politikorange Türoeffner

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TÜRÖFFNER OKTOBER 2015

UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUR 2. DEMOKRATIEKONFERENZ IN CHARLOTTENBURGWILMERSDORF – HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.


Foto, Titelfoto: Jonas Walzberg

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JUGEND DEMOKRATISIEREN: EIN VERSUCH UNTER 18 KÖNNEN SIE NICHTS MITBESTIMMEN, GLAUBEN VIELE JUGENDLICHE. CHRISTOPH UMHAU UND CARLOTTA SCHREIBER HABEN AUF DER ZWEITEN DEMOKRATIEKONFERENZ MITERLEBT, DASS DAS NUR BEDINGT STIMMT.

MITSPRACHE ERWÜNSCHT: DIE MEINUNG DER JUGENDLICHEN IST GEFRAGT.

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ie Idee hinter der Demokratiekonferenz für Jugendliche, die am 14. Oktober 2015 in der Schule am Schloss stattfand, ist lobenswert: Schüler*innen des Bezirks werden eingeladen, um Möglichkeiten der Beteiligung zu diskutieren. Bereits bei der ersten Konferenz dieser Art hatten erwachsene Bürger*innen des Bezirks gemeinsam an der Verbesserung des Miteinanders gearbeitet. Dabei waren die Inhalte so breit gefächert wie der Bezirk bunt ist: Von Willkommenskultur über nachbarschaftliches Zusammenleben bis hin zum Kampf gegen Menschenfeindlichkeit war alles dabei. Nun sollten sich auch junge Menschen der Macht bewusst werden, selbst Entscheidungen beeinflussen zu können. Dass dies auch anders als nur durch eine Wahl ab 16 möglich ist, machte die Vielfalt der angebotenen Workshops bei der Demokratiekonferenz deutlich.

VERSCHIEDENE SCHLÜSSEL ZUR BETEILIGUNG Es gibt unterschiedlichste Schlüssel, mit denen sich die Tür zu mehr Beteiligung und Mitbestimmung öffnen lässt. Wahlen sind nur einer davon. Jeden Tag können die Jugendlichen die eigene Umwelt aktiv mitgestalten und sich etwa gegen Ausgrenzung oder für Flüchtlinge einsetzen.

Ob Tipps zum Umgang mit Mobbing, zur Gründung einer Schülerzeitung oder zur Beteiligung im Internet: Die Schüler*innen dürften den Referent*innen eine Menge Wissen abgewonnen haben. Mit vielen Informationen und neuen Impulsen für ein besseres Miteinander kehrten die Jugendlichen in ihren Alltag zurück.

ZWISCHEN KONZENTRATION UND DESINTERESSE Die Zeit für die Konferenz war mit einem halben Tag knapp bemessen. Doch stellten die zweistündigen Workshops, von denen jede*r Schüler*in nur einen besuchen durfte, die Konzentrationsfähigkeiten auf die Probe. Die Aufmerksamkeit nahm im Laufe der Zeit ab. Ob dies nun den teilweise frontal gehaltenen Vorträgen oder einfach dem Desinteresse geschuldet war, bleibt offen. Die Schüler*innen standen bei der Konferenz doch im Mittelpunkt. Es ist bedauerlich, dass ein paar der Teilnehmer*innen sich ablenken ließen, statt diese Chance zu nutzen. Zwei einstündige Workshops hätten zwar kaum einen doppelten Lerneffekt bedeutet – jedoch einen breiteren Einblick in das Feld der Jugendbeteiligung. Das erwachsene Organisationsteam gab sein Bestmögliches: Von Leon Friedel,

Foto: Jonas Walzberg

dem diskreten Strippenzieher der Konferenz, über die engagierten Referent*innen bis hin zum Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann, der durch seine Anwesenheit ein starkes Zeichen für die Bedeutung der jungen Interessen in seiner Politik setzte. Alle standen felsenfest hinter der Demokratiekonferenz. Das ist gut so und lässt auf eine Zukunft solcher Formate hoffen. In Zeiten, in denen die Demokratie von Extremist*innen – auch aus der sogenannten bürgerlichen Mitte – in Frage gestellt wird, braucht es ein breites, demokratisch verfasstes Bündnis innerhalb der Gesellschaft. Wer die Jugendlichen hier missachtet oder gar ausschließt, macht einen großen Fehler. Der Weg, der in Charlottenburg-Wilmersdorf eingeschlagen wurde, ist richtig. Wann ziehen die anderen Bezirke nach?

Christoph Umhau 18 Jahre, Berlin Carlotta Schreiber 16 Jahre, Berlin ... sind von der Relevanz von Demokratiekonferenzen überzeugt.

EDI TOR I A L Liebe Leser*innen, politische Partizipation braucht Engagement und den Mut zur Veränderung. Ob bei einer Demo auf der Straße, dem Sammeln von Unterschriften in der Schule oder dem ‚Klick‘ für eine Onlinepetition – Formen der Partizipation gibt es viele. Gerade für Jugendliche hat das Internet das Spektrum an Möglichkeiten enorm vergrößert: Über soziale Netzwerke und Smartphones können junge Menschen ihr Anliegen einfacher zur Sprache bringen. Wenn sich auch Kinder und Jugendliche an politischen Entscheidungen beteiligen können und wollen, wird die Demokratie zu dem, was sie im Wortsinn bedeutet: eine Herrschaft des Volkes. Oft bleibt die Resonanz der Politik auf bürgerliche Initiativen noch gering. Doch Demokratie bedeutet mehr als freie Wahlen oder der Schutz der Grundrechte: Innerhalb der Verfassung hat jede*r das Recht, die Stimme zu erheben und für die eigenen Interessen einzutreten. Umso wichtiger ist es, dass bereits junge Menschen lernen, welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen es hierbei für sie gibt. Welche Formen der Partizipation sich für Jugendliche in Berlin anbieten, hat die 2. Demokratiekonferenz in Charlottenburg-Wilmersdorf beleuchtet. Am 14. Oktober beschäftigten sich 142 Schüler*innen aus Berlin mit Fragestellungen rund um die Themen Demokratie und Partizipation. „Denn eine Gesellschaft kann nur so gut werden, wie wir uns für sie einsetzen“ – mit diesen Worten eröffnete Bezirksbürgermeister und Schirmherr Reinhard Naumann die Konferenz. In den Workshops diskutierten die Schüler*innen, was sie gegen Mobbing an Schulen unternehmen können, wie eine U18-Wahl zu organisieren ist oder Flüchtlingen im eigenen Bezirk geholfen werden kann. Für die Arbeit an dieser Ausgabe stellte der kurze Zeitraum der Konferenz eine Herausforderung dar: Da Busse am Morgen nicht pünktlich fuhren und nur fünf Stunden für alle Fotos zur Verfügung standen, kamen wir ganz schön ins Schwitzen. Doch wir haben es geschafft und präsentieren ein Heft zum Thema Jugendbeteiligung, aus den Händen einer bunt gemischten Redaktion: Was in den einzelnen Workshops debattiert wurde, wie sich Bezirksbürgermeister Naumann bereits als Jungendlicher engagierte und wie ihr euch in eurem Bezirk einbringen könnt, hat die politikorange-Redaktion für euch zusammengefasst. Sophie Hubbe und Fabian Warislohner (Chefredaktion)

IN HALT

»Politik«

»Protest«

»Partizipation«

Der Bezirksbürgermeister über Jugendbeteiligung. Seite 6

Jugend zwischen Parlament und Demonstration. Seite 11

Das Für und Wider von U18-Wahlen. Seite 13

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DEMOKRATIEPARTNERSCHAFT – EIN BUND FÜRS LEBEN?

WAS BEDEUTET ES, IN EINER DEMOKRATIE ZU LEBEN? CONQUISTA WEINECK UND HENRI MAIWORM BERICHTEN ÜBER DEMOKRATIEFÖRDERUNG – AUCH IN CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF.

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ir leben in einer Demokratie. Damit das so bleibt und das Zusammenleben in Deutschland noch besser wird, hat das Bundesfamilienministerium das Programm „Demokratie leben!“ entwickelt. Denn Demokratie ist mehr als ein Kreuz auf dem Wahlzettel. Demokratie ist überall: Ob in der Schule, bei der Abstimmung zum Ziel der nächsten Klassenfahrt oder beim Versuch unter Freunden, sich auf einen Film zu einigen. Im Rahmen des demokratischen Miteinanders versuchen wir, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen, um so unsere Interessen durchsetzen zu können. Es geht aber auch darum, Kompromisse einzugehen und herauszufinden, was im Interesse aller ist.

DEMOKRATIE LEBEN! So verwundert es dann auch nicht, dass „Demokratie leben!“ ganz unterschiedliche Bereiche fördert, die man vielleicht nicht auf den ersten Blick mit Demokratie in Verbindung bringen würde. Beispielsweise wird ein Flüchtlingscafé und ein Austausch zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Jugendlichen gefördert. Dadurch kann man die Beteiligung von Menschen stärken, die sich sonst vielleicht nicht eingebracht hätten. Das ist wichtig, denn je mehr Menschen sich in einer Demokratie beteiligen, desto mehr kann eine Demokratie die Interessen aller berücksichtigten. Ein Beispiel für gelungene Beteiligung: Jugendlichen fällt auf, dass es zu wenige Skateanlagen im eigenen Bezirk gibt. Sie versuchen jetzt andere Bewohner*innen zu überzeugen, wie toll der Bezirk mit mehr Skate-Möglichkeiten wäre. Also wenden sie sich an das Kinder- und Jugendparlament in ihrem Bezirk. Das stimmt den Jugendlichen zu ANZEIGE

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ERST KLEBEN, DANN REDEN: BEI DER WORKSHOPAUSWAHL GING ES HEISS HER.

und fordert die Verwaltung auf, für mehr Skateanlagen zu sorgen. Diese entscheidet sich für zwei neue Skatemöglichkeiten. Die Jugendlichen haben ihr Ziel erreicht und dabei aktiv Politik mitgestaltet: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass die Politik ihre Interessen wahrnimmt.

PARTNERSCHAFTEN FÜR DEMOKRATIE Um solches oder ähnliches Engagement in der Gesellschaft zu fördern, ist das Programm „Demokratie leben!“ mit über

40 Millionen Euro ausgestattet, wovon ein Großteil in sogenannte „Partnerschaften für Demokratie“ fließt. Diese bringen die regionale Politik und Verwaltung mit gemeinnützigen Organisationen zusammen. Die Partnerschaften sind ausgelegt auf fünf Jahre, danach sollen sie im besten Fall ganz ohne Mittel des Bundesfamilienministeriums weiterlaufen. Deutschlandweit bestehen rund 200 solcher Partnerschaften, eine davon findet sich in Charlottenburg-Wilmersdorf. Diese hat das Bezirksamt unter der Leitung von Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann zusammen mit dem Sozialpädagogischen Institut Walter May (Stiftung SPI) ins Leben gerufen. Der Kopf hinter den Demokratiekonferenzen ist Leon Friedel von der Stiftung SPI. Er steckt auch maßgeblich hinter derjenigen für Jugendliche, sie soll einen „Türöffner“ für Beteiligung darstellen: Es geht darum, Kindern und Jugendlichen bewusst zu machen, was es heißt, in einer Demokratie zu leben. Hierzu haben ihnen auch Referenten*innen Möglichkeiten der Beteiligung vorgestellt. Die Unterstützer*innen der „Partnerschaft für Demokratie“ bemühen sich, aktuelle Themen aufzugreifen und zu reagieren, wo Handlungsbedarf besteht. Eine Expert*innengruppe wählt dazu viermal im Jahr förderungswürdige Projekte aus – so etwa das „Bündnis gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie“. Es soll rechtsextreme Orientierungen und Handlungen in Char-

Foto: Jonas Walzberg

lottenburg-Wilmersdorf bekämpfen, Vorurteile abbauen und die Vielfalt stärken. Daneben werden auch Projekte gefördert, deren Ziel es ist, die demokratische Beteiligung zu stärken. Das soll Menschen zur Mitarbeit in Projekten bewegen, in denen sie ihre Meinung einbringen können.

DEMOKRATIEFÖRDERUNG FÜR SCHÜLER*INNEN Speziell für Jugendliche gibt es jährlich einen Topf von 5.000 Euro, der nach dem Motto „Von Jugendlichen – für Jugendliche“ in allen „Partnerschaften für Demokratie“ verteilt wird. In CharlottenburgWilmersdorf ist dafür eine junge Jury aus dem Jugendparlament verantwortlich. Sie wählt aus Vorschlägen der Jugendlichen die wichtigsten aus, um die Situation im Bezirk für Jugendliche zu verbessern. Eines ist klar: Die Demokratie lebt vom Mitmachen, die Möglichkeiten sind da. Also los!

Henri Maiworm 18, Kiel Conquista Weineck 17, Berlin ... haben keine eingetragene Partnerschaft.


JUNG, EHRLICH, PRAGMATISCH

DEBORAH KRÖGER DÜRFTE DIE JÜNGSTE PROTAGONISTIN DER KONFERENZ SEIN, DIE NICHT MEHR ZUR SCHULE GEHT. FABIAN WARISLOHNER HAT DIE MODERATORIN BEGLEITET, DIE KEIN BLATT VOR DEN MUND NIMMT.

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rojekttage an der Schule sind vielleicht gut gemeint, aber noch lange nicht immer gut“, sagt Deborah Kröger. In der Aula horchen die jugendlichen Teilnehmer*innen der Konferenz auf. Moderatorin Deborah ist fast noch eine von ihnen, sie hat vor zwei Jahren die Schule abgeschlossen. Die 20-Jährige sagt: „Theoretisch darf ich jetzt alles, aber ich kann noch nicht alles – manchmal brauche ich einfach noch Hilfe.“ So direkt äußerte sich an diesem Tag sonst niemand auf der Bühne. Zu Beginn ihres Vortrags über Jugendbeteiligung möchte sie ein Video abspielen. „Ju-ju-ju-ju-jugendliche“ hallt es durch die Aula. Das Video ruckelt beim ersten Abspielen. Ein zweiter, ein dritter Versuch, jetzt funktioniert es ohne Probleme. Das animierte Video erzählt davon, wie durch den Einsatz von Jugendlichen eine Spielwiese erhalten bleiben konnte. Besser noch: Sogar Bänke und Liegestühle sind durch den Einsatz des Kinder- und Jugendparlaments hinzugekommen. Jugendliche haben nicht nur ein Recht auf solche Treffpunkte, meint Deborah: Sie haben das Recht, informiert zu werden und mitbestimmen zu können. Das stehe so auch in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, auf die sie gerne verweist. Doch sie vermisst die explizite Erwähnung der Kinderrechte im Grundgesetz. Ihre Erfahrungen mit Formen der Jugendbeteiligung hat sie während eines Freiwilligen Sozialen Jahres im Kinder-

Foto: Jonas Walzberg

„ICH BIN JA AUCH NOCH JUGENDLICHE.“ BETEILIGUNG IST FÜR DEBORAH KRÖGER KEIN LEERES VERSPRECHEN.

und Jugendbüro (KiJuB) Steglitz-Zeh- – oder über Erfolge: In Steglitz-Zehlendorf lendorf gesammelt. Heute arbeitet die hatten Mitglieder des BezirksschülerausStudentin der Kulturarbeit für das Pro- schusses eine Demonstration gegen die jekt „Schülerhaushalt“ der Servicestelle marode Einrichtung in Schulen organiJugendbeteiligung im Jugendbüro Mitte. siert, die für großen Wirbel sorgte. SeitEs sei sehr spannend, wieder im dem habe sich einiges in diesem Bereich Schulbereich zu arbeiten, erzählt De- verbessert. Sie sieht die Angelegenheit jeborah. „Hätte ich vieles darüber in mei- doch auch realistisch: „Wenn solche Beiner Schulzeit gewusst, hätte ich noch das spiele schon wenige dazu bringen, sich und das machen können oder mich bes- zu engagieren, bin ich glücklich.“ ser durchsetzen können.“ Wie es weitergeht für Deborah? GerDeshalb geht es ihr nun im Beson- ne würde die Studentin in die politische deren darum, Wissen über bereits be- Arbeit gehen, da sei Beteiligung ja ein stehende Möglichkeiten weiterzugeben großes Thema. „Da kommt meine kultu-

relle Seele wieder durch. Dass wir eine Gemeinschaft sind und durchaus viele Vorteile voneinander haben können.“

Fabian Warislohner 23, Berlin ... wurde während des Gesprächs mit Deborah der Teller mit Mittagessen entwendet.

FRUCHTFLEISCH Was würdest du ändern, wenn du Bezirksbürgermeister*in wärst?

Fotos: Alina Krasniqi, Carlotta Schreiber

»BETEILIGUNG«

»GLEICHBERECHTIGUNG«

»BILDUNG«

NUTSA CHANTURIA, 16 JAHRE VOM HEINZ-BERGGRUEN-GYMNASIUM

FREDERIK JANSSEN, 17 JAHRE VOM GOTTFRIED-KELLER-GYMNASIUM

JORMA BARANOVSKI, 19 JAHRE VON DER PAULA-FÜRST-SCHULE

ICH WÜRDE MEHR WAHLEN FÜR DAS VOLK UND ALLE BEWOHNER FAVORISIEREN.

ICH WÜRDE MICH FÜR FREIES WI-FI AN ÖFFENTLICHEN ORTEN EINSETZEN.

ICH WÜRDE MICH FÜR MEHR FREIZEITANGEBOTE, MEHR POLITISCHE BILDUNG SOWIE FÜR DIE FLÜCHTLINGE EINSETZEN.

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ZUR PER SON Reinhard Naumann (55) ist Bezirksb端rgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit 1979 ist er 端berzeugtes SPD-Mitglied und gestaltet die lokale Politik aktiv mit. Unter anderem setzt er sich f端r die Rechte von Schwulen und Lesben ein. Er selbst lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Foto: Jonas Walzberg

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»DEMOKRATIE IST KEINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT.« EIN BÜRGERMEISTER FÜR DIE JUGEND?SCHON IN JUNGEN JAHREN ENGAGIERTE

SICH REINHARD NAUMANN POLITISCH, HEUTE IST ER BEZIRKSBÜRGERMEISTER. ÜBER JUGENDBETEILIGUNG, WAHLEN AB 16 JAHREN UND FLÜCHTLINGE SPRACH POLITIKORANGE MIT DEM SCHIRMHERRN DER 2. DEMOKRATIEKONFERENZ IN CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF. WAS FÜR IHN NICHT „SCHNULLI TRULLI“ UND „EASY-GOING“ LÄUFT, HABEN ALINA WELSER UND HENRI MAIWORM HERAUSGEFUNDEN.

HERR NAUMANN, WIE HABEN SIE SELBST DIE JUGENDBETEILIGUNG VERBESSERT? Lange bevor ich eine Demokratiekonferenz auch für Jugendliche auf den Weg gebracht habe, war ich als Jugendstadtrat und Bildungsstadtrat 2002 und 2003 gewissermaßen die politische Hebamme, ein Kinder- und Jugendparlament (KJP) aus der Taufe zu heben. Wobei man sagen muss, dass das keine Idee von uns Erwachsenen war, sondern von Schülerinnen und Schülern. Wir wollten nicht länger nur über die Interessen von Kindern und Jugendlichen reden, sondern sie mit in die Debatten einbeziehen. Das KJP hat ein direktes Antragsrecht an das Bezirksparlament, das kommt leider nur zu selten vor. Bis heute hat dieses Projekt große Anerkennung erfahren, vor allem von den Kindern und Jugendlichen selbst. Dabei hat es gleichzeitig vermittelt, welchen Stellenwert Demokratie als Mitbestimmung aller hat.

WIE MÖCHTEN SIE DIE JUGENDBETEILIGUNG ALS BEZIRKSBÜRGERMEISTER NOCH WEITER VERBESSERN? Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Ich wünsche mir, dass sich diese Erkenntnis vor allem in der Schulgemeinschaft insgesamt noch stärker durchsetzt – also auch bei Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie der Elternschaft. Hierzu braucht es das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen. Daneben sollten wir an Strategien arbeiten, die Demokratie zu fördern und befördern, in der Schule und außerschulisch. Es geht nicht nur darum, dass man seine Vokabeln lernt und seine Rechenaufgaben gut erledigt. Auch das soziale Miteinander und der Mehrwert eines friedlichen Zusammenlebens wollen gelernt sein.

WIE HABEN SIE SICH IN IHRER JUGEND IN IHREN BEZIRK EINGEBRACHT? Ich bin in Charlottenburg-Nord aufgewachsen. Einige Straßen dort wurden aufgrund der räumlichen Nähe zur Hinrichtungsstätte Plötzensee nach den Opfern der Nationalsozialisten benannt. Als Jusos haben wir im Stadtteil zum Beispiel Bürgerinnen und Bürger über die Namensgeberinnen und Namensgeber der Straßen – die Widerstandskämpfer – informiert. Ich habe schon früh gelernt, dass man Demokratie, wenn man beim ersten Mal scheitert, nicht aufgeben darf. Mit guten Argumenten kann man auch im zwei-

ten Anlauf etwas erreichen. Denn schnell war damals DAS THEMA, DAS JUGENDLICHE MOMENfür mich klar, dass Demokratie etwas Tolles ist – trotz TAN AM MEISTEN BESCHÄFTIGEN DÜRFmancher Defizite. Keine Frage: Man kann immer noch TE, IST DIE FLÜCHTLINGSPROBLEMATIK. ganz viel verbessern. Aber wenn man sich weltweit WAS WÜRDEN SIE DEN JUGENDLICHEN umschaut, ist es immer noch die beste Möglichkeit, um HIERZU SAGEN? ein friedliches, respektvolles, menschenwürdiges und von Freiheiten geprägtes Leben für alle Menschen zu Statt von Flüchtlingsproblematik spreche ich lieber von Flüchtlingsthematik. Ich hake deswegen ein, weil ich organisieren. Deswegen bin ich mit 18 Jahren in die SPD eingetreten und bin bis heute bei dieser Entschei- denke, dass auch unsere Sprache ganz wichtig ist. Teildung geblieben. Ich bin durch und durch Sozialdemo- weise erlebe ich, dass Menschen von einer „Welle“, einer krat – und habe so bis heute viele Mitstreiterinnen und „Überschwemmung“ durch Flüchtlinge sprechen. Das wird unserer Herausforderung nicht gerecht. Mitstreiter gefunden. Es gibt auch Probleme, da ist nicht alles „Schnulli Trulli“, da ist nicht alles „Easy-Going“. Aber wir müssen GERADE DIE PARTEIEN VERLIEREN HEUaufpassen, dass wir hilfesuchende Menschen nicht zum TE AN ZUSTROM. SEIT JAHREN SINKT DIE Problem erklären. Die Probleme sind die RahmenbedinWAHLBETEILIGUNG IN DEUTSCHLAND. gungen und wie wir es organisatorisch lösen. Ich bin HABEN SIE EIN REZEPT DAGEGEN? hier als Sozialdemokrat ganz dicht bei der BundeskanzMir bereitet das große Sorgen, besonders unter dem As- lerin. Frau Merkel hat Recht: „Wir schaffen das.“ pekt der Akzeptanz und Wertschätzung unserer DemoWenn wir uns Deutschland im internationalen Konkratie. Wir müssen das Bewusstsein dafür stärken, dass text ansehen, sind wir ein reiches Land, obwohl es bei uns Wählen ein hohes Recht ist, selbst wenn die Politike- auch Armut gibt. Das müssen wir beachten, wenn Menrinnen und Politiker manchmal nicht das machen, was schen aus einem Kriegsgebiet fliehen, um das nackte Leben man sich gerne vorstellt. Das kann auch dazu motivieren, zu retten. Doch neben dem bestehenden Asylrecht müssen sich selbst zu engagieren – so wie ich es gemacht habe. wir weiterdenken, auch um dem demografischen Wandel Vor der Diskussion über die Einführung einer Wahlpflicht entgegenzuwirken: Wir könnten ein Einwanderungsgesollten wir daher versuchen, die Beteiligungsformen zu setz beschließen, das die legale Zuwanderung ermöglicht intensivieren und noch mehr kluge Angebote zu machen. – nach dem Vorbild von Schweden, Australien und Kanada. Dann können die Menschen auch mitmachen und in Dabei würde ich auch gerne eine Idee aus Israel dem einen oder anderen Fall mitentscheiden. diskutieren. Dort gibt es Einwanderungszentren, in denen Jüdinnen und Juden aus aller Welt ein halbes Jahr zusammenleben, um die Sprache ihres neuen HeimatHALTEN SIE ES FÜR SINNVOLL, DASS ALLE landes zu lernen und die Werte und Kultur Israels kenJUGENDLICHEN WÄHLEN DÜRFEN – NICHT nenlernen. Ich wünsche mir, dass wir unsere WillkomNUR IN DEN LÄNDERN, SONDERN AUCH menskultur in diese Richtung weiterentwickeln.

AUF BUNDESEBENE?

Die Regelungen sind richtig, dass man auf kommunaler und auf Landesebene wie in Berlin ab 16 wählen darf. Das ist ja noch nicht in allen Bundesländern der Fall. Dass man den Bundestag erst ab 18 wählen darf, würde ich noch mal diskutieren. Im Augenblick finde ich das in Ordnung, weil da größere politische Entscheidungen anstehen. Das Argument für Wahlen ab 16 auf kommunaler und auf Landesebene ist ja, dass Jugendliche dort unmittelbarer betroffen sind. In jedem Fall finde ich es ganz wichtig, darüber nachzudenken, wie wir Bürgerinnen und Bürger in Beteiligungsprozesse einbeziehen können, so wie bei uns jetzt auf der Demokratiekonferenz geschehen.

Alina Welser 17, München Henri Maiworm 18, Kiel ... hätten auch gerne eine Demokratiekonferenz in ihrer Stadt.

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Jede Stimme zählt

Politik von unten

MySchule

Wegschauen Hinschauen

Wie organisiere ich U18-Wahlen an meiner Schule? Hitzige Diskussionen im Workshop verdeutlichen die Brisanz von Themen wie die Wahl ab 16. Referentin Diana Föls von der Stiftung SPI stellt den Jugendlichen ganz konkrete Möglichkeiten zur politischen Partizipation vor. Ob das Organisieren einer U18-Wahl, die Eröffnung eines Wahlbüros im Bezirk oder Ideen für die Bewerbung einer Aktion – wer diesen Workshop besucht, kann nicht behaupten, uninformiert zu sein.

Parteijugend zwischen Protest und Parlament? Welche Möglichkeiten haben junge Erwachsene, sich politisch zu engagieren? Die Referent*innen Cornelia Seiberl und Oliver Gaida vom August Bebel Institut machen auf lokale und landesweite Organisationen aufmerksam, bei denen sich politisch interessierte Jugendliche einbringen können. Gemeinsam diskutieren die Schüler*innen unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft die Vor- und Nachteile einer Parteimitgliedschaft und alternative Partizipationsmöglichkeiten.

Ihr seid nicht zufrieden mit dem Konzept eurer Schule? Ihr denkt, dass man am Mensaessen oder dem AG-Angebot noch viel verändern könnte? Im Workshop „MySchule“ lernen die Schüler*innen unter der Leitung von Sorina Lungu und Dilan Aytac vom Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung e.V., wie sie ihre Interessen durchsetzen können. Wichtigste Grundlagen dafür sind neben dem Wissen um mögliche Ansprechpersonen wie dem Elternbeirat oder den Schüler*innensprecherinnenn, eine gute Ausdauer, Engagement und realistische Vorstellungen davon, was verändert werden kann.

Was kann ich gegen Ausgrenzung und Mobbing an meiner Schule tun? Der Workshop unter der Leitung von Katharina Vetter und Thorsten Hering von der Stiftung SPI beschäftigt sich mit präventiven und akuten Maßnahmen zur Bekämpfung von Schikanen an Schulen. Nach einer allgemeinen Definition des Begriffes "Mobbing" beantworten die Schüler*innen in der Gruppe Fragen rund um das Thema. In Briefen, die alle Schüler*innen anschließend an sich selbst schreiben, werden die zuvor erarbeiteten Lösungsansätze als Ziele für das kommende Schuljahr formuliert.

DER SCHULE, EINER GESELLSCHAFTLICHEN ORGANISATION ODER EINER POLITISCHEN PARTEI – FORMEN DER PARTIZIPATION FINDEN SICH VIELE. DAHER GAB ES AUCH AUF DER 2. DEMOKRATIEKONFERENZ IN BERLIN CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF DIE QUAL DER WAHL. JETZT KANNST DU ENTSCHEIDEN UND DEINE STIMME FÜR DEN SPANNENDSTEN WORKSHOP ABGEBEN.

DU HAST DIE WAHL IN


Wie gründe ich eine erfolgreiche Schülerzeitung? Zusammen mit Henrik Nürnberger vom Jugendblog „schreiberling“ des Tagesspiegels und Johann Stephanowitz, dem Chefredakteur der Schülerzeitung „OhnE“, erarbeiten die Schüler*innen die Bedingungen für eine erfolgreiche Schülerzeitung. Heraus kommt dabei auch ein eigenes Magazin der Demokratiekonferenz. Es beschäftigt sich mit den entscheidenden Fragen und Problemen, die sich bei der Gründung eines eigenen Magazins stellen und liefert verschiedene Lösungsansätze.

Wie kann ich Flüchtlingen helfen, in meiner Gegend anzukommen? Was empfinden Flüchtlinge, wenn sie ein fremdes Land erreichen? Welche Erwartungen haben sie an ihren neuen Aufenthaltsort? Im Workshop unter der Leitung von Amei von Hülsen-Poensgen von der Initiative „Willkommen im Westend“ suchen die Schüler*innen konkrete Möglichkeiten, wie Flüchtlingen in Charlottenburg-Wilmersdorf geholfen werden kann. Von Kleiderspenden bis zur Gründung einer Schul-AG werden praktische Tipps gesammelt. Der Workshop überzeugt durch seine praxisnahen Ansätze, wie Jugendliche mit Flüchtlingen in Kontakt kommen können.

Wie kann ich mich über das Internet beteiligen? Unter der Moderation von Lisa Dres von der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin und Marc Ludwig von der Stiftung SPI sammeln die Schüler*innen ihnen bekannte Portale zum Thema Beteiligung im Internet. Sie fragen sich, welchem Zweck diese dienen – von „sich positionieren“, über „sich einbringen“ zu „andere aktivieren“ – und warum sie selbst eine bestimmte Form wählen würden. Viele Schüler*innen haben bereits Petitionen im Netz unterschrieben.

Politischer Extremismus und Radikalisierung: Wieso schließen sich Jugendliche einer radikalen Ideologie an? Wie können Lehrer*innen und Schüler*innen aktiv werden? Viele Lehrer*innen sind anscheinend hilflos bei diesen Fragen. Unter der Leitung von Dr. Juliette Brungs und Rüdiger José Hamm von der Stiftung SPI erarbeiten die Lehrer*innen Merkmale, wie linker, rechter oder islamistischer Extremismus erkannt werden kann. Anschließend werden mögliche Handlungsstrategien entwickelt, denn frühes Erkennen macht schnelles Eingreifen möglich.

Tintenspur

Willkommens-Kultur?

Engagement in Zeiten des Internets

Extrem extremistisch?


DIE STIMME DEINER SCHULE

ALLE EIN BIS ZWEI JAHRE WIRD AN EINER SCHULE EIN*E SCHÜLER*INNENSPRECHER*IN GEWÄHLT. DIE AUFGABEN SIND ALLES ANDERE ALS EINTÖNIG UND OFT KOMPLIZIERTER ALS GEDACHT. ALINA KRASNIQI HAT DREI VON IHNEN GETROFFEN.

JUGEND MISCHT MIT: SCHÜLER*INNENSPRECHER*INNEN IN AKTION.

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chüler*innensprecher*innen haben eine wichtige Aufgabe. Sie vertreten ihre Mitschüler*innen und sitzen der Schüler*innenvertretung der Schule vor. Je nach Bundesland oder Schule werden sie von diesem Gremium oder direkt von der gesamten Schüler*innenschaft gewählt. Der Verantwortungsbereich erstreckt sich dabei von der Organisation, Vertretung und Durchsetzung der Interessen der Klassen bis zur Vermittlung zwischen Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern. Ein*e Schüler*innensprecher*in

Foto: Jonas Walzberg

organisiert Schulkonferenzen, den Schüler*innenrat und hat Einfluss auf Klassenkonferenzen sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Schule.

VON LANGEWEILE KEINE SPUR Björn Banneß und Denise Dockal sind Schüler*innensprecher*innen an der Schule am Schloss in Berlin CharlottenburgWilmersdorf. Beide besuchen die zehnte Klasse. Sie haben sich unter anderem für neue Uhren auf dem Hof eingesetzt. Stolz berichten sie, dass sie sich gerne engagie-

ren und Spaß daran haben, die Interessen ihrer Mitschüler*innen zu vertreten. „Mein Job wird nie langweilig, solange meine Mitschüler mit mir zusammenarbeiten und ihre Interessen umsetzbar sind“, weiß auch der 17-jährige Tom Kozalla, Schüler*innensprecher des Sophie-Charlotte-Gymnasiums. Denn auch wenn ein*e Schüler*innensprecher*in die Interessen der Schüler*innen vertreten soll, bedeutet das nicht, dass alle Wünsche umgesetzt werden können. Ein Kickertisch im Aufenthaltsraum ist oftmals ebenso wenig möglich wie eine Karaoke-Maschine im Musikraum. Die große Herausforderung ist es, zwischen Kosten und Nutzen abzuwägen. Neben dem Spaß verlangt das Ehrenamt also viel Verantwortung. Diese ermöglicht es den Schüler*innen, bereits in jungen Jahren Erfahrungen zu sammeln. Wie richtige Politiker*innen müssen sie die Interessen ihrer Wähler*innen vertreten, Probleme erkennen und Lösungsvorschläge formulieren. Im Austausch mit anderen Entscheidungsinstanzen gilt es dann, möglichst viele der Interessen der Schüler*innen umzusetzen. Oft stoßen die Schüler*innensprecher*innen hierbei auf bürokratische oder politische Hürden. Dazu gehören auch Auseinan-

dersetzungen, wenn es um das Abwägen von Entscheidungen geht. Bei der Frage, wie der*die perfekte*r Schüler*innensprecher*in aussehen muss, haben die Schüler*innen konkrete Vorstellungen. Ein*e Schüler*innensprecher*in sollte sich in erster Linie für seine Mitschüler*innen und die Schule einsetzen und deren Interessen vertreten. Hierfür ist es notwendig, dass der*diejenige gerne diskutiert, nicht schüchtern ist und vor der gesamten Schule frei sprechen kann. Er*sie muss unparteiisch sein, Probleme früh erkennen und Konflikte lösen können. Dabei sollte die Person stets nett, hilfs- und kompromissbereit sein. Außerdem ist ein regelmäßiger Kontakt zu den Lehrkräften und der Schulleitung wichtig. Die Erwartungen sind hoch – von Schüler*innen oftmals höher als von den Lehrer*innen.

Alina Krasniqi 17, Berlin … glaubt, dass jede*r die eigene Meinung auch durchsetzen kann, wenn er*sie fest davon überzeugt ist.

JUGENDBETEILIGUNG IM NETZ

JUGENDLICHE KENNEN DAS INTERNET WIE IHRE WESTENTASCHE, SIE KLICKEN GERNE UND VIEL AUF PETITIONEN UND UMFRAGEN. BEI DER DISKUSSION, WARUM SIE SICH BETEILIGEN SOLLEN, HABEN KONSTANTIN POLIKARPOV UND FABIAN WARISLOHNER VIELE GRÜNDE GEHÖRT.

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iemand fragt uns, ob wir TTIP wollen, es wird einfach beschlossen.“ Ben ist nicht zur Ruhe zu bringen. Im Internet habe er sich über das geplante Freihandelsabkommen informiert und mit einem Klick eine Petition dagegen unterschrieben, so der 17-Jährige. Das Internet biete ihm Zugriff auf viele verschiedene Quellen, findet Ben. So könne er sich ausgewogen informieren. Ben ist einer der Schüler*innen, die im Workshop „Engagement in Zeiten des Internets“ nach Möglichkeiten der Jugendbeteiligung im Netz gesucht haben. Auch die Frage, welche Plattformen für ihre Anliegen am besten sind, diskutierten die Jugendlichen. Gerade Petitionen werden etwa

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gerne online unterzeichnet, wobei die Schüler*innen sich nicht sicher sind, ob diese Form der Meinungsäußerung Auswirkungen hat.

IM INTERNET ZU HAUSE Was sie jedoch wissen: Sie sind im digitalen Zeitalter aufgewachsen und nutzen wie selbstverständlich Blogs, YouTube-Kanäle und Soziale Medien. Als es um die VideoPlattform „Twitch“ geht, müssen sich die Referent*innen erst erklären lassen, was das eigentlich ist. Als die Referentin zu Beginn für eine Aufgabe nach Stiften fragt – in ihrer analogen Erscheinungsform – zucken einige Schüler*innen nur mit den Schultern und packen ihre Smartphones in die Hosentasche.

Beteiligung ist für viele Teilnehmer*innen des Workshops kein Fremdwort: Als sie gefragt werden, wie viele Jugendliche laut einer Studie für das Wahlrecht ab 16 sind, liegen die Vorschläge bei weit über 50 Prozent. Bei der Bekanntgabe, dass laut der Studie etwa ein Viertel der Schüler*innen dafür sind, zeigen die Teilnehmer*innen fragende Gesichter.

VIELFÄLTIGE MÖGLICHKEITEN DER BETEILIGUNG Einig sind sich die Schüler*innen, dass das Internet ein großes Potential hat. Es fördere die eigene Unabhängigkeit und Freiheit, auch von den Eltern. Dies beginnt bei der Suche nach Informationen im Netz. Das Netz bietet den Jugendlichen zudem die Möglichkeit, die eigene Meinung kundzugeben: Vor allem Umfragen seien sinnvoll, um Aufmerksamkeit für die eigenen Interessen zu erzeugen, heißt es aus einer Gruppe, die sich mit der Frage der „Positionierung“ über das Internet auseinandersetzen sollte.

Eine andere Gruppe hat sich gefragt, wo und warum Jugendliche sich einbringen können: In Kommentarspalten und auf Wikis könne man die Unzufriedenheit ausdrücken. Die Jugendlichen verbinden hiermit jedoch auch die Hoffnung, Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen zu können. Geht es um die Frage, wie sie über das Internet andere aktivieren können, so diskutieren sie Petitionen und Hinweise auf Veranstaltungen. Hier kämen viele Gründe zusammen: Wer ein persönliches Anliegen habe oder sich für Minderheiten einsetzen möchte, findet hier unkompliziert und schnell eine Möglichkeit, dies zu äußern.

Konstantin Polikarpov 15, Berlin Fabian Warislohner 23, Berlin ... sind auf neue digitale Beteiligungsmöglichkeiten gespannt.


JUGEND! MACHT! POLITIK?

VIELE JUGENDLICHE SIND POLITISCH INTERESSIERT, SCHRECKEN JEDOCH VOR EINER AKTIVEN KARRIERE ZURÜCK. CONQUISTA WEINECK HAT ENGAGIERTE JUGENDLICHE GETROFFEN.

Foto: Jonas Walzberg

IMMER DABEI: PAULA IST NICHT NUR POLITISCH AKTIV, SONDERN MISCHT ÜBERALL MIT.

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ie 18-jährige Paula aus Berlin vertritt einen unter jungen Erwachsenen verbreiteten Standpunkt: Politisches Engagement schön und gut, aber was kommt am Ende dabei raus? Viele Jugendliche haben sich schon einmal über Parteien oder Institutionen informiert und auch Demonstrationen sind für viele kein Neuland. Aber welche Möglichkeiten des Sich-Einbringens bestehen für Menschen unter 18 Jahren? Wo beginnt politisches Engagement und wie zahlt es sich am Ende des Tages wirklich aus? Paula steht den Möglichkeiten für politische Partizipation für Jugendliche kritisch gegenüber. „Wieso treten Jugendliche einer politischen Organisation bei? Natürlich, um etwas zu verändern. Aber letztendlich werden wir ja eh übergangen!“

POLITISCHE ERFAHRUNGEN SAMMELN In einem Klassenraum der Schule am Schloss in Charlottenburg-Wilmersdorf sitzen Schüler zwischen 14 und 19 Jahren in einem Stuhlkreis. Die Jugendlichen kommen aus verschiedenen Städten, haben unterschiedliche Interessen sowie politische Vorkenntnisse. Nachdem die Namensschilder verteilt sind, beginnt der thematische Einstieg. Die Referent*innen fragen, ob die Teilnehmer*innen bereits einmal mit einer Parteijugend in Kontakt gekommen

sind. Dabei fällt eines auf: Auch wenn jede*r Anwesende politisch interessiert ist – praktische Erfahrungen haben die wenigsten. Wie ergibt sich diese scheinbar unlogische Kombination? Paula ist ein offenes Mädchen mit bunten Haaren, verschiedenfarbigen Schnürsenkeln und einem großen „Refugees Welcome!“-Sticker auf ihrer Jacke. Paula ist beides, interessiert und engagiert und damit eine Ausnahme. Sie kann dennoch gut verstehen, dass viele Jugendliche zwar ein grundsätzliches Interesse an politischen Themen hegen, aber nicht wissen, wie sie es umsetzen sollen. Sie selbst hat schon an verschiedenen Parteijugend-Sitzungen und Diskussionsrunden teilgenommen. „Auf eine Partei wollte ich mich aber nie festlegen.“ Meistens gebe es allein innerhalb einer Partei oder Organisation ein solches Konkurrenzdenken, dass es nahezu unmöglich sei, sich als Jugendlicher durchzusetzen. Als das Bild einer Demonstration herumgereicht wird, weiß sie sofort Datum und Anlass der Demo. „Müsste die vom 3. März dieses Jahres zum Frauentag sein.“ Sie hat demonstriert und dadurch Politik gemacht.

JEDE STIMME ZÄHLT? Anders als Paula vertritt ihr Klassenkamerad Kinan einen positiven Standpunkt gegenüber politischen Jugendorganisationen etablierter Parteien. Er selbst ist schon seit

mehreren Jahren aktives Mitglied einer solchen Gruppierung in CharlottenburgWilmersdorf. „Es ist eine für junge, politisch Interessierte sehr positive Tendenz zu erkennen. Heutzutage ist es möglich, mit 25 Jahren eine entscheidende Position in der globalen Politik einzunehmen.“ Vor ein paar Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen, erklärt Kinan. Viele junge Menschen könnten sich allerdings mit keiner bestehenden Partei identifizieren und setzten wenige Hoffnungen in eine Mitgliedschaft.

KEIN PARTEIMITGLIED – NA UND? Cornelia Seiberl und Oliver Gaida, freiberufliche Mitarbeiter*innen im August-Bebel-Institut und Leiter*innen des Workshops machen deutlich: Auch jenseits der mit Aufstiegsmöglichkeiten verbundenen Parteiarbeit gibt es Formen des politischen Engagements. Gerade in Berlin sind Demonstrationen ein gutes Mittel der politischen Meinungsäußerung. Partizipation kann so oftmals schon im eigenen Kiez beginnen. Viele Initiativen unterstützen Projektideen Jugendlicher finanziell und ermöglichen so die Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Miteinanders. Um eigene Ziele langfristig erreichen zu können, hilft es, andere zum Mitmachen zu mobilisieren. Grundsätzlich gilt in Deutschland: jede*r Staatsbürger*in mit politischen Anliegen hat das Recht, diese kundzu-

geben. Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Herkunft spielen hierbei keine Rolle. Dennoch fühlen sich viele Jugendliche nicht gehört. Große Ziele scheinen zunächst unerreichbar und doch ist es das Streben nach eben diesen Idealen, das wichtig für die Entwicklung und Instandhaltung der Demokratie ist. Wer sich ein Beispiel an Paula nehmen möchte, bringe sich auf Demonstrationen und in politischen Diskussionen aktiv ein. Dazu kann es hilfreich sein, sich nach politisch-gesellschaftlichen Institutionen umzusehen oder selbst ein Projekt an der eigenen Schule zu starten. Es muss nicht immer der große Umbruch sein, auch kleine Veränderungen zählen. Im Workshop „Politik von unten“ waren sich vom Nachwuchspolitiker Kinan bis zur Aktivistin Paula alle einig: Aufgeben ist keine Option und man muss kein*e Politiker*in sein, um Politik zu machen.

Conquista Weineck 17, Berlin … ist überzeugt davon, dass Nichtstun auch keine Lösung ist.

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M EIN UN G

WENN DIE POLITIK VERSAGT

EHRENAMTLICHE HILFE KANN MASSNAHMEN DER POLITIK NICHT ERSETZEN. FÜR LEA BERGMANN ZEIGT DIE AKTUELLE FLÜCHTLINGSTHEMATIK, DASS BEIDES NOTWENDIG IST.

E

hrenamtliche Hilfe ist unverzichtbar. Derzeit suchen Millionen Menschen eine neue Heimat und bitten in Deutschland um Asyl. Die Politik sieht zwar Handlungsbedarf, handelt aber nicht schnell genug. Ehrenamtliche Organisationen reagieren besser auf Missstände. Es reicht jedoch nicht allein, diese ehrenamtliche Hilfe zu loben – auch die Politik muss Verantwortung übernehmen.

WAS LEISTET DAS EHRENAMT? 16,6 Prozent (vgl. statista.com) der deutschen Bevölkerung engagieren sich neben dem Beruf oder im Ruhestand ehrenamtlich. Sie sammeln Kleidung, betreuen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Erstaufnahmestellen und versorgen diese mit Lebensmitteln. Einige Vereine organisieren Pat*innenschaften für Flüchtlinge. Diese ermöglichen es einem Flüchtling, sein neues Lebensumfeld kennenzulernen und einfach am Leben in dem doch so unbekannten Land teilzunehmen. Gerade für Traumatisierte sind diese Vertrauenspersonen besonders wichtig. Andere Vereine unterstützen Flüchtlinge bei rechtlichen Fragen und Behördengängen. Ehrenamt kann also viel bewirken.

FEHLER DER POLITIK Blickt man auf politische Entscheidungen, so hat die Politik bereits in den vergangenen Jahren ihre Verantwortung nicht wahrgenommen: In den 60er-Jahren angeworbene Gastarbeiter*innen und ihre Familien blieben in Deutschland, um sich ein neues

ENTSCHEIDUNGEN MÜSSEN HER: WO BLEIBT DIE POLITIK?

Leben in sozialer Sicherheit aufzubauen. Die Politik kritisiert die mangelnde Integration dieser Gesellschaftsgruppe, doch hat auch sie nicht viel für eine gelungene Integration getan. Man hat den Flüchtlingen zwar das Recht auf Bildung eingeräumt, bei der Unterstützung ihrer beruflichen Selbständigkeit wurde jedoch verkannt, dass weniger gut Ausgebildete eher selten Unternehmen gründen, die das große Geld einbringen. Daher reicht das so Erwirtschaftete kaum, um die eigene Familie zu ernähren. Viele Migrant*innen erster oder zweiter Generation konnten so nicht ankommen: Das Vertrauen in ihre Fähigkeiten fehlte, während das Misstrauen immer weiter wuchs. Vergleiche zeigen, dass Gewalt bei Jugendlichen auf einen geringen Bildungshintergrund zurückzuführen ist, nicht auf die Herkunft.

Foto: Lukas J. Herbers

Vor allem die Politik hat das Thema Integration verschlafen. Der Journalist Mark Terkessidis verlangt in seinem Buch „Interkultur“ die Anpassung von Institutionen an die mittlerweile bestehende gesellschaftliche Vielfalt. Noch interessiert sich die Politik nur für Arbeitsplätze, aber nicht dafür, ob Migrant*innen in Theater oder Museen gehen – dabei ist das ein großer Bestandteil von Bildung.

Soziales bleiben weiter unerträglich. Die Politik muss handeln, wenn Menschen unter freiem Himmel übernachten und im Hochsommer ohne Trinkwasser auskommen müssen. Viele gut ausgebildete Flüchtlinge müssen heute im Niedriglohnsektor unterhalb ihrer Möglichkeiten arbeiten. Das zermürbt und nimmt Lebensmut, dabei hat Arbeit eine heilende Wirkung: Es beflügelt, gebraucht zu werden und Teil der Gesellschaft zu sein. Zudem streben viele Flüchtlinge ein Leben unabhängig von staatlicher Unterstützung an. Es ist ihnen wichtig, die eigene Familie ernähren zu können. Die Politik darf sich nicht ausruhen, sie muss die Aufgabe annehmen, Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dazu gehört es, Wohnraum zu schaffen und die ständige psychische Belastung aufgrund der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus zu verringern. Zudem werden andere Zugänge zum deutschen Arbeitsmarkt benötigt, beispielsweise über ein Einwanderungsgesetz. Ehrenamt kann all diese Aufgaben nicht lösen. Die Politik muss sich endlich ihrer Verantwortung bewusst werden und handeln.

AKTIVES POLITISCHES HANDELN IST GEFRAGT Heute begegnen wir den Folgen dieser Fehler. Ehrenamtliches Engagement kann zwar viele Missstände bekämpfen. Doch es kann nicht allein die Aufgabe der Bürger*innen sein, echte Willkommenskultur zu leben. Die Zustände am Berliner Landesamt für Gesundheit und

Lea Bergmann 28, Berlin ... stockte als Ehrenamtliche in Berlin der Atem.

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23.10.15 11:37


DU HAST DIE WAHL

1996 HAT NIEDERSACHSEN ALS ERSTES BUNDESLAND DAS AKTIVE WAHLRECHT AB 16 EINGEFÜHRT. BIS HEUTE SIND NEUN BUNDESLÄNDER NACHGEZOGEN, AUCH BERLIN. DOCH IST DIESES WAHLRECHT FÜR JUGENDLICHE ÜBERHAUPT SINNVOLL? CHRISTOPH UND ALINA SIND DA UNTERSCHIEDLICHER MEINUNG.

Foto: Jonas Walzberg

JEDE STIMME ZÄHLT: AUCH DIE DER UNTER 18-JÄHRIGEN?

PRO

Mit 16-Jährigen assoziieren Erwachsene meist typische Teenagerprobleme. Störende Eltern und Stimmungsschwankungen stehen auf der Tagesordnung. Umso größer ist die Freude bei Erfolgen: Opa freut sich über den Moped-Führerschein, Oma über die Eins in Mathe. Skepsis überwiegt oftmals das Vertrauen. Dieses Bild eines*r 16-Jährigen ist nicht mehr aktuell. Die Jugendlichen sind heute reifer als vor 50 Jahren. Mit 16 sind viele Jugendliche schon in der Ausbildung, haben ein Auslandsjahr hinter sich und manches Wunderkind studiert schon. Früh sind die Jugendlichen mit den Problemen der Welt der Erwachsenen konfrontiert und lernen, damit umzugehen. Sie sind früher selbstständig und unabhängig. Eine ähnliche Erkenntnis führte 1970 dazu, dass das Wahlalter von 21 auf 18 gesenkt wurde. Über 40 Jahre später wäre eine erneute Absenkung nur logisch. Ein Argument dafür ist der demografische Wandel. Die Gruppe der über 65-Jährigen wächst stetig, während die Anzahl der unter 21-Jährigen stagniert. Für die Politik hat das verheerende Folgen: Die breite Masse von über 50-Jährigen entscheidet maßgeblich über die Zukunft der jungen Generation. Der Rat der Europäischen Union riet ebenfalls vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, das Mindestalter für alle Wahlen abzusenken. Mehrere Bundesländer gehen diesbezüglich mit gutem Beispiel voran: Auf kommunaler Ebene ist die Wahl ab 16 in über der Hälfte der Bundesländer die Regel, bei manchen entscheiden die Jugendlichen sogar auf Landesebene mit. Bei der Änderung der Gesetze hat man sich oft

auf die Kinderrechtskonvention der UN berufen, die besagt, dass Jugendliche bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, nach ihrer Meinung gefragt werden müssen. Die These, unter 18-Jährige seien politisch nicht ausreichend informiert, um an einer Wahl teilzunehmen, ist hinfällig. Die Schulen leisten heutzutage gute Bildungsarbeit, um alle, egal welcher Abschluss angestrebt wird, zu informieren. In Zeiten von Wahl-O-Mat und YouTubeInfovideos zum Deutschen Bundestag sind viele 16-Jährige politisch oftmals besser aufgeklärt als die älteren Mitbürger*innen. Der Gemeinschaftskunde-Unterricht liegt oft nicht einmal ein halbes Jahr zurück, während die Wahlen bei anderen Altersgruppen seit Jahrzehnten Routine-Angelegenheit sind. Thematisch würden für die jüngere Generation relevantere Themen auf den Tisch kommen. Jugendarbeitslosigkeit und Kinderarmut bekämen die Aufmerksamkeit im politischen Tagesgeschäft, die ihnen zusteht. Wie oft hört man von Parteien unterschiedlichster Richtungen, dass die Jugend die Zukunft ist? Die Politik muss ein Zeichen setzen und beweisen, dass diese Phrase Bedeutung hat.

Christoph Umhau 18 Jahre, Berlin ... hätte mit 16 gern über mehr als das eigene Mittagessen entschieden.

CONTRA

Jugendliche früher wählen zu lassen, um ihnen ein größeres Mitspracherecht zu geben, ist ein heiß diskutiertes Thema. Befürworter*innen dieser Änderung sind überwiegend Parteien, die sich selber einen Wählerzuwachs durch das Herabsenken des Wahlalters erhoffen – von den Grünen bis zur AfD ist hierbei ein breites Spektrum vertreten. Allem voran stellt sich allerdings die Frage, ob die unter 18-Jährigen überhaupt mehr Mitspracherecht haben wollen. Faktisch gesehen hat die Mehrheit der Jugendlichen gar kein Interesse daran, ab 16 wahlberechtigt zu sein. Bei einer 2006 durchgeführten Shell-Jugendstudie kam heraus, dass 52 Prozent der befragten Jugendlichen eine ablehnende Haltung gegenüber einer Herabsetzung des Wahlalters haben. Einem erschreckenden Anteil von 22,8 Prozent war es schlichtweg egal, ob sie berechtigt sind, wählen zu gehen oder nicht. Würden wahlberechtigte Jugendliche ihre Stimme nicht wahrnehmen, hätte das wiederum negative Auswirkungen auf die prozentuale Wahlbeteiligung in Deutschland. Diese erreichte bei der Bundestagswahl im Jahr 2009 mit 70,8 Prozent ihren bisher niedrigsten Stand. Blicken wir auf die Wahlbeteiligung auf Landes- und Kommunalebene, sind die Zahlen noch erschreckender. In Sachsen-Anhalt gingen beispielsweise nur noch 62,1 Prozent der Bevölkerung zur letzten Bundestagswahl, lediglich 43 Prozent nahmen an der Europawahl 2014 teil. Die letzten Nationalratswahlen in Österreich machen auf eine weitere Gefahr aufmerksam. Dort wurde das Wahl-

rechtsalter 2008 erstmals auf 16 Jahre heruntergesetzt. 32 Prozent der 16-jährigen Jugendlichen haben rechtspopulistische Parteien gewählt, der Anteil der 18-jährigen Rechtswähler*innen lag bei nur 16 Prozent. Extreme Parteien könnten diesen Zuwachs an Stimmen ausnutzen, was gerade auf Bundesebene fatale Konsequenzen nach sich ziehen würde. Darüber hinaus fehlen den Jugendlichen schlichtweg Kenntnisse über die Parteien und deren Ziele. Welcher 16-Jährige liest schon freiwillig das Wahlprogramm einer Partei oder regelmäßig eine Tageszeitung? Die Jugendlichen haben nur wenige Erfahrungen im Umgang mit Wahlen und sind daher leicht zu beeinflussen. Häufig beruht eine Wahlentscheidung auf keiner fundierten Meinungsbildung, sondern auf spontanen Interessenslagen. Um dies zu ändern, müsste zunächst die unabhängige politische Bildung der Jugendlichen, zum Beispiel in Form eines speziellen Politikunterrichts in der Schule, gestärkt werden. Sicherlich sind die Anforderungen größer, die heutzutage an Jugendliche gestellt werden. Aber sind sie deswegen schon früher reif und vor allem bereit, am politischen Geschehen mitzuwirken? Dies ist zu bezweifeln.

Alina Welser 17 Jahre, München ... wünscht sich eine größere Jugendbeteiligung.

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EINGREIFEN STATT WEGSCHAUEN EXTREMISMUS AN SCHULEN IST KEINE RANDERSCHEINUNG. ER VERLANGT INSBESONDERE VON LEHRER*INNEN ERHÖHTE AUFMERKSAMKEIT UND DIE BEREITSCHAFT EINZUGREIFEN. LEA BERGMANN BESCHREIBT DIESEN ZUSTAND.

Foto: Jonas Walzberg

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as tun, wenn Schüler*innen extremistisches Gedankengut pflegen? Hilflosigkeit unter Lehrern*innen ist keine Seltenheit. „Wie erkenne ich extreme Tendenzen, rechts- oder linksextremes Gedankengut oder die Hinwendung zum Islamismus?" Eine Frage, die sich Lehrer*innen stellen sollten. Doch die wenigsten unter ihnen sind geschult genug: sie fühlen sich eher überfordert. Unterstützung von außen kann helfen. Tipps bekamen die Lehrer*innen beim Workshop „Extrem extremistisch?“ im Rahmen der 2. Demokratiekonferenz im Bezirk CharlottenburgWilmersdorf.

EXTREMISMUS AN DER SCHULE – WAS TUN? Von Extremismus ist die Rede, wenn die demokratische Grundordnung verletzt wird. Damit steht der Begriff in Abgrenzung zu einer reinen Radikalisierung. Dr. Juliette Brungs und Rüdiger José Hamm, beide Politikwissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI), leiteten den Workshop. Die Einstiegsfrage „Haben Sie Erfahrungen mit Extremismus an Ihrer Schule?“ offenbarte die Hilflosigkeit vieler Lehrer*innen im Umgang mit dem Phänomen. Filme über den Djihad und Pegida lösen fassungslose Gesichter unter den Teilnehmern*innen aus. Das Unverständnis darüber, warum sich Menschen und eben auch Jugendliche extremistischen Bewegungen anschließen, ist groß. Schnell wird aber deutlich, dass Schulen wichtig sind, wenn es darum geht, derartige Entwicklungen zu verhindern. Unwohlsein, zu wenig Aufmerksamkeit, fehlende Integration sowie ein ausgeprägtes

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Machtbestreben – all diese Umstände können bereits im Schulalter zu Veränderungen der Jugendlichen führen. An dieser Stelle können Pädagog*innen eingreifen. Das Wichtigste ist es laut José Hamm, Schüler*innen eine Plattform für ihre Meinung zu geben. Ist eine Abkapselung schon fortgeschritten und der*die Jugendliche möglicherweise bereits von einer Ideologie überzeugt, können konstruktive Diskussionen weiterhelfen. Das Vertreten des eigenen, mitunter fragwürdigen Standpunktes vor anderen Mitschüler*innen fällt ihnen dann möglicherweise schwieriger. Eventuell lassen sich so noch nicht allzu stark verwurzelte Meinungsmuster durchbrechen. Wichtig ist es, die Schüler*innen nicht sofort auf Grund ihrer extremen Einstellung zu verurteilen. Solche Maßnahmen können die Schüler*innen in ihrem Verhalten eher bestärken. Allgemein gilt: Lehrer*innen sollten mit Problemen nicht alleingelassen werden. Vielmehr soll das gesamte Kollegium zusammenarbeiten, so José Hamm. An dieser Stelle könnte ein schulübergreifendes Netzwerk helfen, in dem Schulen Expert*innen von außen zu Rate ziehen. Je mehr Parteien in den Lösungsprozess integriert werden, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Der Glaube, dass Jugendliche aus einem Haushalt mit niedrigerem Bildungsniveau oder Schüler*innen einer Sekundarschule eher zu extremen Tendenzen neigen, ist falsch. Dies beweist ein heute noch anwendbares Beispiel des Experten José Hamm. Zu seiner Schulzeit auf dem Gymnasium zeigte ein Schüler Interesse an einem Buch, in dem der Holocaust geleugnet wurde. Ein heikles Thema, doch die Lehrerin erklärte sich bereit, das Buch im Unterricht zu besprechen. Aus José Hamms

Sicht die richtige Reaktion. Das Ziel muss es sein, Argumente des Buches sowie des Schülers zu widerlegen und ihn zum Umdenken anzuregen. Aufgeben oder Übergehen sei an dieser Stelle keine Option.

WAS MUSS SICH VERÄNDERN? Die Überforderung der Lehrer*innen zeigt, dass es an Schulungen und Unterstützung mangelt. Eine Lehrerin schildert während des Workshops, wie einer ihrer Schüler sich zunehmend extremistischen Ansichten näherte: Auf einer Klassenfahrt erklärte er ihr, da sie eine Frau sei, könne er nicht mehr mit ihr reden. Die Lehrerin war fassungslos. Die Entwicklung des Schülers schritt schnell voran, der Islamismus übte auf ihn einen großen Reiz aus. Später musste die Schule den Verfassungsschutz informieren. Oftmals stehen strukturelle und finanzielle Defizite einer guten Prävention im Weg. Zudem fehlt es bisher noch an einer offenen und intensiven Zusammenarbeit zwischen Schulen und Expert*innen. Dr. Juliette Brungs wünscht sich vor allem Mut. Denn der Mut eines*r jeden Einzelnen kann in der Gemeinschaft viel bewirken.

sich verhalten sollen, wenn Lehrer*innen im Unterricht extremistische Tendenzen zeigen. Dabei sei es sehr wichtig, dass sich auch Schüler*innen eine Stimme verschaffen, so Brungs. Es koste Überwindung, sich bei anderen Lehrer*innen, den eigenen Eltern oder beim zuständigen Schulrat Hilfe zu holen. Dieser Weg bleibt jedoch der einzig richtige. 2011 wurde in Schleswig-Holstein bekannt, dass eine Lehrerin Mitglied der NPD war – sie wurde umgehend vom Dienst suspendiert.

WAS BRINGT DIE ZUKUNFT? Extremismus wird sich nicht in Luft auflösen – daher ist es wichtig, Lehrer*innen und Schüler*innen bei der Bekämpfung extremer Tendenzen zu unterstützen. Deutschlandweit gibt es viele Anlaufstellen, bei denen Lehrer*innen und Schüler*innen Hilfe suchen können. In Berlin können beispielsweise Expert*innen des Sozialpädagogischen Instituts (SPI) oder auch der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KigA) Ansprechpartner sein. Es ist genau diese Zusammenarbeit, die gestärkt werden muss. Eine kontinuierliche Kooperation ist deutlich wirksamer als gelegentliche Hilferufe infolge akuter Fälle und kann langfristiger wirken.

EXTREMISMUS UNTER LEHRER*INNEN? Mut benötigen auch Schüler*innen, die bei Lehrer*innen extremistische Tendenzen erkennen. Diese Fälle gab es in der Vergangenheit gleichermaßen. Aus diesem Grund ist 2012 die Forderung gekommen, dass Lehrer*innen eine mögliche Parteimitgliedschaft offenlegen müssen. Der Lehrer*innenverband lehnte dies jedoch ab. Oft wissen Schüler*innen nicht, wie sie

Lea Bergmann 28, Berlin ...hat beim Workshop zu Extremismus gemerkt, dass auch Lehrer*innen hilflos sein können.


F RISC H , F R U CH T I G, S E L BS TGE P R E S S T – M IT M ACHEN @PO LIT IK O RAN G E.DE

I MPR ESSUM Diese Ausgabe von politikorange entstand im Rahmen der 2. Demokratiekonferenz in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, die am 14.10.2015 stattfand. Herausgeber und Redaktion: politikorange c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Alt-Moabit 89, 10559 Berlin www.politikorange.de

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WO KANN ICH POLITIKORANGE LESEN?

cher Perspektive. Frei nach dem Motto: frisch, fruchtig, selbstgepresst.

WER MACHT POLITIKORANGE?

POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen und über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland e.V. verteilt. Auf politikorange.de können digitalisierte Magazine durchgeblättert und Videos aufgerufen werden. Printausgaben können kostenlos nachbestellt werden. Für das Stöbern auf dem Blog genügt der Aufruf von blog.politikorange.de.

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politikorange wurde 2002 als Veranstaltungszeitung ins Leben gerufen. Rund 135 Ausgaben wurden seither produziert. Von Anfang an gehören Kongresse, Festivals, Parteitage und Events zum Programm. 2004 kamen Themenhefte hinzu, die aktuelle Fragen aus einer jugendlichen Sichtweise betrachten. 2009 nahm politikorange Video und Blog ins Portfolio auf und präsentiert seither spannende Beiträge unter den Labels politikorange TV und blog.politikorange.de.

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Junge Journalist*innen – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, ist bei politikorange an der richtigen Adresse. Genauso willkommen sind begeisterte Fotograf*innen, Videoredakteur*innen und kreative Köpfe fürs Layout. politikorange versteht sich als Lehrredaktion. Die Teilnahme ist kostenlos und wird für jede Ausgabe neu ausgeschrieben – der Einstieg ist damit ganz einfach. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland e.V. Du willst dabei sein? Infos zum Mitmachen gibt es unter politikorange.de, in unserem Newsletter und via Facebook und Twitter.

Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Sophie Hubbe (s.hubbe@jugendpresse.de), Fabian Warislohner (fabian@netzpolitik.org) Redaktion: Lea Bergmann, Alina Krasniqi, Henri Maiworm, Konstantin Polikarpov, Carlotta Schreiber, Christoph Umhau, Conquista Weineck, Alina Welser Bildredaktion: Jonas Walzberg (jonas.walzberg@walzing.de) Layout: Benedikt Bungarten (benedikt@a-and-b.de) Projektleitung: Inga Dreyer (i.dreyer@jugendpresse.de) Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 Berlin Auflage: 5000 Stück

www.politikorange.de mitmachen@politikorange.de

MACH MIT! GANZ SCHÖN AUSGEPRESST: DIE POLITIKORANGE-REDAKTION NACH DER KONFERENZ.

DIE ZWEITE DEMOKRATIEKONFERENZ CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF

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weimal im Jahr finden im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf Demokratiekonferenzen statt. Dabei erarbeiten die Teilnehmer*innen gemeinsam

Problemstellungen und entsprechende Lösungsmöglichkeiten. Die Demokratiekonferenzen sind Teil der „Partnerschaft für Demokratie“ in Charlottenburg-Wilmerlsdorf, die vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert wird. Im Mai 2015 hat sich die 1. Demokratiekonferenz mit Fragen der Beteili-

Foto: Jonas Walzberg

gung und Vielfalt im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit auseinandergesetzt. Die 2. Demokratiekonferenz im Oktober 2015 richtete sich nur an Jugendliche. In Workshops diskutierten sie bestehende und zukünftige Formen der demokratischen Beteiligung.

L U S T A U F J OU R NA L I S MU S ? OB A L S A U TOR *I N, L AY OU TE R *I N, F OTOG R A F *I N OD E R CH E F R E D A K TE U R *I N – BE I P OL I TI K OR A NG E K A NNS T A U CH D U A K TI V W E R D E N!

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ENGAGIEREN IM BEZIRK

WO KANNST DU DICH IN WILMERSDORF-CHARLOTTENBURG FÜR MITBESTIMMUNG UND DAS MITEINANDER EINSETZEN? HIER FINDEST DU ANLAUFSTELLEN FÜR JUGENDBETEILIGUNG UND FLÜCHTLINGSHILFE IN DEINEM BEZIRK.

Partnerschaft für Demokratie Die „Partnerschaft für Demokratie“ stärkt die Zusammenarbeit aller zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Bezirk.

Kinder- und Jugendparlament Im Kinder- und Jugendparlament gestalten gewählte Vertreter*innen der Grund-, Ober- und Berufsschulen sowie der Jugendfreizeitheime das Zusammenleben im Bezirk.

Leon Friedel, Koordinierungs- und Fachstelle für die "Partnerschaft für Demokratie" in Charlottenburg-Wilmersdorf Tel.: 030-4423718 / 030-902912516 E-Mail: pfd-cw@stiftung-spi.de Internet: demokratie.charlottenburg-wilmersdorf.de

Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin ehrenamt@charlottenburg-wilmersdorf.de

Notunterkunft für ca. 1000 Flüchtlinge Hier werden Helfer*innen gesucht. Ihr könnt mit den Flüchtlingskindern spielen und Ausflüge machen, sie freuen sich auch über Spielzeug und Kleidung. Messehalle 26, 14055 Berlin

Deutschunterricht im Rathaus „Willkommen in Wilmersdorf“

Hier könnte deine Schule stehen: Vielfältige Beteiligungsmöglchkeiten warten auf dich. Ob in der Schüler*innenvertretung, als Klassensprecher*in oder einfach, indem du dich für deine Mitschüler*innen einsetzt.

Ehrenamt „Willkommen in Wilmersdorf“ Ihr könnt eure neuen Nachbar*innen willkommen heißen und mit ihnen Ausflüge unternehmen. Sie freuen sich über Hilfe bei der Wohnungssuche, aber auch, wenn ihr einfach vorbeikommen, mit ihnen zusammensitzen und Erfahrungen austauschen wollt. Fehrbelliner Platz 4,10707 Berlin ehrenamt@charlottenburg-wilmersdorf.de

Hier kannst du Flüchtlingen dabei helfen, Deutschland und die deutsche Sprache kennenzulernen. Fehrbelliner Platz 4,10707 Berlin info@ehrenamt-deutschkurs.org


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