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Das Einzeltitel-Scoring feiert den ersten Geburtstag

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IM BLICKPUNKT

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Aktienbewertung nach Maß?

Das Einzeltitelscoring feiert den ersten Geburtstag.

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2020 wurde das neue Aktien-Analysemodell „Einzeltitel-Scoring“ von Raiffeisen RESEARCH aktiviert und steht seither unter anderem in Mein ELBA zur Verfügung. Vor kurzem feierte das Einzeltitel-Scoring seinen ersten Geburtstag. Wir gratulieren recht herzlich und ziehen ein Resümee, indem wir einen Blick zurück auf die Veränderungen der Scores werfen.

Beim Einzeltitel-Scoring handelt es sich um eine quantitative Unternehmensbewertung anhand verfügbarer Kennzahlen nach einem Modell von Raiffeisen RESEARCH. Die Kennzahlen werden in vier Faktorfamilien (Qualität, Wachstum, Momentum und Bewertung) unterteilt, woraus jeweils ein Teil-Score hervorgeht und aus diesen wiederum ein Gesamt-Score zwischen 1 und 100 errechnet wird. Kernaussage der Theorie ist, dass ein Portfolio mit Unternehmen, die einen hohen Score aufweisen, in einem Vergleichszeitraum besser performen sollte als ein Portfolio mit Unternehmen, die einen schlechten Score aufweisen. Soweit die Theorie.

Wie sieht es damit in der Praxis aus? Zu Beginn des letzten Jahres haben wir die 20 Unternehmen des ATX nach ihrem damaligen Gesamtscore gereiht und in zwei Musterdepots unterteilt (siehe Abbildung 1). Die ersten zehn Unternehmen gingen in das „Musterdepot A“ und die restlichen zehn in das „Musterdepot B“. Jedes Unternehmen wurde mit einem Investitionswert von 1.000 Euro (fiktives Kapital) ins Musterdepot gekauft und blieb dort ein Jahr investiert.

ATX-Unternehmen Musterdepot

Wienerberger A Telekom Austria A OMV S Immo Mayr-Melnhof Karton Raiffeisenbank International A A A A

CA Immobilien Anlagen Vienna Insurance Group DO & CO Österreichische Post Andritz A A A A B

Erste Group Bank Verbund Schoeller Bleckmann voestalpine Uniqa Insurance Group Immofinanz B B B B B B

Lenzing BAWAG Group AT & S Austria B B B

Score 2020

92 85 84 78 64 53 51 42 42 30 29 23 21 21 18 13 9 7 1 1

Laut Theorie müsste Musterdepot A mit den Unternehmen, die einen hohen Scoring-Wert hatten, besser abgeschnitten haben als Musterdepot B. Doch wie so oft im Leben kam es anders als gedacht. Die Kurzfassung ist, dass Musterdepot B im Jahresvergleich von 07.01.2020 bis 07.01.2021 besser abgeschnitten hat als Musterdepot A.

Was ist geschehen? Sehen wir uns die zwei Musterdepots und die Scores im Detail an. Die Musterdepots entwickelten sich zunächst der Theorie entsprechend (A besser als B) und sogar der generelle Kurseinbruch im März 2020 änderte an dieser Tatsache nicht viel. Erst im November 2020, vor Beginn des zweiten harten Lockdowns, drehte sich das Bild. Ab diesem Zeitpunkt performte Musterdepot B besser. Diese Entwicklung lässt sich auf die vorangegangene Berichtsaison zurückführen, in der die veröffentlichten Ergebnisse bei den jeweiligen Unternehmen erfreulich bzw. weniger gut ausgefallen sind.

Vergleicht man diese Entwicklungen mit den Änderungen bei den Scores im genannten Zeitraum ist klar zu sehen, dass ein Großteil der Unternehmen aus Musterdepot A teilweise eine enorme Verschlechterung der Scoring-Werte erlitten hatte, wohingegen viele der Unternehmen aus Musterdepot B eine Verbesserung der Scoring-Werte verzeichnen konnte. Dadurch entstand eine komplett neue Rangordnung. Zieht man die Performance-Werte der Unternehmen in dem Zeitraum hinzu, unterstützten diese Zahlen die Veränderungen der Scores. In der Regel hatten Unternehmen mit guten Score-Veränderungen auch eine gute Wertentwicklung und umgekehrt. Ein paar wenige Ausreißer hat es jedoch gegeben. Wie ist dieses Ergebnis nun zu werten? Zu sagen, das Scoring-Modell ist falsch gelegen, wäre der verkehrte Ansatz. Die Scores bestätigen die Entwicklungen und liegen grundsätzlich richtig. Man muss jedoch ein paar äußere Umstände berücksichtigen.

• Zum einen wird alles von Corona überschattet. Die Pandemie hat dem ein oder anderen Unternehmen unerwartet zugesetzt.

• Außerdem ist zu beachten, dass als Testprobanden nur Unternehmen aus dem österreichischen

ATX herangezogen wurden. Das

Einzeltitel-Scoring umfasst jedoch weitaus mehr Unternehmen. Bei einer Erweiterung der Daten wäre womöglich ein anderes Ergebnis herausgekommen, bedenkt man etwa die positive Entwicklung im amerikanischen IT-Sektor.

• Ein weiterer ausschlaggebender

Punkt ist die kurzfristige Betrachtung von einem Jahr, welche stark durch das „Momentum“ getrieben ist. Das Ergebnis spricht eher für eine kurzfristige Veranlagung, wo andere Eigenschaften schlagend werden als bei einer langfristigen Investition. Man kann davon ausgehen, dass bei einer langfristigen Veranlagung in Unternehmen, die gute Kennzahlen aufweisen, am Ende des Tages ein besseres Ergebnis möglich ist.

Betrachtet man das Ergebnis, merkt man schnell, dass man das Wertpapiergeschäft nicht einfach auf einen Wert reduzieren kann und danach veranlagt. Der Teufel steckt eben doch im Detail und so empfiehlt es sich, nicht ausschießlich auf das Einzeltitel-Scoring zu setzen, sondern es als Unterstützung zu sehen. Wenn man weiß, wie man damit umgeht, kann es seinen Wert als Hilfsinstrument ausspielen. Wir gratulieren jedenfalls zum ersten Geburtstag und hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.

GERALD HEHENBERGER

ATX-Unternehmen Musterdepot Score 2021 Veränderung Performance Mayr-Melnhof Karton A 98 34 38,25 % Wienerberger A 86 -6 7,45 % Verbund B 69 48 68,89 % Telekom Austria A 50 -35 -10,18 % Andritz B 48 19 -0,62 % voestalpine B 32 14 26,69 % Lenzing B 31 24 -0,06 % Österreichische Post A 29 -1 -14,99 % OMV A 28 -56 -26,65 % Vienna Insurance Group A 23 -19 -16,41 % Bawag Group B 22 21 -0,50 % Erste Bank Group B 20 -3 -22,27 % Uniqa Insurance Group B 16 3 -26,52 % RBI A 14 -39 -20,63 % Schoeller Bleckmann B 11 -10 -32,12 % Immofinanz B 10 1 -30,08 % CA Immobilien Anlagen A 10 -41 -15,19 % S Immo A 5 -73 -24,31 % DO & CO A 2 -40 -17,92 % AT & S Austria B 1 0 34,19 %

Kleinanleger vs. Hedgefonds

Der Fall GameStop – und der Ruf der Aktie

Analyse von Peter Brezinschek, Chefanalyst von Raiffeisen RESEARCH

Das Schlachtfeld „GameStop“ hat für Aktienmarktturbulenzen und Medienrummel gesorgt. Das Image der Aktie wurde in Mitleidenschaft gezogen. Langfristig sprechen aber (Erfolgs)Zahlen für sinnvolles Investieren in Aktien.

Was haben Blackberry und Nokia mit GameStop gemeinsam? Alle sind ehemalige Branchenstars, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und fast in die Bedeutungslosigkeit zurückgefallen sind. Sie fristen ein erkaltetes Dasein mit geringer Börsenkapitalisierung und vergleichsweise geringem Handelsvolumen.

Ausgangslage GameStop

Doch bei GameStop haben sich zwei Anlegergruppen seit dem Herbst 2020 ein Gefecht geliefert. Das texanische Unternehmen ist ein Video-/Computerspielhändler mit Geschäften weltweit, der aufgrund des Onlinehandels unter die Räder gekommen ist. COVID-19 verschärfte die Krise. Hedgefonds haben das auslaufende Geschäftsmodell entdeckt und sich mit Leerverkäufen auf weiter sinkende Börsenkurse positioniert. Vorwiegend junge Menschen, die auf der Plattform Reddit zusammengefunden haben, wollten die Hedgefonds mit ihren eigenen Waffen schlagen. Mit Kaufaktionen wurde der bis August 2020 zwischen USD 3 und 5 dümpelnde Aktienkurs in Wellen nach oben katapultiert. Das war nur möglich, weil die Liquidität von GameStop mit 2,5 bis 5 Mio. gehandelter Aktien pro Tag sehr dünn war. Bei einem Börsenkurs von durchschnittlich USD 4 ergibt das ein Handelsvolumen von USD 10 bis maximal 20 Mio. Der Reiz, mit wenig Geldeinsatz die Kurse nach oben zu treiben, war groß.

Problematische Stellung der Gratis-Broker

Dass dieser „Kampf“ überhaupt möglich wurde, ist auch Brokern wie Robinhood und Trade Republic zuzuschreiben, die mit Null-Spesen bei Börsenumsätzen Kleinanleger um sich scharten. Aber auch ein NullSpesen-Broker muss Einkünfte generieren. Robinhood verkauft (Transaktions)Daten an Finanzinstitute, darunter auch Hedgefonds. Ob die massiven Reddit-induzierten Kauforders auch noch für den Kaufstopp von Robinhood (der Broker muss Kapital als Sicherheit für potenzielle Ausfälle bei Clearing Häusern hinterlegen) am 28.1. verantwortlich sind, oder der Druck von Hedgefonds, wird noch Gegenstand von Untersuchungen der Finanzbehörden sein. Prekär ist es allemal.

Leerverkäufe sind Teil eines funktionierenden Marktes

Die Motivation der Kleinanleger war, den Hedgefonds mit ihren Leerverkäufen einen massiven Verlust zu bescheren, nicht um das Unternehmen GameStop zu retten. Aber Leerverkäufe per se zu verteufeln ist kurzsichtig. Und Hedgefonds praktizieren natürlich nicht nur Leerverkäufe. Sie legen oft einen Finger in eine (fundamentale) Wunde. Die Mogelpackung MBS (Mortgage backed securities), die zum Ausbruch der Finanzkrise führte, Enron oder Wire-

card wurden ursprünglich nicht durch Finanzaufsicht, Analysten, Journalisten oder gar Politiker aufgedeckt, sondern von Hedgefonds. Um Leerverkäufe überhaupt zu lancieren, muss man eine tiefgründige Analyse der Finanzanlagen tätigen, weil das Risiko ungleich verteilt ist. Umgekehrt zum Kauf einer Aktie ist der Gewinn eines Leerverkaufs beschränkt, das Verlustrisiko aber unbeschränkt (gemäß dem Kurspotenzial). Vor allem gedeckte Leerverkäufe, also Verkäufe, wo eine Long-Position gehalten wird, dienen dem Anlegerschutz, weil sich oft Liquidität und Geschäftserfolg zwischenzeitlich substanziell ändern können.

Allerdings darf es Leerverkäufe zu mehr als 100 % des ausgegebenen Kapitals nicht geben. Denn jede ausgeliehene Aktie muss ja von einem Aktienbesitzer, der dafür eine Vergütung erhält, erworben werden, bevor sie verkauft wird. Was im Falle GameStop mit 140 % leerverkauften Aktien und mehr eingetreten ist, zeigt die technische Rückständigkeit der NYSE Handelssysteme auf. Wenn der GameStop-Hype einen positiven Effekt haben kann, dann ist das die rasche Erneuerung veralteter Handelssysteme.

GameStop-Schlacht produziert nur Verlierer

Auch wenn in manchen Medien schadenfroh von David gegen Goliath oder Robin Hood im finsteren Sherwood Forest berichtet wird, Sympathie hat sich keine Seite verdient. Die jungen „Börsenhaie“, die Aktien gemeinsam organisiert gekauft haben, um die anderen „Finanzhaie“, die auf den Bankrott einer angeschlagenen Firma setzen, ebenfalls in den Ruin zu treiben, macht keinen der Akteure zum Sympathieträger. Beide vereint kurzfristiges Gewinnstreben. Die langfristige Anlagehorizont von Aktien bleibt auf der Strecke. Klar ist schon jetzt, dass Hedgefonds Verlierer dieser Börsenschlacht sind. Seit Jahresbeginn wurde bei dieser Börsenspekulation bei Hedgefonds USD 12,5 Mrd. Verlust (Quelle Ortex 2.2.2021) angehäuft. So hat Melvin Capital eine unbedingt notwendige Finanzspritze von USD 2,75 Mrd. Ende Januar erhalten, paradoxerweise von zwei Hedgefonds-Konkurrenten. Große finanzielle, aber noch mehr Vertrauensverluste müssen die Gratis-Broker, wie Robinhood und Trade Republic erleiden. Der Stopp der Kauforders am 28.1. war vorrangig den stark gestiegenen Liquiditätshinterlegungen bei Clearing Häusern als Sicherheit für die stark gestiegenen Handelsumsätze geschuldet. Robinhood musste danach kurzfristig über USD 1 Mrd. Eigenkapital und zwei Tage später nochmals USD 2,4 Mrd. aufnehmen. Zu guter Letzt dürfte es aber auch die breite Masse an organisierten Kleinanlegern treffen. Sie haben zwar den Hedgefonds das Fürchten gelehrt, doch am Ende zählen immer die fundamentalen Daten. Eine Gesellschaft, die bis 2022 noch teils massive Verluste schreiben wird und nach Businessplan erst 2023 einen bescheidenen Nettogewinn einfahren soll, lässt das Hochschnellen in ungeahnte Kurshöhen zweifelhaft erscheinen.

Ein Plädoyer für die Aktie

Ein großer Schaden ist der Reputationsverlust des Aktienmarkts in der Öffentlichkeit. Dabei ist die Aktie als Unternehmensbeteiligung das ideale Instrument für die Eigenkapitalbeschaffung. Und Eigenkapital ist gerade in Zeiten der Krisen, wie jetzt COVID-19 zeigt, der wichtigste Risikopuffer für die Überwindung von wirtschaftlichen Einbrüchen.

Die Aktienfinanzierung ist auch der Motor für neue Entwicklungen, Strukturwandel und Innovationen. In einer Reihe von Untersuchungen wurde festgestellt, dass funktionierende Kapitalmärkte das BIP-Wachstum und damit die Beschäftigung positiv beeinflussen. Der Wachstumsvorsprung der USA gegenüber Europa mit breiter Beteiligung der Bevölkerung ist ein Beispiel. Unternehmensinvestitionen benötigen langfristiges Eigenkapital. Und was langfristig finanziert wird, sollte auch langfristig veranlagt sein. Hier sind Aktien gerade in Zeiten der Negativzinsen das einzige Finanzinstrument, das noch eine Rendite über der Inflationsrate abwirft.

Auf lange Sicht sprechen Gewinnwachstum und Geschäftsmodell für die Aktienentwicklung. Egal, ob Dividendenpapiere oder Wachstumstitel, es gibt für jeden risikobewussten Anleger das passende Vehikel. Und was, wenn nicht Aktien, sind schlussendlich das tauglichste Instrument zur Bewältigung enormer Finanzierungsmittel für den Klimaschutz. Die private Ersparnis in nachhaltige Investitionsobjekte zu kanalisieren, statt zu viel auf öffentliche Kredite auf Pump zu setzen, ist eine wichtige Weichenstellung zur versöhnlichen Verbindung von Ökologie und Ökonomie.

Wenn dann auch noch eine breite Vermögensbildung das Ergebnis sinnvoller und lukrativer Investitionen in Klimaschutz ist, haben Aktien eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht.

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