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Große Projektionen

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DAS 94. DOT.

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Vor dem Kino angekommen, verlässt ihn dann doch der Mut. Sein Vater habe gesagt, es sei dunkel! Und die Leute seien gigantisch groß! – Aber nur weil die Leinwand groß sei, die Leute seien nicht wirklich da. „Filme seien wie Träume“, lautet ein anderer verlockender Satz der Eltern, aber auch da gibt es Vorbehalte vom kleinen Sammy, sind Träume doch mitunter auch gruselig. Als der Vater (ganz Ingenieur) seinem Sohn die technischen Eckdaten erklärt (dass der Projektor 24 Fotos pro Sekunde auswerfe und dass jedes dieser Bilder ca. eine Fünfzehntelsekunde lang in Sammys Kopf bleibe etc. pp.) und die Mutter euphorisch von der Kinoerfahrung, die er gleich machen wird, spricht (Akrobaten! Clowns!), trottet Sammy doch mit ins Lichtspielhaus, um „The Greatest Show on Earth“ zu sehen. Er wird mit offen stehendem Mund ein Zugunglück auf der Leinwand beobachten – und als anderer Mensch aus dem Kino herauskommen.

Scripttherapie

Steven Spielberg legt seinen persönlichsten Film vor: Er gestaltet mit Die Fabelmans eine Hommage an seine Kindheit, erzählt mit veränderten Namen von seiner Familie und vom Beginn seiner Filmobsession. Erst wird der auf der Leinwand miterlebte Unfall daheim filmisch nachgestellt, später wird der Klopapierbestand drastisch dezimiert, wenn Spielbergs Alter Ego Sam seine Schwestern als Mumien abfilmt. Die Amateurfilme werden immer größer, das, was Sam (Gabriel LaBelle) mit der Kamera beobachtet, auch (Sammy wird durch eigene Heimkinoaufnahmen realisieren, dass er seine Vorstellung über seine Eltern revidieren muss) – und erst recht die Bilder, die Spielberg einfängt: Sie sind emotional packend, gleichzeitig gewitzt und in gutem Tempo erzählt – das, was Spielberg so unverwechselbar gut kann.

Sich und seine Vergangenheit hat er immer in seine Arbeit einfließen lassen (besonders in E.T. – Der Außerirdische, in dem er die Trennung seiner Eltern verarbeitet hat), nun wird er noch einmal direkter.

„Die meisten meiner Filme spiegeln Dinge wider, die ich in meinen prägenden Jahren erlebt habe. Jede Filmemacherin und jeder Filmemacher bannt Aspekte des eigenen Lebens auf Zelluloid, ob sie es nun wollen oder nicht. Das gilt auch dann, wenn sie gar kein eigenes Drehbuch verfilmen. Es passiert einfach. Aber bei Die Fabelmans ging es nicht um Metaphern, sondern um Erinnerung.“ Gemeinsam mit dem

Dramatiker und Drehbuchautor Tony Kushner, mit dem er schon bei München, Lincoln und West Side Story zusammenarbeitete, entwickelte er das Drehbuch (in Gesprächen und gemeinsamen Schreibsessions, die Spielberg scherzhaft mit einer Therapie vergleicht), um Spielbergs Kindheit auf den Punkt zu bringen. Sei dies nun der erwähnte erste Kinobesuch – oder eine denkwürdige Begegnung mit dem legendären Regisseur John Ford, die zur fantastischen Schlussszene des Films wird.

Seit Kushner und Spielberg am Set von München über Spielbergs Kindheit ins Gespräch kamen, tauschten sie sich immer wieder aus; jahrelang. Spielberg erzählt von seinen Eltern: einem brillanten Techniker – dem innovativen Computer-Pionier Arnold Spielberg (gespielt von Paul Dano) – und einer leidenschaftlichen Künstlerin –seiner Mutter Leah Adler (ganz und gar zauberhaft: Michelle Williams). Von den Umzügen der Familie: von New Jersey nach Arizona nach Kalifornien. Von der Entfremdung seiner Eltern und von einem engen Freund der Familie (den Seth Rogen auf liebenswerte Weise spielt).

Verletzliche Drehbedingungen

Nach der Hektik einer Großproduktion wie West Side Story hatte Spielberg das große Bedürfnis, Die Fabelmans voranzutreiben: Sein Vater starb im August 2020, seine Mutter war bereits seit vier Jahren tot, die Covid-19-Pandemie hatte die Welt längst im Griff, und keiner wusste, „wie das Leben in einem Jahr aussehen würde. Als sich die Dinge verschlimmerten, stellte ich mir die Frage, was ich wirklich noch dringend loswerden muss“, so Spielberg. Die Dreharbeiten waren für Spielberg sehr emotional: „Ich wollte eine gewisse Distanz zwischen mir und dem Thema wahren. Aber das war schwer umzusetzen.“ Zum Beispiel wurde das Haus, das die Spielbergs in Phoenix bewohnten, nachgebaut. „Als ich am ersten Tag ans Set kam, musste ich mich wirklich zusammenreißen. Ich ging alleine durch die Räume und hatte einen

Kloß im Hals. (…) Dann kamen die Schauspieler auf die Bühne. Michelle Williams trägt exakte Nachbildungen von Kleidern, die meine Mutter getragen hat. Ihre Lieblingskleider. Paul Dano sah genauso aus wie mein Vater. Ich sah Paul und Michelle zusammen dort stehen, und es gab einen kleinen Moment, in dem alles wie in Zeitlupe ablief, wie bei einem Autounfall. Ich sah sie einfach nur an und sah weder Michelle noch Paul. Ich sah Leah und Arnold. Ich sah meine Mutter und meinen Vater. Ich hatte das Gefühl, irgendwie meinen Verstand verloren zu haben. Und was geschah dann? Michelle und Paul kamen beide auf mich zu und nahmen mich in die Arme. Wir drei umarmten uns, und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“

Das Denkmal, das Spielberg seiner Familie und der Filmkunst mit The Fabelmans setzt, ist würdig, auch glaubwürdig und ehrlich, lebhaft, witzig und vor allem sehr mitreißend geworden: auf Spielberg’sche Art magisch. Eine heiße Empfehlung. #diefabelmans

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