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NARCIS
TEXT: ELIAS ELHARDT
FOTOS : CARLOS BLANCHARD
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EIN FILM ÜBER EIN KLEINES SKIGEBIET,
DAS IN EINER VOM KRIEG ZERRÜTTETEN REGION ZUM ORT DER BEGEGNUNG WIRD.
Wir leben in einer Zeit, in der Populismus und Nationalismus leider Zuwachs erfahren. Eine Entwicklung, die in Hinblick auf unsere Vergangenheit, kaum vorstellbar ist. Elias Elhardt reiset nach Bresovice, einem Skigebiet im Kosovo, um einen Snowboard-Kurzfilm über die Region zu drehen, die bis heute immer noch nicht offiziell von Serbien als Land anerkannt wird. Der Kosovo war einst Teil Jugoslawiens, einem pluralistischen Staat, der verschiedene Ethnien unter sich vereinte, welche Ende der 1990ger aufgrund nationalistischer Strömungen in einem leidvollen Krieg zerbrach. Narcis, eine Reise in die Vergangenheit die kaum aktueller sein könnte.
BEHIND
THE
STORY
Auf dem Weg in den ums t r i t tenen S taa t Kosovo, fuhren wir übe r k u rve n re i c he S t ra ß e n i n e i n e r ländlichen Land schaft eingebettet in den albanischen Alpen. Nach einer Nitro-Teamreise im Valbona Tal Albaniens ging unsere Reise weiter, als Markus Keller und Filmer Karsten Boysen mich auf ein ausgedehntes Balkan-Abenteuer begleiteten. Bresovice, ein kleines Skigebiet war unser Ziel, das in der grenzüberschreitenden Region der Sharr-Berge verborgen liegt. Wir näherten uns einem alten Gebäude am Fuße der Berge, die Straße wurde dort durch ein einfaches Gittertor blockiert, das mit Militärlastwagen und schwer bewa f fne ten Männern bewach t wurde. Wir haben die Grenze zum Kosovo erreicht. Wir wussten, dass wir hier eine zusätzliche Autoversicherung für den Kososvo abschließen mussten, aber wir hatten keinen blassen Schimmer davon, was uns an dem schwer bewaffneten Grenzübergang tatsächlich erwarten wird. Entsprechend ange
spannt fühlte sich die Atmosphäre im Auto an, erfüllt mit dem Gefühl der Unwissenheit und Aufregung was uns bevorstand. Wir waren dabei eine andere Welt zu betreten. Ein Land, das von vielen Nationen nicht anerkannt wird, der so genannte "Schwarzmarkt Europas", ein Land, das kürzlich vom Krieg verwüstet wurde, ein Ort, von dem wir merkten, dass wir kaum etwas wussten. Wir drehten die Musik leise und übergaben unsere Papiere an der Kontrolle, der Grenzbeamte schaute sich unsere Pässe an und warf einen prüfenden Blick auf unser Snowboard-Equipment im Kofferraum, bevor er uns unserer Pässe wieder aushändigte und anschließend freundlich fragte, ob wir noch zusammen einen Kaffee trinken möchten. Diese unerwartete Geste war unsere erste positive Erfahrung, die wir auf unserer Trip in den Kosovo machten und die zu gleich der Auftakt für eine eindrückliche Reise werden sollte. Die Republik Kosovo wurde 2008 nach einem schrecklichen Krieg in den Jahren 1998 und 1999 zu einem unabhängigen Staat von Serbien. Obwohl der Krieg durch
Das Hotel Narcis ist Zeitzeuge der Vergangenheit und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zugleich
Der Sharr Mountain Nationalpark eröffent unzählige Touren und Abfahrten fern ab von Massentourismus
eine Intervention der USA und anderer NATO-Staaten beendet wurde, blieb eine Teilung innerhalb der Region bestehen. Wenngleich ein Großteil des Gebietes von Kosovo von Albanern bevölkert ist, ist es auch die Heimat serbischer Kulturkreise und Gemeinden. Der Krieg liegt nun schon zwei Jahrzehnte zurück, aber die Teilung der beiden Kulturen ist allgegenwärtig. Auf dem Weg nach Bresovica passieren wir Städte, die mit Fahnen gesäumt sind, die die jeweilige Zugehörigkeit und Identität demonstrieren. Die serbischen Flaggen kennzeichnen, dass es sich um eine serbisch geprägte Stadt handelt. Sie akzeptieren oft auch nicht den Euro als offizielle Währung und erkennen den Kosova nicht als unabhängigen Staat an. Die nächste Stadt, rot gefärbt und mit dem schwarzen Doppeladler geschmückt lässt erkennen, dass es sich um eine albanisch geprägte Stadt handelt, und obwohl sie Kosovaren sind, identifizieren sie sich auch stark mit dem Nachbarland Albanien. Die Demonstration der Probleme im Zusammenhang mit dem Kosovo ist tiefgreifend, komplex und spaltet die Menschen dort heute unübersehbar noch immer. A uf unserem letzten Streckenabschnitt nach Bresovica fahren wir nochmal an zwei Städten am Fuße der Berge vorbei. Eine ist serbisch, die Andere albanisch, danach endet das Fahnenmeer. Wir kämpfen uns um tiefe Schlaglöcher herum die Bergstraße hinauf und stellen fest, dass es hier an elementarer Infrastruktur mangelt. Als wir oben in Bresovica ankommen, ist der provisorische Parkplatz von meterhohen Schneewänden um
geben, viele Autos sind unter den Schneemassen begraben und alle anderen Autos stehen kreuz und quer ohne System. Telefonnummern hängen an den Windschutzscheiben der vielen eingeparkten Autos, von den Fahrzeughaltern der Autos, die die anderen Wagen einparken, falls irgendwer wegfahren möchte. Das Resort verfügt über 16 Pistenkilometer und ermöglicht einen idealen Zugang zum abgelegenen Backcountry des Sharr Mountain Nationalparks. Seit dem Krieg ist das Eigentümerverhältnis von Bresovica nicht ganz geklärt, weshalb es auch seit Kriegsbeginn keine Investitionen mehr in die Infrastruktur gab. Ein Umstand, der diesen Ort
Showtime in den Gassen von Bresovice! Elias missioniert mit einem satten Method die Menschen weg vom Schlittenund Skifahren hin zum Snowboarden. Good Job!
wie aus einer anderen Zeit wirken lässt, als ob man mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist sei. Die beiden zentralen Gebäude des Ortes sind das Hotel Molika und das Hotel Narcis in einem Retro-Look, der an längst vergangen Tage erinnert. Beide Hotels sind halb verlassen und wurden seit dem Krieg nicht mehr renoviert – Zeitzeugen hierfür sind etwa die montierten Aschenbecher neben der Toilette. A ls wir mit unseren Dreharbeiten begannen, verließen Markus und Karsten den Kosovo und meine Freundin Isabelle, Fotograf Carlos Blanchard, Regiekollege Alex Tank und Filmer Andreas Zissler kamen in Bresovica an. Während wir das Kernteam bildeten, wuchs unsere Crew schnell an, da sich immer mehr Locals dem endlosen Kickerbauen, dem Big Air Crowd-Management und dem Skidoo-Taxi-Service anschlossen. Das Hotel Molika wurde für die drei Wochen unseres Aufenthalts im Kosovo zu unserer Heimat. Die leeren Räume, die staubbeladenen Möbel und das Licht, das durch die Vorhänge sickerte, lassen einen mit Gänsehaut und einem Gefühl des früheren Lebens an diesem Ort zurück. Um mehr von diesem geheimnisvollen Ort zu enthüllen und einige der Geheimnisse, die in sei
nen Mauern verborgen sind freizulegen, trafen wir uns mit dem lokalen Bergführer und Snowboarder Hamdi Hisari. Er ist ein wichtiges Mitglied der Gemeinde Bresovica und der Gastgeber für unseren Aufenthalt. Hamdi kommt seit seiner Kindheit nach Bresovica. Begleitet von seinem Vater und seiner Familie lernte er hier das Skifahren und verbrachte seine Ferien damit, das Hotel und den Ort zu erkunden, wie es jedes Kind mit Freude tun würde. Im Gespräch mit Hamdi bezeichnete er das Resort als "den perfek ten Or t", an dem Menschen aus ganz Jugoslawien und Europa zusammenkamen. Hamdi erlebte Bresovica nicht nur als sein Kindheitsparadies, sondern er erlebte auch die Veränderungen und Auswirkungen, die der Krieg und seine Konflikte mit sich brachten und letztlich das Land zerstörten. Hinter seiner harten "Super Hamdi"-Außenschale ha t ten wir das Gefühl, dass der Wandel in Bresovica und seinem Land schwer auf ihm lastete und die Narben die der Krieg hinterlassen hat, immer noch sichtbar waren, als Hamdi sich nach und nach uns gegenüber öffnete. Während wir über seine Erinnerungen sprachen und durch die Gebäude gingen, teilte Hamdi Einblicke in die Vergangenheit mit uns. Seine Vergangenheit, die Vergangenheit des Ortes und dem Schicksal eines ganzen Landes. Es fällt Hamdi offenbar nicht leicht sich zu erinnern, wie die Dinge einmal waren und zu wissen, dass der Krieg irreparabel alles verändert hat. Dieser Eindruck ist spürbar und fließt gleichermaßen durch das Skigebiet wie durch die Menschen in Bresovica. D as Gebiet, das einst über fünf Sessellifte verfügte, betreibt im Augenblick zwei Lifte, die von einem Dieselaggregat angetrieben werden. Normalerweise würde nur einer der beiden Lifte laufen und so vorgeben, an welchem Hang man heu te Fahren geht. Wir haben schnell festgestellt, dass wenn es ein Problem mit dem Skipass gibt, der Manager des Resorts höchstpersönlich
Nach Einbruch der Dunkelheit kehrt Stille in Bresovice ein und der Geruch von echter Hausmannskost, weißt den Weg zurück zum Abendessen
kommt, um sich dem Problem anzunehmen. Oder wenn wir nicht alle Fahrten unserer Tickets genutzt haben, wir unser Geld für die nich t ge tä tig ten Li f t fahr ten erstattet bekommen. Dieser überaus faire und menschliche Umgang war besonders für uns und gab uns ein angenehmes Gefühl, das wir aus den Alpen nicht unbedingt so kennen. Schnell wurden wir Stammgäste in den beiden Restaurants des Dorfes, dem Che Fox und Tina's Pizzeria. Das Frühstück bei Che Fox fühlte sich eher wie ein Familienbuffe t an, wo man einen doppelten Espresso bezahlt und die nachfolgenden Espressi inkludiert waren. Doch es war nicht nur der süße Nektar des Koffeins, der uns einen Großteil unserer Zeit in den Hütten hielt.
Dem Schlitten ist es schnuppe, ob Serbe oder Kosovare, Hauptsache die Leute haben Spaß!
Hamid kennt das Hotel Narcis seit seiner Kindheit, als er dort mit anderen Kids aus ganz Jugoslawien und Europa den Betonklotz erkundete
Die Restaurants waren auch der Dreh- und Angelpunkt aller, die in Bresovica zusammenkamen. Die Einkehren sind der Ort an denen man mit allen Menschen ins Gespräch kommt, sich austauscht und zum Beispiel Tipps gibt, wenn eine Snowboard-Bindung falschherum montiert ist. Der freundliche und respektvolle Umgang lässt schnell die unzähligen Powder Runs die draußen warten, bei all der Gastfreundschaft und Menschlichkeit in den Hintergrund rücken. Uns eröffnete sich in den Restaurants eine neue Denkweise, weg vom Ich-willmeine-Lines-shredden, hin zu einem echten Miteinander. Mit der Zeit erkennen wir, dass unsere "One Run, One Espresso"-Regel eigentlich der "Balkan-Ansatz" war, und wir beginnen die Dinge anders wahrzunehmen, es eröffnet sich uns eine neue Perspektive wie wir am Berg
miteinander umgehen ohne darauf zu achten, dass wir unbedingt auf unsere Kosten kommen müssen. Auf dem Berg wurden wir zu einer großen Gruppe, bestehend aus uns und Einheimischen, die uns voll Freude ihre besten Spots zeigten. Wir haben die Vorteile des weitläufigen Backcountry von Bresovice durch die Einheimischen kennengelernt und mit ihnen zusammen ein paar unvergessliche Powder-Sessions erlebt. Verspielte Windlips und Side Hits bescherten uns jede
Tree Runs - der beste Zeitvertreib bei schlechter Sicht!
Menge Spaß auf dem Weg nach unten zurück zum Sessellift. Da die Pisten nach Schneefall nicht gleich gewalzt wurden, konnten wir sogar direkt auf der Piste den Tiefschnee genießen. Der schwere Frühjahrsschnee unten im Ort eignete sich zudem hervorragend zum Kickerbauen und so lag es auf der Hand, dass wir mit Hilfe der Locals viele kleinere und größere Kicker zwischen den Häusern schaufelten. Zur Mittagspause brachten wir alle Helfer und neue
Freunde zu Tina's Pizzeria. Tina, die uns mit traditionellen Gerichten bekochte, muss stundenlang für uns in der Küche gestanden haben. Das Essen schmeckte vorzüglich und die Geselligkeit lies fast vergessen, dass draußen noch Kicker auf uns warteten. Ein Niveau an Offenheit und Gastfreundschaft, das in anderen Teilen Europas oder den USA schwer zu finden ist, und das obwohl der Krieg dieses Land gespalten und zu großen Teilen zerstört hat.
Der Krieg im Kosovo und die Zerstörung Jugoslawiens wurden von den entgegengesetzten Merkmalen von Offenheit und Gastf reundscha f t ange t rieben. Das hohe Maß an Nationalismus und Identität, das sich in den vielen Flaggen der Kulturen zeigt die wir durchquert haben, ist im Kosovo immer noch omnipräsent. Der Kosovo gehörte einst zu Jugoslawien, einer Einheit von Staaten, die ein hohes Maß an Vielfalt und le tz t l ich du rch na t iona l is t ische Interessen zerbrach. Der Zusammenbruch Jugoslawiens, der als "Balkanisierung" bekannt ist, bedeutete den Verlust der Diversität und den Anstieg des Protektionismus, da viele Menschen es für notwendig hielten, ihre eigene Identität und Werte vor jene der Anderen zu stellen. Diese von einigen Politikern gezielte Instrumentalisierung von Merkmalen wie Religion und Herkunft brachte die Menschen gegeneinander auf, und wurde zum entscheidenden Vehikel für ihre geopolitischen Machtinteressen. Diese destruktive Dynamik führte zum Krieg und letztlich zur Spaltung Jugoslawiens. Viele Menschen, mi t denen wir gesprochen haben, erinnern sich an das ehemalige Jugoslawien als Einheit, ähnlich wie die heutige Europäische Union. Wenn wir den Menschen hier zuhören und sehen
Sonne und Schnee lassen in Brezovica die unterschiedlichen Ethnien miteinander verschmelzen und bringen die Menschen zum Lachen
Elias bringt mit einem sytlischen Stalefish Farbe ins öde Grau
was der Krieg angerich te t ha t, drängt sich einem der Gedanke auf, ob der derzeitige Aufstieg des Nationalismus in Europa und die Spal tung zwischen den Ländern im schlimmsten Fall auch unsere Zukunft dramatisch verändern könn te, wie hier au f dem Balkan geschehen. Die ersten Boten für diese Verschiebung sind der Verlust der Akzeptanz für Anderssein. Der Wert der Vielfalt der sich zeigt, wenn verschiedene Menschen, Ethnien und Religionen in Offenheit und Akzeptanz zusammenkommen. Besonders ausgeprägt war dies im Kosovo, wo die Fähigkeit sich der Vielfalt zu öffnen, verloren ging. Doch das kleine Skigebiet Brezovica ist zu einem Treffpunkt für unterschiedliche Menschen aus der ganzen Region geworden. Das war auch der Hauptgrund, warum ich hierherkommen und diese Geschichte festhalten wollte, die in unserer Zeit des zunehmenden Nationalismus in Europa und anderen Teilen der Welt von großer Bedeutung zu sein scheint. Einer unserer neuen Freunde, Benjamin, arbeitet für die Deutsche En twicklungszusammenarbei t im Auftrag der Bundesregierung in der ländlichen En twicklung au f dem Balkan. Er ist auch ein begeisterter Backcountry-Fahrer und Stammgast in Brezovica. Wir unternahmen zusammen eine Splitboard-Tour und folgten vermeidlichen Schneeschuhspuren, die sich wenig später als Bärenspuren entpuppten. Man vergisst immer wieder, wie abgelegen und wild dieser Ort noch heute ist. Durch die Gespräche mit Benjamin bekam ich ein etwas besseres Verständnis der Region. Er erklärte mir, das Jugoslawien seinen eigenen dritten Weg gegangen sei: Da es weder ein westlich kapitalistisches noch östlich kommunistisches Land war, haben sie hier ihren eigenen Entwicklungsweg gefunden. Zusammen mit einigen überwiegend afrikanischen Ländern, entwickelten sie eine Bewegung des „Dritten Weges". Doch die Spaltungen, die sich aus der nationalistischen Ideologie ergaben, rissen diesen Entwicklungsweg auseinander. In Bezug auf Bresovica und die Gemeinsamkeiten, die der Bergsport ermöglicht, ist das Skigebiet zu einem Treffpunkt der verschiedenen Ethnien und Religionen geworden, wo die einst verfeindeten Kulturen heute wieder friedlich zusammenzukommen.
Bei der Entstehung des Films „Narcis“ war von Anfang an klar, dass es unmöglich sein wird, die Tiefe und Dynamik des vergangenen Kon flik ts und die Geschichte des Kosovo festzuhalten oder zu verstehen. Doch das Leben von Hamdi und die mysteriösen verlassenen Gebäude, in denen sich das Leben einer einstigen Gesellschaft abspielte, gaben uns einen perfekten Rahmen um mit dem Film eine eindrückliche Geschichte zu erzählen. Wir fanden eine Welt in einem kleinen Skigebie t, das en tschlossen is t, sich nicht von seiner Vergangenheit gefangenhalten zu lassen. Wo die Schneekultur nicht an Religion oder Ethnien gebunden ist und wo Menschen zusammenkommen, in der Hoffnung, eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können.