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Simone Wasserer: „Frauen sehen sich nicht immer so superwichtig wie Männer“

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SIMONE WASSERER „Frauen sehen sich nicht immer so superwichtig wie Männer“

Wenn man Simone Wasserer mit einem Wort beschreiben müsste – Tausendsassa trifft es ziemlich gut. Die 45-Jährige hat einen Spendenskandal im Europäischen Parlament mit aufgedeckt, für die Rechte der Frauen gekämpft und sich politisch in der Gemeindepolitik engagiert. Heute führt sie zusammen mit ihrem Mann ein Hotel in Vierschach. Im PZ-Interview erzählt sie, warum sie ihre SVP-Mitgliedschaft ernsthaft überdenkt, was Frauen daran hindert, nach vorne zu gehen und warum klare Worte ihr Handicap sind.

Simone Wasserer, Jahrgang 1977, wächst in Sand in Taufers auf. Nach dem Besuch der Lehrerbildungsanstalt in Bruneck, studiert sie Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck. Im Anschluss arbeitet sie zwei Jahre im Europäischen Parlament als parlamentarische Assistentin von Politiker HansPeter Martin. Es folgt das Anwaltspraktikum in Bozen, wo sie sich in der Rechtsanwaltskammer für Chancengleichheit einsetzt. Von 2009 bis 2015 ist sie Gleichstellungsrätin der Autonomen Provinz Bozen. 2015 steigt sie für die SVP in die Gemeindepolitik in Innichen ein. Zunächst als von außen berufene Sozialrätin und von 2015 bis 2019 auch als Referentin für Tourismus und Sport. Zusammen mit Bürgermeisterin Rosmarie Burgmann (Bürgerliste) bildet Wasserer (SVP) damals das erste Frauen-Duo an einer italienischen Gemeinde überhaupt. Seit 2016 führt sie das Helmhotel zusammen mit ihrem Mann Martin. Wasserer ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Vierschach. //

PZ: Europäisches Parlament, Rechtsanwaltsanwärterin, Gleichstellungsrätin, Gemeindepolitik, Tourismus:

Wenn man sich anschaut, was Sie bisher alles gemacht haben, dann kommt der Gedanke: Diese Frau hat sich wirklich ausprobiert!

Simone Wasserer: Ja, das habe ich. Und es ist das Tollste, was ich von mir erzählen kann. Dass ich eben nicht in einem Bereich geblieben bin, sondern viele verschiedene kennengelernt habe. Neues zu sehen hat mich immer angetrieben.

Hat dabei eine Aufgabe die andere er-

geben? Es haben sich Türen geöffnet, und ich bin hindurchgegangen. Ich komme aus eher ärmlichen Verhältnissen und kannte nichts von der Welt. Meine Mama wollte, dass ich Frisörin werde, weil sie mir eine höhere Schule nicht wirklich zugetraut hat. Anders meiner größeren Schwester. Sie galt zuhause immer als die Schlaue. Das hat mich am Ende aber angespornt, eine Oberschule zu besuchen. Weil ich damals schon viel auf Kinder aufgepasst habe, beschloss ich, Kindergärtnerin zu werden und entschied mich für die LBA. Mein Italienischlehrer Franco Nones hat dann alles verändert. Man soll Bücher lesen, sich informieren, die Zeitung studieren: Das war sein Ansatz. Und dass, wer Vorgänge verstehen will, viel wissen muss. Das Ringen um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung wuchs in mir, vielleicht auch, weil ich selbst diese Erfahrung gemacht habe. Die Idee, Kindergärtnerin zu werden, war dann recht bald Geschichte. Ich beschloss, Jus zu studieren.

Kommt daher Ihre Begeisterung für

Europarecht?

Mein Mann und ich haben uns in Innsbruck kennengelernt und beschlossen, nach dem Studium zusammen für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Er sollte im Europäischen Parlament ein Praktikum machen, und ich hatte auch schon eine Zusage im Regionalbüro dort. Wegen eines Todesfalls in der Familie musste mein Mann aber alles absagen und er übernahm zuhause den Hotelbetrieb. Ich habe dann beschlossen, trotzdem nach Brüssel zu gehen und habe seine Stelle bei Europaparlamentarier Hans-Peter Martin übernommen. Meine Schwester arbeitete bereits für ihn und somit hatte ich in Brüssel auch ein Stück Familie dabei.

Wie waren die zwei Jahre in Brüssel?

Einschneidend, intensiv und unheimlich bereichernd. Martin hat einen großen Spesenskandal im Europäischen Parlament aufgedeckt, und meine Schwester und ich waren mittendrin. Irgendwann eskalierte die Situation zwischen uns aber, denn Martin arbeitete nur mehr für den Skandal und kümmerte sich nicht mehr um das eigentliche Ziel, nämlich die Abgeordneten nach ihrer Leistung zu bewerten, was aber seine und somit auch unsere Aufgabe gewesen wäre. Wir gingen im Streit auseinander, aber das ändert nichts daran, dass ich diese Zeit sehr schätze.

Warum schafft es die EU nicht, ihren

Bürgern näher zu kommen?

Ich bin ein Fan der Europäischen Union. Ich habe mitbekommen, wie damals an einem

Die schönsten Seiten der Politik: In ihrer Zeit als Vize-Bürgermeisterin war Simone Wasserer in Innichen auch für Trauungen zuständig.

gemeinsamen Vertrag für die Verfassung der EU-Länder gearbeitet worden und wie sie schlussendlich auch gescheitert ist. Für mich war der Weg dorthin trotzdem immer ein Erfolg. Natürlich versteht der einfache Bürger nicht, wenn es dann nicht durchgeht, weil es alles zu weit weg ist. Aber auf EUEbene bedeutet es bei den großen Diskussionen eben, dass man oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommen muss oder diesen gar nicht erreicht.

Südtirol hat einen Vertreter im EU-Parlament. Reicht das, um vielfältige Belange einer Provinz wirklich repräsentieren zu können?

In meinen Augen geht es darum, auf die Besonderheiten aufmerksam zu machen. Ich meine aber nicht in erster Linie jene Südtirols, sondern jene der Europaregion. Landwirtschaft ist wichtig, aber sie sollte nicht unser einziges Thema sein. Es ist an der Zeit, dass wir alle die richtige Politik anwenden im Hinblick auf die Zukunft. Nehmen wir den Klimawandel. Natürlich müssen wir alle einen Schritt zurück machen. Der Mensch aber will seinen Wohlstand erhalten. Mag sein, dass wir in unserem Paradies den Klimawandel noch nicht so spüren. Aber wenn wir nicht auf die Bremse steigen, dann ist es zu spät. Das alles geht nur miteinander. Uns nur auf uns selbst zu konzentrieren, ist nicht der richtige Weg.

Gastgeber: Seit 2016 führt Wasserer das Helmhotel mit ihrem Mann Martin.

Hat die Zeit in Brüssel den Ausschlag gegeben, den Schritt in die Politik zu wagen?

In meinem Denken und Handeln bin ich sicher politisch geworden. Ich habe in der Zeit als Anwaltsanwärterin bereits für die Anwaltskammer das Komitee für Gleichberechtigung mitgegründet. Die Anwältin Christine Gasser war dort eine Schlüsselfigur für mich. Sie schickte mich einmal zu einer Veranstaltung der SVP-Frauen. Das passte mir eigentlich gar nicht, aber ich bin da hin und sah vieles in einem anderen Licht.

Sie haben zusammen mit Rosmarie

Burgmann in Innichen das erste Frauen-Duo an der Spitze einer Gemeinde in ganz Italien gebildet. Nach nur drei

Jahren zerbrach die Koalition. Warum hat es nicht geklappt?

Mein Herz schmerzt immer noch, wenn ich daran denke. Ich habe wirklich daran geglaubt, dass wir frauentechnisch etwas bewegen können. Aber die Realität hat uns sehr schnell eingeholt. Die Schließung der Geburtsstation in Innichen hat uns viele Jahre lang extrem beschäftigt. Rosmarie und ich haben in der Zeit toll zusammengearbeitet und im Wahlkampf, sie für die Bürgerliste und ich für die SVP, auch gemeinsam Aktionen für Frauen gemacht. Am Ende war der halbe Gemeinderat weiblich, was eines unserer Ziele war. Doch wir haben es nicht geschafft. Auf beiden politischen Seiten wurden Kleinkriege ausgetragen. Das hat mich viel Energie und auch Tränen gekostet. Rückblickend gesehen ist der Gang in die Gemeindepolitik eine der wenigen Entscheidungen in meinem Leben, die ich so nicht mehr treffen würde.

Wie ist das, wenn Sie sich heute begegnen?

Wir grüßen uns ganz normal. Ich bin kein nachtragender Mensch. Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das offen. Dabei bin ich sicher nicht immer diplomatisch. >>

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Meinen Charakter auszuhalten ist auch nicht ganz einfach.

Sind Sie zu hart für die Politik?

Das habe ich oft gehört. Ich sage vermutlich zu offen und ehrlich, was ich meine. Das ist sicher ein Handicap von mir.

Das heißt, eine Aussprache mit Rosmarie Burgmann hat es bisher nicht gegeben?

Nein, aber ich würde mich darüber freuen.

Die Gemeindepolitik haben Sie hinter sich gelassen. Sind Sie noch SVP-Mitglied?

Eine gute Frage in Zeiten wie diesen. Ich bin es noch. Wobei ich am Überlegen bin, ob ich es bleiben werde. Ich sage ganz offen: Ich bin eine Unterstützerin des Landeshauptmanns. Ich kenne Arno Kompatscher seit meiner Zeit als Gleichstellungsrätin und habe seine moderne und fortschrittliche Sicht der Dinge kennengelernt. Das hat mir damals schon getaugt und ist ein Grund, warum ich noch dabei bin. Die ganzen Kleinkriege, wie wir sie auch in Innichen erlebt haben, gibt es jetzt ganz offen auf der großen Ebene. Und das ist für die Politik ganz schlecht.

Als Gleichstellungsrätin lernte Simone Wasserer (hier mit Klein-Flora) Landeshauptmann Arno Kompatscher kennen und seine fortschrittliche Sicht der Dinge schätzen. Harald Wisthaler

ge Zeitpunkt, Platz für eine Nachfolgerin zu machen, die weiterhin die Kämpfe austrägt, um Gutes voranzutreiben. Denn viele Frauen sind nach wie vor mit schlechten Situationen konfrontiert. Gerade nach der Geburt erleben sie beispielsweise in Betrieben häufig Herabstufungen.

Sie waren von 2009 bis 2015 Gleichstellungsrätin. Warum haben Sie nicht eine weitere Periode angehängt?

Das war eine wohlüberlegte und schwierige Entscheidung. Ich wollte sie nicht aus dem Gefühl heraus treffen, dass auch ich Schwierigkeiten hatte, mit zwei kleinen Kindern zuhause und dem täglichen Pendeln von Vierschach nach Bozen, alles unter einen Hut zu bringen. Zu Beginn meiner Amtsperiode hatte ich ein klares Ziel: die Gleichstellungsrätin mehr in den öffentlichen Fokus zu rücken und das Amt auf Augenhöhe einer Kinder- und Jugendanwältin bzw. einer Volksanwältin zu bringen. Dies habe ich nach langem Kampf gemeinsam mit mehreren Politikerinnen der Landesregierung und des Landtags geschafft. Das war für mich der richti-

An einem Amt zu kleben, kann man Ihnen nicht vorwerfen. Tun sich Frauen in dem Punkt leichter als Männer?

Wenn man zu lange ein und dasselbe macht, wird man engstirnig. Frauen fühlen sich für den Beruf verantwortlich, für die Kindererziehung und auch dafür, dass die Beziehung läuft. Unser Fokus läuft nicht immer nur in eine Richtung. Das bedeutet nicht, dass wir den Beruf weniger ernst nehmen oder weniger gut darin sind. Für mehr Sachen verantwortlich zu sein, heißt auch, eine gewisse Gelassenheit zu haben. Frauen sehen sich nicht immer so superwichtig wie Männer.

Wer hat mehr Druck?

Frauen, ganz klar. Die Pandemie hat vielen Männern zum ersten Mal gezeigt, was Frauen schultern, wenn sie auch mal zuhause im Homeoffice sein mussten und nebenbei noch die Familie zu versorgen hatten. Doch bis zum Schluss sind eindeutig wieder die Frauen die Verliererinnen in der Pandemie.

Liegt es immer an der Gesellschaft, wenn Frauen nicht nach vorne gehen?

Oder mitunter auch an ihnen selbst?

Frauen wurden ja lange so erzogen, sich nicht in den Vordergrund zu stellen. Sich für eine Wahl aufstellen zu lassen und dann nicht gewählt zu werden, wäre ja eine Schmach – für eine Frau. Mädchen werden heute zum Glück anders erzogen, sie sind viel mutiger. Emanzipation ist ein langwieriger Prozess. In erster Linie müssen wir Frauen anfangen, mit gegenseitiger Kritik aufzuhören. Wir sind gegenüber Frauen viel kritischer als gegenüber Männern. Das kann es nicht sein.

Sie führen jetzt seit ein paar Jahren einen Hotelbetrieb zusammen mit Ihrem Mann. Wieder eine neue Welt? Ich hätte mir das selbst lange nicht vorstellen können. Nun müssen hier auch zwei Systeme miteinander in Einklang gebracht werden. Ich hatte in den vergangenen Jahren wenig Zeit für die Familie und habe viel davon in der Hochphase der Pandemie nachholen können. Nun versuchen wir, das Hotel Stück für Stück nachhaltiger und damit fit für die Zukunft zu machen. Das ist eine Herausforderung, und die nehme ich jetzt an.

Was sagt Ihre Mutter eigentlich heute zu Ihrer beruflichen Entwicklung?

Ich würde sagen, sie ist mit uns Kindern mitgewachsen. Wobei sie immer noch eine Freude hätte, wenn ich ihr die Haare mache würde (lacht). Vielleicht war es am Ende aber doch gut so, dass sie andere Pläne für mich hatte. Was ich erreicht habe, habe ich mir selbst erarbeitet. Ein gutes Gefühl.

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