanie Petersen, Yin Tsan, Viviane Petrescu, Ruben Neugebauer, Amadeus Ulrich, Simon Herker, Fania Stehmann Hannah Menne, Lara Weber, Rebecca Cielsielski, Sabrina v. Oehsen Lektorat: Vivian Warren, Melanie Petersen Layout und Titelfoto: Melanie Petersen
Projektleitung: Viviane Petrescu Druck: Henke Pressedruck GmbH & Co. KG Plauener Strasse 160 13053 Berlin
Die politikorange-Redaktion auf den Niedersächsischen Jugendmedientagen in hannover: v.l. Len Sander, Yin, Tsan, Melanie Petersen, May Naomi Blank, Vivian Warren
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"Im Internet finde ich ja meist nur, was ich suche. In der Zeitung finde ich Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass sie mich interessieren." Michael Ringier, Verleger, im Interview mit der taz
Kritischer Journalismus 2.0
Die Chancen des Qualitätsjournalismus im Internet VON yin tsan Während das Internet als zu schnell und zu unzuverlässig verflucht wird, verkennen die Skeptiker die Möglichkeiten des guten Journalismus im Netz. Neue Modelle und Plattformen geben die Richtung des Qualitätsjournalismus online vor. Früher war alles besser. Als es das Internet noch nicht gab – auch für den Journalismus. Kritischer Journalismus werde durch das neue Medium Internet bedroht. Dabei erkennen viele die Möglichkeiten die das Internet bietet nicht – zum Beispiel als Plattform für investigative Berichterstattung, oder als Ergänzung zum Lokaljournalismus. Die Risiken des World Wide Webs sehen Kritiker darin, dass jeder publizieren und sich Journalist nennen kann – egal was er schreibt oder ob er vernünftig recherchiert. Außerdem lasse das Prinzip der ständigen Erreichbarkeit und Aktualisierung der Nachrichten im Internet keine Verzögerung zu, sodass weniger Zeit in Recherche gesteckt wird. Im Netz würde sich der Leser verfangen und hätte angesichts der Datenflut nicht die Möglichkeit qualitativen Journalismus zu erkennen. Die Chancen zu veröffentlichen
Spätestens seit der Entwicklung des Web2.0 erkennen auch die letzten Medienvertreter, welchen Stellenwert das Internet als Informationsquelle darstellt. Es ist der virtuelle Lebensraum ihrer Zielgruppe. Interaktiver und enger sind somit die Inhalte durch das Medium Internet an den Leser gebunden: Kommentarfunktionen lassen den Leser direkt mit dem Inhalt interagieren. Die „Niedrigschwelligkeit“ zu veröffentlichen, sieht Nea Matzen
von tagesschau.de als große Chance. Die Redakteurin und Autorin des Buches „Online-Journalismus“ des UVK-Verlages beschreibt das Internet vorallem als Möglichkeit für Lokalredaktionen. In den meisten Regionen existiert nur noch eine einzige Tagezeigung. Diese Monopolstellungen der Verlage ist im Sinne einer pluralistischen Meinungsbildung in einer Demokratie kritisch zu sehen. Das Internet kann hier eine sinnvolle Ergänzung bieten. So gibt es das Portal myheimat.de, das sich als Plattform für „Bürgerreporter“ und lokale Themen versteht. Betrachtet man den Erfolg dieser Seite sieht man, dass die Nachfrage, nach zusätzlichen Lokalnachrichten vorhanden ist. Zur Zeit sei das Angebot auf den Nachrichtenportalen online im Vergleich zu Print und TV jedoch noch etwas anders: Das Programm sei „bunter“ und es ginge auch mehr ums Internet: Technik und Social Media. Außerdem sei es eine “jüngere Zielgruppe“, konstatiert Matzen im Gespräch mit politikorange. Medienkompetenz: „Es ist keine Frage der Generation.“
Die Angst, dass aus dem Informationsangebot des Netzes auch Unwahrheiten aufgenommen werden, ist im Grunde keine Frage des Mediums, sondern die der Medienkompetenz. Auch nicht alles, was gedruckt ist, sollte ungefragt hingenommen werden. Der Aufschrei scheint für das Internet aber größer zu sein. Der Befürchtung, dass gerade die Jüngeren alles glauben, was google sagt, widerspricht Matzen: „Es ist kein Problem der Generation. Heute ist es nicht anders als früher: Medienkompetenz bekommt man nicht im Schulunterricht beigebracht. Man erlernt sie von
einigen guten Lehrern und von den Eltern.“ Eine selbstregulierende Qualitätsfilterfunktion kann im Internet auch erfolgen, indem die Intelligenz der Masse als Maß genommen wird. Das bedeutet, dass bei falschen Inhalten, durch Kommentarfunktionen korrigiert wird und die Klickzahlen und Besuche bei anhaltender mangelnder Qualität sinken. Will man sich kritischen Journalismus leisten?
Ob kritischer und investigativer Journalismus im Internet möglich sei, beantwortet Matzen pragmatisch: „Die Frage ist, wie sehr sich die Gesellschaft kritischen Journalismus leisten möchte. Denn auch im Print gibt es nur wenige Journalisten, die allein davon leben können.” Dass investigative Recherchen möglich sind zeigt WikiLeaks, dass vor allem Enthüllungen aus der internationalen Politik im World Wide Web eine Plattform bietet. Auch hat sich bildblog im Internet als Blog etabliert, der die Boulevardblätter in Deutschland kritisch hinterfragt. Kritischer Journalismus ist keine Frage des Mediums und er findet seinen Weg - inzwischen um das Medium Internet reicher.
Yin Tsan Darmstadt 22 Jahre Yin studiert Südosteuropastudien und Kulturmanagement in Jena und Weimar, ist aber eigentlich total norddeutsch.
Schwere Informationen Von den Vorzügen der OnlineNews. Göttlich. Ich öffne meinen Email Account und fühle mich von der ersten Minute an bestens informiert. Michelle Hunzikers Hinter ist „im(Po) sant“, verrät mir t-online.de. Ganz im Gegensatz zu dem der 274 Kilo Mexikanerin die jetzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Bin schockiert, dass Gott diese Grausamkeit zulässt und freue mich, dass mich web. de vor Übergewicht bewahrt. „Hustenbonbons sorgen für Zunahme!“. Mit dieser Information wird mich das bedauernswerte Schicksal der korpulenten Dame sicherlich nicht ereilen. Habe angesichts der erdrückenden Beweise nämlich sämtliche Hustenbonbons augenblicklich weggeschmissen. Aber vielleicht wiegt die gute Frau auch gar nicht zuviel! Ich erfahre gerade: „25 Kilo Tumor in Paris entfernt!“. Schock - habe doch glatt 5-Kilo zugenommen und sollte mich wohl einer Biopsie unterziehen. Mache morgen einen Arzttermin. Werde das besagte mexikanische Krankanhaus kontaktieren und ihm die neuste Meldung yahoos mitteilen: „25 Kilo Baby in Japan geboren!“ Ohrfeigengleich treffen mich die gmx News; Eine 14jährige Brasilianerin wächst glatte 15cm am Tag! Rechne kurz nach; 15cm mal 5110 Tage…meine Güte! Ob die da noch was schickes zum Anziehen findet? Und nebenbei; sollte man das nicht auch mal der Mexikanerin sagen? Vielleicht helfen Wachstumshormone ja bei ihrem Weg zu einem „im(Po) santen“ Po! Von Vivian Warren
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Was bleibt hinter hübschen Worten?
Kommerzialisierung, Servicejournalismus – das Feuilleton muss viele Stempel ertragen. Eine Suche nach der Kultur des Kulturjournalisten. von Viviane Petrescu
Beziehungskrise KulturJournalist
„Das deutsche Feuilleton ist einfach viel belangloser geworden“, sagt Gabriela Jaskulla, Kulturjournalistin und Dozentin an der Fachhochschule Hannover. Der Kulturteil sollte ein Art der Aufklärung sein, ein kritischer Blick auf kulturelle Themen und ein kultureller Blick auf Alltagsphänomene. „Stattdessen sind heute Service, Unterhaltung und rein rhetorischer Aufwand gefragt.“ Gabriela Jaskulla sieht die Ursache auch an den Bedingungen, die heutzutage herrschen. „Seit der Wende ist ein starker Rückzug ins Private zu beobachten, die Menschen konzentrieren sich mehr auf sich selbst.“ Die heftigen politischen Auseinandersetzungen, die es in den 60ern und 70ern im Feuilleton gegeben habe, seien dort verschwunden. „Es ist heutzutage aber auch viel schwieriger, politisch klare Positionen zu fassen. Es gibt nicht mehr Ost und West, die Welt ist vielschichtiger geworden.“ Das fordere den Feuilletonisten nicht nur, es überfordere ihn auch. „Und Kulturjournalisten sind manchmal eben faul, wie jeder Mensch.“ Reflektierender Kulturjournalismus brauche Zeit und die sei einfach viel zu knapp. Auch Themen zu setzen, politische Diskussionen auszulösen, das könne nicht auf Knopfdruck passieren. Ob das Feuilleton überhaupt eine politische Aufgabe hat und wo diese liegen könnte, entscheidet jeder anders. Vielleicht ist es eine Frage der Einstellung, vielleicht eine Folge der Gewöhnung.
den Zeitungsmarkt schon seit 2000 nicht mehr los. „Auf Printebene wird sich das Feuilleton auch nicht mehr erholen“, sagt Angele. Viele der großen Namen haben im Kulturteil gestrichen. Die Zeit beispielsweise hat das vorher eigenständige Literatur-Ressort in das Feuilleton eingebunden. Konform statt kritisch
Michael Angele sei erstaunt darüber, wie beliebt der Berufswunsch Journalist trotzdem bleibe. Und wie viel Optimismus in dem Nachwuchs stecke. „Dabei wird es kaum mehr reine Kulturjournalisten geben, das gibt die Bezahlung nicht her.“ Der Optimismus ist jedoch nicht alles, was Mangele überrascht. Von den Praktikanten unserer Redaktion sei er oft enttäuscht. „So strukturkonserva-
Verschwindender Verriss
Und auch ein alter Dauergast des Feuillton ward lang nicht mehr gesehen. Der Verriss. Er verschwindet und seine Lücke wird mit Service gefüllt. Die Abhängigkeit der Buchverlage als Anzeigenpartner, er mag eine Rolle spielen. Die fehlende Zeit, auch sie mag ihren Teil beitragen. Doch nicht alle sehen die wirtschaftlichen Umstände als einzige Ursache der Schwindsucht. „Der Arme wird kaum noch riskiert, es sei denn, man ist sicher, dass andere einstimmen“, so Gabriela Jaskulla. „Die Schreib- und Auseinandersetzungslust hat einfach abgenommen, die Skandalisierungsmaschine Fernsehen übernimmt das jetzt.“ Auch Michael Angele, verantwortlicher Kulturredakteur des Freitag sieht die Ursachen nicht nur im finanziellen Patt. Den Verriss könne man eben nicht künstlich herstellen. „Einem Marcel ReichRanicki hätte niemand sagen müssen: Jetzt verreiß doch mal! Der war getrieben, schrieb aus einer Notwendigkeit heraus.“ Der Journalist von heute, kämpft er wirklich nicht mehr für Ideale, nur noch für sein Gehalt? Die Finanzierung der Zeitung als Medium bröckelt, damit auch der Beruf Journalist. Eine mal schleichende, mal rennende Krise lässt
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tiv und konform!“ Das möge an der konservativen Ausbildung vieler Journalistenschulen liegen. Es fehle der Wille zur Innovation, den Drang, Grenzen zu sprengen. „Das spüre ich natürlich auch inhaltlich. Sprachlich wird gute Arbeit abgeliefert. Aber alles klingt so wahnsinnig ernüchtert.“ Das Hetzen von Praktikum zu Praktikum, von Termin zu Termin, hinterlasse seine Spuren. Das Wichtige werde dabei aus den Augen verloren. Denn der Journalist werde nicht durch den Lebenslauf geformt. „Die zehn Praktika beeindrucken mich überhaupt nicht. Ich lese den Text. Deshalb kann ich nur dazu ermuntern, nicht zu stromlinienförmig zu werden.“ Dafür vor allem nötig sei die existenzielle Erfahrung. Die Erfahrung, Wissen zu wollen und es sich anzueignen. Um Inhalte zu vermitteln, braucht der Schreibende einen größeren Überblick, als ihn sein Leser hat. In der OnlineZeitung Berliner Gazette veröffentlichen deshalb nicht nur Journalisten. „Wir haben viele Texte von Leuten, die nicht hauptsächlichen Autoren sind, sondern Künstler, Wissenschaftler und ähnliches, deren Perspektive im "normalen" Feuilleton der
Tageszeitungen meistens fehlt“, sagt Fabian Wolff, Redakteur der BG. Dadurch könne Unbekanntes gezeigt werden. Perspektiven ver- und neu entwerfen, Blicke schärfen und Blickwinkel weiten. „Das kann von der 1000-Zeichen-Kurzrezi bis hin zu dem großen Essay über den Zustand des deutschen Filmes (erbärmlich, übrigens) gehen.“ Dazu braucht es mehr als hübsche Worte. Dazu braucht es eine Einstellung. Leidenschaft. Rettungsanker Leidenschaft
Das Internet – ein großes Versprechen, das den meisten zuerst einfällt, fragt man nach der Zukunft des kritischen Feuilletons. Doch wie kaum ein Versprechen, erfüllt sich das Internet von selbst. „Es gibt diese Selbstzensur: Eigentlich müsste mein Text 10 000 Zeichen sein, aber länger als 2500 darf er nicht werden, weil ihn ja keiner mehr liest. Was sogar stimmt, meistens. Sowohl Leser als auch Autoren sollten sich mehr anstrengen“, sagt Fabian Wolff zu den machbaren Möglichkeiten des unbegrenzten Mediums Internet. Das Feuilleton gleicht eigentlich einer Spielwiese, auf der sich der Schreiber austoben kann. Sich finden könnte zwischen Kritik und Liebeserklärungen. „Man darf einfach alles, jedes Thema von Fußball bis Bankenskandal, Umweltzerstörung und dem letzten Theaterbesuch“, sagt Gabriela Jaskulla. Für sie sei es der wichtigste Teil, weil er die meisten Freiräume habe. „Ich wünsche mir wieder mehr jüngere Leute, die sich politisch engagieren, neue Formen entwickeln und den Kulturjournalismus zurückerobern.“ Die Dozentin versuche bei ihren Studenten vor allem eines: die Angst zu nehmen. Mut machen, zu schreiben, zu seiner eigenen Haltung zu stehen. „Es muss Spaß machen. Spaß entwickelt sich zu Leidenschaft.“ Und die brauche man, um neue Dinge zu entdecken und auszuleben. Seinen Weg un.erschrocken zu finden und zu folgen bringe einen am weitesten. Kritischer Kultur.journalismus – er hat weniger Raum und muss vielleicht härter dafür kämpfen als früher. Vielleicht tut ihm dieser Selbstfindungstrip aber auch ganz gut und befreit ihn von unkritischem Buchstabenstaub.
Viviane Petrescu 18 Jahre ist ein aufsaugender Kulturschwamm, reist dem Abitur davon und hat das Verändern noch nicht aufgegeben.