Kinderrechte M채rz 2012
unabh채ngiges THemenmagazin HERAUSGEGEBEN von der Jugendpresse DEUTSCHLAND e.V.
Foto, Titelfoto, R端ckseite: Raphael H端nerfauth
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In Zukunft auch mit Kindern
Edi tor i a l Liebe Leserinnen und Leser,
Wenn es um Kinderrechte geht, sind die Vortragenden meist schon lange aus den Kinderschuhen gewachsen. Die wirklichen Experten haben ihre Fachkonferenz „Rechte haben – Recht bekommen!“ leider verpasst – Eis essen und Kicken waren bei dem Wetter einfach verlockender. VON Bettina benzinger und jil blume. Foto: Florian Hirsch
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93 Mitglieder zählen die Vereinten Nationen, seit im vergangenen Juli auch die Flagge des Südsudan vor den UN-Gebäuden gehisst wurde. Viele Köpfe, viele Meinungen, viele Kulturen – aber in einem sind sich alle 193 Mitglieder einig: Kinderrechte sind wichtig. So wichtig nämlich, dass sich fast alle 193 Staaten offiziell zur UN Kinderrechtskonvention (UN-KRK) bekannt und diese ratifiziert haben. Einzig die USA und Somalia haben sie noch nicht in vollem Umfang bestätigt. Während ihr euch vermutlich als Jugendliche oder junge Erwachsene betrachtet, gilt für die meisten von Euch dennoch dieses Rechtewerk – definiert sie als ihre Schützlinge doch alle jungen Menschen bis zum Alter von 18 Jahren. Diese Konvention ist also ein Recht, das fast überall weltweit anerkannt ist. Trotzdem wissen viele Kinder und Jugendliche nichts von ihr. Und damit sind sie nicht allein: Selbst viele Politiker können spontan keinen einzigen Artikel der UN-KRK fehlerfrei benennen – das zeigt der Film „Nachgefragt“, den der Kinder- und Jugendbeirat des Kinderhilfswerks gedreht hat.
Kinderrechtsverletzungen – kein Thema in Deutschland?! Die KRK bietet Kindern Schutz vor Gewalt, vor Abschiebung und fordert Vorrang für ihr Wohl, bei jeder gerichtlichen oder politischen Entscheidung. Jedenfalls theoretisch. Erst im Juli 2010 sind die letzten Vorbehalte der Bundesregierung gegenüber der KRK aufgehoben worden, erst seit diesem Zeitpunkt wird Kindern, die in Deutschland Asyl suchen, auch Schutz garantiert. Doch in der Praxis hapert es: Das Netzwerk Pro Asyl bemängelt, dass „das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz minderjährigen Flüchtlingskindern ein Drittel weniger als Kindern im Hartz-IV-Bezug“ zugesteht. Außerdem gelten Flüchtlinge ab 16 Jahren in Deutschland als erwachsen – Kinderrechte gelten also selbst in Deutschland nicht für alle Kinder. Auch das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung wird nicht jedem Kind in Deutschland zu Teil: Mehr als 1,4 Millionen Kinder bekommen von ihren Eltern regelmäßig „Ohrfeigen“, das zeigt die Forsa- Umfrage „Gewalt in der Erziehung“, die die Zeitschrift „Eltern“ in Auftrag gegeben hat. Bedenklich, dass Gewalt gegenüber Kindern offensichtlich als legitimes Erziehungsmittel gilt, aber auch, dass wir zulassen, dass ein Schlag ins Gesicht eines Kindes in unserer Alltagssprache so verharmlost wird. Doch Kinderrechte sollen gestärkt werden: Die Wunderwaffe, die typisch für andere Menschenrechtsübereinkom-
Ein verrauschtes „Herzlich Willkommen“ und „Hereinspaziert“ zu dieser glohrreichen politikorange „Kinderrechte“! Ihr habt es geschafft, diese Ausgabe zu öffnen, ohne eine SkypeKonferenz zu starten, über eine Dropbox zu verfügen, ein orangenes Wiki zu betreten oder unser Spread- Sheet zu teilen… Damit habt Ihr auf jeden Fall jetzt schon weit weniger leisten müssen als das siebenköpfige Redaktionsteam – für das war nämlich Auftrag, Auftrag! Deadline, Deadline! und eine Skype Konferenz am Samstag Abend selbstverständlich. In nur wenigen Tagen brachte es sein erstes Kind zur Welt, das sogar über Vorder- und Rückseite verfügt. Und das, ohne sich einmal im Real Life begegnet zu sein. Da wurden aus Fremden Skypeund Facebook Freunde, aus Frühlingsverliebten und Grillfans redigierende Stubenhocker und aus Ahnungslosen waschechte Kinderrechtsexperten. Alles begann mit zwei kleinen Buchstaben: po. Aus dem Zusammenhang gerissen sorgten sie für Amusement, als Thema von 264 Emails der Chefredaktion für Erhellung, Verwirrung und das hier. Aber seht selbst…. Eure Chefredaktion Jil Blume und Bettina Benzinger
Experten im Gespräch: während der Fachkonferenz „Rechte haben – Recht bekommen“ der Friedrich-Ebert-stiftung wurde viel diskutiert.
men ist, soll in Zukunft auch Kindern an die Hand gegeben werden. Sie trägt den sperrigen Titel „Individualbeschwerdeverfahren“. Damit können sich Betroffene selbst an einen UN-Ausschuss wenden und Verletzungen ihres Rechts durch ihren Staat geltend machen – allerdings erst, nachdem der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist. Deutschland hat dies noch nicht ratifiziert. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, in Kürze soll der Gesetzestext ins Deutsche übersetzt und dann ratifiziert werden. Aber was können Kinder in Deutschland mit dieser neuen Waffe anfangen? Begriffe wie „Ratifizierung“, „Individualbeschwerdeverfahren“ und „Zusatzprotokoll“ gehen Siebenjährigen nun mal nicht ganz so leicht über die Lippen wie den verantwortlichen Politikern.
Bis zu jedem Kind! Das heißt: Es reicht nicht, Protokolle und verklausulierte Gesetzestexte zu unterschreiben – dieser Schritt ist längst überfällig. Kinder müssen außerdem jemanden haben, der ihnen ihre Rechte erklärt und der ihnen hilft, sie durchzusetzen. Die wichtigen Fragen lauten jetzt: Wie erfahren Kinder von ihren Rechten und der neuen Möglichkeit, sie durchzusetzen? Im Rahmen einer Ratifizierung ist Deutschland verpflichtet, über diese Änderung zu informieren. Ein erster Schritt ist die Fachkonferenz: „Rechte haben – Recht bekommen!“ am 23. März in Berlin. Hierzu haben die Friedrich Ebert
Stiftung, die Kindernothilfe und die National Coalition für die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland eingeladen. Experten aus der Kinder- und Jugendarbeit, Politiker und Organisationen zum Schutz von Kindern sollen sich hier abstimmen, wie sie in Zukunft erreichen wollen, dass das Individualbeschwerdeverfahren auch angewendet wird und nicht in irgendeinem Aktenordner verstaubt. Und noch in diesem Jahr, sobald die Bundesregierung das Zusatzprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren ratifiziert hat, wird es Info- Veranstaltungen geben. Auch mit Kindern und Jugendlichen, hat Carolin Söfker vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erklärt. Wer nicht so lange warten will, erfährt schon in dieser politikorange, wie Schulkinder Kinderrechte in Kunst verwandeln, Abiturientinnen sich für das Recht auf Bildung einsetzen und wie es um Kinderrechte weltweit steht.
Inha lt
»Übergestülpt« Wieso unser westliches Bild von Kinderrechten nicht überall funktioniert. Seite 08
»Untereifrig« Wie unsere Parteien Kinderrechte durchsetzen. Seite 10
»Unterdrückt« Wie wichtig Mädchenrechte in Afghanistan sind. Seite 15
»Überflieger«
Bettina Benzinger 25 Jahre, Hamburg Jil Blume 22 Jahre, Köln
Wie die 16-jährige Malin in Thailand Kinderrechte vorantreibt. Seite 16
… feiern die Redaktion und ihr wahrgenommenes Recht auf Beteiligung.
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Schritt für Schritt zu den kleinsten
Nur jedes siebte Kind kennt seine Rechte. Das sind entschieden zu wenige. Daher müssen Wege gefunden werden, wie Mädchen und Jungen von ihren Rechten erfahren können. Und dazu gehört Aufklärung – auch bei Politikern und Lehrern. Von Katrin Peyerl
Foto: Rüdiger Steiner
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ozu gibt es die Kinderrechte, wenn keiner sie kennt? Und das, obwohl es einen eigenen Artikel in der UN-Kinderrechtskonvention gibt, der sich ihrer Verbreitung widmet? Durch Artikel 42 sind die Vertragsstaaten nämlich dazu verpflichtet, über die Rechte des Kindes zu informieren. Genau das tut Heike Harrison, Mutter zweier Töchter aus dem Münsterland, die sich in ihrer Freizeit für Kinderrechte einsetzt. Wenn es nach ihr ginge, müsste genau diesem Artikel viel mehr Bedeutung zukommen, denn „nur jedes siebte Kind in Deutschland kennt seine Rechte“. Schließlich kann nur jemand, der seine Rechte kennt, die auch einfordern.
Kinderrechte gehören in die Schule Die zentralen Akteure zur Vermittlung der Kinderrechte sind für Heike Harrison vor allem die Lehrer. Diese gestalten den Lebensraum von Kindern mit, beeinflussen ihr Denken und Handeln. Deshalb fordert Harrison, dass Kinderrechte in den Lehrplänen verbindlich verankert werden. Dazu hat sie Petitionen an Kultusministerien und Landesregierungen versandt. Doch bislang hatte sie mit ihrem Einsatz nur in Nordrhein- Westfalen Erfolg. Dort hat sie erreicht, dass Kinderrechte verbindlich im Rahmen des Politikunterrichtes gelehrt werden. Die Vermittlung und Verbreitung der UN-Kinderrechtskonvention muss an mehreren Punkten ansetzten. Einmal müssen Eltern angesprochen werden. Vier von zehn Eltern geben ihren Kindern regelmäßig Klapse auf den Po, so eine Studie von Eltern und Forsa. Doch eigentlich verbietet Artikel 19 das im Zuge von „Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung“ . Damit Kinder sich gegen solche Verletzungen ihrer Rechte wehren können, müssen sie erst einmal wissen, was für Rechte sie eigentlich haben. Das erfahren sie zum Beispiel beim Projekt „Himmelsleitern für Kinderrechte“. Gemeinsam mit dem Künstler Rüdiger Steiner aus Wiesbaden setzen sie sich kreativ mit der UN-Kinderrechtskonvention auseinander. Sehr beliebt ist diese Aktion in Schulen und in Kinder- und Jugendeinrichtungen wie Jugendzentren. Bei diesem Projekt gestaltet jedes Kind eine Stufe der Leiter. Auf ihr soll es das Recht veranschaulichen, das es am wichtigsten findet. Stufe um Stufe entsteht so eine „Himmelsleiter für Kinderrechte“ , die dann öffentlich ausgestellt werden kann. Durch diese Aktion lernen also nicht nur die beteiligten
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Rechte veranschaulichen: Eine Kindergruppe beim Basteln und besprechen einer Himmelsleiter.
Mädchen und Jungen die Kinderrechte kennen, sondern auch die Menschen, die die Himmelsleiter sehen.
Zur Vermittlung brauchen wir Erwachsene Die Vermittlung von Kinderrechten findet auch im Internet statt. So gibt es Seiten, die Kindern Kinderrechte anschaulich und interaktiv näher bringen, wie www. für-kinderrechte.de. Entwicklerin Julia Wolke will mit der Website „die UN-Kinderrechtskonvention bekannter und für Kinder verständlich machen und Kinder darin stärken, für ihre Verwirklichung einzutreten“. Entstanden ist www.fuerkinderrechte.de 2008 auf einem Camp für Kinderrechte mit 1200 Kindern. Zielgruppe der Internetseite sind Mädchen und Jungen im Alter von sieben bis 14
Jahren. Auf der Seite gibt es zum Beispiel Geschichten zum Lesen und Anhören, in denen die Kinderrechte erklärt werden. Aber auch Aktionsideen, wie „Wir mieten uns einen Parkplatz!“: Für tausende Autos gibt es Parkplätze, während Spielplätze kaum vorhanden sind. Und das, obwohl Kinder ein Recht auf Spiel und Freizeit haben (Artikel 31). Um darauf aufmerksam zu machen, fordert die Aktion Kinder auf, in der Innenstadt einen Parkschein für einen Parkplatz zu ziehen und auf dem Parkplatz Hüpfspiele zu spielen oder den Parkplatz mit Straßenkreide zu bemalen. Was diese Homepage aber besonders auszeichnet ist, dass Kinder bei der Gestaltung und Umsetzung beteiligt sind und das schon von Anfang an. So bekommen sie direkt vermittelt, dass sie mitreden dürfen. Und letztlich bietet das Internet die Möglichkeit, dass
Inhalte aktuell bleiben und nicht, wie z.B. Bücher, veralten. So können aktuelle politische Entwicklungen, neue Gesetze oder Wettbewerbe zeitnah verbreitet werden. Aber damit sich für die Rechte von Kindern wirklich etwas verändert, müssen solche positiven Beispiele die Regel werden.
Katrin Peyerl 23 Jahre, Marburg …studiert Erziehungs- und Bildungswissenschaft und fand schon als Neunjährige Kinderrechte so wichtig, dass sie ihre Eltern ständig an ihre Rechte erinnerte.
Die Entwicklung der Kinderrechte
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gründen sich Organisationen, verabschieden Politiker Gesetze, alles im Auftrag des Kindeswohls. Katrin Peyerl stellt die wichtigsten Ereignisse vor. 1979 – Warschauer Konferenz
1924 – Genfer Erklärung Die Genfer Erklärung entsteht aufgrund von Bemühungen der Britin Eglantyne Jebb. Jebb kritisiert vor allem die Situation von Flüchtlingskindern in Russland und auf dem Balkan. Ihre Children`s Charter will erreichen, dass Kindern bestimmte Rechte eingeräumt und diese anerkannt werden. Der Völkerbund in Genf verabschiedet die Erklärung, aber ohne Rechtsverbindlichkeit. 1946 wird der Völkerbund aufgelöst, wodurch auch diese Erklärung – bekannt als Genfer Erklärung – ihre Bedeutung verliert.
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2011 – Individualbeschwerdeverfahren
Auf der Warschauer Konferenz regt die polnische Regierung an, einen Vertrag über die Rechte des Kindes auszuarbeiten. Die anderen Landesregierungen sehen Mängel in der Erklärung von 1959, die als Orientierung dient. Der Vorschlag wird daher abgelehnt. Es folgt eine zehnjährige Überarbeitungsphase, die dann in der UN-Kinderrechtskonvention mündet.
Ein weiteres Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention wurden den Regierungen zur unterzeichnung vorgelegt. Es ermöglicht Kindern bei Verletzung ihrer Rechte vor Gericht zu klagen.
2002 – Zusatzprotokolle 1959 – Erklärung der Rechte des Kindes
Mit ihrer Unterschrift der Zusatzprotokolle erkennen die Regierungsvertreter an, dass Kinder unter 18 Jahren nicht unter Zwang zum Militär geschickt werden dürfen. Freiwillig Militärdienstleistende müssen mindestens 16 Jahre alt sein. Außerdem wird festgelegt, dass Prostitution, Pornographie und Kinderhandel Straftaten sind und geahndet werden müssen. Dadurch sollen Kinder stärker vor Ausbeutung geschützt werden.
Die Erklärung der Rechte des Kindes wird am 20.11.1959 durch die UN verabschiedet. Sie gewährleistet Kindern unter anderem ein Recht auf einen Namen, Staatszugehörigkeit und kostenlose Bildung. Jedoch hat auch diese Erklärung keine Rechtsverbindlichkeit.
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1948 – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1902 – Jahrhundert des Kindes Die schwedische Pädagogin Ellen Key erklärt das 20. Jahrhundert zum Jahrhundert des Kindes. Damit läutet sie bereits bedeutende Entwicklungen für die Rechte der Kinder in den nachfolgenden Jahrzehnten ein.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen sichert allen Menschen gewisse Grundrechte zu. Für Kinder sind hier besonders die Rechte auf Schutz bedeutend.
1979 – Jahr des Kindes
1989 – Übereinkommen über Rechte des Kindes
20 Jahre nach der Erklärung der Rechte des Kindes ruft die UN das internationale Jahr des Kindes aus. Es soll das Bewusstsein der Weltbevölkerung für die Belange der Kinder schärfen.
Im November 1989 ist es so weit: das Übereinkommen über die Rechte des Kindes wird gesetzlich verankert. Es verpflichtet alle Länder dazu, sich für Mädchen und Jungen weltweit einzusetzen und tritt am 2.2.09.1990 völkerrechtlich in Kraft.
FruchtflEisch Mir fehlt ein Kinderrecht auf… „mitbestimmung“
„SüSSigkeiten“ Fotos: Lisa Brüßler
„Pausen“
Lena, 12 Jahre „Wenn Lehrer die Stunde überziehen oder man mit Ordnungsdienst dran ist, dann hat man oft gar keine Pause – 15 Minuten reichen zum Erholen nicht aus. Ich möchte ein Recht auf Pausen“
lara, 10 Jahre „Wenn neben meinem Zuhause eine StraSSe gebaut werden soll, dann muss man mich beachten und hören was ich sage. Entscheiden muss man doch für das spätere Leben üben!“
luisa, 11 Jahre „Schokolade kann sehr teuer sein, deswegen wünsche ich mir ein monatliches SüSSigkeitenpaket für alle Kinder, da sich das viele nicht leisten können.“
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Vier fäuste für Kinderrechte
Fotos: Florian Hirsch
Viele weltpolitischen Entscheidungen brauchen ewig, bis sie in den Mitgliedsstaaten ankommen. Wenn über Kinderrechte entschieden wird, heiSSt das oft, dass die Betroffenen schon gar nicht mehr betroffen sind, wenn endlich eine Entscheidung zu ihren Gunsten durchgesetzt wurde. Diese vier Menschen machen Druck, damit solche Entscheidungen schneller fallen. Von KEvin Adlhoch und Anne Juliane Wirth.
Christel riemann-hanewinckel
Prof. dr. lothar krappmann
Marlene rupprecht
Christel Riemann-Hanewinckel wurde 1947 in in Bad Tennstedt geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Jahr 1990 nahm Christel Riemann-Hanewinckel die Arbeit als Abgeordnete des Deutschen Bundestages auf. Nachdem sie Mitglied im Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion war, wurde sie Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ab 2005 wurde die Leitung des Familienministeriums dann von Ursula von der Leyen übernommen und Christel Riemann-Hanewinckel schied aus dem Amt. „Alle meine politischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten stehen bis heute auf drei wichtigen Säulen“, erklärt die evangelische Pfarrerin : „dem Grundgesetz, den UN-Konventionen und dem christlichen Menschenbild.“ Nach ihrer Zeit im Deutschen Bundestag übernahm sie den Verwaltungsratvorsitz der Kindernothilfe, einem der größten christlichen Kinderhilfswerke in Europa. Ein Thema der Entwicklungszusammenarbeit liegt Riemann-Hanewinckelganz besonders am Herzen: „Das Recht der Kinder auf eine ökologisch intakte Welt.“ Neben diesem besonderen Anliegen möchte sie den „Ärmsten der Armen eine Stimme geben“ und lobt die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, da diese genau das gleiche Ziel verfolgen.
Prof. Dr. Lothar Krappmann absolvierte ein Studium der Philosophie, katholischer Theologie, Soziologie und Neuere Geschichte. Nach verschiedenen Arbeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde er Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Als Mitglied und Vorsitzender der Sachverständigenkommission zur Erarbeitung des 10. Kinder – und Jugendberichts der Bundesregierung wirkte Krappmann hauptsächlich daran mit, einen Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen von Kinderhilfen in Deutschland zu verfassen. Als national und international anerkannter Forscher im Bereich Kindheit und Kinderpolitik wurde er 2003 als Mitglied in den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gewählt. Im letzten Jahr wurde Prof. Dr. Lothar Krappmann in Anerkennung für seine besonderen Verdienste um die Kinderrechtsarbeit auf nationaler und internationaler Ebene sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, welches sein großes und wertvolles Engagement gegenüber Kindern widerspiegelt.
Marlene Rupprecht ist am 20. Dezember 1947 in Neuenbürg/Enzkreis geboren, verheiratet und Mutter einer Tochter. Ihre Abgeordnetenarbeit für den Deutschen Bundestag nahm sie zum ersten Mal 1996 auf und ist seitdem ein ständiges Mitglied des Bundestages. Eine ihrer vielen Aufgabe liegt in der Mitgliedschaft der Kinderkommission, welche zur Wahrnehmung der Belange von Kindern dienen soll und die oberste parlamentarische und außerparlamentarische Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche ist. Man kann somit sagen, dass die Kommission eine Art Wächteramt verkörpert. „Das Wohlergehen der Kinder sollte Verfassungsrang bekommen.“, meint Marlene Rupprecht und fordert somit die Einbringung der Kinderrechte in das Deutsche Grundgesetz. Neben ihrer Arbeit als Abgeordnete im Deutschen Bundestag engagiert sie sich zum Beispiel als Beisitzerin des Deutschen Kinderhilfswerks in Berlin. Das Deutsche Kinderhilfswerk setzt sich besonders für die Durchsetzung der Kinderrechte in Deutschland ein. Ziel ist es, die Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten von Kindern zu fördern und für mehr Chancengleichheit unter ihnen zu sorgen.
Diana Golze Diana Golze fällt auf: rotes Haar, ein offenes Lächeln im Gesicht und mit 37 Jahren jünger als viele ihrer Kollegen im Bundestag. Wann die Haare ihre Knalligkeit bekamen, ist uns nicht bekannt, wohl aber Folgendes: Geboren in Schwedt/Oder bei Brandenburg, bekam Diana Golze im Alter von 14 Jahren den politischen Wandel mit: um die Ecke fiel die Mauer. 1989 begann gleichfalls ihr politisches Engagement im Schülerrat ihres Gymnasiums. Anfang der 1990er Jahre wurde Golze Mitglied der AG „Junge GenossInnen“ in und bei der PDS, zur Jahrtausendwende schloss sie das Studium der Sozialpädagogik an der TU Berlin an. Seit 1997 ist Golze Mitglied der PDS – der heutigen Partei DIE LINKE – und vertritt im Bundesausschuss die Interessen des Landesverbands Brandenburg.
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2005 bekam Diana Golze das Bundestagsmandat, genauso lang ist sie Mitglied der Kinderkommission. Dort sieht sie es als ihre Aufgabe, „Aufmerksamkeit für die Belange von Kindern zu schaffen“. Kinderrechte gehören für Golze ganz selbstverständlich ins Grundgesetz, „um einen effektiveren Schutz, intensivere Förderung und Beteiligung zu erwirken“. Ein Thema liegt der Abgeordneten ganz besonders am Herzen: die Bekämpfung der Kinderarmut. Deswegen fordert sie eine Kindergrundsicherung. Golze verspricht: „Ich werde mich auch weiterhin für Heranwachsende stark machen.“ Den besten Ansporn findet die Parlamentarierin in ihrer eigenen Familie: Seit 2004 ist sie verheiratet und Mutter zweier Kinder.
Sorgenkind Afrika?
Viele Leute denken von Afrika, dass dort nur arme Menschen in heruntergekommenen Hütten leben. Da stellt sich die Frage, ob Kinder dort überhaupt vergleichbare Rechte haben. Und und wenn ja, wie werden diese umgesetzt? kevin adlhoch hat es für politikorange herausgefunden.
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ährend man in Europa auf steigende Geburtenraten hofft, hat sich in Afrika die Bevölkerungszahl in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Da Kinder und Jugendliche einen Großteil der afrikanischen Bevölkerung stellen, müsste die Verteidigung ihrer Rechte gerade jetzt ein Riesenthema sein. Denn nur ein verschwindend geringer Teil der Kinder wächst in gefestigten und fürsorglichen Familien auf, die es sich leisten können, ihren Nachwuchs ausreichend zu ernähren. Für die meisten der Kinder und Jugendlichen heißt es hingegen, täglich um ihr Überleben zu kämpfen. Oft sind sie Hunger, Aggression und Misshandlungen ausgesetzt. Die schwierigen Umstände vor Ort führen zu Konflikten sowohl mit den Eltern, als auch manchmal mit der Polizei. Besonders das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht garantiert werden. Jedoch gibt es auch Fortschritte und Verbesserungen.
15 000 Kinder müssen auf der StraSSe leben Denn besonders Ghana, ein Land mit mehr als 24 Millionen Einwohnern, lässt hoffen, dass sich die Rechte der Kinder und allgemein die Menschenrechte schon bald verbessern. Anlass zur Hoffnung gibt vor allem die aktuelle Regierung von Präsident John Evan Atta Mills und die
Lehrer und fehlenden Unterrichtsmaterialien. Und das obwohl den Kindern laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Gesundheit, Bildung und Ausbildung unter allen Umständen gewährt werden müsste.
Grund zur Hoffnung – Leader of Africa
politisch und gesellschaftlich sehr aktive Bürgerschaft des Landes. Gegen den Trend der „großen und armen Generation“ scheint aber auch hier kein Kraut gewachsen zu sein im Moment: Allein in der Hauptstadt Accra müssen fünfzehntausend Kinder auf der Straße leben. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Kinder unter schrecklichen Umständen leben müssen und oft krank werden. Der Weg vom Elternhaus zum nächsten Arzt ist meist sehr weit und auch der Zugang zu sauberen Trinkwasserquellen ist
Fotos: Kevin Adlhoch
Kinder in ghana: Sie warten auf die Durchsetzung ihrer Rechte !
nicht immer ganz leicht. Es gibt jedoch weit mehr Gründe, weshalb auch in Ghana die Entwicklung von Kindern gegenüber vielen europäischen Staaten hinterherhinkt. Ein weiteres Problem ist die schlechte Bildungsqualität. Viele Kinder gehen nicht in die Schule, weil die Eltern arm sind oder ihnen die Bildung ihrer Kinder nicht wichtig ist; oftmals betrifft dies vor allem Mädchen. Viele Eltern sind einfach nicht in der Lage, die im Verhältnis zu dem geringen Einkommen hohen Schulkosten aufzubringen. Hinzu kommen schlecht ausgebildete
Doch obwohl die Lage für Kinderrechte in Ghana brenzlig ist, gibt es Grund zur Hoffnung, nicht nur für die Bevölkerung des Landes, sondern auch für Westafrika und den gesamten afrikanischen Kontinent. Ghana ist eines der wenigen Länder, das so gut wie alle der UN-Millenium- Entwicklungsziele bis 2015 erreichen wird. Darin verpflichten sich 189 Staaten auf eine Agenda für eine globale Entwicklungspolitik und formulieren acht Milleniumsziele, welche sie innerhalb des gesetzten Zeitraums umsetzen möchten. Primäres Ziel ist es, Kinderrechte zu stärken, Zukunftschancen zu geben und Kinder über ihr Leben frei entscheiden zu lassen. So hat es die ghanaische Regierung in den letzten Jahren geschafft, die Armut der Bevölkerung und besonders die der Kinder, deutlich zu verringern und jedem Kind zu einer Grundschulbildung zu verhelfen und für diese garantieren zu können. Aufgrund vieler Reformen kann Ghana als einer der „Leader of Africa“ bezeichnet werden, denn bisher scheint nur jedes dritte Entwick-
lungsland die angestrebten Ziele bis 2015 verwirklichen zu können und nur selten erscheinen die Länder dabei so stabil und gefestigt wie Ghana.
Zukunft sichern! Es muss jedoch das Ziel aller sein, die Entwicklung der Kinder und ihrer Rechte weiterhin in den Vordergrund zu stellen. Um ihre Zukunft aktiv mitzugestalten, müssen Kinder in der Lage sein, Verantwortung für die Gemeinschaft und ihr Land übernehmen zu können. In der ersten Kinderrechtserklärung, der „Genfer Deklaration“ von 1924 heißt es „Die Menschheit schuldet dem Kind das Beste, was sie zu geben hat“. Doch genau dieses Statement muss für Kinder und Jugendliche in Afrika gelten, denn auch sie dürfen Anspruch auf die Durchsetzung ihrer elementaren und unveräußerlichen Rechte erheben.
Kevin Adlhoch 19 Jahre, Kassel …war in Accra und hofft, dass sich noch viele Länder in Afrika an Ghana orientieren und von dem Land lernen – Ghana as a role model for Africa…
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same same but different
Wie Kinder aufwachsen, hängt maSSgeblich von ihrer Umwelt ab. Die UN-Kinderrechtskonvention wurde nach westlichen Kindheitsvorstellungen entworfen. Doch ist Kindheit wirklich gleich Kindheit? Ein Vergleich Von hanna gabel.
Foto: Raphael Hünerfauth
Wenig zielführend: GLeichmacherei.
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ach jahrelanger Planung und Vorbereitung wurde die UN Kinderrechtskonvention (UN-KRK) 1989 fertig gestellt und verabschiedet. Welche kulturellen Hintergründe die Beteiligten hatten, sollte keinen Einfluss auf das Dokument haben – tut es aber, wie viele Kindheitsforscher meinen. Westliche Vorstellungen von Kindheit sind deutlich zu erkennen. So deutlich, dass viele Länder ihre eigenen Konvention verfassten. Afrika beispielsweise hat eine zusätzliche regionale Erklärung eingeführt, die sich den speziellen Herausforderungen der Kinderrechte dort widmet. Die Unterschiede der beiden Konventionen zeigen klar: Kindheit ist nicht überall gleich.
Westliche Vorstellungen Die UN-Kinderrechtskonvention geht davon aus, dass alle Kinder die gleichen Grundrechte haben müssen – beispielsweise das Recht auf Bildung und das Recht angehört zu werden. Neben Artikeln, die sich mit dem Schutz und der Versorgung der Kinder befassen, enthält die UN-KRK aber auch Forderungen, die die Position des Kindes in der Gesellschaft regulieren: viele Rechte der UN-KRK heben Kinder von der Gesellschaft ab und bewerben Individualismus. Dieser Gedanke jedoch spiegelt ein westliches Ideal von Kindheit und lässt sich nicht auf alle Kulturen übertragen. Kindheit, wie sie bei uns oft dargestellt wird, bedeutet herumtollen, zur Schule gehen und sich eigenständig ent-
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wickeln. Durch die UN-KRK wird Kindern Autonomie für Entfaltung zugesprochen und das Kind als autonome Persönlichkeit angesehen. Kindheit bedeutet im westlichen Europa Kindern Raum, Zeit und Möglichkeit zu geben ihren eigenen Weg zu gehen. Die Rolle der Kinder in Familie und Gesellschaft wird klar von der der Erwachsenen abgegrenzt.
Wie Pixel im hochaufgelösten Foto Solche Strukturen des „Alleinganges“ sind nicht überall erstrebenswert. In vielen afrikanischen Kulturen beispielsweise werden Kinder als substanzieller Teil der Gesellschaft und der Familie wahrgenommen. Der Gedanke der Individualisierung steht hier im Gegensatz zur kulturellen Vorstellungen. Das Kind als Teil der Familie entwickelt sich durch seine Stellung und Einbindung in der Familie. Diese Vorstellung schreibt Kindern Verantwortung zu und ist mit gegenseitiger Verbundenheit verknüpft. Um auf nationaler Ebene wirksam zu werden, haben daher viele Länder die Kinderrechtserklärung genauer definiert. Die afrikanische Kinderrechtserklärung wurde 1990 verabschiedet, also genau ein Jahr nach der UN-KRK. Ein wesentlicher Grund für ihre Verfassung, war die geringe Beteiligung afrikanischer Vertreter während der Gestaltung der UN-KRK. In der African Charter on the Rights and Welfare of the Child (Children Charter) wurden lokale Probleme, aber auch kulturelle Wert-
vorstellung afrikanischer Kindheitsvorstellungen ausgearbeitet. Ein wichtiger Fokus lag dabei auf landesspezifischen Themen wie Apartheid oder Kindersoldatentum. Zusätzlich wurde aber auch auf kulturelle Merkmale afrikanischer Gesellschaften hingewiesen. Viele der Artikel der Children Charter heben die Verantwortungen der Kinder gegenüber den Eltern, der Gesellschaft und dem Staat allgemein hervor. Artikel 31 beispielsweise beschreibt die Aufgabe des Kindes, sich auf unterschiedliche Weise um den Zusammenhalt der Familie zu bemühen. In vielen Regionen Afrikas herrscht große Armut – die Familien sind darauf angewiesen, dass die Kinder mithelfen wo sie können. Dies zeigt, dass finanzielle Ressourcen eine wesentliche Rolle bei der Implementierung der UN-KRK spielen. Länder des Westens haben dieses Problem nicht: Kindheit im Sinne der UN-KRK bedeutet, dass Erwachsene sich alleine um die Versorgung kümmern. Trotzdem ist es wichtig zu erkennen, dass sich beide Erklärungen nicht ausschließen. Vielmehr ist die Children Charter eine genauere Formulierung der UN-KRK. So wie die Children Charter existieren weltweit insgesamt bereits über 100 Konventionen, die sich mit Kinderrechten beschäftigen. Dies macht die Umsetzung der Rechte und Pflichten von Kindern konkreter und relevant zu ihrem Umfeld. Die parallele und wichtige Rolle der UN-KRK darf aber nicht unterschätzt werden: nämlich da auf allgemeine Gültigkeit zu pochen, wo kulturelle Werte nachteilig für Kinder ausgespielt werden.
INFO Afr i c a n c ha rter on the r i ghts a nd welfa r e of the c hi ld Die Children Charter wurde 1990 von den Regierungen Afrikas verabschiedet und ist 1999 in Kraft getreten. Mit 46 afrikanischen Staaten hat die Mehrheit dieser ratifiziert – aber nicht alle. Somalia hat die Charta – wie auch die Kinderrechtskonventiuon – nicht in Kraft gesetzt. In Somalia werden einige der schlimmsten Menschrechtsverletzungen begangen: Kindersoldatentum, Menschenhandel, Kidnapping, sexuelle Ausbeutung von Kindern. Das Land hat keine zentrale Staatsgewalt, was diese schlimmen Kinderrechtsverletzungen begünstigt.
Hanna Gabel 25 Jahre, Berlin …studiert Children’s Rights and Childhood Studies an der Freien Uni Berlin und würde sich über Beiträge von Kindern im Hörsaal freuen.
» In keinem Land dieser Welt sind Kinderrechte in vollem umfang verwirklicht«
GRUNDGESETZ, ÖFFNE DICH!
Die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland setzt sich für die Interessen und Bedürfnisse aller jungen Menschen in Deutschland bis 18 Jahre ein. Wo dabei immer noch Probleme auftauchen, erklärt Jörg Maywald, Sprecher der National Coalition im Interview. von lisa brüSSler Foto: Florian Hirsch
Herr Maywald, was ist so schwer an der Durchsetzung der UN-Kinderrechtskonvention? Kinder als Subjekte und Träger eigener Rechte anzuerkennen, ist historisch sehr jung und im Bewusstsein vieler Menschen noch nicht fest verankert. Dies gilt gleichermaßen für Eltern, Pädagogen und Politiker. Rechtlich gesehen haben wir immer noch keine eigenen Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung, wie es der UN-Kinderrechtsausschuss mehrfach gefordert hat. Bei der tatsächlichen Umsetzung von Kinderrechten bestehen hinsichtlich Kinderarmut, Bildungsungleichheit, Gesundheitsfürsorge und Beteiligung gravierende Mängel. Aber auch benachteiligte Gruppen wie Kinder mit Behinderungen haben es sehr schwer, zu ihrem Recht zu kommen.
Und warum arbeitet der deutsche Staat oder beispielsweise ein deutscher Familienrichter dagegen, indem er die UN-KRK nicht anerkennt? Ein wichtiger Faktor ist schlichte Unkenntnis! Bis heute kommt das Völkerrecht in den meisten Ausbildungen einfach nicht vor. Auch viele Fachleute wissen nicht, dass völkerrechtliche Bestimmungen wie die Rechte nach der UN-KRK in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes einnehmen.
Gegenwärtig arbeiten wir vor allem daran, die Abgeordneten des Bundestages von der Notwendigkeit zu überzeugen, Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Zwar sind Kinder selbstverständlich Träger von Grundrechten, aber sie sind eben keine kleinen Erwachsenen. Genauso wie auf der internationalen Ebene müssen Kinderrechte auch national im Grundgesetz, verankert werden. Ein zweites wichtiges Anliegen ist der Aufbau eines Monitoring der Kinderrechte. Deutschland gehört zu den Staaten in Europa, die immer noch keinen Kinderrechtsbeauftragten auf Bundesebene eingesetzt hat!
Wie fühlen Sie sich mit der Arbeit der National Coalition? Sind sie manchmal frustriert oder bleiben Sie immer optimistisch?
Was tut die National Coalition dafür, dass sich etwas verändert? Die National Coalition ist anerkannter Dialogpartner des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes in Genf. Parallel zu den periodischen Staatenberichten veröffentlicht sie sogenannte „Schattenberichte“, in denen wir dem UN-Ausschuss über die Defizite in Deutschland berichten. Außerdem tragen wir dazu bei, Kinderrechte bekannt zu machen und setzen uns gegenüber der Politik in Deutschland für die Verwirklichung der Kinderrechte ein. Zudem sind in keinem Land dieser Welt die Kinderrechte vollumfänglich verwirklicht – daran gilt es weiter zu arbeiten.
Mit wem oder was hat die National Coalition denn die meiste Arbeit?
Im Rückblick wird deutlich, dass in den vergangenen rund 20 Jahren bereits viel erreicht worden ist. Das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung, die Einführung eines Verfahrensbeistandes – auch als Anwalt des Kindes bezeichnet – oder das Recht des Kindes auf Kontakt zu beiden Elternteilen nach einer Trennung oder Scheidung der Eltern. All das sind schon gute Beispiele dafür, dass wichtige Kinderrechte inzwischen selbstverständlich sind. Zugleich aber bleibt noch sehr viel zu tun. Jörg maywald: Aktiver einsatz für rechte des kindes.
Zur Pers o n pro F dr. j ö rg maywald Prof. Dr. Jörg Maywald, geboren 1955, studierte Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Er ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und seit 2002 Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland. Seit Januar 2011 lehrt er an der Fachhochschule Potsdam und veröffentlicht weiter zu Kinderrechten und Kinderschutz. Als Kind war es sein Wunsch, dass „Tatzen“ – Schläge auf die Hand – in der Schule verboten würden und kein Erwachsener jemals mehr ein Kind schlagen darf.
Geburtstag!
Janusz Korczak, ein polnischer Pädagoge, sagte einmal: „Das Kind wird nicht erst ein Mensch, es ist schon einer.“ Denken Sie, dass das erst noch in Teilen der Gesellschaft ankommen muss? Die von Korczak angestoßene Anerkennung jedes Kindes als vollwertiger Mensch von Anfang an, ist Teil eines weltweit wachsenden Bewusstseins für unveräußerliche Menschenrechte. In einer sich unaufhaltsam globalisierenden Welt ist dies unsere einzige Chance. Nur die Anerkennung der Würde und der Rechte jedes Einzelnen sichert auf Dauer das friedliche Zusammenleben aller Menschen. Dafür braucht es ein verbindliches internationales Menschenrechtssystem, zu dem auch die UNKinderrechtskonvention gehört.
Du hälst die 100. politikorange in den händen, pünktlich zum 10-jährigen bestehen des Medienprojekts. Verfolge das Jubiläumsjahr 2012 im Internet! > politikorange.de/Jubilaeum
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R r a w r r wi – e wi wer –
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? Wieviele Waisenkinder gibt es in Uganda?
In wievielen Entwicklungsländern besuchen mehr als 90% der Kinder die Grundschule?
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Warte kurz! Du d ein Klaps auf den o.k.? Er ist in Deu verboten, genau s von Gewalt in der wann wohl?
Wie viele Kinder kamen 2009 ohne Registrierung auf die Welt?
? Wieviele Waisenkinder gibt es in Uganda?
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Quellen: Spiegel.de; „Kinderrechte sind Menschenrechte“: Publikation der Kindernothilfe e.V., Forsa Umfrage der Zeitschrift Eltern: „Gewalt in der Erziehung“, www.tlz.de, www.unicef.de
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abwarten reicht nicht
Seit 1992 hat sich Deutschland im Zuge der Ratifizierung verpflichtet, die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen. Was ist seitdem passiert, wo besteht noch Verbesserungsbedarf? Von Anne juliane Wirth
Illustration: Raphael Hünerfauth
Hängen gelassen: auf Dringende entscheidungen müssen kinder oft solange warten, bis sie keine Kinder mehr sind.
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em sechsjährigen Kevin macht so In der Praxis ist der Weg zu diesem „Vorschnell niemand etwas vor. Mit rang für Kinderrechte“ immer noch steinig. Fallrückziehern, Hertha BSC und Lionel Was, wenn Kevin in seinem Kindergarten Messi kennt sich der Knirps bestens aus. herumtoben will und ein Richter desweIm Gegensatz zur Tagespolitik. Trotzdem gen den Kindergarten schließen lässt? Ist haben Kinder wie Kevin Bedürfnisse alles passiert, bis das Gesetz zum Lärmund Ansprüche. Innerhalb unserer Ge- schutz geändert wurde: Kinder sind jetzt sellschaft bilden sie besonders schwache keine Lärmbelastung mehr – ein Erfolg, und schutzwürdige Individuen, denn sie den unsere Parlamentarier durchsetzen können weder ihre Bedürfnisse explizit konnten. „Kinder machen keinen Lärm – formulieren noch sich in Gruppen orga- sondern vielmehr Zukunftsmusik“ , benisieren. Zwar gibt es Jugendparlamente tonte Nicole Bracht-Bendt (FDP). Damit und Kindergremien – doch wirklich stark konnte sie überzeugen: Der Bundestag sind diese nicht in die Politik eingebun- entschied zugunsten der Jüngsten. Folgden. Zudem sind die wenigsten Kinder lich gilt Kinderlärm „im Regelfall“ nicht professionell organisiert. Deswegen sind als schädliche Umwelteinwirkung. Mit Minderjährige darauf angewiesen, dass anderen Worten: Anwohner, die nun geihre Eltern und vor allem politische Gre- gen Kinderkrach klagen, haben es deutmien ihre Interessen vertreten. lich schwerer. Kevin kann vorerst weiter Um dieser Aufgabe gerecht zu wer- herumbolzen. den, verabschiedeten die Vereinten Nationen (UN) am 20. November 1989 die Kin- Ein Fall fürs Grundgesetz? derrechtskonvention. Seit 1992 hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Handlungsbedarf besteht allerdings imRatifizierung verpflichtet, die Vorgaben der mer noch, zum Beispiel beim Thema Konvention in Gesetzen und anderen Maß- „Gewalt in der Erziehung“. Einen „Klaps nahmen umzusetzen. Artikel 3 der Kinder- auf den Po“ oder die „sachte“ Ohrfeige hat und wird Kevin von ihr nicht kassierechtsorganisation beinhaltet, dass bei allen ren – versichert seine Mutter. Das sehen politischen Entscheidungen der Anspruch leider nicht alle Eltern so. Rund 5,6 Milauf „Vorrang für Kinderrechte“ einzuhalten ist. Demnach ist auch ein Umwelt- oder lionen Kleinkinder erleben Gewalt als Wirtschaftsminister dazu verpflichtet, Kin- normales Erziehungsmittel, so das Erderrechten Vorrang zu gewähren. Auch ein gebnis der Forsa-Umfrage „Gewalt in der Erziehung“, die die Zeitschrift „Eltern“ Jurist hat an das Kinderwohl zu denken.
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in Auftrag gegeben hat. Die Zahlen sind absolut nicht hinnehmbar, zumal Heranwachsende ein „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ haben. Derzeit wird diskutiert, ob die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden sollen, um so den Kinder- und Jugendschutz zu verbessern. Die Deutsche Kinderhilfe ist dagegen, auch die Unionsfraktion zweifelt am Sinn der Aufnahme. Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis erklärt, dass jedem Kind „wie jedem anderen Menschen auch“ die in der Verfassung verankerten Grundrechte zustehen. Die Opposition kritisiert den Kurs der Regierung. Kinderrechte stünden auf der Agenda der Regierung nicht weit oben, schimpft etwa Katja Dörner vom Bündnis 90/Die Grünen. Aufnahme hin oder her – was nützt das Kevin? Im Jahr 1988 wurde die Kinderkommission, kurz KiKo genannt, vom Deutschen Bundestag eingesetzt. Die KiKo setzt sich aus je einem Mitglied der im Parlament vertretenen fünf Fraktionen sowie einem Stellvertreter zusammen. Sie sind in ihrer jeweiligen Fraktion zugleich Kinderbeauftragte und gehören zudem dem Familienausschuss an. Da können Kinderinteressen vertreten werden – aber wie schaffen die es überhaupt in den Bundestag? Ein Positivbeispiel dafür, wie die Politik hierzulande in Kinderzimmer schauen kann, ist der sogenannte „Kin-
der- und Jugendreport“. Den rund 60 Seiten langen Report hat das Bundesfamilienministerium von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendarbeit (AGJ) erstellen lassen. Der Report bildet die Kinderrechtssituation in Deutschland aus Sicht von Kindern und Jugendlichen ab. Erfahrungen von mehr als 3 500 Heranwachsenden sowie die Ergebnisse verschiedener Kinderrechtsprojekte werden im Report aufgeführt.
1:1 für Kinderrechte Die Einstellung stimmt. Jetzt müssen sich die Politiker schnell auf eine gemeinsame Taktik einigen und das Zusatzprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren ratifizieren. „Das ist Aufgabe des Parlaments“, meint der Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer. „Meine Partei, also die SPD, muss warten, bis die Bundesregierung die Initiative ergreift. Wir haben auf der Konferenz „Rechte haben – Recht bekommen!“ am 23. März gehört, dass das scheinbar nicht mehr lange dauern wird. Wir als Opposition werben breit für die Ratifizierung, die ein schönes Signal ist.“ Damit am Ende die Kinder als Sieger da stehen, müssen Regierung und Opposition sich gegenseitig die Bälle zuspielen und das Zusatzprotokoll gemeinsam zügig umsetzen. Dann hat auch Kevin einen Grund zum Jubeln.
Luftballons in die Steinbrüche
Malte macht ein FSJ bei der Lovedale Foundation in Bangalore, Indien. Seit August 2011 unterrichtet er in einer Schule mit angeschlossenem Waisenhaus das Fach „life skills“. ein interview von JIL BLUME Malte, was machst du bei deinem FSJ in indien?
Ich arbeite seit August 2011 in einem Waisenhaus und in einer Schule. Ich unterrichte die drei bestehenden Klassen im Fach ‚life skills‘, aber eigentlich spielen wir nur und toben uns mal richtig aus. Die meiste Zeit verbringe ich mit den Kindern aus dem Waisenhaus, helfe ihnen bei Schulaufgaben und organisiere für sie Freizeitaktionen. Heute war der letzte Schultag in der Banyan School, die Abschlussprüfungen sind vorbei und die Kleinen sind strahlend in die zweimonatigen Sommerferien gegangen. Bisher gibt es hier Klassen von „lower kindergarden“ bis „first standard“, was bedeutet, dass die Kids zwischen drei und sechs Jahren alt sind. Die meisten von ihnen kommen aus sehr armen Dörfern in den umliegenden Steinbrüchen. Sie werden also da ihre großen Ferien verbringen, wo ihre Eltern 12 Stunden am Tag arbeiten und Steine hacken.
Was passiert nach den Sommerferien? Im Juni beginnt das neue Schuljahr und die banyan school wird ausgeweitet, sodass neben den schon bestehenden Klassen auch noch second, third und fourth
standard dazukommen. Leider verändert sich hier gerade eine Menge und die Leiter der NGO, für die ich arbeite, konstruieren alles um. Möglicherweise gibt es im Juni keinen Schulbus mehr, der die Kinder morgens aus den Steinbrüchen abholt und sie nachmittags wieder nach Hause bringt. Die Steinbrüche liegen in etwas abgeschotteten Gegenden, in denen es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt – Die Kinder sind also auf den Schulbus angewiesen. Wenn es den im nächsten Schuljahr nicht mehr gibt, dann werden sie wieder in ihr altes Leben zurückkehren und ohne Bildung in kleinen Hütten in den Steinbrüchen leben.
Gibt es dafür irgendwelche Sanktionen vom Staat? Wenn in Deutschland ein Kind seiner Schulpflicht nicht nachkommt, steht das Jugendamt vor der Tür. Nein, ich glaube nicht, dass es Sanktionen vom Staat geben wird. Das ‚Problem‘ bei den Steinbrüchen ist, dass die Arbeiter meist aus Tamil Nadu oder anderen Regionen von Indien kommen (ich lebe hier in Bangalore und das liegt in Karnataka). Sie werden sehr schlecht bezahlt, haben keine sanitären Anlagen, oft keinen Strom
und das Land, auf dem sie leben, gehört entweder dem Staat oder einem Landbesitzer. Ich bin gar nicht sicher, ob der Staat überhaupt weiß oder gar kontrolliert, wer da eigentlich wohnt. Als die banyan school letztes Jahr eröffnet wurde, sind die Mitarbeiter über Google Maps darauf gestoßen, dass es überhaupt Steinbrüche gibt und sind mal hingefahren. Deswegen sind die Kinder jetzt zum ersten Mal überhaupt in einer Schule.
Welche Rechte müssen für Deine Schützlinge verteidigt werden? Ich bin sicher, dass die Kinder noch niemals was von eigenen Kinderrechten gehört haben. Aber sie brauchen viel stärkeren Schutz, vor allem vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung. Mir fällt die Gewalt an Kindern immer wieder auf, die in der Schule und zu Hause als Bestrafung geschlagen werden. Während in Deutschland die Lehrer gleichzeitig Pädagogen sind und Einfluss auf das Leben des Kindes zu Hause haben, ist ein Lehrer hier zum Unterrichten da. Ich glaube, die Kinder gehen zu niemandem, wenn sie geschlagen werden – zu wem denn auch?
Kannst du irgendwas machen, um ihre Lage zu verbessern? Das ist schwierig. Ich sorge im kleinen Rahmen dafür, dass sie trotzdem in den Genuss ihrer Rechte kommen: Ich schlage sie in meinem Unterricht nicht und spreche mit den Lehrern darüber, dass es die Kinder ängstigt, wenn sie mit einem Stock vor ihnen stehen. Was dann allerdings zu Hause passiert, kann ich nicht beeinflussen. Außerdem spiele ich viel mit ihnen, lass‘ sie sich austoben und verwirkliche damit vielleicht ein bisschen das Recht auf Unterhaltung und Freizeit. Ich mache, so oft ich kann, besondere Sachen mit ihnen. Wir machen Lagerfeuer und waren schon auf Schatzsuchen und im Wunderland. Das Wunderland haben ich und ein anderer Freiwilliger aus einem kleinen Raum gezaubert. Wir haben einen Wasserfall aus Traubensaft gebastelt und den Raum mit Luftballons, Krepppapier und Süßigkeiten, die von der Decke hingen, dekoriert. Die Kinder strahlten übers ganze Gesicht, während sie nach den Süßigkeiten griffen und die Ballons durch den Raum schossen. Einer der Jungen kam zu mir und sagte: „Das ist mehr als ein Wunderland“.
FruchtflEisch Mir fehlt ein Kinderrecht auf… „Selbstbestimmung“
„Kindheit“ Fotos: Lisa Brüßler
„Ferien“
Marcella, 11 Jahre „In den Sommerferien besuche ich meine GroSSmutter in Spanien. Sechs Wochen reichen da nicht, um Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen.“
Paula, 16 Jahre „Selbstbestimmung! Weil Kinder in Situationen wie einem Eingriff des Jugendamtes nicht entscheiden dürfen, wer für sie Entscheidungen trifft.“
Gaetano, 31 Jahre „ein Recht auf Kindheit, dass kindern die Freiheit für eigene Entscheidungen einräumt. oder Wie janusz Korczaks es formuliert, das recht des kindes auf den heutigen tag.“
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Debatte
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Kinderrechte sind nicht nur im „Real Life“ ein Thema – online wird ihre Rolle sogar immer wichtiger. Einerseits garantiert die UN-KRK das Recht auf Medienzugang. Andererseits gibt es den Schutz der Privatsphäre. Wie strikt müssen Eltern ihre Kinder schützen? Und wie weit darf Vater Staat gehen? Anne Lang und Lea Deuber debattieren.
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Kinder brauchen Schutz. Beim Überqueren der Straße nimmt man sie an die Hand, beim Fahrradfahren setzt man ihnen einen Helm auf. Genauso wie wir Kinder in der realen Welt schützen, müssen wir auch in der Virtuellen auf sie aufpassen. Denn dort lauern auf sie vor allem zwei Gefahren. Erstens können Kinder im Internet auf Seiten geraten, auf denen sie Dinge sehen, die sie nicht verkraften. Dazu gehören unter anderem Pornografie und Gewalt (Konfrontationsrisiko). Zweitens können sie zum Beispiel beim Chatten mit Menschen in Kontakt kommen, die ihnen nicht gut tun. Etwa Pädophile, Betrüger oder Rechtsradikale (Kontaktrisiko). Jetzt könnte man sagen: Na gut, dann dürfen Kinder das Internet eben nicht benutzen. Man könnte das Internet bis zur Volljährigkeit verbieten wie Alkohol oder Zigaretten. Aber so einfach ist das nicht. Denn Kinder haben ein Recht auf Bildung und Ausbildung. So steht es in der UN-Kinderrechtskonvention. Und zur Bildung und Ausbildung gehört heute auch das Internet. Es ermöglicht den Zugang zu Informationen und gehört zu einer soliden Ausbildung unbedingt dazu. Deshalb kann man ihnen die Nutzung des Internets nicht verbieten. Vielmehr muss man sich die Frage stellen, wie sie das Internet sicher nutzen können. Dafür gibt es zwei Ansätze. Erstens die technische Lösung. Diese wurde bereits in Projekten wie dem „StoppZeichen“ erprobt. Man hatte versucht, jugendgefährdende Seiten mit einer zwischengeschalteten Seite zu kennzeichnen. Bislang hat sich das Internet aber als zu
schnell und zu unkontrollierbar gezeigt. Auch nationale Gesetze können das weltweite Netzwerk nicht einschränken. Trotzdem gibt es auch positive Beispiele technischer Lösungen, wie spezielle Suchmaschinen für Kinder oder eigene Benutzerkonten, die extra für die sie angelegt werden können. Ein zweiter Ansatz sind erzieherische Maßnahmen. Kindern muss der richtige Umgang mit dem Internet beigebracht und vorgelebt bekommen. Es muss erklärt werden, wie man sich sicher im Internet bewegt. Im Fokus stehen besonders der Schutz der Privatsphäre und der Umgang mit Daten. Dafür müssen Kinder sensibilisiert werden. Das kann nur Aufgabe von Eltern und Lehrern sein. Lehrer müssen sie innerhalb von Unterricht und Lehre an die Möglichkeiten des Internets heranführen. Eltern müssen sich mit der Internet-Nutzung ihrer Kinder auseinandersetzen und diese aktiv begleiten. Um Kinder effektiv zu schützen, braucht es beide Ansätze. Nur ein Zusammenspiel aus technischen und erzieherischen Maßnahmen kann den dringend notwendigen Schutz im Netz übernehmen. Gute Anfänge sind dabei Internetseiten wie www.blindekuh.de die nur ausgewählte Inhalte zulassen und so ein sicheres Surfen im Internet ermöglichen.
Lea Deuber 20 Jahre, Köln …studiert Asienwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften, Schülerin der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.
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Die Pressefreiheit, festgehalten in Artikel 5 des Grundgesetztes, ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Warum sollten Kinder das Internet nur gefiltert wahrnehmen? Deshalb bin ich für das Recht auf weitgehend uneingeschränkten Medienzugang und Meinungsfreiheit für Kinder. Diese uneingeschränkte Informationsmöglichkeit ist eines der Kinderrechte im Netz. Durch kindgerechte Angebote wie die Suchmaschine Blinde Kuh sind sie sicherer im Netz unterwegs. Ist es für sie trotzdem noch gefährlich? Die Debatte um Facebook bereitet vielen Eltern Sorgen. Das Schlagwort „Datenklau“ und fremde, womöglich kriminelle Bekanntschaften, veranlassen die Parentalgeneration zu Facebook- oder gar Internet-Verboten. Diese erzieherischen Maßnahmen sind das Eine – Kinder sind auch in sozialen Netzwerken unterwegs, ohne dass ihre Eltern das bemerken. Das Andere sind staatliche Zensuren bestimmter Seiten für Kinder. Das geht gar nicht. Zu viel Vorsicht und Behütung der Mädchen und Jungen führt doch dazu, dass sie keine eigenen Erfahrungen machen. Facebook und Co. gehören heute zum Erwachsenwerden dazu. Eltern können die Privatsphäre-Einstellungen mit ihren Sprösslingen überprüfen, so sind private Informationen nicht öffentlich. Das Recht auf Privatsphäre gilt auch für Kinder – die Eltern müssen sie allerdings erst mit dem Umgang persönlicher Daten vertraut machen. Trotz allem: Kinder müssen die Wirklichkeit sehen. Das klingt hart, ist aber notwendig, um auch ihnen Verantwortung beizubringen. Eltern dürfen sich dennoch nicht aus der Verantwortung ziehen. Ständig auf dem neuesten technischen Stand zu sein und alle Akti-
unterstütz mich!
vitäten der Sprösslinge im Netz zu überwachen, mag wie eine Zumutung klingen. Doch ein Computer sollte für Kinder bis zu einem gewissen Alter nur unter Aufsicht von Erwachsenen zugänglich sein. Das heißt nicht, dass Mama alle privaten Nachrichten lesen soll, aber doch, dass sie mal schaut, wo das Kind denn surft. Und klar: Seiten bestimmter Milieus, die auch im echten Leben strengen Vorschriften unterliegen, sollten eine überprüfbare Altersgrenze haben. Nicht, das Kinder unbedingt mit Absicht Porno-Seiten aufrufen würden, aber vielleicht stoßen sie ungewollt darauf. Hier sollte Absatz zwei des Artikels zur Pressefreiheit zum Zug kommen: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend.“ Aber Gesetze sollten nicht die Pauschal-Antwort sein, wenn Internetseiten Unmut und Angst auslösen. Kinder haben das Recht auf Schutz, doch sollte man sie nicht zu sehr kontrollieren. Für mich ist hier ohne übergreifende Reglementierungen die Forderung der UN-Kinderrechtskonvention nach Vorrang für Kinderrechte und Wohl des Kindes erfüllt.
Anna Lang 19 Jahre, Würzburg …studiert Politikwissenschaften und Soziologie und verteidigte schon als Kind das Recht, Quatsch machen zu dürfen. Den macht sie heute noch.
junger, unabhängiger journalismus braucht förderung – möglichkeiten zu helfen gibt es viele.
> politikorange.de/unterstuetzen
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KINDER OHNE KINDHEIT
Bildung ist nicht nur ein wichtiger Entwicklungsfaktor, sondern auch ein Kinderrecht. Über 30 Jahre Krieg und die Machtergreifung durch die Taliban haben dazu geführt, dass in Afghanistan zwei Generationen nur Leid, Verlust und Hunger kennen – für Mädchen ist ein Schulbesuch heute noch schwierig. Von Lisa BrüSSler
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in Mann mit beigefarbener Uniform hält ein kleines, blaues Spielzeugauto in der Hand –umringt von einer neugierigen Schar Kinder. Er trägt eine schusssichere Weste, auf dem Oberarm ist die deutsche Flagge aufgestickt. Der Holster am Oberschenkel hält die Waffe griffbereit. Thomas Breuer ist Polizeikommissar, er befindet sich im Auslandseinsatz in der Provinz Kholm im Norden Afghanistans. Er verteilt Schirmmützen und Spielzeug und bekommt strahlende Gesichter zurück. In den ersten Reihen stehen die Jungen. Breuer geht in die letzten Reihen, damit auch die Mädchen einen Teil der Hilfsgüter bekommen. Doch hinter der nächsten Ecke nehmen die Jungen sie ihnen wieder ab. Im Rahmen des Focused District Development Programms (FDD) arbeitet der 52-Jährige ein Jahr zwischen Mazari-Sharif und Kunduz. Ein FDD-Team bestehend aus vier Polizisten der Bundespolizei, vier Feldjägern der Bundeswehr sowie zwei Dolmetschern. Der Distrikt umfasst 50 000 Afghanen. Thomas Breuer und sein Team bauen diesen strukturell auf, schulen afghanische Polizisten und wirken am Bau von Brunnen und Schulgebäuden mit.
Die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans ist jünger als 15 Jahre
Unter freiem Himmel und männlicher Beobachtung: Mädchenschulen in Afghanistan.
„Im Distrikt gibt es viele Kinder, wie in sener macht“, sagt Nilab, gebürtige AfghaAfghanistan üblich. Mädchen und Jun- nin, die seit ihrer Kindheit in Deutschland gen spielen in den Straßen zusammen, in lebt und heute in Hessen studiert. Kinderarbeit ist nach wie vor weit der Schule gibt es aber eine strikte Trennung“, erzählt der Kommissar. Während verbreitet, denn die Kinder sind gezwunder Kriegsjahre wurden drei Viertel aller gen, für die Familie ein paar Afghanis zu Schulen zerstört, die Mädchenschulen verdienen: sie putzen Schuhe, arbeiten von den Taliban abgebrannt. Der Unter- auf dem Bazar oder knüpfen Teppiche. richt findet auch heute noch unter den „Möglicherweise hat der Vater im Krieg einfachsten Bedingungen statt. Fehlende Gliedmaßen verloren oder Familienmitsanitäre Einrichtungen für die Mädchen glieder starben. Dann ist ein Schulbesuch und der lange Schulweg sind ein Hinder- nicht drin. Es geht um das Überleben der nis, die Schule zu besuchen. Eine Schul- Familie“, so Nilab. pflicht existiert nicht. Sadaf ist 20 Jahre alt und kommt Der Einfluss der Taliban aus Homberg. Ihre Familie floh mit ihr als ist noch bis heute spürbar Kind aus Afghanistan. Sie erzählt, dass die Kinder, die die Schule besuchen kön- Mit der Machtergreifung der Taliban im nen, dies auch sehr ernst nehmen: „Sie Jahr 1996 wurden die Menschen gezwunwissen, dass das einer der wenigen Wege gen ihre Kinder anders zu erziehen: „Die ist, um der Armut, dem Leid und viel- Jungs wurden verwöhnt, durften die Schuleicht sogar Afghanistan zu entkommen – le besuchen und wurden meist von Kind an so erzogen, dass sie irgendwann ihre eigeund den nutzen sie.“ Als Kind in Afghanistan ist man ge- nen Frauen unterdrücken“, erzählt Sadaf. Koranschulen wurden von den Talizwungen, den Eltern bedingungslos zu gehorchen: „Ein Kind in Afghanistan darf ei- ban instrumentalisiert, um zu rechtfertigentlich kein Kind sein. Es muss bereits in gen, dass Frauen sich nicht bilden dürfen. jungen Jahren Dinge tun, die ein Erwach- Zu dieser Zeit durften Mädchen die Schu-
len gar nicht besuchen, wurden mit Hausarbeit beschäftigt und früh verheiratet. Mädchen als Ware – das ist zwar offiziell verboten, im ländlichen Raum gilt jedoch die Glaubensvorschrift Scharia oder die Rechtssprechung gemäß der Ältesten.
Fünf Millionen Afghanen mussten fliehen Seit die International Security Assistance Force (ISAF) 2001 ihren Einsatz in Afghanistan aufnahm, hat sich viel getan. Thomas Breuer macht sich allerdings keine großen Hoffnungen, dass sich dadurch die Lage der Kinder verbessert: „Vor allem Gewalt gegen Kinder und Frauen kann oft nicht verhindert werden: Wenn in Afghanistan der Verdacht der häuslichen Gewalt gegen Frauen oder Kinder vorliegt, ist es unmöglich, dass Polizisten ein Haus betreten dürfen, in dem Frauen leben. Polizistinnen gibt es wenige. Wenn der Imam des Dorfes um Hilfe gebeten würde, gäbe es eventuell eine Chance, Hilfe zu leisten.“ Thomas Breuer ist mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Es ist unwahrscheinlich, dass die afgha-
Foto: UN Photo/Fardin Waezi
nischen Männer ihre Machtposition im Land aufgeben, um ihren Frauen und Töchtern Mitsprache und damit ein Stück Macht in die Hand zu geben. Bis sich in den Köpfen dieser Männer etwas verändert, kann auch der Einsatz des FDDProgramms oder anderer Programme der Vereinten Nationen nur wenig für die Durchsetzung von Kinderrechten bewirken. Die afghanischen Mädchen werden sich wohl eine Taktik überlegen müssen, wie sie den Jungen das verteilte Spielzeug abluchsen können – und am besten erzählen sie es dann auch gleich ihren kleinen Schwestern.
Lisa Brüßler 20 Jahre, Göttingen …studiert Politik und hat schon früh das Recht auf Bildung verteidigt, indem sie die Redaktion der „Sendung mit der Maus“ mit Fragen quälte.
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Foto: privat
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»Kinder müssen viel mehr beteiligt werden!«
KLARE BOTSCHAFT
Kinderrechte bekannter machen und das Engagement von Kindern und Jugendlichen fördern – das ist das Ziel eines ganz besonderen Wettbewerbs des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen. Mit dem Projekt „Hilfe für die Kinder der Seenomaden“ gewann die 16-jährige Abiturientin Malin Eh aus Köln den Titel UNICEF Juniorbotschafterin 2011. von lisa brüSSler Malin, um was geht es in deinem Projekt?
Es geht um die thailändischen Seenomaden, die Chao Leh. Sie leben acht Monate des Jahres auf dem Meer und die restliche Zeit an Land in Wellblechhütten. Sie haben keine Pässe und gelten somit als staatenlos. Ich habe 2008 und 2009 jeweils zwei Wochen lang mitgeholfen ein Gemeindezentrum für die Seenomadenkinder auf der Insel Ko Phi Phi aufzubauen. Mit meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich begonnen, meine Familie und Bekannte über die Seenomaden zu informieren, Spenden zu sammeln und Sachen bei Ebay zu verkaufen. Den Erlös habe ich im Januar 2012 nach Thailand gebracht. Jetzt wird er für das Gemeindezentrum eingesetzt.
Und weshalb hast du dich für die thailändischen Seenomaden engagiert? Ich war schockiert und verärgert, als ich das erste Mal von dem Schicksal der Seenomadenkinder hörte. Nach dem Tsunami haben die Seenomaden kaum noch Lebensraum. Sie dürfen sich am Sandstrand nur unter einem Baum aufhalten, da die Strände privatisiert wurden und den Hotels gehören. Zudem wird die Lebensunterhaltung durch die Überfischung des Meeres für sie immer schwerer. Die Seenomaden leben in „Häusern“, die sie selbst aus Blech und Müll errichtet haben. Da die Eltern kaum Geld verdienen können, ist die Ausbildung der Kinder quasi unmöglich und deren Zukunft somit aussichtslos. Mir war sofort klar, dass ich helfen wollte, damit die Kinder ihr Recht auf Bildung umsetzen können.
Du bist seit 2010 wieder in Deutschland hast davor aber acht Jahre lang in Thailand gelebt. Wie bist du denn auf die Lage der Seenomaden-Kinder aufmerksam geworden? Als ich sechs Jahre alt war, wurde mein Vater beruflich nach Thailand versetzt. Wir lebten in Barupha, das ist in der Ostregion Thailands. Ich wurde durch einen meiner Lehrer an der Internationalen Regent’s School, Mr. Paul Crouch, auf die Probleme der Seenomaden aufmerksam. Mister Crouch hat das Projekt ins Leben gerufen, Spenden gesammelt und Schüler gesucht, die auf die Insel Koh Phi Phi fahren, um beim Bau des Gemeindezentrums zu helfen.
Wie muss man sich das Gemeindezentrum vorstellen? Das Center ist sehr umweltfreundlich konzipiert, da die Seenomaden der Natur mit Hochachtung begegnen. Zuerst war das Grundstück nur ein Hügel, bestehend aus Sand, Steinen und Blättern, die zunächst abgetragen werden mussten. Danach wurden Löcher für Wassertanks gegraben, um das Regenwasser zu sammeln und nutzbar zu machen. Dabei habe ich geholfen, genauso wie beim Zementgießen für das Fundament. Mit Solarpanels (Solarzellen auf Dächern) ausgestattet, ist das Gebäude nun fast fertig und es wurde auch schon viel für die Innenausstattung gesammelt. Dringend benötigt werden aber noch Computer. Das community center soll
vor allem ein Schulzentrum für Kinder und Frauen sein, in dem auch die Lehrer, die dort kostenlos unterrichten, wohnen können. Im Gemeindezentrum finden die Seenomaden-Kinder einen Platz zum Spielen und Lernen. Die Betreuung dort hilft ihnen, sich außerhalb ihrer gewohnten Kultur zurecht zu finden.
Welche Berufsperspektiven haben die Seenomadenkinder denn und welche ermöglicht ihnen das Projekt, in dem du mitgearbeitet hast?
Ich habe auch eine persönliche moralische Verpflichtung, die ich an mich selbst stelle: ich möchte den Titel bestmöglich für die Kinderrechte und mein Projekt nutzen. Außerdem konnte ich gemeinsam mit meiner Schwester Madita, die auch ein Juniorbotschafter ist, durch permanentes Engagement und Enthusiasmus unsere Schulleitung mit dem „Kinderrechte-Fieber“ infizieren – da hat der Titel schon geholfen.
Was muss geschehen, damit Kinderrechte bei allen Kindern ankommen und dann auch besser geschützt werden?
Leider ist die Umsetzung vieler Möglichkeiten an den finanziellen Rahmen der Familie gekoppelt. Das sieht man gut, wenn man sich das Recht auf Bildung anschaut: In Thailand ist der Schulbesuch zwar kostenlos, jedoch Kinder kommen in erster Linie an Rechte, wenn Erwachmuss eine Schuluniform getragen werden. Viele Eltern, sene sie ihnen einräumen. Das können Eltern, Politiker, auch die der Seenomadenkinder, können aber das Geld Juristen, Ärzte oder auch Lehrer sein; die Kinder sind jefür eine Schuluniform nicht aufbringen, auch wenn das doch meist nur passiv beteiligt. Ich finde, Kinder sollten für uns unvorstellbar scheint. Das Gleiche gilt für das juristisch viel stärker geschützt sein und mehr beteiligt Recht auf medizinische Versorgung: wer kein Geld hat, werden. Ein Vergehen an einem Kind sollte beispielskann einen Arzt oder das Krankenhaus schlichtweg nicht weise viel stärker bestraft werden, als ein bewaffneter Banküberfall. Das würde bestimmt viele Täter und Wiebezahlen. derholungstäter abschrecken! Prostitution und Kleinkriminalität sind für mich die einzig denkbaren „Perspektiven“. Prostitution ist zwar offiziell verboten, aber trotzdem reisen jährlich tausende können Kinder ihre Rechte Sextouristen nach Thailand, ohne sich über die Konse- heute gut umsetzen? quenzen ihres Handelns Gedanken zu machen. Das Gemeindezentrum bietet vor allem die Mög- Naja, es geht voran, aber es besteht auf jeden Fall noch lichkeit, Englisch und Computerkenntnisse zu erlernen, viel Änderungsbedarf. Zunächst einmal müsste sich der um später im Tourismus einen Job zu finden. Jobs an der „community spirit“ ändern: Die Menschen sind oft nicht Hotelrezeption, in der Verwaltung, in Restaurants oder bereit, einander zu helfen. Kinder werden oft nicht als Kinder akzeptiert, zum Beispiel wenn sich ältere Leute als Touristenführer sind denkbar und machbar für die vom Krach auf dem Spielplatz oder dem Kindergarten in Seenomadenkinder. der Nachbarschaft gestört fühlen und sich beschweren. Die Kinder untereinander müssten ebenfalls besser kooZiel des Wettbewerbs UNICEF Juniorperieren, denn Mobbing wird immer häufiger. Vor allem botschafter ist es, Kinderrechte aber müssten bessere Gesetze zum Schutz der Kinder bekannter zu machen. Wie kannst du erlassen werden.
als Jugendliche und Botschafterin dein Recht auf Beteiligung umsetzen?
Ich denke, der Juniorbotschafter kann einen wichtigen Beitrag leisten, wenn er die „Trophäe“ nicht nur einsteckt, sondern den Titel souverän nutzt. Es ist ein langer Weg, bis die Kinderrechte in der Öffentlichkeit verankert sind, deswegen muss man mit kleinen Erfolgen zufrieden sein. Meine Schule und ich planen momentan Events, deren Erlös an UNICEF gehen soll. Dadurch werden weitere Kinder und Eltern über Kinderrechte informiert. Wenn diese dann wiederum Familie und Freunden berichten, ist schon wieder ein kleiner Teil der Öffentlichkeit gewonnen worden. Ich glaube, dass durch Ausdauer und Biss „das Boot“ immer voller werden kann. Diesen Erfolg hätte ich ohne den Titel in diesem Ausmaß wahrscheinlich nicht verbuchen können.
Inwiefern? Naja, der Titel hat mir Türen geöffnet: die Möglichkeit Vorträge zu halten und damit immer zuerst Kinderrechte im Allgemeinen und dann im Speziellen in Form meines Projektes vorzustellen und publik zu machen, bekommt man sonst eher nicht.
Welches ist Dein gröSStes Anliegen als UNICEF-Juniorbotschafterin? Für mich galten alle Kinderrechte, wofür ich auch sehr dankbar bin. Deshalb möchte ich anderen Kindern helfen, die nicht in dieser glücklichen Lage sind: Das Recht auf Bildung ist wohl das wichtigste Recht für die Seenomadenkinder. Ihr Lebensraum ist zerstört und ohne Bildung haben sie kaum eine Möglichkeit, sich in die „neue Welt“ zu integrieren und sich zu ernähren – abgesehen von Prostitution und Kriminalität.
Malin, du machst momentan dein Abitur. Wie geht es danach für dich weiter? Wenn alles nach Plan läuft, werde ich Medizin studieren, um Kinderärztin zu werden. Das gibt mir die Möglichkeit, Kindern unmittelbar zu helfen – etwa in Krisengebieten, wie das bei Ärzte ohne Grenzen oder UNICEF möglich ist. Auf jeden Fall möchte ich, wie bei dem Gemeindezentrum auch, direkt anpacken und helfen.
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Das war‘s!
Deutschland will noch in diesem Jahr bestätigen, dass Kinder ein Recht auf das so genannte „Individualbeschwerdeverfahren“ haben. Bei der Konferenz „Rechte haben – Recht bekommen!“ am 23. März in Berlin war genau das Thema. Von Jil Blume
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iese PO ist zu Ende – genau wie die Fachkonferenz „Rechte haben – Recht bekommen!“ in Berlin. Was die Konferenz gebracht hat? Dass Menschen, die für Kinder verantwortlich sind, sich über das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) informiert haben. Das Zusatzprotokoll fordert ein Individualbeschwerdeverfahren für Kinder, das ihnen ermöglicht, selbst gegen ihren Staat zu klagen, wenn der zulässt, dass ihre Rechte verletzt werden. Die UN-KRK ist damit die letzte UN-Konvention, die um diese Möglichkeit erweitert wird. In Deutschland ist das Protokoll noch nicht ratifiziert – und das soll sich ändern. Politiker und Kinderrechtsexperten, Sozialpädagogen und Jugendarbeiter haben auf der Konferenz „Rechte haben – Recht bekommen“ den Schritt der UN begrüßt und beraten, wie möglichst bald auch Kinder in Deutschland von dem internationalen Beschluss profitieren können. Sie haben sich dazu in FishbowleDiskussionen im Stuhlkreis zusammen gefunden, mit inneren und äußeren Sitzreihen, sodass jeder aus einem äußeren Kreis, der etwas beizutragen hatte, jemanden im inneren Kreis ablösen und seine Meinung sagen konnte. Da wurde
über Möglichkeiten gesprochen, Kinder über ihr neues Recht zu informieren, sobald Deutschlands Ratifizierung durch ist. Und? „Da kamen wieder Vorschläge, die ich schon kannte. Web 2.0. Klar. Aber die Erwachsenen müssen endlich mit Kindern zusammen arbeiten.“ Das jedenfalls bemängelt Anja Wichtill, die in der Jugendorganisation Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Die Experten wüssten oft gar nicht mehr, wie Kinder ticken und hätten deswegen auch Probleme, ihnen Informationen zu übermitteln.
Das Individualbeschwerdeverfahren – Waffe für Kämpfer mit langem Atem Außerdem haben die Teilnehmer über die Schwierigkeiten beraten, ein Kind durch den langwierigen Prozess eines Beschwerdeverfahrens zu bringen. Und um überhaupt ein solches Verfahren einleiten zu können, „müssen alle nationalen Möglichkeiten ausgeschöpft sein“. Das allein kann bis zu sieben Jahre in Anspruch nehmen. Und wie sollen Anwälte Kinder bei diesen anstrengenden Schritten unterstützen, wenn sie selbst
gar nicht über das Zusatzprotokoll informiert wurden? Es muss also eine bessere Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. Jörg Maywald von der National Coalition für die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland wies allerdings darauf hin, dass „da keine falschen Erwartungen“ geweckt werden dürften. Alles, was jetzt gerade getan werde, würde denen, die heute Kind in Deutschland sind, nichts mehr bringen. Denn solange kein Familienanwalt, keine Grundschullehrerin und kein Kindergärtner die neue Waffe „Individualbeschwerdeverfahren“ kennt, ist sie wirkungslos. Ein erster Schritt, über diese Waffe zu informieren, ist getan. Wenn Deutschland aber wirklich etwas für die Jüngsten im Land erreichen will, müssen auf FishbowlDiskussionen und Konferenzen weitere Ideen und praktikable Ansätze folgen. Klar, solche Expertenrunden sind notwendig. Sie sind grundlegend, damit Experten und Politiker auf dem Laufenden über Kinderrechte gehalten werden und gemeinsam nächste Schritte planen. Aber sie dürfen nicht in ihrem kleinen Kreis bleiben – stattdessen muss es Konferenzen wie die in Berlin extra für Kinder und Jugendliche geben. Mit bunten, leicht verständlichen Flyern und
Plakaten, die sie über ihr neues Recht informieren. Mit abgestimmtem Unterrichtsmaterial für weiterführende Schulen und Berufskollege, für Grund- und Vorschulen, das neugierig macht, sich mit Kinderrechten zu beschäftigen. Es muss Ansprechpartner für Lehrer und Sozialarbeiter geben, die überfordert mit noch einem Text in Juristendeutsch sind. Es muss Schulungen und Material für Mitarbeiter der Agentur für Arbeit geben, die arbeitslosen Eltern zeigen, wo Kinder ihre Rechte ausleben dürfen, auch wenn wenig Geld in der Haushaltskasse ist. Wie wäre es mit Begrüßungspaketen für Zugezogene, in denen Angebote für Kinder vorgestellt werden und in denen kleine Heftchen mit gesammelten Kinderrechten liegen? Wir brauchen jemanden, der sich genau um solche Ideen kümmert. Deutschland hat bis heute keinen Kinderbeauftragten auf Bundesebene – jetzt wäre doch ein passender Zeitpunkt, einen einzustellen. Das war‘s also fürs Erste. Was Du jetzt tun kannst? Diese politikorange mit in den vorgewärmten Park nehmen. Lesen. Jemanden anlabern. Zum Beispiel das kleine Mädchen da vorne mit dem Mathebuch. Wetten, es hat noch nie was von seinem Recht auf Freizeit gehört?
FruchtflEisch Mir fehlt ein Kinderrecht auf… „Auto fahren“
„telefonieren“ Foto: Lisa Brüßler
„gerechtigkeit“
Negin, 18 Jahre „Als Kind habe ich mir gewünscht, dass ein Junge aus meiner Klasse, der mich oft ärgerte und nervte durch eine Gerichtssendung extra für Kinder bestraft werden würde.“
\\ 18
rubens, 10 Jahre „weil viele Kinder sich für Autos begeistern und Autofahren einfach SpaSS macht wünsche ich mir, dass man schon mit 10 Jahren Autos steuern darf.“
Benita, 13 Jahre „weil eine Stunde am Tag nicht ausreicht, um mit allen Freunden zu telefonieren wünsche ich mir, dass Eltern nicht bestimmen dürfen wie lange man telefonieren darf.“
f risc h , f r u ch t i g, s e l bs tge p r e sst – m it machen @po lit iko ran g e.de
Impr essum Diese Ausgabe von politikorange entstand im Rahmen der Fachkonferenz „Rechte haben – Recht bekommen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am 23. März in Berlin stattfand. Herausgeber und Redaktion: politikorange Jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.politikorange.de
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