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EINE SCHEIBE TOASTBROT FÜR RORY IN „THE NEST“

Rory ist groß im Taktieren und im Ausformulieren von Behauptungen. Wenn es von den Annehmlichkeiten der amerikanischen Vorstadt in die Isolation des britischen Landes geht, ist nur das jahrhundertealte Landgut von stattlichem Ausmaß gut genug. Egal, ob man das alles überhaupt bezahlen und in Schwung halten kann oder nicht. Als der Spekulant bei einem Geschäftsessen pausenlos Reden schwingt und sich gerade in Ausführungen über Theaterinszenierungen verliert, obgleich er nie einen Fuß ins National Theatre gesetzt hat, platzt seiner Frau Allison endgültig der Kragen. Sie hat ihn in jüngster Zeit schon ein paar Mal auflaufen lassen und die Regeln des Spiels missachtet – etwa im noblen Restaurant, in dem selbst die Vorspeise über ihre aktuellen Verhältnisse geht, und sie beim Weinkosten zur Brüskierung der Situation direkt aus der Flasche trank. Der Umgang ist längst nur noch passiv-aggressiv. Sie ließ Rory auch bei der Immobilienbesichtigung eines möglichen Zweitwohnsitzes direkt in London dumm dastehen. Sie wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Rory mit ungedeckten Schecks bezahlt und dass sich die Familie nicht einmal leisten kann, ihr eigentliches Zuhause zu möb- lieren. Wieso nun die Suche nach einem Zweitwohnsitz behaupten?

Muss Rory selbst vor dem innersten Kern Selbstmarketing betreiben?

Nun also sabotiert Allison – die längst am benachbarten Hof Mist schaufelt, um ihr eigenes Geld zu verdienen – sein Geschäftsessen, ehe sie es grußlos verlässt. Bloß nicht mehr das verlogene Spiel ihres Mannes mitmachen. Bislang war es an Rory, über die Familie zu bestimmen, es ist überfällig, dass Allison aufbegehrt.

Der ambitionierte Unternehmer Rory verschiffte seine Frau und ihre beiden Kinder (seinen Sohn Benjamin, der auf eine Privatschule kommt, und seine Stieftochter Sam, für die er weniger große Aufwendungen macht) vor Kurzem aus den USA nach England: seine Heimat. Mit dem Landgut übernimmt er sich nicht nur: Keines seiner Familienmitglieder fühlt sich in den holzvertäfelten Sälen richtig wohl. Alles ist zu groß, alles wirkt inszeniert. Das Gefühl von Zuhause wird in Europa nie aufkommen. Zum bestimmenden Moment im Leben der Familie ist längst Rorys Gier geworden, die zerstörerisches Potenzial hat. Gier, vermengt mit einer verschobenen Selbstwahrnehmung: Er selbst stammt aus einfachen Verhältnissen und erlebte eine lieblose Kindheit. Dass auch er dabei ist, Lieblosigkeit zu verbreiten, bemerkt er gar nicht. Sean Durkin (Martha Marcy May Marlene) siedelt seinen Thriller im Jahr 1986 an, die Zeit der anbrechenden Globalisierung, in der in London alles „Deregulierung!“ schreit. „Im Wesentlichen wollte ich die damals gefeierten Werte wie Risiko und Ehrgeiz untrennbar mit den familiären Problemen verbinden.“

Nach dem unglücklich verlaufenen Geschäftsessen und dem eskalierenden Verlauf, den der getrennt verbrachte Abend für das auseinanderdriftende Ehepaar (Jude Law und Carrie Coon) nahm, findet sich die vierköpfige Familie erstmals bei einem gemeinsamen Frühstück wieder: im Morgengrauen, in Katerstimmung. Zwischen angebrochenen Pepsi-Flaschen und Resten aus dem Kühlschrank begegnen sie sich ehrlicher als in all den chicen Behauptungen davor.

„Rory, hör auf“, stoppt ihn seine Frau, als Rory wieder mit Luftschlössern beginnt. Zu Tränen und einer Umarmung gibt es Toastbrot.

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