Abgestimmt Dezember 2011
Unabh채ngiges Magazin zuM BundesParteitag der SPD 2012 HERAUSGEGEBEN von der Jugendpresse DEUTSCHLAND e.V.
Foto: Jonas Fischer
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Zwischen Volksfest und Weltpolitik
Ed i tor i al Liebe Leserinnen und Leser,
Die SPD will auf ihrem Parteitag die Weichen für die Bundestagswahl 2013 stellen und sich selbst erneuern. Die Stimmung in den Hallen des ehemaligen Dresdner Bahnhofs in Berlin wird eingefangen und gibt ganz eigene Impressionen, von langwierigen Debatten, schlafenden Fotografen, begeisternden Reden und einer purpurnen Wand. VON HENDRIK BACHMANN
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Zur Lage der Nation
Eure Chefredaktion Anne-Juliane Wirth und Nora Lassahn ANZEIGE
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tragsbuch, das einem Telefonbuch ähnelt, zusammengefasst. Und wer stimmt gern über ein Telefonbuch ab? Auch für Außenstehende und die über 1 000 Pressevertreter ist das eine Belastungsprobe. Während der EuropaDebatte legt sich an der Fotografen-Tribüne ein junger Fotograf zu einem kurzen Nickerchen auf den roten Teppich. Der Sicherheitsdienst weckt ihn nach kurzer Zeit. Die meisten Gäste und Delegierten nutzen die Zeit zwischen den großen Reden oder innerhalb langwieriger Debatten um sich auf der Ausstellungsfläche umzusehen. Diese ist mindestens viermal größer als das eigentliche Plenum. Schon beim Herauslaufen aus dem Plenum streift man die Stände von Audi, e.on, RWE oder dem Verband der privaten Krankenversicherungen. Lobbyisten, Firmen, Stiftungen und Vereine machen Werbung. Dies dient allen - den Firmen, die auf sich aufmerksam machen dürfen, den Besuchern, die sich informieren und teils auch verpflegen können und der Partei zur Refinanzierung des Parteitages. Was die Stände dafür zahlen ist allerdings unklar. (In)direktes Parteisponsoring ist wohl kein Teil der neuen Transparenz.
Nach Schmidts Rede geht er los: der Parteitagsalltag. Zum Beispiel fordert Änderungsantrag O 85 im § 28 Organi- Der Nachhall sationsstatut die Erhöhung von Parteiratsmitgliedern von 90 auf 110 oder es wer- Zum Kampf gegen Rechts- und Linksextremismus soll die Gesellschaft einstehen. den Anträge eingebracht, die nur auf die Mit e-Government, Plebisziten, einer ParErsetzung einzelner Wörter zielen. Die Diskussionen sprengen das Zeitfenster teireform und Transparenz will die SPD regelmäßig. Die 473 Delegierten werden versuchen, wieder frei nach Willy Brandt laut und unaufmerksam. Immer wieder „mehr Demokratie zu wagen“. Für eine sowerden sie aufgefordert zuzuhören, Ge- zialdemokratische Partei ist es selbstverspräche doch bitte außerhalb des Raumes ständlich wichtig, soziale Gerechtigkeit zu führen und dennoch nicht wegzulau- zu verlangen. Dazu fordert Helmut Schfen. Alle 1000 Anträge sind in einem An- midt vor allem „Chancengleichheit für
Kinder, Schüler und junge Leute“. Denn im Nachhinein auszugleichen, was am Anfang schief lief, ist komplizierter und teurer als systematische Fehler am Anfang zu beheben. Damit trifft er den Geist der Zeit - einer Zeit, in der man sich wieder mehr auf die Familie besinnt und Bildung eine wichtige Rolle spielt. Die Ausstrahlung von sozialer Wärme erreicht in diesem Moment seinen Höhepunkt. Aber zu diesem Zeitpunkt ist es bereits viel zu warm in dem unterdimensioniertem Saal. Gerade bei der Rede des Altkanzlers ist es so voll, dass keine Gäste mehr eingelassen werden können. Auf der anderen Seite steht der Ort – die STATION Berlin – als Symbol für die SPD und ist ein Kontrast zu einer aseptisch-sterile Messe- oder Stadthalle. Sie macht diese Veranstaltungen authentischer und persönlicher. Das Industriedesign mit Ziegelwänden und Stahlkonstruktion steht für die Stammwähler der mit 150 Jahren ältesten deutschen Partei. Die Rekonstruktion und Modernisierung der Halle geht einher mit der Neuausrichtung der Partei. Leider ist es aufgrund der geringeren Saalhöhe nicht möglich gewesen, eine erhöhte Pressetribüne aufzustellen, sodass der Journalist der „Bild“ sein vermeintliches Recht auf einen uneingeschränkten Blick mit urzeitlichem Aufschreien Nachdruck verleihen musste. Hendrik Bachmann 17 Jahre, Stadtroda
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viel los: der diesjährige bundesparteitag hatte einen besucherrekord.
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s ist ein lauter Aufschrei, der nicht weit in dem mit hunderten Menschen gefüllten Saal hallt. „Wir sehen nichts. Wir müssen arbeiten“, brüllt der rot angelaufene Journalist in der ersten Reihe der Pressetribüne. Die angesprochenen Gäste des Parteitags reagieren nicht. Sie hören mangels Sitzplätzen der Rede des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt im Stehen zu und befinden sich dabei zwischen der Bühne und den aufgebrachten Journalisten. Während er Deutschland zum Verzicht auf eine Führungsrolle in Europa auffordert, spürt man plötzlich eine leichte Vibrationen des Bodens. Ist es der Leibhaftige persönlich, der kommt? Ist es das - den Applaus ergänzende - Fußtrampeln? Nach kurzer Zeit verschwindet es wieder, um dann unerwartet wieder einzusetzen. Doch alle Hypothesen stellten sich als falsch heraus. Es ist schlichtweg die U-Bahn, die über den alten Postbahnhof am Gleisdreieck in Berlin fährt und für Irritationen sorgte. Im Saal schwenkt die Kamera auf das Publikum und fängt lauter euphorische Menschen vor den roten Seitenwänden ein. Diese sind mit Umrissen von Wahrzeichen deutscher Städte bedruckt. Es wirkt wie der Einbruch der Dämmerung. An den Eingängen im hinteren Teil des Raumes ist der Rotton dunkel, vorne an der Bühne ist es ein helles Rot. Erleuchtungen von den Rednern an die Zuhörer? Ist es Morgen- oder Abenddämmerung? Morgendämmerung für die SPD, da jetzt die Chance gekommen scheint die schwächelnde Regierung anzugreifen und 2013 abzulösen. Abenddämmerung aus Sicht der CDU, die mit einem Transporter gut sichtbar vor der Halle steht. Auf den ersten Blick scheint der Transporter für die SPD Werbung zu machen, denn auf ihm steht geschrieben: „Die neue SPD: Die Linke große Volkspartei“.
gesächselt wurde viel in der Redaktion dieser Ausgabe. Nicht, weil viele Redakteure aus dem Land August des Starken kommen. Vielmehr erkannten vor allem die weiblichen Mitglieder die Schönheit und „Sexyness“ deutscher Dialekte an. Die Stimmung im kalten Berlin war prächtig – trotz Hektik. Abstimmungen und Zeitpläne – das machte auch der SPD zu schaffen. Doch am Ende einigten sie sich: auf einen neuen Vorstand, keinen Kanzlerkandidaten und Purpur. Mit dem Orange der politikorange ist das allerdings nicht abgestimmt.
Inhalt
»Wechsel« Drei zur Auswahl: Was die Kanzlerkandidaten jeweils besonders macht. Seite 06
»Urgestein« Wenn Schmidt redet, hören alle zu. Seite 12
Foto: Ludwig Wegmann/ Bundesarchiv
»Wandel« Eine neue Farbe: Warum sich die SPD für Purpur entschieden hat. Seite 16
»Unruhe« Zuviel Presse: Welche Gefahren durch ständige Medienpräsenz drohen. Seite 17
Kanzler Hendrik würde Helmut Schmidt ermahnen sich nicht ständig vor laufenden Kameras in Rauchschwaden zu hüllen.
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Plätzchen backen ohne Marx
Seit Jahrzehnten definieren sich die Jusos als links von ihrer Mutterpartei. In Vorstandswahlen setzen sich die „Traditionalisten“ regelmäSSig gegen die „Pragmatiker“ durch. Doch nicht alle sind glücklich mit der Richtung des SPD-Jugendverbandes. Wie die Jungsozialisten ticken und welche Rolle sie in der SPD spielen hat Alexander Demling erkundet.
Foto: Christian Soeder (cc-lizenz)
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ars Düsterhöft ist ein Freund klarer Worte: „Wir haben einfach nicht die Zeit, stundenlang über Marx und Lenin zu schwafeln.“ Der Vorsitzende des Juso-Verbands Treptow-Köpenick im Osten Berlins hat auch so genug zu tun: „Wir backen Plätzchen für Bedürftige, machen regelmäßig Arbeitslosenfrühstücke und veranstalten jedes Jahr ein großes Sommerfest. Andere Verbände sind da theoretischer.“ Theoretischer – das ist seit Jahrzehnten das Juso-Klischee: Kinder aus reichem Hause diskutieren in schmutzigen Hinterzimmern voll schwerem Zigarettenrauch über „das System“. Dem Juso Lars Düsterhöft geht dieses Klischee auf die Nerven. Nicht, weil es falsch ist. Sondern gerade, weil es die Realität so gut trifft: „Die Sacharbeit bleibt da auf der Strecke. Wir in Treptow-Köpenick sparen uns die Debatten und machen viel Arbeit an der Basis. Für die Menschen.“ Die konkreten Projekte gehen nach Düsterhöfts Ansicht in ideologischen Grabenkämpfen unter: „Ganz links gibt es die Tradis, also die Traditionalisten, rechts die Pragmatiker. Die bekriegen sich. Auf Bundeskongressen bringen sie Quatschanträge ein, um sich gegenseitig zu blockieren“, erzählt er in genervtem Ton.
Tradis gegen Pragis
Alter Kuchen oder neue Kekse: Junge Sozialisten auf der Suche nach dem richtigen Rezept.
den Parteitag in Berlin haben sich die Jusos viel vorgenommen: Die Einkommenssteuer soll erhöht werden, als es die Partei eh schon plant, das Rentenniveau dagegen nicht noch weiter sinken. Offizielle Parteianträge sind daraus nicht geworden, deswegen haben sie wohl nur Außenseiterchancen (Die Abstimmungen hatten zu Redaktionsschluss noch nicht stattgefunden, Anm. der Red.). „Aber Parteitage haben eine ganz eigene Dynamik, da ist manches schwer vorauszusagen“, sagt Oerder. Zuversicht klingt anders.
Ende November war in Lübeck mal wieder so ein Bundeskongress, auf dem es zwischen „Traditionalisten“ und „Pragmatikern“ krachte: Der Gewerkschaftssekretär Frederic Striegler forderte den bisherigen Juso-Vorsitzenden Sascha Vogt Mitgliederriese und heraus. „Pragmatiker“ Striegler wollte die Einflusszwerg Jungsozialisten wieder näher an den Kurs Überhaupt scheint der Einfluss der Juder Mutterpartei führen, weg vom stramm linken Kurs, der die Jusos seit 1969 aus- sos innerhalb der Partei begrenzt: Wenn macht. Unter Vogt sei der Jugendverband schon der Parteitag eine solche Hürde in der „linken Schmuddelecke“ gelandet darstellt, wie viele Juso-Forderungen und führe nur noch „sinnlose System- schaffen es dann in den nächsten Kodebatten“. Am Ende setzte sich Vogt mit alitionsvertrag? Wie viele erreichen als Gesetzesentwurf den Bundestag und 72,9 Prozent der Stimmen klar durch. In Lübeck wurde auch Katharina wie viele werden schließlich als Gesetz Oerder in den Vorstand der Bundes-Jusos „die Welt verändern“, wie Oerder es ausgewählt. Die 27-jährige Bonnerin ist klar drückt? Dabei sind die Jusos zahlenmäßig links, mit dem Kurs des Verbandes hat sie kein Problem: „Wir machen viel inhalt- einer der stärksten Verbände innerhalb 000 Mitgliedern sind liche Arbeit, versuchen Themen in der der SPD: Mit 55 Partei zu setzen: Zum Beispiel fordern wir über zehn Prozent aller Sozialdemoseit zehn Jahren Steuererhöhungen, jetzt kraten auch Jusos, dazu kommen auch ist uns auch die Partei gefolgt.“ Auch für noch 15.000 Jungsozialisten, die nicht
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in der Partei sind. Mit 70.000 Mitgliedern dachten, wir wären die typischen Jusos.“ bringt der Verband also eigentlich ein or- Etwa 75 Prozent der jungen Mitglieder dentliches Kampfgewicht auf die Waage. seien Karteileichen. Das liege zwar an Das liegt aber nicht unbedingt an der Be- vielen Gründen, aber eben auch den skurgeisterung für ihre Forderungen, sondern rilen Kämpfen innerhalb des Verbandes: eher an einem statistischen Trick: Wer „Manche Verbände hier in Berlin sind vor unter 35 ist und in die SPD eintritt, wird allem über die Israel-Frage gespalten. Da automatisch als Juso gezählt. Wie viele werden Vorstandswahlen alleine daran davon tatsächlich die Ziele der Jusos entschieden, ob jemand Israel kritisiert teilen, wie viele auf Sitzungen kommen oder nicht.“ Ob die Juso-Kreisverbände oder die sozialistischen Jugendcamps be- Kreuzberg oder Mitte am Ende entscheisuchen, weiß man dagegen auch im Ver- dend zur Lösung des Nahost-Konfliktes bandsbüro nicht. beitragen, ist eine offene Frage. Vielleicht Ob die Jusos mit ihrem ideolo- wären ihre Zeit, ihr Idealismus und ihre gischen Kurs die Mehrheit der jungen Nerven bei originär jugendlichen Themen Sozialdemokraten repräsentieren, ist also wie Netzpolitik, Wahlalter oder Ausbilgar nicht so klar, wie es die Dreiviertel- dungsplätzen aber besser aufgehoben. Mehrheit für ihren Vorsitzenden Sascha Vogt glauben lässt. Überhaupt ist fraglich, warum ein Jugendverband eine klar umrissene Ideologie braucht. Dass die Demokratische Linke besonders links ist, leuchtet ein. Doch Jugendliche sind nicht per se linker als andere Parteimitglieder. Meiden vielleicht viele junge Sozialdemokraten Alexander Demling die Jusos, weil sie zwar jung sind, aber 24 Jahre, Heidelberg eben nicht besonders links? „Die mag es schon geben. Aber ich kenne eigentlich …würde in sein keine“, antwortet Katharina Oerder. Handhaltungs-Repertoire als Kanzler neben der „Klar gibt es die“, antwortet Lars „Merkel-Raute“ auch die Düsterhöft, „ich kenne alleine in mei„Schröder-Fäuste“ und die nen Ortsverband mehrere, die erst bei „Nixon-Vs“ aufnehmen. uns nicht mitmachen wollten, weil sie
der Parteitag in Zahlen
Die Organisation eines Parteitages ist komplex. Da verliert sich schnell der Überblick. Claudia Engelen und Lisa Kreuzmann fassen wichtige und belanglose Fakten zusammen. 11,1% *
Presse
5,8% *
61,1% *
Gäste
Delegierte
* von 9 000 Besuchern
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enn die ersten Politiker und Aussteller die STATION unterhalten werden wollen sie schließlich auch. Beim in der Luckenwalderstraße betreten, blasen bereits Programm scheute die Partei keine Mühen. Am Dienstaüppige Heizschläuche warme Luft in den alten Güter- gnachmittag singt sogar ein Kölner Jugendchor, der zum bahnhof. Einige Gäste lockern die roten Schals und we- Parteitag angereist ist. Im Repertoir: die SPD-Hymne deln sich Luft zu, bevor sie ihre Füße auf die ersten der „Wann wir schreiten Seit´ an Seit´“. 10 000 Quadratmeter Teppichboden setzen. 7 500 Gäste hat die SPD geladen, davon 523 DeAus einem der 50 Lautsprecherboxen ertönen legierte, 1 000 Journalisten und ebenso viele Aussteller. wohlige Klänge. Die Gäste sollen sich gut fühlen und Für die haben die Veranstalter 30 Kilometer Kabel ver-
legt, die Boxen, Bildschirme, Kühlschränke und Mikrofone zum Leben erwecken. Um die eigene Politik ins richtige Licht zu rücken, erleuchten 250 Scheinwerfer die Industriemauern. Bei dieser Großveranstaltung handelt es sich übrigens um den „ersten klimaneutralen Parteitag“. Eine ganz schöne Herausforderung, immerhin umfasst das Gelände eine Fläche von 20 000 Quadratmetern.
FruchtflEisch Was findest du ungerecht? „Infrastruktur“
„Chancen“ Fotos: Jonas Fischer
„Einfluss“
Luisa Heide, 19 Jahre Studentin aus Greifswald „Ungerecht ist, dass die Jusos nicht mehr den Einfluss auf die Politik haben, den sie mal hatten.“
Arne Lietz, 35 Jahre Referent aus Wittenberg „dass die Autobahnen besser ausgebaut sind, als das Schienennetz. Jetzt, wo ich schon mal eine Bahncard 100 besitze.“
Ilse Brusis, 74 Jahre Politikerin aus Dortmund „dass Kinder in schlechten Lebensverhältnissen groSS werden und dadurch ungleiche Chancen haben.“
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Die drei Fragezeichen
Nicht die Gretchen-, sondern die Kanzlerfrage muss die SPD in den nächsten Wochen und Monaten beantworten, um bei der nächsten Bundestagswahl zu alter Stärke zurückzufinden. Doch wer sind sie, die Männer, die der deutschen Sozialdemokratie ihr Gesicht leihen wollen? Eine Gegenüberstellung von Niklas Peters Foto: SPD
Foto: SPD
Foto: Thomas Köhler/Photothek.net
Sigmar Gabriel der Lehrer der Nation
Frank-Walter Steinmeier der Mann für Europa
Peer Steinbrück der Schatzmeister
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igmar Gabriel, 52, erscheint nie ohne rote Krawatte. Entschlossen stemmt er sich beim Sprechen gegen das Rednerpult und beginnt, laut und bedacht die Forderungen der Opposition geltend zu machen. Im Gegensatz zu zahlreichen Kollegen glänzt Gabriel jedoch nicht ausschließlich durch zuweilen provokante Reden, sondern punktet auch mit guten Leistungen in seiner Funktion als Parteivorsitzender. Seine demonstrative Volksnähe bescherte dem Niedersachsen aber nicht nur Fans innerhalb seiner Fraktion, sondern auch viele Anhänger in der Bevölkerung. Ein typischer Fall von „everybody’s darling“? Das Politbarometer vermittelt ein anderes Bild: Dort haben Steinmeier und Steinbrück die Nasen vorn. Ist Gabriel also doch eher ein perfekter Oppositionspolitiker, der sich durch Schlagfertigkeit im Bundestag in Szene zu setzen weiß? Wenn er nicht gerade CDU-Politiker demontiert, kümmert er sich um seine Tochter und spielt überraschenderweise regelmäßig Tennis. Bevor er sich in der SPD-Fraktion als Mann für Sozial- und Umweltpolitik einen Namen machte, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Lehrer. Eine optimale Vorbereitung fürs Kanzleramt? Das wagt so mancher Delegierter auf dem Parteitag zu bezweifeln: Gabriel könne nicht hart durchgreifen, lautet der Einwand, und seine Einstellung zur Sozialpolitik stößt im rechten SPD-Flügel nicht immer auf Zustimmung. Auch meinen manche Zweifler, dass Gabriel lieber ein guter Parteivorsitzender bleiben, als ein schlechter Kanzler werden sollte.
rank-Walter Steinmeier, 55, sah man noch nie ohne Brille. Dass ein Politiker von Format ein Markenzeichen braucht, ist schließlich seit Helmut Schmidt kein Geheimnis mehr. Im Bundestag kennt man den Fraktionsvorsitzenden vor allem als einnehmenden Redner, doch auch unter den Wählern sichert ihm eine große Anhängerschaft seine Stellung innerhalb der Partei. Ein Bundesaußenminister, der mit kugelsicherer Weste im Hubschrauber über Afghanistan fliegt, ist immer eine Schlagzeile wert. Ebenfalls sehr beliebt: Ein Image als Familienmensch. Wer seiner Frau eine Niere spendet und trotz Stress im politischen Amt viel Zeit mit seiner Tochter verbringt, muss schließlich auch aus menschlicher Sicht ein toller Hecht sein. Neben seiner Popularität stärkt jedoch auch Steinmeiers intelligente Europapolitik das Vertrauen in ihn als potentiellen Kandidaten für die nächste Wahl. Neben anderen bescheinigt ihm auch Parteikollegin Helene Pege „die nötige Erfahrung, die ein Bundeskanzler braucht, um erfolgreich zu sein.“ Trotz aller Lorbeeren sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Steinmeier 2009 bereits eine Wahlschlappe gegen Angela Merkel kassierte. Einige Parteimitglieder sind deshalb überzeugt, dass der Schuster bei seinen Leisten, der Außenpolitik, bleiben sollte.
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ucht man „Peer Steinbrück“ bei Google, erhält man 2,4 Millionen Einträge. Zumindest im Netz ist er also mit beachtlichem Abstand der Spitzenreiter unter den Kanzlerkandidaten. Ein Omen? Immerhin löste Steinbrück unlängst Angela Merkel an der Spitze der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker ab. Ein wenig überraschend kommt dieser Höhenflug jedoch schon daher, bekleidet der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der auch schon als Bundesfinanzminister und Umweltminister auf der politischen Bühne agierte, doch momentan keinen wichtigen Posten innerhalb der SPD. Liegt es vielleicht an seinem Redetalent und seinem guten Gefühl für die politische Stimmung, dass man ihn sowohl parteiintern als auch auf der Straße für einen würdigen Kandidaten für die kommende Bundestagswahl hält? Als „qualifiziert und belesen“ schätzt ihn Marie Glos ein, und auch andere Parteimitglieder bauen auf seine Kompetenz im Finanzbereich. Kritische Stimmen hingegen sprechen ihm rundheraus ab, zum Beispiel im Bereich der Integrations- und Familienpolitik ausreichend qualifiziert zu sein. Trotzdem: Die allgemeine Stimmungslage in Deutschland spricht für ihn. Und wer in seiner Freizeit mit Helmut Schmidt Schach spielt, kann sich zumindest schon einmal Altkanzler-Tipps aus erster Hand holen. Schachmatt für die Konkurrenz?
Niklas Peters 16 Jahre, Neuss …würde als Bundeskanzler mehr Pepp in den Bundestag bringen.
„GIRLS WHO RUN THE WORLD“
Beyoncé besingt den Feminismus und Pink fordert in ihrem Song „Stupid Girls“ eine weibliche Präsidentin. Diese Parolen sind eindeutig, doch kann die Politik diesen Aufforderungen gerecht werden? Von MIRIAME ANESCAR
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eminismus gilt heutzutage als verschrien. Frauen und Mädchen, die sich für ihre Rechte einsetzen, werden oftmals als „Kampfemanzen“ abgestempelt. Damit wird ihnen unterstellt, dass sie sich unweiblicher und aggressiver verhalten, als es für ihr Geschlecht als „normal“ wahrgenommen wird. Dabei ist Feminismus sowohl Theorie, als auch politische Bewegung, der sich die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau zum Ziel gesetzt hat. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in vielen Ländern Europas, den USA und Australien die erste Welle des
Als ersten Schritt gegen diese Gedan- Europäischen Datenbank 3 500 davon Fühkenmuster könnte die Wahl einer Frau rungspositionen. Laut Statistischem Bundesins Kanzleramt gesehen werden. Seit amt werden gerade mal 27 Prozent aller April 2000 ist Angela Merkel Bundesvor- Führungspositionen von Frauen ausgeführt. sitzende der CDU und seit 2005 deut- Eine Frauenquote einzuführen gilt jedoch sche Kanzlerin. In einer Männerdomä- noch immer als sehr umstritten. ne behauptet sie sich täglich und weiß sich zu beweisen. Die CDU schreitet mit „What happened to the bestem Beispiel voran: Seit November dreams of a girl presi2009 ist Kristina Schröder Bundesmini- dent? She’s dancing in the sterin für Familie, Senioren, Frauen und video next to 50 Cent” Jugend. Zunächst unverheiratet wurEngland hat seine Queen und Hillary de sie im Amt schwanger und ist nun Clinton spielt obwohl sie nicht zur PräsiMutter einer Tochter. Kann die SPD da dentin gewählt wurde, als Obamas rechmithalten?
Nagellack und Arbeitskluft: Bei der SPD kein Widerspruch.
Feminismus. Deren Vorreiterinnen haben “Outcasts and girls with wir heute das Frauenwahlrecht und somit ambition – that‘s what I die politische Beteiligung der Frau und wanna see” das Ende der Mündelschaft zu verdanken. Auch forderten sie gleichen Lohn für glei- Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstänche Arbeit – ein Problem, das weiterhin de – dies forderte Elke Ferner am 2. Debesteht. Bildung spielt im Feminismus zember 2011 in ihrer Rede im Bundestag. eine ganz große Rolle. Wer nicht aufge- Die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinklärt ist über die Möglichkeiten, die uns schaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Frauen heutzutage offenstehen, kann warb mit Nachdruck für den SPD-Antrag, nicht mitreden, mitwirken und verändern. die freiwilligen Vereinbarungen endlich gesetzlich festzulegen. Immer wieder würden durch leere Versprechungen untereinander Auf dem Vormarsch falsche Hoffnungen geschürt. Alles solle in die Politik sich verändern, habe es geheißen. Dennoch Frauen verdienen in Deutschland im sei Deutschland im europäischen Vergleich Schnitt noch immer ein Viertel weniger noch immer unter den Schlusslichtern, was als Männer. Laut einer Statistik von 2006 die Anzahl weiblicher Führungskräfte in erhalten sie einen durchschnittlichen Spitzenpositionen angehe. Frauen bilden Stundenlohn von 14,05 Euro, Männer da- mit 52% die Mehrheit der EU-Bevölkerung. gegen 18,38 Euro. In der Europäischen Union belegen laut der
Foto: Jonas Fischer
te Hand weiterhin eine wichtige Rolle in der US-Regierung. Warum sind Frauen wie sie weiterhin die Ausnahme? Wo sind die starken, ambitionierten Frauen wie Oprah, Michelle Obama oder Condoleeza Rice in der SPD? Gibt es sie gar nicht oder haben sie bisher noch nicht die Möglichkeit erhalten, sich ernsthaft zu beweisen? Katharina Oerder, stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, sieht die Problematik zum einen im Umgangston, der in den höheren Rängen herrscht. Viele Frauen haben schlichtweg „keinen Bock“ sich in Führungspositionen schroff behandeln zu lassen. Die weitaus größere Hürde stellt wohl die Vereinbarkeit von Familie und Politik dar. Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, sei in ihrer Position eine echte Ausnahme – somit aber auch als Vorbild zu betrachten. Nicht viele Frauen
könnten den Stress, den das „unter-einenHut-bringen“ von Familie und Politik mit sich bringt, kompensieren. Bei den Jusos stehen gleiche Bildungschancen und soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Zudem fordern die Jusos die Gleichstellung der Geschlechter. Ihre feministische Parole lautet: „Wer eine menschliche Gesellschaft will, der muss die männliche überwinden“. Die Politikverdrossenheit wird laut Katharina Oerder schlimmer dargestellt, als sie tatsächlich ist. Es gäbe genug junge Frauen, die ein großes politisches Interesse haben und auch aktiv mitwirken möchten. Sie wollen in ihren Bedürfnissen und Interessen ernst genommen werden. Dazu gehören auch konkrete Projekte. Auf diesem Grundsatz baut das „fem. net“ der SPD auf. Die Idee stammt von dem Juso-Mitglied Nancy Haupt und beruht auf einem einfachen Prinzip: Frauen sollen sich vernetzen. Mit 15 000 weiblichen Jusos-Mitgliedern gibt es noch immer zu wenige junge Frauen, die sich aktiv politisch engagieren. Die größte Barriere ist wohl der Zeitaufwand, den eine aktive Parteimitgliedschaft mit sich bringt. Zudem finden sich viele junge Frauen in den veralteten Strukturen der SPD nicht wieder. Durch die Organisation von sogenannten Barcamps, auf denen vor Ort über Projekte entschieden wird, ist eine erste Basis dafür geschaffen. Das „fem.net“ soll dies noch erweitern: in drei Monaten soll das Projekt online gehen und Frauen die Möglichkeit bieten, sich zu finden, auszutauschen, Treffen zu organisieren oder über Projekideen zu diskutieren. Das Netzwerk wird allerdings nicht nur SPD-Mitgliedern zur Verfügung stehen. Der externe Bereich soll als politisches Frauenmagazin aufgebaut werden und der Zielgruppe sowohl Informationen rund um Feminismus als auch zu Fashion und Lifestyle liefern. Wer Veränderung sehen möchte, sollte sich am besten selbst für seine politischen Forderungen einsetzen. An den Frauen liegt es, zu beweisen, dass sie tatsächlich das Potential haben, die Welt zu beherrschen – in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den männlichen Kollegen.
Miriame Anescar 19 Jahre, Freiburg …ist viel zu verpeilt, um ein politisches Amt zu besetzen.
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Nicht reden, sondern leben
Sie haben mehr als ein Jahr dafür gearbeitet und nun einen ganz groSSen Wurf gelandet. Am Sonntag beschloss der Parteitag die Parteireform mit dem Schwerpunkt einer gröSSeren und effektiveren Mitgliederbeteiligung. Von Julian Heck Foto: flickr.com/SPDMK (cc-lizenz)
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ie SPD will die modernste Partei Europas sein“, kündigte die sozialdemokratische Generalsekretärin Andrea Nahles im Vorfeld des Parteitages an. Damit weckt sie hohe Erwartungen bei den Mitgliedern, bei dem Parteivorstand und der Öffentlichkeit. Gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel hatte sie eine Kampagne gestartet, um die organisatorischen Strukturen komplett umzuwälzen. Das Ziel: Mitglieder sollen sich stärker beteiligen können. Das verdeutlichte der Parteivorstand, indem er den Prozess der Umgestaltung von Anfang an transparent gestaltete. Auch die Mitglieder konnten sich daran beteiligen. Zunächst befragten sie in allen Städten und Gemeinden die Ortsvereine nach ihren Wünschen. Darauf aufbauend erarbeiteten sie ein Konzept. Mit einem fertigen Reformvorschlag reisten Andrea Nahles, Sigmar Gabriel und die Bundesgeschäftsführerin Astrid Klug durch die Republik. Es wurde debattiert, gelobt und kritisiert. Die Kritik äußerte sich in weit über 400 Anträgen zu dem Leitantrag „Parteireform“ – eine Flut von Ergänzungen, Streichungen und Umformulierungen.
Mitgliedschaft muss sich lohnen
Starker Kaffee, starke Basis: Die SPD setzt nach der Pareireform auf Mitgliederbeteiligung.
Die Delegierten beschlossen, den Partei- Meinung von Nicht-Genossinnen und vorstand zu verkleinern, den Parteitag zu -Genossen zu erhören und andere Bürger vergrößern – und damit mehr Mitglieder einzubeziehen, dafür sind spezielle Bürteilhaben zu lassen. Denn in Zeiten des Mit- gerparteitage angedacht. Ebenfalls sollen gliederschwundes scheint es ihnen umso Menschen, die kein rotes Parteibuch bewichtiger, sich um eben jene Mitglieder zu sitzen, auf zukünftigen SPD-Parteitagen kümmern. Dem versucht die Parteireform Anträge stellen dürfen. Auch sogenanngerecht zu werden. Sie sieht vor, Parteimit- te Themenforen öffnen sich für Nichtglieder besser zu betreuen. Das heißt, dass Mitglieder. „Schließlich sind die Bürger/ es mehr Qualifizierungsangebote für Mit- innen die Motoren der Demokratie“, beglieder geben wird und ein Servicetelefon gründet der Leitantrag. als Anlaufstelle ins Angebot aufgenommen werden soll. Mitgliederbeauftragte auf ver- Mit dem Internet schiedenen Parteiebenen stehen als An- mehr erreichen sprechpartner zur Verfügung und sind auch dafür zuständig, Mitglieder zu werben. Die Piratenpartei – die ihren Parteitag Neu ist, dass Mitgliederentscheide auch per zeitgleich in Offenbach abhielt – hatte die Briefwahl oder online durchgeführt werden, Diskussionen um Transparenz und die damit die Hürde, sich daran zu beteiligen, Nutzung neuer Medien angeheizt. Alle Parteien sehen sich nun im Zugzwang. niedriger werden soll. In dem Antrag der Sozialdemokraten zur Nicht-Mitglieder beteiligen – Parteireform erscheint das Stichwort „Internet“ mehrmals. Das „world wide web“ aber nicht zu stark soll in vielerlei Hinsicht genutzt werden. Anders als ursprünglich angedacht wer- Diskussionen werden zunehmend ins Inden Nicht-Mitglieder an Entscheidungen, ternet verlagert, um einen ortsunabhänwie zum Beispiel an der Benennung des gigen Meinungsaustausch gewährleisten Kanzlerkandidaten, nicht beteiligt. Zu zu können. Wie das geht, hat die SPD groß war die Kritik an diesem Vorschlag im Prozess zum Entwurf des Parteireforim Vorfeld des Parteitages, da dies ganz mantrages gezeigt. Die Aktivitäten in sound gar nicht dazu passe, die Mitglie- zialen Netzwerken, allen voran Facebook, derrechte zu stärken. Um dennoch die sollen ausgebaut und optimiert werden.
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Geplant ist, dass Anträge auch im Netz gestellt werden können. Durch das Internet erhofft sich die SPD vor allem, Jugendliche besser zu erreichen. „Die Mitglieder kommen zu uns und wir zu den Mitgliedern“, betonte Andrea Nahles bei ihrer Rede auf dem Bundesparteitag.
Das letzte Wort hat aber der Parteitag Hitzige Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten beherrschten die Quoten-Frage. Sowohl Frauen- als auch Migrantenquote sind Bestandteile der neuen Parteireform. „Aber ich möchte nicht jedes Mal wieder dafür einstehen müssen, dass diese Quote eingehalten wird“, ermahnte eine Delegierte während der Antragsberatung. Trotz der Debatte, ob die Migrantenquote denn immer eingehalten werden würde, stimmte die Mehrheit für dieses Mittel, um Migranten in Führungsgremien zu katapultieren. Im Bundesvorstand müssen demnach 15 Prozent der Mitglieder einen Migrationshintergrund haben, auf anderen Ebenen ist dies individuell festzulegen. Dass der Parteitag den Empfehlungen der Antragskommission, die alle Anträge im Vorfeld gebündelt und daraus eine Abstimmungsempfehlung ausgesprochen hat, nicht
immer folgt, zeigte sich an der Parteireform. Die Kommission plädierte beim Antrag dafür, die Schwusos (Lesben und Schwule in der SPD) als eine offizielle Arbeitsgemeinschaft der SPD anzuerkennen, abzulehnen. Der Parteitag hingegen stimmte dafür. Für Jubel sorgte auch das ebenfalls gegenteilige Votum der Delegierten für das „Reißverschlussverfahren“. Dies besagt, dass die Listenaufstellung bei den kommenden Bundestagswahlen abwechselnd männlich und weiblich erfolgen muss. Doch die eigentliche Bewährungsprobe für die Parteireform kommt noch. Erst die praktische Umsetzung wird zeigen, welche Auswirkungen sie auf die alltägliche Arbeit der SPD haben wird. Andrea Nahles als Reformführerin ist sich jedenfalls sicher: „Die SPD redet nicht nur über Demokratie, sondern lebt sie.“
Julian Heck 21 Jahre, Weiterstadt Wenn Julian Kanzler würden, hätten seine Schulkameraden Recht gehabt.
Parteireform auf dem Prüfstand
Die SPD reformiert sich. Mehr Mitglieder beteiligen, Transparenz, Parteiöffnung – das sind die erklärten Ziele. Doch was steckt hinter den Phrasen, von denen die Reform eingeleitet wird? Julian Heck geht mit dem Rotstift kritisch über die erste Seite. Und kommentiert, warum die Reform trotzdem eine Chance für die SPD ist. Von Julian Heck
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ie will fortschrittlich sein und modern. Sie will Mitglieder beteiligen und Nicht-Mitglieder. Sie will sich neu erfinden und sich doch treu bleiben. Will die SPD zu viel? Es hört sich nach der großen Reform an, wie man sie Jahrzehnte lang nicht hatte. Doch gleichzeitig stellt sich die Frage, warum der Fortschritt erst jetzt beginnt und das demokratische Element der Sozialdemokraten scheinbar auf der Strecke blieb. Man könnte der SPD glatt unterstellen, dass sie erst jetzt nach der Halbierung der Mitgliederzahlen und -beiträge aufgewacht. Die Parteireform, wie sie nun beschlossen wurde, hat ohne Zweifel einen Fortschrittscharakter. Mitglieder stärker in politische Entscheidungsprozesse ein-
zubeziehen ist fortschrittlich – aber auch längst überfällig. Unsere Volksvertreter sollten schließlich wissen, welche Meinungen und Interessen sie zu vertreten haben – und das nicht erst seit gestern. Mehr Partizipation bedeutet natürlich auch, dass Mitglieder gegen den Willen der Funktionäre entscheiden können. Politik soll für und im Sinne des Volkes gemacht werden. Aus diesem Grund haben Politiker Einzel – und Eigeninteressen zu ignorieren. Sie sollten, nein müssen, sich dem Volkswillen unterordnen. Im Hinblick auf die Stärkung der Mitgliederrechte war der ursprüngliche Vorschlag, Nicht-Mitglieder an Vorwahlen und anderen Entscheidungen zu beteili-
gen, geradezu paradox. Zurecht kritisierten Mitglieder den Sinn und Zweck ihrer Mitgliedschaft, wenn doch jeder den gleichen Einfluss ausüben kann. Dieser Vorschlag ist nun vom Tisch. Trotzdem hat die Nicht-Mitglieder-Einbindung für Viele einen negativen Beigeschmack. Warum soll sich ein Mitglied mit einem NichtMitglied über parteiinterne Angelegenheiten auseinandersetzen? Wenn beide gleiche Rechte hätten, könnte sich das Mitglied die Mitgliedsbeiträge sparen und gar noch die Politik der Partei von Außen beeinflussen. Die Mitglieder dürfen sich nach der Reform über eine exklusive Betreuung freuen. Wie darf man sich das vorstellen? Sitzen zwei nette Call-Center-Damen im
Willy-Brandt-Haus, die man nach einer mehrminütigen Warteschleifenzeit erreicht und um Hilfe bittet, wie man den wütenden Fritzchen Fritz im Ortsverein wieder beruhigen kann? Darf ich anrufen, wenn ich im letzten Mitgliederbrief einen Rechtschreibfehler entdeckt habe? Bei all den beschlossenen Maßnahmen gilt: Es darf nicht darum gehen, dass Beteiligungsstrukturen wichtig für die Außenwirkung sind. Keinem hilft eine Scheinbeteiligung. Nicht erst Mitglieder im Prozess beteiligen und dann über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen fällen. Die Partei muss stattdessen den Mut haben, Macht und Verantwortung an die Basis abzugeben. Andernfalls bleibt es bei einem guten Ansatz.
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Die groSSe Geste
Nahezu jeder Politiker lässt gern Taten sprechen, zumindest auf der Bühne: Wildes Gestikulieren und Gebärden, die vor Entschlossenheit strotzen, sind fester Bestandteil der Selbstinszenierung und liefern nicht selten Steilvorlagen für Imitationen und Parodien. Für Gehörlose ist das pantomimische Abstrahieren von Personen jedoch mehr als Scharade. Auch sie möchten über Politik diskutieren und Reden problemlos folgen können, ohne jeden Akteur mühevoll buchstabieren zu müssen. Die Lösung des Problems: Eigenschaften von Politikern werden zur Darstellung dieser in die Zeichensprache überführt - mit ebenso fantasievollen wie entwaffnend ehrlichen Resultaten. Eine kleine Einführung in eine Sprache, die so direkt ist, wie es Worte in der Politik selten sind. Fröhliches Zuordnen wünscht Julia Lorenz.
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Sie ist das Paradebei stark auch Politiker keiten definiert wer musste sich die gesu mische Bemerkunge typisch miesepetrige druck gefallen lasse auf Hochglanz polie pagnen nichts ändern nett, dass zumindes densprache neuerdin sehr charakteristisch herhalten muss; imm heute deutlich besse einigen Jahren.
D Der elegante Haarschopf des gesuchten Politikers, an dem er sich in bester Münchhausen-Tradition eigenhändig aus dem Sumpf zu ziehen versteht, lieferte die Inspiration für die ihm zugeschrieben Gebärde. Ziemlich profan für den Ex-Kronprinzen der bürgerlichen Demokratie: Zu seinen Glanzzeiten wäre wohl eine hoheitsvoll-gebieterische Geste angemessener gewesen. Oder hagelte es aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit mit Prinz Daniel Plagiatsvorwürfe von Seiten des schwedischen Königshauses?
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E Recht uncharmant fällt die Darstellung dieses Sozialdemokraten aus: Seine Leibesfülle hat offenbar genug Wiedererkennungswert, um als Gebärde in der Sprache der Gehörlosen übernommen zu werden. Wenig schmeichelhaft? Sicher. Aber ernsthaft: Würde man diesen Politiker in der Lautsprache einem Unwissenden als „den mit dem Themenschwerpunkt Umwelt“ beschreiben oder sich doch lieber auf greifbare Charakteristika stützen? Eben.
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Foto:Jonas Fischer
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Wo endet die Umsetzung von offensichtlichen Merkmalen und wann überschreitet die Unverblümtheit der Gebärdensprache die Grenzen des Respekts? Der hier dargestellte Politiker dürfte wenig erfreut über seine Übersetzung in die Sprache der Gehörlosen sein, ist sie doch eine Anspielung auf ein ungeliebtes Relikt aus seinen Jugendjahren. Parteiintern verwendet man deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit die alternative Gebärde: Eine wellenförmige Armbewegung.
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F C Eine Seltenheit in der politischen Zeichensprache: Weder Flaschenbier noch Pipelines standen Pate, um den Frauenschwarm der alten Sozialdemokraten-Garde darzustellen, sondern sein Führungsstil. Die ihm zugeschriebene Handbewegung setzt seine politische Wankelmütigkeit metaphorisch um, Anekdoten und äußerliche Eigenheiten bieten in seinem Fall ausnahmsweise keinen Grund zur Erheiterung. Vielleicht aus Angst vor Klagen? Verweise auf die Haarfarbe des Dargestellten sollten ja bekanntlich vermieden werden, um sich keinen persönlichen Ärger einzuhandeln.
Angesichts mancher Ansichten dieses Christdemokratens ist offenbar selbst der findigste Gebärdendolmetscher „sprachlos“: Im Falle des Dargestellten werden weder äußerliche Merkmale noch andere Attribute mit Händen und Füßen visualisiert, sondern sein Nachname abstrahiert. Was ist es, das da auf- und zugeklappt wird?
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A 3: Angela Merkel B 5 : Guido Westerwelle C 1: Gerhard Schröder D 2: Karl-Theodor zu Guttenberg E 4: Sigmar Gabriel F 6: Stefan Mappus
ispiel dafür, wie über Äußerlichrden: Seit jeher uchte Dame häen über ihren en Gesichtsausen, woran auch erte Imagekamn konnten. Wie st in der Gebärngs ihr ebenfalls her Haarschnitt merhin sitzt der er als noch vor
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Deb at t e
auf der suche nach der verlorenen zeit?
Die Sozialdemokraten trauen sich zu, Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl 2013 zu besiegen. Auf ihrem Parteitag stellen sie die programmatischen Weichen für eine mögliche Machtübernahme. Findet die Partei wieder zu ihren linken Wurzeln? „Ja“, sagt Alexander Demling: Mit Steuer- und Rentenerhöhungen fällt die SPD zurück in den überwunden geglaubten Klassenkampf. „Nein“ meint dagegen Julia Lorenz: Mit der alten Arbeiterpartei hat unsere heutige SPD nicht mehr viel gemein. Von Alexander Demling und Julia Lorenz
PRO
1998 ist kein Jahr, an das dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder in der man sich gerne erinnert: „Welt am Sonntag“ die Steuersenkungen Die Radiosender spielten „SupaRichie“ und die „Agenda 2010“ seiner Regierung und „Barbie Girl“, die Nationalmann- gegen Kritik aus seiner eigenen Partei schaft schlechten Fußball und Deutsch- verteidigt. Denn das Reformerbe seiner land litt nach 16 Jahren Kohl-Regierung Regierung wird ausradiert sein, wenn die unter Rekordarbeitslosigkeit und Reform- SPD ihr Programm wie geplant umsetzt. stau auf allen wichtigen Politikfeldern. Dabei hätte die Partei eine VerleugDennoch zeigt die SPD des Jahres 2011 nung ihrer Vergangenheit gar nicht nöeine überraschende Nostalgie für das tig: Dass die Arbeitslosenquote heute so Deutschland des Jahres 1998: Mit ihren niedrig ist wie seit 1992 nicht mehr, dass Plänen zur Steuer- und Rentenpolitik der Rentenbeitrag trotz demografischem nach einer möglichen Regierungsüber- Wandel stabil ist, ist vor allem ein Vernahme 2013 wandelt sich die SPD wieder dienst der SPD-Regierung der frühen weg von der modernen Volkspartei der 2000er Jahre. Vieles, was unter Schröder Mitte hin zum ideologischen Kampfver- beschlossen wurde, lief der alten Ideoloband. gie der Partei entgegen. Erfolgreich war es So soll der Spitzensteuersatz der trotzdem. Einkommenssteuer auf 49 Prozent steiWer die hohen Steuern und starren gen, die Parteilinke wollte gar 52 Prozent Arbeitsmarktregeln der Vor-Schröder-Jahdurchsetzen – das wären dann knapp re zurück will, nimmt auch Arbeitslosenweniger als die 53 Prozent gewesen, die zahlen nahe fünf Millionen in Kauf. Wer Spitzenverdiener 1998 bezahlten. Die Ver- voll auf die umlagefinanzierte Rente setzt, mögenssteuer – 1997 für verfassungswid- wird die Rentenbeiträge bald in Richtung rig erklärt – soll ein Revival feiern. Und 25 Prozent des Bruttolohns schnellen sedie langfristige Senkung der gesetzlichen hen. Wie so oft war früher eben nicht alRente aus der Riester-Reform könnte les besser. auch wieder kassiert werden. Jeder dieser Pläne kann für sich allein schon kritisiert werden: Die erhöhte Einkommenssteuer trifft nicht nur Reiche, sondern auch kleine Unternehmen. Die Vermögenssteuer trifft ebenfalls Unternehmen, selbst wenn diese Verluste schreiben und könnte so Betriebe in die Pleite treiben. Und wer wieder mehr Rente verteilen will, hat wohl eine Lösung für Alexander Demling die rapide Alterung der deutschen Gesell24 Jahre, Heidelberg schaft gefunden – oder nimmt eine Explosion der Sozialbeiträge in Kauf. …würde die Kanzlerphase Nimmt man die Pläne der Sozialdeüberspringen und einfach gleich Altkanzler werden. mokraten aber zusammen, ergibt sich ein noch düstereres Bild: Der SPD fällt für die Probleme der Zukunft außer altem Klassenkampf nicht viel ein. Kein Wunder,
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CONTRA
Wer sind überzeugteste Christdemokrat mit Fraugleich noch enquoten und Mindestlöhnen herumdiese Typen, die bei Wikipedia unter schlagen und man munkelt sogar, dass der Überschrift „Gründung der SPD“ zu die ersten FDP-Mitglieder auf Anti-Atomfinden sind? Stimmt, Liebknecht und kraft-Demos gesichtet wurden. Lassalle! Man erinnert sich vage: TatDie Rechnung ist denkbar einfach: sächlich, die Sozialdemokratische Partei Die Gesellschaft ist zu individualisiert, Deutschlands startete als Arbeiterpartei, der Wähler zu flexibel und die Aufmerkauch wenn daran nicht mehr viel erinnert. samkeitsspanne der Medien zu kurz für Möglicherweise zu Recht: Schließlich ist eine längerfristige Parteiidentifikation. heute auch ihre damalige Anhängerschaft, Was den Wähler bewegt, hat Priorität – die Arbeiterklasse, die unter menschen- egal, ob man sich dabei Themen widmen unwürdigen Bedingungen in Fabriken muss, die keine Herzensangelegenheiten malochte, ein Relikt aus dem Geschichts- sind. Die Ideologie stellt dabei keine buch. Dennoch setzt der geneigte Wähler ausreichende Legitimation mehr für povoraus, dass das Rot der Arbeiterbewe- litische Entscheidungen dar. Und eine gung nicht nur aufgrund der Signalwir- Absage an traditionelle Prioritäten, eine kung beibehalten wurde. „Entwurzelung“ der Parteien scheint die Kramt man im kollektiven Ge- zwingende Konsequenz daraus zu sein. dächtnis nach SPD-Beiträgen zum Sozial- Aber: Ist dies ein Verlust? system, wird wohl der Mehrheit vor allem Fakt ist, dass allgemeine Sachzwänein Thema besonders lebhaft in Erinne- ge, nicht Parteitradition, die Themenrung sein: Die „Agenda 2010“ und der schwerpunkte bestimmen. Wem hier damit verbundene Kurswechsel in der Ar- schon Begriffe wie „Anbiederung“ und beitsmarkt- und Sozialpolitik. Man muss „Selbstverrat“ unter den Nägeln brennen, weder ein linientreuer Sozialist sein noch sollte jedoch bedenken, dass die aktuden Anspruch erheben, die Sozialdemo- ellen Herausforderungen eine zeitgemäße kraten an ihren revolutionären Anfangs- Interpretation der Parteigrundsätze vertagen zu messen, um hier eine deutliche langen. Abkehr von der ursprünglichen Ideologie zu erkennen; Maßnahmen wie Steuererleichterungen und die Anhebung des Rentenalters atmen schließlich nicht gerade den Geist der Parteigeschichte. Allerdings: Kaum ein Bürger setzt sein Kreuz aus Nostalgiegründen. Themen wie die Überalterung der GesellJulia Lorenz schaft, Migration und Globalisierung und 20 Jahre, Berlin die damit verbundenen Fragen brachte das zwanzigste Jahrhundert mit sich. Wer Wäre Julia Kanzlerin, hier auf dem Pfad der alten Garde wanwürde sie „Die Partei“ als Koalitionspartner deln will, läuft ins Leere. gewinnen wollen. Die Tendenz zur programmatischen Angleichung betrifft allerdings nicht nur die SPD: Neuerdings muss sich auch der
Er kam, sprach und rauchte
Helmut Schmidt ist eine Legende. Er steht für Finanzwissen, rhetorische Fertigkeiten – und ist bekannt für die gelegentliche Zigarette. Nicht nur ältere Semester sind begeistert, sondern auch jüngere Generationen. Von CLAUDIA ENGELEN
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in Raunen geht durch das Publikum. Auf der Bühne sitzt ein älterer Herr mit lichtem weißem Haar. Er wird mit Spannung erwartet und mit tosendem Beifall begrüßt – Helmut Schmidt. In seinem Gesicht ist keine Regung zu erkennen, man weiß nicht, was er denkt, nicht, wie er sich fühlt. Er kennt sich aus, beim SPD-Parteitag und auf der Bühne. Sigmar Gabriel kündigt den Altkanzler an und es ist offensichtlich, dass ihn diese Ehre mit Stolz erfüllt. Der Raum ist bis in die letzten Reihen gefüllt. Delegierte, Parteimitglieder, Journalisten und Aussteller – jeder möchte die Rede hören und wenigstens einen kurzen Blick auf Helmut Schmidt erhaschen. Den Scherz „eine mit Helmut zu rauchen“ hört man mehr als nur einmal. Jedoch zündet sich der Altkanzler erst nach seiner Rede eine Zigarette an, während ihm das Publikum minutenlang mit „Standing Ovations“ feiert – für „Normalsterbliche“ gilt im Plenum weiterhin das Rauchverbot. Was ist es, das den Hamburger so populär macht? Wie hat er es geschafft, dass Jung und Alt zu ihm aufschaut? Für viele ist er Vorbild. Manche wünschen sich Schmidt sogar als neuen/
alten Kanzlerkandidat der SPD. Wie lässt sich diese Begeisterung für den 92-Jährigen erklären?
Schmidt – ein Phänomen?
re ökonomische Stärke, eine politische Führungsrolle in Europa zu beanspruchen oder doch wenigstens den Primus inter pares zu spielen, so würde eine zunehmende Mehrheit unserer Nachbarn sich wirksam dagegen wehren“ Hanseatische Noblesse gepaart mit intellektueller Schärfe begeistern die Zuhörer, das ist spürbar. Schmidts körperliche Konstitutiion steht im Gegensatz zu seiner geistigen Verfassung, die in der Blüte zu sein scheint.
zur per son Helmut Schmidt, 1918 in Hamburg geboren, engagierte sich ab 1945 in der SPD. Er war Bundesminister der Verteidigung und anschließend Bundesminister für Wirtschaft & Finanzen. Von 1974 – 1982 bekleidete Schmidt das Amt des Bundeskanzlers. Als seine größten Herausforderungen galten die Ölkrisen, die Rentenfinanzierung und der Kampf gegen den Terrorismus der Roten Armee Fraktion.
Dass Schmidt heute Heldenstatus in der SPD genießt, ist verwunderlich. Denn entzog einst die Partei ihrem damaligen Kanzler die Unterstützung für seine Sicherheitspolitik – und beendete so seine politische Karriere. Heute scheint das vergessen. „Helmut Schmidt spielt eine Sonderrolle“, erklärt Gerhard Schröder ‚The Elder Statesman’ der „Welt am Sonntag“ bei einem Interview zum Parteitag. „Wenn Sie über 90 Alt an Jahren und Erfahrung steht es Schmidt zu, als alter Staatsmann, der sind, dann dürfen Sie alles – und er kann ja auch ne Menge.“ Auch wenn Helmut deutschen Politik den Spiegel vorzuhalten. Sein Wissen speist sich nicht nur Schmidt erstmals seit 1998 wieder bei einem Parteitag das Wort ergreift, so aus Büchern, sondern auch aus langen war er in der Zwischenzeit immer prä- Jahren politischer Aktivität: Als Finanzsent. Sein Thema sind die großen, po- fachmann erlangte er weltweit einen hervorragenden Ruf, sein Interessenspeklitischen Zusammenhänge, weniger das trum umfasst jedoch sämtliche politische Klein-Klein der Alltagspolitik. Auf dem Parteitag spannt Schmidt den Bogen der Bereiche. Helmut Schmidt ist ein Politieuropäischen Geschichte vom Dreißig- ker mit Ecken und Kanten. Viele seiner jährigen Krieg bis zur heutigen Euro-Kri- Aussagen sind es Wert, in Stein gemeißelt se. So mahnt er: „Wenn wir Deutschen oder zumindest ins Grundsatzprogramm uns verführen ließen, gestützt auf unse- der SPD aufgenommen zu werden.
Claudia Engelen 22 Jahre, Köln …hat zu wenig Schauspieltalent und zuviel Gewissen Kanzlerin sein zu können.
FruchtflEisch Was findest du ungerecht? „Gesundheit“
„Bildung“ Foto: Jonas Fischer
„Vorurteile“
Gitte Sparding, 27 Jahre Juso-Bundesbüro aus Münster Aufgrund des Geschlechts als körperlich inkompetent abgestempelt zu werden, empfinde ich als ungerecht. Heimwerken kann ich!“
Abderrahmane Lamrani, 54 Jahre Politiker aus Marokko „It´s not fair when people don´t have the possibility to get health care.“
Philip Schulze, 18 Jahre Abiturient aus Ingelheim „Ich finde das Bildungssystem ungerecht. Ganz besonders die Unterschiede zwischen den Bundesländern.“
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Zu r p e r s on Carsten Schneider ist der Haushaltsexperte der SPD-Fraktion und Sprecher der Th端ringer SPD-Abgeordneten im Bundestag. Vor langer Zeit hat er sich in der Jugendpresse Th端ringen engagiert.
Foto: Jonas Fischer
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» Ich bin Internationalist« KOMAPATIENT EUROPA
Er ist Mr. Haushalt der SPD-Bundestagsfraktion: Carsten Schneider. Wirtschaftspolitik soll seiner Meinung nach Europasache, das Europäische Parlament endlich ein „richtiges Parlament“ und aus der Europäischen Union zügig eine Fiskalunion werden – auch wenn die Bürger Europas sich noch nicht als Europäer fühlen. von BARBARA LUCIUS
Wie erklären Sie in Ihrem Wahlkreis die Finanzkrise? Der Knackpunkt ist, dass staatliche Schuldverschreibungen, Staatsanleihen, kaum mehr nachgefragt werden, weil sie ihre frühere zentrale Eigenschaft verloren haben. Sie gelten nicht mehr überall als sichere Anlage. Teilweise verstehen die Teilnehmer am Finanzmarkt erst jetzt, dass Europa aus unterschiedlichen Ländern besteht – zwar mit einer gemeinsamen Währung, aber unterschiedlicher Haushaltspolitik. Investoren sind zudem darüber verunsichert, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition sich 2012 höher verschulden wird, als ursprünglich geplant. Dazu kommt die allgemeine Unsicherheit. Ministerien, Banken und Versicherungen spielen teilweise bereits Modelle einer Rückkehr zu nationalen Währungen durch, ein Auseinanderbrechen der Eurozone. Diese Gedankenspiele zeigen, wie beschädigt das Vertrauen jetzt schon ist.
Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede vorhin von einem Europa der Geheimabsprachen gewarnt. Teilen Sie diese Bedenken? Ja, derzeit wird die Demokratie entdemokratisiert: Anonyme Teilnehmer des Finanzmarkts geben den Takt vor. Den Handelnden fehlt teilweise die Legitimation: Fühlt sich die Bevölkerung noch durch das vertreten, was Parlamente, also die Volksvertreter, beschließen? Da muss man zunehmend sagen: Nein. Stattdessen beschließen teils nur Regierungen, allen voran Deutschland und Frankreich.
Sie kritisieren einerseits eine Entparlamentarisierung, sind aber selbst einer von neun Bundestagsabgeordneten in einem winzigen Geheimgremium, das über gewisse EinzelmaSSnahmen des Euro-Rettungsfonds EFSF entscheiden soll – ein Widerspruch? Das sehe ich gespalten: Zum einen braucht es für einzelne Maßnahmen, die diese EFSF durchführen soll, absolute Vertraulichkeit. Wenn dieser Fonds interveniert, dann können wir das nicht bei ausnahmslos allen Einzelfällen im Plenum des Bundestages debattieren. Die SPD-Fraktion hat dem Gesetz zwar zugestimmt, mit dem dieses Gremium ins Leben gerufen wurde – allerdings hatten wir dazu einen Änderungsvorschlag: Wir wollten, dass der Haushaltsausschuss des Bundestags grundsätzlich bestimmt und nur bei absolut gebotener Eile das Geheimgremium entscheidet. Durch die standardmäßige öf-
fentliche Debatte im Bundestag wären Marktteilnehmer weit im Voraus informiert und der Effekt der Maßnahme wäre dahin.
Wie sehen Sie in einem starken Europa die Rolle Deutschlands und deren Wahrnehmung in den anderen Mitgliedstaaten? Man muss als Deutscher immer, immer einen Schritt zurück treten, das hat auch Helmut Schmidt heute klug gesagt. Wichtig ist, immer auch die Kleinen mitzunehmen und nicht nur mit Frankreich zu zweit den Takt vorzugeben.
Fühlt sich die Europäische Bevölkerung Ihrer Meinung nach europäisch genug, um dauerhaft aus Überzeugung heraus gegenseitig für Schulden einzustehen? Noch nicht, und das kommt auch nicht über Nacht. Als Erstes kommt der Europäische Währungsfonds, der ESM. Ganz am Ende können Euro-Bonds, also gemeinsame Staatsanleihen, für deren Rückzahlung alle Euroländer gemeinsam haften, stehen. Wenn man eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik hat, dann kann man am Ende auch gemeinsam Haftung übernehmen.
Einige Ihrer Parteikollegen kritisieren, dass das Europäische Parlament zu wenig Gesetzgebungskompetenz in der EU hat – ein Widerspruch zur Forderung der SPD nach einer Fiskalunion? Diese Medaille hat natürlich zwei Seiten: Ich bin nicht bereit, als Haushaltspolitiker Rechte des Bundestages abzugeben, wenn nicht klar ist, dass das Europäische Parlament auch die Rechte eines ordentlichen Parlaments bekommt. Das erste Problem ist, dass im Europäischen Parlament 27 Länder vertreten sind, von denen aber nur 17 den Euro haben. Außerdem muss das Parlament der absolute Souverän werden und nicht wie bisher die Macht im Mischmasch mit den Staatschefs und Kommission teilen. Hier müssen die Grundlagenverträge über die Europäische Union geändert werden. Daneben müssen wir dazu auch unsere deutsche Verfassung, das Grundgesetz, erneuern. Dazu wird in Deutschland eine Volksabstimmung nötig sein – das geht nicht von heute auf morgen.
das Haushaltsrecht auf eine europäische Ebene übertragen werden – wird dann das Königsrecht des Bundestags freiwillig abgegeben? Ich hoffe, dass bereits auf dem Gipfel am 8. und 9. Dezember nicht erneut nachts gesagt wird „Alles ist toll und super!“ und erst beim genauen Blick ins Kleingedruckte wird am nächsten Morgen klar, dass doch noch nichts oder nur sehr wenig tatsächlich geklärt ist. Wir sind in der kritischsten Phase überhaupt und ich hoffe, dass angekommen ist, dass es eine eindeutige, eine glaubwürdige Lösung für die Verfasstheit der europäischen Union und der Euroländer braucht. Und persönlich wünsche ich mir Ruhe und keinen Krisengipfel über Weihnachten.
in fo rmati on Staat sanlei he Um laufende Ausgaben des Staates zu finanzieren, geben alle EU-Länder selbständig Schuldverschreibungen am Finanzmarkt aus. Wer dem Staat beispielsweise über zehn Jahre einen bestimmten Betrag Geld leiht, erhält es nach danach mit Zinsen zurück. Bisher galten Staatsanleihen als risikoarm. Grundsätzlich gilt: Je sicherer die Rückzahlung, desto niedriger die Zinsen. Je niedriger die Zinsen, desto leichter können Staaten ihre Ausgaben finanzieren.
EFSF Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ist der aktuelle, zeitlich befristet Euro-Rettungsschirm. Er vergibt unter Auflagen Kredite an diejenigen Euroländer, deren Staatsanleihen an den Finanzmärkten nicht oder nur mit hohen Zinsen verkauft werden können. Ab 2013 soll er durch den permanenten Rettungsschirm ESM abgelöst werden.
Barbara Lucius 23 Jahre, Berlin …würde als Bundeskanzlerin Bildungspolitik zur Chefsache machen.
Wenn die Parlamente der Euroländer
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Na ch r i ch te n
VERKLEINERT wurde mit der Parteireform der Vorstand von 45 auf 35 Mitglieder. Das Präsidium wurde abgeschafft und der Parteitag vergrößert. Bei der Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter und Mandate haben die jeweiligen Parteiorgane mehr Einfluss.
Knallrotes Gummiboot
Bisher kaum bemerkt, gesellt sich stets eine zweite Farbe an die Seite des traditionellen SPD-Rots. Lange war es Grau, 2009 kam der SPD-Würfel und mit ihm ein Himmelblau. Nun ist der Würfel weg und das Purpur da. Von Florian Hirsch Foto: Jonas Fischer
VERGRÖSSERT werden soll das Mitspracherecht von Bürgern auf Bundesebene. Durch Volksentscheide sollen Bürger bei einem positiven Votum zu einer Vorlage und einer Beteiligung von mindestens 20 % der Wahlberechtigten den Bundestag dazu zwingen können, die Vorlage anzunehmen.
VERBESSERN will die SPD die Rolle von Eltern und deren Kindern. So soll das Kindergeld für Familien mit einem Einkommen von unter 3000 € angehoben werden, max. auf 324 €.
VERSTÄRKT werden sollen die Rechte des EU-Parlaments und dessen Macht innerhalb Europas. Das Haushaltsrecht soll teilweise an Brüssel abgegeben werden und eine Wirtschaftsregierung für Europa wird befürwortet.
VERLOREN hat der Bundesvorsitzende der Jusos, der seine Kandidatur für den Parteivorstand zurückzog, als sich abzeichnete, dass er keine Mehrheit auf sich vereinigen können würde. Damit ist die SPD die einzige Partei, in der der Vorsitzende der Jugendorganisation nicht im Parteivorstand als stimmberechtigtes Mitglied tätig ist.
VERSCHÖNERT hat sich Sigmar Gabriel den heutigen Tag mit der Wiederwahl zum Parteivorsitzenden mit 91,5 %.
VERREIST Jens Stoltenberg, Ministerpräsident von Norwegen, hielt als Gast die offizielle Eröffnungsrede auf dem Bundesparteitag. Stoltenberg bedankte sich für die Unterstützung und das Mitgefühl anlässlich des Bombenattentats in Oslo und des Mordanschlags auf ein Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation im Juli 2011.
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auf dem parteitag besonders oft zu sehen: purpur ist die neue zusatzfarbe der spd.
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urpur – das ist die teuerste Farbe Farbberater empfehlen den Farbton zuder Welt. In der Überlieferung soll meist im Zusammenhang mit den Schlagein Hund auf eine Schnecke gebissen worten „Einzigartigkeit“, „Würde“ und haben, woraufhin sich seine Lefzen pur- „Kreativität“. Ihr wird „Geschlossenheit“ pur färbten. Die Farbe konnte lange nur und „emotionale Nähe“ zugesprochen. aus der im Mittelmeer lebenden Purpur- Das klingt schon eher wie die Zielformuschnecken gewonnen werden. Die Her- lierung einer Partei, die in ihrer jüngeren stellung war aufwendig, für ein Gramm Geschichte oft als profillos bezeichnet brauchte es 10 000 Schnecken. Es wun- wird. Zuversichtlich schwingt auch bei dert wenig, dass die Farbe lange Zeit vor Generalsekretärin Andrea Nahles mit, für allem Amts- und Würdenträgern vor- die das Purpur „Frische“ und „Selbstbebehalten war. Römische Senatoren und wusstsein“ ausstrahlt. Kaiser schmückten sich mit ihr, Päpste, Als Juniorpartner vom SPD-Rot ist Bischöfe und Kardinäle und auch das jü- Purpur sinnvoll. Es hebt sich von ihm ab dische Oberrabinat. Für eine Arbeiterpar- ohne sich mit ihm zu beißen. Es ist eine tei reichlich ungeeignet. kräftige Farbe, nicht langweilig oder beliebig. Im Farbspektrum der großen Parteien war Purpur bisher unbesetzt und Luxus in den ist damit eindeutig und wiedererkennbar. Reihen der SPD? Karsten Göbel, Geschäftsführer der SPD6,6‘-Dibromindigo, so die chemische Leadagentur Super J+K, sieht die ZusatzBezeichnung des Farbstoffs, kann seit farbe als „optisches Ausrufezeichen, das dem Anfang des 20. Jahrhunderts syn- klar macht, dass die SPD als Partei wieder thetisch hergestellt werden. Purpur da ist“. wurde zur Massenfarbe und hat heute Vorwärts, Purpur! eine breite Palette an Bedeutungen. In der Welt der Textilien und Kleider ist sie der ultimative Pepp für Langweiler. Im Eine einheitliche Gestaltung, ein sogeKontext der katholischen Kirche steht nanntes Corporate Design, gilt als Stansie für Buße und Umkehr. Generell wird dard moderner Markenführung. Auf dem sie oft als spirituell und mystisch wahr- Parteitag ist das Purpur daher überall genommen. Die Violetten, eine spiritu- präsent – auf Plakaten, auf Schildern, auf elle Partei, hat die Farbe für sich in Be- dem Mobiliar. Zwar ist die Farbe in der schlag genommen, doch weit bekannter Basis nicht unumstritten, doch die Gunst ist Purpur im Politischen als Farbe der der Stunde liegt in diesen Tagen bei ihren Befürwortern. Erkennbar sind sie an purFrauenbewegung.
purne Kleidungsstücken – von der Krawatte bis zum Pullover. Es dürfte schwer fallen ein Foto auf diesem Parteitag zu schießen, auf dem die Farbe nicht sichtbar ist. Das ist gewollt. „Das neue Design kann seine Stärke nur entwickeln, wenn es erlernt wird“, so Göbel. Erscheinungsbilder die häufig wechseln, verwirren und verunsichern. Bleibt für die Partei zu hoffen, dass die neue Farbe in Basis und Parteivorstand Bestand hat. Mit der neuen Farbe und dem neuen, alten Logo leistet sich die SPD den zweiten grundlegenden Gestaltungswechsel binnen drei Jahren. Manch ein Designexperte wirft ihr vor, sie wehe wie ein Fähnchen im Wind.
Florian Hirsch 25 Jahre, Berlin …würde er für das bedingungslose Grundeinkommen werben und alle Betroffenen statt wenige Zusatändige an Entscheidungen beteiligen.
Medienzirkus Parteitag
Beim SPD-Bundesparteitag kommt es zu einem Medienauflauf sondergleichen. Redakteure und Kameraleute sind omnipräsent, Reden werden zu Inszenierungen. Tritt die inhaltliche Arbeit in den Hintergrund und geht es nur um möglichst viel Öffentlichkeit? Von Laura Ilg
Gefundenes Fressen für Fotografen: Noch-nicht-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit Nicht-mehr-Minister Egon Bahr
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ange lauern sie auf ihre Beute. Als es sich endlich zeigt, umzingeln sie es, verfolgen es auf Schritt und Tritt. Halten ihm Kamera-Ungetüme und unzählige Mikrofone ins Gesicht. Sigmar Gabriel lässt sich vom Pressetross nicht beeindrucken, schüttelt Hände und schreitet Stand für Stand die Messehalle ab. Begleitet wird der SPD-Parteivorsitzende von Journalisten aller wichtigen Medien – von ARD, über RTL bis hin zum Spiegel. Dies ist kein Randphänomen auf dem SPD-Bundesparteitag 2011. Pressevertreter sind omnipräsent. Auf dem gesamten Veranstaltungsgelände sind Kamerateams unterwegs, die Pressearbeitsplätze den ganzen Tag über belegt. Rund 1 000 Medienvertreter haben sich akkreditiert. Denn während der vier Tage auf dem Bundesparteitag ringt die Partei um inhaltliche Standpunkte und stellt die Weichen für das nächste Jahr. Wofür soll die SPD in Zukunft stehen? Wie sollen die Wähler die Partei wahrnehmen? Die Medien vermitteln alle Entwicklungen und Entscheidungen der Partei fast in Echtzeit – ob per Live-Tweet oder im Fernsehen.
einer starken Bildhaftigkeit gezeichnet“, meint Karl Rudolph Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Uni DuisburgEssen. Die neue, purpurne Farbgebung bildet einen Kontrast im Hintergrund. Doch nicht nur das „setting“ ordnet sich den Bedürfnissen der Medien unter. Auch das Programm ist strategisch gut durchdacht. Es beginnt nicht mit einer langweiligen Eröffnungsrede, nein, Parteilegende Helmut Schmidt bringt mit seiner Rede zu „Deutschland in und mit Europa“ Strahlkraft in das ehemalige Bahnhofsgebäude in Berlin. Während der Altkanzler spricht, drängen sich Menschen dicht an dicht. Minutenlang brandet Applaus auf und will nicht enden. So ist die Partei vereint in Euphorie – eine Momentaufnahme, wie es sie sich im entbrannten Flügelstreit und in Zeiten der K-Frage nicht oft zeigt. So hat man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen hat sich die SPD die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gesichert und nebenbei für symbolträchtige Bilder gesorgt. Diese lassen sich weit besser verkaufen als langwierige Debatten über Änderungsanträge zu weitläufigen Themen wie Demokratie oder Europa.
Nichts bleibt dem Zufall überlassen
Duell der Kanzlerkandidaten
So haben die Parteien längst die Notwendigkeit erkannt, sich in einem möglichst gutem Licht zu präsentieren. Der Parteitag erinnert choreografisch stark an eine Fernsehsendung und ist perfekt auf den Zuschauer zugeschnitten. „Das Geschehen ist extrem bühnenzentriert und von
Doch der schönste Auftakt ist umsonst, wenn sich die Medien danach lieber dem möglichen Aus von „Wetten, dass…?“ widmen. Also immer schon die Spannung hochhalten und dem Medienzirkus keine Verschnaufpause gönnen. Es bleiben drei Tage, drei Kanzlerkandidaten und drei
Themengebiete. So spricht Steinmeier am ersten Tag zu Europa, Gabriel hält am Montag eine Rede und Steinbrück setzt den Schlusspunkt am Dienstag mit Wirtschaft und Finanzen. Wichtige Themenkomplexe werden gekonnt über Personen vermarktet und schweben nicht mehr als Abstraktum durch den Raum. Zugleich lädt diese Gestaltung zum direkten Vergleich ein: Wer präsentiert sich auf dem Parteitag am besten und taugt auch für die große Weltbühne? Wer nicht gut ankommt, verliert. Auch der Betrachter droht, sich auf dem Volksfest Parteitag zu verlieren – irgendwo zwischen den unzähligen Messeständen, z.B. von Air Berlin oder der Zigarettenmarke Philipp Morris. Geht es hier noch um den Argumentenaustausch von Parteispitze und Basis? Oder vielmehr um eine große Show für die Öffentlichkeit, die Politik nicht mehr als langwierigen Entscheidungsprozess mit Diskussionen, sondern als Erlebnis pur zeigt?
Inhalt vs. Öffentlichkeit Korte teilt diesen Eindruck nicht. Auf dem Parteitag gehe es um inhaltliches Ringen und komme zu langwierigen Debatten mit Änderungsanträgen. „Die mediale Inszenierung dient dazu, um inhaltliche Entscheidungen in die Öffentlichkeit zu transportieren.“ In der Tat fehlt in der schnelllebigen Medienwelt von heute oftmals der Platz, komplexe Sachverhalte darzustellen. Innerhalb von dreißig Sekunden muss alles Wichtige gesagt werden, Platz für ausufernde Erklä-
Foto: Jonas Fischer
rungen bleibt nicht. So sind die Medien auf symbolträchtige Bilder aus, die beim Zuschauer hängen bleiben und Emotionen auslösen. Dafür wartet man gern eine Stunde auf Herrn Gabriel um ihn beim Ausstellungsrundgang wie ein Rudel Wölfe zu umkreisen. Martin Auer vom SPD-Arbeitskreis Lobental kennt noch die anderen Zeiten. 1982 in München war er erstmals auf einem Parteitag dabei und berichtet nur allzu gern von der fast familiären Atmosphäre dort. „Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Das Geschehen ist event-orientiert und oberflächlicher geworden“, meint der 67-jährige Rentner. Das extrem gesteigerte Medienaufkommen sieht er nicht positiv: „Manchmal stellt sich die SPD nur die Frage: Wie kommen wir bei den Medien an? Entscheidend ist aber, wie wir bei den Menschen ankommen.“ So steht die SPD vor der Herausforderung, die Spannungsfelder inhaltliche Debatten und der Herstellung von Öffentlichkeit zu vereinen. Nur so hat sie Aussichten auf einen Sieg bei der Bundestagswahl 2013.
Laura Ilg 18 Jahre, Dettingen …würde die triste Fassade des Kanzleramts mit Streetart-Kunstwerken verschönern lassen.
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Rente ab ZWANZIG
Wer jung ist erlebt aufregende Dinge. Wer jung ist, möchte reisen, lernen, lieben – je nach Gusto eine Familie oder Rockband gründen. Vieles, aber sich nicht mit der eigenen Alterssicherung auseinandersetzen. Oder doch? Ist es jungen Menschen zuzumuten, frühzeitig und eigenständig an ihre Altersvorsorge zu denken? Ein kommentar on Lisa Kreuzmann
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äterchen Frost ist die osteuropäische Personifikation des Winters. Und Winter ist kalt und gemein. Die mitteleuropäische Paternalismus-Metapher des „Vater Staat“ hingegen, ist in der Sozialpolitik vielmehr verstanden als der warme, fürsorgliche Vater, der für seine Schützlinge selbstverständlich nur das Beste will. Und die Schützlinge, das sind wir; das Beste ist in der Rentendebatte, wie sie von der SPD bisher geführt wurde, Synonym für die Investition in eine „Riester Rente“ oder einen Bausparvertrag. Das im Alter schützende Dach soll auf der Säule der privaten Zusatzversicherung aufgezogen werden. Die Rente, ein noch immer ungelöstes Problem, ist auch an diesem Parteitag wieder in der Diskussion. Deutschland debattiert vor allem das steigende Renteneintrittsalter. Dass das Alter, in dem man diesen Eintritt vorbereiten muss, immer weiter sinkt, wird vernachlässigt. Das Problem dabei: Die Betroffenen sind momentan weniger mit der Frage „Wie sichere ich meine Rente?“ als vielmehr mit der Frage „Warum ist am Ende des Geldes immer noch soviel Monat übrig?“ beschäftigt. Zwischen rauschenden Partynächten, dem Kauf teurer Lehrbücher oder dem Gehalt des Babysitters vergessen sie wohl, ein paar Groschen in den Riester-Topf zu werfen. Rente ist alt und unattraktiv. Doch
alt und unattraktiv möchte Jugend nicht „grundlegenden Fragen der Gerechtigkeit“, sein. Wenn es um Umweltbewusstsein so die Jungpolitikerin. Insbesondere angeht, können junge Menschen sehr zu- gesichts der Herausforderungen auf dem kunftsorientiert denken. Die Grünen sind Arbeitsmarkt, denen sich Berufseinsteiger eine der jüngeren Parteien Deutschlands. stellen müssen. Der Bundesvorstand arIn der Erhaltung unserer Umwelt steckt gumentiert, dass man einer „Generation wohl mehr Romantik und Ideologie als in Praktikum“, die für einen unbefristeten der Erwartung unseres körperlichen und Arbeitsvertrag kämpfen muss, nicht zugeistigen Verfalls. Finanziell ist es au- sätzlich zumuten könne, selbst und frühßerdem schwierig, sich in jungen Jahren zeitig für die Alterssicherung zu sorgen. Die Frage, die sich Politiker also stelzusätzlich mit einer Alterssicherung auslen müssen ist, wie sie ihre Schützlinge einander zu setzen, die in weiter Ferne liegt. Rücklagen bilden heißt sparen für dazu bekommen, etwas zu tun, dessen die Zukunft. Und sparen heißt, sich in der Mehrwert sie zwar kurzfristig nicht erkennen, langfristig aber ausschöpfen Gegenwart einschränken zu müssen. werden. Wer mitschöpft, ist „Vater Staat“. Die jährlichen Ausgaben der gesetzlichen Jusos gegen Riester Rente Rentenversicherung betragen aktuell cirDass das nicht funktionieren kann, fin- ca 230 Milliarden Euro. Die deutsche Renden auch die Jungsozialisten (Jusos). Mit tenversicherung ist der größte gesetzliche ihren Anträgen zur Rentenpolitik zeigen Rentenversicherer Europas. sie, dass Rente sehr wohl ein Thema ist, mit dem sich gerade junge Leute heute Guter Vater, böser Onkel, schon beschäftigen müssen. Auch wenn arme Kinder es schwer ist. „Schließlich fällt es auf uns zurück, unsere Eltern finanziell zu un- Die Rentendebatte streift Grundsatzfragen terstützen, wenn deren Rente zu knapp der Sozialpolitik: Darf Vater Staat über ist“, erklärt die stellvertretende Juso- unser Wohl entscheiden? Ist er ein guter, Bundesvorsitzende Bettina Schulze. Im wohlwollender Vater? Sind wir nicht irGegensatz zu ihren älteren Genossen sind gendwann erwachsen und können selbst die Jusos allerdings der Überzeugung, entscheiden, was gut für uns ist? Die Antdass die Sicherung der Rente Aufgabe wort ist ernüchternd, die Party vorbei: Wir des Staates sein sollte. Das gehöre zu den sind es nicht. Denn solange Papa Geldge-
ber ist, werden wir seinem Rat, frühzeitig finanzielle Rücklagen zu bilden, wohl oder übel folgen müssen. Warum? Weil die Sozialstruktur Deutschlands nicht mehr einer Zwiebelform entspricht, in der eine starke Mitte von wenigen Jungen wie Alten umgeben ist. Papa tischt nun Bohnensalat auf. Deutsche leben länger, bekommen weniger Kinder und sind außerdem kürzere Zeit berufstätig. Das Resultat: Weniger Einnahmen und höhere Ausgaben in den Rentenkassen. Der demografische Wandel ist mal wieder der böse Onkel, der dem gütigen Vater im Nacken sitzt und dessen Schützlingen das Leben schwer macht. Die Sicherung der Rente zukünftiger Generationen scheint unsicher, eine staatliche Subvention der privaten Rentenvorsorge unausweichlich. Doch wie sagen wir´s den Kindern?
Lisa Kreuzmann 22 Jahre, Köln Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, würde ich mich dafür einsetzen, dass in Deutschland mehr Dialekt gesprochen wird.
FruchtflEisch Was findest du ungerecht? „Arbeitszeit“
„Wahrheit“ Foto: Jonas Fischer
„Risiko“
Klaus Lübke, 48 Jahre Buchhalter aus Hamburg „wenn Sportler nicht selbst über das Risiko entscheiden dürfen, das sie eingehen. Insbesondere bei Segelflugwettbewerben.“
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Mark Schmitz, 26 Jahre GrafikStudent aus Dortmund „Ich finde es ungerecht, dass ich hier heute bis 22 Uhr als Aussteller arbeiten muss.“
Wilmya Zimmermann, 67 Jahre EU-Politikerin aus Forchheim „Dass ich seit 40 Jahren in Deutschland lebe, Steuern zahle und mitgestalte, aber weder den Landtag noch den Bundestag wählen darf.“
frisc h , f r u ch t i g, s e l bs tge p r e s s t – m it m achen @po lit ik o ran g e.de
Impr essum Diese Ausgabe von politikorange entstand während des Bundesparteitags der SPD 2011, der vom 04. bis 06. Dezember in Berlin stattfand. Herausgeber und Redaktion: politikorange – Netzwerk Demokratieoffensive, c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.politikorange.de
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ls Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm erreicht das Mediennetzwerk politikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Jugendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive.
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Warum eigentlich politikorange wurde 2002 als Veranstal- politikorange? tungszeitung ins Leben gerufen. Seit damals gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Programm. 2004 erschienen die ersten Themenmagazine: staeffi* und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.
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400 Anträge zur Parteireform. Ganz klar: Das zeigt, wie wichtig (& notwendig) das Thema für die Partei ist! Ich bin gespannt... #spd #bpt11
[@julianheck]
Wahlomat der SPD: 1 ungültige Stimme.. (lautes Gelächter) . 447 Ja-Stimmen für Sigmar Gabriel (91,6%) #bpt11
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#SPD will Politik für alle Kinder machen. Für Helene und Hermine, aber auch für Kevin. #Kinder_und_Familie #bpt11 #spd11
Ganz großes Kino beim SPD-Bundesparteitag: Auftakt mit Helmut Schmidt #spd #bpt11 twitpic.com/7o5y52
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Ich komme heute zu nichts, weil ich die ganze Zeit gebannt vor Livestream hänge... #bpt11 #spd
[@Wutzeline] Ständig liest man von der K-Frage... Falsche Schwerpunktsetzung in den Medien! Schade, denn es fehlt nicht an inhaltliche Debatten. #BPT11
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Btw - es gibt tatsächlich einen Stand, wo man sich massieren lassen kann :D #bpt11
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