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AUF LINKS GEDREHT MÄRZ 2010

UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUR 7. LINKEN MEDIENAKADEMIE HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND


INHALT

JOURNALISMUS: FÜR LINKE EIN ROTES TUCH?…S.04

VIERT TAGE LINKE MEDIENAKADMIE NEHMEN HEUTE IHRE ENDE. VON 950 TEILNEHMERN WIRD GESPROCHEN. KRTISCH WOLLEN SIE ALLE SEIN, ABER WIE SIEHT ES MIT DER OBJEKTIVITÄT BEI DER BERICHTERSTATTUNG AUS?

RECHTHABER VON BERUF…S.05

GUTE RHETORIKER BEHERRSCHEN DIE KUNST, ZU REDEN UND ZU ÜBERREDEN. MIT WAHRHEIT UND ÜBERZEUGUNGEN NEHMEN SIE ES ALLERDINGS NICHT IMMER SO GENAU. DIE GRENZE ZWISCHEN REDEKUNST UND POPULISMUS IST FLIESSEND.

RAUS AUS DEM ELFENBEINTURM…S.06 PUBLIC RELATIONS MÜSSEN GEWOLLT UND GEKONNT SEIN. AUCH LINKE WOLLEN IN DER MEDIALEN WELT MITSPIELEN. DOCH NICHT SELTEN STEHEN SIE SICH SELBST IM WEG.

SPRUCHREIF!...S.08 – 09

VON WAGENKNECHT BIS WESTERWELLE – EINS KÖNNEN SIE ALLE: GROSSE SPRÜCHE KLOPFEN! VERBALE VERWIRRUNGEN SIND DABEI KEINE SELTENHEIT. WELCHER SPRUCH GEHÖRT ZU WELCHEM KOPF?! VERSUCHE, DIE BUCHSTABEN DEN RICHTIGEN ZAHLEN ZUZUORDNEN.


DIE SUCHT NACH DER GESCHICHTE...S.10

WENIGER FAST-FOOD-JOURNALISMUS - DAS FORDERT GÜNTER BARTSCH, GESCHÄFTSFÜHRER DER INITIATIVE NETZWERK RECHERCHE. NUR HOCHWERTIGER JOURNALISMUS RETTET DIE MEDIENLANDSCHAFT, GLAUBT DER 30-JÄHRIGE. DAFÜR CHECKT ER SEINE TEXTE GERNE EIN ZWEITES MAL.

TÖDLICHER IRRTUM: DAS DESIGN WAR SCHULD... S.11

DESIGNER ENTWERFEN PRODUKTE, DIE UNS TÄGLICH UMGEBEN. DIE DINGE, DIE SIE GESTALTEN, KÖNNEN NUTZEN ODER SCHADEN. ABER KÖNNEN SIE AUCH DIE GANZE WELT ZUM BESSEREN VERÄNDERN? JA, SOLANGE DESIGNER SICH VERANTWORTLICH VERHALTEN, SAGT BORIS BUCHHOLZ.

EIN STAPEL VOLLER GLÜCK…S.12

WIE VIEL IST DEN DEUTSCHEN EINE GUTE REPORTAGE HEUTZUTAGE NOCH WERT? GIBT ES FREIEN JOURNALISMUS NUR NOCH ZWISCHEN HARTZ IV UND SELBSTAUFGABE? EXISTENTIELLE FRAGEN, DIE SICH IN ZEITEN DER WIRTSCHAFTSKRISE UND DES WACHSENDEN ONLINE-JOURNALISMUSVIELE FREIE JOURNALISTEN STELLEN.

LINKE ÄSTHETIK: KLASSIKER AUFGEFRISCHT...S.16

LINKE SIND FREIGEISTER UND INDIVIDUALISTEN- WENN MAN NICHT SO GENAU HINSCHAUT JEDENFALLS. DOCH AUCH DER GRÖSSTE QUERDENKER SUCHT GLEICHGESINNTE UND TRIFFT SICH MIT MARX, CHÉ UND DEN ANDEREN GENOSSEN MITTEN IN DER KLISCHEEKISTE.


EDITO R I A L Endlich wieder politikorange! 21 junge Nachwuchsmedienmacher aus ganz Deutschland haben vier Tage und fünf Nächte auf der 7. Linken Medienakademie in Berlin fotografiert, geschrieben, entworfen und gemeinsam gleich zwei Zeitungen mit spannenden Artikeln auf die Beine gestellt.

JOURNALISMUS: EIN ROTES TUCH?

VIER TAGE LINKE MEDIENAKADEMIE NEHMEN HEUTE IHR ENDE. VON 950 TEILNEHMERN WIRD GESPROCHEN. KRITISCH WOLLEN SIE ALLE SEIN, ABER WIE SIEHT ES MIT DER OBJEKTIVITÄT BEI DER BERICHTERSTATTUNG AUS? VON JANINA GUTERMANN UND NATASCHA VERBÜCHELN

Wir diskutierten mit Akteuren der Medienbranche über die Unabhängigkeit im Journalismus; auch wenn die Berufsaussichten schon mal besser waren. Wenn junge Journalisten ihr Potential entfalten kommt das heraus, was dieses Magazin ausmacht: junger, frischer, fruchtiger und selbstgepresster Journalismus. Bewegte Bilder der Linken Medienakademie gibt es auch. Unser TV-Team führte packende Interviews und hat das Geschehen in Bild und Ton eingefangen.

Abgerundet wird die grafische Neuausrichtung durch unser neues Logo. Der Mediengestalter Marc Seele entwarf eine neue Wort- und Bildmarke für uns. Damit haben wir einen neuen Begleiter, der unsere Haltung auf den Punkt bringt. Wo einst Transformatoren gebaut, Fernsehtechnik montiert und Starkstromkabel gefertigt wurden, haben wir auf dem Campus der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Köpenick recherchiert, mit welchem rhetorischen Rüstzeug sich der linke Klassenkämpfer neuerdings auf die Straße begeben möchte. Dazu stellten sich unsere Redakteure die Frage, ob es das Adjektiv „links“ wirklich braucht oder was es eigentlich bedeutet. Denn auch die „LiMAisten“ sind sich bei dieser Frage nicht ganz einig. Trotz Werbeanzeige konnten wir wie gewohnt unabhängig berichten und den interessantesten Geschichten nachspüren. Wir hoffen jetzt, dass die mitreißenden Artikel und zahlreichen spektakulären Bilder unserer Fotografin Julia Kneuse durch das neue Gewand noch mehr Leser gewinnen. Denn das haben wir vielleicht mit den Linken hier auf der Linken Medienakademie gemein: ein bisschen Veränderung darf schon sein. Und jetzt viel Spaß mit der ersten politikorange im neuen Jahrzehnt!

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KLAPPE UND ACTION: AUF DER LIMA WAR DIE FARBE ROT ALLGEGENWÄRTIG.

„Zeichen setzen“ – das will LiMAOrganisator Christoph Nitz mit der siebten Auflage der Medienakademie. Zeichen, die gefärbt sind von einer politischen Richtung. Rote Zeichen leuchten, doch über die Strahlkraft lässt sich diskutieren. Denn ein Medienkongress, der so stark einer politischen Richtung verhaftet ist, wirkt schnell ein wenig einseitig. Wie objektiv und kritisch kann der einzelne da noch bleiben? VERZAUBERT ODER VERHEXT

Die LiMA ist kein gewöhnlicher Medienkongress. Er hat eine politische Färbung – sowohl bei den Dozenten wie auch bei den Teilnehmern. Was sie verbindet, ist die politische Ausrichtung: „Die Teilnehmerschaft ist sehr breit gefächert. Es gibt Anfänger und Profis, haupt- und ehrenamtliche Journalistenalle unterschiedlichen Alters. Das macht die Magie dieses Kongresses aus“, sagt Nitz. Verzaubern lässt sich jeder gerne. Doch wer will verhexten Journalismus lesen? Umgeschriebene PR-Texte statt investigativer Recherche: Auch Nitz, selbst Redakteur für die linksgeprägte Tageszeitung „Neues Deutschland“, kennt das Problem: „Wenn etwas schief läuft, wollen Parteien und Unternehmen, dass nicht darüber berichtet wird. Sie versuchen die Berichterstattung zu beeinflussen. Die Le-

ser dagegen wollen vom Blick hinter die Fassade lesen.“ Ein Dilemma, dem sich auch die Teilnehmer der LiMA, die größtenteils selbst Journalisten sind, stellen müssen. KRITISCH TROTZ POLITISCHER GESINNUNG

Wie bleibt man objektiv und kritisch, wenn Dozenten, Veranstalter und Umgebung so einfarbig sind? „Ich bin hier, um mich inspirieren zu lassen. Dass es eine linke Veranstaltung ist, ist für mich unproblematisch. Ich picke mir ja immer das heraus, was mir interessant oder relevant erscheint. Somit filtere ich das Angebot“, erklärt Meryem Atam, die als Freie für den WDR arbeitet. Auch der linke Journalist Wilfried Nodes glaubt, dass der ideologische Abstand automatisch eingehalten wird: „Journalisten haben zwar eine eigene Meinung, aber auch das Handwerkszeug, um eine professionelle Haltung zu transportieren. Von einem Plakat ,Nazis raus‘ wird er sich nicht beeinflussen lassen.“ Nitz lässt sich nicht davon abhalten, kritisch über die Politik der Linken zu sprechen und zu berichten: „Die Zeitung ist mir oft nicht konsequent genug. Vor allem die Linken vermischen Kommentar und Bericht sehr gerne. Die halten die Leser teilweise für so blöd, dass sie den Unterschied nicht

merken würden. Wenn die Linkspartei etwas Schlechtes gemacht hat, dann berichte ich auch kritisch darüber.“ Trotz allem, die Linke Medienakademie bleibt eine Erfolgsgeschichte. Vor sieben Jahren startete Nitz mit zwei Dozenten und zwölf Teilnehmern. Dieses Jahr spricht er von 950 Teilnehmern. Eine Zahl, die beim Anblick der schier endlosen Gänge, der leeren Mensa und dem vorbildlichen Betreuungsverhältnis zwischen Dozenten und Workshop-Teilnehmern allerdings ein wenig gigantisch wirkt. MEHR COULEUR FÜRS NÄCHSTE JAHR

Dennoch, das Interesse der linken Medienmacher an der Veranstaltung wächst Jahr für Jahr. Die einfarbige Teilnehmerschaft hebt den Kongress von anderen ab. Und dies will Nitz auch auf jeden Fall beibehalten. Ein wenig mehr inhaltliche Reizpunkte kann er sich aber gut vorstellen: „Wenn bei den Diskussionsrunden stark konträre Meinungen geäußert würden, wäre das schon interessant. Das werden wir uns für das nächste Jahr überlegen“, versprach Christoph Nitz. Wenn Gysi mit Politikgrößen wie Merkel, Westerwelle oder Steinmeier über die Macht der Rhetorik diskutieren würde – dann würden auch bleibenden Zeichen gesetzt, deren bunte Färbung nicht so schnell verwischt.

Foto: Julia Kneuse

In den vergangenen acht Jahren politikorange haben wir uns ständig weiterentwickelt. So wurden wir multimedialer, und mit unserem neuen Layout nun magaziniger. Durch die konzeptionelle Grundgestaltung von Kai-Uwe Kehl haben wir ab jetzt mehr Raum für Bildsprache und eine ergonomischere Typographie. Sebastian Wenzel goss unsere Inhalte in diese neue Form.


RECHTHABER VON BERUF

GUTE RHETORIKER BEHERRSCHEN DIE KUNST, ZU REDEN UND ZU ÜBERZEUGEN. MIT WAHRHEIT UND ÜBERZEUGUNGEN NEHMEN SIE ES ALLERDINGS NICHT IMMER SO GENAU. DIE GRENZE ZWISCHEN REDEKUNST UND POPULISMUS IST FLIESSEND. VON TIMO BRÜCKEN

Martin lässt die Bombe platzen: „Meine Damen und Herren, unser Land ist unterwandert von selbstherrlichen Snobs: den Bayern!“ Er fordert, das südlichste Bundesland solle vom Rest Deutschlands abgespalten werden. Der Freizeit-Rapper poltert, spitzt zu und haut auf den imaginären Tisch. Die Szene wirkt ein wenig absurd: In Baggy-Pants und Rasta-Mütze steht Martin vor den Teilnehmern eines Rhetorik-Workshops und spricht von Patriotismus in Deutschland. Von äußerlichen Widersprüchen lässt sich Martin aber nicht beirren und vertritt glaubwürdig seinen Standpunkt – vollkommen egal, wie viel eigene Überzeugung in dem steckt, was er gerade erzählt: Erst vor zwei Minuten hat er sein Redethema erfahren, zieht rhetorisch aber bereits alle Register. FÜHREN RHETORIKER IHRE MITMENSCHEN GEZIELT HINTERS LICHT?

GREGOR GYSI ALS PLAPPERNDES VORBILD

Nur meckern, aber nichts besser machen – diesen Vorwurf bekommt auch die Partei Die Linke oft zu hören. Linkspartei und Populismus werden oft im selben Atemzug genannt. Kirchner kann das nicht nachvollziehen: Für ihn zeichnet sich die Linke vor allem durch besondere Rhetorik-Fähigkeiten aus. Auch andere Parteien hätten ihre Talente, zum Beispiel Sigmar Gabriel (SPD) oder Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU). Aber die Linke sei dem Rest deutlich überlegen, glaubt er. „Das muss ich als Parteimitglied natürlich so sagen.“ Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Rhetorik-Coach als bestes Beispiel Gregor Gysi nennt. Der Fraktionsvorsitzende spricht auf der Linken Medienakademie (LiMA) zur „Kunst der Rede in der Politik“. Der Fraktionsvorsitzende der Linken hält eine Rede übers Reden halten – was könnte passender sein? Schließlich gilt Gysi bei vielen als Rhetorik-Ass, erntet aber bisweilen Populismus-Vorwürfe. Bei der LiMA bietet Gysi

ein wahres Schauspiel, das zwar inhaltlich wenig zum Thema Rhetorik aussagt, aber darüber hinaus viel Anschauungsmaterial liefert. Der Einmeterfünfundsechzig-Mann lässt seinen Charme spielen, reißt Witze und plaudert aus dem Nähkästchen. Eine Hand steckt dabei lässig in der Hosentasche, während die andere die Worte mit Gesten unterstreicht. Das ständige Grinsen auf seinem Gesicht wirkt immer dann besonders zufrieden, wenn er das Publikum ein weiteres Mal zum Lachen gebracht hat. Die Zuhörer fressen Gysi förmlich aus der Hand und verzeihen schnell, dass er lieber witzige DDR-Anekdoten zum Besten gibt, als wirklich etwas zur „Kunst der Rede“ zu sagen. Das Publikum hängt an seinen Lippen, wenn er Helmut Kohl imitiert und zahlreiche Lacher erntet. Man merkt schnell: Hier ist ein wahrer Rede-Profi am Werk. „LINKE KÖNNEN NICHT VEREINFACHEN“

Neben der großen Charmeoffensive sagt der Bundestagsabgeordnete auch etwas zum Thema: Rhetorik sei ein Instrument, „das der Wahrheit dienen kann, aber nicht muss.“ Für ihn diene sie vor allem zur Übersetzung schwieriger Sachverhalte. Er selbst versucht, mit einfachen Beispielen den Kern einer Sache bloßzulegen: „Damit auch jede Verkäuferin versteht, was ich meine, wenn sie mich nur eine Minute am Tag in der Tagesschau sieht.“ Um in so kurzer Zeit nicht zu oberflächlich zu bleiben, brauche man allerdings rhetorische Fähigkeiten. Und daran fehle es in Deutschland, besonders bei den Linken. Das Problem: „Linke können nicht vereinfachen.“ Gysis Lösung: mehr Rhetorik-Lehrstühle. Spekuliert er da etwa selbst auf einen Posten?

Timo Brücken, 23 Jahre, Landau Studiert in Landau Sozialwissenschaften und schreibt für die Rheinpfalz sowie back view.

Foto: Julia Kneuse

Es sei gar nicht nötig, hinter dem zu stehen, was man vermitteln wolle, sagt Rhetorik-Trainer Moritz Kirchner. Ein wahrer Redekünstler könne sein Publikum auch von etwas überzeugen, an das er selbst nicht zu 100 Prozent glaube. Andere würden das vielleicht lügen nennen, Kirchner nennt es gute Rhetorik: „Das Politikerdasein besteht eben nicht nur daraus, seine eigenen Positionen zu vertreten. Fremde Meinungen zu verteidigen, kann doch auch sehr bereichernd sein.“ Rhetorik bedeutet im Grunde nur: „Man selbst hat erst einmal Recht und der andere nicht“, sagt Kirchner. Den griechischen Begriff könne man mit den Worten „Redekunst“ und „Redetechnik“ übersetzen, aber auch als „Redelist“, erklärt sein Kollege Vitalij Spak. Führen Rhetoriker also hinters Licht? Die Profis winken ab: „Die eine Wahrheit gibt es sowieso nicht. Rhetorik ist ein Wert an sich.“ Schließlich floriere sie vor allem in Gesellschaften mit freier Meinungsäußerung. Meinungsfreiheit heißt aber auch, Politikern Populismus vorwerfen zu dürfen. Oft geschieht dies im selben Satz mit dem Wort Rhetorik. Redebegabte gelten schnell als Populisten. Sind Rhetorik und Populismus identisch? Nein, das müsse man trennen, sagt Moritz Kirchner. Rhetorik sei die „Zuspitzung und Verbildlichung“ von Themen – etwas pointiert auszudrücken und den Menschen Bilder in den Kopf zu pflanzen. Populisten neigten hingegen zur „Übervereinfachung“. Sie würden die Dinge „zu flach machen“ und ständig Kritik üben, ohne selbst Lösungen anbieten zu können.

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„PR? DAS IST DOCH WIRKLICH EINE NEOLIBERALE SCHEISSE!“ RAUS AUS DEM ELFENBEINTURM

PUBLIC RELATIONS MÜSSEN GEWOLLT UND GEKONNT SEIN. AUCH LINKE WOLLEN IN DER MEDIALEN WELT MITSPIELEN. DOCH NICHT SELTEN STEHEN SIE SICH SELBST IM WEG. VON BEA MARER Seitenweise Bleiwüsten, spärlich besuchte Demos und Podiumsdiskussionen mit leeren Sitzreihen sind typische Fälle von gescheiterten oder fehlenden Public Relations (PR) linker Gruppen. Warum klappt das, was bei anderen scheinbar gut funktioniert bei den Linken nicht richtig? Möglicherweise liegt es am Begriff selbst, der unter Linken fast ein Schimpfwort ist. „Neoliberale Kackscheiße“, so bezeichnet es der Schüler Tobias. Damit ist er in der linken Szene nicht allein. Dabei bedeutet PR nichts anderes als Öffentlichkeitsarbeit. Die Werkzeuge der PR sind immer gleich: Pressemitteilungen, Pressekonferenzen oder auch der eigene Internetauftritt. Vielen linken Gruppen fehlt schlicht das Know-how für gute Öffentlichkeitsarbeit. So scheint beispielsweise der journalistische Leitsatz KISS (keep it short and simple) den wenigsten bekannt zu sein: „Flyer mit 30 Seiten in Schriftgröße 12, das liest natürlich niemand“, sagt Laszlo Strzoda von der Redaktion des linken Magazins Prager Frühling.Auch lauwarme Nachrichten kommen in der schnellen Medienwelt nicht an. Das passt oft nicht mit der langatmigen und umfangreichen Diskussionskultur der Szene zusammen. Pressemitteilungen, die erst „nächste Woche im Plenum“ diskutiert werden sollen, sind für Medien nicht mehr wichtig. UND IMMER

erkannt werden. Auch bei den Public Relations für die LiMA wäre noch viel mehr zu tun gewesen. So urteilt Nitz: „Wir müssen da durchaus selbstkritisch sein und die PR im nächsten Jahr ausbauen.“ Zwar stehen im Veranstaltungsprogramm zahlreiche Public-Relations-Workshops – vom Schreiben einer Pressemitteilung bis zum modernen Webauftritt – die sich auf der unübersichtlichen Website der Linken Medienakademie befinden: „Wir haben die Homepage nur so schlecht zusammenbauen lassen, damit sie als negatives PR-Beispiel stehen kann“, sagt Christoph Nitz.

sonalisierung von Themen und nehmen dafür in Kauf, für manchen Berichterstatter zu sperrig zu sein.“ Schon bestimmte Schreibweisen können die PR bremsen, wie gegenderte Presseinformationen. Denn Redaktionen berücksichtigen die geschlechtergerechte Bezeichnungen meistens nicht und müssten selbst gute Texte erst an ihre Richtlinien anpassen. Jedoch fehlt dafür oft einfach die Zeit.

HILFE, DIE BILDZEITUNG

Ein weiteres Problem sieht Christoph Nitz beim Agenda Setting der Linken: „Oft sind Linke schlecht organisiert.“ Zu oft kämen nur Reaktionen auf Ereignisse, anstatt medienwirksame Initiativen. Unorganisierte Linke hält Frauke Distelrath hingegen für ein Klischee. Die Bewegung Attac sei ein Beispiel für gut organisierte, qualifizierte linkspolitische Arbeit. „Was für Projekte wir ehrenamtlich stemmen, verwundert sämtliche PR-Agenturen“, so die Pressesprecherin, die vor allem auf das medienwirksame Attac-Plagiat der Wochenzeitung Die Zeit verweist. Die Resonanz darauf war groß. Allerdings wurde mehr über die hohe Qualität der Fälschung als über deren linken Inhalt berichtet. Distelrath kennt dieses Problem. „Linke haben es schwerer, mit ihren Themen gehört zu werden.“ Das wird nur klappen, wenn linke Gruppen nicht bereits nach einer erfolglosen Pressemitteilung das Handtuch werfen.

FRAGT NACH

Einige Linke haben ihre festen Prinzipien für Public Relations. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke von den Linken ist gegen Medienpräsenz um jeden Preis. Sie rede grundsätzlich nicht mit Journalisten vom Axel Springer Verlag. Denn sie erwarte keine faire Einstellung gegenüber ihrer Partei: „Die Springer Presse sollte für den parteiinternen Diskurs absolut tabu sein.“ So kategorisch sehen es nicht alle. „Die Bild-Zeitung schreibt ja nicht nur Blödsinn“, sagt Christoph Nitz, der auch LokalPolitiker für Die Linke in Berlin-Köpenick ist. Aber man solle sich eben genau überlegen, in welchem Medium man mit seinem Thema vertreten sein möchte.

DIE EIGENE SUPPE PUBLIC RELATIONS

Für Strzoda liegt das Problem mitunter darin, dass viele sich in ihrem Elfenbeinturm nur mit innerlinken Debatten beschäftigen. Sie schaffen es nicht, ihre Themen nach außen zu tragen und das Internet für sich zu nutzen. „So erreicht man natürlich keine gesellschaftlichen Veränderungen“, sagt Strzoda. Diese Meinung teilt auch Christoph Nitz, der jedes Jahr die Linke Medienakademie (LiMA) organisiert: „Linke und alternative Kreise haben oft Schwierigkeiten, sich den Mediengepflogenheiten anzupassen.“ Der erste Schritt ist getan, wenn die Defizite der eigenen Öffentlichkeitsarbeit zumindest

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„VERPEILT? IM GEGENTEIL!“

VERSUS IDEOLOGIE

In den Medien präsent zu sein und dennoch seinen Inhalten treu zu bleiben, fällt nicht leicht. Gerade linke Positionen tendieren zu schwer vermittelbarer Komplexität. Das Problem sieht auch die Pressesprecherin von Attac, Frauke Distelrath: „Man muss sich überlegen, was der Preis ist, wenn man an seiner Ideologie festhalten möchte.“ Sie hat die Erfahrung gemacht: Wer sich weniger verbiegt, wird auch mit weniger medialer Aufmerksamkeit rechnen müssen. „Wir stellen uns gegen Per-

Bea Marer 21 Jahre, Berlin Studiert Politik und Ethik an der FU Berlin und ist Mitglied der Junge Presse Berlin e.V.


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Foto: Julia Kneuse

SELBST LINKE LASSEN SICH MIT DEN RICHTIGEN PR-INSTRUMENTEN INS RECHTE LICHT RÜCKEN.


SPRUCHREIF!

VON WAGENKNECHT BIS WESTERWELLE – EINS KÖNNEN SIE ALLE: GROSSE SPRÜCHE KLOPFEN! VERBALE VERWIRRUNGEN SIND DABEI KEINE SELTENHEIT. WELCHER SPRUCH GEHÖRT ZU WELCHEM KOPF?! VERSUCHE, DIE BUCHSTABEN DEN RICHTIGEN ZAHLEN ZUZUORDNEN. VON LAURA BOHLMANN UND SOPHIE HUBBE

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Foto: Zentralrat der Juden in Deutschland

A

1. „Um dem braunen Gedankengut Foto: US Library of Congress‘s Prints and Photographs Division

den Nährboden zu entziehen, gilt es, die junge Generation aufzuklären und sie in ihrem Selbstwertgefühl und in ihrem Demokratiebewusstsein zu stärken.“

2. „In Deutschland kann es keine Revolution geben, 4. „Bisher ist es so, dass den

weil man dafür den Rasen betreten müsste.“

Banken Milliarden zur Verfügung gestellt werden. Den ‚kleinen Leuten‘ aber wird kaum geholfen.“

bt es im der DDR.“ in ie w ig en w so en eb lismus

3. „Wirkliche Demokratie gi Kapita

Foto: Elke Wetzig/wikipedia.de

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5. „Ein Stück Apartheid findet

mitten unter uns statt – in unserer De

mokratie.“

6. „Wir werden nicht länger zusehen, dass bei den Großen der Bundesadler kommt und bei den Kleinen der Pleitegeier.“ \\ 8


Foto: Codeispoetry/wikipedia.de

8. „Die linke Mehrheit bei Wahlen sollte

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perspektivisch zu einer linken Regierungsmehrheit führen.“

7. „Zweimal Hausaufgaben Foto: www.kremlin.ru

nicht gemacht, Kindergeld um 50 Prozent gekürzt.“

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Foto: Bundesbank

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Foto: Willi Wallroth

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LÖSUNG

9. „Ich rede nur mit Journalisten, die meiner Meinung sind.“

Josef Stalin: A2. Charlotte Knobloch: B1. Günter Wallraff: I5. Hans-Christian Ströbele: C8. Wladimir Wladimirowitsch Putin: D9. Thilo Sarrazin: E7. Sahra Wagenknecht: F3. Guido Westerwelle: G6. Lothar Bisky: H4. Günter Wallraff: I5.

Foto: www.guido-westerwelle.de

Foto: own photo/wikipedia.de

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DIE SUCHT NACH DER GESCHICHTE

WENIGER FAST-FOOD-JOURNALISMUS DAS FORDERT GÜNTER BARTSCH, GESCHÄFTSFÜHRER DER INITIATIVE NETZWERK RECHERCHE. NUR HOCHWERTIGER JOURNALISMUS RETTET DIE MEDIENLANDSCHAFT, GLAUBT DER 30-JÄHRIGE. DAFÜR CHECKT ER SEINE TEXTE GERNE EIN ZWEITES MAL. VON NATASCHA VERBÜCHELN

Die Initiative Netzwerk Recherche kennt fast jeder Journalist, nur sein Gesicht ist oft unbekannt: Günter Bartsch ist seit August des vergangenen Jahres der Geschäftsführer des Interessenverbandes. Der 30-jährige Politologe aus Füssen im Allgau ist als Freier Journalist für verschiedenen Medien tätig und schreibt im Hauptstadtblog über seine Berlin-Erlebnisse. Bei Netzwerk Recherche macht er sich für mehr Mut zu vernachlässigten Themen stark. Der Verein bietet dazu verschiedene Seminare, zum Beispiel zu den Themen Interview, Fact-Checking und Undercover-Recherche an.

Herr Bartsch, was verstehen Sie unter einer guten Recherche? „Es geht darum, nach etwas zu suchen. Rechercheure fördern Dinge zutage, die ohne dieses Suchen nicht publik würden. Das ist der Unterschied zur inzwischen leider weit verbreiteten Praxis, bloß Pressemitteilungen, Agenturmeldungen oder Pressekonferenzen zu verarbeiten oder aus Wikipedia-Artikeln abzuschreiben. Viele Kollegen, die sich lange mit einem Themenbereich beschäftigen, berichten, dass ihnen Themen regelrecht zufliegen – das funktioniert aber nur, wenn man sich Spezialgebiete sucht und mit Ausdauer dran bleibt. Investigativer Journalismus braucht Zeit: Man führt Gespräche, wertet Studien aus, nutzt das Internet als Quelle. Aber die Arbeit lohnt sich: Die Ergebnisse guter Recherche sind das, was den Journalismus spannend macht.“ Netzwerk Recherche kämpft für mehr investigativen Journalismus. Sind die deutschen Journalisten denn so faul? „Die Erfahrung zeigt uns, dass es viele Geschichten mit inhaltlichen Mängeln gibt, die nicht sein müssten. Das hat oft mit mangelnder Ausstattung der Redaktionen zu tun, manchmal mit der Bequemlichkeit der Journalisten, aber

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ALLEIN AUF WEITER FLUR: NETZWERK RECHERCHE KÄMPFT FÜR INVESTIGATIVEN JOURNALISMUS.

auch mit unzureichender Ausbildung. Ich glaube aber nicht, dass es Fast-Food-Journalismus sein wird, der die Medien aus der Krise holt. Gute Arbeit wird honoriert – von Lesern und Anzeigenkunden.“ In welchen Bereichen besteht Ihrer Meinung nach denn noch Potenzial zur Recherche? „Davon kann man nicht genug haben. Ich sehe aber gerade im lokalen und regionalen Bereich große Chancen. Viele Lokalredaktionen neigen dazu, sich für Themen zu entscheiden, die schnell gemacht werden können – Terminjournalismus könnte man sagen. Aber gerade regionale Tageszeitungen können von einem starken Lokalteil nur profitieren. Ich denke sogar, dass dies der einzige Weg ist, dauerhaft zu überleben. Denn wo liegen exklusive Inhalte, die nicht von Spiegel Online und anderen abgedeckt werden? Für bundesweite Themen müssen die Leute heute nicht mehr unbedingt die Regionalzeitung abonnieren, gerade die Jüngeren holen sich die Informationen längst kostenlos im Internet.“ Im World Wide Web gibt es heutzutage breit gefächerte Informationen zu allen Themen. Einen Begriff in eine Suchmaschine einzugeben geht schneller, als in Büchereien oder Archiven zu wälzen. Ist Recherche dadurch nicht viel einfacher geworden? „Das Internet ist ein sehr wichtiges Recherchemedium. Aber man darf nicht Gefahr laufen, zu glauben, im Internet ließe sich alles finden. Man muss Leute persönlich treffen, in Bücher schauen und bewusst zum Telefonhörer greifen. Oft erfährt man über ein persönliches Gespräch etwas, das im Netz noch gar nicht steht.“

Eine gute Recherche braucht sehr viel Zeit, sagen Sie. Zeit aber ist kostbar. Und Kosten haben die Verlage schon zu genüge. Wie kann man den investigativen Journalismus in Zeiten der Finanzund Wirtschaftskrise überhaupt finanzieren? „Solche Krisen werden von manchem Verlag auch gern als Vorwand für Einsparungen genutzt. Aber natürlich muss man sich Gedanken darüber machen, ob private Medien auch in Zukunft in der Lage sind, Journalisten genug Ressourcen für aufwändige Recherchen zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe das. In den USA, wo die Medienkrise schon weiter fortgeschritten ist, gibt es inzwischen allerdings auch stiftungsfinanzierte Recherche-Redaktionen wie ProPublica. Solche Projekte beobachte ich mit großem Interesse.“ Wirft man einen Blick in die Fernsehzeitung, fallen auf den besten Sendeplätzen vor allem Unterhaltungssendungen auf. Auch Zeitungen und Magazine entscheiden sich immer häufiger für „weichere“ Themen. Der Leser oder Zuschauer scheint unterhalten und nicht aufgeregt werden zu wollen. Lohnt sich die Mühe einer aufwendigen Recherche dann überhaupt? „Schwer zu sagen, ein hohes Maß an Unterhaltung in den Medien ist ja nicht zu übersehen. Es gibt aber auch gute Reportagen auf schlechten Sendeplätzen, die erstaunlich hohe Zuschauerzahlen erreichen. Eine Nachfrage nach seriösen Medien ist auf jeden Fall da. Die Verlage und Sender unterschätzen ihr Publikum viel zu oft.“

Der Alltag einer Redaktion ist stressig. Kann ein Journalist es überhaupt schaffen, immer alles gründlich zu recherchieren? „Es ist schon viel erreicht, wenn sorgfältig gearbeitet wird: Wenn man zum Beispiel Meldungen von Nachrichtenagenturen nicht blind übernimmt, sondern die Quellen vorab checkt. Dann ist man noch nicht unbedingt ein investigativer Journalist, aber es wird glaubwürdiger – zumal der Leser oder Zuschauer ja dank Internet selbst mehr Möglichkeiten hat, zu überprüfen, was hinter einer Nachricht wirklich steckt. Das verlangt von Journalisten umso mehr, akkurat zu arbeiten.“ Und wie sieht es bei Ihnen aus? Halten Sie sich für einen sorgfältigen Recherchierenden? „Jeder macht natürlich Fehler, aber ich versuche zumindest, möglichst sorgfältig zu recherchieren. Es reicht eben nicht, kurz über den fertigen Artikel zu lesen. Ich denke über die Plausibilität der Aussagen nach, überprüfe Zahlen und Namen. Auch wenn es Zeit kostet, es lohnt sich, einmal mehr genau hinzusehen.“

Natascha Verbücheln 20 Jahre, Krefeld Studiert Biologie sowie Deutsch auf Lehramt und arbeitet als Freie für die Rheinische Post.

Foto: Julia Kneuse

PERSÖ N L I C H


TÖDLICHER IRRTUM: DAS DESIGN WAR SCHULD

DESIGNER ENTWERFEN PRODUKTE, DIE UNS TÄGLICH UMGEBEN. DIE DINGE, DIE SIE GESTALTEN, KÖNNEN NUTZEN ODER SCHADEN. ABER KÖNNEN SIE AUCH DIE GANZE WELT ZUM BESSEREN VERÄNDERN? JA, SOLANGE DESIGNER SICH VERANTWORTLICH VERHALTEN, SAGT BORIS BUCHHOLZ. VON TIMO BRÜCKEN

NACHHALTIGKEIT ALS EIN MARKETING-VORTEIL.

Aber Buchholz geht es nicht nur um bedenkliche Produkte. Auch darüber hinaus könnten Designer etwas bewegen. Sein Credo ist die Nachhaltigkeit: „Eigentlich müssten wir in unserer Zeit ganz anders mit Ressourcen umgehen. Design kann dabei helfen.“ Das fängt zum Beispiel bei der Auflage von Print-Produkten an, die Buchholz „den größten CO2-Killer“ nennt, und reicht übers Aussuchen der Papiersorte bis hin zur Wahl der rich-

tigen Druckerei. „Wie viel, wie und bei wem drucke ich?“ – das seien in diesem Bereich die wichtigsten Fragen. „So kann Design helfen, den Klimawandel zu bremsen“, sagt Buchholz und fordert seine Kollegen auf, sich nicht nur als Techniker, sondern auch als Berater zu verstehen. Designer sollten ihren Auftraggebern neue Wege aufzeigen. „Nachhaltigkeit ist schließlich auch ein Marketing-Vorteil.“ Sind Designer also die neuen Weltverbesserer? „VIELE GESTALTER SIND LEIDER ZU UNPOLITISCH“

Zumindest können sie nach Buchholz` Meinung das Leben der Menschen ein bisschen angenehmer machen. Das so genannte Universal Design soll allen helfen, vor allem denjenigen, die körperlich in irgendeiner Weise eingeschränkt sind – beispielsweise Alten, Kranken oder Behinderten. Und nicht nur denen: Niedrigere Regale im rollstuhlgerechten Supermarkt oder Broschüren in großer Schriftgröße machen das Einkaufen und Lesen schließlich auch für alle anderen angenehmer. Man kann immer die Cornflakes im obersten Fach erreichen und muss nicht ständig eine Brille tragen. „Niemand wird ausgeschlossen“, sagt Buchholz.

derstand durch eine gestalterische Geste ausgedrückt: Als die Nazis sie zwangen, den Schriftzug „Arbeit macht frei“ selbst anzufertigen, hätten sie das „B“ einfach verkehrtherum angebracht, erzählt der Designer. So viel Mut lassen die meisten seiner Kollegen jedoch vermissen. „Nachhaltiges Design ist keine Massenbewegung“, gibt Boris Buchholz zu: „Aber sie wächst!“ Geld- und Zeitmangel halten die Mehrheit der Zunft aber anscheinend nach wie vor von Engagement und Rebellion ab. Allerdings bieten längst angestoßene gesellschaftliche Trends einen Ansatzpunkt für gestalterischen Einfluss, zum Beispiel die KlimaschutzDebatte. Boris Buchholz ist jedenfalls optimistisch: „Designer verändern immer die Welt. Und wer sich bewusst dazu entscheidet, übernimmt Verantwortung.“

Foto: Dmitriy Elyuseev/fotolia.de

„Design kann im schlimmsten Fall verletzen oder sogar töten“, erklärt Boris Buchholz. Der freischaffende Designer erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der irgendwo in Berlin mit einer Schreckschusspistole ein Geschäft überfallen wollte und dabei von der Polizei angeschossen wurde. Sein Verhängnis: Die Pistolenattrappe sah täuschend echt aus, weshalb die Beamten das Feuer eröffneten – das Design war schuld. „Muss es sein, dass eine nicht-scharfe Waffe genau so aussieht, wie eine scharfe“, fragt Buchholz schließlich und antwortet selbst: „Nein, muss es nicht. Und genau hier fängt die Verantwortung des Designers an.“ Nach seiner Meinung sind professionelle Gestalter für die Dinge, die sie entwerfen, verantwortlich: „Man muss sich immer fragen: Gibt es da vielleicht ein moralisches Problem? Was ist die Funktion des Produkts und ist sie klar erkennbar?“ Ein Spielzeug, das einer tödlichen Waffe zum Verwechseln ähnlich sieht, ist insofern eben bedenklich.

Aber auch höhere Ziele sollte seine Berufsgruppe ins Auge fassen: „Leider sind viele Designer jedoch vollkommen unpolitisch“, beklagt er. Dabei sei es so einfach: „Design ist ein politisches Mittel, das kleinste Symbol reicht.“ Schon die KZHäftlinge in Auschwitz hätten ihren Wi-

FRUCHTFLEISCH WELCHE ZEICHEN SOLLTE DIE LINKE MEDIENAKADEMIE SETZEN?

„BEKOMMEN“

„BEFÄHIGEN“

Fotos: Danilo Bretschneider

Foto: XXXXXy

„BELEBEN“

CELINE MEYER, 31 JAHRE, SCHWEIZ

MATTHIAS DÖRR, 44 JAHRE, FRANKFURT (ODER)

MITARBEITERIN BEIM BURMA-PROJEKT

BETREUER IN EINER BEHINDERTENEINRICHTUNG

FRANZISKA STIER, 25 JAHRE, KONSTANZ STUDIERT SOZIALWISSENSCHAFTEN

„DIE LIMA FINDET IN SCHÖNEWEIDE STATT.

„DIE LINKE MEDIENAKADEMIE SOLL DAS

„DIE TEILNEHMER SOLLEN HIER BEFÄHIGT WERDEN,

DAS IST EIGENTLICH EINE RECHTE HOCHBURG.

HANDWERKLICHE RÜSTZEUG DAZU GEBEN, EINE

EINE GEGENÖFFENTLICHKEIT ZUR POLITISCHEN MEI-

ALLEIN DAS IST EIN ZEICHEN.“

ANDERE ART VON MEDIEN ZU SCHAFFEN.“

NUNGSMACHE HERZUSTELLEN.“

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„ES IST SCHWER, GEGEN DIE GROSSEN DAMPFER ANZUKÄMPFEN“ EIN STAPEL VOLLER GLÜCK

WIE VIEL IST DEN DEUTSCHEN EINE GUTE REPORTAGE HEUTZUTAGE NOCH WERT? GIBT ES FREIEN JOURNALISMUS NUR NOCH ZWISCHEN HARTZ IV UND SELBSTAUFGABE? EXISTENTIELLE FRAGEN, DIE SICH IN ZEITEN DER WIRTSCHAFTSKRISE UND DES WACHSENDEN ONLINE-JOURNALISMUS VIELE FREIE JOURNALISTEN STELLEN. VON SOPHIE HUBBE Die goldenen Zeiten des Journalismus gehören schon lange der Vergangenheit an. Längere Arbeitszeiten, höherer Zeitdruck und niedrige Honorare machen vielen Journalisten zu schaffen. Kai Schächtele, Gründungsvorsitzender der „freischreiber“, möchte darauf aufmerksam machen, was auf dem journalistischen Schlachtfeld abgeht. „Es ist schwer gegen die großen Dampfer anzukämpfen, die zurzeit auf dem Meer unterwegs sind.“ Die Dampfer sind die großen Verlage, die ihre Inhalte immer häufiger von Freien anstatt von festangestellten Journalisten beziehen. Gerade für Berufseinsteiger ist es schwer sich auf dem Markt zu etablieren. Ein Patentrezept, wie man am besten seine Karriere startet, konnte keiner der Teilnehmer bei der von der Jugendpresse Deutschland organisierten Podiumsdiskussion liefern. MEHR MUT ZUR FREIWILLIGEN FREIHEIT

Der Freie Journalist steht als Einzelkämpfer gegen die Verlage oftmals hilflos da. Controller, die Geld sparen, kümmern sich hauptsächlich um die Sicherung der Zukunft des Unternehmens. Sie haben wenig Interesse an den Existenzkämpfen, mit denen sich Freie Journalisten täglich herumschlagen müssen. „Der Journalismus ist auf jeden Fall mehr wert, als für ihn bezahlt wird“, bekräftigt auch Eva Werner. Sie ist stellvertretende Pressesprecherin des Deutschen Journalisten-Verbandes und kennt somit die Sorgen vieler Journalisten. Nach über sechs Jahren Verhandlungen konnte sich ihr Verband mit den Verlegern auf Mindesthonorare für Freie Journalisten einigen. Diese sollen eine angemessene Vergütung sicherstellen und Dumpinghonorare verhindern. Das Problem: Viele Verlage halten sich nicht an die Vorgaben. Zwar könnten die Betroffenen die Honorare einklagen, doch zahlreiche Freie Journalisten scheuen den Rechtsweg. Zu groß ist die Angst davor, keine Aufträge mehr zu bekommen. Auch für den Freien Journalisten Andreas Kubitza ist klar, dass er sich nicht mehr dem redaktionellen Druck ausliefern möchte. Um nicht jeden Tag unter dem Zwang zu stehen, pünktlich seine Texte in

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der Redaktion abliefern zu müssen, hat er sich dazu entschieden, Medienpädagoge zu werden und den Journalismus zu seinem Hobby zu machen. Auch Kai Schächtele lebt vom Freien Journalismus. Er entschied sich ganz bewusst gegen eine Festanstellung. Denn während er als festangestellter Redakteur in seiner Positon fast nur organisierte, delegierte und Freie Journalisten betreute, kann er jetzt als Selbstständiger viel mehr selbst schreiben. Das ist genau das, was er wollte. Er erlebt immer wieder in seinem Alltag, dass viele Festangestellte die Freien als Journalisten zweiter Klasse ansehen, die es nicht zu einer festen Anstellung gebracht haben. Das Problem, dass die Anzahl der festangestellten Redakteure immer weiter schrumpft und Freie Journalisten gezwungen sind, für einen nicht vertretbaren Lohn zu arbeiten, liegt laut Konny Gellenbeck zu großen Teilen an der Entwicklung des Internets. Für die Leiterin der taz-Genossenschaft ist die große Schwierigkeit, dass es zur Gewohnheit geworden ist, Journalismus heutzutage umsonst zu bekommen. Die taz kann sich als unabhängiges Medium auch aus dem Grund halten, dass die Mitarbeiter ein geringeres Honorar akzeptieren, um so die Zeitung zu unterstützen.

sind nicht die Vorhöfe zur Hölle.“ Das Wesentliche für ihn ist dabei jedoch, die Arbeit nicht zu vermischen. Wer für Kunden PR-Arbeiten übernimmt und gleichzeitig über diese in journalistischen Artikeln berichtet, gerät sehr schnell in eine Glaubwürdigkeitsfalle. GEMEINSAM INTERESSEN GEGEN DIE VERLAGE DURCHSETZEN

In seinem Berufsverband für Freie Journalisten, der im November 2008 gegründet wurde, sieht Kai Schächtele viele Chancen für die freischaffenden Schreiber. „Wir müssen uns zusammentrommeln und dürfen nicht mehr alleine gegen die Verlage vorgehen.“ Für Eva Werner liegt die Hauptschwierigkeit Freier Journalisten in der Selbstvermarktungsfähigkeit. Viele Autoren besitzen nicht das Selbstbewusstsein sich zu verkaufen. Sie rät dazu, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen, um nach Alternativen zu suchen. Man sollte Ideen entwickeln und Rückgrat haben, diese zu präsentieren. „Man muss Niederlagen wegstecken können und mit Kritik klar kommen“, sagt sie. Journalismus sei trotz der Rahmenbedingungen ein erstrebenswerter Beruf. Bevor Journalisten diesen aufgeben, sollten sie alternative Wege ausprobieren und den Mut haben mal auf den Tisch zu hauen.

STRUKTURFEHLER IM MEDIALEN SYSTEM

Die Medienlandschaft darf sich laut Kai Schächtele allerdings nicht über Spenden finanzieren, denn Journalismus ist für ihn keine Wohltätigkeitsdienstleistung. Er fordert einen „gesellschaftlichen Diskurs“, indem klar gemacht wird, wie auch Freie Journalisten es schaffen können, weiterhin mit Leidenschaft und dennoch nicht am Rande der Existenz arbeiten zu können. Auch die von vielen verteufelte Öffentlichkeitsarbeit für Unternehmen oder Organisationen ist im täglichen Überlebenskampf der Medienvertreter für Eva Werner nicht moralisch verwerflich. Niemand könne Freien Journalisten vorwerfen, dass sie sich nicht jeden Monat um die nächste Miete sorgen wollen und für PR-Agenturen arbeiten. Kai Schächtele unterstützt diese Bemerkung. „PR-Agenturen

Die Zukunft, so die Hoffnung von Kai Schächtele, liegt in Zusammenschlüssen Freier Journalisten, kleine Gruppen, die sich rund um die großen Redaktionen bilden und mit neuen Ideen Alternativlösungen finden.

Sophie Hubbe, 19 Jahre, Berlin Studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.


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Foto: Julia Kneuse

VON WEGEN FREIHEIT: OHNE FESTANSTELLUNG STEIGT DER ARBEITSDRUCK.


FRISC H , F R U C H T I G , SE L BS T G E P R E SS T - M IT MACHEN@POLITIKORANGE.DE

IMPRESSUM Diese Ausgabe von politikorange entstand auf der 7. Linken Medienakademie, die vom 10. bis 14. März 2010 in Berlin stattfand. Herausgeber und Redaktion: politikorange – Netzwerk Demokratieoffensive, c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.jugendpresse.de

Als Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm erreicht das Mediennetzwerk politikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Jugendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive. POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM

WER MACHT POLITIKORANGE?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen, über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. Radiosendungen strahlen wir mit wechselnden Sendepartnern aus. Auf www.politikorange.de berichten wir live von Kongressen und Großveranstaltungen. Dort stehen bereits über 50 politikorange-Ausgaben und unsere Radiosendungen im Archiv zum Download bereit. WARUM EIGENTLICH POLITIKORANGE?

Junge Journalisten – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Knipser und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redaktionsteams sorgen dafür, dass politikorange immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugendpresse stehen mit Rat und Tat zur Seite.

In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugendlichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Handeln. politikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Engagement – denn politikorange ist frisch, fruchtig und selbstgepresst.

Wer heiß aufs schreiben, fotografieren, mitschneiden ist, findet Infos zum Mitmachen und zu aktuellen Veranstaltungen unter www.politikorange.de oder schreibt einfach an mitmachen@politikorange.de. Die frischesten Mitmachmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

Redaktion: Sophie Hubbe, Steffi Hentschke, Meiken Hindenberg, Bea Marer, Laura Bohlmann, Janina Gutermann, Yin Tsan, Timo Brücken Bildredaktion: Julia Kneuse (julia@kneuse. de), Danilo Bretschneider (d.bretschneider@ jugendfotos.de) Layout: Sebastian Wenzel (zeitungslayout@ sebastianwenzel.de) Koordination: Andreas Weiland (a.weiland@ jugendpresse.de), Sebastian Serafin (s.serafin @jugendpresse.de) Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH Auflage: 5.000 Exemplare Besonderer Dank: An Christoph Nitz (ermöglichte dieses Projekt), Kai-Uwe Kehl (verantwortlich für die Grundgestaltung) und Marc Seele (verpasste uns ein neues Logo)

Foto: Julia Kneuse

Foto: Julia Kneuse

politikorange wurde 2002 als Veranstaltungsmagazin ins Leben gerufen. Seit den Politiktagen gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Print und Online-Programm. 2004 erschienen die ersten Themenmagazine: staeffi* und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.

WIE KOMM’ ICH DA RAN?

Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Natascha Verbücheln (n.verbucheln@web.de), Christina Quast (christina.quast@udo.edu), C. Gregor Landwehr (christian@gregorlandwehr.de)

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LINKE ÄSTHETIK: KLASSIKER AUFGEFRISCHT

LINKE SIND FREIGEISTER UND INDIVIDUALISTEN – WENN MAN NICHT SO GENAU HINSCHAUT JEDENFALLS. DOCH AUCH DER GRÖSSTE QUERDENKER SUCHT GLEICHGESINNTE UND TRIFFT SICH MIT MARX, CHE UND DEN ANDEREN GENOSSEN MITTEN IN DER KLISCHEEKISTE. VON LAURA BOHLMANN, STEFFI HENTSCHKE UND JANINA GUTERMANN

Foto: Julia Kneuse

LINKE BOTSCHAFTEN KOMPAKT, LINIENGETREU SORTIERT.

MARX IST MODE! LILA IST DAS NEUE ROT!

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iMPERIALISMUSKRITIK

DAMIT DIE FEMINISTINNEN ZUFRIEDEN SIND: AUCH CHE GUEVARA WIRD GEGENDERT.

FREI NACH BISKY: BEI IDEOLOGISCHER SCHWEINEGRIPPE - NOTSCHLACHTUNG!


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