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Mirko Mair: Stillstand langweilt ihn

Ein eigenes Kochbuch herausgeben: Davon träumte auch Mirko Mair. Aber er wollte so ein Projekt nicht alleine umsetzen. Im Frühjahr 2020 legte Corona alles still und Mair fand endlich die Zeit, das Projekt anzuschieben und trommelte zehn befreundete Köche aus dem ganzen Land dafür zusammen. Nun ist „Genussregion Südtirol” in den Buchläden erhältlich. Verena Duregger hat die Porträts der Köche verfasst und beschreibt Mirko Mair als Bergbauernbub mit Hang zur Exotik.

Liebe auf den ersten Blick. Mirko Mair hat es erlebt. 2011 spaziert er in seinem neuen Wohnort Pfalzen durchs Dorf und kommt an der Sichelburg vorbei. Der Ansitz, im 14. Jahrhundert erstmals erwähnt, prägt das Dorfbild mit seinem hohen Turm von Weitem. Mair ist da als Koch schon viel herumgekommen. Südtirol, Deutschland, Schweiz, Russland, Holland, Amerika. Er hat in Hotelküchen angeheuert, in Restaurants gekocht und von mehr als einem Sternekoch die harte Schule gelernt. Er hat die Offiziersküche beim italienischen Militär geschmissen, weil die Verantwortlichen seine Fähigkeiten erkannten und er sich große Aufgaben zutraute, immer schon. Und dann war da dieser Traum, ein eigenes Restaurant zu eröffnen.

Die Sichelburg jedenfalls, dieser alte Stammsitz der Herren von Pfalzen, zieht ihn magisch an. Als das Haus für eine Weihnachtsausstellung geöffnet wird, geht er mit seiner Frau und den beiden Kindern von Raum zu Raum. Er hat kaum Augen für das ausgestellte Kunsthandwerk, er richtet die Räume in Gedanken ein: Weinkeller, verschiedene Stuben, Bar, Seminarraum. Und erst der Garten draußen vor der Tür, von einer

Koch und jetzt auch Buchautor: Mirko Mair.

Burgmauer umgeben! Einfach perfekt. Als die Gemeinde das Gebäude generalsanieren lässt und ihn fragt, ob er sich vorstellen könne, hier sein Restaurant einzurichten, sagt er ja. Seither ist die Sichelburg von der kulinarischen Landkarte des Pustertals nicht mehr wegzudenken.

Die Küche: traditionell, mediterran, maritim. Kulinarisch festlegen wollte sich Mirko Mair nie. Tradition und Moderne verbindet er spielerisch – im Haus und auf dem Teller. Die Köschtalan, auf Südtirolerisch kleine Kostproben, sind ein Sichelburg-Klassiker. Karotten-Zitronengrassuppe mit Südtiroler Apfel, Garnele und Wakame-Algen ist zum Beispiel eine davon, aber auch das im eigenen Ofen zubereitete Pusterer Breatl mit dem hauseigenen geräucherten Speck.

Wer wie Mair auf einem 1700 Meter hoch gelegenen Bergbauernhof aufgewachsen ist, mit steil abfallenden Wiesen gleich hinter dem Haus, mit Jahreszeiten, die Arbeiten auf Feld und Hof vorgeben, und einer stets präsenten Genügsamkeit, nach der sich heute viele sehnen, schüttelt Tradition nicht einfach ab. Warum auch? Die Küche seiner Großmutter prägt ihn bis heute. Stundenlang half er mit seinem Bruder mit, wenn die alte Bäuerin in der Küche Teig ausrollte, ihn mit Spinat, Topfen oder Kraut füllte und die runden Teigfladen in heißem Fett auf dem Holzherd wendete. Die Tirtlan schickt er seinen Gästen als Teil der Köschtalan an den Tisch. Seinen Eifer, auch im Stall und auf dem Feld, bremste die Großmutter nie, nur, dass Mirko Koch werden wollte, konnte sie nicht verstehen. „Immer in der heißen Küche, nein, das ist nichts”, sagte sie dann. Aber von einer Idee abhalten ließ sich dieser Bergbauernbub nie …

Wenn er um vier Uhr morgens aufsteht, um den Ofen im Garten der Sichelburg mit Holz einzuheizen, muss er oft an die Großmutter denken. Brotbacken gehörte auf einem Bergbauernhof selbstverständlich dazu. Eine Tradition, die Mair beibehält. Ein paarmal im Jahr formt er mithilfe eines Nachbarn Hunderte Laibe aus Sauerteig, backt sie und verkauft das Brot im ganzen Dorf. Den Teig setzt er mit Mutterhefe an, so wie es >>

Teamarbeit: Für das Kochbuch trommelte Herausgeber Mirko Mair zehn Kollegen zusammen. Hier treffen sich Markus Peintner, Daniel Wolfgsgruber, Armin Gruber, Mirko Mair und Arnold Nussbaumer (v.l.) mit Markus Senoner (l.) von Senoner Hotelbedarf.

seit Jahrhunderten üblich ist, und wenn das eingeritzte Kreuz in der aufgehenden Masse verschwindet, weiß er, dass er anfangen kann. Auch den Speck macht er nach seinem eigenen Rezept. Im Dezember surt er das Fleisch auf dem Hof seines Bruders ein und lässt es mehrere Wochen in der Masse ziehen. Dann kommt der Speck in die historische Selchküche auf den Huberhof gleich neben der Sichelburg – und Monate später zu den Gästen.

Die viele Arbeit, die in jeder einzelnen Scheibe Speck steckt, erklärt die Begeisterung, mit der er von diesem Produkt erzählt. Er redet schnell, kann in seiner kleinen Küche laut werden und dann wieder ruhig wie ein stiller See. Dass er die Köche zusammengetrommelt hat, um dieses Buch auf die Beine zu stellen, ist nur ein Beispiel für seine Macherqualitäten. Er ist der Herr der Events (sein Motto: Geht nicht gibt’s nicht), er organisiert Gastronomiereisen mit befreundeten Köchen und kommt voller Eindrücke aus den unterschiedlichsten Ländern zurück. Stillstand langweilt ihn. Er weiß, dass sich ein guter Koch weiterentwickeln muss.

Gerade durch diese Neugier ist das Exotische in seine Küche gekommen. Roher Fisch? „Der existierte für mich am Anfang kaum.” Als er sein erstes Sushi und Sashimi probierte, machte es Bäng. Damals kochte er mit Arnold Nussbaumer in einem Hotel im Gadertal. Die beiden teilten die Vorliebe für diese Gerichte der japanischen Küche und setzten sie kurzerhand neben traditionellen Speisen auf die Karte. Auch in der Sichelburg sind Sushi und Sashimi seit jeher ein Muss. Um sein Wissen auf festere Beine zu stellen, ließ er gleich zu Beginn einen Sushimeister aus Japan nach Pfalzen kommen. Der führte ihn in die Welt des rohen Fischs ein – und Mirko Mair gibt dieses Wissen seither an seine Gäste weiter. Sein Balfego-Thunfisch mit Sushireis und Edamame im Kochbuch erzählt von seiner Vorliebe für asiatische Küche. Genau wie die Kürbiscurrysuppe mit Garnele und

DAS BUCH

Tatar vom Saibling mit Buttermilch und Wiesenkräutern, Risotto mit Zirbelbutter und Kalbsbries, Topfen-Joghurtmousse mit Beeren, Waldmeistereis und knusprigen Haferflocken – im Kochbuch „Genussregion Südtirol” finden sich Gerichte aus regionalen und saisonalen Produkten, die überraschen. Neben Mirko Mair, der als Herausgeber fungiert, haben Armin Comploj, Daniel Wolfsgruber (Alpin & Spa Resort Schwarzenstein), Armin Gruber (Lackner Stubn), Andrea Irsara (Gourmethotel Gran Ander), Arnold Nussbaumer (Alpiana Resort), Markus Peintner (Green Lake Hotel Weiher), Matthias Schenk (Lodenwirt), Othmar Raich, Daniel Werth (miil), und der eben mit seinem ersten Michelin-Stern ausgezeichnete Stephan Zippl (Restaurant 1908) am Buch mitgearbeitet. Es ist direkt bei den Köchen oder im Buchhandel erhältlich. Genussregion Südtirol – Elf befreundete Köche interpretieren ihre Heimatküche: 240 Seiten, 54,90 Euro, DK Verlag Matthaes. //

Buddhas Hand, einer nach ihrer ungewöhnlichen Form benannten Zitronensorte. Es ist besonders, solche Speisen in einer der original getäfelten Stuben zu sich zu nehmen, auf den alten Bauernofen zu blicken und die Fresken zu betrachten. „Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut”, ist auf dem Rundbogen in einem der Räume zu lesen. Zusammen mit seiner Frau Marisa, die er als seine rechte und linke Hand bezeichnet, hat er die Sichelburg zu einem Ort gemacht, an dem sich Alt und Neu verbinden. Schon als junger Koch hat er gespürt, dass er sich mit einem eigenen Restaurant am besten verwirklichen und immer neue Ideen weiterspinnen kann. Wie die Steine, die er vor ein paar Tagen von einer Wanderung vom Sambock, Hausberg von Pfalzen, mitgebracht hat. Auf ihnen wird er das Brot servieren, das er zum Tatar vom Südtiroler Rind, Büffelmozzarella und Senfeis (noch so ein Klassiker) reicht. „Wenn ich etwas sehe, nehme ich es mit und probiere, wie ich es in meine Küche integrieren kann.” Steine und Hölzer, Brennnesseln und Fichtensprossen zum Beispiel.

Wenn im Juli erste Pilze ihre Köpfe im nur ein paar Gehminuten entfernten Wald durch den weichen Boden strecken, bringen ihm seine Freunde Pfifferlinge und Steinpilze vorbei. Wild bekommt er von einem befreundeten Jäger. Und einmal im Jahr kauft er einen Almochsen aus dem Gsieser Tal, den er komplett aufarbeitet und zu verschiedensten Gerichten verkocht. Käse holt er sich von

Historisch: Die Sichelburg wurde liebevoll restauriert. Es ist besonders, in einer der Stuben oder im Weinkeller zu speisen.

Immer in Aktion: Mair in der nur wenige Quadratmeter großen Küche.

jungen Produzenten aus der Gegend. Sie beeindrucken Mirko mit der Konsequenz, ihren Weg zu gehen. „Der Austausch mit Produzenten inspiriert und spornt mich an”, sagt er. Wenn sich im Herbst die Wälder langsam verfärben, holt er Kartoffeln vom Perntalhof, den seine Mitarbeiterin Annamaria in den nächsten Jahren von ihren Eltern übernehmen wird. Und neuerdings bekommt er Gemüse vom Arieshof, einer einfachen Gesellschaft für Landwirtschaft, die für Menschen mit Beeinträchtigung ein Auskommen schaffen will. Das alles zusammen ist für Mirko Mair gelebte Regionalität. Es gibt ihm ein gutes Gefühl, zu wissen, woher ein Produkt stammt. Und er ist ehrlich genug zu sagen, dass Regionalität Grenzen hat.

Wenn man ihn mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das Energie. Er drapiert einen Teller, bevor er die Küche verlässt, nimmt eine Lieferung in Empfang und nimmt sich Zeit für einen Espresso mit dem Weinhändler am Tresen. Der Tresen ist das Zentrum der Sichelburg. Hier werden Verträge geschlossen und politische Entwicklungen diskutiert, hier treffen sich junge und alte Bewohner des Dorfes und kommen ins Gespräch, hier hat so manches Ehepaar auf glückliche Zeiten angestoßen. Hier beschloss Mirko Mair, dass er mit befreundeten Köchen ein Buch herausbringen will.

Mirko kam zwei Monate zu früh auf die Welt, im Auto, in einer der vielen Kurven, die vom heimatlichen Bergbauernhof, hinunter ins Tal führen. Es gibt Menschen, die sagen: Ihm kann es nicht schnell genug gehen. Aber die Idee des Kochbuchs verfolgte er mit Bedacht und Geduld. Mit seinem Weg, seiner konstanten Leistung und seinem Willen, dieses Buch umzusetzen, hat er gezeigt: Wenn es ums Kochen geht, kann er beides – Vollgas geben und im richtigen Moment zurückschalten. >>

Tel.: 0472 86 90 29 www.gruber-steinmetz.it

PZ: Es heißt, Köche müssen Egoisten sein, um es ganz nach oben zu schaffen. Wie vereint man elf unterschiedliche Charaktere für ein gemeinsames

Projekt?

Mirko Mair: Ein Kochbuch war immer schon eine fixe Idee von mir, aber ich wollte es nicht alleine machen. Ich finde es viel interessanter, wenn verschiedene Köche ihren Küchenstil zeigen, unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, und nicht nur eine Person im Mittelpunkt steht. Ich habe zu allen Köchen einen persönlichen Bezug. Mit den meisten habe ich zusammen gearbeitet oder sie durch die Arbeit kennengelernt. Wir schätzen uns, das ist nicht selbstverständlich.

Ins Detail: Mair beim Anrichten eines Tellers.

Wie würden Sie die Küche beschreiben, die im Buch präsentiert wird?

Unser Ziel war, alle Jahreszeiten abzudecken. Und dann sollte jeder die Möglichkeit haben, seine Herzensgerichte zu kochen, die Leserinnen und Leser dann auch

Jeder Koch präsentiert seine Speisen im Buch auf besonderen Steinen. Zwei Beispiele von Mirko Mair: Entenbrust mit Blaukraut und Petersilienwurzel (l.) und Balfegó-Thunfisch mit Sushi-Reis.

bei einem Besuch im Restaurant finden. Jeder hat sechs Gerichte vorgeschlagen, und es hat erstaunlich wenig Überschneidungen gegeben. Das Buch heißt Genussregion Südtirol, aber das heißt nicht, dass wir nur typische Südtiroler Produkte verwendet haben oder die klassische Südtiroler Küche in den Fokus gerückt hätten. Da hat die abgewandelte Brennsuppe genauso Platz wie die Kürbissuppe mit Thaicurry, Puntarelle und Dim-Sum mit roter sizilianischer Garnele. Was das Buch in meinen Augen besonders macht, ist die Kombination aus Rezepten und Geschichten über die Köche und ihre Restaurants.

Was ist das Paradegericht der Sichelburg?

Tatar, das ist unser Klassiker, viele kommen nur deshalb zu uns. Ich könnte mir nicht vorstellen, das von der Karte zu nehmen. Wir verwenden für dieses Gericht nur einheimisches Fleisch. Das und die Zusammensetzung der Marinade sind mir besonders wichtig.

Wie viel Regionalität ist in der Küche überhaupt möglich?

Auf regionale Produkte zurückgreifen, ist ein schöner Ansatz. Aber bis zu einem gewissen Punkt. Wir haben sicher nicht so viel Vieh in den Ställen, um den Fleischbedarf in der Gastronomie abzudecken, so ehrlich müssen wir sein. Trotzdem ist ein Konzept wie das von Stephan Zippl interessant. Er verwendet im Restaurant 1908 ausschließlich regionale Produkte und erzählt von dieser radikalen Entscheidung im Buch.

Das Buch ist mitten in der Corona-Pandemie entstanden. Hat sich die Küchenwelt seither verändert?

Im Lockdown habe ich endlich die Zeit gefunden, das Projekt anzugehen. Es hat sich viel verändert. Die Gastronomie hat das Image des sicheren Arbeitsplatzes ein Stück verloren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, war immer schon schwierig, aber jetzt noch mehr. Bei uns heißt es eben, auch an den Wochenenden zu arbeiten. Gerade die Köche stehen am Vormittag in der Küche, dann gibt es eine Pause und abends geht es wieder los. Deshalb finde ich es wichtig, dass die Leute zwei Tage pro Woche frei haben. Freizeit zählt auch, es gibt nicht nur

die Arbeit. // Interview: Verena Duregger

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