11 minute read
DER AUFSTIEG DES FRAUENFUSSBALLS Tatjana Hänni, Direktorin Schweizer Frauenfussball
«DASS DER MÄNNERFUSSBALL FINANZIELL BEVORZUGT WIRD, MACHT KEINEN SINN»
Der Ball im Frauenfussball rollt und rollt und rollt
Der Frauenfussball hatte in seiner Geschichte oft einen schweren Stand. Kickende Frauen am Ball wurden belächelt oder gar nicht ernst genommen. Kommerziell uninteressant für Unternehmen und Investoren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Gleichberechtigung hält auch im Volkssport Nummer Eins Einzug. Der Frauenfussball ist im Aufschwung. Eigene Ligen, Sponsoren, professionelle Strukturen, Live-Übertragungen und steigende Zuschauerzahlen. Tatjana Haenni, Direktorin des Schweizer Frauenfussballs freut sich über die Entwicklung, doch weiss sie auch, noch ist der Frauenfussball nicht da, wo er hingehört.
Interviewpartnerin: Tatjana Haenni Autorin: Isabelle Riederer
PRESTIGE BUSINESS: Frau
Haenni, Sie sind seit vielen Jahren für den Frauenfussball tätig. Wo steht der Frauenfussball heute?
Tatjana Haenni: Der Schweizer Frauenfussball steht kurz vor der letzten grossen Hürde der Kommerzialisierung. Es gab in der Vergangenheit viele Hürden für den Frauenfussball – von Spielverboten, über die Schwierigkeit, dass es nur wenige Frauen gab, die Fussball spielen wollten bis hin zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Was oft auch ein normaler Verlauf für ein gesellschaftlich relevantes Thema ist, doch aktuell steht der Frauenfussball wirklich kurz vor dem Durchbruch. Was einst nur die Hardcore-Fans begeisterte, ist mittlerweile zum Mainstream geworden. Zu verdanken ist dies sicher auch dem wachsenden medialen Interesse. Auch die kommerzielle Seite kommt immer mehr zum Tragen und Unternehmen haben den Frauenfussball als Möglichkeit entdeckt, sich in einem gesellschaftlich relevanten und wichtigen Sport zu engagieren. Es braucht sicher noch zwei bis fünf Jahre, bis der durchschlagende Erfolg da ist, aber dann ist der Frauenfussball genauso etabliert wie der Männerfussball und in allen besseren Ligen vertreten und akzeptiert. Ich bin überzeugt, dass der Frauenfussball in den kommenden Jahren immer professioneller wird und die Spielerinnen auch dementsprechend akzeptiert und bezahlt werden.
Warum hat es so lange gedauert?
Früher glaubte man immer, man müsse mehr Mädchen für den Fussball begeistern, damit der Frauenfussball wachsen wird. Die Steigerung der Anzahl fussballspielender Frauen und Mädchen ist natürlich das übergeordnete Ziel. Aber für eine Wachstumsstrategie muss die Spitze verbessert und sichtbar gemacht werden, dann entwickelt sich auch die Basis. Man muss in die oberen Ligen investieren und dort den Frauenfussball unterstützen. Das zeigt auch das Beispiel in Deutschland, wo man Jahre lang aktiv Mädchen für den Fussball begeisterte, und kaum waren sie älter, fehlten die Strukturen oder sie wurden von den Klubs und Funktionären eben doch nicht akzeptiert. Deshalb muss man in den grossen Verbänden und den wichtigsten Ligen sowie Klubs professionelle explizite Strukturen für den Frauenfussball mit Frauenfussballkompetenz schaffen. Der Wandel muss von oben kommen, dort muss das Umdenken stattfinden, damit der Frauenfussball professioneller werden kann, damit auch mehr Geld reinkommt und Verträge mit Partner und TV-Sendern geschlossen werden können. Dadurch entstehen auch Vorbilder und Geschichten, die wiederum die Fans begeistern und so die Basis wachsen lässt. In jedem Bereich. Mehr Spielerinnen, mehr Trainerinnen, mehr Schiedsrichterinnen, mehr Funktionärinnen in allen anderen Bereichen.
Stichwort Equal Pay – kurz vor der Fussball-EM 2022 der Frauen verkündeten Sie zusammen mit der Crédit Suisse, dass Spielerinnen und Spieler die gleichen Boni für EM- und WM-Teilnahmen erhalten werden. Was bedeutet dieser Schritt konkret für den Frauenfussball?
Das Thema Equal Pay ist sehr wichtig, aber man muss es auch differenziert betrachten. Auf der einen Seite gibt es die marktwirtschaftliche Komponente und die ist nun mal gegeben. Ein Fussballclub, wie der FC Zürich oder GC, ist ein privat geführtes Unternehmen, dahinter stehen Investoren, eine Aktiengesellschaft oder ein Mäzenentum, die entscheiden, wo und wie viel investiert wird. Dass der Männerfussball im Moment mehr Gewinn macht – ob durch Zuschauer, Medienverträge oder TV-Übertragungen – ist absolut klar. Diesen Clubs kann man nicht vorschreiben, sie müssen jetzt in den Frauenfussball investieren bzw. den Spielerinnen gleich viel bezahlen wie den Spielern. Das wäre in jedem anderen Unternehmen gleich, dort gibt es auch Mitarbeiter, die mehr verdienen als andere. Aber es gibt Unterschiede, wenn es um den Verband und deren Tätigkeiten geht. Denn grundsätzlich muss sich der Verband auch gemäss ihren
Statuten ebenso für den Frauen- wie den Männerfussball einsetzen, was im Umkehrschluss auch für die Sponsorengelder und andere Verbandseinnahmen gilt. Dass der Männerfussball finanziell deutlich bevorzugt wird, ist für die Entwicklung des Fussballs als Ganzes eine Dysbalance und das hat eben auch die Crédit Suisse als Partnerin des Schweizer Fussballverbandes erkannt und sich dafür eingesetzt, dass die Spielerinnen und Spieler künftig gleiche Boni erhalten sollen. Zumal die Crédit Suisse sich selbst stark in den Bereichen Gleichberechtigung und Diversität engagiert. Diesbezüglich wird auch der Schweizer Fussballverband die Gelder-Verteilung analysieren und in ein adäquateres Verhältnis setzen. Natürlich stimmt die Argumentation, dass der Männerfussball nach wie vor kommerziell mehr Geld einspielt, doch wie soll der Frauenfussball wachsen, wenn man nicht investiert? In einem ersten Schritt müssten die unerklärlichen Differenzen in den Anstellungsverhältnissen korrigiert werden. Deshalb ist Equal Pay wichtig, aber noch wichtiger ist es, Chancengleichheit in der Nachwuchsförderung zu erreichen und strukturelle Differenzen auszumerzen.
Nach vier Jahren verlassen Sie den Schweizer Fussballverband auf Ende Jahr und gehen in die USA. Zufrieden mit Ihrer Zeit beim SFV?
Ja, ich bin zufrieden! Wir konnten viel für den Schweizer Frauenfussball erreichen und das freut mich sehr.
Zum Beispiel?
Besonders stolz sind wir, dass wir mit der AXA zum ersten Mal eine Sponsoringpartnerin für die AXA Women’s Super League gewonnen haben. Das war ein grosser Durchbruch für den Schweizer Frauenfussball, denn kurz darauf kam auch das Schweizer Fernsehen und sicherte sich die Übertragungsrechte für alle Spiele, davon werden neun Spiele live im Fernsehen übertragen und jedes Spiel kann im Livestream angeschaut werden. Durch die Partnerschaften konnten wir den Clubs erstmals Preisgelder ausbezahlen und wir haben die komplette Liga umstrukturiert. Wir haben jetzt insgesamt zehn Teams, einen neuen Spielmodus und wir haben alle Zuschauerrekorde geschlagen im letzten Jahr. Zudem konnten wir die Label-Verfahren anpassen, so dass alle Clubs mehr Juniorinnen fördern müssen und wir haben Ausbildungsentschädigungen einführen können. Wir konnten das UFEA Playmakers Programm umsetzen, welches junge Mädchen von fünf bis acht Jahren für den Fussball begeistern möchte.
Gibt es auch Projekte, die Sie nicht umsetzen konnten?
Natürlich! Wir wollten unbedingt mehr Frauen in den Verbandsvorstand holen, das haben wir leider nicht mehr geschafft, aber ich denke nächstes Jahr wird sich das noch ändern. Und ich hätte gerne eine Frauenfussballkommission gegründet, weil es nach wie vor zu wenige Frauen im Fussball gibt. Aber ich denke auch das wird kommen. Was ich verpasst habe, auch weil mir schlichtweg
die Zeit fehlte, ist, mich mehr für die regionale Verbände und den Breitensport einzusetzen. Diesbezüglich wurde mir – zu Recht – öfters ein Versäumnis vorgeworfen, aber ich wollte mich in meiner Zeit und meinen Ressourcen vor allem auf die Spitze konzentrieren, weil sich da am schnellsten am meisten bewegen lässt. Und leider hat auch bei mir der Tag nur 24 Stunden.
Wo steht die AXA Women’s Super League sportlich – auch im internationalen Vergleich?
Es gibt nicht viele Frauenligen, die einen so grossartigen Partner wie die AXA haben und wo alle Spiele gestreamt werden. Wenn man nur die sportlichen und wirtschaftlichen Komponenten betrachtet, so liegt die AXA Women’s Super League innerhalb von Europa sicher in den Top 15. Wir sind aber noch nicht auf dem Niveau, was die Infrastruktur, die Löhne und die allgemeine Professionalisierung betrifft, wie es die Ligen in England, Frankreich und Deutschland sind. Im Vergleich zu diesen Ligen befindet sich die Schweiz noch auf Amateurniveau, aber dafür machen wir es trotz allem sehr gut.
Kommen wir nochmals zurück zu den Prämien. Im Vergleich zu den Prämien, welche die FIFA und die UEFA im Männerfussball zahlen, sind die neuen Prämien für die Frauenfussball-Turniere aber immer noch bis zu 14-Mal kleiner. Ist das noch normal?
Nein, das ist absolut nicht normal! Das Problem ist, dass die meisten Fussballverbände sehr politisch organisiert sind und veralteten Strukturen folgen. Zwar findet langsam ein Umdenken und eine Veränderung statt, weil sich der Markt verändert, weil die Clubs sich ändern und weil die Gesellschaft sensibilisierter ist. Der Druck steigt und irgendwann müssen auch die grossen Verbände die Preisgeldverteilung überdenken.
Sie haben selber vier Jahre bei der UEFA und 18 Jahre bei der FIFA gearbeitet, um die Entwicklung des Frauenfussballs voranzutreiben. Sie kennen die beiden Dachverbände also ganz gut. Was braucht es, damit diese Prämiendiskrepanz zwischen Männern und Frauen kleiner wird oder verschwindet?
Das ist keine leichte Aufgabe. In erster Linie sollten sich die Verbände modernisieren und Themen wie Compliance, Good Governance und Gleichberechtigung, Gerechtigkeit höher gewichten. Den Frauenfussball und mehr Frauen im Fussball als Gewinn sehen. Eine grosse Hilfe ist der Druck auch von aussen, von den Medien und Partnern. Wenn die FIFA oder die UEFA etwas in diese Richtung anstossen würden, würde das auch direkt auf die unteren Verbände abfärben. Dieser Anstoss kann von den Verbänden kommen, aber auch von den grossen Partnern. Wenn die grossen Sponsoringpartner sagen würden, dass es so nicht mehr weitergeht und das sich etwas ändern muss, dann würde sich auch was ändern.
Viele europäische Spitzenklubs, darunter auch der FC Barcelona, schaffen inzwischen professionelle Strukturen für ihre Frauenteams. Wie wichtig ist diese Entwicklung und was bedeutet sie für den Frauenfussball im Allgemeinen?
Diese Entwicklung ist sehr wichtig und es ist vor allem auch ein wichtiges Zeichen für alle anderen Clubs. Wenn ein Club wie der FC Barcelona eine Frauenmannschaft hat und diese auch dementsprechend fördert und vermarktet, nehmen das auch andere Fussballclubs wahr und ziehen nach. Hinzukommt, dass ein privat geführter Club wie der FC Barcelona den Frauenfussball nicht einfach aus Altruismus fördert, sondern weil es aus seiner Sicht wirtschaftlich Sinn macht und das ist wichtig. Das beweist, dass der Frauenfussball Geld und dem Verein Nutzen bringt und nicht nur ein steifmütterliches Anhängsel ist.
Ein grossartiges Beispiel für den Frauenfussball, war die diesjährige Europameisterschaft in England. Ich glaube, zum ersten
Mal, hat der Frauenfussball es geschafft, die Massen zu begeistern. Wie schätzen Sie das ein?
Das stimmt schon, das lag aber auch daran, dass die EM der Frauen heuer sehr professionell aufgezogen wurde. Die Spiele wurden am Abend live übertragen, es gab Vorbericht- und Nachberichterstattungen, die grossen Stadien war voller Fans und es entstand ein richtiger Hype um die Teams und die Spielerinnen. Das mediale Interesse war enorm und hat dem Frauenfussball noch einmal einen unglaublichen Schub verliehen. Diese Frauen-EM war ein richtiger Fussball-Event und das war mega!
Hat die Frauen-EM 2022 das Interesse am Frauenfussball gesteigert?
Ja, sehr sogar! Wir haben viel mehr Mädchen, die Fussball spielen wollen. Auch die Zuschauerzahlen haben zugenommen und das Interesse von Unternehmen und den Medien ist ebenfalls gestiegen.
Sie setzen sich ein für eine Frauen-EM 2025 in der Schweiz. Wie stehen die Chancen für die Schweiz und warum sollte die Schweiz die Fussball-EM der Frauen 2025 austragen?
Es wäre ein grossartiger Katalysator für den Schweizer Frauenfussball. Eine EM ist heutzutage ein Mega-Event und riesengrosses Turnier. Wenn der UEFA-Entscheid im Januar 2023 zugunsten der Schweiz ausfallen würde, wäre das genial. Zweieinhalb Jahre bis zum Anpfiff im Sommer 2025 wäre die Frauen-EM 2025 in der Schweiz das Thema schlechthin. Die ganze Schweiz soll in ein richtiges Fussball-/Frauenfussball-EM-Fieber kommen. Auch kommerziell würde eine Frauen-EM in der Schweiz für viele Unternehmen sehr interessant sein. In England lag die wirtschaftliche Wertschöpfung durch das Turnier bei ca. 80Millionen Pfund.
Und wie stehen die Chancen, dass das klappt?
Das ist schwer abzuschätzen. Der Entscheid wird vom UEFA Exekutivkomitee gefällt, wo erfahrungsgemäss sportpolitische Komponenten einen grossen Einfluss haben. Rein von den inhaltlichen und organisatorischen Punkten her und wenn man sieht, was die Schweiz alles bietet, stehen die Chancen gut. Die Schweiz ist ein absolut valabler Kandidat, auch angesichts der Mitbewerber. Dazu gehören die Ukraine, Polen, Frankreich und ein Zusammenschluss aus skandinavischen Ländern. Die Ukraine hat aus meiner Sicht einen schweren Stand. Angesichts der Unsicherheit, wie es mit dem Krieg weitergeht, könnte dies einen Zuschlag erschweren. Ähnlich sieht es meiner Meinung nach bei Polen aus, auch hier dürfte die geographische Nähe zur Ukraine für Unsicherheit sorgen. Frankreich konnte bereits die EM und WM der Männer, sowie die WM der Frauen austragen und dürfen jetzt auch die Olympischen Spiele in Paris ausrichten. Zu guter Letzt ist noch eine Kombination der skandinavischen Länder Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland im Rennen, aber dort ist meiner Meinung nach das Problem der grossen Distanzen ein möglicher Negativpunkt. Wenn die Teams und die Fans ständig zwischen den Ländern hin- und herfliegen müssten, wäre das aus meiner Sicht nicht unbedingt nachhaltig. Zudem müsste die UEFA mit jedem Land einen eigenen Vertrag aushandeln, was sicher auch nicht einfach ist. Mir scheint die Schweiz die beste Kandidatin zu sein.
Sie verlassen den Schweizer Fussballverband auf Ende Jahr und werden neue Sportdirektorin der US-amerikanischen Fussballfrauenliga. In den USA hat der Frauenfussball eine ganze andere Stellung als in Europa. Warum?
Das hängt mit der sportlichen Entwicklung in den USA zusammen. Bei den Männern waren und sind American Football, Eishockey, Baseball und Basketball die populärsten Sportarten. Für den Frauenfussball war es deshalb in den USA viel einfacher populärer und erfolgreicher zu werden, da sie keine männliche Konkurrenz hatten. Hinzu kommt, dass anfangs 70er Jahre beschlossen wurde, dass Universitäten in den USA nur dann Fördergelder im Sportbereich erhalten, wenn diese zu gleichen Teilen sowohl den Frauen- als auch den Männersportteams zugutekommen würden. Dadurch hat eigentlich beinahe jede Universität in den USA ein eigenes Frauenfussballteam und der Frauenfussball boomt bis heute. Die Amerikanerinnen gelten als stärkste Nation im Frauenfussball, sei es auf Nationalteam-, wie auf Klub-Ebene, auch was die Gleichberechtigung bei den Prämien betrifft.