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Gegen alle

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DAS 94. DOT.

DAS 94. DOT.

Keanu Reeves will sein Leben zurückhaben und begibt sich in „John Wick: Kapitel 4“ auf die Flucht nach vorne.

Also: Da war dieser Hund, den John Wick (Keanu Reeves, Matrix Resurrections) wirklich, wirklich ins Herz geschlossen hatte. Als ein paar widerwärtige Gangster bei John einbrechen, den süßen Vierbeiner abmurksen und darüber hinaus auch sein Auto klauen, ist Wick – seines Zeichens nicht nur tierlieb, sondern auch emeritierter Auftragskiller – dermaßen von Rachegelüsten getrieben, dass er nicht nur die Hundemörder zur Strecke bringt, sondern auch gleich jeden, der ihnen irgendwann mal geholfen hat, sowie jene, die denen geholfen haben zu helfen und auch denen, die denen … kurz: einfach alle. Der Welpe war immerhin das letzte Geschenk seiner jüngst verstorbenen Frau.

Wenn jetzt jemand glaubt, dass man aus einer derart dünnen Grundgeschichte keinen Film machen kann, der hat natürlich vollkommen recht. Man kann nämlich vier Filme daraus machen (fünf, wenn man die bereits fixierte Fortsetzung mit einrechnet). Dafür braucht Regisseur Chad Stahelski (der bis jetzt alle Wick-Chapter inszenierte) nur drei Zutaten.

DER STUNT-PROFI

Erstens: die eiskalten, zur Rache entschlossenen Augen von Keanu Reeves. Zweitens: ein cooles Setting, bei dem es nicht immer logisch zur Sache gehen muss. Schließlich ist es vollkommen egal, dass gefühlt alle Mitarbeiter der Hohen Kammer weibliche, bis über beide Ohren tätowierte Rockabillys sein müssen, solange die stylishe Bildgewalt uns den Atem raubt und der Sound ordentlich zum Rhythmus von John Wicks Watschen-Stakkato fetzt. Drittens: ultraästhetisch durchchoreografierte Kämpfe. Nirgends verprügelt man einander bzw. schießt sich gegenseitig so wunderschön über den Haufen wie in der John Wick-Reihe. Kein Wunder, schließlich weiß Stahelski – selbst ein erfahrener Stuntman und StuntChoreograf –, was er da tut. Natürlich geht es längst nicht mehr (nur) um den Wauwau. Auch nicht um den Ford Mustang, den Herr Wick an die Schrottpresse verloren hat. Nachdem sich John auf seinem Rachefeldzug mit der Hohen Kammer angelegt und damit so ziemlich jeden Profikiller der Welt gegen sich aufgebracht hat, ist er am Ende von „Chapter 3“ gerade noch so mit dem Leben davongekommen. Nun ist einige Zeit verstrichen, unser Protagonist ist untergetaucht. Beide Seiten haben sich von ihren Kämpfen erholt. Nun sucht John Wick nach einem Weg, die Hohe Kammer zu besiegen und seine ersehnte Freiheit wieder zurückzuerlangen – natürlich nicht kamp os. Der Schlüssel zu beidem führt über einen neuen, bisher unbekannten Feind: der mächtige und in der Mörderszene bestens vernetzte Marquis de Gramont (Bill Skarsgård, Eternals).

Wir erfahren wieder ein bisschen mehr über das Schicksal des tragischen Au ragskillers John Wick, gleichwohl wird der Blick mittels Rückblenden immer wieder auf seine Vergangenheit gelenkt.

HÖHER, SCHNELLER, WEITER, LÄNGER

O mals entnimmt man den PR-Unterlagen im Vorfeld einer Kinopremiere, dass ein neuer Teil völlig neue Wege einschlage, überhaupt ganz anders als die Vorgänger sei und alles bisher Dagewesene in den Schatten stelle. Darauf können wir bei John Wick: Kapitel 4 lange warten. Die Macher machen zu keiner Sekunde einen Hehl daraus, dass sie auf bewährten Pfaden wandeln und die goldene Regel für Fortsetzungen befolgen: höher, schneller, weiter. So werden unsere Sinne mehr denn je von spektakulären Kampfsequenzen erschlagen, der Hauptdarsteller präsentiert sich zu martialischen Klängen noch entschlossener, als wir ihn eh schon kennen. Kinofreunde mit viel Sitz eisch, dürfen sich obendrein auf den mit 169 Minuten Laufzeit klar längsten John Wick aller bisherigen Zeiten freuen. Einzig die Story verbleibt erwartungsgemäß am unteren Limit und dient in erster Linie als Transportmittel von einem bildgewaltigen Schlachtfeld zum nächsten. Aber wir sind hier ja auch nicht in der Arthaus-Nische, das hier ist Blockbuster-Kino in Reinkultur. Hier tritt Keanu Reeves der Unterwelt in den Arsch. Oder sie ihm. Oder jeder jedem. Egal, es sieht einfach verdammt gut aus. www.facebook.com/johnwickmovie

Ja,die Handlung passt auf einen Bierdeckel, darüber haben wir uns schon zur Genüge ausgelassen. Nichtsdestotrotz hat sich John Wick im Action-Genre etabliert und sogar den einen oder anderen Meilenstein gesetzt. Daher lohnt sich auch ein näherer Blick auf das Franchise. Ein paar interessante Sidefacts:

Glorreiche Vorbilder

John Wick war ursprünglich eine Idee des Drehbuchautors Derek Kolstad, der den Film als Hommage an seine eigenen Lieblingsfilme des Genres wie Zwei glorreiche Halunken oder Point Blank entwickelte. Wie viel Ähnlichkeit das Endergebnis schließlich noch mit seinen Idolen hat, sei dahingestellt.

Ein Zimmer mit Blick auf den Central Park und ein Loch im Kopf, bitte

Das Continental Hotel, ein zentraler Ort in der Handlung der John Wick-Filme, ist eine fiktive Organisation, doch das Gebäude gibt es wirklich. Das Beaver Building steht in New York City, in Lower Manhattan, und beherbergt zum Glück keine Armada aus Profikillern. Die längste Zeit seines Bestehens war es ein Geschäftsgebäude, mittlerweile wurde es zum Wohnhaus mit 126 Eigentumswohnungen umgestaltet.

Faustschlag mit Knarre

Die Choreografie der Nahkampfszenen in den John Wick-Filmen basiert auf der tatsächlichen Kampftechnik namens Gun-Fu, die eigens für spektakuläre und möglichst real aussehende FilmKampfszenen entwickelt wurde. Ihre Wurzeln liegen im HongkongActionkino der 80er-Jahre. Der äußerst Martial-Arts-erprobte Keanu

Reeves trainierte intensiv für seine Rolle als John Wick, um möglichst schlagfertig mit Faust und Waffe gleichzeitig umgehen zu können.

Russische Folklore

Die Macher konnten zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen, dass dieser Fleck auf der Erde derzeit überwiegend mit Negativem assoziiert wird. Verweise auf die russische Mythologie und Kultur findet man in der Reihe –insbesondere in Teil eins – jedoch zuhauf. Etwa die Verwendung von Matroschka-Puppen, der Vergleich zwischen Baba Jaga (einem mythologischen Wesen aus der slawischen Folklore) und John Wick sowie der Einsatz russischer Wörter und Ausdrücke in der Handlung.

John Wick goes Marvel?

Die John Wick-Reihe ist überaus beliebt und finanziell erfolgreich.

Fünf Filme sind bereits xiert. Ist der düstere Antiheld vielleicht nur der Au akt für ein riesiges Filmuniversum, wie wir es vor allem aus der Comiclandscha schon kennen? Nun, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Bis zu einem Umfang, vergleichbar mit dem Marvel Cinematic Universe, ist es noch ein weiter Weg, und zudem gab es bisher auch keine Andeutung etwaiger Ambitionen in diese Richtung. Dennoch wird unter der Regie von Underworld-Mastermind Len Wiseman ein erstes Spin-o mit dem Namen Ballerina erscheinen. In die Hauptrolle schlüp dabei die derzeit ziemlich angesagte und VielleichtOscar-Gewinnerin Ana de Armas (Blonde) als Rächerin ihrer Familie. Keanu Reeves hat seine Mitwirkung ebenfalls bereits zugesagt. Selbst wenn es nicht so gigantomanisch zugeht wie im Hause Disney, wir können schwer davon ausgehen, dass es noch das eine oder andere John Wick-Chapter geben wird. Und vielleicht auch etwas darüber hinaus.

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