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Viktor Matic: Wandler zwischen den Welten

Er ist Grafik- und Produktdesigner, hat Konzerte organisiert, ein Fashion-Label mitbegründet und leitet heute mit drei Freunden die Strategie-, Branding- und Marketingagentur Zukunvt. Neugier und die Lust am Probieren ist der rote Faden im Lebenslauf von Viktor Matic. Ein Gespräch über verschiedene Kulturen als Inspirationsquelle, Minimalismus als Haltung und den Versuch, immer wieder neue Pfade einzuschlagen

Gerd Eder

PZ: Du hast als kleiner Bub den Krieg in Ex-Jugoslawien erlebt, bist mit deiner Familie nach Deutschland geflüchtet, wieder zurück nach Kroatien gegangen und lebst seit 2001 in Südtirol.

Eine Konstante in bewegenden Zeiten: das Internet. Weil es dir die Möglichkeit gab, Grenzen zu sprengen?

Viktor Matic: Da ist etwas dran. Sobald man in einen neuen Kulturraum kommt, dann ist man immer der Auswärtige und Neue, verbunden mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fahne. Aber das Internet ist ein Raum, der grenzenlos ist und Grenzen überwinden kann.

Und der dich von Anfang an begeistert hat?

Ich habe in der Mittelschule in Kroatien mit Freunden und bei Wettbewerben schon kleine Animationen mit der Programmiersprache „Logo” entwickelt. Die Erfahrungen von damals haben mein Interesse für Grafikdesign sicher geweckt und verstärkt. Viktor Matic, Jahrgang 1987, wird in der Nähe von Sarajewo geboren. Die erste Klasse Grundschule besucht er in Promajna bei Split, wo er mit seinen Eltern in einem Flüchtlingslager lebt. Danach flüchtet die Familie nach Bayern, wo sie einige Jahre bleibt. Von 1998 bis 2001 kehrt Viktor nach Kroatien zurück. 2001 geht er mit seinen Eltern nach Südtirol. Er besucht das Realgymnasium in Bruneck, wo er seine Liebe für Grafikdesign entdeckt. Im Anschluss studiert er Design an der Freien Universität Bozen. Er ist Mitgründer des Kollektivs wupwup/ Tanzen ist auch Sport, der Capuzina Bar, der Galerie Prawneg&Wolf und Gründungsmitglied der Strategie- und Marketingagentur Zukunvt. Matic ist Designer, Konzeptentwickler und Innovationsmanager. Neugier treibt ihn an. //

Du hast das Realgymnasium in Bruneck besucht. Das ist nicht gerade eine typische Schule für angehende Grafiker. Wie konntest du dich trotzdem weiterentwickeln?

Wir waren damals ein politisch interessiertes und dynamisches Team, das die Schülerzeitung gegründet hat. Meine Rolle war neben der inhaltlichen Konzeption vor allem das Grafische. Wir waren so begeistert, dass wir sogar bei einem Spiegel-Wettbewerb unsere Arbeit eingereicht haben. Musik ist neben Gestaltung eine weitere Leidenschaft von mir. Ich fing an, für Gruppen Plakate zu gestalten. Dann gab mir Gunther Niedermair vom UFO die Möglichkeit, die Plakate fürs Kulturzentrum zu designen. Dann kamen Webseiten dazu und ich habe mich ins Affiliate-Marketing für Google und Amazon hineingefuchst. Das ist mittlerweile alles prähistorisch, aber es sind meine Wurzeln.

Inwieweit hat deine Herkunft deine

Formensprache geprägt?

Bis zu meinem 12. Lebensjahr habe ich sechs verschiedene Schulen gesehen. Ich denke, das Multikulturelle macht es bei mir aus. Da ist einmal die slawische, osteuropäische Kultur in Kroatien, dann habe ich in Bayern das Geradlinige und Genaue mitbekommen und

schließlich in Südtirol alpine und mediterrane Einflüsse. Dazu kam meine Internetaffinität und die Lust herumzuprobieren. Bis heute schaue ich gerne über den Tellerrand, beobachte, was international und über dem großen Teich passiert. Ich versuche auch immer, das große Ganze zu erkennen.

Trotzdem hast du ein Designstudium in Bozen absolviert.

Das Bestreben war immer, international zu studieren. Auf der anderen Seite habe ich schon in der Oberschule nebenher gearbeitet und mir so ein wertvolles Netz an Kontakten und Auftraggebern erarbeitet. Dazu kam, dass wir mit Juli erst die Matura erlangten und somit waren die Aufnahmeprüfungen an verschiedenen Unis im Ausland schon gelaufen. Ein Dreivierteljahr bis zur nächsten Möglichkeit warten? Das kam für mich nicht in Frage. Und der dreisprachige Ansatz der Uni Bozen gefiel mir. Während des Studiums konnte ich dann doch internationale Erfahrungen machen. Ich ging als Free Mover nach Jerusalem und schließlich als Erasmus-Student nach Istanbul. Eineinhalb Jahre konnte ich den Mittleren Osten erkunden, eine prägende Zeit.

Du hast während des Studiums einen

Stuhl designt, der auf der Möbelmesse in Mailand vorgestellt wurde. Was ist dir in der Gestaltung wichtig?

Als Gestalter bin ich der Bauhaus-Philosophie treu. Meine Entwürfe sind meistens puristisch bzw. lösungsorientiert. Ich komme stark aus dem Grafikdesign. Durch die Werkstätten, die an der Uni Bozen angeboten werden, habe ich Möglichkeiten bekommen, Ideen nicht nur zu designen, sondern auch umzusetzen. Mein Stuhl ist bei der bekannten Designmarke Moormann in Produktion gegangen (in Bruneck von Lorenz Sternbach vertrieben), das war natürlich etwas Besonderes. Als Abschluss meines Studiums habe ich ein Bücherregal gestaltet, das meinen Zugang zur internetlastigen Welt darstellt und im Design Museum von Holon ausgestellt wurde. Bei der Vienna Design Week habe ich Workshops gehalten.

Wie wichtig sind dir Gegenstände?

Meine Verlobte ist Architektin. Wir diskutieren oft darüber, was ein Raum fürs Wohlbefinden braucht. Ich bin in meiner Formensprache minimalistisch, komme oft mit Grundelementen aus. 2016 war ich drei Wochen in Japan unterwegs. Die Japaner haben die Suche nach einzelnen Objekten, nach dem Existenziellen, perfektioniert. Das inspiriert mich, denn ich bin kein Fan der Überflussgesellschaft. Idealerweise hat man ein Lieblingsstück oder gut gemachte Objekte, egal ob bei der Kleidung oder Alltagsobjekten oder Kunst, aber diese sind dann bewusst gewählt.

Vier gewinnt: Viktor Matic mit seinen Partnern von Zukunvt, Moritz Gruber, Viktor Franz und Arno Parmeggiani (v.l.) Jasmine Deporta

Eine Grundneugier prägt deinen Lebenslauf. An der Uni hast du mit Kommilitonen wupwup gegründet, ein

Kollektiv, das Fashion und Musik zum Inhalt hat und auch als Galerie

Prawneg&Wolf in Bruneck tätig war.

Wie kam es dazu?

An der Uni Bozen gibt es ein Warm-up-Semester zum Unistart. Wir haben wupwup in Anlehnung an dieses Semester als Kollektiv gegründet. Die Event- und Modemarke Tanzen ist auch Sport gehört auch dazu. Wir haben das über zehn Jahre stark gelebt, auch Events in europäischen Großstädten organisiert, ich selbst war als DJ auch aktiv - mittlerweile ist wupwup bei mir anderen Themenbereichen gewichen.

Eines davon ist Zukunvt…

Stimmt, aus wupwup ist irgendwann ein engeres Kollektiv entstanden, drei davon sind nun meine Partner bei Zukunvt, das sehr organisch aus den verschiedenen Tätigkeiten, die wir alle gemacht haben, entstanden ist. Wir haben im Laufe der Jahre immer mehr gelernt: Wir haben Festivals organisiert, zum Beispiel Crazy Castle in Bruneck, Love Electro, Transart Clubbings oder Konzerte im Ufo, der Verantwortungsgrad wuchs und mit ihm die Aufgaben im Management-Bereich, von Marketing und Ticketverkäufen, Sponsoringverträgen, Versicherungen, Security und Lizenen, Logistik und Vertragswesen mit Künstlern. Wir sind persönlich sehr daran gewachsen und haben gemerkt, dass wir das nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere Kunden managen können. die Galerie Prawneg&Wolf in Bruneck geführt. Und dann fingen wir mit Strategieberatung und Markenführung an. Den Eventbereich haben wir ab 30 mehr und mehr aufgegeben. Heute ist Zukunvt mit Sitz in Bozen und Wien unser Fokus. Die Agentur bringt diese Schnittmenge zwischen Dienstleistungstätigkeit auf Kundenseite, Strategie- und Unternehmensberatung und Markenaktivierung mit. Und unsere intrinsische persönliche Motivation, neue Projekte und Start-ups zu starten. Wir interessieren uns sehr für Jungunternehmer, neue Ideen, für Beteiligungsmodelle. Wir versuchen immer wieder neue Pfade einzuschlagen.

Wie entscheidet ihr euch für ein Projekt? Alle bringen ihre Ideen an den Tisch, wir schlagen gemeinsam vor und jene Idee, die über Nacht überlebt, wird weiterentwickelt. Der rote Faden, der sich dabei durchzieht: Eine gewisse Naivität und Unvoreingenommenheit Neuem gegenüber gepaart mit der Fähigkeit, auch an größere Projekte zu denken. Die Vergangenheit prägt uns, aber der Blick geht nach vorne, was wir auch mit dem Namen Zukunvt transportieren wollen. Die andere Schreibweise ist ein Beispiel für unseren Zugang, es eben nicht auf klassischem Weg zu machen. >>

Welche Richtungen habt ihr dabei eingeschlagen?

Wir haben das ehemalige Puka-Naka übernommen und als Capuzina Bar wiedereröffnet. Die Bar, in der wir aufgewachsen sind und die uns geprägt hat, stand einfach zu lange für uns still… Davor haben wir auch einen Fashion Online Store aus Berlin oder

Tel.: 0472 86 90 29 www.gruber-steinmetz.it

Wie wirkt sich Corona auf eure Arbeit aus? Wir waren immer offen gegenüber neuen Branchen, das hat uns in dieser Zeit sehr geholfen. Wir sind keine klassische Gewerbe- oder Tourismusagentur und dadurch breiter aufgestellt. Zukunvt war an der Kommunikation des Neustart-Pakets der Landesregierung beteiligt. Insofern haben wir die vielen Herausforderungen, die auf die Gesellschaft in der ersten Phase zugekommen sind, hautnah miterlebt. Unsere Kunden stehen vor riesigen Herausforderungen. Im Tourismus zum Beispiel fallen die Gäste weg, was für große Verunsicherung sorgt. In dieser schwierigen Zeit versuchen wir, konstruktiv an die Sache heranzugehen und über unsere strategischen Tools Lösungen zu finden. In jeder Branche gibt es trotz der vielen Herausforderungen auch Möglichkeiten, proaktiv aus dieser Zeit herauszukommen. Im Lebensmittelbereich sind Weinkunden zum Beispiel stark in den E-Commerce gegangen oder es gibt immer mehr virtuelle Produktpräsentationen. Wir versuchen, unsere Kunden und Partner dabei zu unterstützen.

Bildbeschreibung

Vielseitig: Eine Auswahl grafischer Arbeiten, die Viktor Matic für Events gestaltet hat (l.). Auftritte als DJ gehörten für das von ihm mitbegründete Künstlerkollektiv wupwup/Tanzen ist auch Sport selbstverständlich dazu.

Es heißt, wer keine Geschichte erzählen kann, verkauft sein Produkt nicht.

Heute nennt man das Storytelling.

Ein alter Hut?

Nein, würde ich nicht sagen. Ich glaube, wir leben in einer sehr wettbewerbslastigen Gesellschaft. Wenn man heute als Unternehmen bestehen will, dann muss das Produkt oder die Dienstleistung perfekt sein. Das Storytelling oder anders gesagt das authentische Marketing ist in einer Welt, in der alles passen muss, ein wichtiger Aspekt. Mein Ansatz als Markendesigner ist immer, sowohl das Rationale als auch das Emotionale zu bedienen. Ich muss persönlich von den Dingen ergriffen sein, sie müssen meiner Wertvorstellung entsprechen. Deswegen glauben wir aktuell an Bioprodukte und Handgemachtes oder kaufen ein Samsung, statt ein IPhone - oder umgekehrt.

Es geht um Authentizität?

Disney ist gerade in den Markt der Streamingdienste eingestiegen und hat es geschafft, innerhalb von 14 Monaten 100 Millionen Abonnenten zu erreichen, Netflix hat dafür 14 Jahre gebraucht. Natürlich ist Netflix der First-Mover, also der erste Anbieter auf dem Markt, was es schwieriger macht. Aber es beeindruckt, wie viele Menschen mit Disney eben eine positive Erinnerung und Prägung verknüpfen und diesen Service somit „mehr vertrauen”. Eine gute Marke und eine gute Kommunikation muss immer beide Seiten ansprechen: Kopf und Herz.

Krisenkommunikation war wohl noch nie so schwierig wie gerade.

Die Stärke von Krisenkommunikation liegt darin, Transparenz durch klare Ansagen zu schaffen. In dieser Zeit gibt es kein Paradebeispiel für Kommunikation. Erschwert wird manches auch durch die Tatsache, dass schnell eine Meinungsbildung geschaffen wird. Es äußern sich bewusst eher jene, die unzufrieden sind und in den Social Media Kanälen am lautesten rufen. Es ist eine unruhige Zeit. Wir merken große Veränderungen in allen Feldern, wenn wir in Kontakt mit unseren Kunden treten.

Was erwartet uns im Design in der Zeit nach der Pandemie? Werden wir bunt oder in schwarzen Farben herumlaufen?

Es gibt zwei Marktvisionen. Einmal, dass wir uns geben wie in den Goldenen Zwanzigern nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Und dann eine düstere, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändern sollten. Ich hoffe auf positive Farbbilder. Der Drang nach Individualisierung in unserer Gesellschaft ist hoch. Das sieht man auch bei Themen wie bewusstes Leben oder Einkaufen. Hoffentlich hilft uns die NachpandemiePhase, Dinge in Frage zu stellen, die bisher immer selbstverständlich waren und wenn es nur das Tanken von Benzin ist.

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