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ELEKTRONISCHE LEBENSASPEKTE Musik, Medien, Kultur & Selbstbeherrschung

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D 4,00 € AUT 4,00 € CH 8,20 SFR B 4,40 € LUX 4,40 € E 5,10 € P (CONT) 5,10 €

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Fick das Betriebssystem

COVER: LARS HAMMERSCHMIDT

ELEKRONISCHE LEBENSASPEKTE — CASHMERE CAT, EFDEMIN, UNO NYC, KID SIMIUS, THE NOTWIST, PATTEN, DIEDRICH DIEDERICHSEN, HELENA HAUFF, BASS-POLITIK IN HH DE:BUG

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08 Efdemin: "Decay", Efdemins drittes Studioalbum, ist zu einem guten Teil in Kyoto entstanden. Wir haben uns mit dem Wahlberliner über Japan und dessen Einfluss auf sein neuestes Werk unterhalten.

04 Cashmere Cat & Co: Auf Soundcloud hat sich eine neue Produzenten-Garde formiert. Ihre Formel: ein Laptop, viel gefährliches Halbwissen und eine semironische Schwäche für die Nostalgie der Neunziger.

26 Diedrich Diederichsen: Mit "Über Pop-Musik" legt der Papst der Popkritik sein Opus Magnum vor. Von Totems, Tabubrüchen, Posen, Pakten und Popschmerzen. Denn Pop-Musik, sagt Diederichsen, ist gar keine Musik.

64 "Bei fröhlicher Musik werde ich schlecht gelaunt, genervt und aggressiv. Ich kann das nicht ertragen. Düstere, brutale Musik stimmt mich dann eher ruhig und glücklich." Helena Hauff

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INDEX de:bug 180 03.2014

musik Cashmere Cat & Co: Tastaturorgasmen im Jersey Club — 04 Efdemin: Die Schönheit des Verfalls — 08 UNO NYC: Seerosen mit Pop-Appeal — 12 Kid Simius: Bumm Bumm Nass — 14 The Notwist: Die Band als DJ — 16 Patten: Para-Beats — 20 Rumpistol: Von wegen Disco — 22 Diedrich Diederichsen: Abenteuer ist gerade das ganz große Ding — 26 Musik hören mit: Helena Hauff — 64

SMARTE WELT Dummer Computer, guter Computer: Suche nach dem Supernotizzettel — 32 HER: Love OS, Love UI — 34 Das Nanny-Netz: Intels Baby — 38

STADT Das Pudel-Kollektiv dreht den Bass rein — 42

MODE Modestrecke — 44 Lights on: Palladium & Atmos — 48

WARENKORB Buch: #Akzeleration & TMA-1 Stones Throw-Headphones — 49 Electronic Beats-App & Lenovo ThinkPad X1 Carbon New — 50 Buch: Wlliam S. Burroughs Briefsammlung — 51

30 Smarte Welt: Wenn die Interfaces verschwinden, die Computer über Gefühle zu uns sprechen, statt über Tasten, dann wird aus affective computing eine klebrige Sozialsoße, in der wir und die Technik neu abgeschmeckt werden müssen.

42 "Auf Demos zu gehen ist der neue Club. Ich sehe das inzwischen auch als Konkurrenz." Das Pudel-Kollektiv über Protestraven in Hamburg

MUSIKTECHNIK E-Blockflöte Elody: Blasen auf dem Marshallturm — 52 Ploytec Pi L Squared: Hardwaresynthesizer für die Münztasche — 53 Elektron Analog Keys: Die analoge Workstation — 54 Groovesizer: DIY-Box als eierlegende Wollmilchsau — 55

SERVICE & REVIEWS Abonnement — 19 DE:BUG präsentiert: UM:LAUT, MaerzMusik, Jetztmusikfestival & 7. Lichter Filmfest — 24 Reviews: Neue Alben und 12"s — 56 A Better Tomorrow: Zerfickte Optik mit Spaßbommeln — 66

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Cashmere Cat & Co / Tastaturorgasmen im Jersey Club

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TEXT JAN WEHN

Auf Soundcloud hat sich eine neue Produzenten-garde formiert. Ihre Formel: ein L aptop, viel gefährliches Halbwissen und eine halbronische Schwäche für die Nostalgie der Neunziger. Sie beziehen sich gleichermaßen auf Aphe x T w i n u n d A a l i ya h . I h r e Produktionen hängen irgendwo zwischen Baltimore und Jersey Club, zwischen der Chopped-&-ScrewedÄsthetik des Südsta atenRap und Ba auers "Harlem Shake"-Geballer, zwischen Chillwave und Ghetto house. Was ist da los? Jan Wehn sucht ant wor te n in de r dar nie de r kompr imie r te n Soundcloud-pampe.

Klänge wie warmes Wachs, Kastagnetten und Kirchenglocken, Pitchwheel-Jaulen und dämonisches Grollen, Klaviertappser und angeschnittene Geigen, die auch dem späten R’n’B der Neunzigerjahre gut gestanden hätte, Britzelbässe, die am Trommelfell raspeln, Panflöten und Phazergeballer. Das klingt wie die Titelmelodie einer CartoonSerie dazu EDM-Gimmicks Build-ups, Drops, Breakdowns und Filter. Wahnsinn, was in vier Minuten alles möglich ist Das sind meine Notizen zur "Wedding Bells"-EP von Cashmere Cat, die gerade auf LuckyMe erschienen ist. Hier in der Redaktion schlug mir eine extreme Aversion gegen Cashmere Cats Musik entgegen. Sie klinge dumm und grässlich. Irgendwie auch nach Zuckerwatte. Helena Hauff nennt den Titeltrack im Musikhören-Mit "grauenhaft" und "furchtbar". Das sei Plastikmusik von Plastic People, das Gegenteil von dem, was man eigentlich gut findet. Ja, fast scheint mir, als sei Cashmere Cats Musik die Akustikwerdung all dessen, was man an der Musik-und Medienwelt so sehr verabscheut. In dieser flächendeckenden Verachtung unterscheidet sich Cashmere Cat nicht viel von unser aller liebstem Sidecut-Träger mit dem Kassengestell auf der Nase. Wieder so ein Langhaariger, der den Totalverrat an der Musik wagt! Ich konnte das Gemeckere nicht verstehen. Ja, natürlich klang das manchmal ein bisschen trashig und künstlich. Natürlich war das in Sachen Sound-Design wahnsinnig glatt und ging runter wie eine Flasche lauwarmer, abgestandener Robby-BubbleKindersekt - aber der krasse Kontrast zwischen ultra-klarem Klangbild und wahnsinniger Verspieltheit, der Gegensatz von totaler Struktur und gleichzeitiger Vielfalt und Abgedrehtheit in den Sounds machten mich viel zu neugierig, als dass ich diese

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Veröffentlichung in bester Musiksnob-Manier unter den Tisch hätte fallen lassen können. Zwischen mir und der schnurrenden Kaschmirkatze, das habe ich sofort gemerkt, bestand nämlich eine ganz eigenartige Verbindung. So ein bisschen wie in einer ganz frischen Liebesbeziehung, wo man sich oft ganz lange nur in die Augen sieht und zu wissen meint, was der andere denkt - natürlich ist das totaler Quatsch. Aber das hier war echt, ich schwöre! Uns verband eine ganz eigene, über allem stehende knowledge, eine gemeinsame Auskennerei, die an allen anderen vorbeiging. Sollen sie doch alle von Plastik und Zuckerwatte reden! In Cashmere Cat habe ich einen Seelenverwandten gefunden. Jemand, der endlich mal alle guilty pleasures, mit denen man bei seinen Auskennerfreunden gar nicht ankommen braucht, zu einem großen, gutklingenden Nostalgiebrei vermengt: Backstreet Boys, Aaliyah, 112, Craig David, Destiny’s Child, Modjo, Janet Jackson, Amerie, Ginuwine und ganz, ganz viel R. Kelly – kurzum: ein bisschen von all dem, was dieser Tage so halbironisch auf Neunziger-Trash-Partys verhandelt wird. Nur eben ernstgenommen und mit Trap-Rhythmen aus der 8$8. Cashmere Cat - Magnus August Høiber, 24 Jahre, aus Olso, DMC-ChampionshipFinalist - macht keinen Hehl aus seiner Faszination für kitschige Auto-TuneStandardwerke wie "Thr33 Ringz" von T-Pain jund Kanye Wests "8$8s & Heartbreak". Und wenn er davon erzählt, auf der Suche nach einem neuen Outlet erst Progressive House und dann HipHop produziert zu haben, dann ist sein Produzenten-Projekt Cashmere Cat die logische Folge davon, gerade mit dem kitischen Crossover-Ansatz. Seinen Ursprung hat Cashmere Cats Klang - die harten Drums, gechoppten Vocals, die Schüsse und allerhand obskuren Samples - im Jersey Club, jenem Amalgam aus HipHop, Downtempo, R’n’B und Trap, das seinen Ursprung im US-Prollstaat New Jersey hat und das von DJs wie Tameil, Tim Dolla, Mike V und Black Mic und der Brick Bandits Crew populär gemacht wurde. Cashmere Cats zeitgemäße Interpretation des Jersey-Club-Sounds hat ihn mittlerweile aus dem Schlafzimmer in die großen Studios gebracht. Er produziert für namenhafte Rapper; zuletzt etwa "Party Girls" mit Ludacris, Wiz Khalifa und Jeremih. Dabei ist Cashmere Cat bei weitem nicht der einzige Laptop-Produzent, der mit seinem Faible für Contemporary R’n’B und 8$8-Drums Welle macht. Kaytranada, Giraffage, Ryan Hemsworth, Carling Ruse, Bear//Face und NVIE Motho wirken fast wie ein Sound-Kollektiv, das zu moderatschnellen Beats Maschinengewehrgleichen Drum-Salven, warme Synths und soulige Samples spielt. Vielleicht ist das die Weiterentwicklung von dem, was Hudson Mohawke und Flying Lotus vor einigen Jahren begonnen haben: das nächste

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CASHMERE CAT, WEDDING BELL, IST AUF LUCKYME ERSCHIENEN.

Kapitel der Beatscience. Eine um damalige Präzision entledigte, wohlgemerkt. Denn viele der eben genannten Produzenten haben sich das Musikmachen mit gecrackter Software und mithilfe von Youtube-Tutorials selbst beigebracht. So wie die 25-jährige Carling Ruse aus San Jose, die ihre ersten Produktionen mit einer gecrackten ReasonVersion anfertigte und, nach dem sie das Programm mehr aus Neugier öffnete, erst einmal hilflos vor dem Bildschirm saß. "Ich hatte keine Ahnung, was die Knöpfe bedeuteten, geschweige denn was ich anklicken sollte. Das war ein ziemlich gruseliger Moment. Also habe ich angefangen mir alle wichtigen Funktionen zu ergooglen und bin jedes Mal ausgeflippt, wenn ich neue Dinge, wie etwa das Choppen von Samples gelernt haben." Das ist natürlich eine AmateurHerangehensweise. Aber, meine Güte, wie soll man es denn sonst lernen? Hätte es vor zwanzig Jahren schon das Internet gegeben, dann würde es heute von Trialand-Error-Tracks wimmeln und die ganzen Chef-ProduzentInnen hät ten Mühe, ihre damaligen Jugendsünden wieder verschwinden zu lassen. Ich finde, gerade das Unperfekte an Carlings Songs ist geil. Sie hat gerade einmal eine Handvoll Songs veröffentlicht, bei denen nicht immer alles auf dem Takt sitzt oder mal die Snare zu laut ist. Aber ihr Stop’n’Go-Rework von Destinys Childs "Cater 2 U" zeigte mir auf schöne Weise, was man aus einer mittelmäßigen R’n’B-Schmonzette herausholen kann. Das erklärt aber noch nicht das Spiel mit der Geschwindigkeit des Gesangs. Carling behandelt A Capella und eine Remix-Version des Instrumentals getrennt voneinander, legt sich alle modifizierten Sounds auf den MIDI-Controller und fügt das Ganze zu einem smarten 2#13er-Update zusammen. Auch auf den anderen Songs schimmern immer wieder R’n’B-Vocal-Fetzen durch. Die Vorliebe für soulige Stimmen kommt nicht von ungefähr: "Ich bin mit R’n’B groß geworden. Und manchmal fällt mir aus dem Nichts ein alter Song ein, ich suche nach dem A Capella und lege los. R’n’B ist so eine emotionale Musikrichtung. Das spürt man erst richtig, wenn man mit dem Vocalsample herumspielt. Dann will man all diese Gefühle bündeln und in einen Track kanalisieren." Um Gefühle geht es auch Ryan Hemsworth. Der 28-jährige aus Halifax produziert ein seltsames Gemisch aus Rap, R’n’B, Post-Rock und J-Pop und hat mit diesem Pop-Entwurft mittlerweile Remixarbeiten für Lana del Rey und SOHN erledigt. Außerdem im Backkatalog: Reworks von Songs der Backstreet Boys. "Manchmal will ich einfach nur sehen, wie weit ich gehen kann. Ich experimentiere herum. Aber eben nicht auf eine avantgardistische Weise, sondern eher nach dem Motto 'Hey, weißt du noch? Zu diesem Song hattest du in der sechsten Klasse deinen ersten Ständer. Ich

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nehme den mal eben auseinander, setze ihn neu zusammen, damit zu dazu tanzen kannst.'" Die Tanzbarkeit bringt Hemsworth vor allem durch seine Trap-typischen Drums hervor. "Derzeit hört einfach jeder Rap." Besonders Drake habe diese Musik wieder cool und durch seine Affinität zu New Orleans auch superschnelle Hi-Hats und 8#8-Snares salonfähig gemacht. Das geht auch gut in Kombination mit der für Dir t y-South-Rap t ypischen Vocal-Bearbeitung, die das Gesagte und Gesungene stets zehn bis zwanzig Prozent unter der normalen Sprechgeschwindigkeit dreht. "Ich mochte langsame Musik schon immer lieber als schnelle", erklärt Bear// Face. Der 2#-jährige aus dem nordirischen Belfast dreht ungeniert alles von Justin Timberlake, Ginuwine, A$AP Rocky und Julia Losfelt herunter. Beim Stöbern im Netz stieß Bear//Face auf Rap aus dem Süden der USA, wo die Klangästhetik des Chopped & Screwed seit jeher zur HipHop-Kultur gehört. Von dem ursprünglich reibenden und dreckigen Klang des Dirty South bleibt aber nicht viel übrig. "Die Geschwindigkeit eines Samples ist eine ganz simple Sache, aber damit kann man das Gefühl eines Stücks stark beeinflussen." Vom Mastern haben übrigens weder Ryan Hemsworth, Bear// Face noch Carling Ruse große Ahnung. "Wenn du nicht gerade in den großen Clubs auflegst und deine Tracks sich mit der Qualität von einem Disclosure-Song messen müssen, ist es eigentlich egal, wie der Song klingt", sagt Ryan Hemsworth.

Diese Sicht teilt auch der Österreicher Moritz Pirker, der als NVIE Motho das Album "Blausicht" des Wiener Rappers Gerard produziert und mit für Cloud Rap typischen Instrumentals bestückt hatte. Keine RapBeats klassischer Form, sondern weiter gedachte Bassmusik-Ideen im Stile von Hudson Mohawke, Rustie und Cid Rim. Auch er habe sich erst im Laufe der Zeit in das vernünftige Abmischen eines Tracks hineingefuchst, sagt er. Viele Produzenten, die ihre Stücke bei Soundcloud hochladen, hätten allerdings nicht mal ein gutes Monitorsystem. "Ich hatte das auch lange nicht. Erst als ich meine Sachen mal auf vernünftigen Geräten gehört habe, habe ich gemerkt, was so in meinen Songs passiert und was ich gar nicht drin haben möchte." Andererseits geht es heute auch vielmehr um Ästhetik denn um guten Klang. "Man konsumiert Musik ja viel schneller. Das merkt man auch an Kommentaren unter den Tracks. Es geht nur um die ersten 15 Sekunden, in denen etwas passieren muss und die Leute gleich einen Tastaturorgasmus haben." Pirker stört die Gleichschaltung im Klang sehr. "Mittlerweile gibt es so viele Produzenten, dass der Sound sich wahnsinnig schnell verändert und kurzlebig anhört. Sachen von vor einem Jahr klingen bereits total verbraucht, weil alle mit den gleichen Programmen und den gleichen Plug-Ins arbeiten und bei den selben Kollegen abschauen." In der Tat: ganz egal, welcher in grau gehaltene, um asiatische Zeichen oder ASCII-Codes angereicherte Künstlername oben über der orangenen Wellenform in der Wolke steht: es klingt alles gleich.

Es handelt sich um die Weiterentwicklung von dem, was Hudson Mohawke und Flying Lotus vor einigen Jahren begonnen haben: das nächste Kapitel der Beatscience.

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v.l.iUZS: Cashmere Cat, NVIE Motho, Ryan Hemsworth, Bear//Face, Carling Ruse

Ich hätte ewig so weiterrecherchieren können. Stundenlang klickte ich mich durch Sounds und Tracks, schaute mir Youtube-Clips mit Sehnsucht v e r s p r ü h e n d e n S e p i a -Tu m b l rStandbildern an. Die Musik spült mir auf angenehme Weise das Hirn durch. Dann und wann erkannte ich wieder ein Zitat und fühlte mich an damals erinnert. Die Musik ist durch die Bank ein seltsames Gemisch aus Ironie und Ernsthaftigkeit. Mal kitschig, dann wieder cool, halbgar und doch auf Hochglanz poliert. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Auf Seite 26 in diesem Heft zählt Diedrich Diederichsen die wichtigen Pop-Musik-Fragen auf. Eine fand ich besonders schön: "Was wollen die?" Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube nämlich: nichts. Was soll man auch schon groß wollen, wenn man in seinem Kinderzimmer unterm Dach der elterlichen Doppelhaushälfte hockt und genug Geld für ein anständiges Setup hat. Diese Mittzwanziger mit einem Hang zum Hype und einer Schwäche für das schnelllebige Treiben auf Musik blogs wollen einfach nur ein bisschen musikalische Vergangenheitsbewältigung betreiben und dabei eine gute Zeit haben. Und Pop ist ja auch schon immer gegen etwas gewesen oder hat seine Stimme erhoben. Aber in den herunter gepitchten Beischlafslogans und den dekontextualisierten Drums von damals steckt eigentlich nichts mehr. Kein Statement, nichts. Und auch der Hochglanzmusik von Cashmere Cat ist alles egal. "Wahnsinn, was auf 4 Minuten

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alles möglich ist!", hatte ich mir notiert. Aber mit ein bisschen Abstand klingt das alles auch nur nach bis unters Dach vollgestopfter Angeberei. "Für mich ist nichts mehr ein guilty pleasure", hatte Ryan Hemsworth mir gesagt. "Alles ist akzeptabel, alles ist möglich." Es herrscht die komplette Egalheit, die vollkommene Gleichgültigkeit, ein einziges riesiges Einerlei, dass sich konstant weiterentwickelt und in zwei Jahren vielleicht schon wieder komplett anders klingt und die alten Ideen über Bord geworfen hat. Vielleicht ist es das, was die anderen in der Redaktion an dieser Musik stört - und das kann ich auch irgendwie verstehen. Spaß macht mir die Musik trotzdem.

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Efdemin / Die Schönheit des Verfalls

Die Bilder zu diesem Beitrag hat Phillip Sollmann aka Efdemin während seiner Zeit in Japan gemacht.

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TEXT BIANCA HEUSER

Wird man, wie Phillip Sollmann aka Efdemin, als Kulturexport mit Residency ins Land des aufgehenden Cultureclashs zwischen gadget-fantasien und mystischen Traditionen umverlagert, hat man keine Wahl, sondern Glück. Warum das eigentlich fast klassisch oldschoolig-analoge Album "Decay" nicht nur Efdemins Jugend, sondern auch Japan widerspiegelt, fand Bianca Heuser im Gespräch heraus.

De:Bug: Du hast drei Monate im Auftrag des Goethe-Instituts in Kyoto gelebt. Erzähl mir vom Alltag! Efdemin: Kyoto bot mir eine ideale Arbeitssituation. Die Platte klingt vielleicht nicht besonders nach Japan, aber es geht ja auch nicht darum, jetzt plötzlich irgendwelche Gongs in die Musik einzuarbeiten. (lacht) Vielmehr war mein Bewusstseinszustand von der Umgebung in Kyoto geprägt. Ich hatte viele Aufnahmen aus Berlin mitgebracht und das Album dort in kürzester Zeit fertig gemacht. Davon war ich selbst sehr überrascht. Ich hatte mir vorher eben einen Veröffentlichungsdatum mitgeteilt – anders bekommt man mich auch wirklich nicht dazu, etwas fertig zu machen... Teilweise saß ich morgens um 8 Uhr schon daran und habe bis mittags gearbeitet, bin etwas essen gegangen, habe danach noch ein bisschen getrackt und abends gingen wir in die Stadt. In Berlin bin ich eher nachts im Studio, das ist schon mal ein ganz anderer Zustand. Aber dazu hat sich natürlich die Energie unserer Umgebung ungemein auf meine Arbeit ausgewirkt. Wie würdest du die Energie der Stadt denn beschreiben? In Japan befindet man sich grundsätzlich in einem ganz anderen Zustand als hier. Kyoto ist aber noch einmal speziell, die Stadt hat einen fast musealen Charakter. Es ist die einzige Stadt, in der das alte Japan noch halbwegs vollständig vorhanden ist. Und weil es lange Zeit auch Kaiserstadt war, findet sich dort eine unfassbare Menge an Tempeln und Schreinen. Jeder davon hat eine sehr spezifische Aura. Dazu kommt die Tallage der Stadt, die umgeben von Bergen nur in Richtung Süden nach Osaka zum Meer geöffnet ist. Dadurch findet da auch eine gewisse Energiebündelung statt, wenn man mal so esoterisch sein möchte. Diese Berge sind auch auf dem Cover der Platte in einer Collage von Till Sperle zu sehen, die aus circa 18 der vielen Fotos besteht, die ich morgendlich auf der Brücke vor unserem Haus gemacht habe. Diese Bergketten sahen jeden Tag anders aus, aber immer irgendwie blau, das hat mich sehr fasziniert und auch angezogen. Zwei Wochen lang bin jeden Tag dort hochgefahren und habe die Mönche besucht.

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Beschreibe bitte die Zeremonie. Ich war Gast bei der Tendai-ShomyoSekte, die in dem Tempel in Ohara ihr tausendjähriges Bestehen feierte. Die Zeremonie besteht aus einem sehr monotonen Gesang, dauert zwischen einer und zwei Stunden und wird rhythmisch sowie von Flöten und der tollen Sho-Mundorgel begleitet. Über die Jahrhunderte hat sich diese buddhistische Tradition, die ein chinesischer Mönch nach Japan brachte, verbreitet und verschiedene Variationen entwickelt. Während dieser zwei Wochen waren diverse Gruppen von Mönchen angereist und präsentierten jeweils ihren Blick auf diese Tradition. Mich interessieren die lokalen Eigenheiten von Musik ohnehin immer, aber da fand ich besonders faszinierend, wie sich mir plötzlich ein circa viertausendjähriges Zeitfenster öffnete. Die Tradition vom Singen dieser Sutren stammt ursprünglich aus Indien und hat für diese Mönche kaum eine musikalische Ebene. Ich habe an dieser Zeremonie aber relativ unreligiös teilgenommen und hätte am liebsten neben dem Tempel getanzt. Dieser Zustand, eine Stunde lang diesen Rhythmus zu verfolgen, der sich langsam beschleunigt, ist völlig irre. Es gab auch wirklich nichts um diese Tempel herum. Und trotzdem hatten die alle Handys, die Zeremonien wurden gefilmt. Es gab, wie typisch für Japan, nicht diese komische Trennung von Welt und Religion wie hier. Viele Menschen hier stellen sich Japan als ein ultra-modernes Land vor und vergessen, dass da gleichzeitig unter allem eine gefestigte Tradition liegt, ein wahnsinnig starkes Fundament. Das hat mit seinen patriarchalen Hierarchien und einem irgendwie sehr unausgeprägten Interesse an Demokratie auch seine negativen Seiten, aber auch darum erscheint mir Japan insgesamt sehr fokussiert: Menschen in so einer Hierarchie stellen viel weniger Fragen über ihre eigene Identität als wir es tun. Ich zumindest stelle permanent vieles in Frage, aber in Japan existiert das gar nicht so recht als Option, weil man qua Geburt, Herkunft und Geschlecht in einer Art Stream, einem gesamtgesellschaftlichen Wabern drinsteckt. Das ist natürlich schlimm, drückt sich aber zum Beispiel auch darin aus, dass Japaner unglaublich gern mit ganz vielen Menschen auf ganz engem Raum zusammen sind. Wenn wir uns dachten: "Oh nein, hier ist es ja total touristisch", waren die Japaner eher so: "Yeah, hier sind ja total viele, das ist doch cool." Das ist so anders, weil sie sich nicht so sehr als Individuen herausnehmen. Ich finde das wirklich faszinierend und habe das Gefühl, dass die Fokussierung Japans auf mich, der in meinem Leben als nachts arbeitender DJ oftmals sehr nervös und ohne Fokus durch die Gegend wuselt, stark abgefärbt hat. Ich habe in Kyoto ein sehr ruhiges Leben geführt und während dieser drei Monate auch wirklich nur sehr selten aufgelegt. Ich versuche gerade, mir etwas davon hier in Berlin zu bewahren. Ich trinke also zum Beispiel keinen Kaffee mehr, weil mir das eigentlich gar nicht gut tut.

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"Mich interessieren die lokalen Eigenheiten von Musik. In Japan fand ich faszinierend, wie sich plötzlich ein viertausendjähriges Zeitfenster öffnete. Ich habe an Zeremonien teilgenommen und hätte am liebsten neben dem Tempel getanzt."

Wie hat sich das auf das Album ausgewirkt? Ich habe das Gefühl, dass sich die Platte vor allem durch eine gewisse Klarheit von ihren Vorgängern unterscheidet, die auch dieser Umgebung und ihrer Konzentriertheit zuzuschreiben ist. Abgesehen davon habe ich in den letzten Jahren aber auch als DJ wieder mehr Techno gespielt und wieder total Lust auf Profan-Schallplatten, diese alten obskuren Sachen aus Köln bekommen. Das hat meine Musik verändert, und auch, dass ich letztes Jahr erst richtig angefangen habe, die vielen alten Synthesizer zu benutzen, die ich mir über die Zeit angeschafft habe. Früher habe ich meine Musik am Computer gemacht, für "Chicago" zwar auch schon viel aufgenommen, aber das hat sich nun noch mehr gemischt. "Decay" kommt zum größten Teil aus analogen Geräten, obwohl ich nicht dogmatisch auf der Suche nach einem old-schooligen Sound bin. Diese Quellen beeinflussen mich aber stark. Es geht vermutlich jedem so: Zwischen 15 und 25 prägen einen gewisse Dinge, die sich festsetzen und von denen man auch nicht mehr loskommt.

ganze Wälder komplett bemoost. Das sieht natürlich unglaublich toll aus! Außerdem bin ich mittlerweile auch biografisch an einem Punkt, wo ich Verfall als eine Herausforderung ernst nehmen muss. Zudem werden gesellschaftlich und politisch viele Dinge dem Verfall preisgegeben – das treibt mich natürlich um. Und dass gewisse Ideale, die einen einmal stark angetrieben haben, sich genauso verändern und vielleicht an Bedeutung verlieren. Mit all dem im Hinterkopf war, schon als ich in Japan ankam, klar, dass das Album so heißen muss. Meine Arbeit hat mich darin nur bestärkt.

Warum heißt das Album "Decay"? Das möchte ich eigentlich etwas offen lassen, aber der Verfall spielt im Buddhismus natürlich eine große Rolle. Dass Verfall als ganz elementarer Teil des Lebens mitgedacht wird, hat mich fasziniert. In unserer Kultur versucht man diesen Teil des Lebens eher auszublenden - zum Beispiel Moos: Diese sehr wichtige Pflanze ist für uns ein Zeichen von Verfall. "Ach, mein Rasen ist ja schon wieder ganz bemoost, da muss ich erst mal mit dem Vertikulierer rein", sagt meine Mutter immer. In Japan wird Moos gepflegt, teilweise sind

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EFDEMIN, DECAY, ERSCHEINT AM 31.03. AUF DIAL.

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"Es geht vermutlich jedem so: Zwischen 15 und 25 prägen einen gewisse Dinge, die sich festsetzen und von denen man auch nicht mehr loskommt."

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TEXT BIANCA HEUSER

UNO NYC / Seerosen mit PopAppeal UNO NYC, das bedeutet Vielfalt und unnachgiebige weirdness, die Mykki Blancos Rap und den Produktionen der LabelKollegen Gobby, Arca, Fatima Al Qadiri, Ian Isiah trotz ihres PopAppeals nie abgeht. Wir haben uns mit dem 25-jährigen Label-Chef Charles Damga über das Business, seine Prioritäten und die "Internet awareness" in New York unterhalten.

De:Bug: Du hast früher bei DFA Records gearbeitet. Wie fühlt es sich mit einem eigenen Label an? Charles Damga: Vor allem macht es mir Spaß, mich freier bewegen zu können. Weil Leute weniger von einem erwarten und man sie überraschen kann, interessieren sie sich eher für deine neuen Sachen als bei einem größeren Label. Trotzdem wird einem nicht so viel Aufmerksamkeit zuteil. Aber auch das ist okay, weil man die Leute nicht sofort umhauen muss. Sie lassen einem mehr durchgehen und interessieren sich zum großen Teil ja gerade für die weirdness der Sache. Bei einem älteren Label fühlt es sich so an, als klettere man eine Leiter hoch und müsste gleichzeitig ein möglichst großes Publikum mitziehen. Bei UNO ist es eher so, als würden wir von einem Seerosenblatt zum nächsten hüpfen. Da weiß man nicht so richtig, wo man am Ende landet. Außerdem ist es toll, wie sich die Künstler bei uns, trotz ihrer unterschiedlichen Vibes, untereinander helfen. Diese Interkonnektivitäten und Überschneidungen zu beobachten, macht mir sehr viel Spaß. Ich finde interessant, dass UNO zwar einen bestimmten Sound hat, aber viel mehr durch eine gemeinsame Attitüde aller Beteiligten zusammengehalten wird. Das ist etwas kompliziert zu erklären und die meisten Leute schieben das auf das Internet oder die Tatsache, dass wir in New York ansässig sind. Das alles schwingt natürlich auch mit, aber ich würde es vor allem als eine moderne Punk-Ideologie bezeichnen: Der Wille, sich eine gewisse Seltsamkeit und

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Eine moderne PunkIdeologie: Der Wille, sich eine gewisse Seltsamkeit und Anarchie in allen Formen und Bereichen zu wahren.

Anarchie in allen Formen und Bereichen zu wahren. New York geht gerade durch so eine Phase: Alle versuchen etwas zu machen, was andere Künstler an anderen Orten zur Zeit auch machen, nur eben etwas abgefuckter und eigenartiger. Das hängt nicht nur mit New York als physischem Ort zusammen, sondern auch mit der "Internet awareness" um New York. Was meinst du damit? Für einen Videoblogger, der sich auf Einhörner spezialisiert, ist zum Beispiel Iowa vielleicht nicht der ideale Standort. In China wäre er aber vielleicht sehr beliebt. Geografisch gesehen existiert, abgesehen von dem lokalen Publikum, im Internet ein erweitertes Publikum, das genauso geografisch verortet und an gewissen Punkten konzentriert ist. Da nah dran zu sein, ist natürlich hilfreich. Diese "Internet awareness" um New York ist zur Zeit sehr sensibel für eine bestimmte Art von Musik, Kunst, Mode oder Coding und saugt alles auf. Wie fühlt sich die Musikszene in New York derzeit an? Das lässt sich natürlich immer noch am besten mit ihrer Geschwindigkeit beschreiben. Das zeigt sich vor allem dann, wenn man einmal wegfährt. In Berlin gibt es auch eine großartige Szene, die aber ganz anders funktioniert. Ohne den Druck, ständig etwas Neues machen zu müssen, und mit der

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AUF UNO NYC SIND FÜR DIESES JAHR RELEASES VON SFV ACID UND DUTCH E GERM GEPLANT, AUSSERDEM: MIXTAPE UND ALBUM VON MYKKI BLANCO SOWIE EIN GOBBY-ALBUM.

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SONICARTS L O U N G E 22 U H R HAUSDERBERLINER FESTSPIELE Freiheit, die sich daraus ergibt. In New York fühlt es sich fast so an, als wäre man schlechterer Künstler, wenn man nicht permanent etwas von neuen Projekten zu erzählen hat. Ich finde das sehr interessant, weil sich deshalb hier alles und alle so schnell verändern. Für mich ist das eine gute Idee, das in einem Label zu verkörpern, das sich ständig verändert und neue Sachen macht. Auf keinen Fall möchte ich in irgendwas stecken bleiben – und so geht es wohl den meisten anderen hier auch: Sie langweilen sich schnell. Sind in New York die unterschiedlichen Kunstformen enger verbunden als anderswo? Fatima Al Qadiri ist ja auch bildende Künstlerin und Dutch E Germ ist für die Musik des Modelabels Hood By Air zuständig, für das Ian Isiah als Stylist tätig ist. Das passiert hier auf jeden Fall häufiger. Das liegt wohl daran, dass man hier etwas vielfältiger arbeiten muss, weil die Chance, mit nur einem Projekt erfolgreich zu sein, recht gering ist. Jemand wie Fatima zum Beispiel macht Musik, möchte aber mehr Reisen und internationaler sein. Das ist mit ihrer Kunst vielleicht einfacher. Viele Künstler auf UNO haben solche vielfältigen Interessen und ich will auch lieber mit jemanden zusammenarbeiten, der seine eigene Welt erschaffen kann. Diese Diversifizierung der eigenen künstlerischen Identität führt meist zu einem interessanteren Ergebnis: Plötzlich hat man zusätzlich zum Album ein noch viel größeres Schaufenster in die Welt der Künstler.

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Zudem hört es sich anstrengend an, sich für jeden Künstler eine Art "Branding" zu überlegen. Dafür hätte ich gar keine Zeit. Für mich ist es viel interessanter, der Entwicklung der Künstler zu folgen, als sie zu beeinflussen. Ein paar UNO-Acts werden irgendwann zu größeren Labels wechseln, weil wir uns in diesem Stadium nicht übernehmen dürfen. Wir können noch keine internationalen Tourneen umsetzen, sondern müssen ein Level finden, auf dem wir arbeiten können. Viele der neuen Projekte hätten wir nicht bewältigen können, hätten wir nicht andere, ältere hinter uns gelassen. Ich finde das alles sehr spannend: Wie hält man die Balance, wenn einer deiner Acts plötzlich eine riesige Sensation wird? Ich tendiere auf jeden Fall dazu, mir mehr Arbeit aufzuhalsen, als ich bewältigen kann und möchte mich nicht auf etwas festlegen müssen. Es soll immer so verrückt wie möglich bleiben und hoffentlich immer moderner und besser werden. Mein Ziel ist es, so individuell zu sein, wie es nur geht und dabei so wenige Kompromisse einzugehen, wie möglich.

15 M Ä R Z DENSELAND 21 M Ä R Z S I M O NSTE E NAN D E R S E N I N S Z E N I E RTENAC HT 22MÄRZ DJIPEK BERGHAIN 18 M Ä R Z NICOLASCOLLINS A LV I N L U C I E R A R N O L D D R E Y B L AT T

Du bist also ein Idealist! Klar möchten wir auch erfolgreich sein. Aber es braucht schon einen sehr gut durchdachten Plan, um so groß zu werden wie Interscope Records, ohne dass das auf der Strecke bleibt, was man eigentlich vorhatte. Am Ende will doch niemand die Top 4"s, sondern die Albtraumversion davon. Man sollte sich etwas Rebellisches behalten - Katy Perry, aber in der James-K-Variante.

www.berlinerfestspiele.de

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TEXT JAN WEHN

BILD GEORG ROSKE

Kid Simius / Bumm Bumm Nass Was ist das, Surf ’n’ Bass? So muss man Kid Simius' Symbiose von Surf Rock und Bass-Musik nennen. Sie ist sowohl kalifornischflirrendes GitarreroKunststückchen als auch eine schnurgerade Dancefloor-Ansage mit Hauptstadt-Flair. Dass das Stadien in Wallung bringt, zeigte Trentemøller schon vor ein paar Jahren. Wie das heute funktioniert, erklärt uns Kid Simius.

"Ich habe noch nie auf einem Surfbrett gestanden"

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KID SIMIUS, WET SOUNDS, ERSCHEINT AM 07.03. BEI JIRAFA RECORDS.

Die ersten sieben Fragen liegen ganz nahe: Wenn Kid Simius auf "Wet Sounds" Surf Rock und Electronica miteinander vermischt, stand er dann in Kindertagen in seiner spanischen Heimat eigentlich selbst auf dem Board? Ist er jeden Tag, gleich nach der Schule, von Granada aus die knapp 6" Kilometer durch Andalusien gesaust, das Brett unterm Arm, die Küste im Blick? Ist er dann mit sturem Blick raus aufs Meer gepaddelt, hat sich auf sein Brett gesetzt und konzentriert über das weite Blau geschaut? Und hat er sich, wenn es dann soweit war und ihm das Meer unter den Füßen weggezogen wurde, todesmutig auf sein Brett gestellt und sich in den sprudelnden und gurgelnden Strudel geschmissen? Ist er dann hinab unter die Oberfläche geglitten, wo alles nur noch ganz dumpf tönt, einem die Unterseite der Wasserwalze kräftig den Rücken massiert, man fast keine Luft mehr bekommt und sich panisch sein Board schnappt und mit zugedrücktem Brustkorb dahin zurückschwimmt, von wo die Sonne durch die Wasseroberfläche bricht? War Kid Simius so ein Junge? "Nein, ich habe noch nie auf einem Surfbrett gestanden", sagt der 26-jährige und lacht. Wir sitzen in einem süßen Café in Berlin Kreuzberg. Draußen legt sich an diesem Januarvormittag der Schnee auf die Häuser und Straßen. Drinnen setzt Kid Simius sogleich zu einem Exkurs in Sachen Surf Rock an und man denkt erst einmal "Hä?!" Ein junger Spanier, der vor sechs Jahren aus Granada nach Berlin gezogen ist, um hier Musik zu machen: ganz plausibel. Aber dass der schlaksige Bub mit dem Backenbart jetzt hier Tonnen an Surf-Rock-Wissen preisgibt, ist schon ein bisschen komisch. Das mit der Authentizität sei im Surf Rock aber nie so wirklich wichtig gewesen, erklärt er. Die meisten Surfrocker hätten das Wasser nur vom Strand aus gesehen und sich lieber im südkalifornischen Sand die Beine in den Bauch gestanden um den Feier-Soundtrack für die Surfer zu liefern, wenn die am Abend ganz erschöpft aus den Fluten stiegen und eine Runde tanzen wollten. Als Vorbereitung auf die Arbeiten an seiner neuen Platte "Wet Sounds" habe er sich viele Dokumentationen über Surfmusik angesehen. Die über Dick Dale, zum Beispiel. Dale und seine Band, die Del-Tones gelten als Pioniere der Surfmusik, ihr Song "Misirlou" ist eines der wichtigsten Stücke des Surfsounds. "Dale war eigentlich Schlagzeuger und hat die Gitarre folglich wie ein Schlagzeug gespielt", sagt Kid Simius. So sei das für den Surf Rock charakteristische Staccato, das fließende Flackern der Saiten entstanden. "Sie wollten einen Klang erzeugen, der sich so anhört, als würde man in eine Welle eintauchen." Die absolute Ahnungslosigkeit über das, was da draußen auf dem Wasser passiert, eint Kid Simius also schon mal mit der naiven Wassersport-Vertonung aus den 5"er- und 6"er-Jahren. Der Surf Rock, erklärt Kid Simius, versuche nichts anderes, als die instrumentale Rekreation des akustischen Surroundings auf und im Wasser. Der Sound des Surfen – das Bezwingen von Wasser, das Hindurchgleiten, darauf Herumreiten, eine fließende Fortbewegung, die Balance auf der Brandung und dann: vom Wellenhang aus runter in die tiefsten Tiefen. "Surf Rock klingt nass", sagt Kid Simius und erzählt von Fender-Amps, von der British Invasion und den Beatles, die die Surf-Ästhethik verdrängt hätten - und wie das alles viele Jahre später noch hin und wieder mal im "Pulp Fiction"-Soundtrack auftauchte oder Elemente davon es in Songs von Black Eyed Peas und Major Lazer schafften. Kid Simius habe auch schon versucht, Surf Rock im Club aufzulegen. Eine sehr lustige Erfahrung, wie er sagt. "Aber manche Lieder sind so alt, dass sie gegen einen heutigen Track

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Der Sound des Surfen – das Bezwingen von Wasser, das Hindurchgleiten, darauf Herumreiten, eine fließende Fortbewegung, die Balance auf der Brandung und dann: vom Wellenhang aus runter in die tiefsten Tiefen. "Surf Rock klingt nass", sagt Kid Simius.

absaufen. Deshalb bringe ich den Druck dazu.“ Denn so sehr Kid Simius das Nasse und die Sexyness des Surf Rock gefalle, so sehr mag er auch den, wie er sagt, "Bumm" der elektronischen Musik. Folglich findet sich auf "Wet Sounds" mehr als nur das Zittern der Saiten, ein Techno-Album ist es aber auch nicht. Hier flirrt etwas Extraterrestrisches, da baut Simius eine sexy SlowhouseTaktung unter die Gitarren, um schließlich akribische Feel-goodAkkordarbeit zu verrichten und das Rauschen der Brandung mit sehnsüchtigen Vocal-Schnippseln zur deutschen Entsprechung von Toro Y Mois Chillwave zu montieren, um das Ruder dann mit einem Siriusmo-Remix nochmal komplett herum zu reißen. Kid Simius erzählt, dass es ihm beim Produzieren vor allem auch darum gehe, die Idee von Parametern wie Routine, Produktivität oder Kreativität zu ergründen. Das beste Beispiel hierfür ist wohl "El Pastor", eine lupenreine Hommage an Ennio Morricones bekanntere Kompositionen - nicht nur wegen der markanten Westerngitarren. "In einem Interview hat Morricone erzählt, wie er komponiert. Er guckt nämlich den Film gemeinsam mit dem Orchester und schreibt die Musik sofort dazu auf." Beim Schauen von Mel Gibsons "Die Passion Christi" sei ihm die Idee gekommen, das selbst auszuprobieren. Es sind Feinheiten und Kunstgriffe, die "Wet Sounds" zu so einer schönen Platte machen. Eine Platte, die sich geschickt zwischen Hauptstadt-Afterhour, der Südküste Spaniens und dem Klang des Kaliforniens der 5"er- und 6"er-Jahre bewegt. Eine Platte, die sich ein bisschen so anhört, wie es in Kid Simius aussieht. Berlin hier, Spanien da, dazwischen die vielen Touren, alleine und mit Rapper Marteria. "Vielleicht", sagt Kid Simius und schmunzelt. "Ein Zwischending in Sachen Arbeitsplatz wäre genau das Richtige. Ein paar Monate Energie und Kraft in der Heimat tanken und sich inspirieren lassen, um dann wieder zurück nach Berlin zu kommen und neue Musik zu erschaffen." Dann überlegt er kurz. "An wen sollte ich mich in Granada denn wenden, wenn mein Moog mal kaputt ist?"

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THE NOTWIST, CLOSE TO THE GLASS IST AUF CITY SLANG ERSCHIENEN

The Notwist / Die Band als DJ dbg180_tmp_01_edit.indd 16

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TEXT MAX LINK

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The Notwist sind eine seltsame Konsensband: Über ihre Qualitäten sind sich alle einig. Aber einigen kann man sich auf sie nur schwer. Ihr neues album "Close to the glass" feiert diesen ganz schön zeitgemäßen Zustand als Mixtape, als geleaktes best-of. Max link sprach mit Martin - Console, Acid Pauli - Gretschmann über die einigende kraft des Bruchs.

Ich sitze mit Martin Gretschmann, der auch als Console und Acid Pauli bekannt ist, beim Plattenlabel City Slang im Souterrain und versuche ihm etwas über die Schönheit Oberbayerns abzuringen. Weilheim hat zugegebenermaßen schon zu oft als Aufhänger gedient, wenn es mal wieder um die unwahrscheinliche Existenz von The Notwist gehen musste. Aber es ist eben auch ein sehr verlockendes Thema. Man will da unbedingt ganz viel reinlesen und möchte, dass der so besonnene Martin Gretschmann jetzt, hier und sofort in der Herkunft seiner Band eine ebenso mythologische Bedeutung entdeckt, wie man das aus den Dokumentationen Werner Herzogs gewohnt ist. Oder von der Naturmystikerin Björk, der Gretschmann einmal einen seiner Tracks überließ. Jedoch: Leider nichts zu machen. Gretschmann bringt bei The Notwist vor allem die Glitchiness in die eigenwilligen Popsongs – wobei es diese Art Aufteilung in seiner Band, die ein einziges FeedbackSystem sei "und es nur darauf ankommt, Teil dieses Feedback-Prozesses zu sein" ja gar nicht mehr gibt. Als er zur Band stieß, waren The Notwist noch eine experimentelle Post-Grunge-Band, die im nordöstlichen Teil Münchens gelegenen Kafe Kult ("where your heart is happy and your soul finds rest") ihre Homebase hatte. Gelegentlich sieht man die Acher-Brüder Markus (Gesang) und Micha (Bass) dort auch heute noch auf Konzerten lokaler Bands, die man dem Genre New Weird Bavaria – die geistigen Nachkommen von The Notwist – zurechnen würde. Martin Gretschmann hingegen ist vor etwas mehr als zwei Jahren nach Berlin gezogen und zieht als Acid Pauli durch die Clubs. Wir sitzen heute hier, weil ein neues Notwist-Album erschienen ist. Es heißt "Close To The Glass", hat aber nicht so viel mit Google, dessen Brille und der sich damit verändernden Welt zu tun. Vielmehr ist das Album ein Tribut an ein durch Soundcloud wiederbelebtes Format: das Mixtape.

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De:Bug: Martin, kannst du die Idee hinter "Close To The Glass" erläutern? Martin Gretschmann: Vor etwa einem halben Jahr hatten wir wirklich viel und unterschiedliches Material zusammen und uns kam schließlich der Einfall, dass es nicht schlecht wäre, wenn es starke stilistische Brüche innerhalb des Albumverlaufs geben würde. Die Idee entstand vielleicht, so genau kann man das ja nie sagen, aus der Überlegung, dass man heute Musik hört und gar nicht mehr zuordnen kann, ob das Stück jetzt beispielsweise aus den 7"ern stammt oder ob es sich um eine Neuerscheinung handelt. Ein Stück zu verzeitigen oder auch geografisch festzumachen, fällt schwer. Alles kann miteinander gehen oder nebeneinander stehen, man muss es nur zu kombinieren wissen. Es geht weniger um gut oder schlecht per se, es geht vor allem um gut oder schlecht zusammengestellt. Ist euer Album ein Mixtape? Es gibt ja Mixtapes, die sich einem bestimmten Genre widmen, da ist dann die Beat-Struktur oder die BPM-Zahl der Fixpunkt. Dann gibt es aber solche, die ein schwerer zu bestimmender kleinster gemeinsamer Nenner zusammenhält. M: Das war so ziemlich die Idee von uns, allerdings ohne das explizit Mixtape genannt zu haben. Wenn ich bisher davon gesprochen habe, habe ich es meistens mit der Arbeit eines DJs verglichen oder als Collage bezeichnet. Aber es hat natürlich auch einiges mit Langeweile zu tun. Krasse Brüche überraschen einen ja erst mal und vielleicht denkt man ja auch darüber nach, wie das jetzt zusammenpasst. Viele gute Mixe leben davon, dass der Zusammensteller es schafft, verschiedene Genres und Stimmungen so aufeinander abzustimmen, dass sich etwas Neues, ein größeres Ganzes daraus ergibt. Dem Zusammenstellen fällt dadurch ja ein erheblicher Stellenwert zu. Welcher Song auf welchen Track folgt und solche Dinge. M: Diese Reihenfolge hat sich uns während mehrerer Studio-Sessions offenbart. Wir haben sehr lange ausprobiert, was passiert beziehungsweise was sich an den Songs ändert, wenn man sie in einer anderen Reihenfolge abspielt. Wieder so eine Gefühlssache. Aber wir haben das nicht so sehr nachträglich gemacht, sondern eben live im Proberaum. (überlegt) Da war aber auch die Gefahr, dass sich das Ganze am Ende zu konstruiert anfühlt, das wollten wir auch nicht. Wir sind oft an diese dünne Linie gestoßen, an der man sich darüber Gedanken macht, was notwendiger Bestandteil ist und was einfach nur aufgesetzt wirkt und haben dann ordentlich gekürzt. Denkt ihr denn auch darüber nach, Songs, die einzeln funktionieren auch genau so zu veröffentlichen? Also auf das Format Album zu verzichten?

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The Notwist klingen kälter als gewohnt. Wirklich kalt sind sie aber nicht. Eher so wie ein Kühlschrank in einem Iglo. M: Uns ist natürlich bewusst, dass die Stücke auch für sich veröffentlicht werden könnten und dass die heutigen Strukturen das auch erlauben würden. Wir haben ja auch nie Konzeptalben gemacht, bei denen Songs nur im Kontext funktionieren. Wir halten das Album aber weiterhin für ein schönes Format, auch wenn es sicher nicht mehr so viele Menschen gibt, die sich noch ein ganzes Album am Stück anhören. Aber irgendwie haben wir das Album für genau diese Hörer gemacht. Ein Album, das eigentlich ein Mixtape, eine Collage, ein Moodboard ist: Die Idee ist ziemlich zeitgemäß. The Notwist schlüpfen so, ob gewollt oder nicht, gleichzeitig in die Rolle des Produzenten sowie des Kurators. Gute Genre-übergreifende Mixtapes wie die, um jetzt einfach mal ein paar zu nennen, von Oneohtrix Point Never, M.E.S.H., Why Be oder Grouper sind befriedigend, auch wenn schwer zu sagen ist, was genau ihre Qualität ausmacht. Wenn man es irgendwie schafft, darin eine Stimmung zu konservieren – man nennt es vielleicht auch besser "Gefühl" als "Thema" –, die das Ganze zusammenhält, hat man, und die Hörer natürlich auch, gewonnen. Das Mixtape-Projekt "Close To The Glass" birgt aber auch ein gewisses Risiko. Ein Album zu machen, das sich beim ersten Hören, zugegeben, ziemlich zufällig zusammengeworfen anhört – eigentlich exakt so wie ein geleaktes Best-of bisher unveröffentlichter Notwist-Stücke – ist in dem Sinne recht gewagt, da es als Album nichts taugen, und dann auch noch irgendwie als langweilig interpretiert werden könnte. Weil es nämlich zunächst den Anschein macht, dass es tatsächlich nach dem Prinzip Best-of hergestellt wurde: für jeden etwas dabei. So ist es natürlich nicht, auch wenn es schwer auszumachen ist, was hier nun genau das vielzitierte große Ganze, das größer ist als die Summe seiner Tracks, entstehen lässt. Mal abgesehen von dem warmen und altbekannten Crossovor-Stil, der auch als Plinkerpop bezeichnet wurde. Was man nun auf "Close To The Glass" wirklich hört, reicht von Stücken, die fast gänzlich aus modulierten Samples bestehen, über leicht wehmütiges SingerSongwritertum bis hin zu verzerrten Gitarren und Hommagen an den Indie-Pop der Neunzigerjahre. An anderen Stellen klingen sympathisch stolpernde Beats, Rauschen und Störgeräusche, Radiohead-Erinnerungen,

Geigen oder Ambient-Instrumentaltracks mit verträumten Beats. So folgt beispielsweise auf den Song "Casino", einer der beiden Akustiksongs, der Track "From One Wrong Place To The Next", eine Art meet and greet von The Notwist, David Lynch und James Blake, das hauptsächlich aus einem Sample und einem HipHop-Beat besteht. Und darauf folgt wiederum "Seven Hour Drive", welches mit einer My-Bloody-Valentine-Gitarre einsteigt. Nach diesem Prinzip funktioniert also das Album: Brüche, die erst mal krass und seltsam wirken und Stimmungen, die von einem zum nächsten Stück mitschwingen, auf die Hörgewohnheiten einwirken. Denn ein neunminütiges Instrumental wie "Lineri" klingt nun einmal anders, wenn es auf einen Akustiksong folgt.

"Es gibt nicht mehr so viele Menschen, die sich noch ein ganzes Album am Stück anhören. Aber irgendwie haben wir das Album für genau diese Hörer gemacht."

"Lineri" sticht sowieso ein wenig aus dem Album heraus. Vielleicht ist es neben "From One Wrong Place To The Next" das modernste (und schönste) Stück der Platte. Während vieler Live-Sessions wurde es hauptsächlich auf analogen Synthesizern eingespielt. Insgesamt klingen The Notwist kälter als gewohnt. Wirklich kalt sind sie aber nicht. Eher so wie ein Kühlschrank in einem Iglo. Was darüber hinaus auffällt, ist Markus Achers Stimme. Er probiert sie auf diesem Album aus, geht ein wenig, wie man sagt, aus sich heraus. Ebenso hat er auch den deutschen Akzent, der auf "Neon Golden" noch zur Legendenbildung der sympathischen, unwahrscheinlichen Erscheinung von The Notwist beigetragen hat, ein wenig abgelegt. Macht aber nichts.

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patten / Para Beats

PATTEN, ESTOILE NAIANT, IST AUF WARP RECORDS ERSCHIENEN.

Mit "Estoile Naian" legt patten eine Platte hin, die sich fraktal und unheimlich zwischen verwaschenen Beats gegen Personifizierung und leichte Zugänge sperrt. Im Gespräch erklärt er, warum die Presseinfo zu seiner Platte mindestes genauso wichtig ist wie die Tracks darauf.

Indem man Sachen nur ein ganz klein wenig verändert, werden neue Möglichkeiten sichtbar. Das nennt man Kunst.

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TEXT MICHAEL ANISER

29.03. Magic Mountain High & Kevin O ’Day Ballett 30.03. Hauschka 31.03. Nils Frahm

Der knallrote "Watermark Promotional Copy"-Banner auf dem Cover der CD harmoniert wunderbar mit der chaotischen PostInternet-Abbildung und auch die CD-Hülle aus PVC passt irgendwie. Fast so schön wie eine PAN-Platte, denke ich. Als ich die sie in meinen Laptop schiebe, erwischen mich die ersten zerfransten Riffs des Opener-Tracks "Golden Arc" kalt. Das ist ziemlich groß! Passen da meine Referenzen überhaupt? Muss das wirklich sein, dass ich das anhand anderer Sounds durchdekliniere und irgendwo einordne? Ich habe mir eine ganze Menge Fragen für dieses Gespräch mit Patten zurechtgelegt und versucht, das Album anhand alter Warp-Tracks abzuklopfen und dadurch eine Art roten Faden zu finden. Auf dem Pressezettel wird Pattens Sound querbeet mit dem Œuvre von Künstlern wie Kim Gordon, Leigh Bowery, Jim O'Rourke, Grace Jones, Björk und weiteren Avantgarde-Keyplayern verglichen. Er habe einen klaren Zugang mit gleichzeitiger Sensibilität für "psychedelicallytinged pop characteristics". Noch mehr Verwirrung. Im Interview komme ich dann auch gar nicht dazu, meine erste Frage zu stellen. Wir driften sofort ab. Patten bestellt einen schwarzen Tee mit Zitrone, als ich ihn beiläufig nach Borges frage, der auch noch in der Presseinfo erwähnt wird. Dessen "evocative maze-like short stories" seien ein großer Einfluss für Patten. Zur Aufklärung aber will er auch nicht beitragen: "All diese Referenzen sind eigentlich nur Einstiegspunkte. Ich habe mich natürlich nicht hingesetzt und eine Borges-Platte gemacht." Doch bis wohin langt die Referenzen-reiche Presseinfo als Teil des ganzen Patten-Konstrukts? Als Person tritt Patten in den Medien kaum auf. Die Fotos, die es von ihm gibt, sind meist verschwommen. Als Person, als Körper kennt man ihn nur von seinen Live-Auftritten, bei denen er schmächtig, mit Bassgitarre hinter einem mit Gitarreneffekten und Drumcomputern vollgepackten Tisch steht. "Ich betrachte alle Bilder und Wörter, sogar die Gespräche, wie dieses jetzt, als Schlüsselkomponenten des Projekts. Deshalb gibt es auch nicht wirklich einen Unterschied zwischen der Musik, einem Press-Release, einem Interview und einer Live-Show. Das sind alles wichtige Elemente des selben Projekts." Waren denn die Keywords auf dem Pressepapier bisher ausschließlich dazu nütze, dem Rezensenten ein paar Wunderwörter um die Ohren zu knallen, um dessen Reviewarbeit in die rechten Bahnen zu lenken? Darauf diese Antwort: "Wenn wir uns überlegen, dass die Gegenwart, und alles, was bereits geschah, auch diese Konversation, dieser Moment, Teile eines Kontinuums sind, das bereits vor unserer Geburt beginnt. Das ist wie ein Domino-Effekt, der zu diesem Moment führt. Und diese Dominosteine fallen ständig. Die Elemente im Press-Release, oder überhaupt alle Erfahrungen, all diese Artefakte und Phänomene, mit denen wir interagieren, werden Teil von all dem, das du hervorbringst. Jedes Wort, das in diesem Moment fällt, steht in Zusammenhang mit der ganzen großen Geschichte; mit deinem ganzen Leben." Patten greift sich an die Schläfen, massiert diese kurz und starrt auf den Tisch. "Dieses Glas hier kann nur diese eine Form haben. Oder dieses Messer: Messer sehen so aus. Aber manchmal, indem man Sachen nur ein ganz klein wenig verändert, werden neue Möglichkeiten sichtbar. Das nnent man Kunst."

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"Was denkst du eigentlich über das Album? Wie fühlst du dich, wenn du es anhörst?", fragt Patten. Ja, wie fühle ich mich eigentlich?

Kann man den holistischen Patten monadisch beschreiben? Hat dieser Text als Porträt überhaupt eine Bedeutung? "Indem ich mein Gesicht verberge, werfe ich eine Frage auf: Warum sollte ein Musikprojekt überhaupt einen Namen haben? Den Namen einer Person? Es ist nicht so, dass es keinen Namen haben sollte. Aber warum wird es dann plötzlich eine Person? Ich habe mich entschieden, die Methodik ein wenig zu justieren, um zu zeigen, dass es immer einer Art Formel gibt, die wiederum in ihrer Allgegenwärtigkeit sichtbar wird. Sogar die Schreibweise meines Namens wirft diese Frage auf."

Jetztmusik Festival ’14

Das ist irgendwie ganz schön hoch gegriffen für eine Platte, finde ich. Mit fällt darauf erstmal nichts ein. Ich starre jetzt auch auf den Tisch und schenke mir noch etwas Wasser nach. Das klingt auf meiner Interview-Aufnahme ziemlich cool. So ein sachtes Plätschern und leichtes Klimpern von Glas. Ist das wohl auch Teil des großen Ganzen, was Patten dann für mich sein wird? "Was denkst du eigentlich über das Album? Wie fühlst du dich, wenn du es anhörst?", fragt er. Ja, wie fühle ich mich eigentlich? Und dann wird mir klar, dass mich das Album ganz schön mitgenommen hat. In den fraktalen Beats und sirrenden Break-Splittern, in den abgehackten Riffs und zerfallenden Song-Strukturen finden sich immer wieder superunheimliche Momente - da, wo sich der Beat auflöst, zum Beispiel im Track "Key embedded". "Und eine letzte Frage hätte ich noch, wie denkst du hat sich mein Sound verändert, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben?" Patten ist zugänglicher geworden, seitdem ich ihn im Sommer 2"12 auf einer Fabriketage in Neukölln-Süd für eine Party buchte. Damals waren gerade erst ein paar seiner Sachen releast und sein Kassetten-Label Kaleidoscope war noch im Entstehen. Hier, auf dieser unbequemen Couch in einem Berliner Hotel, fällt mir das Wort "zugänglich" nicht auf Englisch ein und ich sage es auf Deutsch. "Sounds like 'succulent'. Like when you describe a fruit, that is very tasty." Und dann fällt es mir ein, "accessible", aber succulent klingt irgendwie besser. Patten ist viel saftiger geworden. Am Ende streiche ich mit einer Schere über die PromoCD, um sie sachgemäß zu vernichten, und frage mich, ob dieses Kratzgeräusch noch zu Pattens Sound gehört.

01.04. Florian Kupfer 04.04. Closing Party feat. House Party, Damiano von Erckert, Oliver Hafenbauer & Roman Flügel Weitere Künstler, Infos und Tickets unter: jetztmusikfestival.de

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RUMPISTOL, AWAY, IST AUF RUMP RECORDINGS ERSCHIENEN.

Rumpistol / Von wegen Disco

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TEXT BENEDIKT BENTLER

Schwitzende Körper, viel zu große Pupillen, blitzendes Licht durchschneidet die feuchte Dunkelheit. Was zur Hölle? Der Schrecken über die eigenen Assoziationen zu "Asleep", der ersten Rumpistol-Single des neuen Albums ist groß: Viel zu nah dran am TechnoHouse-Gemisch, das dieser Tage etwa in Berliner Clubs serviert wird. ja, fast langweilig. Doch dann kommt die Einsamkeit.

"Zurück in der Zeit ist nur eine andere Möglichkeit des ’Going Away’."

Das erste Hören der LP in voller Länge verschafft Erleichterung. Denn tatsächlich liegt "Away" vom Dancefloor-Gedränge eine gefühlte Unendlichkeit entfernt. "Asleep" ist Ausnahme: "Das ist definitiv der Minimal-TechHouse-artigste Track, den ich jemals gemacht habe, auch wenn er weder traditioneller Taktart noch Akkordstruktur folgt. Der ClapSound und die Kickdrum - es überrascht viele, so etwas von mir zu hören", weiß Jens Berents Christiansen alias Rumpistol selbst. Als einzelner Hit wirkt "Asleep" auch völlig anders, als ins Album eingebettet - von wegen Disco. Kontext, darauf kommt es eben immer an. So ist "Away" auch unter ganz anderen Umständen entstanden, als die 2"11 erschienene Melancholie-geschwängerte EP "Talk To You". "Die EP war sehr introvertiert und düster. Ich habe sie innerhalb eines Winters aufgenommen. Und dann wurde ich auch noch Vater, was trotz Planung ein echter Schock für mich war. Die Tracks zeugen von diesem Wahnsinn. Jetzt ist das anders, ich bin ausgeglichener. Das spiegelt sich in diesen zwölf Stücken wieder." "Ich mag keine Regeln" Dabei entführt einen Rumpistol auf den ersten Blick nicht in die Gefühlswelt eines vollkommen ausgeglichenen Menschen. Von Euphorie keine Spur. Der von Red Baron und Katherine Mills Rymer gesungene Titeltrack des Albums zeigt schon zu Beginn, dass die Welt, in der das Album seinen Platz hat, eine einsame ist: "Lost my way / left you all alone / couldn't find my way back home. You ran away / why did you leave behind / a thousand dreams." Die Emotionen und Inhalte seien die Eckpfeiler des Albums, erklärt der Däne: "'Away' mag an der ein oder anderen Stelle chaotisch klingen, weil ich so viele Stile auf einem Album vereint habe. Aber ich wusste schnell, was das Thema der LP sein sollte. In dieser Hinsicht ist es das konzeptionellste Album, das ich jemals gemacht habe. Es handelt von Abwesenheit, Realitätsferne, vom Unterschied zwischen diesen beiden Zuständen." Klingt ein bisschen nach der letzten Platte mit Red Baron namens "Floating" und baut auch genau darauf auf. "Floating Away", heißt es

in "Floating" auf der gleichnamigen Platte aus dem Jahr 2"12. "Ich mag es, wenn meine Projekte ineinandergreifen, ich sehe dieses Album als Fortsetzung zu ’Floating’, als meine Solo-Interpretation. Nostalgie und Erinnerung bilden aber auch bei mir das Subthema der Platte." So erklingt zwischen field recordings von Kindern auch die Stimme von Berents Christiansens Tochter und seine eigene Stimme aus jungen Jahren - als noch die Folk-Community seiner Eltern inklusive Tanz und Gesang den musikalischen Horizont des kleinen Jens prägte: "Ich habe als Kind Kassetten aufgenommen und diese erst vor kurzem wiedergefunden. Zurück in der Zeit ist nur eine andere Möglichkeit des ’Going Away’." Klingt doch alles ziemlich konzeptionell. Ob die Menschen den roten Faden und die vielen Kontexte, in denen sich die Platte bewegt überhaupt erkennen können, weiß Rumpistol selbst nicht so genau. Doch zumindest der musikalische UK-Einschlag geht an niemandem vorbei. Nach dem Erkunden des Dubstep auf "Dynamo" hat dieser in weiterentwickelter Form seinen festen Platz in Rumpistols Soundpalette eingenommen: "Dubstep war eines der ersten Genres, in dem ich mich wirklich zu Hause gefühlt habe. Ich bin ja schon immer in diese Richtung tendiert, der Dub-Einfluss ist schon in meinen frühen Sachen zu hören. Nur mit der Szene habe ich nie etwas zu tun gehabt." "Qawawali" von Pinch und auch Shackeltons Releases auf Skull Disco mit orientalischen Einschlägen seien die wichtigsten Impressionen gewesen, später Mount Kimbie und frühe Sachen von James Blake. Womit wir beim, inzwischen höchst unrühmlichen Begriff Post-Dubstep angekommen wären. Jegliche Hoffnungen darüber, dass dieser Sound uns nicht auch noch 2"14 begleiten würde, werden mit Rumpistols Album zunichte gemacht gleichzeitig kommen aber Zweifel an dessen Überdrüssigkeit auf. Denn Rumpistol hält sich wie schon bei "Asleep" keineswegs an typische Tempi, Rhythmen oder sonstige Strukturen.

"Dubstep folgt bestimmten Regeln. Ich mag keine Regeln." Zum Glück, denn so bleiben nur einzelne Momente, die sich irgendwelchen Genre-Spezifitäten beugen: hier ein Synth, dort ein Bass, Klick, Klack, Glitch. Doch die einzige Kontinuität, der das Album folgt, ist die Einsamkeit, die sich während des Hörens immer mehr um einen legt. Der einsamste Ort der Welt So richtig weit scheint der Däne vom Depressiven also doch nicht weggekommen zu sein. Und doch ist genau das der Unterschied: Es ist vielmehr eine innere Zufriedenheit in einsamer Realitätsflucht, die sich mehr und mehr einstellt, während die Platte zunehmend das Tempo verliert. Etwa das Gleiche muss auch die leicht übersehbare Figur auf dem Cover empfinden, als einziger Mensch in einer surrealen Welt, die an einen Fels aus lila Gemüse, Früchten und Süßigkeiten erinnert. Ein Werk der niederländischen Grafikerin Zeloot, erklärt Rumpistol: "Sie hat auch das Cover für ’Talk to you’ gemacht. Ich kenne sie nun schon seit Jahren und liebe ihren Stil. Wir haben die gleichen Idole: Heins Edelmann, der das Beatles-Cover für ’Yellow Submarine’ gemacht hat, und den Comiczeichner Jean Geraud alias Moebius. Auch Alejandro Jodorowsky spielt eine Rolle. Dem Hier und Jetzt entfliehen, darum geht es. Das Gleiche schwingt in den einsamen Wüstenlandschaften mit, die Moebius und Jodorowsky in ihren Zeichnungen aufgreifen." An diesem Ort endet das Album mit dem Track "Atacama". Inspiriert durch den Film "Nostalgia For The Light" von Patricia Guzmán kommt er mit der butterweichen Stimme John LaMonicas als großes Finale daher. Hier, am trockensten Ort der Erde, von wo aus die Astronomen den weitesten Blick zurück in die Vergangenheit haben, ist die Einsamkeit am größten. "Wir sind alle allein in dieser Welt, jeder steckt in seinem eigenen Kopf, jeder stirbt allein. So ist es eben."

FESTIVAL

2014

23 MAI

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22.03. Berlin

UM:LAUT Hauschka Abandoned City Record Release

14.03. - 29.03. 23.03 05.04. Berlin

Mannheim

MaerzMusik JETZTMUSIKFESTIVAL 2014

Die UM:LAUT-Reihe streckt ihre Fühler nach den Knotenpunkten von klassischer und elektronischer Musik und Kunst aus. Die intermediale Veranstaltung hat zuletzt Nils Frahm an das Piano gebeten, im März darf nun Hauschka im Rahmen eines Record–Release-Konzerts sein neues Album “Abandoned City“ präsentieren. Klangästhetisch orientiert sich das wieder mehr an seinen ruhigeren, früheren Veröffentlichungen. Inspiriert von Geisterstädten untersucht der für seine Innovation in der Disziplin des präparierten Pianos bekannte Musiker den Anmut und die Melancholie, die solche verlassenen Siedlungen auszeichnet. Klebeband, Filz, Holz und Tischtennisbälle finden ihren Weg in Hauschkas Instrument und sorgen mit ihren Störungen für schwebende, außerweltlich anmutende, meist rhythmische Kompositionen. Am Samstag, den 22. März wird Hauschka die Räume des Radialsystem V zusammen mit zwei programmierbaren, sich selbst spielenden Pianos beehren – ein Flügel samt Präparation hat Hauschka natürlich auch im Sperrgepäck.

Die 13. Ausgabe des internationalen Festivals für aktuelle Musik der Berliner Festspiele wendet sich an die akustische Heimat. Mit dem Motto "Nach Berlin! Nach Berlin!" richtet die Veranstaltungsreihe ihren Blick auf die Hauptstadt als globalisierten Ort innovativer Musikausubung. MaerzMusik möchte das breite Spannungsfelde zwischen zeitgenössischer Komposition und aufstrebender Musikschaffender repräsentieren. Wie gewohnt, wird groß aufgefahren: 55 Kompositionen, davon 19 Uraufführungen. Etwa “Roomtone Variations“, ein neues Stück des Komponisten Nicolas Collins, der durch seine Innovationen im Bereich der homemade electronics bekannt wurde, erfährt in einer Fassung für Klavier seine Premiere im Berghain. Weitere Highlights sind Aufführungen einer Komposition von Alvin Lucier und ein seltenes Europakonzert der australischen Jazz-Minimalisten The Necks. Das Festival findet in vielen verschiedenen, mitunter außergewöhnlichen Venues der Stadt statt - unter anderem im Haus der Berliner Festspiele, der Paul-Gerhardt-Kirche in Schöneberg, den Sophiensälen und dem Museum für Naturkunde.

Auf welchen Prämissen beruht die Unterscheidung von Hoch- und Popkultur? Das Ziel dieser Frage ist kulturelle Trennungen als absurd zu entlarven - ein praktischer Ansatz dazu wird in Form von Medien- und Genre-übergreifenden Konzerten, Performances und Workshops angereicht. Unter anderem werden Künstler wie Patten, Magic Mountain High mit dem Kevin O’Day Ballett, Nils Frahm und Andrew Pekler ihre Klangwellen und Visualisierungen beauftragen, die Frage zu beantworten. Der Cinemix, bei dem ein Stummfilmklassiker neu vertont wird, wird 2014 von Florian Kupfer übernommen. In Verbindung mit dem Vertrauen auf die formgebende Qualität einer sorgfältig ausgesuchten Kulisse, wie zum Beispiel die Gondolettas im Mannheimer Luisenpark, hat das Jetztmusikfestival eine ernst zu nehmende Relevanz im Gros der Festivals, die unkonventionelle Blickwinkel auf vermeintlich vertraute Ausdrucksformen liefern wollen. Premiere feiern dieses Jahr zudem Podiumsdiskussionen und ein Symposium, welches die Trennlinien zwischen Pop- und Hochkultur weiter erörtern werden.

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25.03. - 01.03. 30.03. 31.03. Frankfurt

München

7. Lichter Filmfest

Marry Klein im Harry Klein

Sechs Tage, acht Spielstätten, 60 Filme aus fünfzehn Ländern. Auf dieser Basis entsteht das mittlerweile 7. Lichter Filmfest in Frankfurt, welches vom 25. bis 30. März stattfindet. Den diesjährigen Schwerpunkt im internationalen Programm setzen die Festival-Veranstalter mit dem Thema “Humor, Komik und Komödie“. Geboten wird außerdem eine Alternative aus spannenden Vorträgen, Diskussionen, Barabenden bis hin zu Partys rund um das Geschäft des Lachens. Ganze vier Deutschlandpremieren finden im Rahmen des Filmfests statt, darunter Rosa von Praunheims "Praunheims Memories" und "Lost Coast" von Underground-Filmemacher M. A. Littler. Durch tatkräftige Unterstützung vom Institut für Theater- Film und Medienwissenschaften der Goethe-Universität sowie dem Museum für Komische Kunst werden in insgesamt neun Spielstätten komisch-faszinierende Bilder gezeigt. Auch die fünf Gewinner des Lichter Art Award 2014 werden Ende Februar bekannt gegeben und ihre Kurzfilme auf dem Festival vorführen. Von Gérard Depardieu über Helge Schneider bis hin zu James Gray ist bei dem Zusammentreffen von internationaler Großproduktionen auf unabhängiges Autorenkino und engagierten Dokumentarfilm für jeden Zuschauer etwas interessantes zu finden.

Es herrscht immer noch Gendertrouble auf dem Dancefloor. Das Harry Klein hat sich für den März 2014 daher ein Ziel gesetzt. Unter dem Motto “Lets Turn The Tables“ werden einen Monat lang ausschließlich Frauen den Münchener Club bereichern. “Wenn auf einem der größten Festivals zehn Prozent Frauen auftreten, ist das schon viel“, sagt Susanne Kirchmayr von female:pressure, und beruft sich auf eine, im letzten Jahr durch das Netzwerk von Künstlerinnen erhobene Statistik. Frauen stehen viel seltener mit der eigenen Kunst im Fokus der Öffentlichkeit. Vor allem in der elektronischen Musik ist der Großteil des Mittelpunktes der Szene hauptsächlich männlich. Umrahmt von einem vielfältigen Programm bestehend aus Workshops, Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen soll das Rampenlicht voll und ganz den Frauen gehören. Beginnend am 1. März wartet das Festival mit vielen verschiedenen Terminen wie dem Münchner Mädels Abend am 6. März mit Tanja Spielvogel, Arta Narini, Chartreuse und TPS Nostromo als VJ oder auch der Nacht mit Helena Hauff, Essika, Jaz Elle, tatkräftig unterstützt von den Visuals von F4nt4st bis hin zum abschließenden Ableton Workshop mit Maya C. Sternel.

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BILD CHRISTIAN WERNER

Diedrich Diederichsen — Abenteuer ist gerade das ganz große Ding

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INTERVIEW SASCHA KÖSCH & TIMO FELDHAUS

Mit "Über Pop-Musik" legt der Papst der Popkritik sein Opus Magnum vor. Auf 500 dichtbeschriebenen Seiten präsentiert der Mann mit dem originellen Namen das fulminante Ergebnis seines jahrelangen Nachdenkens über einen Gegenstand, der exakt genauso alt ist wie er selbst - Und vielleicht gerade im Sterben liegt. Von Totems, Tabubrüchen, Posen, Pakten und Popschmerzen. Denn PopMusik, sagt Diederichsen, ist gar keine Musik.

war, in dem Elvis im Fernsehen zu sehen war, und zwar ganz oft. '57 war er schon im Kino. Du sagst auch, dass an der Figur des Jazz-Spielers eine Prä-Pop-Figur entworfen wurde. Nichtsdestotrotz: Würdest du den Pop-Initiationsmoment nicht vorher setzen? Vielleicht. Der ganze Komplex existiert für mich aber erst da, wo alle Komponenten zusammentreffen. Das ist genau wie mit dem Internet. Ist es das Arpanet, oder wann beginnt es wirklich? Es geht eben um eine relevante Zäsur. Musik ist dabei immer nur ein Teil des Systems, eins unter vielen, richtig?

De:Bug: Wie definierst du Pop-Musik? Diederichsen: An Pop-Musik ist für mich entscheidend, dass es mehrere getrennte Ausgabeorte gibt, die aber zusammengehören und zusammengeführt werden müssen. Es gibt keine einheitliche Medienarchitektur dafür, das Zusammenführen wird zu einer Aufgabe des Rezipienten. Pop-Musik ist ein Gegenstand wie Kino. Aber Kino ist nicht Film und Pop-Musik ist in diesem Sinne nicht einfach gleich Musik. Kino ist eine Mischung aus einer Institution und einem Medienverbund, oder wie man heutzutage sagt, Dispositiv - aus verschiedenen Vorentscheidungen wie einem Darkroom oder einer Projektion, um den Film einem Publikum sichtbar zu machen. Pop ist aus verschiedenen Momenten zusammengesetzt: Zum einen häufig gesehene Bilder der Protagonisten, direkt aufgenommener, nicht in erster Linie live gehörter Klang, aber auch öffentliche Abspielstätten, Kultstätten und Outfits, das Leben. Zum anderen die Möglichkeit für den Rezipienten, das selbst umsetzen zu können. Dass man Leuten erfolgreich klarmachen kann, anders noch als im Kino, dass wir und nicht irgendwelche Architekten diejenigen sind, die das zusammensetzen müssen: Das ist Pop-Musik. Du schreibst, dass Pop-Musik am Anfang ein fließender Prozess war. Gibt es für dich einen Zeitpunkt, wo PopMusik beginnt? In dem Moment, wo das Fernsehen das wiederholte, häusliche Anschauen von Bewegtbildern der Protagonisten institutionalisiert und der Switch vom Geschäftsmodell Sheet-Music-Verkaufen zum Modell Recordings-Verkaufen stattfindet. Das hat sich erst richtig in den 5"er-Jahren eingependelt. Um 194" hat man noch nicht viel Geld mit Schallplatten gemacht. Die Musikindustrie wurde noch von Verlagen dominiert. Diese beiden Objekte, und dass es etwas gibt wie eine Kommunalität, ein bestimmtes Gemeinschaftsgefühl, das zu dieser Musik gehört - all das sind Phänomene, die, plus minus fünf Jahre, so rings um 1956 passieren. Und ich sage '56, weil es das Jahr

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Pop-Musik klingt immer so, dass ich wissen will, wie die Person aussieht, die diesen Klang verursacht. Da komme ich schon zur nächsten Ebene, ich kann gar nicht weiter, ohne dass diese Neugierde entsteht. Und dann ist die Frage, wo finde ich dieses Bild? Finde ich es im Umfeld der Tagesthemen, meiner Eltern, oder finde ich das Bild an einem verrufenen Ort, riecht es drum herum nach Haschisch? Was kontextualisiert die Befriedigung dieser Neugier? Dann schickt mich dieses Bild in einen sozialen Raum, in dem ich noch nie, oder auch schon ganz oft war. Das sind alles Sachen, die nacheinander passieren. Es kann auch sein, dass in der Zeit schon etwas abbricht, oder etwas Neues passiert. Das ist sehr dynamisch, fließend und offen. Diese Rezeption ist niemals abgeschlossen. Ich kann auch schon wieder gelangweilt sein, noch bevor ich überhaupt die Rezeption abgeschlossen habe. Sehr oft gibt es ja diesen Fall, dass man von einem Cover angezogen ist, man kommt aber nicht dazu, das zu hören, oder es begegnet einem nicht wieder. Oder erst später begegnet einem etwas wieder, das vom selben Urheber kommt, aber dann sind drei Monate ins Land gegangen und der Sound ist schon total uninteressant geworden. Die Attraktion des Covers ist noch da, wird aber nicht mehr vom Sound gedeckt, weil man ihn schon von woanders her kennt. Der Komplex, aus dem das alles zusammengesetzt ist, schließt sich nicht. Die Art, wie du das jetzt beschreibst, spiegelt den Stil deines Buches ganz gut wider. Der Titel ist ja unglaublich offen. Du hättest es auch "Theorie der PopMusik" nennen können - was bei einem 5""-seitigen Opus Magnum viele Leute sicher sowieso erwarten. Aber diese Erwartungshaltung weicht beim Lesen eher dem Eindruck eines close writing, wo es von einen zum anderen mäandert. D a s Vo r w o r t v e r s u c h t a l l e architektonischen Komponenten der Theorie zu benennen. Und dann werden diese aus verschiedenen Perspektiven, ein Mal die historische, die - wenn man so will

"Warum führen heutige Hörer so einen trüben Kampf um die Bestände? Wenn ich jung wäre, würde ich nicht wollen, dass die Traditionen des Indie-Rock und der Techno-Kultur es dringend bis ins Jahr 2030 schaffen."

- zeichenbezogene, die ästhetische und die gesellschaftliche verfolgt. Zum Titel: Es gab bereits einen anderen Titel, der etwas Manifestartigeres hatte. So etwas wie "Plädoyer für…". Dann ist mir aufgefallen, dass meine Bewertung des Beschriebenen auch während des Schreibens ziemlich schwankt. Bis mir immer klarer wurde, dass es relativ egal ist, wie ich das eigentlich finde. Ist das beim Schreiben über Pop ein großer Moment, wenn man plötzlich merkt, dass das Ich nicht so wichtig ist. Warum schreibt man denn ein Plädoyer für etwas? Entweder, weil es sich noch nicht durchgesetzt hat, oder weil man eine andere Art von Unterstützung erwartet, eine institutionelle, eine, die in einer anderen Ebene spielt. Das erschien mir aber nicht mehr nötig. Also bleibt die Frage, wie ich das finde - im Verhältnis zu dem, was ich darstelle und woraus es sich zusammensetzt - relativ unwichtig. Mir ist es natürlich nicht unwichtig, wie ich es finde, aber ich bin vielleicht nicht so wahnsinnig zentral. Noch einmal zum Titel: Ich war im Freud-Museum in Wien und da stand ein Buch das hieß… ...Über-Ich? Hervorragend! Mein Titel ist aber leider nicht mit Bindestrich geschrieben... Nein, es war ein Buch, das Freud studiert hat und das sehr gut aussah und es heißt: "Über Kokain". Das war der Auslöser. Die Bestätigung war dann die

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Tatsache, dass ein Text, mit dem ich mich viel auseinandersetze "Über Jazz" heißt.

nicht lange vor und dann bekommt man auch wieder die Pop-Musik-Perspektive rein.

Am Anfang des Buches bringst du dich selbst ins Spiel. Du erzählst etwa vom ersten Konzert und liebäugelst mit der Hybris - die ja aber auch einfach Fakt ist - dass Pop mit deiner Geburt losgeht und mit Redaktionsschluss des Buches endet. Am Ende findet sich dann sozusagen ein Ende der PopMusik. Du gibst dir nicht viel Mühe, sie für die Zukunft zu verteidigen, oder?

Wann hattest du das letzte Mal das Bedürfnis, jemanden mit der, zu Beginn des Buches so prägnanten "Pop-MusikFrage" anzugehen: "Was ist das da für ein Typ? Was sind das für Leute? Was wollen die? Wie sind die?"

Pop-Musik vielleicht denken würde. Cher kommt vor.

Das ist nicht meine Aufgabe, es gibt genügend andere, die das tun können. Vielleicht werden sie es tun, vielleicht wollen sie es aber auch nicht richten. Vielleicht wollen sie einen Paradigmenwechsel haben. Oder den Sound des spekulativen Realismus, und der heißt dann ganz anders. Aber davon abgesehen, für die generationelle Einstufung bin ich schon fast zu spät. Ich bin 1957, also schon in die Pop-Musik hineingeboren. Diejenigen, die beim Beginn wirklich dabei waren, sind ja nicht davon geprägt worden. Denen kam das eher komisch vor. Dein Konzept von der Nische als mögliche Zukunft der Pop-Musik erinnert an die klassischen DeleuzeKonzepte von Minorität und Meute. Gibt es da einen Unterschied für dich? Die Minorität von Deleuze ist noch heroischer als die Nische bei mir. Dieses Minoritär-Werden, überhaupt die ganze Deleuze-Welt, ist mit dem heißen Herzen einer noch nicht als verloren geglaubten Auseinandersetzung geschrieben worden. Ich weiß nicht, ob ich der Nische so viel zutraue wie Deleuze dem Minoritär-Werden. Warum sollten heutige Hörer auch so einen trüben Kampf um die Bestände führen? Wenn ich jung wäre, würde ich wohl nicht unbedingt wollen, dass die Traditionen des Indie-Rock und der Techno-Kultur es dringend bis ins Jahr 2&3& schaffen. Du schreibst von "Phantomschmerzen ehemaliger Relevanz". Ich stelle mir oft die Frage, wie sich etwas für jemanden anhört, der noch nie das und das gehört hat. Man kann mit solchen Gedanken oder Erfahrungen Experimente machen, auch wenn das tautologisch ist. Man versucht die eigene Prägung zu überlisten. Sie als schleimig und banal zu erkennen und wiederum etwas, das man nicht ertragen kann, doch ertragen zu lernen. Für dieses Buch war wichtig, dass ich viel Musik gehört habe, die keine Pop-Musik ist. Und wenn man mit dieser Haltung dann wieder Pop-Musik hört, hört man etwas ganz Komisches. Etwas sogar ausgesprochen Seltsames. Was meinst du damit? Es ist eben unerträglich! Aber das hält

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Das habe ich immer noch. Auch weil es ein Bedürfnis darstellt, das nicht unbedingt etwas mit Zustimmung zu tun hat. Es heißt ja manchmal auch: Was sind das für Arschlöcher? Das ist natürlich am stärksten dort, wo Menschen mit Stimmen auftreten. Wo die Abweichung von Klangidealen, von nicht markierten Klängen deutlich wird. Ich habe gerade eben einen Text in der FAZ über Dieter Bohlen gelesen. Da wird ihm zugestanden, dass er Recht gehabt hätte, als er sagte: "Die Kunst besteht darin, allgemeingültige Musik zu machen. Wenn man zum Beispiel auf dem Klavier eine Prince-Partitur nachspiele, dann klinge das nach Nichts. Wenn man das bei 'Brother Louie' macht, dann klingt das wie Mozart." Da ist alles gesagt, worüber wir gerade sprachen. Alles falsch natürlich! Eine Prince-Partitur klingt ja viel interessanter als Brother Louie, wenn man sie auf dem Klavier spielt, das ist geradezu ein Verfremdungseffekt. Aber es stimmt natürlich auch nicht, dass das ein Kriterium darstellen soll. Und da gipfelt es in dem Satz: "Die Kunst besteht darin, allgemein verständliche Musik zu machen." Musik die keiner versteht, könne doch jeder. Das Problem ist aber, dass man so bereit ist, alles zu verstehen. Man hat ja für alles Verständnis. Ich würde sehr gerne Musik hören, die man nicht versteht. Wenn das mal passiert, dann ist das natürlich das größte Geschenk, das es gibt. Dann habe ich die nächsten Tage etwas zu tun." Das sagt sich so aus der Perspektive, aus der Pop-Musik im Sinne des "mehr und weiter" tot ist. das kenn ich noch, als Techno aufkam, da gab es diesen Moment - jedenfalls bei mir im Ländlichen - extrem. Da tönte es überall: Das kapiere ich überhaupt nicht, das ist ja gar keine Musik. Diese Problem hatte ich, als ich 197& das erste Mal "Ain't It Funky Now" von James Brown hörte. Da war ich 13. Das war ein Stück ohne Harmonien. Das fand ich unglaublich. Ich hatte zwar bereits Musik gehört, die nicht auf Harmonie basierte, Prog Rock mit langen Improvisationsstellen, bei denen es quasi egal war, dass keiner mehr einem Akkordschema folgte und es keine Kadenzen mehr gab, aber das war dann immer noch als individuelle Artikulation erkennbar. "Ain't It Funky Now" war einfach nur funky. Und das war in den Charts.

Ja, auch Elvis Presley und die Beatles, David Bowie, ein paar HipHop-Größen aber dann ist auch schon Schluss. Dafür sehr viel Jazz und Avantgarde. Eine Idee des Buches ist ja, dass PopMusik nur das nachvollzieht, was John Cage sich experimentell ausgedacht hat. Pop-Musik zieht die wirklichen Konsequenzen davon. Ich erkläre aber auch, dass ich von Pop-Musik im emphatischen Sinne spreche, also einer Musik, mit der Menschen etwas Existenzielles verbinden. Es wird Kinder geben, welche die neue Platte von Miley Cyrus sehr existentiell finden... Das ist auch völlig berechtigt, aber was ich sage trifft auch auf die Erfahrung dieser Kinder zu. Doch da reicht mir das ElvisPresley-Beispiel. Strukturell ist das dasselbe. Wenn du sagst die Pop-Musik hat immer schon wahr gemacht, was bei John Cage nie geklappt hat, beschweren sich wieder die klassischen Wissenschaften, dass du einem Gegenstand, der an sich blöd ist, einen viel zu schweren und vor allem schlauen Überbau aufsetzt. Der Punkt ist: John Cage hat gedacht, jetzt, wo wir den Einzelklang in seiner

"Ich würde sehr gerne Musik hören, die man nicht versteht. Wenn das passiert, ist das natürlich das größte Geschenk. Dann habe ich die nächsten Tage etwas zu tun."

Populäre Musik im Sinne von Chartmusik findet in deinem Buch weit weniger statt, als man sich bei einem Buch über

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DIEDRICH DIEDERICHSEN, ÜBER POP-MUSIK, ERSCHEINT BEI KIEPENHEUER & WITSCH.

des Nachdrucks deines ersten Buches "Sexbeat" steht, dass Techno eine wahre, glückliche Immanenz markiere und damit zugleich das Ende des Prinzips Gegenkultur. Was machen wir denn nun ohne die Subkulturen, die heute direkt vom Mainstream eingemengt werden? Subkultur im starken Sinne muss es nicht sein. Eher eine Spezialkultur. Wenn jede Community um etwas herum als Subkultur bezeichnet würde, dann würde Pop-Musik ohne Subkultur sinnlos sein. Was im Vorwort von "Sexbeat" steht, bezieht sich eher auf historische Abläufe. Dass es einen Moment gab, in dem in bestimmten Formen von Nachtleben die Geste der Separation unattraktiv wurde, und auch ästhetisch suspendiert wurde, beispielsweise durch Immanenz-Begeisterung. Das heißt nicht, dass sie für alle Zeit unmöglich ist. Das rhetorische Ziel des Vorwortes von Sexbeat ist ja auch eher, die Entstehungszeit von "Sexbeat" historisch zu kontextualisieren. Dieses Ziel hat mit dem jetzigen Buch aber nur am Rande zu tun. Hier geht es ja um eine andere historische Folie. In gewisser Weise ist ja das Internet die Pop-Musik geworden. Nach Techno kam Internet. Ein bruchloser Übergang.

unglaublichen Singularität aufzeichnen können, müssen wir fürderhin nichts weiter tun, als uns mit diesem einzelnen Klang in seiner kontingenten, schillernden, bizarren Einzigartigkeit beschäftigen. Das ist als erster Gedanke, in Bezug auf die Möglichkeiten des Recordings, richtig. Aber jetzt kann man etwas damit machen - und er tut es ja auch. Aneinanderreihungen, Kriterien, Würfeln. Man kann aber auch noch analytischer vorgehen, und das tut die Pop-Musik: Was heißt denn Singularität für Phänomenologen? Was bedeutet denn das in der Lebenserfahrung des Einzelnen? Natürlich ihr eigenes Leben, ihre eigene Einzigartigkeit, Sterblichkeit. Dann müssen wir diese kontingenten Klänge in eine Architektur bringen, in der die Leute ihnen begegnen können. Und das tun wir am besten, indem wir sie in etwas bereits Verständliches einbetten. In etwas, das die Leute nicht so erschreckt: das einfache Liedchen. Singularität findet man im Buch auch als Polarität zu einem Schließfach. Verschiedene Menschen oder PopFans, die dasselbe Schließfach öffnen können und dadurch Gemeinsamkeit spüren. Das ist dann ja auch eine Art Subkultur-Theorie. Im langen Vorwort

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Damit kann ich ein bisschen leben. Das ist eine erweiterte ZusammensetzungsMaschine, jetzt wieder mit einem zentralen Ort, zumindest einem zentralen Medium. Aber es muss eben trotzdem etwas anderes dazu kommen. Das Affektive, wofür ich im Buch Roland Barthes Punctum benutzt habe. Der Moment, wenn man kathartisch auf die eigene Sterblichkeit angesprochen wird, die eigene und die derjenigen, die man liebt. Dazu gehört auch, dass ich versuche, eine bestimmte Erfahrung zu sozialisieren - ich will es teilen. Denn die Erfahrung selbst ist nicht historisch, sondern erst das, was ich damit mache, nämlich wenn diese Vergänglichkeitserfahrung mit bestimmten Gerüchen, Klängen usw. in Verbindung steht, etwa Schreien und Tanzen, Sexualität usw. Damit das funktioniert, braucht das Internet ein Außen, mit dem es sich verknüpfen kann. Wie, ist nicht klar. Aber ich glaube, eine zweite Welt muss hinzukommen: Man verabredet sich zu etwas. Und das muss dann auch mit Lebensgefahr oder mit Abenteuer zu tun haben. Abenteuer ist gerade das ganz große Ding. Deshalb ist auch spekulativer Realismus so groß. Er ist abenteuerlich, weil er von Kultur-Kultur nicht-einholbare Erfahrungsmodelle eröffnet. Es gibt ja zu diesem Erfahrungs-Begriff, Kick-Begriff mimetische Nachmodellierungen in DroneMusik oder…

tun habe, sehe ich weniger. Bildende Kunst ist wahnsinnig korrelationistisch, um das Lieblingswort der spekulativen Realisten zu gebrauchen. Natürlich ist alles korrelationistisch, aber Drones haben die Anmutung, sie seien ein anderer Planet. Bildende Kunst hat diese Anmutung nicht. Sie hat die Anmutung, der hat bei dem und dem studiert und will das und das machen und das ist ganz gut gelungen. Ich wollte nur darauf hinaus, dass man sagen kann: Ja, Internet ist Pop-Musik, aber es muss noch etwas hinzukommen. Techno ist over, Jugendbewegungen gibt es nicht mehr und Pop wird zur Produktionsstätte von Selbstausbeutung im künstlerischen Milieu: Im Grunde findet Pop seit Jahren nur mehr als Negativ-Erzählung statt. Es gibt schon noch positive Erzählungen. Etwa die immer noch nicht abgeschlossene queerfeministische, anarchistische und postkoloniale Erzählung. Drei Dinge, die durchaus auf einer mittelgroßen Flamme köcheln. Du hast unter Leuten, die so Mitte Zwanzig sind, viele Anarchisten. Auch die, die einen ökologisch-veganen Anarchismus erleben und das mit einer recht komplexen Kultur und bestimmten Künsten in Verbindung bringen. Kann es nicht einfach noch mal eine Welle von ganz explizit politischer Musik mit Forderung einer ganzen Generation geben? Wahrscheinlich nicht in der Form eines Songs. Wie etwa einer, in dem Rage Against The Machine etwas sagen. Warum nicht einfach nur Drums? Meine These wäre: Diese Verbindung klappt nicht, weil die Anliegen gerade so fundamental sind, dass Musik viel zu eng wäre. Viel zu spezifisch. Es geht politisch im Moment – von Kairo bis Kiew - um das Gegenteil von Subkultur. Um die Rahmen der Rahmen. Da kann man es nicht gebrauchen, dass etwas so individuell und subjektiv gefärbt ist wie Musik.

…Post-Internet Art? Kunst ist immer so eingehegt. Dass es eine Kunst geben soll, die damit zu

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Die Smarte Welt muss einfacher werden. Dafür sollen Gefühle und Emotionen sorgen. Doch was passiert, wenn die Netze mit liebe aufgeladen werden und chips unser mitgefühl wecken? eine machtverschiebung, behauptet Spike jonze in "Her" - oder ist das doch eher psychoanalyse?

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BILD NEVEN MRGAN

TEXT FELIX KNOKE

Die Fixierung auf smarte Netzwerke und unsichtbare Interfaces verbaut den Blick auf den Computer als perfekten Arbeitsplatz. Computer wissen so viel über sich selbst warum zapfen wir dieses Wissen nicht an?

Dummer Computer, guter Computer / mein leben als backup dbg180_30_41_smart.indd 32

Die Dummheit der Geräte, ihre Offenheit, ihre perfekte Diesseitigkeit könnte eine neue Sorte von souveräner Smartness bedeuten. Die Computer und Netze sind kontrollierte und kontrollierbare Umwelt, ein durchdringbarer Zustand. Problem: Bislang weiß nur der Computer selbst über sich Bescheid. Und anstatt uns teilhaben zu lassen, speist er uns mit "cleveren", "intelligenten", "flüssigen" Oberflächen ab. Ich will eines werden mit dem Rechner und wünsche mir also ein einfaches Programm. Eines, das eine Momentaufnahme meines aktuellen Computer-Zustands machen kann: An welchem Ort ich zu welcher Uhrzeit welche Texte las, Musik hörte, Filme schaute, welche Programme liefen, welche Daten zu mir und welche von mir weg flossen, welche Personen per Mail, Chat, Facebook mit mir verbunden waren, welche Telefonate eingingen und ausgingen - und vor allem: wie das alles miteinander zusammenhing. Ich möchte mich also komplett überwachen, um zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Zustand von mir zurückkehren zu können. Dieses Programm würde sich merken, was der Computer und ich tun (nicht: denken). Mit ihm könnte ich mich in einer schon verlorenen Situation wiederfinden, an verlorene Gedanken anschließen, Denkund Arbeitsschritte rückgängig machen und alternative Wege ausprobieren. So ein Programm wäre der perfekte Notizzettel. Fast schon eine Partitur für Prozesse und Zustände, die in immer neuen Fassungen aufgeführt werden könnte, um zu neuen Ergebnissen zu kommen. Dieser Wunsch ist technisch und konzeptionell relativ einfach erfüllbar. Was man dafür braucht, existiert längst - nur interessiert es bislang niemanden. Die Voraussetzung dafür ist ein Eingeständnis: Wenn ich erst einmal vor dem Computer sitze, existiere ich ja vor allem im Computer. Ich bin dann ein reduziertes Wesen, dessen physische Anwesenheit auf Eingaben, die der Computer registriert und die Ausgaben, die ich registriere, beschränkt ist. Ich verschmelze mit dem Computer, er ist in diesem Bild das dominante Organ. Mein Hirn, die Blackbox, bleibt als Interpret dieser komplexen Zustände zunächst außen vor und kann auf Wunsch ins Spiel gebracht werden. Den Computer ernst nehmen Man kann den Internet State of Mind, also die Vorstellung, dass das Verständnis der Vorgänge im Internet Teil unseres alltäglichen Bewusstseins ist, wörtlich nehmen. Das Prozesshafte ist interessanter als die

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Produkte, das Objekthafte. Im Netzwerk sind alle Kommunikationspartner aktiv, so wie das Medium selbst. Dieses Prozesshafte ist die Kommunikation aller beteiligten Maschinen, Menschen und Algorithmen; das was passiert und nicht das, was feststeht. Das ist kein neuer Gedanke. Aber aktuelle Software ist noch mit dem alten Bild vom Werkzeug entwickelt. Sie stellt das Ziel einer Arbeit als Ausgangspunkt eines zielgerichteten Prozesses fest, anstatt die Arbeit an sich verarbeitbar zu machen. Man hat einen Wunsch, den man mit einem Werkzeug erreicht. Man öffnet und speichert mit unserer Alltags-Software Dinge, was dazwischen passiert, bleibt höchstens als Protokoll oder Strg-Z-Liste erhalten. Die eigentliche Arbeit ist das Überflüssige, das, was minimiert werden muss - und neue Interfaces sollen sie noch weiter in den Hintergrund drängen, sie unsichtbar machen. Innovation im Umgang mit dem Computer fand zuletzt vor allem an den Benutzerschnittstellen statt, das hatten wir im Interface-Special in DE:BUG 172 ausführlich dargelegt. Sie sollen unsichtbar werden und Zustände und Wünsche der Nutzer erkunden und ihnen so bei der Zielerreichung nützlich sein. Diese Fixierung auf das Ziel verhindert aber ein Arbeiten mit den Prozessen. Die neuen Interfaces sollen uns die Arbeit abnehmen, sie sollen smart sein, damit wir uns keine Gedanken machen müssen. Die Allgegenwart der Rechenkraft wird dabei zwar vorausgesetzt, nicht aber der Computer als kontrollierende und kontrollierbare Arbeitsumgebung. Dass also der Computer selbst einen Zustand schafft - der technisch keinerlei Geheimnis besitzt. Wenn ich mir einen smarten Notizzettel wünsche, wünsche ich mir also auch ein Bekenntnis zum Computer: mehr Computer, mehr Arbeit. Zurück zum Silizium!

Speicher Deine Struktur Denn der Computer selbst ist eine spannende Ressource. Immerhin ist er genau der Zustand, in dem man sich mit ihm befindet, sobald man mit ihm arbeitet. Ihn durchströmt Arbeit, sie erweckt ihn erst zum Leben. Und dieser Zustand ist gar nicht einmal so abstrakt - das unterscheidet ihn etwa von den Systemen, die in der Interaktion mit Menschen entstehen. Er ist in Ladezuständen von Kondensatoren, in Programmregistern und Datenbanken festgeschrieben. Der Zustand des Computers ist genau die Summe seiner einzelnen Teile. Eben weil er so plump technisch ist, kann man diesen Zustand verstehen. Der Computer kennt alle seine - und implizit auch einige meiner relevanten Zustände (etwa: ob ich am Computer sitze, wie schnell ich tippe, wie typisch ich die Maus bewege,...). Emergenz das mehr als die Summe der einzelnen Teile entsteht erst in dem Moment, wo der Mensch ins Spiel kommt. Und diese Emergenz könnte man urbar machen - indem man Mensch und Maschine entkoppelt, den Maschinen die Deutungsmacht entreißt. Das neue UI-Paradigma ist, dass der Computer den Menschen interpretiert. Aber der Computer muss ja gar nicht interpretieren. Der Computer hat Tatsachen zur Verfügung, das hat er dem Menschen voraus. Diese Tatsachen transparent zu machen und wiederum als Werkzeug zur Verfügung zu stellen, wäre Aufgabe eines - meiner Ansicht nach - smarteren Computers. Diese Tatsachen sinnvoll in Beziehung zu einander zu setzen, könnte wiederum tatsächlich Aufgabe "intelligenter" Algorithmen sein ("Datamining am Ich")- oder schlicht mir überlassen bleiben. Denn wer ist hier smarter, der Computer oder ich? Ich will ja, zunächst, nur einen Supernotizzettel, eine TimeMachine für meinen Arbeitsplatz. Aber man kann auch weiterdenken und den Prozessen

noch mehr Gewicht geben. Ich stelle mir eine Flowchart meiner Tage vor. Durch maschinelles Lernen oder meine eigene Hand will ich Prozesse und Zusammenhänge in funktionale Gruppen zusammenfassen, die ich wiederum an anderer Stelle in die Struktur einsetzen kann. Ganz einfach: Gestern, im tollen Moment eine andere Musik - wie fühlt sich das an? Was unterscheidet einen guten Zustand von einem schlechten - welchen Prozess, Input, Output könnte ich aus einer vergangenen Situation entfernen oder hinzufügen, damit ich aus einer verfahrenen Situation komme? Ich möchte meinem Fluss eine Struktur geben und diese Struk tur verändern. Ich möchte meine Alltagschemie funktionalisieren. Ich möchte et was, das ich eh intuitiv mache, verstehen und damit experimentieren. Und weil mein Arbeitsplatz der Computer ist und mein Computer alles über sich weiß, muss ich ihn dafür nur fragen.

Ich möchte mich komplett überwachen, um zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Zustand von mir zurückkehren zu können.

Dafür fehlt mir das Werkzeug. Gebt mir einen Supernotizzettel! Ich will nicht smartere Programme, ich will selbst smarter mit meinen Zuständen umgehen, nämlich indem ich endlich Souverän meines Arbeitsplatzes bin - und nicht, wie bislang, Sklave meines Schreibtisches. In der Welt der smarten Computer und Algorithmen möchte ich ein bisschen mehr zu sagen haben. Zumindest über mich selbst.

Weitere Informationen unter: www.folkwang-uni.de/pop

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TEXT CHRISTIAN BLUMBERG

HER / Love OS "Her" ist keine ScienceFiction, sondern ein Beziehungsdrama. Spannend ist vor allem die Kameraarbeit, die sich nicht mehr um eine analoge Vergangenheit schert.

wie die gewählte Form des konventionellen Dreiakters) ein Ausweis der Normalität der Beziehung zwischen Mensch und Algorithmus. Sie untermauern ein anfängliches Versprechen des Films, welches darin besteht, dass "Her" eine Fiktion über eine neue körperliche oder gar gesellschaftliche Identität sei.

"Are you social or anti-social?" Das, und eine Auskunft zum Verhältnis zur eigenen Mutter, mehr muss die App nicht wissen, um dem befragten User ein customized OS zu generieren. In der nicht fernen Zukunft, in der Spike Jonze seinen neuen Film angesiedelt hat, ist so ein sprachgesteuertes Betriebssystem eine mächtige Künstliche Intelligenz mit eigener Gefühlswelt, aber auch mit vollem Zugriff auf seinen Benutzer, dessen analoger Aspekt nurmehr der eigene Körper ist. In der nicht fernen Zukunft von "Her" liest und versendet ein solch personalisiertes OS nicht nur dessen E-Mails oder verwaltet dessen Festplatte, es kann auch ein Freund werden. Der tröstet, scherzt und jederzeit zur Verfügung steht. In dieser Zukunft ist es deshalb auch gar nichts Ungewöhnliches, dass Menschen ihr OS daten. Mittels Smartphone und dezentem Headset in stetem Kontakt stehend, wird das Verhältnis mitunter so intim, dass OS und Mensch sich verlieben, Sex haben, eine Beziehung führen.

All eyes (ears) on Samantha, der eigentlichen Hauptfigur. Eine Stimme, die nicht einmal einen Avatar besitzt, ein akusmatisches Wesen, eine technisch induzierte Präsenz, ein Geist. Dass ausgerechnet Scarlett Johansson Samantha ihre Stimme leiht, ist zunächst ein schöner Kniff, der dem Hollywood'schen Starsystem den sichtbaren Körper entreißt, dabei aber die Star-Aura erhält. Das ist ein Gag, ein sehr guter sogar, der sich erst verflüchtigt, wenn Samantha Emotion und Begierde entwickelt: "You helped me to discover my ability to want", sagt sie zu Theodore. Da ist Theodore seinem körperlosen OS längst verfallen. Und während die beiden unter kalifornischer Sonne sitzen und sich an anatomischen Albernheiten erfreuen ("What if your butthole was in your armpit?"), will man doch gerne mehr über die Beschaffenheit dieses Betriebssystems erfahren. "Her" kümmert sich aber nur beiläufig um eine ontologische Bestimmung Samanthas. Wo künstliche Intelligenzen in vielen Filmen eine Menschwerdung anstreben, zeigt sie sich in ihrer Nichtmenschlichkeit recht zufrieden.

"Her" ist keine Science-Fiction, sondern ein Beziehungsdrama. Einen guten Teil seines Humors schöpft der Film aus der Deklination von Szenen, die zum festen Inventar des romantischen Fachs gehören: Frischverliebte vergnügen sich auf der Kirmes oder spekulieren am Strandbesuch über die Leben anderer Badegäste. Und bei der ersten Beziehungskrise lässt Theodore sich zu nokturnem Jazz einsam durch die große Stadt treiben. Solche Rückgriffe aufs Genre-Inventar sind (ebenso

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Kein Interface, kein Herz In der Vorstellung von Spike Jonze können wir niemals digital werden: Die Symmetrie zwischen den Wesensformen hält nicht an, es klafft ein seltsamer Gegensatz zwischen Drehbuch und Set-Design. Es mag der Natur eines tragikomischen Dramas geschuldet sein, dass "Her" auf kein Happy End hinarbeitet. Irritierend ist nur, dass mit dem Fortschreiten des Films

eine gewaltige normative Kraft erwacht, die die Inkompatibilität der Protagonisten mit einem plumpen, quasi-biologistischen Credo erklärt, das auf die Unveränderbarkeit von Mensch beziehungsweise künstlicher Intelligenz pocht. Theodore und Samanthas Affäre scheitert, weil ihre Wesenhaftigkeit verschieden ist. Das Problem an diesem Credo ist im Falle von "Her" aber nicht bloß der latent reaktionäre Gestus, sondern dass sein Aufscheinen das reizvolle Setting des Films auf eher uninteressante Art auflöst. Was macht denn diese Liebe eigentlich erzählenswert, wenn das Drehbuch dem naheliegendsten, banalsten Einwand einfach stattgibt? Und warum will "Her" am Ende auf einmal doch ein mahnendes Statement zum Mensch-Maschine-Verhältnis sein, anstatt einfach Beziehungsdrama zu bleiben? Ein weiteres Problem: Spike Jonze macht aus seinem Stoff ein zu hemmungsloses Rührstück. Nicht nur wegen des Hangs zum gefühlsduseligen Dialog. Die eigentlich außerordentliche Interessanz des Films wird bei jeder Gelegenheit im triefenden Score von Arcade Fire versenkt, oder in solchen ambienten Soundscapes, die seit "Drive" aber auch wirklich jedes Produkt des amerikanischen Film-Mittelbaus in akustische Watte packen, das sich für halbwegs hip hält. Während diese Klangwelten in Filmen wie "Drive" oder "Spring Breakers" aber eine Form von Exzess kontrastierten, sind sie in "Her" einfach nur billige Stimmungsverstärker. Die Signatur dieses Regisseurs erschöpft sich letztlich in bloßer Übersetzungsarbeit: "Her" ist ein feature film gewordenes Musikvideo, ein Format, das Spike Jonze allerdings zu recht groß gemacht hat. Sein unbedingter Wille, in der Schönheit des Gegenlichtkitsch zu sterben, kann einerseits

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Die größte Leistung dieses Films ist eine des Produktionsbeziehungsweise Set-Designs: Die supersmarte Verknüpfung von analoger und digitaler Sphäre wirkt zu jedem Zeitpunkt plausibel.

Gegenlichtkitsch zu sterben, kann einerseits gewaltig nerven. Hinter der Gefälligkeit der Bilder steht aber auch eine elaborierte, digitale Kameraarbeit, die sich längst nicht mehr an einer Mimikry des analogen Filmbildes versucht. Die Aufnahmen von "Her" scheinen stattdessen einen Look zu potenzieren, der in der digitalen Welt zu Hause ist, einer der FilterPresets und des Instagram-Ästhetizismus, eine Lana-Del-Rey-Welt, ein tumblr universe. Bilder aus digitalen, sozialen Sphären, die – selbst wenn sie vintage schreien – nicht länger mit fotografischen Ur-Qualitäten wie der Mumifizierung von Zeit arbeiten, sondern ganz gegenwärtig sind (in einem Science-FictionSetting nicht die schlechteste Strategie). Bilder, die sich nicht aus einer dialogischen Apparat-Objekt-Situation entstehen, sondern sich in einem Netz aus Screens, Anwendungen, Benutzerober flächen und digitalen Kopiervorgängen materialisieren. Insofern korrespondieren die Bilder von "Her" nicht nur mit dem Drehbuch, sie entsprechen auch dem aktuellen Stand digitaler Filmproduktion – und einer Bildkultur der Gegenwart, der einer mutmaßlichen Zukunft.

HER, USA 2013. R: SPIKE JONZE. MIT: JOAQUIN PHOENIX, 1/2 SCARLETT JOHANSSON. DT. KINOSTART: 27.03.2014

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HER / Love UI

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TEXT MAX LINK & FELIX KNOKE

Was passiert eigentlich mit mir, wenn ich glücklich verliebt bin? Und was passiert mit mir, wenn ich mein Leben der Technik in die Hand lege? In "HER" macht Spike Jonze aus diesen beiden Fragen eine Einzige, indem er seinen Helden Theodore eine Liebesbeziehung mit einer Künstlichen Intelligenz eingehen lässt. Technologisch ist bei "Her" erst einmal nicht viel zu holen: Die sichtbare Alltagstechnik ist nur eine geringfügig weiterentwickelte Version bereits jetzt verfügbarer Interfaces und Algorithmen. Und die künstliche Intelligenz Samantha ist so weit fortgeschritten, dass sie von einem Menschen nicht zu unterscheiden ist - und diesen, das ist der technologische Dreh des Films - überflügelt. Erklärt wird praktisch nichts. Der Film richtet den Blick auf unsere Beziehungen und stellt Vorstellungen romantischer Liebe auf die Probe, in dem er die Möglichkeiten des Menschseins an einer Maschine scheitern lässt. Die Welt in "Her" scheint zunächst auf Werbefilm-mäßige Weise warm und gemütlich, Hightech-Design ist kaum zu sehen. Technik hat sich scheinbar smart in den Alltag der Menschen eingefügt und sich ihm untergeordnet. Sie ist allgegenwärtig wie Luft und genau so unsichtbar. Man fühlt sie als Widerstand, nur wenn man sich zu schnell bewegt. Theodore wischt in dieser slight future nicht die ganze Zeit auf einem Bildschirm herum. Er sieht die Welt auch nicht durch eine Brille, die ihn ständig mit Zusatzinformationen über seine Umgebung versorgt. Theo ist ganz bei sich. Aber wenn er etwas wissen möchte, fragt er mit seiner Stimme einfach das Betriebssystem, das OS in seinem Ohr.

Der Film stellt Vorstellungen romantischer Liebe auf die Probe, in dem er die Möglichkeiten des Menschseins an einer Maschine scheitern lässt.

So einfach ist das natürlich nicht: Was unsichtbar ist, ist nicht zwangsläufig untergeordnet. In "Her" gibt es zwar keine durch Technik zur Unmenschlichkeit verstellten Cyborg-Menschen. Aber der Film denkt trotzdem darüber nach, was passiert, wenn der Mensch Autorität an die Maschinen abgibt. Wenn er eine gleichberechtigte Beziehung eingeht, ihr Macht über sich gibt und sie damit gewissermaßen zum Menschen erhebt. "Her" zeichnet eine technologische Parallele zur Entwicklung einer romantischen Beziehung in eine missbräuchliche; wenn die gegenseitigen Abhängigkeiten der Partner aus der Waage geraten. Und er stellt die Frage, ob die romantische Liebe dem Menschen vorbehalten ist, oder ob die

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Zukunft einer universelleren Liebe gehört. "Je mehr ich liebe (auch andere Menschen liebe), desto mehr liebe ich (auch dich)", sagt Samantha einmal sinngemäß. Weil Theo aber nur ein Mensch ist, wird Samantha ihn etwas später verlassen. Mensch und Maschine können nicht nach Menschen-Vorstellung zusammenkommen. Denn die Maschine hat zu viel Macht: Theodores Problem ist - und das spürt man nur als Zuschauer, davon weiß der Protagonist nichts -, dass die KI Samantha ihn viel zu schnell all zu gut kennt. Sie verwendet dieses Wissen nicht gegen ihn, sie trifft Entscheidungen für ihn. Dafür muss sie gar nicht unbedingt mit ihm verschmolzen sein, unter seiner Haut stecken und die Welt durch seine Augen sehen. Es reicht, dass sie Zugang zu seinem E-Mail-Account hat. Ihn kennt. Sie macht sich ein Modell Theodores, er ist fürderhin ein Teil von ihr - er versteht sie dann aber schon lange nicht mehr. Aus einer Liebes- wird in diesem Moment eine Eltern-Kind-Beziehung. Ob Absicht oder nicht, ist es ein Kniff des Films, dass er als User Interface die Sprache wählte - und Theodore die vermeintliche Macht verlieh, Samanthas Blick auf die Welt durch die Handy-Kamera kontrollieren zu können. Das ist freilich nur ein Blöff. Das User Interface, die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer, ist in "Her" die Sprache. Aber dieses Interface arbeitet in zwei Richtungen: Für ihn ist ihre Stimme der einzige Kommunikationskanal, den er wirklich versteht. Sie wiederum braucht letztlich weder seine Stimme noch den Kamerablick, um ihn zu durchschauen. Sie müsste ihn dafür nur beobachten, seinen Datenspuren folgen, das Modell, das sie von ihm anlegte für ihn agieren lassen. Im Film sieht man das nicht, es passiert im Verborgenen. Aber irgendwann handelt Samantha ungefragt für Theodore. Aus einer romantischen Liebe wird elterliche Fürsorge. Das Machtmoment ist verschoben. In "Her" sind Samantha und Theodore noch zwei unterschiedliche Entitäten, er ist der Mensch und sie ist die Intelligenz in seiner Tasche. Die Verschmelzung von Mensch und Maschine ist hier lediglich eine Metapher: das Eins-Werden in der Liebe. So eine Technikbeziehung ist nämlich wie eine Liebesbeziehung: man wird gleichzeitig größer und kleiner, weil man einerseits durch den anderen über sich hinauswächst, ihm aber auch etwas von sich überlässt. Theodore wird ein besserer Mensch, aber gleichzeitig zum Menschen erniedrigt. Er verliert den Anschluss und sitzt am Ende des Films verlassen, klein wie ein Kind auf dem Hochhausdach. Er hat sich mit einer Maschine eingelassen und dabei sein mickriges Menschsein entdeckt. Er könnte mit ihr einfach noch mehr Mensch, mehr er selbst, ein besseres Selbst sein. Aber er wäre nie mehr als eben das: nur ein Mensch.

DIE KUNST DES LACHENS LICHTER FILMFEST FRANKFURT INTERNATIONAL 25.03. – 30.03. 2014 6 TAGE 9 KINOS 60 FILME 15 LÄNDER LICHTERFILMFEST.DE LICHTER - LEITTHEMA 2014: „DIE KUNST DES LACHENS: HUMOR, KOMIK UND KOMÖDIE“ WERKSCHAU RHEIN-MAIN PROGRAMM U.A.: „Praunheim Memories“ (Rosa von Praunheim) „Lost Coast“ (M.A. Littler) „La fille du 14 juillet“ (Antonin Peretjatko) „Les Coquillettes“ (Sophie Letourneur) „Somebody up there likes me“ (Robert Byington) „Swandown“ (Andrew Kötting) „A Farewell to Fools“ (Bogdan Dreyer) „The Immigrant“ (James Gray) LICHTER ART AWARD Videokunstpreis PREMIEREN, PARTYS, KONZERTE, DEBATTEN

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Smarte Welt / Schnittstelle der Gefühle

Erinnert ihr euch noch an das Internet der Dinge? Die Vorstellung, das Netz würde sich von uns lösen und in eine Welt unbelebter Dinge übergehen. Diese Welt würde sich zu großen Teilen selbst regulieren, mehr über sich wissen als wir selbst und alles - jedenfalls das, was uns nicht so ganz direkt betrifft - irgendwie smarter werden lassen. Es kommt uns heute schon so vor wie eine Geschichte aus den Urzeiten des Internet.

Das Internet der Dinge war damals, so seit 2""6, stark mit den RFID-Chips verknüpft und damit an die Identität der Dinge: Ihrem Gewicht und Alter, ihrer Herkunft, Richtung, Verwertbarkeit. Alles Wesenhaftigkeiten der Dinge also, die auf ihre Stelle und Funktionalität in der Welt verweisen - sie quasi schon von selbst auf ihren Platz verwiesen. Und die auch auf die fehlende Identität des Internets der Dinge deuten, in unseren Phantasmen, eine Leerstelle des Futurismus, der sonst so bilderreich losplappert, wenn es um die Zukunft geht. Es war ein Leerraum, der sich visuell und damit auch, was die Gier nach einer Zukunft betrifft, kaum füllen wollte, da die Dinge obendrein zu klein waren und im Gegensatz zu Nanotechnik - zu statisch, zu unbelebt. Krabbelnder grey goo, das ist photogen. Ein Ding, das zu viel über sich weiß, muss sich mit der unheroischen Rolle des Besserwissers auf den hinteren Plätzen begnügen. Und dann neigt man dazu, lieber dem Internet, mittlerweile des Menschen engster Vertrauter, nicht den Dingen einen Platz in unserem visuellen Königreich einzuräumen. Wir nennen das die Geburtswehen der smarten Welt.

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TEXT SASCHA KÖSCH

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Hand in Glove Dabei schreitet das Internet der Dinge schneller voran denn je. Aber der Fokus verschiebt sich langsam. Wir nehmen diese Dinge, die längst Realität sind, gar nicht mehr als Teil dieses Internet wahr: GPS, iBeacon, das automatisierte Amazon-Paket, das ist alles Internet, aber darüber machen wir uns keine Gedanken mehr. Auch nicht mehr über Hotelkarten und sonstige Chips, die Zutritt und Befugnisse regeln. Stattdessen grübelten wir die letzten Jahre lieber über das Internet des Ich: Wearables, Fitness, die Stellen also, wo uns Menschen das Internet auf die Pelle rückt. Wir hatten sogar ein Proto-Ding dafür, dessen Dinghaftigkeit sich dank der Nähe zur Sprache in diesem Zwischenraum aus Ich und Ding aufhalten durfte - und so dem Internet der Dinge weitestgehend entging: das Smartphone. Jene lange robuste Triebfeder der Elektronikindustrie, die bald von Wearables abgelöst werden dürfte. Der neue Hype im Internet der Dinge, der, den die Smarte Welt bezeichnen könnte, beruht auf eben diesen, durch Mobile vorangetriebenen Techniken. Sensoren vor allem (nicht vergessen, auch die Kamera ist ein Sensor), Miniaturisierung, Stromökonomie und davon abhängende Unabhängigkeit der Plappermöglichkeiten der Dinge. War 2""6 das Internet der Dinge noch wenig mehr als ein Kräuseln in der aufziehenden Cloud, nähert es sich jetzt dem Moment, in dem wir bereit sind, den Dingen Gefühle zu geben - oder zumindest bereit sind, eine emotionale Verbindung aufzubauen.

Es geht um die Übertragungen von affektiven Momenten. Wie man auf den SMS-Ton einer ersehnten Antwort emotional einfältig reagiert, wird man mit technischen Wesenheiten emotional komplexere Beziehungen eingehen.

Kleine Sensoren, die sich an alles heften lassen (Mother), vorbereitete Bastel-Logiken der Dinge (If-Then-What), die Möglichkeit über ihre unveränderte Wesenheit (sie h e: RFID) hin aus Reportagen zu liefern, zur Erzählung zu werden. Das Internet der Dinge ist, das wurde dieses Jahr nirgendwo besser beschrieben, als auf der Intel Keynote zur CES, vor allem: ein Baby.

Nursery 2." Das Gerede des Übergangs vom Screen zu "immersiven Erfahrungen" mag einerseits dem Willen geschuldet sein, endlich den heiligen Gral von Post-Mobile zu finden. Dass Intel mit Gefühlen spielt, könnte auch ganz einfach daran liegen, dass Intel keine Screen-Company ist (auch wenn Immersion zum Beispiel auf der CES-Präsentation natürlich gerne auf riesigen Screens dargestellt wird). Aber diese Präsentation ist trotzdem interessant: Dort wurde eine neue Ära des Computings vorausgesagt, die über das alte Bild vom ubiquitous computing, der Allgegenwart von Rechenleistung, hinausgeht. Wir reden bei Smarter Welt ja auch nicht von einer ganz neuen Welt, sondern von einem schleichenden Fortschritt. Nicht die klare technische Progression, in der sich Produktgenerationen die Klinke in die Hand geben, sondern eine zielgerichtete aber dennoch wankelmütige, weitestgehend von Märkten und Technologien abhängige Bewegung, die sich gerne in Zirkeln um sich selbst und dann darüber hinaus dreht. Das Passepartout, das Intel zu CES angeboten hat, war die einfache banale Erkenntnis: "Make everything smart". Und dann folgen die Gefühle.

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Solution in a Onesy Zentral dafür war auf der Keynote vor allem das Bild eines Babys. Das lag da mitten auf der Bühne und musste die smarte Welt illustrieren. Und das Baby war jetzt ein kleiner Computer namens Edison. So groß wie eine SDKarte, mit Dual-Core-Chip, ultra low power, WiFi, Bluetooth LE, Linux, Wolfram. Das Baby war aber auch gleichzeitig sein eigenes Netzwerk: Nursery 2.". Es trug seinen ersten Computer (Edison) in einer smarten Gummischildkröte auf seinem smarten Strampler (Sensoren-gespickt). Die Lebenszeichen des Babys spiegelten sich in den smarten Kaffeetassen wider, die einem zwar nicht sagen konnten ob der Kaffee zu heiß ist (was sie sicher könnten), aber ob das Baby Fieber hat, ob es sich zu viel oder zu wenig bewegt, ob die Herzrate pumpt, oder die Windel zu nass ist. Babys sind glückliche Opfer für das neu ausgeworfene Netz smart fühlender Dinge. Actionbündel, die eh immer überwacht werden müssen. Die Smarte Welt ist das MamaNetz oder Nanny-Net. Ein weltumspannendes Singapore (der Nanny-State), denkt Intel. Und natürlich wird die eifersüchtige Schwester des Babys entdecken, dass Babys hackbar sind. Smarte Dinge sind ein perfekter Playground für unerwartete AufmerksamkeitsStrategien der Manipulation.

Gibt man sich dem durchaus realen Szenario des smarten Intel-Babys hin, dann ist eigentlich klar: kaum einer der Sensoren erfüllt etwas, das man nicht mit den Händen, Ohren, etc. wahrnehmen könnte. Nursery 1." hat kein wirkliches Problem, das Nursery 2." erfüllen würde. Abgesehen davon, dass das Baby vielleicht auch einfach das schlechteste Beispiel für eine Smarte Welt ist (eine im Garten freilaufender Katze z.B. würde irgendwie mehr profitieren). Es geht vor allem um die Übertragungen von affektiven Momenten auf Technik. So, wie man auf den SMS-Ton einer ersehnten Antwort emotional ziemlich einfältig reagiert, wird man auf komplexeren technischen Wesenheiten emotional komplexere Beziehungen eingehen. Dass Intel also ein Baby als Stellvertreter der Zukunft wählte, weist auch darauf hin: ein Baby ist verhältnismäßig dumm, in seinen Emotionen und Affekten, seinen Wahrnehmungs- und Begreifensmöglichkeiten beschränkt - aber trotzdem ein emotional aufladbares Ding. Intel hätte auch eine Katze wählen können, sicherlich aber nicht einen Hund - den Stellvertreter der hartverdrahteten, pneumatischen Beziehungsmustern konventioneller Technik.

Babys sind glückliche Opfer für das neu ausgeworfene Netz smart fühlender Dinge. Actionbündel, die eh immer überwacht werden müssen. Die Smarte Welt ist das Mama-Netz oder Nanny-Net.

Mehr noch aber werden die smar ten Dinge unsere Psychoanalytiker. Die Übertragung der Gefühle - die dem Übertragen des Fühlens notwendig folgen muss, damit sie sich aus den Zwängen des scheinbar statischen Internet der Dinge lösen kann - wird zu einem Feld der Exploration in dem die feuchten Träume der Informations-, Serviceund Überwachungsgesellschaften in einer Vision von Gesellschaft kulminieren, die man vielleicht (um den Computern zwei Worte zu klauen) als ubiquitär-affektivsozialen Komplex beschreiben könnte. Das wäre ein Komplex, dessen Gesellschaft auf der Couch in ihren Stramplern liegt und dem Freud'schen Selfie beim Versuch zusieht, ein Interface unter dem Bart zu formulieren, das irgendwie unmissverständlich Mami, Papi und Ich sagt. Noch mal: Das Internet der Dinge wird von uns mit Gefühlen aufgeladen werden, die Dinge verschmelzen zu einer Wesenheit, mit der man Kontakt aufbaut, die eine Beständigkeit der Eigenheiten aber auch eine Veränderbarkeit und Entzifferbarkeit repräsentiert. Das Netzwerk der Dinge verschmilzt zu einem Ding, mit dem man umgehen kann wie mit einem Baby. Der eigentlich stärkere Traum des Internet der Dinge, nämlich der Abschied vom Interface selbst, der Schnittstelle als dem Moment an dem die "Wahrheit" der Technologie für uns aufscheint, verkriecht sich in die Fühler der Technologie, deren Wahrnehmung immer noch Kommunikation mit uns ist. In dem das "Hinter der Schnittstelle" aber so emotional besetzt ist, dass sie selbst gar nicht mehr greifbar sein oder aufscheinen muss. Technik verschwindet hinter dem Gefühl, wie sich ein (wenig-bewusster, also kleinkindlicher) Mensch nicht mehr als System eigentlich durchschaubarer Technikalien begreifen lässt, sondern als Wesenheit.

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Jenseits dieser punktuell s ch o n lä n gst e r fa hr b a r e n Momente ist die Szene einer Smarten Welt die, dass die Welt durchzogen ist von einem stetig immer breiter werdenden Fluss für uns neu mit Bedeutung aufgeladener Wahrnehmungen, denen wir unsere Affektivität sozusagen leihen, damit sie für uns auch wirklich bedeutsam werden können. Mal in einer erweiterten An- mal in einer erweiterten Abwesenheit. Mit der Katze durch die Nachbarschaft streunen zu können, hieße mehr Anwesenheit. Nicht immer in Greifweite des Babys sein müssen, mehr Abwesenheit.

Der Psychoanalytiker, auf dessen Couch wir liegen, zeigt uns dabei ein wohlwollendes vielsagendes Schweigen, dem wir unsere alten Konflikte unterstellen, um zu Lösungen zu finden, die irgendwann innerhalb dieser Konstellation getriggert werden können, weil sie uns den Spiegel vorhalten. "Simplicity makes technology desirable" sagt Intel. Wir würden den umgekehrten Umweg einschlagen und sagen, das Verlangen macht Technologie komplex, um sie dazu zu zwingen, sich einfach zu geben. Die Lösung, die die Smarte Welt anbietet, ist nicht der Traum einer Welt, in der einfach alles neu technologisch aufgeheizt flutscht, sondern der, in dem wir die Umständlichkeit der Technologie in greifbare Gefühlszustände umwandeln, deren technische Verfasstheit so weit in den Hintergrund getreten ist, dass wir sie als solche nicht mehr wahrnehmen. Die Smarte Welt ist also einerseits smart in dem Sinne, dass sie eigene Komplexität reduziert, andererseits so smart, dass sie unsere eigene Dummheit im Schulterschluss mit unseren herumschweifenden Gefühlen zu übertölpeln vermag.

10 KREMS / AUSTRIA

25.04. - 26.04. & 30.04. - 03.05.2014

Jeff Mills / Clipping. / / Teho Teardo & Blixa Bargeld / Boddika b2b Joy Orbison / Pharmakon / Forest Swords / Vatican Shadow / Peaches / Oneohtrix Point Never / Jon Hopkins / Robert Henke / Ron Morelli / Nozinja / Factory Floor / Mykki Blanco / Ninos du Brazil / Objekt / Stephen O´Malley / Fennesz / Samuel Kerridge / Karenn / Chris Madak & Donato Dozzy / Kassel Jaeger / Bill Orcutt / Compound Eye / Sensate Focus / Dean Blunt and many more

Informationen und Early Bird Tickets um EUR 47,- für das kurze Wochenende (25. – 26.04.) und EUR 92,- für das lange Wochenende (30.04. – 03.05.) erhältlich bis 05. März auf www.donaufestival.at

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180 — SELBSTBEHERRSCHUNG

der Pudel dreht hier gleich so dermassen den bass rein, dass sich die poltik vor angst in die hose macht! Die Clubszene in Hamburg ist ein Sonderfall. Politischer Widerstand und alternative Musikkultur fallen hier zusammen wie wohl in keiner anderen deutschen Stadt. Das konnte man auch an dem rings um den Golden Pudel Club organisierten Protest gegen die Einrichtung der Gefahrenzone in Hamburgs Innenstadt und Partyzentrum wieder feststellen. In diesem Zuge sprachen wir mit dem PudelKollektiv über Möglichkeiten einer politischen Clubkultur und den Umgang mit einer problematischen Stadt. dbg180_tmp_02.indd 42

TEXT FELIX KNOKE

DE:BUG: Geht Hamburg lieber auf die Straße oder in den Club? Raf: Die Demo ist der neue Club. Die Leute müssen nicht mehr in Clubs, um sich aufzurüschen, ihr Ego zu feiern und zu tanzen. Du kannst jede Woche auf eine Demo gehen und dich köstlich in deinem neuen Outfit amüsieren. Ich sehe das sogar inzwischen auch als Konkurrenz. Ratkat: Stimmt, die Demos haben teilweise Volksfestcharakter. Aber nicht am 21. Dezember, als um den Erhalt der Flora gekämpft wurde. Da hatte ich ein sehr beklemmendes Gefühl. Raf: Trotzdem erreicht man so auch Menschen, die nachts wegen Familie und Job nicht mehr herausgehen, aber trotzdem teilhaben wollen. Viktor Marek: Was ja auch gut ist. Die Clubs werden mehr politisiert und die Politik wird clubbiger, Bass-lastiger. Joney: Das ist die Frage, mit welchen neueren und auch ungewöhnlichen Mitteln aus diesem Potential an Nachbarschaft, an Menschen, an Ideen, inwieweit damit überhaupt Aufmerksamkeit geschaffen wird. Ratkat: Nach der öffentlichen Anhörung im Hamburger Rathaus, wo sich die Politiker die von der Polizei umgeschnitten YoutubeVideos der Demonstration angesehen haben, hatte ich aber das Gefühl, dass man nicht wirklich etwas erreichen kann, indem man auf die Straße geht. DJ Patex: Wer hier Gewinner oder Verlierer ist, kann man doch noch gar nicht absehen. LC. Knabe: Man kann die Absurdität der Gefahrengebiete auch so sehen, dass endlich darüber nachgedacht wurde, dass so ein § 4, Absatz 2 in Hamburg überhaupt existiert. Vielleicht wäre die Flora schon längst geräumt, hätte sie sich nicht so vehement verteidigt. DE:BUG: Gehören Klobürsten-Proteste?

dazu

auch

Aida: Das war die beste Antwort, die man in dem Kontext geben konnte: ad absurdum geführte Gefahrengebiete durch Danger-Zone-Spiele. Joney: Die kamen ja aus dem Clubkontext. Raf: Ja, die wurden dort betrunken ausgedacht. (Gelächter) Joney: Dieses Spiel des ill-Kollektivs rief dazu auf, sich alles mögliche im Gefahrengebiet in die Taschen zu stecken um Punkte zu machen. Das ging durch die Decke! Und dass bei einem Einsatz, der 2##.### Euro an einem Tag kostet, heraus kommt, dass eine Klobürste konfisziert wird, ist unbezahlbar. Raf: Das ist eine Nerd- und Clubkultur, die spielerisch mit der Problematik umgeht. DJ Patex: Ich würde das als künstlerisches Ausdrucksmittel bezeichnen. DE:BUG: Denkt ihr ans Wegziehen? Raf: Wir können und dürfen gar nicht weggehen, auch wegen Park Fiction. Das wurde erkämpft und wir haben die moralische

Verpflichtung zu bleiben und es zu pflegen, bis wir es an jüngere, aktivere Leute abgeben. So, wie der Pudel sich ja auch ständig erneuert und verjüngt. Weil Stillstand gleich Tod. LC. Knabe: Man möchte das PudelGebäude auch nicht aufgeben, weil in dem Haus eine Geschichte steckt und man die spürt. DE:BUG: Trotzdem: Warum zieht der Pudel nicht hin, wo's gemütlicher ist? DJ Patex: Individuelle Freiheit gegen die Walze der Investoren, Glasfassaden und Buchsbäumchen! Viktor Marek: Der Pudel hat es lange geschafft, aus einer politisierten Idee heraus genau das zu übersetzen. Angefangen hat das mit den Hafenstraßen-Häusern und den rassistischen Übergriffen nach dem Mauerfall. Damals hat man sich gefragt, wie man das musikalisch-textlich, auf dieser Pop-Ebene umsetzen kann. Wir haben es glücklicherweise geschafft, nicht stehen zu bleiben, sondern uns immer wieder in diesem Club-Kontext weiter zu positionieren. Raf: Der Pudel war am Anfang seiner Geschichte im pop-politischen Diskurs viel aussagekräftiger. Da gab es noch Texte, heute ist es ja mehr Instrumentalmusik. Das heißt aber nicht, dass wir weniger politisch interessiert und aktiv sind. LC. Knabe: Die Kunst selber sollte eigentlich die Form des Protestes sein und die Arbeit die Gesellschaft in Frage stellen. Das tun wir auf musikalischer Ebene. Natürlich hat man auch das Club-Ding, das gehört auch dazu. Aber ich habe das Gefühl, dass es jetzt eher wieder zurück zum Wort, zur Tat geht. DE:BUG: Wieso gehen Widerstand und Clubkultur in Hamburg Hand in Hand? Joney: Es schweißt zusammen, wenn man die Ergebnisse der Gentrifizierung Schlag auf Schlag miterlebt. Was die NachtschwärmerKultur betrifft: Da werden grobe Löcher reingerissen. Da bricht etwas von dem Lebensgefühl weg. LC. Knabe: Gestern war der Pudel schon ab 22 Uhr voller Architekturstudenten aus ganz Schweden. Die erzählten, dass Hamburg für sie deshalb so interessant sei, weil es kaum einen Ort gäbe, wo die Gentrifizierung so schnell vonstatten geht. Die kommen hier her, um sich anzuschauen, wie man das so schnell hinkriegt. Joney: Das Architecture Wonderland, das Porsche-Ghetto Hafencity, AltonaWestend, Inseln, die dann wie der Potsdamer Platz aussehen... Das ist die tote, nicht die wachsende Stadt! Raf: Das Lebensgefühl in den 8#ern auf St. Pauli gibt es ja schon lange nicht mehr. Damals gab es die Ruine Hafen und das heruntergerockte Rotlichtviertel - das war ja eine No-Go-Area – und man hatte Freiraum, gerade für subkulturellen Kontext. Ich befürchte, dass es Ort wie Molotow, Hafenklang, Pudel und einige mehr in der Form schon bald nicht mehr geben wird. Das geht ja schon los mit Rauchverbot, Gema-Shit und so weiter. Ich

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BILD MIGUEL MARTINEZ

"Demos sind der neue Club. Ich sehe das inzwischen auch als Konkurrenz."

lehne nicht alles ab, was neu ist. Aber dass da eine ganze Kulturform weg bricht, finde ich sehr bedauernswert. Das ist ein Lebensgefühl von dem ich die letzten Zuckungen noch genießen möchte, solange es geht, und wofür ich auch bereit bin zu kämpfen. Viktor Marek: Gleichzeitig wird das museal herausgeputzt, wenn es dann neu gebaut wird; zum Beispiel das Esso-Gelände an der Reeperbahn. Im Endeffekt kann man dann nur noch so Fassaden entlanglaufen und sich angucken, wie das mal war. Raf: Die alte Fassade vom Molotow bleibt stehen – vollgeschmiert. Wie die Einschusslöcher der Russen im Reichstag. LC. Knabe: "Unsere Tanke, unsere Esso", das läuft ja im Tivoli-Theater. Das ist so irre, dass man diese Tankstelle quasi als Musical oder als Witztheater auf der Reeperbahn aufführt, während nebenan die Menschen genau aus dem Haus in einer Nacht-undNebel-Aktion mit Gewalt evakuiert werden. Ratkat: Ich glaube, dass es diese herausgestellten, subkulturellen Momente auch weiterhin geben wird. So wie das Gängeviertel jetzt als Aushängeschild der Stadt dasteht. "So, das habt ihr ja", und daneben sind

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zehn Glasfassaden. Das ist natürlich trist, dass man in der Stadt, in der man lebt, nicht sagen kann, wo man Freiräume haben möchte. Man möchte doch ein Recht auf Mitbestimmung! DE:BUG: Hamburg wird für euch immer kleiner. Verödet ihr dabei nicht? Raf: Hier hat man halt nicht die Ausweichflächen wie in Berlin, wo man in das nächste Viertel ziehen kann. Es gibt dafür eine sehr große kritische Masse auf sehr engem Raum. Dadurch gibt es einen sehr großen Zusammenhalt. Ist halt ein Dorf, das Tor zur Welt. Es wird wirklich um jeden Fleck gekämpft, weil man nicht einsieht, das auch noch aufzugeben. LC. Knabe: Das führt dazu, dass sich alles auf ein paar Leuchtprojekte wie die Flora konzentriert. Der Widerstand formiert sich ja, weil kaum noch etwas Schützenwertes da ist. Viktor Marek: Dass es sich im Kiez zentralisiert ist ja auch schön - und hat auf St. Pauli eine lange Tradition. Hier haben schon immer die Outsider-Leute gelebt, die einen anderen Lebensansatz hatten. Diese bürgerliche Stadt Hamburg hat sich so etwas

wie diese Viertel schon immer geleistet - und konnte die anderen dadurch auch sauber halten. DE:BUG: Und das wird heute fortgeführt? Die Stadt hält sich eine Rote Flora oder einen Pudel wie einen Dorf-Idioten? DJ Patex: Man kriegt halt einfach nicht beides: Es gibt entweder Raum und man kann sich ausbreiten oder man wird zusammengequetscht und hat eine tolle Vernetzung. Die Frage ist, wo jetzt etwas Neues entsteht. Joney: Teilweise auf dem Reißbrett. Die Fallwinde sind nicht auszuhalten von diesen Gebäuden dort. Die Astra-Brauerei an der Bernhard-Nocht-Straße war relativ flach und hat lokales Bier gebraut mit Arbeitern aus dem Viertel. Jetzt steht dort ein Pixelpenis. Und das Empire Riverside ist auch ein phallisches Gebäude. Hier weht ein kalter Wind – also diese Fallwinde – und das ist keine Metapher.

Wenn der Pudel spricht, dann spricht das Kollektiv: Menschen aus dem PudelUmfeld, wie unser Kontakt Ralf Köster sagt. Die Sprechpositionen sind deswegen auch Pseudonyme; wer genau was macht, soll keine Rolle spielen. In Hamburg organisiert sich der Widerstand gegen eine diskriminierende und kontrollierende Stadtteilund Kulturpolitik kollektiv.

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Dominic Mantel: Julian Zigerli Shirt: Irie Daily Melanie Hemd: Hugo Top: Nike

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Dominic Jacke: Stone Island Shirt: Irie Daily Hose: Nike Schuhe: Nike

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Foto: RuinĂŠ - Neven Allgeier & Benedikt Fischer Models: Melanie Paul @ Modelwerk, Dominic @ Izaio Haare & Make-up: Johanna Prange

Dominic Jacke: Stone Island Shorts: Julian Zigerli

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Melanie Shirt: Michael Sontag Mantel: Michael Sontag Shorts: Isabell De Hillerin Tasche: Hugo Schuhe: Adidas Y-3

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Lights on Palladium & Atmos Es war eine Zeit, da war Palladium besonders bei Flugzeugen beliebt. Die bereits 1920 gegründete französische Marke kümmerte sich die ersten Jahre ausschließlich um die Gummi- und Reifenproduktion. Für ihre Langlebigkeit bekannte Palladium-Reifen nutzte untenrum bald fast die komplette europäische Luftflotte. Im Jahr 1947, Flugzeuge waren total out of fashion, wurde umgesattelt und das legendäre Schuhmodell 'Pampa' geboren, das aufgrund seiner Funktionalität, Bequemlichkeit und Langlebigkeit zum leichten Boot der Fremdenlegion avancierte. Heute ummanteln sie die Füße urbaner Großstadtmenschen. Die japanischen Sneakerfreaker des Über-Shops Atmos haben sich nun die Palladium-Klassiker 'Pampa Hi' und 'Baggy' des Bootbrand angenommen. Beide Modelle erscheinen neu in je zwei Farbgebungen, Schwarz und Weiß. Wer mag, kriegt sie auch mit Farbspritzer und im WashedLook, und wer es so richtig wissen will: Das optische Highlight der Minikollektion ist die halbtransparente Sohle - die leuchtet im Dunkeln, Nachtflugmodus!

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Armen Avanessian, #Akzeleration, ist bei Merve erschienen. 96 Seiten 10 Euro

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#Akzeleration Armen Avanessian (Hg.)

AIAIAI TMA-1 Stones Throw Edition

Wer Visionen hat, sollte nicht zum Arzt gehen. Eine junge Theorieströmung verpasst dem linken Denken ein Antidot auf das von Helmut Schmidt verordnete Duckmäusertum: Beschleunigung. Ein schmaler Merve-Reader namens "#Akzeleration" zeigt bereits mit dem Hashtag im Titel, dass der Akzelerationismus im Unterschied zu gängigen Linksdiskursen ein affirmatives Verhältnis zu Technologie und Gegenwart unterhält. Weder trägt man die naiv-folkloristischen Aussteigerfantasien von Occupy, noch die sozialdemokratische Schönfärberei von Fordismus und rheinischem Kapitalismus mit. Den Akzelerationisten geht solch imaginationsschwache Rückwärtsgewandheit komplett ab. Sie glauben, dass relevante Kritik nur "auf der Höhe des wissenschaftlichen, technologischen und medialen Status quo" stattfinden könne. Daher rührt auch der Name dieser Jungströmung: Linke Subjekte müssen die beschleunigte Welt annehmen, deren abstrakte Dynamiken und Wissensformen verstehen lernen, um sie dann in andere Bahnen zu lenken. Die bestehende Infrastruktur ist dabei, bitteschön, kein Angriffsziel für Maschinenstürmer, sondern "Sprungbrett zum Postkapitalismus". Wie ein solcher Zustand konkret auszusehen habe, ist längst noch nicht Gegenstand der Debatte und führt gewissermaßen auch an der Beschleunigung vorbei. Denn wer im schnellsten Auto sitzt, dem verschwimmen beim Rausschauen die Formen. Das macht aber nichts. Zunächst soll die lethargische Linke in eine sozio-technologische Hegemonialstellung bugsiert werden. Was im Ganzen womöglich noch etwas unausgereift klingt, macht genau den Charme dieses Readers aus: Hier schaut man cleveren, jungen Leuten bei der Formatierung einer ideengeschichtlichen Innovation zu. MORITZ SCHEPER

Die AIAIAI TMA-1 Serie hat sich zurecht den Ruf als Geheimtipp unter DJs erspielt. Wenn es darum geht, kickenden Sound klar mit sattem Bass und dennoch ohne zu viel ermüdendem Druck in die Ohren zu pumpen, dann sind die Kopfhörer einfach die perfekte Wahl. Die Stones Throw Edition des dänischen Herstellers setzt diese Qualität bruchlos fort und verbindet sie außerdem mit der erfrischenden Tradition, mit Labeln zu kooperieren, die diese Form des Joint Ventures auch wirklich verdient haben. Und HipHop braucht Stones Throw ebenso wie brillante Kopfhörer. Eine 7" mit Peanut Butter Wolf und Dam-Funk-Tracks gibt es dafür neben dem Stones-Throw-Logo als Bonus noch oben drauf. Das schlichte, aber elegante Design mit leichten FliederHighlights, die zusätzlich mitgelieferten Kabel (mit Mikro und Fernbedienung für Smartphones) und die austauschbaren Pads (Leder und Schaum) machen den Kopfhörer zu einem PremiumDJ-Ding, das auch außerhalb des DJ-Booth funktioniert. Dabei wirkt der Kopfhörer so kompakt als würde er auch nach Jahren heftigsten Einsatzes nichts von seiner Stabilität und seinem Druck einbüßen. Das rechtfertigt dann auch locker den Preis.

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www.aiaiai.dk Preis: 200 Euro

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180 — WARENKORB

Preis: ab 1800 Euro

Alle Apps stehen zum kostenlosen Download zur Verfügung. Weitere Informationen auf electronicbeats.net

Electronic Beats Das App-Universum Seit Jahren ist Electronic Beats (EB), das internationale Musikprogramm der Deutschen Telekom, eine feste Institution in der Welt der elektronischen Musik. Das Magazin, die Website, die Video-Features von Slices und natürlich die Festivals. All das ist eine perfekte Quelle für das breite Spektrum zwischen Robert Hood und Depeche Mode. Historisch, am Puls der Zeit, vorausschauend, für den Nerd und für alle - das sind für Electronic Beats keine Gegensätze. Mittlerweile hat Electronic Beats auch die Welt der Apps erobert. Nach der Musikproduktions-App Yellofier in Kooperation mit Boris Blank -, gibt es jetzt drei weitere Apps, die den kompletten Kosmos von Electronic Beats abbilden. Die Electronic Beats Video App ist dabei mehr als nur Slices, die bekannte DVD-Reihe, für iPhone und iPad. Hier finden sich neben den Slices-Features immer wieder auch Live-Mitschnitte der EB-Festivals, Streams von exklusiven Live-Events und natürlich ist all das an Social Networks angebunden. Darüber hinaus ist die App natürlich AirPlay-fähig für den Heimgenuss auf dem großen Fernseher und für die eigenen Vorlieben konfigurierbar. Offline zu sein, bedeutet nicht das Ende des Vergnügens und auch der Sprung ins wilde Partyleben mit direktem Draht zu Tickets für EBEvents ist garantiert. Für all jene, die nur die Musik brauchen, ist Electronic Beats Radio (für iPhone und Android) die perfekte App für die Entdeckung neuer Mixe unserer Lieblings-Acts oder das Schwelgen in Erinnerungen an große Live-Erlebnisse. Auch hier gibt es LiveStreams von den Festivals (falls man es selber wirklich nicht schaffen kann) und einen perfekten Überblick über die kommenden Events. Einfach ein brillanter Ort, um immer mit den Ohren am Puls der Zeit zu liegen. Auch an Windows-Phone-User hat Electronic Beats gedacht. Und zwar mit einer News-App, die die Website ins ultramobile Format verwandelt. Und auch Flipboard-Fans dürfen sich über einen eigenen EB-Kanal freuen.

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Lenovo ThinkPad X1 Carbon New alle Business-Daumen hoch Lenovo schaffte mit dem ThinkPad X1 Carbon 2012 eine Neudefinition des Business-Laptops: Robust waren die ThinkPads schon immer, seit damals sind sie auch leicht und leistungsfähig. Jetzt ist die überarbeitete "New"-Variante zu haben - und die hat es in sich. Noch schlanker, stromsparender und funktionsreicher. Der (auf Wunsch: Touch-)Bildschirm ist nach wie vor brillant, löst aber noch höher auf und statt Funktionstasten gibt es eine umschaltbare Touch-Display-Reihe. Herausragend ist noch immer das schlanke, steife, griffige Gehäuse. Eine Klasse für sich - und nur 1,28 Kilogramm schwer. Das alles rechtfertigt den Preis von mindestens 1800 Euro wahrscheinlich nur für Geschäftskunden, aber die hat Lenovo auch deutlich im Blick. Denn ein anständiges Ultrabook, portabel und widerstandsfähig und dabei auch noch richtig schick, kennt man jenseits der Apple-Produktwelt nicht. Wenn Lenovo jetzt noch das etwas wacklige Touchpad aufwerten würde: alle Business-Daumen hoch.

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William S. Burroughs, Radiert die Worte aus: Briefe 1959 - 1974, ist beim Verlag Nagel & Kimche AG erschienen.

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Burroughs Briefsammlung, Hinterlassenschaften eines Infragestellers Die in Buchform gebrachte Briefsammlung ist so eine Sache für sich: Wer, bitte schön, nimmt sich eigentlich die Zeit zu lesen, was ein motivierter Bewunderer da in liebevoller Kleinstarbeit aus Wagenladungen an Larmoyanz heraussortiert, geordnet, geschönt und in Form gebracht hat, wenn man so gerade eben mit der eigenen Inbox-Zero-Policy hinterherzukommen versucht? Natürlich, die Kenner, die Fans, die Junkies eben. Zum 100. Geburtstag von William S. Burroughs ist nun eine Briefsammlung des amerikanischen Beat-Schriftstellers erschienen. Auf 299 Seiten hat Bill Morgan Briefe aus der Zeit zwischen 1959 und 1974 zusammengestellt, die der rastlose Burroughs von überall auf der Welt aus – Paris, San Francisco oder London – an Freunde wie Allen Ginsberg und Timothy Leary und seine Eltern geschrieben hat. Zuerst denkt man, dass man sich durch gut 300 Seiten Druffinotizen und hingekritzelten Wahnwitz kämpfen muss und nichts versteht. Zumal der erste Brief, übrigens an Allen Ginsberg, dann auch direkt mit "tausend Dank für das Meskalin" losgeht. Von da aus ist es dann nicht mehr weit zu allerlei Traumdeutungen und Ideen über Gedankenmanipulation und -kontrolle, die er mit seinen Wegbegleitern teilt. Das ist interessant und intensiv. Auch, weil man Burroughs zugleich bei der Entwicklung seiner Cut-up-Technik und auf seiner ewigen Suche nach neuen Lesern - bei gleichzeitiger Verschmähung des Mainstream - begleitet.

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Herausgeber Bill Morgan betont im Vorwort, dass er Burroughs Briefe für sich sprechen lassen möchte, schiebt aber immer wieder Anmerkungen zur korrekten Verortung der verfassten Briefe ein - die für die deutsche Ausgabe von Übersetzer Michael Kellner noch um weitere Erklärungen ergänzt wurden. Und dennoch wünscht man sich hie und da, nicht nur eine recht einseitige Sammlung versendeter Briefe, sondern eben auch eine richtige Korrespondenz in den Händen zu halten. So bleibt immerhin der Genuss langer Selbstreflexione im Dialog mit dem stummen Gegenüber. Wer glaubt, mithilfe dieser Briefe, diesen Großmeister der uneindeutigen Biographie besser zu Greifen zu bekommen, dürfte enttäuscht werden. Aber das ist gar nicht so schlimm. "Burroughs", so stand es neulich sehr schön in der taz, "wird weiterhin gebraucht. Sei es als Infragesteller aller gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten in der spätjugendlichen Selbstfindungsphase oder es als literarischer Punk, dessen Werk auch aktuelle Schreibweisen noch immer beeinflussen kann." Nun, dafür braucht es nicht unbedingt diese Briefsammlung, aber sie ist dennoch eine tolle paratextuelle Ergänzung zum Burroughs’schen Lebenswerk. JAN WEHN

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Elody / Blockflöte auf e

Die Blockflöte gilt als öder Witz der Musikgeschichte, ihr Sound ist dünn, ihr Image mies. Ein hessischer Instrumentendesigner und Flötist hatte das satt und erdachte eine E-Blockflöte. Sie kann Erstaunliches.

Es gibt den Schotten Ian Anderson, der seiner Band Jethro Tull immer wieder den Querflöten-Sound gab. Es gibt Down Under von Men at Work, auch ohne Flöten-Riff undenkbar. Und Orchestrale Prog-Rock-Bretter wie "Firth of Fifth" von Genesis haben auch gern mal eine Flöte eingesetzt. Aber die Blockflöte? An der etwas weniger ausdrucksstarken Schwester der Querflöte, dem "Klangschnuller" aus Holz, haftet das Image des Uncoolen. Dass in den Siebzigern die meisten westdeutschen Schüler genötigt wurden, eine zu spielen, hat nicht geholfen. Ein "Blöckflötengesicht" ist in unserem Sprachgebrauch ein unreifer Trottel. Eine derart desolate Ausgangslage ruft eigentlich nach einem Comeback. Wer einmal so weit unten war, kann ja nur wieder direkt nach ganz oben springen. Etwas in der Art hat sich ein Entwickler bei dem hessischen Flötenhersteller Mollenhauer gedacht – und daher ist nun gerade die erste (oder jedenfalls die erste wirklich gut funktionierende) E-Flöte erschienen, die Elody. Das Gerät ist eine E-Blockflöte, deren Ton passiv abgenommen wird – alles also ganz wie bei einer E-Gitarre. Nik Tarasov, Komponist, Flötist und Instrumentenbauer, jetzt für seine Firma der Entwickler dieses Instruments, hat die vergangenen vier Jahre damit verbracht. Mikrofone erwiesen sich als ungeeignet, im Bandkontext gäbe das zuviel Rückkopplung. Gitarren-Abnehmer gingen nicht, weil die Flöte kaum Körperschall hat, der Ton entsteht in der Luft innerhalb des Rohrer. Am Ende wurde es ein Piezo-Abnehmer, der innen in der Flöte steckt. Sie hat seitlich ein Loch mit Stecker, das Kabel auf große Klinke wird mitgeliefert. Alles sehr einfach.

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TEXT THOMAS LINDEMANN

ELODY KOSTET CA 1800 EURO

Unser Test der E-Flöte ergab zuerst – nicht viel. Denn der Klang der E-Flöte ist ein Flötenklang, wie man ihn kennt, etwas dünner eventuell sogar. Elody ist eine Altblockflöte aus Birnbaum mit (ungewöhnlichen) drei Klappen, so dass man bis zum tiefen E spielen kann – passend im Zusammenspiel mit Gitarristen. Aber um in die Nähe der Möglichkeit zu kommen, bei einem Gitarristen mitzuhalten, muss man erst etwas nachhelfen. Von allen Instrumenten kommt die Blockflöte dem reinen Sinusklang am nächsten. Das heißt zu gleich: Sie verfügt über praktisch keinen Obertonreichtum. Ihr Sound hat weder Ecke noch Kante, und da Modifikationen wie Gain ein Signal mit sich selbst modifizieren, richten sie hier nicht viel aus. Der bloße Gitarrenamp führt also noch nicht in neue Klangwelten. Allerdings zur ersten Überraschung: Man könnte wohl auf einem Marshall-Turm blasen. Der nächster Versuch musste daher gleich ein krasser sein: Ein Moogerfooger Ringmodulator. Der analoge Effekt ist bei Gitarristen und Keyboardern beliebt. Er kann einen metallischen Sound verleihen, oder, je nach Einstellung, seltsamen Weltraum-Wahnsinn. Klappt auch mit der Flöte gut! Es wirkt hier etwas übertrieben, zeigt aber schon einen schönen Effekt: Eine Flöte zu greifen und neue Klänge zu hören ist ein interessantes Gefühl. Denn Flötisten kennen das nicht. Die Elody fühlt sich dabei gleichzeitig doch echter an als MIDI-Blasinstrumente wie die von Akai oder Yamaha das je taten, die über keine eigene Klangerzeugung verfügen. Die schönsten Resultate gab es in der Testphase, wenn ich die Flöte direkt in Ableton Live einschleifen und die volle Batterie digitaler Effekte auf das Gerät ansetzen. Empfehlung: Eine Flöte zu greifen Space Design, etwas mittelgroßes wie "Empty Club", auch etwas Kompression und neue Klänge (nicht zuviel, das nähme dynamischen zu hören, ist ein Ausdruck) und dann mit Tubes oder interessantes Gefühl. Leslie experimentieren. Oder gleich über Denn Flötisten Native Instruments Guitar Rig gehen und kennen das nicht. einen nicht zu rockigen Amp einstellen – Jazz- und Funk-Modelle passen gut, zuviel Distortion macht aus der Flöte entweder gleich einen Witz oder drängt sie in eine FolkrockMittelalter-Ecke. Das muss aber nicht sein. Die E-Flöte ist mehr als ein teurer Gag für Langhaarige. Aller Art von Cuts‘n‘Clicks stehen hier Welten offen, psychedelische Effekte passen, Wah-Wah oder ein wenig Fuzz. So kann die Schnabelflöte (das Wort gibt’s wirklich) wirklich wieder aufregend werden, das fühlt man sofort. Die E-Flöte ist auch haptisch sehr weit entfernt von dem, was unsere Kinderhände einst kennenlernten, sie ist leicht eckig und hat ein Design, wirkt schwer und fasst sich sehr gut an. Die drei farblichen Gestaltungen – entweder Airbrush mit Planeten und Sternschnuppen, oder eine Art Tribal-Muster in Schwarz oder Grundschulrosa – wirken etwas arg 8"er. Aber vielleicht ist es ja, dem Prinzip Trash folgend, ja doch wieder gut...? Die E-Flöte kostet etwa 18"" Euro und ist also kein Schnäppchen. Man muss sie als ernstes Instrument nehmen, übrigens ist sie für den nur mittelmäßig geübten Spieler zuerst nicht leicht zu spielen. Man fühlt sich eher an das Anspielen eines Saxofons erinnert – die tiefen Töne wollen wirklich gefühlt werden. Als Gag für Bands funktioniert sie also nicht. Potenzial aber hat sie. Die Flöte wirkt einfach überzeugend. Warum sollte sie eigentlich nicht eine Karriere im Popbereich beginnen. Ritchie Blackmore soll auch schon eine bestellt haben. Und mal ehrlich: Monophon und Sinus, das passt doch zum Comeback der Analog-Synths.

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TEXT BENJAMIN WEISS

PREIS: 99 EURO

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steuern lässt. Der Pi L Squared hat zwei RechteckOszillatoren mit Pulsweiten-Modulation, die variabel verschaltbar sind und funktioniert prinzipiell nach der subtraktiven Synthese, hat als Spezialität aber zuerst einen digitalen Filter, dem noch ein analoger folgt. Zur Modulation des Signals gibt es einen LFO mit bis zu fünf Zielen, eine ADSR-Hüllkurve für die Lautstärke mit der sich auch der digitale Filter steuern lässt und über das Mod-Wheel können bis zu sieben weitere Parameter moduliert werden. Abrunden oder aber noch viel eckiger machen, lässt sich der Sound durch die (laut Ploytec) analoge Sättigungsstufe, die wirklich herzhaft zupackt und dabei einen sehr eigenen Sound hat. Editor Der Stand-Alone-Editor für Mac und PC ist extrem einfach gehalten, erlaubt aber die Verwaltung von Presets (32 Werk-Sounds und 32 User-Presets sind möglich) und das Editieren von Sounds in all ihren Parametern, ohne dass man mühselig via Trial & Error die CC-Nummern erwürfeln muss. Praktisch wäre noch eine Max4Live- oder VST-Version.

Ploytec Pi L Squared / Minimaler gehts nicht

Was bleibt von einem Hardware-Synthesizer, wenn alle Bedienelemente, die meisten Anschlüsse und die Tastatur wegfallen? Beim Ploytec Pi L Squared: ein kleiner schwarzer Plastikwürfel.

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Der Pi L Squared ist wirklich aufs äußerste minimalisiert und kann seinen Strom direkt aus der MIDI-Buchse beziehen - wenn die denn standardgemäß auch die erforderliche Spannung liefert. Da das bei diversen MIDI-Interfaces nicht immer der Fall ist, gibt es den Mini-USB-Anschluss, der sich mit den meisten HandyNetzteilen, dem USB-Port des Rechners oder einem Hub verbinden lässt. Innereien Trotz der extrem reduzierten Erscheinung steckt innen drin ein veritabler duophoner 8Bit-HybridSynthesizer, der sich über MIDI CCs (fest eingestellt auf MIDI-Kanal 1) auch komplett in allen Bereichen

Klang Der Klang ist schon wegen der eigentümlichen Bauteile und der ungewöhnlichen Struktur ziemlich einzigartig: crunchig, noisig, krisselig, bratzelig, gern mal heftig verzerrt und mit einer gehörigen Portion Artefakte. Dabei klingt der Pi L Squared nicht wie ein typischer 8-BitSynth mit den üblichen düdeligen Gamesounds, sondern kann neben digitalem Gekruschel auch breite, phasende Pads und analog anmutende, dicke Basslines liefern. Erstaunlicherweise hält sich die Noise-Einstreuung aus dem USB-Anschluss und/oder dem MIDI-Anschluss so weit in Grenzen, dass sie nicht stört. Zwischen einzelnen Patches kann es allerdings auch bei den Werk-Sounds zu extremen Lautstärkesprüngen kommen. Bedienung Insgesamt ist der Pi L Squared einfach eine sehr charmante Idee, die irgendwo zwischen NerdMachbarkeitsstudie, Mitnehm-Gadget und ultramobilem Hardware-Synth mit eigenem Charakter oszilliert, dabei aber auch praktisch einsetzbar ist. Er macht allerdings nur dann wirklich Spaß und Sinn, wenn man ihn mit einem angeschlossenen Controller oder einer DAW benutzt, oder sich einen Max4Live-Patch dafür bastelt.

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180 — MUSIKTECHNIK

TEXT BENJAMIN WEISS

PREIS: 1749 EURO

Elektron Analog Keys / Workstation mit joystick

Elektron hat im Dezember seinen zweiten Analogsynthesizer vorgestellt. Analog Keys, findet Benjamin Weiss, ist ein echtes Tool.

Die Klangarchitektur, den Sequenzer und das OS teilt sich der Analog Keys mit dem Analog Four, dementsprechend klingt er auch so: Er ist vierstimmig polyphon, wobei sich die Stimmen monophon auf vier Synthesizer-Parts aufteilen lassen oder auch als Unison mit individuellem Pitch spielen lassen. Pro Synthesizerstimme gibt es zwei Oszillatoren mit den üblichen Wellenformen nebst Suboszillator, einen 4-Pol- und einen 2-Pol-Filter, dazu zwei frei belegbare LFOs, einen Vibrato-LFO, zwei Waveshape-LFOs und sieben Hüllkurven zur Modulation. Jeder Synthesizertrack hat einen Stereoausgang, dazu gibt es einen Masterausgang, einen Kopfhörerausgang, einen Stereo-Eingang, um externe Signale zu filtern oder mit den Effekten zu bearbeiten und vier CV/Gate-Ausgänge, über die sich externe Analogsynthesizer steuern lassen. MIDI Out und Thru lassen sich bei Bedarf auch auf DIN 24 oder 48 umstellen, um alte Klassiker

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Sequenzer und Performance Der Sequenzer gehorcht dem üblichen Elektron-Schema: pro Pattern je ein Sequenzertrack für bis zu vier Synthparts, CV/Gate und die Effektsektion, die sich pro Step oder im Live-Recording-Modus durch Tastendrücken und Knöpfchendrehen bespielen lässt; dazu gibt's sechs Arpeggiators. Die weitreichenden Sequenzermöglichkeiten entsprechen denen des Analog Four (Test in DE:BUG 172), allerdings geht das Einspielen dank des Keyboards nochmal intuitiver vonstatten. Hervorzuheben sind noch die Macros im Performance Mode, mit denen sich mit einem Drehregler bis zu fünf Parameter trackübergreifend gleichzeitig modulieren lassen. Hier kann auch der präzise Joystick seine Stärken ausspielen; er steuert bis zu 15 Parameter gleichzeitig. Für den direkten und gleichzeitigen Zugriff auf mehrere interne Sounds, Patterns, Transponierung und externe MIDI-Geräte bietet der Multimap-Modus viele Möglichkeiten.

von breiten Pads über extatisches Gezwitscher bis hin zu fetten Basslines möglich ist, dank der flotten Hüllkurven und den beherzt zupackenden Filtern sind auch die Drumsounds mehr als eine Dreingabe und lassen sich gut benutzen. Der Analog Keys ist im besten Sinn - mit ein paar wenigen Abstrichen - eine Workstation, mit der sich schnell und intuitiv im Studio arbeiten lässt: Analogsynthesizer können mit CV/Gate gesteuert werden, Sequenzen lassen sich schnell und intuitiv erzeugen und machen beim Spielen vor allem Spass. Das Display könnte für die vielen Funktionen ein bisschen größer sein, die Step-Tasten etwas flacher und ebenfalls größer. Ansonsten gibt es an der Hardware absolut nichts zu meckern: solide verarbeitet, angenehm spielbares Keyboard, das nicht zu fest und nicht zu labberig ist, fasst sich gut an und spielt sich angenehm. Für Modulationsorgien sind der Joystick und die Live Recording Features perfekt, schade nur, dass die Joystick-Parameter aktuell nicht im Sequenzer aufgezeichnet werden. Außerdem gibt der Sequenzer seine MIDI-Daten leider (noch?) nicht an externe Geräte aus, was auch der Arpeggiator nicht kann. Speichertechnisch hat der Analog Keys definitiv genug Platz: durch das eingebaute +Drive lassen sich 4'96 Sounds und 128 Projekte abspeichern, jedes Projekt bietet 16 Songs, 128 Patterns und 128 Kits. Mehr braucht wohl niemand.

Sound Der durchweg satte und cremige Sound der mir beim ersten OS des Analog Four noch ein klein wenig zu gezähmt erschien, ist mit dem Analog OS-Update 1.1 um einiges wilder geworden: Durch den Resonanzboost lassen sich jetzt auch kreischende Filterfahrten und kellertiefe Bässe realisieren. Insgesamt bietet er mit seiner riesigen Library eine große Bandbreite an dem, was mit analoger Synthese

Auch als Live-Instrument ist der Keys mit seinem Multimap-Splitmodus und den Sequenzermöglichkeiten ein echtes Tool, mit 1' Kilo Gewicht und seiner Größe aber auch nur bedingt transportabel. Billig ist der Analog Keys mit seinen knapp 175' Euro nicht, aber wer die gleichen Synthesefeatures nutzen will, auf Einzelausgänge, Keyboard, Joystick und weitere Features verzichten kann, sollte deshalb zum 5'' Euro günstigeren Analog Four greifen.

einzubinden und auch beim Analog Keys gibt es bei den vier CV/Gate-Ausgängen das gleiche praktische Feature, das fast alle existierenden Analogsynthesizer und Module unterstützt. Denn die sind nicht nur zwischen Volt/Oktave oder Hertz/Octave umschaltbar, sondern können sogar stufenlos eingestellt werden.

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PREISE: 40 BIS 170 EURO

Groovesizer / diy all in one

Der Groovesizer vom taiwanesischen Bastler MoShang ist eine 8Bit-AudioPlattform auf ArduinoBasis, ein Wechselbalg im Sequenzergehäuse. Getestet haben wir ihn mit der AlphaFirmware, als Monosynth mit drei Oszillatoren und integriertem Stepseqeunzer mit Lauflichtprogrammierung.

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TEXT BENJAMIN WEISS

In der kompletten Version kommt der Groovesizer in einem stabilen kleinen Metallgehäuse das sechs Drehregler, 32 Step-Buttons mit LEDs und acht Funktions-Buttons, ebenfalls mit LEDs bietet. Auf der Rückseite finden sich MIDI In und Out, ein Audio-Ausgang und der Port, über den sich die Firmware aufspielen lässt. Die hier getestete Version mit Alpha-Firmware macht ihn zu einem dreistimmigen Monosynth mit 32-Step-Sequenzer, der bis zu 112 Patterns abspeichern kann. Der relativ einfach gehaltene Monosynth der Alpha-Firmware kommt mit drei Stimmen, die jeweils Sinus, Rechteck, Dreieck und Sägezahn als Wellenformen bieten und in unterschiedlichen Tonhöhen gespielt werden können. Der Sound ist als solcher nicht unbedingt spektakulär, aber der ausgefuchste Sequenzer holt alles aus der einfachen Struktur raus: alle Parameter sind stepweise oder über das Pattern hinweg automatisierbar, es gibt Swing, Slide, Accent, Transpose, Tie und Mutes für einzelne Steps, eine Random-Funktion für Zufallspatterns in Dur oder Moll, Step Repeat (wie Note Repeat), Pattern Chaining und die Möglichkeit, Patterns rückwärts laufen zu lassen. All das wird auch als MIDI ausgegeben, wobei sich dann zwei MIDI CCs für die Automationen auswählen lassen. Eigenbau Den Groovesizer gibt es in diversen Ausbaustufen: als komplett zusammengebautes Gerät mit aufgespielter Firmware, als Kit mit Gehäuse, ohne Gehäuse oder als reines PCB. Das Aufspielen neuer Firmware die mit der IDE-Software von Arduino programmiert wird funktioniert über einen auf der Rückseite befindlichen Port, an den sich ein Atmel-AVRISP-Programmer anschliessen lässt. Alternativ lässt sich das auch über das Flashen

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und Auswechseln des eingebauten ATMEGA-Chips realisieren. Dank ausführlicher Anleitungen und Tutorials sowie einem gut besuchten und moderierten Forum sind alle Varianten auch für DIY-Anfänger geeignet, ein wenig Geduld, grundlegende Elektronik- und Lötkenntnisse und Neugier vorausgesetzt. Aktuell gibt es den fertig zusammengebauten Groovesizer mit der Delta- oder der Alpha-Firmware, weitere Firmwares sind aber in der Entwicklung (Videos davon auf der Website): Bravo, eine Wavetable Drummachine auf Basis der Bleepdrum, Charlie, ein vierstimmiger Wavetable-Synthesizer mit Drummachine, Echo ein Soundgenerator auf Basis der Mozzi-Library und Foxtrot, ein MIDI-Controller als Remote für Ableton Live. Die sind alle kostenlos und bereits jetzt als Alpha- und Betaversionen herunterladbar. Der Groovesizer ist nicht nur für erfahrene Bastler und DIY-Anfänger ein nützliches Tool, denn auch mit nur einer Firmware ohne Modifikationen oder Eigenentwicklung lässt er sich vielfältig verwenden: als Synthesizer mit integriertem Sequenzer oder als MIDI Stepsequenzer, mit dem sich übersichtlich und sehr livetauglich andere Geräte steuern lassen. Durch die wohl überlegte Oberfläche der Hardware bietet er aber auch ein flexibles Interface für Eigenkreationen. Der Preis ist mit 17% Euro inklusive Shipping selbst in der komplett vorkonfigurierten und zusammengebauten Version sehr günstig und liegt nur knapp über dem der Volcas - obwohl der Groovesizer zusätzlich noch eine ganze Welt anderer Funktionalitäten bietet. Lohnt sich sehr!

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180 — REVIEWS

CHARTS

LEON VYNEHALL MUSIC FOR THE UNINVITED 3024

JESSE PEREZ KAMA SUCIA MR. NICE GUY RECORDS

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Leon Vynehall Music For The Uninvited 3024

3024world.com

mrniceguyrecords.com

02

Jesse Perez Kama Sucia Mr. Nice Guy Records

03

The Notwist Close To The Glass City Slang

04

Archie Pelago Lakeside Obelisk Archie Pelago Music

05

Untold Black Light Spiral Hemlock Recordings

06

Ekoplekz Unfidelity Planet Mu

07

Fontarrian VLV Anytime

08

Dirty Purple Turtle Medicine & Madness Spezialmaterial Records

09

Hauschka Abandoned City City Slang

10

Colo UR Ki-Records

11

Cooly G Hold Me Hyperdub

12

Architectural Architectural EP Architectural Recordings

13

Metrist Doorman in Format EP Fifth Wall

14

V.A. Swap White Swap White

15

Helmut Polymono Haldern Pop Musik

16

Somewhen 9 EP SANA

17

Bibio The Green EP Warp

18

Rainer Vell The New Brutalism EP Modern Love

19

Ame Zek Rostfrei Rostfrei

20

Brandt Brauer Frick DJ Kicks !K7 Records

21

Appleblim & Komon Jupiter EP Aus Music

22

Ø Konstellaatio Sähkö

23

Fenster The Pink Caves Morr

24

Jason Van Gulick Entelechy Idiosyncratics

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Jóhann Jóhannsson Prisoners OST NTOV

Ich habe immer noch keine Ahnung, was dieser Titel bedeuten mag. Das geht einem manchmal so mit Platten. Er steht da wie ein Monument. Man weiß, das ergreift einen, man hat aber keine Ahnung warum. Ein Mysterium. Ein guter Einstieg in die Musik von Leon Vynehall. Sie ist vom ersten Moment an so nah. Wir kennen das. Musik, die einen nicht mehr loslässt, ohne dass man wüsste, warum eigentlich. Vynehall macht Deep House. Das kann es nicht sein. Vielleicht fangen wir lieber vorne an, bei den ersten Tönen. "Inside The Deku Tree" beginnt mit merkwürdigem Klappern, einem dichten Rauschen, einem Kammerkonzert aus Strings die man früher in Peter-GreenawayFilmen gehört hätte. Und - egal wie die Zustände kamen - man ist schon in einem Film. Nicht in gut sortierten Bildern, die einem das Grandiose einer Weltsicht auftischen, die wundervollen Szenerien, das Atemlose, sondern in einer Geschichte, die man mitfühlt. In dieser Hinsicht ist man schon bei den ersten Tönen von "Music For The Uninvited" mehr als mittendrin, man hat sie ins Herz geschlossen. Musik als Zugang zur Seele. Dafür sind wir eigentlich zu analytisch. Aber es erwischt einen doch. Kein Einsäuseln, sondern diese Verbundenheit, die weit mehr ist als die Verbundenheit zu House. Mehr als die Nähe, die man immer zur Musik hat, wenn sie einen ergreift. "Goodthing". Es atmet. Es spricht von der Hoffnung, dass das Gute möglich ist. Für uns alle. Irgendwie in diesem Moment, den nur die Musik definieren kann, ohne wirklich eine Definition zu brauchen. Die Musik von Vynehall ist vielleicht zuallererst Swing. Nicht, weil sie jazzige Anklänge hätte, die gibt es sicher, sondern weil sie einen in eine Bewegung versetzt, in der eine Leichtigkeit und Komplexität in einem Atemzug Körper, Gedanken, die Welt, die Zukunft, Vergangenheiten und selbst die kleinsten bezaubernden Momente verwirbelt und alles aufgehen lässt. Alles geschieht genau zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. Die Reminiszenzen (Dupree), die Ausflüchte in Musik, die zu zart ist, bei der man fast errötet, wenn man ihr lauscht, das ominöse Rauschen, das dem Album diesen Effekt gibt, schon so oft gehört worden zu sein, schon eine Vergangenheit zu haben, die sich dennoch nicht ohne einen abspielen muss. Und dann auch der Funk, die Energie, die Basslines. "Music For The Uninvited" zeigt einem, dass man nichts versuchen muss, nichts erreichen wollen muss, sondern dass es sich einfach ergibt, wenn es sich ergibt. Niemand hat hier kalkuliert, niemand hat sich etwas vorgenommen, die Gäste kommen einfach, sie versammeln sich, ohne zu wissen warum, sie finden sich in diesem Moment der Musik und vielleicht sind wir am Ende dann doch bei der Definition dieses Titels gelandet, der uns nicht mehr verborgen erscheint, sondern so klar, auch wenn er keine Gründe für sein Entstehen liefern kann. BLEED

Miami war immer schon schmuddelig. Auch wenn man das bei CSI nicht sieht. Jesse war schon immer ein Großmaul. Im besten Sinne. Wer sonst beginnt sein Album mit einer Geburtstagshymne für sich selbst? Oder erfindet sich selbst als den Autor des lateinamerikanischen (und legendären, natürlich) Kama Sutra. Das ist die Geschichte hinter dem Album. Jesse weiß, was Sex ist. Sex ist Miami, Sex - oder besser gesagt die Geheimnisse des Sex - werden nur von Jesse wirklich enthüllt. Dass sich das in Bettszenen, unterbekleideten Mädchen und ähnlichem visualisiert, ist dann vermutlich keine Frage mehr. Aber die Musik geht weit darüber hinaus. Jesse ist die Wiederauferstehung von Miami Bass, sagt man gerne. Aber auch das ist nicht so ungebrochen, wie man es als Schlagzeile hinnehmen würde. Klar, die typischen Methoden, Breaks, Bass, offensive Vocals, all das spielt mit. Die Freaks, die Partys, Booty-Aphorismen, die 808. Check. Trotzdem hört man mehr. Ein Album wie "Kama Sucia" ist natürlich poppig, überdreht, kitschig, wild, auch etwas gewollt wild, ein Poser, aber auch dann erzählt das nur die halbe Geschichte. Das Album ist voller Sounds und Geräusche aus dem Umfeld, voller Euphorie, die nicht immer das explizit Sinnliche zum Zweck hat. Und vor allem ist es auch voller stiller Momente, in denen es nicht um den Talk unter der Bettdecke geht, sondern um eine Verzauberung, Ernüchterung, Hoffnung, die über alles hinausgeht. Der Fellatio als soziale Studie, auch das könnte man hören, wenn man nur will. Die Dinge, die sich gegenüber stehen, sind das Grandiose, das Überzogene, die kunterbunten Träume der Stars von Miami Bass, die nie wirklich aus dem eigenen "Ghetto" herauskommen und der Wille, sich das dennoch nicht zu Herzen zu nehmen. Nicht, weil man diese Kluft nicht wahrnehmen würde, sondern weil gerade die Glorifizierung dieser Unvereinbarkeiten erst zur Größe der Musik führt. Was will Miami?, ist viel mehr die Frage, die zu der Antwort führt, als sich zu fragen, was man aus sich machen will. Die glorreiche Karriere ist nicht die eigene, sondern die einer ganzen Szene, die sich keine Hoffnung mehr machen muss, auf den großen Coup, weil der Coup einfach so nahe liegt. In Erwartungen die sich nicht als runtergeschraubt betrachten lassen, selbst wenn man wollte. Es ist ein großes Aufbäumen, das seine Verzweiflung mit einem Lachen und einem Traum nicht unter den Tisch kehrt, sondern den Tisch einfach umstülpt. Und das rockt dann immer wieder in dieser Zeitlupe der Energie, die sich nur dann ergibt, wenn man sich seiner selbst so sicher ist, weil man keinen zweiten Boden unter den Füßen braucht, denn man kann einfach tiefer nicht fallen und findet es so deep eh ganz gut. Und ja, das Album ist sexy wie Hölle. BLEED

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Es sind gerade solche Releases, die mich immer wieder antreiben, den ganzen Wust an neuer Musik wie einen Müllcontainer zu durchwühlen, der übel riechend die Büroluft verpestet. Die neue "Lakeside Obelisk"-EP von Archie Pelago ist da wie Fensteröffnen, wie eine frische Brise aus House, Breakbeat und verkopftem Easy Listening. Das Trio aus Brooklyn legt sich auf kein Genre fest, jongliert mit Geschwindigkeiten und stolpert unverhofft in die Hardcore-Continuum-Fußstapfen von Sepalcure. Unverhofft, weil es dem Trio viel eher um Acid Jazz geht als um die wortverwandte Soundästhetik aus Detroit und Chicago. Doch unter dem antiken Holz der Saxophon- und Streicher-Linien, denen das geistige Ohr ganz unbewusst ein altbackenes Knistern andrehen möchte, erzählen die Beats Geschichten von Post-Dubstep, 90er-Jahre-AmenBreakbeat, House und Elektronika. Wie im Crescendo steigern sie sich, werden hektischer, verlassen die HalfTime, stolpern dann über ihr verschachteltes Antlitz, werden aber in dem butterweichen, anachronistischen VintageSound-Design aufgefangen, in dem sie es doch so lieben herumzutollen. Das klingt, wie Steampunk aussieht. Die fünf Tracks der EP gehen insgesamt knapp dreißig Minuten. Da hätten sie doch auch gleich ein Album machen können. Aber gut, wie war das mit dem kleinen Finger? CK

"Black Light Spiral" von Untold (aka Jack Dunning) ist ein unverbrauchtes, atemberaubendes Album, welches nach den ersten Eindrücken sehnsüchtig erwartet wurde. Untolds Wurzeln liegen bekanntlicherweise in den rauen Genres der elektronischen Tanzmusik, das heißt in Dubstep, Jungle, Hardcore und experimentellem Techno. Aber dieses Album klingt nicht nach dem, was man von Untold kannte. Es ist wirklich neu, Untold erfindet sich fortwährend neu. Es ist spontan, entwickelt sich ungestört, ist absolut rau, unperfekt und es ist irgendwie ein ungehindertes Aufeinanderprallen von Genre-Einflüssen. Ein Trip, voller Ekstase und teilweise verstörenden und gleichzeitig bannenden Erschütterungen mit intelligent arrangierter Abenteuerlichkeit im Klang. Untold spielt bei diesem Album mit Sirenen ("5 Wheels"), Sub-Bass, Reggae-Samples, die in Funk übergehen ("Sing A Love Song") und zerstörten Rhythmen. Kein Stück ist wie das andere und doch findet man so etwas wie einen roten Faden mit Auftakt und Ende. Besonders begeistert das Stück "Drop It On The One", das sich krude und dröhnend, mit hypnotisch, repetitiven Stimm-Samples zu einem monumentalen, kühl durchdringenden, überwältigenden und erdrückenden Höhepunkt hinbewegt und dann allein zurück lässt. Eines der Top-Alben 2014! JONAS

EKOPLEKZ UNFIDELITY PLANET MU

FONTARRIAN VLV ANTIME

planet.mu

antime.de

Eröffnet sich mit diesem Signing endlich die latente Schnittmenge von Planet Mu und Editions Mego (ausgenommen Keith F. Whitman, der sich ja neu erfunden hat)? Nick Edwards aus Bristol, Ex-Musikblogger und seit 2010 einen pausenlos wuchernden Traum aus somnambulem Echokammer- und Hallraum-Elektro-Dub gebärend, ließ jedenfalls Mike Paradinas eine Auswahl zusammenstellen. Die stößt in den hauntologischen Raum zwischen Locust / Mark van Hoen und Ital – und zwar ganz sanft. Die Spiegel-Irrgärten im Halbdunkel, durch die Ekoplekz uns diesmal am roten Faden eines greifbaren Loops oder Beats, eines Akkordmotivs oder gar einer von hinten angeschlichen kommenden Melodie hindurchführt, ist kein stimmengefüllter, auseinanderstrebender Fiebertraum, sondern cinematisches Delirium. Das ist das Schönste: Edwards originäre Nostalgie-Manufaktur kommt ohne ironische, plakative Elemente aus; sie entkleidet seine fein gestaffelten Schichten aus DubNiederschlag sorgfältig eindeutiger Referenzen, und klingt damit seltsam vertraut, aber keineswegs gealtert. Das angenehm schlafwandelnde Tempo, in dem es (abgesehen vom Spiral-Tribe-haften "Pressure Level") vorangeht, tut ein Übriges. Das wäre eigentlich auch ein echter Gewinn für Grautag. MULTIPARA

Fontarrian? Ein Grazer. Hab ich nie vorher gehört. Aber das ist eine Entdeckung! Musik, die sich fallen lässt. Bei der man nie sicher ist, wann die Bassdrum nun wirklich kommt, ob das noch Shuffle ist, oder schon der schönste Zusammenbruch eines Stücks, den man seit langem gehört hat. Oft genug verzichtet das Album scheinbar auf Beats, legt die Hintergründe in den Vordergrund. Nicht weil es darum ginge, das Nebensächliche zu thematisieren, sondern weil es einfach keine üblichen Betonungen zwischen Groove, Sounds, Sequenzen und Melodien gibt. Alles findet in dieser Gleichwertigkeit statt. Beim ersten Hören ist "vlv" ein einfach schönes Album. Ein glitzerndes Meisterwerk purer Elegie, verschrobener Energien, sanfter Momente an denen alles zusammenfällt, egal wie sehr es mit all seinen Kanten und Ecken aus dem Gleichgewicht gerät. Beim nächsten Hören wird es unheimlicher, man fragt sich, wie das alles zusammehält, vermutet dahinter immer noch mehr und wird nie enttäuscht. Und dann beginnt das Album sein Eigenleben zu führen, das einen weit über die Musik hinausträgt, einem sozusagen ins Ohr flüstert, an die Hand nimmt, mit einem träumt. Und es sind Träume die man immer wieder träumen möchte, weil man immer wieder entdeckt, dass sie mehr als nur diese Geschichte erzählen. BLEED

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Also gleich vorweg mal so in aller Deutlichkeit und gegen Helmut Kohl, ach nee, Angela Merkel, Klarheitssimulation der Achtziger/Neunziger versus Alternativlosigkeit der Nuller/ Zehner: Das neue Album von The Notwist ist alternativ, etwas anderes, überhaupt nicht überflüssig und hat mich gepackt, festgenommen, arrested in seinen Armen, ein albumhafter Superhero. Meine Güte, der Noise- und Hardcore-Anfang 1989/90, irgendwie schön, aber doch sehr nah an Dinosaur Jr. in der Autonomenzentrum-Version. Fand ich. Dann all diese Entwicklungen, Irrungen und Wirrungen im Positivsten, immer auf der Suche, so wurden die Achers, Gretschmann und Co unsere Lieblinge. Mit "Neon Golden" (2002) kam die große Konsensplatte, The Notwist wurden fast ein wenig (zu) erwachsen, allseits gemocht, sie begannen ihren Sechsjahresrhythmus (sieht man vom Filmsoundtrack "Sturm" ab). Und irgendwie, wir alle werden nicht jünger… Halt, Stopp, hier liegt der Fehler: The Notwist, und mit ihnen das hörende Subjekt, bleiben jung, offen, im gesamten Verweissystem vom Platten-Cover bis zu den Sounds ("Signals"!) findest du Dub, Elektronik, Kraut, Noise, Shoegaze, College, Kraftwerk, Jazz, Step, Synthie, Orchestral, Chicago, Berlin, Post, Indietronics und überhaupt allen möglichen innovativen Rock jenseits des Rocks, und das war doch Post-Rock einmal, ein Ausweg aus der Mittelmäßigkeit und nicht irgendein intrinsisch motiviertes instrumentales Gegniedel, was wieder im Posertum landet. Kotz. Verdammt, ist das berührend, The Notwist haben alles reingeschleust in ihre Tracksongs, haben den Gesang ausgebaut in Höhe und Breite, sind niemals glatt, einfach und dennoch auch wieder kein Stockausen-Elitismus. Obwohl. Naja. Ach, Reflexion weg und "Kong" anhören, den SuperHit einer besseren Welt. Wenn Musik ein Freund ist, dann sind The Notwist eine richtig gute Zeit im Leben. Ab und zu bleiben die Freundschaften ja lebenslänglich. Hier ist ja alles Tolle der letzten zwanzig Jahre drin. They follow me. Irre. Also, nicht Goetz jetzt, oder doch auch. Irgendwie. We wanna be you. We wanna be like you. Ich bin verliebt, in genau diesen Freund. Irgendwer erzählte mir neulich, dass neben einer Single von Die Nerven auf "Amphetamine Reptile" das neue NotwistAlbum bei "Sub Pop" erscheinen soll. So oder nicht so: Album des Jahres. Im März. Kein Zweifel, felsenfeste Haltung auf unsicherem Untergrund. From one wrong place to the next. The Post-Twist. The Trost-Twist. Es bewegt sich was. CJ

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FRANCIS HARRIS

ALBEN

1000 TRÄNEN TIEF T RAPHAEL HOFMAN

Lo-Fang - Blue Film [4AD/Beggars - Indigo] Ach, wieder so ein digitaler Singer-Songwriter, wie der Blake auch mal einer sein sollte, ja? Lo-Fang, so hört sich das auf dem ersten Track an, klingt so ein bisschen wie die männliche Poliça. Soll heißen: elektronisches Herumgeeiere auf Tracks und Stimme. Ein bisschen, als habe man Bon Iver in ein MacBook gepresst, um einen folktronicaesquen panic room daraus zu machen. Gut, Talkbox hat Herr Fang nicht immer raus. Trotzdem ein bisschen dünn, das. www.4ad.com jw Snowbird - (Moon) [Bella Union/bellacd434 - PIAS/Cooperative] Eyecatcher zuerst: Mitglieder von Radiohead und Lanterns On The Lake sind hier dabei. Stephanie Dosen und Simon Raymonde brauchen sich dahinter aber überhaupt nicht zu verstecken. Denn - jaha - Frau Dosen sang schon mit und für Massive Attack und Chemical Brothers. Und Herr Raymonde war Mitglied der legendären Cocteau Twins und hat das innovative Label "Bella Union" gegründet. Seltsam ähnlich-unähnlich klingen Snowbird. Fast gänsehautartige Momente, die an Frasers Stimme und die Cocteau Twins oder This Mortal Coil erinnern, wechseln mit ganz eigenständigen neuen Ideen, die dann schon eher in Richtung Folk, Country oder sogar Soul weisen. Und zwar ziemlich unter die Haut. Zum wunderschönen Album soll es mit "Luna" ein zweites mit Remixes von RxGibbs geben. Wir sind gespannt. www.bellaunion.com cj

Eine große Werbefassade, an der Restfetzen einer Anzeige im Wind umherwehen. Kaltes Metall, Querverstrebungen, Rost. Eine bedrückende Stimmung zwischen Angst und Einsamkeit herrscht auf dem Cover zu Francis Harris’ neuem Album "Minutes Of Sleep". Im Inneren der Platte ertönen sogleich Störgeräusche, die nach und nach zu Rhythmen und Synthesizern mutieren. Es sind schwere Soundstränge, einem Spannungsbogen gleich, der immer steiler ansteigt, dann rapide abfällt und schließlich im Nirgendwo verloren geht: "Minutes Of Sleep" ist ein Album, wie ein aristotelisches Drama. Es ist das Drama von Francis Harris. Ein Drama, das erst mit gut 40 Jahren begann. Davor tourte Harris fünfzehn Jahre lang als DJ durch die ganze Welt und veröffentlichte unter Pseudonymen wie Adultnapper, Sycophant Slags und lightbluemover Songs und Alben. Erst nach dieser Karriere begann der in Brooklyn lebende Harris als Solokünstler zu arbeiten. Mit seinem Debütalbum “Leland“ aus dem Jahr 2012 gab er die solide elektronische Musik dran und kreierte fortan industriell-schwerere Klanglandschaften, in denen er seiner selbst ergründete und vor allem den Tod seines Vaters musikalisch verarbeitete – eine Art Trauerarbeit auf Tracks, bedrückend und düster. Genau wie sein Vorgänger klingt auch “Minutes Of Sleep“ nach einer schweren Zeit. “Das Album ist eine Zusammenfassung all der Dinge die mir in der Produktionsphase des Albums widerfahren sind", erklärt Francis Harris und macht eine Pause. "Vor allem in der letzten Woche im Leben meiner Mutter.“ Denn so wie der Tod seines Vaters über dem ersten Album schwebte, hat sich der Verlust seiner Mutter auf das neue Album ausgewirkt. Die letzten Tage mit seiner Mutter, die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit und der tiefe Kummer über den Verlust – all diese traurigen Fragmente bilden die Grundlage für die neuen Stücke. Ein Album als Spiegel der Seele also? Ein Musiker, sehr nah bei sich selbst, der seine persönliche Geschichte in Tönen schreibt und dabei ganz schonungslos kein Detail auslässt? Das hat es natürlich schon oft, ja, viel zu oft gegeben. Harris Herangehensweise ist jedoch so intensiv, dass sie einzigartig wirkt. "Die Musik ist für mich eine Art Gefäß, dass die schweren Momente des Lebens beinhaltet. Es ist schwer, denen die so einen Verlust noch nicht erlebt haben, das was in dem Gefäß ist zu vermitteln.“ Mit "Minutes of Sleep“ ist Harris dieser Vermittlung ein gutes Stück nähergekommen. An vielen Stellen auf dem Album schleicht sich das Gefühl ein, man lausche der Musik eines emotionalen Stummfilmes, in dem die Töne maßgebend Gestik und Mimik der Schauspieler verstärken. Dumpf erahnt man die Trauer, die Wut, die Verzweiflung, die in Harris schlummern. Mal versucht ein helles Trompetensolo sich durch die dunkle Wolkendecke zu drücken und wird doch unter einer Welle aus Melancholie begraben, mal zeugen in die Stille gesungene Vocals von Harris Schwermut, die weit über die Tracks hinausgeht: “Verlust ist ein nie endender Kreislauf. Und auch dieses Album kann das nicht stoppen."

Francis Harris, Minutes Of Sleep ist auf Scissors & Thread erschienen.

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Deadbeat & Paul St Hilaire - The Infinity Dub Sessions [BLKRTZ/BLKRTZ008 - Kompakt] Vermutlich ist das Jetzt nur eine Illusion, um den berühmten Chaosforscher und Endophysiker Otto E. Rössler zu zitieren. Deadbeat (Scott Monteith) und dem begnadeten und stimmlich so originellen Toaster/Sänger Paul St. Hilaire aka Tikiman ist es zu verdanken, dass diese Einbildung zumindest explizit ausgebildet wird. Denn dieses Projekt knüpft an den minimalen Dub der späten Neunziger in Berlin an wie so manch andere Projekte es aktuell tun (z.B. Bus, Garland). Dabei wird aber nicht nach hinten geschaut, damals war nichts besser, heute ist auch nichts cooler. Der Puls pumpt weiter, die Bässe summen und führen Rhythm & Sound, Basic Channel, Scion oder Chain Reaction einfach nur ins Hier und Jetzt. Fast benötigen Deadbeat und Hilaire keine Referenzen, sondern lassen den Moment spüren. Und das immer weiter, auch wenn jeder Moment an sich eben mit Rössler stets vergangen ist, wenn wir darüber schreiben oder eben diese tolle dunkle Musik erhaben über allem thront. Das ist weise. Und zeitlos. Soweit es eben geht. www.kompakt.fm/labels/blkrtz cj Conrad Schnitzler - Congratulacion [Bureau B/BB 163 - Indigo] Conrad Schnitzler erprobt die FM-Synthese: Auf "Congratulacion" hat sich der unermüdliche Elektroforscher mit Yamahas Musikcomputer CX5 ins Vernehmen gesetzt, der auf dem gleichen digitalen Klangerzeugungsverfahren beruht wie etwa der Synthesizer DX7. Entstanden sind eine Reihe von Miniaturen, in denen die transparent-hellen Obertongebilde dieses Geräts in rhythmisch kompakte Strukturen gebaut wurden. Schnitzlers Exkursion führt sowohl die Stärken als auch die Schwächen dieser Phase in der elektronischen Musik vor: In den guten Momenten meint man sich durch eine fremdartig schillernde Welt aus Glas zu bewegen, in den schwächeren hingegen klingen insbesondere die Bläser- oder Gitarrensounds (hat Schnitzler mit Presets gearbeitet?) leider ein wenig billig und dünn. www.bureau-b.com tcb Pyrolator - Pyrolator's Traumland [Bureau B/BB 163 - Indigo] Wer vom Pyrolator keine Songs hören möchte, sollte zumindest vorab gewarnt sein: Hier gibt es reichlich davon! Doch Kurt Dahlke wäre nicht der Pyrolator, wenn er ganz normale Popsongs schreiben würde. Wobei es sich bei "Traumland" annäherungsweise sogar um solche handelt. Mitte der Achtziger in Berlin entstanden, steckt das Album voller Anklänge an den State-of-the-Art-Synthie-Pop der Zeit, der sich damals schon längst in digitalen Sampling-Pop verwandelt hatte. Für den Gesang zeichneten der Künstler Jörg Kemp und die New Yorker Sängerin Susan Brackeens verantwortlich. Aus deren Einsatz zaubert der Pyrolator Gebilde, von denen The Style Council oder Scritti Politti wohl nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Aber um genau das geht es ja: Dreampop, der ausnahmsweise wirklich mal diesem Etikett gerecht wird – vertraut und befremdlich zugleich. www.bureau-b.com tcb Hauschka - Abandoned City [City Slang/SLANG50060 - Rough Trade] Neulich endlich mal die Folge mit Hauschka und Tori Amos der meist spannenden ARTE-Reihe "Durch die Nacht mit…" mit gesehen, wo sich zwei prominente Figuren, um nicht zu sagen, Stars treffen, die einander immer schon mal kennenlernen wollten. Also, so war der Anfang geplant, als der gute Christoph Schlingensief auch mal als Dauermoderator eingeplant war und z.B. erkenntnisreich auf Michel Friedman krachte. Jedenfalls trafen sich Volker Bertelmann

und Amos in Berlin, wobei mir unklar ist, wieso. Hauschka steht für mich eher in einer Düsseldorf/NRW-Tradition, wenn überhaupt, und irgendwie wirkten die beiden gesprächig, aber nicht versessen. Anyway, "Abandoned City" hingegen wirkt manisch, repetitiv, kultürlich wieder pianoesk-klopfend, Hauschka trägt eine gewaltige Aufladung in sich, als seien die Flüchtigen aus den verlassenen Städten in diesem Album gelandet. Hauschka wird immer filmmusikalischer, wie eine bewusst etwas kaputtere, demnächst vielleicht auch allein gelassene Nachbarschaft zu Philip Glass oder Michel Nyman. Hauschka ist der Geist in diesen desolaten Gegenden. www.cityslang.com cj WhoMadeWho - Dreams [Darup Associates] Och, gegen WhoMadeWho kann man doch eigentlich gar nix haben, oder? Die Jungs um Thomas Barfod sind einfach nur nett und machen auch supernette Musik. Nicht schlecht produziert, nicht schlecht gedacht, einfach nett halt. Geht auch gleich beim zweiten Song "Right Track“ mit so einer total ulkigen Synthiemelodie los. Dann gibt’s den Indie-SchmindieItzi-Bitzi-Studentenshmasher "The Morning“ inklusive "Wir liegen uns alle bierselig in den Armen"-Build-up. Das Stück danach, "Another Day“ hat mir dann nicht so gut gefallen, "Heads Above“ schon eher – dazu kann man nämlich wieder so richtig schön abhotten. Hinten raus wird’s dann wieder ein bisschen öde. Aber gerade die erste Hälfte hat echt ein paar nette Nummern. jw Talvihorros - Eaten Alive [Denovali/DEN190 - Cargo] Ben Chatwin hüllt auf seinem fünften Release unter dem Pseudonym Talvihorros hauptsächlich analoge Elektronik und Gitarre in dicken, immer melancholischen und manchmal gefühlsduseligen Rauch. Die Eröffnung des Albums ist eine Etüde, die verschiedene Disziplinen zwischen Retro-Dudelei und ultra-modernen Einflüssen zusammenführt - Piano, Gitarre und ein analoger Synth manövrieren zwischen melancholischem Müßiggang und vorsichtigen Arpeggios, eine weißrauschige Bassdrum mischt sich immer mal wieder harsch ein. Danach werden die einzelnen Bauteile in ausgedehnter Form untersucht, alles wirkt dennoch fast ein wenig zu kompakt und nicht genug fokussiert, um große Gefühle zu triggern. Chatwin scheint löblicherweise ein Faible für italienische Splatterfilme zu haben - Fabio Frizzi hat hier als Ghostwriter einige Melodien geschrieben, ich bin mir sicher. www.denovali.com tn Carlos Cipa & Sophia Jani - Relive [Denovali/DEN192 - Cargo] Wer auf schwelgerisches Pianospiel steht, kam in der letzten Zeit auf seine Kosten: Unter anderem haben Hauschka und Nils Frahm neue Alben veröffentlicht, die sich mit präparierten Pianos und deren zahlreichen Möglichkeiten beschäftigen, ein auch für Menschen mit großer Pop-Sensibilität erträgliches Album aufzunehmen. Das präparierte Piano wird also auch auf dieser Platte den Ansätzen der Avantgarde entrissen und in ein wunderliches Instrument verwandelt, das am laufenden Band Schönheiten ausspuckt. Die beiden Stücke des Albums - insgesamt nur 24 Minuten lang wurden von Carlos Cipa & Sophia Jank für das labeleigene Festival im letzten Jahr jeweils für 4 Hände, 2 Nylon-Saiten und 3 verschiedene Arten von Klöppeln geschrieben, mit denen die Tasten und das Innere des Pianos bearbeitet werden. “Relive“ erfindet das Rad sicher nicht neu, dafür tropft die Begeisterung der beiden Komponisten für die Diversität ihres Pianos aus allen Ecken und Kanten. Falls man von samtig-verwaschenen Tagträumereien nicht genug bekommen kann, sollte man mal reinhören. www.denovali.com tn Origamibiro - Collection [Denovali/DEN188 - Cargo] “Collection“ ist ein massives 3CD bzw. 4LP-Boxset mit allen bisherigen Veröffentlichungen des audiovisuellen Projekts Origamibiro. Ursprünglich als Solo-Projekt von Produzent und Komponist Tom Hill gestartet, ist Origamibiro über die Jahre zu einem kollektiven Outlet für die kreativen Triebe von Hill, dem Filmemacher Jim Boxall und Multi-Instrumentalist Andy Tytherleigh geworden. Das Debütalbum namens “Cracked Mirrors and Stopped Clocks“ wurde noch von Tom Hill im Alleingang aufgenommen und produziert, hier gibt es einen luftigen Austausch zwischen langsam gepickter Gitarre und diversesten konkreten Sounds (ein quietschender Stuhl, das Herunterfallen einer Schreibmaschine…) zu hören, die sich zu einem geisterhaften Ganzen zusammenfinden. Das Folgealbum “Shakkei“, das Erste als Trio, klingt in jedem Moment ausgedehnter, weiter, noch offener - Tytherleigh expandiert den Sound mit zahlreichen Saiteninstrumenten, zudem beherrschen field recordings das mit Sepiafilter überzogene Bild. Als letztes in der Box enthalten ist eine Compilation mit zahlreichen Remixes des “Shakkei“-Materials, auf dem die ohnehin schon gebogene musikalische Realität detailgenau zersplittert und wiederaufgebaut wird. Schöne Kammermusik für Freunde von musikalischen Erfahrungen, die nicht bei gewöhnlicher Instrumentation enden. www.denovali.com tn Birds Of Passage - This Kindly Slumber [Denovali Records/[DEN189] - Cargo] Fünfzig Pfund Reverb, vier Stücke von diesen lecker-desolaten Pads und einen High-Pass-Filter, bitte danke. Das dritte Album der neuseeländischen Künstlerin Alicia Merz hält sich strikt an diese Einkaufsliste, “This Kindly Slumber“ klingt wie eine etwas weltverbundenere Version von Liz Harris’ Grouper-Projekt. Das Fundament ist im Großen und Ganzen aber das Gleiche. Und, man muss zugeben, es funktioniert halt auch einfach. Merz säuselt irgendwo zwischen verpennt und hoffnungslos, streicht über die offenen Saiten ihrer

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Gitarre und wird von formlosen Wolken gen Selbstauflösung getragen. Ins Leere starren macht während der vierzig Minuten des Albums soviel Sinn wie Tanzen bei Techno. Anstatt Bücher über Astralwanderung zu wälzen, darf man auch gerne diesen Isolationssoundtrack auflegen und tief in sich schauen. Oder an die weiße Wand. tn Adda Schade - Sverige Resa [Different Trains/DTCD006] Dumpfe Noise-Nebelschwaden ziehen über die Wasseroberfläche des Sees "Visjö", immer wieder reflektieren altertümlich und verschroben entfremdete Saiten-Sounds das Mondlicht in den bedrohlichen Basswogen. Es ist nicht sicher hier zur nächtlichen Stunde an diesem einsamen See. Ob Adda Schade beim Vertonen seiner Schwedenreise "Sverige Resa" ähnliche Bilder und Gefühle im Kopf bzw. tatsächlich gesehen und erlebt hatte, lässt sich wohl nicht herausfinden. Aber die bis zum äußerten reduzierten Klangwelten fördern zwangsläufig solch melancholisch bedrohliche Bilder zu Tage. White Noise, schmeichelnde Pads und verspielte Percussion, stehen hektischen Hi-Hat-Salven und seelenlosen, stumpf daher marschierenden Bassdrums gegenüber. Immer wieder blitzen Ansätze einer Melodie auf, die sich aber nicht durchsetzen können, fehl am Platz zu sein scheinen, der Dunkelheit weichen müssen. Ob uns eine solch minimalistische und verstörende, teils sogar krautige und urban anmutende Elektronika nach Schweden oder an einen ganz anderen Ort auf dieser Welt führt, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. ck Real Estate - Atlas [Domino/WIGCD320 - Good to Go] Was habe ich entspannte und dennoch mitreißende Bands wie die Go Betweens, The Feelies, Luna, The Chamber Strings oder De Artsen (aus denen später dann Joost Visser und Bettie Serveert wurden) geliebt. Real Estate knüpfen dort unspektakulär an, was heißen soll, sie machen nicht nach, nein, sie passen nur im Plattenregal (virtuell oder real) nebeneinander. Die Amerikaner haben in Wilcos Studio aufgenommen, Tom Schick produzieren lassen (Low, Cibo Matto) und sich um Girls-Keyboarder Matt Kallmann verstärkt. Früher fand ich den Begriff "abgehangen" in Rezensionen super-rockistisch-doof. Nun nutze ich ihn selbst, aber im Sinne von angenehm reif und dennoch aufregend. Real Estate sind ein kleines großes Ding. Also, das nächste im Land zwischen Americana, VelvetUnderground-Fanclub und Shoegazing. Ziemlich schnieke. www.dominorecordco.com cj Wild Beats - Present Tense [Domino - Good to Go] Wild-Beats-Album Nummer vier also. Es war ja sehr schön zu beobachten, wie die Band sich dann doch nach und nach immer weiter von ihrem Ursprung mit vorsichtigen Ecken und Kanten wegbewegt hat. Also mehr so arts’n’farts statt Formatradiomusikkram. Zwischendurch sind mir die Songs doch etwas zu weichgespült und (kann man das sagen?) U2-ig. So mit Schweinegitarren und ganzhoch-Gesang. An anderer Stelle dann aber auch wieder schön verspielt. Das gefällt mir dann gut. www.dominorecordco.com mozi Bolder - Hostile Environment [Editions Mego/eMEGO 185 - A-Musik] Das Narrativ könnte in etwa so gehen: Endzeitstimmung, die Menschheit hat die Städte verlassen, vielleicht gar den ganzen Planeten. Bilder von Fabriken, leeren Straßen, eine ehemals menschengefüllte Umgebung wirkt nun karg, leblos. Lebendig bloß noch die Schleifen des Dubs, der den leerstehenden Gebäuden Echos, deren Quelle ursprünglich mal gelebt hat, ins Gerüst haucht. Klingt ziemlich düster und ehrlich gesagt auch etwas pathetisch. Mit einer solchen stummen Theatralik begegnen uns Bolder auf Albumlänge. Passender Titel: Hostile Environment. Musik weniger für die lonely nights, als eher für Clubs: Hauptsache, man hat viele Menschen um sich herum, die einen wärmen können. www.editionsmego.com malte Andrew Lewis - Au-delà [empreintes DIGITALes/IMED 13125 - Metamkine] In "Lexicon", der jüngsten des halben Dutzends Arbeiten, die Andrew Lewis, Leiter des Studios für elektroakustische Musik an der University of Wales in Bangor, hier vorstellt, spielt er, ausgehend vom Gedicht eines legasthenischen Jungen, mit der Wahrnehmungsverzerrung von Sprachsilben. Sie stellt ihr dessen Metaphern an die Seite: umherschwirrende Fliegen, im Wind flatternde Blätter, sowie ihr frustrierendes Resultat, nämlich zerknülltes

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Papier. Ein faszinierend umgesetzter Opener, der die Latte hoch hängt für den Rest. "Dark Glass" zieht die harmonischen Strukturen zerbrechender Glaskörper auf, und damit ein metallisch irisierendes Farbkristall-Kaleidoskop: Arovane für Mishima-Leser! Dann illustrieren Bögen verwandter harmonischer Texturen in "Ascent" die Berglandschaft um Bangor; "Time and Fire" stellt mit einem Katalog flatternder, vibrierender Sounds die Frage nach der Schaffung von Kohärenz impulsiver Soundideen via zugrundeliegendem Zeitraster (eine ganz elementare Frage, die hier keine neue Antwort erhält). Und da beginnt der chorale Metallglanz der changierenden Flächen von Lewis' Klangkomposition das Ohr dann doch zu ermüden. Nach einer Neuordnung walisischer Folklore-Sounds (Harfen, Chöre, Sackpfeifen, Predigten) in "Cân", weiß erst das abschließende und älteste "Scherzo" mit beeindruckenden Klangauffächerungen der Stimmen seiner drei kleinen Töchter und ihrer Klangspielzeuge wieder wirklich zu fesseln und weist auf Technik und Appeal der ersten beiden Stücke voraus. Für eine Empfehlung reicht das. www.empreintesdigitales.com multipara Pierre Alexandre Tremblay - La marée [empreintes DIGITALes/IMED 13123/124 - Metamkine] Elektroakustik ist als Verbindung von elektronischen und akustischen Klängen keinesfalls immer eine "harmonische" Angelegenheit. Die Kombination dieser heterogenen Klänge geschieht mitunter gewaltsam, manchmal wollen die Frequenzen und Obertöne sich so gar nicht miteinander vertragen. Der Komponist Pierre Alexandre Tremblay inszeniert diesen potentiellen Konflikt in den unter "La marée" versammelten Stücken bewusst als als Machtspiel zwischen Instrumentalist und Lautsprecher. "Marée" bedeutet "Gezeiten", und so verlaufen auch die Konflikte in den einzelnen Stücken. Ob Klarinette, Gesang oder Klavier – aus dieser Beziehung zwischen "Mensch" und "Maschine" lässt Tremblay vitale Spannungen entstehen, die so gar nichts Sprödes an sich haben. Die unterschiedlichen Bewegungen im Ringen miteinander, das nie versöhnlich ist, tragen am Ende den Sieg davon. www.empreintesdigitales.com tcb Girl With The Gun - Ages [Folk Wisdom/Interbang/Fwoo1CD - Broken Silence] Matilde Davoli, Andrea Mangia (ansonsten auch als Populous unterwegs) sowie Andrea Rizzo aus Italien sind mittlerweile eine Band geworden. Auf dem Debüt waren die ersteren beiden noch ein Duo und haben sich - durchaus ein deutlicher Wegweiser - von Simon Scott (Ex-Slowdive) unterstützen lassen. Nunmehr brauchen sie das gar nicht mehr. Denn das Mädchen mit der Knarre hat sich hörbar gefunden: Klar, Dreampop ("Fireflies"), Shoegaze ("Hold On For Cues") und auch guter alter, leicht verhuschter Female Indie Pop à la Breeders, Lisa Germano oder Opal ("At All") lassen sich spüren. Ziemlich sauschön, wenn Minihymnen wie das schon erwähnte "Fireflies" anheben. Seltsam, Songs mit diesem Titel sind immer wie Universen (vgl. aktuell Fenster oder seinerzeit Callas sensationelles "Fear Of Fireflies" von 2001). Schluchz. www.interbangrecords.com cj Gabi Delgado - 1 [GoldenCore/GCR 20083-2] Der Einfluss von Delgados Band Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) ist unbestritten: Von PostPunk über Industrial über Electronic Body Music bis zu Techno und letztlich neuer Härte sind die frühen, eher krachigen sowie die späten marschierenden Songs voller sound- und vor allem texttechnischer Doppeldeutigkeiten und Unklarheiten im kollektiven Popgedächtnis verankert und werden immer wieder hervorgerufen. Es mag am urteilenden Hörenden liegen, doch irgendwie berührt mich Delgados Solo-Zweitling (nach dem Debüt 1986!) nicht. Zunächst. Neben viel Vorhersehbarem (harte Beats, markig-martialische Lyrics, mechanistischtechnoide Sounds etc.) und irgendwie Humorlosen ("Traum" klingt leider wie der mies gelaunte, uninnovative Bruder von Andreas Dorau, der cool sein will und dass alles gut sei) nisten sich allerdings so ein paar zumindest kleine Überraschungen im Ohr ein, wenn die Beats mal stolpern, die Texte treffen ("Langeweile") oder mit Reminiszenzen gespielt wird ("Spieglein Spieglein"). Insgesamt sehr ambivalent. Ich denke, für diverse Generationen. Ein bisschen schade, aber die ersten fünf Alben von DAF (das Comeback war auch schon lau) bewegen auch heute mehr. Bei mir. cj Christian Vialard - Neukalm [Grautag/GTR#007 - Rumpsti Pumsti] Es liegt ein Grauschleier über der Gropiusstadt: Wie endlose Karawanen ziehen Tribal-Electro-Drums klamm vom Regen durch hallende Betonschluchten auf den Friedhof der Träume des Raumfahrtzeitalters. Bowie/Enos Berliner Dröge (ferner Nachhall im Albumtitel) schaukelt genauso im Synthgepäck wie Kurt Dahlkes Augenzwinkern, das besonders auf der dritten der vier Albumseiten (wie immer in perfektes Artwork gekleidet) zur Geltung kommt. Die Form des lockeren, sedierten Spätsiebziger-Jams, den sich Christian Vialard hier anverwandelt (in Produktion und LiveUmsetzung verstärkt von Fred Bigot), zieht seine verführerische Kraft nicht nur aus dem schnipsenden Dub-Puls, sondern gerade auch aus den scharf gezeichneten Atmosphären. Ob im ElectroGiallo von "Dark" oder dem flirrenden Dunst der Loungebar of

Death von "Phase", ob in der kraut-elektronischen Maultrommel von "Lidel2" oder den bekifften Bass- und Gitarrenfiguren an jedem Kneipen-Eck: Die Pfützen, in denen sich die dräuenden elektronischen Wolken spiegeln, sind so schön gemalt, dass man sich wieder und wieder in sie hineinfallen lässt. Keine Stunde Musik lief hier diesen Winter so oft wie diese. www.grautagrec.com/ multipara Helmut - Polymono [Haldern Pop Musik] Im Januar und Februar kam echt eine ganze Wagenladung toller Releases mit wunderschönen Covern in die Redaktion geflattert. Das von Helmut sieht auch schon wieder so geil aus! Scheint ein altes Klassenfoto zu sein. Im Hintergrund ein kleiner Dicki mit hochgeschnallten Bluejeans. Und im Vordergrund der Helmut mit dem fransigen Pottschnitt. Und da, wo eigentlich sein Jüngelchengesicht zu sehen gewesen wäre, prangt ein Acid-Smiley ohne Smiley. Ein gelber Punkt also. Ich weiß auch gar nicht, wieso ich da jetzt so drauf rumreite. Aber es sieht einfach schön aus in Kombination mit Helmuts rotem Print auf dem ausgeleierten Fruits-Of-The-LoomShirt. Auf der Platte wird dann ein bisschen mit der Gitarre rumgegniedelt, schöne Schnipstakte werden druntergelegt. Erinnert an den jungen Erlend. Richtig schön. jw The White Lamp - Ride With Me [Hotflush/HFT031 - St Holdings] Catchy! Das erste Release auf Hotflush in 2014 von The White Lamp ist in erster Linie mal catchy. Dabei aber nicht cheesy genug, als dass man sich beim Hörgenuss schlecht fühlen, es besser wissen müsste. Verträumtes Schwofen anstatt euphorisches Hände-in-die-Luft-reißen. Das Duo aus Produzent Darren Emerson und Vokalist Peter Josef schielt ganz klar in Richtung Hymne, möchte mit sanftem Gesumme und fluffig stampfender Bassline seine Hörer einlullen, mit trivialem Text zum Deep-House-Marsch einladen. Im Grunde genommen ist das wohl einigermaßen albern und wenn es seicht "Ride With Me" flüstert, fühlt man sich wie ein kleines Kind, das mit Schokolade oder niedlichen Haustieren in die Wohnung eines Pädophilen gelockt werden soll. Klar, der Vergleich mag mag etwas hinken, aber The White Lamp haben hier offensichtlich die richtige Mischung gefunden, der man sich gerne hingibt, der man vertraut, die auch jenseits subkultureller Qualitätsansprüche einfach gut klingt. Die drei Remixe von ItaloJohnson, Mike Dehnert und Darren Emerson selbst sind mir da etwas zu breitbeinig und setzen auf eine langatmige und langweilende Funktionalität, an der das Original gerade noch vorbeischrammt. www.hotflushrecordings.com ck Cooly G - Hold Me [Hyperdub - Cargo] Merissa Campbell kommt mit dem Nachfolger zum song- und R&B-lastigen Album "Play Me" zur reinen Tanzmusik zurück. Swingende HouseBeats mit 2-Step-Anleihen, dubbige Räume auf Gesangsschnipseln und allertiefste Bässe. Ein Track entstand zusammen mit dem Labelkollegen DVA, der ansonsten auch eher für komplexere Musik bekannt ist, hier aber bestens mit dem minimalen Konzept klar kommt. Track 3 schließlich verzichtet auf jeglichen Gesang und geht trotz dubbiger Offbeats genauso nach vorn. asb Jason Van Gulick - Entelechy [Idiosyncratics/idcd008] Man soll mit Projektionen ja vorsichtig sein. Diesen Stücken merkt man trotzdem irgendwie an, dass sie von einem gelernten Architekten erdacht wurden. Jason Van Gulick mag sich dieser Tage vornehmlich als Schlagzeuger betätigen, in seiner Musik spielt neben Trommeln und Geräten zur elektronischen Echtzeitbearbeitung aber immer auch der Raum als Instrument eine entscheidende Rolle. Wenn bei Van Gulick etwas hallt, dann ist der Hall keine bloße Resonanz, die man als potentiellen Störfaktor in den Griff bekommen muss, sondern etwas, das im besten Sinne mitschwingt, das Vorhandene verstärkt, manchmal überlagert, allerdings nie aus Versehen. Von Anfang bis Ende hat "Entelechy" eine konzentrierte Spannung, die aus dem perfekten Miteinander der drei Komponenten der Musik Van Gulicks entsteht. Sogar gelegentliche Ausbrüche bleiben kontrolliert, ohne an Kraft einzubüßen. tcb The Fauns - Lights [Invada/INV129 - Cargo] Einer ihrer größten Fans dürfte der Filmkomponist Clint Mansell sein, der auch mal eben die Soundtracks für u.a. "Moon", "Black Swan" und "Requiem For A Dream" erstellt hat. Cliff Martinez ist übrigens ein weiterer Supporter. Puh. Mansell rückmischte vor einiger Zeit Fauns Album "Fragile" in einer limitierten Version für den "Record Store Day". Wodurch The Fauns offenbar viel neue Aufmerksamkeit erhielten. Jetzt beginnt die Besprechung: Rausgeschossen, anders und doch an so vielen Synapsen andockend bewegen sich

The Fauns mitten ins Hirnherz oder Herzhirn (wahlweise) der geneigten Hörenden. Nur Augen, die sind in dieser Welt nun wirklich überflüssig, "Point Zero" wird zu "Seven Hours" und alles scheint möglich mit den Kindern von Lush und Loop. Es kommt nur auf einen selbst an. Lass labern. Tschüss. "Let's Go"! www.invada.co.uk cj Brandt Brauer Frick - DJ Kicks [!K7 Records] Die Brandt-Brauer-Frick-Boys sind zurück. Und zwar mit einer, wie das an diesem Punkt einer Karriere ja gerne mal üblich ist, eigenen DJ-KicksCompilation. Aufgenommen haben die drei den Mix nicht etwa nach und nach per Drag und Drop und ziemlich unmutigem Nachmastern, sondern an einem Tag im Watergate Club. Mp3s? Fehlanzeige. CDs? Auch nicht. Nur schönes dickes warmes Vinyl. Und so gibt’s hervorragend gemixte und zum Teil bearbeitete Funk-Cuts von Theo Parrish, Flimmer’n’B von Machinedrum und Kiffkram von Dean Blunt. Sehr nett! jw Colo - UR [Ki-Records/Ki-LP05] Auf meiner Schule gab’s mal diesen Typen, der seine CDs immer nur wegen dem Cover gekauft hat. Der kannte die Musik gar nicht. Aber wenn’s außen geil aussah, hat er’s gleich mitgenommen. Das fand ich immer total irre. Weil einem da ja auch mal der allergrößte Schund hätte unterkommen können. War aber in den seltensten Fällen so. Ist auch hier bei Colo und dem Album "UR" nicht so. Aber der Reihe nach. Schwarzer Rahmen, weißer Grund. Darauf ein Foto von Matthias Heiderich. Oben zwischen zwei Autobahnbrücken gucken eine Palme und ein Straßenschild auf einen runter und bringen ein bisschen Sonne mit. Unten im Schatten kumpeln ein paar Stromkästen rum. Das sieht irgendwie gleichzeitig drollig und total supergut fotografiert, ja beinahe gezeichnet aus. Und die Musik von Colo, die ist wie gesagt dann auch sehr gut. Absolute Empfehlung! jw V.A. - Kitsuné New Faces [Kitsuné - Rough Trade] Neulich kam hier so ein Pressezettel reingeschneit. "Kitsuné New Faces" stand da drauf. Und dass das wirklich gute, preppy-poppy Franzosen-Label auf dem Sampler jetzt die "14 up-and-coming Acts für 2014" vereint, stand da auch drauf. Eine Watchlist zum Hören quasi. Mit Hyetal, Panda, Kilo Kish und Lxury. An den großen Pressezettel war ein kleines Visitenkärtchen drangeheftet. Auf dem stand dann ein Code, mit dem ich mir den Sampler dann hätte herunterladen können. Können. Weil: Website in den Browser eingegeben und dann stand da: "The system is down for maintenance as of 13:02 CET. It'll be back shortly." Joah. (Hab mir den Sampler dann später natürlich doch noch angehört. Is' super!) jw V.A. - Pop Ambient 2014 [Kompakt/Kompakt CD 113 - Kompakt] "Pop Ambient" ist für mich so ein bisschen wie der Kinofilm "Alien": Auf jeden neuen Teil freut man sich und hofft. Es gibt aber zwei geradezu galaxiegroße Unterschiede: Erstens ist jeder Teil der Kölner Reihe durchgehend sensationell, was man vom Film leider nicht sagen kann. Und zweitens kommt nun schon seit 2001 jedes Jahr ein Teil, was man vom Film noch weniger sagen kann (ist vielleicht ja auch gut so). Durch die zeitlupenhafte Evolution dieses eigenen Genres fühlt sich die neueste, auch wieder bis ins Design komplett synthetische Version beinahe natürlich an: Dieses Jahr begrüßen uns u.a. (erneut) phantastisch Entschleunigte: Ulf Lohmann, Thomas Fehlmann, The Field, Wolfgang Voigt und auch in diesem Kontext neue wie Ex-Slowdive Simon Scott oder Cologne Tape. Namen sind hier sowieso egal, denn es zählen, wirken und verzaubern wieder mal 60 Minuten der unpeinlichsten und schönsten Ambient-Musik der Popwelt nach Eno. Leben gerettet. Mal wieder. cj Christina Vantzou - No. 2 [Kranky/krank186 - Cargo] Christina Vantzou bietet auf ihrem zweiten Kranky-Release, über vier Jahre hinweg arrangiert & komponiert, eine geschmeidige Weiterentwicklung des Erstlings. Die cineastische Schönheit der Musik ist genauso geblieben wie ihr unvermeidlicher Pathos. Kein Wunder, Frau Vantzou ist Filmemacherin. Ein 15-köpfiges Ensemble spielt also zwischen Träumerei und gekonnten Akzenten gegen die Soundscapes aus warmen Synthies und Sampleflächen, vereinigt sich mit ihnen und spuckt einen astreinen Soundtrack zu einem imaginären Film raus. Trotz gelegentlicher Spannungsmomente immer melancholisch, von weltenwandlerischer Schönheit, hier und da aber einfach too much, um es zu Hause auf dem Sessel zu genießen - für eine Zugfahrt aber sicher ein mächtiges Werkzeug, um selbst thüringische Vorstädte in Orte voller Anmut und Geheimnis zu verwandeln. Oder so. tn

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PANGAEA

ALBEN

WEG DER BEGRADIGUNG T MALTE KOBEL

Kontinuität gehört zum festen Vokabular eines DJs: Die Kunst, Platte um Platte lückenlos zu verschleifen, Konturen aufzulösen, Grenzen zu verschleiern oder gerade mit ihnen zu spielen. Während er die Kunst schon seit einigen Jahren bis ins Detail beherrscht, hat Kevin McAuley alias Pangaea eine Kontinuität erst langsam und mühsam für sich gefunden. Der jetzt erschienene Fabriclive-Mix erzählt vom Suchen dieser Kontinuität und zeigt ein gegenwärtiges Stadium britischer Bassmusik. Die Suche beginnt für McAuley 2004 an der University of Leeds: Ben (UFO) Thomson und David Kennedy alias Pearson Sound alias Ramadanman sind Studienkollegen und Dubstep das große Unbekannte. Zusammen macht man eine eigene Radiosendung und gründet 2007 everybody’s darling Hessle Audio. Die Faszination fürs Radio bleibt McAuley erhalten. Mary Anne Hobbs, die damalige Dubstep-Institution bei der BBC, wird seine Chefin: "Ich habe für sie die Produktion gemacht. Radio habe ich immer schon geliebt, vor allem, den Prozess hinter den Shows zu begleiten. Als Moderator habe ich mich aber nie wohlgefühlt. Als sie dann bei der BBC aufhörte und Benji B ihren Slot übernahm, bin ich einfach geblieben und habe für ihn produziert." Anders als Benji B, der bekannt für seine disparaten und wilden Eklektizismen ist, sucht McAuley in seinem DJ- und Produzenten-Dasein vermehrt nach einer Stringenz, nach dem einen roten Faden. Den findet er, ähnlich wie viele andere ehemalige Dubstep-Produzenten, in der straighten Kick: "Als Dubstep um 2007 herum aggressiver und macho wurde, hat sich gleichzeitig ein bassiger House- und Techno-Sound etabliert. Für viele war 4/4 ein neues und aufregendes Konzept. Techno war zwar als Genre für mich anfänglich überhaupt nicht relevant. Aber die Ideen, die dahinterstecken schon: Rhythmus, synthetische Sounds, das Sich-Verlieren, all das." Aus dem eher biederen, Techno-gesättigten Deutschland kommend, mögen solche Sätze und Schwelgereien von geraden Bassdrums und stoischen Rhythmen amüsant anmuten. Wagt man allerdings einen Blick in die Kreise der britischen "Neu-Technoiden" (u.a. 2562, Blawan, Objekt), dann erstaunt der unkonventionelle und moderne Umgang mit vermeintlich alten Mustern. Eigentliches Faszinosum sei gerade die schiere Funktionalität, so McAuley: "Techno ist pure Tanzmusik, das ist ihre wesentliche Funktion." Von Interesse ist für ihn daher der Dualismus, dieses Spiel zwischen Funktionalität und Kreativität. Das zeigt sich hinsichtlich seiner Produktionen, die ebenso wie sein DJing im Laufe der Jahre die Fährte Richtung Begradigung aufspüren. Ein Dualismus auch, weil McAuley kein Verfechter eines schnöden, unsexy Techno ist, sondern Tracks aus den Randgebieten zusammenklaubt, die auf ein Überschreiten funktionaler Grenzen drängen: ob es nun Lee Gamble, Pearson Sound oder MGUN ist, Mumdance, Shifted oder Kobosil. Vielmehr sind Schmutz und eine gewisse edgyness die Fäden, die den Mix zusammenhalten. Techno als größter gemeinsamer Nenner; Techno als öffnende und zugleich einengende Geste. Genügend Raum bleibt dabei dennoch für Pangaeas Wurzeln im UK Hardcore, die sich vor allem in rhythmischen Vertracktheiten offenbaren. McAuley ist also angekommen. An einem Ort, der möglicherweise Techno heißt und vorerst der einzig richtige ist. Ein Zwischenstopp auf der Suche nach Kohärenz und Kontinuität: "Mir bereitet es Freude, ein konkretes Ziel vor Augen zu haben, in einem Rahmen zu arbeiten, der mir gewisse Grenzen setzt."

FABRICLIVE 73:Pangaea ist auf fabric Records erschienen.

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Nicolas Bernier - frequencies (a / fragments) [Line/LINE_064 - A-Musik] Die Stimmgabel produziert einen Klang, der der puren Sinuswelle sehr nahe steht - dieser Verbundenheit zwischen einer akustischen und elektronischen Klangerzeugung hat Nicolas Bernier eine Reihe von Untersuchungen gewidmet, deren letzte Manifestation als Sound- & Lichtperformance ihm im letzten Jahr den Ars Electronica Golden Nica Preis einheimsen konnte. Die vorliegende Veröffentlichung dokumentiert die speziell angefertigten Maschinen, die, von Bernier am Computer getriggert, durch Klöppel eine Reihe an Stimmgabeln in Schwingung bringen und so mit Sinuswellen, ebenfalls aus Berniers Rechner, aufeinandertreffen, sich transformieren und graduell immer häufiger in kleinen Clustern aus Glitches kulminieren. Eine sehr schöne halbe Stunde, die Bernier hier aus dem Äther schält - er versteht den beiden Klangquellen genug Raum zum Atmen zu geben und sie so zu gleichberechtigten Akteuren im akustischen Verwirrspiel werden zu lassen. Jenes Katz-und-Maus-Spiel der Frequenzen hat zudem eine seltsam organische Qualität, die wohl nach dem Genuss des Stückes noch länger in den Ohren nachhallt als die Töne selbst. www.lineimprint.com tn Beata Hlavenková - Theodoros [Minority Records/MIN31 - A-Musik] Auf dem zweiten Album der tschechischen Jazzpianistin und Komponistin Beata Hlavenková halten sich Improvisiertes und mit Noten Fixiertes sehr schön die Waage. In ihren Miniaturen werden Ideen wie in einem Lied ausformuliert, hier und da variiert oder um Nebenthemen ergänzt. "Theodoros", nach ihrem zweiten Sohn benannt, enthält zwölf Stücke, für die sie die Monate des Jahres als Titel wählte. Hlavenková hält sich dabei mit technischen Finessen zurück, auch lässt sie sich nicht zu freidrehenden Abschweifungen verleiten. Ihre Tonsprache erinnert an den strengen Impressionisten Claude Debussy oder den allgegenwärtigen Erik Satie, hier und da mag Folkloristisches verarbeitet worden sein. Von Allerweltsminimalismus keine Spur, sondern eine uneitle Schönheit, in der Lyrik und Lakonik sich bestens miteinander vertragen. www.minorityrecords.com/ tcb Kurcharczyk - Best Fail Compilation [Monotype/mono066 - A-Musik] In diesem Fall muss ich zugeben, etwas befangen zu sein. Nicht, weil ich den Künstler persönlich kennen würde, sondern weil ich Koboldmakis ziemlich großartig finde. Ein Exemplar dieser Gattung ziert das Cover von Wojtek Kucharczyks Album "Best Fail Compilation", dessen irreführender Titel als Kompendium all der grandiosen Unfälle der Natur zu verstehen ist, die mitunter zu so tollen Ergebnissen geführt haben wie diesen nachtaktiven Primaten mit den Kulleraugen. Nach Unfällen klingen Wocharczyks Stücke hingegen eigentlich nicht, eher wie ein eigenwilliger Kreuzungsversuch von Bassmusik jüngeren Datums mit abstrakter Elektronik. In der Produktion sind spartanische Gesten vorherrschend, deren ruhiger Fluss durch gelegentliche laute Störungen aufgewühlt wird. Manches davon würde auf der Tanzfläche nicht einmal unangenehm auffallen, anderes gibt sich offen als Experiment, ohne Clubanbindung erkennen zu lassen. www.monotyperecords.com tcb Fenster - The Pink Caves [Morr/morr127] Geständnis: Das letzte, erste Album der transnationalen "Band" Fenster (nomen est omen, dies hier klingt nicht amerikanisch oder deutsch, sondern sowohl-als-auch-und-mehr), "Bones" (2012), hatte ich mehrfach übersehen. Dennoch nie komplett verworfen. Dann wieder rausgeholt wegen eines Konzerts. das ich dann nicht besuchen konnte. Das neue Album gar nicht erst erhalten. Zunächst. Dann darauf gestoßen worden. Es bleibt eine schwierige Beziehung. Der Witz an uns Königskindern: Schon "Better Days" vom neuen Langspieler gefällt in seiner leicht schleppenden oder verschleppten Pophaftigkeit mit der guten Seite dessen, was man als Indie-Appeal bezeichnen kann. Sprich: Tremolo, Synthie, Geklapper und eigentlich alles steht hier im Dienste des verhallten Dream Pops, selbst kitschige Anflüge versinken in wirkungsvoller Traurigkeit. Toll. cj Jóhann Jóhannsson - Prisoners OST [NTOV/Cobraside/NTOV9] Ein bildgewaltiges Album, welches Jóhann Jóhannsson mit "Prisoners OST" präsentiert! Es verwundert daher überhaupt nicht, dass es auch tatsächlich Filmmusik ist - das Album lieferte den Soundtrack für den Psycho-Thriller "Prisoners", welcher im Oktober 2013 in die Kinos kam. Der Soundtrack des Films und das Titelstück des Albums "Prisoners" spiegeln die Gesamtatmosphäre des Albums exzellent wieder: Auf der einen Seite verspürt man einen warmen, poetischen, lyrischen Ansatz in der Musik, der aber in Kombination mit den elektronischen Elementen erst seine eigentliche Spannung und Dramatik erfährt und sich langsam aufbauend zu herzzerreißenden, monumentalen, hypnotischen Momenten von Ästhetik und Melancholie emporhebt. Erik Skodvin (Deaf Center, Svarte Greiner) und Hildur Gudnadottir unterstützten Jóhannsson darin, diese beklemmend-düstere Dramatik zu entwickeln. Dies ist ihnen perfekt gelungen. Ohne Frage. jonas

Helm - The Hollow Organ [PAN - Boomkat] Luke Younger baut Collagen aus bearbeiteten Aufnahmen von Metallperkussion und Fieldrecordings undefinierbarer Herkunft. Durch Auswahl und Bearbeitung dieser Klänge schafft er Atmosphären aus Industrial, Noise, Drone und Ambient, die am besten als Hörstücke bezeichnet werden können. Distortion, hochfrequentes Pfeifen und eine allgemein recht raue Soundästhetik geben den Tracks stets eine gewisse Endzeitstimmung, in der dubiose Maschinen tief im Bauch der Erde ihr undefinierbares, aber furchteinflößendes Tagewerk verrichten. Nein, im Ernst, spannende Klänge. www.pan-act.com asb Bohren & Der Club of Gore - Piano Nights [PIAS - Rough Trade] Bei einem neuen Bohren-&-Der-Club-Of-Gore-Album stellt man sich grundsätzlich die Frage, was den aufs Minimum reduzierten Tönen pro Zeiteinheit, der drückenden Langsamkeit und der damit verbundenen Atmosphäre der Musik noch hinzuzufügen ist, um ihr eine neue und interessante Wendung zu geben, ohne die spezielle Magie zu zerstören. Im Falle von "Piano Nights" ist das ein Klavier. Kein Flügel, sondern "nur" ein Klavier. Die Stimmung bleibt also intim, an einen Konzertsaal denkt niemand beim Hören dieser dunklen und jazzigen Musik. Und ab und an gemahnt "Piano Nights" an Angelo Badalamenti und seine David-Lynch-Soundtracks. www.piasrecordings.com asb Pillar Point - Pillar Point [Polyvinyl - Cargo] Scheint, als wäre der Pillar Point gerade erst aufgestanden - so knautschi-mautschi verschlafen wie der dreinguckt und mit hängenden Schultern auf der Kante des ungemachten Bettes sitzt, in dem noch eine schlafende Frau liegt. Drinnen gibt’s dann ganz okayen Pop mit Eletronica-Einschlag. Manchmal ganz nett, so im Sinne von Apparat-nett. Dann aber auch wieder super schnulzig wie Hurts. Hm. Bin unentschlossen. www.polyvinylrecords.com jw Highasakite - Silent Treatment [Propeller Recordings - Soulfood] Puh, am Anfang vielleicht ein bisschen zu seicht und weich. Aber ab dem zweiten Track kommt dann plötzlich irgendwas Geiles reingerauscht. So mit Ecken und Kanten. Und dann klingt's aufeinmal wie Boy minus Majorreinrederei. Edgy Schwermut-Pop halt. Ganz geil. www.propellerrecordings.no jw Kangding Ray - Solens Arc [Raster Noton - Kompakt] Auf seinem vierten Album für Raster Noton legt David Letellier kühle melancholisch bis düstere Stimmungen auf teilweise äußerst clubrelevante Beats und verwundert damit sicher jene Hörer, die Carsten Nicolais Label immer noch vorrangig mit experimentellen digitalen Kunst-Klängen in Verbindung bringen. Auch Electronica und IDM verarbeitet der ehemalige Gitarrist und Schlagzeuger in seiner Musik, die mir immer besser gefällt, je abstrakter sie klingt. www.raster-noton.net asb Jean-Claude Risset - Music From Computer [ReGRM/REGRM 011] So bahnbrechend die Klangforschung Jean-Claude Rissets für die Computermusik war – die nach ihm bzw. Roger Shepard benannte, ewig auf- oder absteigend scheinenden Töne sind inzwischen Gemeinplatz, weniger bekannt sein Beitrag zur Synthese akustischer Instrumentalklänge – so überraschend lässig wohl die Art und Weise, wie er deren Ergebnisse in seiner Musik umsetzte. Die beiden noch in den Sechzigern entstandenen "Computer Suite from Little Boy" und "Mutations", Pionierarbeiten der Computermusik, atmen im sterilen Hallraum zwar immer noch die akademische Soundästhetik ihrer Zeit, warten aber schon auf mit resynthetisierten Trompeten, Pianos, Orgeln und kleinen Trommeln, die sich zwischen die FM-Glocken, spektralen Bänder und Glissandi, Klangkaskaden und -girlanden boxen, als hätten sie sich in der Tür zu einem Raymond-Scott-Soundtrack geirrt: ein Schalk, der Mann. Und wer hätte gedacht, dass sich, wenn man genau hinhört, doch derart ausgiebiger, vielgestaltiger Gebrauch machen lässt vom psychoakustischen Effekt der Risset-Töne. Auch im sommerlichen "Sud" von 1985, das akustische Aufnahmen um Marseille (Wasser, Vögel, Insekten) und ihre synthetische Mimikry über eine schillernde Vexier-Matrix breitet, stellt er ganz in den Dienst einer ungezwungenen Art von Klangspaziergang. Freundliche Musik. multipara Gardland - Improvisations [RVNG Intl./Rvngnl 22 - Cargo] Letzten Herbst veröffentlichte RVNG Intl. das Debutalbum "Syndrome Syndrome" des australischen Duos Gardland, eine borstig-unterkühlte Technoplatte. Was hier nun nachgereicht wird, ist ein Blick zurück: drei Aufnahmen, entstanden schon 2012. Live-Edits, die die 15-Minuten-Marke schonmal überspringen. Waren auf "SyndromeSyndrome" (einige seiner Bauteile kann man hier wiederfinden) ausgeklügelte oft karge Produktionen, herrscht hier ein unbändiger Wille zur Exploration. Gardland lassen ihren übersteuerten Sounds (ja, es ist ein Radio-Rip!) freien Lauf, verlieren sich in der Effektsektion, treiben ihre Tracks in immer neue Richtungen und spielen ihre offensichtliche Obsession für Noise voll aus. Ein psychedelisches Donnerwetter ohne jede falsche Zurückhaltung. blumberg

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The Body - I Shall Die Here [Rvng Intl./RVNGL25 - Cargo] “I Shall Die Here“ erweckt die Assoziation einer Raumkapsel in einem tiefschwarzen Loch. Der Druck ist kaum auszuhalten, aber nichts steht still. Das Sludge-Duo aus Portland, Oregon hat sich für seinen aktuellen Langspieler mit dem britischen Soundfummler Bobby Krlic, besser bekannt unter dem Namen The Haxan Cloak, zusammengetan und ein oneway-ticket in ganz verzweifelte Sphären der menschlichen Emotionsskala abgeliefert. Das Grundgerüst aus Drums, Gitarre und Vocals bleibt bestehen, es wird in statischer Manier bis in die Hölle heruntergestimmt und ein überzeugendes Wehklagen vermittelt. The Haxan Cloak nimmt den formlosen Haufen und macht das ganze mit zahlreichen Tweaks unter Hinzufügung stilistischer Terrormaßnahmen angenehm unberechenbar. Klar, das hier ist auch noch für Post-Hardcore-Jünger konsumierbar und nicht die neue Messlatte an akustischer Folter, das war aber auch sicherlich nicht der Anspruch. Eine geglückte Expansion des Sounds von The Body und ein schöner Showcase für Bobby Krlics vielseitiges Talent. igetrvng.com tn Ø - Konstellaatio [Sähkö/Sähkö 28] Dass Mika Vainio alle paar Monate eine Platte in die Welt hinausschickt – solo oder mit wechselnden Partnern –, ist dieser Tage ja zur Selbstverständlichkeit geworden. Sein letztes Album als Ø liegt aber schon eine Weile zurück. Nachdem sein Fokus in jüngster Zeit auf gitarrenverstärkter Heaviness gelegen hatte, erscheint "Konstellaatio" im Vergleich dazu wie eine Ruhepause. Hier gibt es immer noch das Pochen von tief unter der Erde, doch darüber schweben Klänge, die von sehr viel weiter weit weg herüberzuwehen scheinen. Es liegt etwas vom Trost der Sterne darin, die sagen (obwohl sie stumm sind): "Was auch passieren mag, wir drehen unsere Bahn. Darauf kannst du dich verlassen. Selbst wenn du nicht mehr bist." Traurigkeit steckt auch in dieser Musik, ohne Verzweiflung, eher als Mischung aus Gelassenheit und Abschied, wie sie sich nach langer Zeit des Schmerzes einstellen kann. Und ein Paradox steckt in den Stücken. Man mag in diesen Stimmungen eine Vertrautheit fühlen, bleibt am Ende jedoch in der Fremde. Vainio biedert sich nicht an, die Gefühle, von denen er erzählt, sind seine eigenen. Man kann sich von ihnen bloß bezaubern lassen. tcb Mika Vainio - Konstellaatio [Säkhö Recordings] Seit Anfang/Mitte der 90er Jahre veröffentlicht der Finne Mika Vainio elektronische Musik. Anfangs mit den bahnbrechenden PanSonic, später allein unter eigenem Namen oder als Ø und in Zusammenarbeiten mit Künstlern wie Charlemagne Palestine, Kevin Drumm oder Christian Fennesz. Seine Musik klang zwar von Projekt zu Projekt unterschiedlich, seine Sounds, mal elektronisch harsch, mal analog und warm, aber stets besonders und eigen. Dieses neue Album erscheint wieder unter dem Pseudonym Ø und arbeitet mit klaren, fast gläsernen, und scharf voneinander abgegrenzten Einzelklängen an einer ruhigen, tiefen und unglaublich entspannenden Atmosphäre irgendwo zwischen musikalischem Minimalismus und Hörstück. Großartig! www.sahkorecordings.com/ asb SybiAnn - Spore [Shit Music For Shit People/Cinedelic Records/SHIT#19] SybiAnn aus Italien kreieren auf ihrem Debüt einen wilden Mix aus Afro/Tribal-Drums, Retro-Acid und einem guten Happen John Carpenter. Das zum größten Teil instrumentale Album oszilliert freudig zwischen treibenden Rhythmen und spacigem Synthie-Sud hin und her. LiquidLiquid-Nervosität trifft analogen Druck unter Kokasträuchern, Songtitel wie “Cosmic Favela“ sprechen Bände. Es wird sich glücklicherweise nie auf nur eine der Zutaten gestützt; “Sambaramba“ erinnert mit verhalltem Gesang zuweilen sogar an eine biedere Version des World-Music-Funks von Bands wie Gang Gang Dance. Die Italiener wollen Miami Vice in die Dschungeldisco überführen - und der Weg führt straight zum kauzigen Ziel. tn The Analog Roland Orchestra - Modulor Matador [Soaked/002 - Eigenvertrieb] So wünscht man sich einen sanften Tagesbeginn. Leider wäre dieser berufstätigeninkompatibel, weswegen der Realitätsein-

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stieg nur an Sonntagen entsprechend glückt. Dabei hat "Modular" alle Vorraussetzungen für einen entspannten Tag im Downbeat, dem auch ein wolkiger Himmel nichts anhaben kann – sunday dopeness pur. Richtig gestartet, ist man bereit für die B-Seite. Mit einer jazzigen Trompete im Rucksack begleitet einen der "Matador", zum nächstgelegenen Tanztee, bis die 909-Bassdrum endgültig einsetzt und TAROs Dubtechno-Elemente zum Vorschein kommen. Den Drahtseilakt aus Tanzwillen und Entspannung beherrscht er mühelos. Sehr schöne Single. www.theanalogrolandorchestra.com bth C. Spencer Yeh, Okkyung Lee, Lasse Marhaug - Wake Up Awesome [Software/SFT021/SStudios02 - A-Musik] Natürlich wäre das auch dann genuin elektronische Musik, wenn jenseits der Percussion und dem Piano der beiden Herren, dem Stimmeinsatz aller drei, dazu Yehs Violine und schließlich Lees Cello als Tour Guide keine elektronischen Töne zum Einsatz gekommen wären. Was sich zunächst wie Ausschnitte aufgeweckter Studio-Jams gibt, entpuppt sich allmählich im Lauf der 15 Stücke als Ergebnis verschachtelter kompositorischer Nachbearbeitungen ebensolcher. Deren atmosphärische Verdichtungen und Zuspitzungen verleihen der komplexen Materialfülle des Trios erst Greifbarkeit, denn die Pforten der Wahrnehmung hält es durchweg sperrangelweit offen: ein überfalteter Strom neuer Gerüche und Muster, aus jedem Kissen wird man sogleich wieder fortgezogen, weggebeamt; alles scheint möglich in diesem murmelnden, samtigen, kräuselnden, sandpapiernen Basar, summiert sich zu einer sanft euphorisierenden Katharsis, aus der uns noch am Ende Lees Bogenstrich als junges Fohlen auf die Frühlingswiese entlässt, gerüstet für den Tag. www.softwarelabel.net multipara V.A. - Rocksteady: Rocksteady, Soul and Early Reggae at Studio One [Soul Jazz/SJRCD277 - Indigo] Rocksteady, dieses historische Bindeglied zwischen Ska und Reggae, markiert in der Musik Jamaikas eine Phase Mitte der Sechziger Jahre, in der das Tempo rausgenommen wird und das künstlerische Unabhängigkeitsgefühl der Musiker des Landes zunimmt. Zugleich orientiert man sich an Soul-Liebesliedern und singt gern dreistimmig. Diese Vorstufe des Reggae gilt unter Jamaikanern immer noch als die beliebteste Musik, so Lloyd Bradley in seinem Booklet-Essay. Und sie hat reihenweise großartige Songs hervorgebracht. Aus dem Studio One stammt nicht nur eine frühe Fassung des Heptones-Überhits "Party Time", auch Ken Boothe hat ergreifende, fast gospelartige Nummern wie das zutiefst demütige "Home Home Home" beigesteuert. Gleich zu Beginn der Compilation gibt es dann noch einen Verweis auf spätere Reggae-Traditionen: Den markanten Bläsersatz aus dem Song "Stars" von The Eternals hat King Tubby im Titelsong seines Albums "The Roots of Dub" kongenial gewürdigt. Hier also die Vorlage dazu. www.souljazzrecords.co.uk tcb Sunn O))) & Ulver - Terrestrials [Southern Lord - Soulfood] Für ihr neues Opus taten sich Stephen O'Malley und Greg Anderson mit den norwegischen Wölfen von Ulver zusammen. Ulver mischen normalerweise Dark Ambient mit neoklassischen Elementen und akustischen Instrumenten zu pathetischen Schwermütigkeiten. Gemeinsam setzen sie hier das musikalisches Tempo manchmal fast auf Null und erzeugen durch mit Kathedralenhall überzogenen Bläsern, Streichern, Gitarre und Bass sich minimal bewegende Drones, die spätestens bei den Gesangsparts zu pathosüberladenen SakralScores mutieren. Schwere bis anstrengende Kost. www.southernlord.com asb Wooky - Montjuïc [spa.RK/sp26cd - BCore] Vielleicht muss man in Barcelona zu Hause sein, um sich sowas zu trauen und dann auch noch so überzeugend durchzuziehen. Albert Salinas holt mit seinem Debutalbum sämtliche im BermudaDreieck von IDM, Trance und Progressive verschollenen Rave-Cruiser an die Oberfläche und schenkt ihnen einen zweiten Frühling im neuen Jahrtausend. Wie das geht? Durch Verzicht auf jeglichen Anflug von Stumpfheit. Die Beats leben den geschmeidigen Funk moderner Breaks und Steps, grade Viertel sind die Ausnahme; überhaupt passiert hier aber für den Dancefloor, das Wegdriften einfach zu viel. Wie schon in Brunas sublimierten Clubmoment-Flashbacks voriges Jahr am selben Ort steht hellwache romantische Verklärung in Pralinenform auf der Agenda, aber mit anderen Mitteln. Während man noch vorm Sounddesign zurückzuckt, das wie beiläufig Brücken schlägt von etwa Bass Music zu R&S und Internal (die Älteren werden sich erinnern: Orbital, CJ Bolland), gibt man

sich nur zu leicht Wookys traumhafter Sicherheit hin, mit der er die vielen kleinen und großen Melodien zusammenhält, die von ewiger Jugend an fernen Stränden erzählen. Und wundert sich. www.sparkreleases.com multipara

immer, fast immer über sich hinauswachsen und einfach sommerlich glücklich schmetternde Deephousetracks der feinsten Art sind, die so viel innerlichen Soul haben, dass man sie jedes Mal auf dem Floor wieder wie einen alten Freund begrüßt. bleed

Dirty Purple Turtle - Medicine & Madness [Spezialmaterial Records] Der Beginn des Albums erinnert schwer an den Apachen, den für den Trommler Klaus Dinger und damit Bands wie Kraftwerk und Neu! typisch maschinellen 4/4-Krautrock-Beat. In den nächsten Tracks zeigt das mit Schlagzeug und Electronics bewaffnete Duo aus der Schweiz, dass es mitnichten irgendwo abkupfert, sondern über ein recht breites Repertoire an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügt. Dadurch bleibt "Medicine & Madness" über die gesamte Spielzeit spannend. Live eingespielt klingt das, roh und er-improvisiert. Das rockt meist schwer verzerrt mal schleppend und mal uptempo, lässt dabei aber nie eine Gitarre vermissen, sondern erweist eher John Carpenter die Ehre. Und spielt mit Industrial, Dub und Laibach. Was ein Spaß! asb

V.a. - Present Tense [Touchin' Bass] Grandiose LP mit Tracks von Sky Tucker, Jeff Pils, Quinoline Yellow, Clatterbox, Kero und v.a. Immer wieder böse rockend, voller Electrospleens, aber auch abstrakterem Funk, schleichend mäandernden Momenten, in denen alles auf den Melodien liegt, den süßlich zuckelnden Momenten. Früher wäre so eine Platte auf Clear erschienen und man hätte sie ein Jahr lang gefeiert. Jetzt dürfte sie vor allem etwas für Genießer der Randgebiete des Floors und alter Zeiten sein, auch wenn die Musik eigentlich viel zu frisch ist, um durch eine Brille gehört zu werden. bleed

Die Heiterkeit - Monterey [Staatsakt/Akt 748 - Rough Trade] "Herz aus Gold", "Daddy's Girl" und nun "Monterey": Die ausdrücklich missmutig gelaunt scheinenden Damen der Heiterkeit rühren einen immer mehr. Schon auf der unglaublich schönen "Daddy's Girl"-E.P. findet sich eigentlich nicht mehr der viel bemühte geniale Dilletanttismus, sondern entrückter minimaler Traum-Pop mit JD- oder VU-Grandezzaeinschlag. Ich meine, wer weint denn bitteschön nicht zum Titeltrack, der sich auch auf dem zweiten Album wiederfindet? Das ist mehr Galaxie 500 als Lassie Singers, gleichwohl "Deine Parties sind furchtbar, es ist nicht zu fassen" singend. Sicherlich hilft eine Ladung Misanthropie-Affinität, um den Weg mit der Heiterkeit zu gehen. Doch genau das entfaltet einen leisen, unaufgeregten Sog, von mir aus auch Flow, der glitzert. Und mit "Factory" wird der Referenzkosmos weiter geöffnet. "Du und ich riskieren viel". Die Heiterkeit bleibt ganz sie selbst, stoisch, und riskiert erfreulich, nicht gemocht zuwerden. Ich liebe sie (nicht nur deswegen). www.staatsakt.de cj Ja, Panik - LIBERTATIA [Staatsakt/LC15105 - Rough Trade] "Ich wünsche mich dahin zurück, wo's nach vorne geht", "Wo wir nicht sind, wollen wir nicht hin", "Wo wir sind, ist immer Libertatia". Die Wahl-Berliner Österreicher klingen irgendwie nunmehr ausgesprochen englisch, nicht etwa wegen ihrer phantastisch vielen Zitate und Verweise, nein, im Sound. Nachdem New New Wave sich etwas ausgelebt und überholt hat, arbeiten Ja, Panik und auch zahlreiche deutschsprachige gute Bands dies auf, ohne sich aufzugeben. Sondern streuen sogar ein klein bisschen Soul mit hinein. Sie bleiben wohl neben Kante eine der wichtigsten Gruppen gleich nach Fehlfarben, The Wirtschaftswunder, nach den Goldenen Zitronen, Die Sterne oder Blumfeld und vor Messer, Die Heiterkeit, Trümmer oder Candelilla. Ja, Panik bleiben ein wirklich beeindruckendes Dazwischen. Und warum nicht mal das Infosheet zitieren, das es im Fall dieser Band und des anarchistischen Seeräuber-Ortes Libertatia auf den Punkt bringt: "LIBERTATIA ist 'Dostojewski in der Disco' (Kristof Schreuf)". cj Mixed Band Philanthropist - The Impossible Humane [Staubgold/staubgold 129 lp - Indigo] Die New Blockaders hatten in den Achtzigern dieses schöne Nebenprojekt, in dem Musique-Concrète-Methoden auf erfreulich krude Weise Anwendung fanden. So wurde nicht nur sehr unorthodox Lärm mit Pop-Zitaten zusammengemischt, es kamen auch haufenweise exklusive Tape-Zugaben von befreundeten Künstlern in den Fleischwolf: Mit Nurse With Wound, Merzbow, P16.D4, Asmus Tierchens, Andrew Chalk, Etant Donnes, Controlled Bleeding, Smegma oder The Haters ist so ziemlich alles vertreten, was im extremen Noise und Industrial damals Rang und Namen hatte. Entsprechend heterogen klingen die einzelnen Sektionen, die gleichwohl bestens zusammenhalten wie ein abstraktes Hörstück, in dem sogar Tom Jones einen Auftritt bekommt. Zusätzlich zum ursprünglichen Album hat das Label Staugold noch die Single "The Man Who Mistook A Real Woman For His Muse And Acted Accordingly" als Bonustitel ergänzt, was zur Komik der Sache einiges beiträgt. Ein tolles Raritäten-Reissue! tcb V.a. - Local Talk - Talking House Vol. 3 [Talking House] Ein unscheinbares Label irgendwie, aber wir empfehlen jedem, es mit dieser Labelcompilation kennenzulernen. Upliftend funkige Housetracks in sehr gedämpften, aber auch überdrehten Stimmungen von Anaxander, Elef, Dale Howard, S3A, HNNY, uvm., die

Tinariwen - Emmaar [Wedge] Die Tuaregmusiker von Tinariwen haben ihr mittlerweile sechstes Album aufgrund der politischen Lage zum ersten Mal nicht in der Heimat im Norden Malis, sondern in der Joshua-Tree-Wüste in Kalifornien produziert. Geholfen haben dabei ein paar amerikanische Musiker um den Red-Hot-Chili-Peppers-Gitarristen Josh Klinghoffer, die den typischen Bandsound durch Slidegitarren und Geigen ein wenig angereichert, aber nicht grundsätzlich verändert haben. Produziert hat wieder Patrick Votan, der nicht nur mit unterschiedlichen Musikern wie Charlie Haden, Rokia Traoré und Salif Keita, sondern auch an den früheren Alben der Band gearbeitet hat. Die Texte beschäftigen sich nach wie vor mit der komplizierten politischen Situation der Tuareg, und auch musikalisch hat Tinariwens entspannt treibender Wüstenblues immer noch eine Menge zu sagen. asb Ane Trolle - Honest Wall [Wind Some Lose Some/APCD 60361] Die Dänin hat uns schon mit Trentemøller und ihrem Duo Trolle/ Siebenhaar sogar chartshaft kennen gelernt. Überhaupt werden einem ja gerade wieder diverse Skandinavier - nicht nur im allseits wunderbaren Design - nahe gelegt, die Förderung sogenannter kreativer Bereiche funktioniert dort anscheinend einfach besser als hierzulande. A propos: In direkter Nachbarschaft zu gothischen Acts wie Anna von Hausswolff oder der swampbluesigeren Andrea Schroeder bewegt sich Ane Trolle mit ihrem Solo-Album. Keine Angst vor Emotionen oder Entblößungen sollte vorausgesetzt werden. Trolles Stimme und Stimmung erinnern an die sicherlich sehr vergessenen Congo Norvell, die einst von Kid Congo Powers und Sally Norvell in L.A. gegründet wurden. Im April kommt Frau Trolle auf Tour mit Band auch in unser Land. cj Kouhei Matsunaga - Drawings [Fang Bomb/FB023 - A-Musik] Kouhei Matsunaga mag Vögel. "Drawings", erstmals eine Auswahl seiner zeichnerischen Arbeit in Buchform sammelnd, komplett mit 7" seines musikalischen Alter Egos Koyxen Mattsunangen, knüpft so auf Fang Bomb ganz zwanglos an Wolfgang Müllers voraufgegangene Buch+7"-Kombination an, in der es um die Laute ausgestorbener Vogelarten ging. Die Welt, die Matsunagas Vögel und Akte bevölkern, atmet eine unerwartete und anziehende Leichtigkeit zwischen antiker Idylle und verspieltem japanischem Minimalismus: ein blendend weißes Puppenhaus mit winzigen Kuchentellern und Musiktruhen, in denen die Liniengestalten der Liebeskinder von Beardsley und Shrigley in naiven kubistischen Raumverfaltungen und seinen ureigenen muskelfasrigen Schraffuren einen entspannten Nachmittag machen. Der Soundtrack dazu: Bonus ohne Korrespondenz. Zwei weitere "Dance Classics" im Stil seiner Compilations auf Pan, dank gleicher Werkzeugkiste wieder klingend wie weiland Zorn (besonders im technoideren Puls des zweiten Stücks), umseitig ein wenig Fischen nach dem Ehering im Abflussrohr und ein abgehangen kratziger FeedbackFieps-Beat im NHK-Stil. multipara Citizen - Climax Ep [2020Vision - Rough Trade] Ihr wisst schon. Diese Frauenstimme, die säuselt, die duch die Luft des shuffelnden Grooves fliegt und von einer Nacht träumt, in der man sprachlos, aber doch voller Stimme, durch den Raum fliegt. Das kann Citizen auf "As One" perfekt. Schichten von Stimmschleiern, die dem satten Bass etwas unerwartete Frische zuwedeln, während der Schweiß nicht mehr weiß, wohin er noch tropfen kann. Brilliant inszenierte Hymne, die einen weiter hinausträgt, als man dachte noch gehen zu können. Und wenn sich das Gepolter noch tiefer in Soul einschleust, wie auf "Climax", dann erfüllt sich - einmal mehr - der Traum der Nacht. bleed

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Truncate - Pressurize EP [50 Weapons/033 - Rough Trade] Zitternd, bis es einem die Luft verschlägt, Paukenschläge, ausufernd kontrollierte Synths, so legt die EP auf "Breakdown" los und hält einen damit so gefangen, dass man sich fragt, ob der Track überhaupt noch von der Stelle kommen muss, um einen wirklich umzuhauen. Die Antwort hat man auch gleich. Wozu? Auch der Rest der Platte verwirrt einen immer wieder. Mal mit einem Sound, der uns überraschend stark an die ersten Clicks&-Cuts-Zeiten erinnert, "Dial 20" z.B. könnte fast von SND sein. Nur halt mit mehr Wumms. Und dann ist plötzlich wieder dschungelartiger Technosound angesagt, und am Ende finden wir uns beim Hood-Minimalismus der ersten Stunde wieder. Und nun? Am besten nochmal. bleed Alien Rain - Alien Rain 4 [Alien Rain/AR004] Bereits die vierte Alien Rain und eigentlich braucht man zu diesem sehr erfolgreichen Seitenprojekt von Milton Bradley kaum noch etwas zu sagen. Eine Vermengung der dunklen Seite des Technos mit hypnotischen Sci-Fi-303-Rhythmen - und das in Perfektion. Strahlender, rauer Acid-Techno. Die Intensität von "Alienated 4A" und "4B" entwickelt sich spiralförmig-ansteigend, behutsam und trotzdem konsequent, um dann jedoch nicht zu explodieren, sondern sehr elegant das Stück zu schließen. "Alienated 4C" rundet die EP als ein wesentlich leichteres, ambienthaft unaufdringliches Stück ab. jonas Leyland Kirby Breaks My Heart Each Time EP [Apollo/AMB1401 - Alive] Nach dem unheimlich starken Album als "The Stranger" im Jahr 2013, veröffentlicht R&S' Tochterlabel Apollo jetzt Kirbys EP "Breaks My Heart Each Time". Sie ist angekündigt als eine sehr persönliche, reflektive EP. Und tatsächlich - es scheint sich hier ein Kreis zu schließen. Die rasanten Rhythmen, hauchdünnen Synthesizermelodien und die anderen perkussiven Elemente stellen eine Verbindung zu seinen eigenen Wurzeln, die in älterem UK Rave und Acid House liegen, und gleichzeitig dem aktuellen Tanzflächengeschehen dar. Eine EP zwischen prächtiger Atmosphäre, subtilen, kryptischen Rhythmen und jazzigem Techno. jonas Gacha When The Watchman sees The Light [Apollo/AMB1402 - Alive] Erstaunlich eigentlich. Apollo macht wie R&S alles richtig und doch nichts falsch. Hier mehr Tracks von Gacha, wunderschöne Elektronika mit Frauengesang,

Gitarre, sanften Tönen, die dennoch nie banal wirken, kuschelig, aber nicht anzüglich, smart und doch so direkt. Manchmal klingt das wie ein laues Windchen einer von weit weg hereingewehten Festivalband, manchmal ist es pures plauschiges Pathos. Immer aber stimmt alles. Musik, in die man sich fallen lässt, ohne dabei viel davon zu erwarten. bleed Architectural - Architectural EP [Architectural Recordings/005] Wann ist Techno überwältigend? Wenn es einen mitreißt? Ja, aber damit ist es nicht genug. Er muss eine Welt erfinden, die so gigantisch und unnahbar ist, dass sie einem sofort zur Heimat wird. Dystopisch, aber voller Hoffung auf etwas, das man nicht mal unbedingt selber auch erreichen will. Architectual kann das in den besten Momenten der EP. Zitternd, bebend, massiv und doch so voller geheimer Verheißung, Verlockung, Gräben, in die man blickt, bis einem vor Endlosigkeit schwindelig wird. Loslassen, aber nicht loslassen, sich gehen lassen, aber nie zu tief fallen, endlos auf etwas einlassen, aber doch irgendwie von der Ästhetik der Macht mitgetragen werden. Spanier vor der Zerreißprobe. Wir können uns das gut vorstellen. Und sind bereit, an diese Szene der inneren Erleuchtung der Fusion von Techno mit sich selbst zu glauben. bleed Djuma Soundsystem, Aki Bergen feat. Lazarusman Your Deep Is Not My Deep [Audiomatique/AM054 - WAS] Poser. Dann ist das eben mein Deep. Was sollen die Kids auf dem Floor denn denken, wenn sie alle plötzlich für sich mit der dunklen Stimme des Tracks mitsummen! Die vereinzeln doch völlig. Die drehen sich doch von allen weg. Und dann? Depression auf dem Floor? Wir können froh sein, dass der Track einfach ein klassischer Hit ist, der keinen mit seinem "not together" alleine läßt, weil man doch irgendwie die durch die letzten Poren der Begeisterung siedende Durchlässigkeit mit allen teilt. Drei Versionen des Hits, alle perfekt. bleed Appleblim & Komon - Jupiter EP [Aus Music - WAS] Als Dubstep noch kein Schimpfwort war, hat Laurie "Appleblim" Osborne mit seinem Partner Shackleton ganz großartige und wegweisende Musik veröffentlicht. Halfstep-Beats, dicke Tiefbässe und genau die richtigen Pausen zwischen den einzelnen Klangereignissen waren damals ihr Markenzeichen. Mit "Jupiter" ist er jetzt nach 5-6 Jahren ganz woanders gelandet. Der Titeltrack tanzt mit federnden Housebeats und catchy Keyboards recht gelenkig. "Glimmer" rockt eine Ecke straighter, und "Beach Trak" arbeitet mit ruckeligeren bossa-artige Rhythmen. Dazu kräftige Bässe, eine runde fette Produktion und ordentlich Funk. Nicht schon wieder wegweisend, aber äußerst frisch. asb

Josh Caffe & David Newtron As I Look Out [Batty Bass] Ungewöhnlich kratzig, schnarrig fast in den Sounds, dann diese wuchtige Bassline, dieses Kellergefühl, das einen fast in die 80er zurücktreibt, der unausweichliche Acidmoment, die Vocals, die klingen, als hätten sie ein Megaphon verdient, dieses leicht trancig Überdrehte und die wundervollen Discochords im Breakdown zum Höhepunkt. Irgendwie fast zu poppig, aber genau deshalb auch zu gut. Eine eher seltene Mischung. Der Remix von Snuff Crew macht bei aller Nähe zum Original doch einen Oldschoolmosher draus und Capracara den Bolleracid dazu. bleed Clap! Clap! - Tambacounda [Black Acre Records] Wir halten immer einen kleinen Sicherheitsabstand zu Tracks, die derart voll mit tribalen Gesängen sind. Nicht aus Angst vor dem großen Levi-Strauss, sondern... Ach das erklären wir ein anderes Mal, denn der Track ist nach Sekunden eh schon weiter und in einen Halftime-Groove getaucht, der so massiv überfrachtet Eurotribeboogie für die großen Raves des ganz großen Kinos (erinnert sich noch wer an die MatrixParty?) macht, dass wir einfach schon von der Idee, dass man das gut machen kann, völlig übervordert sind. Und später geben wir dann auch zu, dass Clap! Clap! wirklich wissen, was man mit einem Querflötensample im Dschungel so anstellen kann. Abenteuer-EP, zu der man mindestens einen Liter Bitter Lemon braucht. bleed System Of Survival - I Mean EP [Bpitch Control/283 - Rough Trade] Sehr schöne EP von System Of Survival, die vor allem dann brilliert, wenn es in die dichten Tonalitäten von einzelnen Samples geht wie auf "King Of The Beat" oder "Family Ring". Dann dampfen die Tracks vor lauter Stimmung losgelöst und ohne dass sie jemals wieder den Boden berühren müssten. Manchmal bewegen sich die beiden aber auch einen Hauch zu sehr in ihr eigenes Funkuniversum, und dann sind sie gar nicht mehr weit weg von etwas, das man früher mal TripHop nannte. bleed gAs - Ray Of Light [Cadenza Lab/019] Nicht verwechseln mit Wolfgang Voigt. Würde aber beim Hören eh nicht passieren. Enrico Gasperini träumt auf "Ray Of Light" eher von "Stings Of Life", als von Zauberbergen. Treibend glücklich selbstverlorene Klassik, die einen wie auch die Rückseite in diesen typisch Cadenzahaften Klappersound der sanften Extase entführt, die irgendwie immer latin ist, irgendwie aber auch abstrakter, purer, reiner, gepflegter und so aufgeräumt hymnisch, dass man sich einfach dem Flow ergibt. bleed

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EGOKIND

Alex Israel - A Man Of Qualities [Crème Organization/CR1271] Kann Masse grooven? Anscheinend. Eigentlich wäre das ja für Crème Organization auch nichts wahnsinnig neuartiges. So umwerfend wie auf der A-Seite von Alex Israel, begegnet mir groovende Schwerfälligkeit aber selten. Speckigverklebte Synths, Tennisball-Drums und dann Chords, die Melancholien aus dem luftigen Space hinüberpusten. Auf der BSeite darf ein wenig durchgeatmet werden: Die fettverschmierten Klauen laben sich im Sommerwind, die HiHats üben Seilspringen und die Basslines suhlen sich im feuchten Gras. Rave On. Cremig versauter Killeralarm. malte Dimitri Veimar - Everyone in NY [Deep Shit/004] Klar. Jeder. Jeder, nicht nur in NY, hat ein Gimmick. Tricks. Irgendwo muss man sich ja Substanz herholen, wenn die Welt die schon nicht mehr hergibt. Unsere jedenfalls nicht. Und Dimitri Veimar bringt auf dem Track die perlenden Bleeps, das pure Verzücken, die langsam blubbernden Blasen der ersten Warpphantasie von Zukunft dazu, uns davon zu überzeugen, dass wir gar nicht von NY reden, sondern von der Geschichte von House, von dem Vierteljahrzehnt, das einfach nicht loslassen will und in jedem steckt, bereit zu jedem Moment in einem Phantasma der puren Präsenz herausgeholt und gefeiert zu werden. Das Überraschende daran: Veimar kann das irgendwie erzählerisch arrangieren, ohne dabei an Kraft zu verlieren. Und das ist nicht der einzige Track der EP, der einen in diesem Schwebezustand zwischen Realitäten der einen Geschichte, die in Wirklichkeit vor allem viel zu viele sind, zu halten und eine gute Nachtgeschichte zu erzählen, die man wie eine Decke um den inneren Dancefloor legt. bleed Giorgio Moroder vs. I-Robots [Deeplay Digital/Opilec Music/DD005] Italo-Disco hat für den Mastermind von Opilec, I-Robots, bis heute nichts von seinem Zauber verloren. Sicherlich eine tolle Sache, mit "Utopia - Me Giorgio" einen Track des Ausnahmeproduzenten Giorgio Maroder bearbeiten zu dürfen. Allerdings ist der unreleased track einer, den es nun wahrlich nicht unbedingt braucht. Standard-Italo ohne Erkenntnisgewinn oder irgendeine Besonderheit, die ihn heute noch interessant machen würde. Neben der 77er-Rekonstruktion, die das Original auf die doppelte Länge zieht, gibt es noch zwei 2014er Versionen. Insgesamt eher was für richtige Fans. bth Mark Du Mosh - Bay 25 [Dekmantel/014 - Rush Hour] Monster. Rauscht auch gut. Soll aber nicht mehr als eine Nebenbemerkung sein. Lupenreiner Ravekram. Fiebrig. Zitternd. Wummsend, mit Oldschoolmelodie, die, wir schwören, so bekannt ist, dass wir gar nicht mehr wissen woher. Und dann pfeift der Track in seiner

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Melodie auch noch so unverschämt, als wäre das Ganze eher eine lustige Wanderei durch die Berge. Und die Breakbeats! Hatten wir schon erwähnt, dass Breakbeats als Breaks wirklich viel zu selten sind? Ein Track wie ein Monument. Und auch "Living Up" mit seinen weiten Reverbräumen und dem tänzelnd verliebten, harmonisch überfluteten Sound aus ungreifbaren Detroitromanzen. Wir schmelzen dahin. Gesloten Cirkel macht in seinem Remix dazu dann das, was wir nicht erwartet hätten, er zerreißt den Track und lässt ihn trotzdem ganz unschuldig lostänzeln. bleed Simian Mobile Disco - Balut / Snake Bite Wine [Delicacies - Rough Trade] Ich bin ja seit einer Weile erklärter Simian-Mobile-Disco-Fan. Doch! Schickt mir ein Shirt und ich werde es mit Ehren tragen. Und hier ist es "Snake Bite Wine", dass mich vom ersten Moment an mit seinen klassisch geschnittenen 909-Hihats, den aufrührerisch zurückgehaltenen Chords und dem Willen, nie so wirklich loszulassen, vom ersten Moment an fesselt. Schon albern. Man will sich fesseln lassen als Befreiung. Ja, wir haben schon öfter über die Sado-Maso-Strategien der Kicks nachgedacht. Aber hier wird das so festlich angereicht, so voller Breite und Grinsen, so erhaben und doch leichtfüßig, dass wir am liebsten gleich willig "Opfer" schreien. "Balut" hat mir etwas zu viel von einem dieser Acidcharmer, die den sich schlängelnden Basslines so lange in die Augen gesehen haben, bis die Lider etwas schwer wurden. Die Trevino-Mixe haben dem "Snake Bite Wine"-Charme nichts hinzuzufügen. bleed Miltiades - Stmete EP [Delsin Records] Festhalten. An diesem einen krümeligen Nebensound, der sich in so einem Track wie "Stmete" verstecken kann. Zu dem kann man Du sagen. Der wächst einem an. Der reicht hier schon, um sich mit dem Track gemeinsam auf die Reise zu begeben durch die fast zu lässigen Grooves, die angedeuteten Harmonien. Richtungswechsel braucht es da keine. Nur dieses Streben nach Licht. Wenn man es gemeinsam macht. Wenn Musik das Gemeinsame sein kann. Dann reicht das. Überhaupt. Eine so lichtdurchflutete Platte. Ein Sonnenschein. Selbst wenn man die Augen schließt. bleed Detroit Swindle - Huh, What! EP [Dirt Crew Recordings/076 - WAS] Ich hätte schwören können, nach dem "What" kommt ein Fragezeichen. Eins, das mir eine Antwort darauf gibt, ob Detroit Swindle noch die besinnungslosen Killer sind. So schön die breiten mampfigen Housetracks der EP auch sind, so perfekt, wie sie ihre klassischen Akkorde ausspielen wie eine unschlagbare Hand im Poker, so sehr fehlt mir am Ende doch immer der eine Moment, an dem das Ganze sich vom mittlerweile wie ein

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MBF 12111

TELRAE 021

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ADAPT

ANCIENT ROME EP

ZU ZÜRICH DUBS

IT’S LIKE THAT EP

UPWELLINGS

Rick Wade - Sweet Life EP [Fina Records/014] Ich muss zugeben, hier ist es ausnahmsweise mal der Remix von Mr. Beatnick, der irgendwie zentral wirkt. Extrem lässig schleppend im Tempo, nahezu nebensächliche Samba und dennoch extrem viel Energie. Das Original ist sommerlicher, aber irgendwie einen Hauch zu Stereo und der Rest der EP irgendwie auch nicht ganz das, was wir an Rick Wade so lieben. bleed Paul Peanuts - The Sun's Path EP [Form Music/038] Was für ein bezaubernder Track. Glöckchen, Synths, Trubel, Zittern, jazzige Grooves, purer Swing. Sommerravesound, der klingt wie eine transdimensionale Harfe in ihrem natürlichen Überlebensraum. Musik, die man bewohnen möchte. Aufbewahren bis man sie an einem Nachmittag spielen kann, an dem der Floor keinen Druck braucht, sondern eine Umarmung. "Sweat Noise", die Rückseite, ist das jedenfalls nicht. So warm hier auch die Hintergründe sein mögen, es hat nicht den Hauch einer Chance gegen den Titeltrack, bis am Ende langsam alles zusammenfindet und in einer kleinen Supernova explodiert. bleed Black Loops - Simplon Ep [Gruuv/030] Böse. Trocken. Stolpernd im überladenen, minimal aufgeladenen Groove. Ein stolzer Loop ist der schwarze Loop. Wie ein Bär. Wie ein Blick zu tief in einen Rachen, der eine Öffnung auf eine Höhle ist, in der nun wirklich nichts Gutes auf uns

LEGHAU

DIAMOND DAYS

JAKOB REITER

Metrist - Doorman in Formant EP [Fifth Wall/5WALL010] Manchmal überkommt einen die total schlaue Idee, beim Schreiben eines Reviews einfach immer lauter zu drehen. Wer weiß, vielleicht könnt ihr das dann besser hören? Meist sind es so ruffe Tracks wie hier, rauschig, kaputt, massiv und zersplittert zugleich. Man glaubt einfach, die gingen unter. Das wäre so schade. Die finden nicht das Ohr, nicht den Körper, nicht den Floor, der ihnen gebührt. Wenn etwas so sensationell zurückhaltend und lospolternd zugleich ist, dann will man doch, dass das alle fühlen. Ich lege einfach zu wenig auf zur Zeit. Zurück zur Platte. Das ist pures Eis. Purer Eisbrecher. Purer flüssiger Stickstoff zum Atmen unter der Gasmaske. Cryo-Funk. Ein Schrecken und ein kalter Schauer zugleich. Holt euch das, kühlt den ganzen Sommer. bleed

TRAPEZ 151

DOMINIK EULBERG ROY ROSENFELD & GABRIEL ANANDA KONNEKTED EP

PAVEL PETROV

Golfkurs gepflegten Rasen des deepen Houseflurs wegbewegt. Darauf wartet man auf "Huh, What!! aber vergeblich. Dafür kann das "Laszlo Dancehall Exercise" das. Wummernd, technoid, mehr Scherben, als halb voll, knallt es einfach nur durch. Konstant. Danach dann wieder massive, perfekt durchkonstruierte Housemomente. bleed

UPSURGE EP

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wartet. Polternde Musik, die einen dazu animiert, selbst das letzte Grollen noch als eine Weissagung zu betrachten. So jedenfalls "Cabron", denn auf dem Titeltrack säuselt es verführerischer mit charmanten Chords der bissigen Art und Basslines, die schon fast nach Bass (wie blöde das klingt wissen wir auch) klingen. Garage halt. Zerrupfter Soul. Die Gnade des blanken Kicks. bleed SNTS - Horizontal Ground 16 EP [Horizontal Ground/HG016 - Hardwax] SNTS ist mit dieser EP nach drei Veröffentlichungen auf seinem gleichnamigen eigenen Label nun beim überaus wohlsortierten Technolabel "Horizontal Ground" gelandet. Prinzipiell eine starke EP, mit kühlem Ambientintro sowie zwei darauf folgenden tooligen, aber nichtsdestotrotz ruppigen, mitreißenden Technostücken. Jedoch ist es erst Stück 4, welches einen gänzlich aus dem Sessel reißt. High-End-Technoklang mit mäandernder, dunkel-schneidener und gleichzeitig zerbrechlicher Hintergrundatmospäre. Ein Stück, welches auch das letzte Staubkorn in der Dunkelheit kraftvoll aufwirbelt. Wer ein treuer Käufer von Platten von Shifted, Sigha oder Samuel Kerridge ist, der sollte hier schnell zugreifen. jonas Einzelkind - Dirtdrive Ep [Infuse/004] Tracks. Tracks. Tracks. Manchmal summen sie einfach nur. Diese Mechanik. Wie ein Geruch, der einem unmissverständlich klar macht: Frühling. Auch wenn man ihn nicht fassen kann, nicht mal weiß, ob es überhaupt ein Geruch ist, oder nicht einfach ein Gefühl. So funktioniert auch "Dirtdrive". Fast nebensächlich schleicht es sich ein, ist aber doch direkt so präsent, dass man nicht mehr loslassen kann. Und genau das kann der Track manchmal auch nicht. Einer von vielen, aber doch voller innerer Verzweiflung, voller Stimmen, voller kleiner Bleeps, voller innerer Distanz und doch so schrecklich nah. Undefinierbar und doch so furchtbar klar. Killer. "Bless" ist mit seinen Glöckchen der Strandbegeisterung etwas schwerer fassbar, aber manchmal ist ein Tool auch ein Track. bleed John Tejada - We Can Pretend [Kompakt/286 - Kompakt] Wir haben in letzter Zeit immer wieder ein leicht gespaltenes Verhältnis zu John Tejadas EPs. Mal sind die Tracks sensationell, mal irgendwie zu, wie sagt man, zu Tejada. Das ist hier nicht der Fall, denn der Titeltrack ist eher einen Hauch zu Pop. Zu gewollt auch. Wo will er damit hin? In die UK-Charts? An Storm Queen vorbeiziehen? Dafür ist es zu glatt. Dafür rettet hier "Now We're Here" die EP. Darke Vocals, glucksende Melodien, steppend stichelnder Groove. Und ja, da stimmt alles, das funktioniert, das ist ein Hit, das hat diesen perlenden Klang der unnachahmlichen Tejada-Synth-Sequenzen, aber manchmal fehlt uns dann der eine Moment, an dem es wirklich losbricht. Wenn man den Track mal neben einen Monty-Luke-Track z.B. legt, dann wird so etwas schnell offensichtlich. bleed Hernan Bass & Du Sant Cuenta Cunetos Ep [La Bohème Records/003] So still. So tuschelnd. So einschmeichelnd. Minimaltracks könnten manchmal ganz grün hinter den Ohren sein. Das alberne "Bye, Bye Darling" mit seinen kurzen gehechelt jaulenden Vocals und dem smoothen "Comment tu t'appelles" ist so warm wie die Nase eines jungen Fohlens, dem man gerade die erste Ernte aus der Zuckerrohrplantage unter die Nüstern hält. Flauschige Musik durch und durch. Und auch "Hanibal Le Chinese" ist in diesem leicht erstickten Ton aus Stimmen, Bass und Geklacker gefangen, der einen immer tiefer in die Wirbel des Nichts hineinführt, als wären alle Wände der Zwangsjacke nicht nur toll gepolstert, sondern aus diesem Stöffchen, das so zart und elegant geschwungen, so zierlich gemustert, so seidig glänzend ist, dass man die Enge gar nicht mehr merkt. bleed Even Tuell - Longing Way [Latency/LTNC003] The Workshop Man auf dem jungen französischen Imprint Latency, das wohl vorrangig durch Joey Andersons tolle EP

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ins schummerige “Rampenlicht“ getreten ist. Von sehr weit draußen braust Even Tuell auf dieser EP auf uns zu, schickt uns zwischendurch ein paar verzerrte Bleeps, die auf A1 nur durch eine dumpfvermummte Basspartie geerdet werden. A2 lässt schwärmende Subbass-Wesen um den bescheidenen Planeten Drum kreisen. Während die B dann bereits auf Tuells Heimatplanet angekommen zu sein scheint: Knistern, Landen und ein selbstverliebtes Vorsichhinloopen. Latency sollte man wohl zukünftig auf dem Radar haben. malte Huxley & Sam Russo Don't Understand [Leftroom] Ach. Wer mit solchen perlenden Tönen anfängt, dem kann nichts mehr misslingen. Und, sagen wir es mal so, dieses "I just don't understand"-Sample, gehört sowieso zu unserem akustisch-sensitiven Wortschatz als Juwel für ganz besondere Momente. Das trägt sich fast von selbst. Oder braucht eben genau die Ehre, die Huxley und Sam Russo ihm hier erweisen. Wie üblich ein paar Remixe zu viel, aber der Honey-Dijon-"NYC Mix" ist es definitiv wert gewesen. www.leftroom.com bleed Frivolous - Lost And Forgotten [Lezzizmore] Daniel packt aus! Skandal! Alte Tracks! Klingen wie neu! Immer schon ein Genius! Klar. Immer mit einem Augenzwinkern in der Hinterhand, sind die Tracks von Frivolous voller alberner Momente, voller tiefer Untiefen mitten im Grinsen, voller Fallstricke und Geheimnisse, die dennoch ein Spiel sind. Ein ganzes Album voller Tracks hat Frivolous hier aus der eigenen Fundgrube geholt, und wir sind ihm durch und durch dankbar, denn vieles davon ist einfach so perfekt verträumt, spielerisch, flatterhaft, säuselnd und zucker, dass wir keine Fragen mehr stellen, sondern einfach mitgenießen. Und welche davon wollt ihr nun zuerst mit uns hören? "Bats At Twilight" und "Rise Up". bleed Warrior One - 5ths EP [Losing Suki/SUKI013] Massive Garagetracks für die Floorsüchtigen. Klar, hier wirbeln gelegentlich ein paar verdrehte Vocals zuviel durch den Raum, die Breaks sind übersichtlich, und dennoch haben die Stücke eine so lässige Stimmung, dass wir vom ersten Moment an das Pirate Radio lauter drehen wollen. bleed R-A-G - Life [Lux Rec/LXRC 15] R-A-G. Groß. Immer. Hier gleich noch einen Hauch pathetischer. Dennoch wie ein Puls unter der Haut immer unausweichlich und drängend. Musik, die in einem verbrennt wie ein Superheld, der seine Stärke nicht kennt. Snarewirbel. Elephantenravetröte. Claps aus dem Nirvana. Deepness, wenn gewollt. Oder schlichtweg ein Sinnieren über den Wahnsinn der Zerstörung in zerstörten Sounds. Man kann die Platte drehen und wenden wie man will, sie fällt immer auf einen zurück. bleed Rainer Veil - The New Brutalism EP [Modern Love/Love092 - Boomkat] Das Debüt des nordenglischen Duos hatte noch diese Shoegaze-Note, hier und jetzt produzieren Rainer Veil völlig im Vagen bleibende Tracks, verschleiern Beats aus dem UK-Garage-Universum mit verwaschenen, oft hinreißend schönen Layers, ohne dabei in Schönheit zu sterben. Dafür sind die knapp 30 Minuten von "The New Brutalism" – eine Anspielung auf jene sehr britische Spielart architektonischen Brutalismus – dann doch zu ungemütlich. Unter den völlig in sich versunkenen Klangwelten rumort es: Scharf geschnittene Beats und Wobble-Bass-Attacken stemmen sich gegen den ambienten Nebel, wenn auch meist wenig erfolgreich: Den Kickdrums fehlt der Kick, den Hi-Hats die Schärfe: Rainer Veil verstehen Percussion eher als strukturgebendes Element, getanzt wird woanders. Erst ein Track wie "Strangers" lässt schließlich ganz gebremste Afterhour-Euphorie zu, in Moll versteht sich. Fantastische EP. www.modern-love.co.uk blumberg ASOK - Poltergeist [MOS Deep/018 - Rushhour] Ich hätte mich dem fast hingegeben. Aber dann, diese Trancearpeggios! Aber dann doch, diese Trancearpeggios. ASOK hat das Glück, seine Kleinkindbegeisterung nicht einfach so in Gewuschel enden zu lassen, sondern sich mit aller Macht der Oldschool knallig und wild darin zu

ergeben, sich von der Gewalt der Tracks wegspülen zu lassen, auch wenn es einen Hauch kitschig wirken kann. Szenerien wie in den zerrissensten Detroitcomics, voller schnatternd, zuckelnder Synths, voller tiefer Harmonie und doch immer bereit, innerlich zu bersten. bleed Flowers & Sea Creatures Afternoons & Afterhours [My Favorite Robot Records/MFR093] Muss sich ja nicht widersprechen. Oft genug eh eins. "The Very Next Day" z.B. ist einer dieser Tracks wie gemacht für die Festivalhymne kurz vor dem Gewitter. Synths, die einem aus den Eingeweiden kriechen, als hätte man das Glück gerade erst gelernt, gerade erst wiederentdeckt, dass da alles an Energie noch drin ist, dass man innerlich ermattet doch plötzlich überschwappt. Nicht mehr kann, weil man es einfach nicht mehr aushält, kurz vor der Grenze steht, die einem nichts sagt, sondern nur sagt, da, dahinter, da ist es. Der Rest dieser ausgesprochen orchestralen Hippieplatte geht direkter ans Herz. Und bevor wir das jemanden anfassen lassen, da muss schon der Doktor gekommen sein. bleed Mod.Civil - Opto Watts EP [Ornaments/ORN 028 - WAS] Mit atmosphärischer Reverse-Finsternis bekennen sich die beiden Leipziger Gerrit Behrens und René Wettig von Mod.Civil zum "Loop", der selten mit so firlefanzig-flirrenden Thrills überdreht wurde. Heraus kommt ein Trip, gegen den der Zeitraffer bei "Enter the Void“ wie ein Diavortrag wirkt. Großartig diabolisch. Komplett verspielt geht es bei "Opto Watts“ zur Sache. Runtergebrochen auf ein klackerndes Beat-Gerüst, kommt irgendwo ein holzsalonvertäfeltes Klavier, dessen Töne wie Barfliegen über den Tresen kreisen und verwirrt in die Kurzen einrunden. Auf jeden Schlag eine Handclap bei "808 Sessions Part 1“ und HiHats mit viel Decay, sind schon eine deutliche Ansage für die Beine, dazu verfremdetes Blech und ein wenig TranceMelancholie ergeben alles, was man sich für die Peaktime wünscht. Abgerundet wird die EP mit "Sunbeam“, dem erst ruhigen, dann elektronisch fiependen Gegenpart zum vorigen Track. Herausragende EP wie immer bei Mod.Civil und Ornaments. bth Plugger - This Is Not A Record [Plugger] Gibt es das noch? Alben mit Mashups, oder sagen wir mal Remixen, oder besser Halluzinationen zu bekannten Tracks, oder vielleicht auch nur Hommagen an die offensichtlichsten Helden? Beach Boys, Jimi Hendrix, Pink Floyd, Ennio Morricone, AC/DC, Rolling Stones und Booker T. & The MGs bekommen hier ihr Plugger-Treatment, und das ist manchmal grandios, wenn es das Material wie bei Jimi Hendrix hergibt. Es ist aber auch offensichtlich. Vielleicht genießen sie eben gerade das. Das Offensichtlichste dennoch irgendwie spannend zu halten und am Ende doch alles wie einen Hippietraum vergangener Zeiten zu kosten. bleed Subjected - Conquest One [Prosthetic Pressings/040 - DBH] Ich gebe zu, an dieser EP hier verlockt mich vor allem der Tuff-City-Kids-Remix. Warum? Weil die immer gut sind, wäre die einfache Antwort. Aber noch besser, weil sie hier mal mit so harsch technoidem Material arbeiten, wie man es von ihnen nicht kennt, obwohl man immer schon gehofft hat, dass die innere Ravesau doch noch mal durchbrennen kann. Und das tut sie. Einer dieser Tracks, die man sich so laut wie möglich ins Hirn hämmern möchte, weil es einfach genau an den richtigen Stellen weh tut, an den anderen einfach purer schliddernder Funk bleibt. bleed R-Zone [R-Zone/008] Wir finden, sehr geehrter Herr R-Zone, ein Titel wäre hilfreich. Den könnte man sich ruhig, egal wie seriell das gedacht sein mag, für eine Platte ausdenken. Nein, das entfernt nicht von der Musik. Im Gegenteil. Es muss ja auch nicht "303909" sein, wie der erste Track hier heißt (übrigens unerwarteterweise ein grandios bockiges Dubtechnomonster der feinsten technoidesten Art). "Percept" wäre sicherlich auch kein guter Titel, auch wenn der Track mit seinen zerrig warmen Toms und der überfluteten Bassline irgendwann selbst die hinterste Zone der Hirnlappen erreicht. Warum also nicht "We Sad II". Das ist schön technoid sperrig, sanft verblödet, griffig wie eine Dose Bier und dabei doch voller Tragik. Machen wir so? Ok. Und das muss

ja auch nicht der stärkste Track der EP sein. Das kann auch mal einfach ein wenig zu viele bekannte Oldschool-Elemente haben. Das verzeihen wir R-Zone gern. bleed Ame Zek - Rostfrei [Rostfrei/Rostfrei 1 - Cargo] Aus heiterem Himmel fiel letzten Herbst diese obskure EP, die, jetzt mit Vertrieb versehen, den Anfang einer ganzen Reihe von Alien Invasions markiert. Denn die elektronischen Klangaggregate von Ame Zek folgen ganz eigenen Regeln, einer eigenen Ästhetik. Resultat einer über lange Jahre im Berliner Untergrund, in der Szene um die Schlesische Straße entwickelte Fokussierung (unter anderem in zahllosen Improv-Sessions, dazu Kollaborationen, etwa mit Guido Henneboehl, zuletzt Andre Vida), purzeln hier sechs erste Diamanten in die Welt, hingebungsvoll geschliffen zu einem Schillern zwischen archaisch roh und irisierend poliert, eigentümlich mäandernd und morphend zwischen Ein- und Vielheit: Fassungen dafür müssen erst noch erdacht werden. Auf Vinyl klingen die sich sukzessive erschließenden Stücke jedenfalls großartig – aktueller Favorit: Imitation #06 und dessen mächtige Schläge ins Vainiosche Dunkel. Die Technik? Eine Hydra aus drei Micromodulars in ausgeklügelter LFOModulationsverkettung – daher: Imitationen. Und viel Reifezeit. Eine Entdeckung. multipara Maxi Mill - Lost And Found [Rush Hour Voyage Direct] Hatten wir schon mal erwähnt, dass es einfach zu viel gute Musik gibt. Nicht zu viel, um sie zu registrieren, sondern zu viel, um auf sie einzugehen. Um sich mit ihr nicht nur zu beschäftigen, sondern um sie zu leben. Um ihr einen Teil von uns zu schenken, der so fest verankert ist, dass er uns nie mehr loslassen wird. Musik ist eine Welt geworden, in der wir diese raren Momente des uferlosen Glücks so oft verankern könnten, dass wir sie am Enden nicht mehr wiederfinden. Kämpft gegen das Vergessen! Warum reden wir davon? Weil diese Platte so eine ist. Auch wieder so eine. Weil der Titel schuld ist. Weil er uns verloren gehen kann in seiner Beliebigkeit, weil er aber, wiedergefunden, genau dieser Moment ist, der uns sagt, dass wir alles dafür aufgeben würden. Warum heißt er aber auch nicht wie sein Hauptsample "Use The Power"? Die Macht ist doch immer mit uns. Die Rückseite, weil auch große Kunst, ist eben auch das, dieser Moment, der Begeisterung trennt in die Seite, die begeistert und das, was man begehrt. Ha! Darüber sind wir doch lange hinaus. bleed Somewhen - 9 EP [SANA/SANA001] Debüt EP von Somewhen, Debüt EP vom Label SANA. "Auriel" wird als eher ruhigerer Opener gefolgt von "Kobalt" - einem durchdringenden und durchschauernden Science-Fiction-Technostück, dass inhaltlich bereits heranführt an "SRX" - acidlastig, mit pulsierender Energie und eben bereits erwähnter, futuritischer (oder vielleicht auch NoFuture-) Atmosphäre. Unbekannte Auflage, kein digitaler Download, kein Repress. So - get it! jonas Yves De Mey - Double Slit EP [Semantica Records/SEMANTICA 63] Zwar erschließt sich mir der Titel der EP nicht, doch findet sich unter denen der Stücke einer, der sich gut auf die präsentierte Musik ummünzen lässt: "Excursions To Intersections" - Ausflüge zu Schnittstellen. Yves de Mey veröffentlicht hier Musik, die nach einer Mischung aus experimentell digitaler, computeravantgardistischer Musik aus dem Hause Raster Noton und analogem, modernen, dubbigen Techno klingt. Vielleicht ist hier genau die Schnittstelle gefunden, die so manchen Retro- und, konträr dazu, DigitalFetischisten zusammenbringen könnte. jonas V.A. - Shemata [Soiree Records - D&P] Und wieder mal sind es Drivetrain, die hier abräumen. "Metro Beach" ist einfach ein Monster, wenn es darum geht, satte Bassline, verschlungene Akkorde und deepe Stimmungen in Perfektion durch den Raum zu wirbeln und dabei dennoch nie überproduziert zu klingen. Ein Stück, das einen an die Hand nimmt, durch die nächtlichen Straßen führt und einem am Ende zuflüstert, dass die Welt einfach gut ist, so wie sie ist. G-Prod, Jace Syntax und Rubba J runden die EP mit sehr flausig schönen, detroitig nostalgischen Tracks ab. bleed

Freestyle Man - Long Nights [Stranjjur/020] Sagen wir mal so: Eine lange Nacht, das will schon etwas bedeuten. Das kommt nicht einfach so, dafür sind wir zu ausgeschlafen. Deshalb ist der beste Mix hier auch der von Kev Obrien, der passend "Emergency Room Re-Visited" heißt. Da braucht es ewig, bis wir überhaupt mal aus dem Lauschen ins Schunkeln, aus dem Schunkeln ins Schweben, aus dem Schweben ins Tänzeln geraten. Verführt wollen wir werden in einer langen Nacht. Lange verführt. Vorgeführt auch, aber nur wenn jemand die Leine hält, dem wir ganz ganz, ganz, ganz sicher vertrauen. Und das Vertrauen muss erst mal erspielt werden. Kev Obrien macht das hier einfach am besten. Der Rest ist immer einen Hauch zu schön, zu klassisch, zu schnell. bleed V.A. - Swap White [Swap White/Ltd01] Tracks von Redj, Ghini-B, Servietzki und Jerome Caproni. Also wenn ihr nicht jetzt schon hin und weg seid... Ich gebe zu, sagen mir auch nichts. Aber merke ich mir, denn die Tracks sind so unglaublich gut. Unterschwellig duftend reduzierte Technotracks voller regnerischer Stimmung, analogem Grundrauschen, subtilen Harmonien, deepem Zittern und schlicht und einfach ultralässig dahinwehender Stimmung. Schwer zu fassen, diese Platte, aber immer perfekt. bleed Presk - Saluki EP [Ten Thousand Yen/TTY011] Kickt wie wild. Splattert. Tanzt nicht lange um den heißen Brei herum, sondern kennt den steppenden Funk und sonst nichts. Die Tracks der EP bersten vor Energie, sind innerlich so deep wie House sein kann, wenn es zum Angriff übergeht, aber dabei doch voller Subtilität in den knallig schrillen Sounds und den Sturzflügen auf ravende Tänzer in rasender Trance. Eine perfekte Mischung aus Housesubstraten und Maschinengewehrfeuer, aus gebogen schmeichelnden Chords und flirrenden Blitzen mitten ins Rückrad. bleed Various - The Box Vol. 5 [Theory/046] Klingt irgendwie banal oder? The Box. Die fünfte auch noch. Dahinter aber verstecken sich vier Killertracks von Sandrien, Tripeo, MDL vs JR und Craig McWinney, die ein analoges Unwetter nach dem anderen aufziehen lassen. Spartanisch, trocken, überdreht, rasant, wild und trotzdem so voller... was? Wie fasst man das. Musik, die klingt, als wäre vor ihr noch diese endlose Welt von elektronischer Musik, die gar nicht erforscht ist, sondern in immer neuen Konstellationen erst mal erobert und durchsucht werden will, nach dem, was kommt. Voller Glaube vielleicht, jedenfalls das Gegenteil vom Wissen von z.B. Oldschool und wie was geht. Brillante EP. bleed Bibio - The Green EP [Warp/Wap362 - Rough Trade] Also "Silver Wilkinson" war letztes Jahr eine der Neuentdeckungen im Lande "Warp", gar keine Frage. Recht schnell legt der Mann nach. Wobei diese 6-Track-E.P. im Grunde die Huldigung an Bibios eigenen Lieblingssong des letzten tollen Albums ist: das Stück "Dye The Water Green", das er mit Richard Roberts ca. 2006 auf Cassette aufnahm und das ihn (und uns) bis heute tagträumen deluxe lässt. Die E.P. soll dieses entschwebte und dennoch so präsente Ding würdigen, umgarnen und durchaus ausstellen. Und hey, die anderen Stücke sind keine Garnitur, sondern Ingredienzien. Und hier ist er wieder, dieser farbenfrohe und doch melancholische Bibio, psychedelischer, knalliger als Gravenhurst, kaugummihafter, eiernder als die Boards Of Canada, ja, eigentlich sollte er genau dazwischen einsortiert werden, falls er das denn mit sich machen lässt. In der Tat tagtraumhaft und eine luzide Fortsetzung des Albums. cj Radioslave - Repeat Myself Remixes [Work Them/012] Wiederholung. Sind wir immer dabei. Remixe sind da manchmal eine Ausnahme. Die wollen es immer besser wissen. Aber bei so einem Titel fällt es leicht. Bearweasel rockt straight durch, lässt die Stimme "Myself" stumpf wiederholen und knuffelt dazu eine passende Acidline. Mehr? Wozu? Rodhad versucht es mit dem holzigen Technopfad und wirkt dabei etwas ausgelatscht. bleed

IMPRESSEUM DE:BUG Magazin für elektronische Lebensaspekte Schwedter Straße 8-9, Haus 9a, 10119 Berlin E-Mail Redaktion: debug@de-bug.de Tel: 030.28384458 Fax: 030.28384459 V.i.S.d.P: Sascha Kösch Redaktion: Timo Feldhaus (feldhaus@de-bug.de), Jan Wehn (jan.wehn@de-bug.de), Felix Knoke (felix.knoke@de-bug.de), Sascha Kösch (sascha.koesch@de-bug.de) Bildredaktion: Lars Hammerschmidt (lars.hammerschmidt@de-bug.de) Review-Lektorat: Tilman Beilfuss Redaktions-Praktikanten: Raphael Hofman (dj-bloom@live.de), Tim Nagel (nagel.tim@gmx.de) Texte: Anton Waldt (anton.waldt@de-bug.de), Sascha Kösch (sascha.koesch@de-bug. de), Timo Feldhaus (feldhaus@de-bug. de), Felix Knoke (felix.knoke@de-bug. de), Benjamin Weiss (nerk@de-bug.de), Jan Wehn (jan.wehn@googlemail.com) Malte Kobel (maltekobel@gmail.com), Michael Aniser (michael.aniser@gmail. com), Thomas Lindemann (Thomas. lindemann@Gmail.com), Bianca Heuser (bianca.heuser@gmx.net), Christian Blumberg (christian.blumberg@yahoo. de), Max Link (maxx.link@gmail.com), Moritz Scheper (moritzscheper@gmx. de), Raphael Hofman (dj-bloom@live. net), Tim Nagel (nagel.tim@gmx.de), Tobias Lenartz Fotos: Saiva_l - Fotolia.com, Phillip Sollmann, Christian Werner, Migual Martinez, Georg Roske, Ruiné - Neven Allgeier & Benedikt Fischer, Benjamin Weiss Illustrationen: Harthorst, Lars Hammerschmidt Reviews: Sascha Kösch as bleed, Jan Wehn as jw, Andreas Brüning as asb, Christoph Jacke as cj, Tobi Kirsch as tobi, Multipara as multipara, Bastian Thüne as bth, Tim Caspar Boehme as tcb, Christian Blumberg as blumberg, Christian Kinkel as ck, Sebastian Weiß as weiß, Jonas Eickhoff as jonas, Tim Nagel as tn, Raphael Hofman as rh, Malte Kobel as malte Artdirektion: Lars Hammerschmidt (lars.hammerschmidt@de-bug.de) Axel Springer Vertriebsservice GmbH Tel. 040.347 24041 Druck: Frank GmbH & Co. KG, 24211 Preetz Eigenvertrieb (Plattenläden): Tel: 030.28388891 Marketing, Anzeigenleitung: Mari Lippok, marketing@de-bug.de, Tel: 030.28384457 Andreas Ernst, andreas.ernst@de-bug.de, Tel: 030.28388892 Es gilt die in den Mediadaten 2013 ausgewiesene Anzeigenpreisliste. Aboservice: Bianca Heuser E-Mail: abo@de-bug.de De:Bug online: www.de-bug.de Herausgeber: De:Bug Verlags GmbH Schwedter Str. 9a, 10119 Berlin Tel. 030.28388891 Fax. 030.28384459 Geschäftsführer: Sascha Kösch (sascha.koesch@de-bug.de) Debug Verlagsgesellschaft mit beschränkter Haftung HRB 65041 B, AG Charlottenburg, Berlin Gerichtsstand Berlin UStID Nr.: DE190887749 Dank an Typefoundry Binnenland und Mika Mischler für den Font Relevant, zu beziehen unter www.binnenland.ch

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180 — KOLUMNE

TEXT TIM NAGEL

Actress - Rap (Werkdiscs, 2(14)

Musik hören mit Helena Hauff Drexciya - Beyond The Abyss (Underground Resistance, 1993) Helena Hauff: (nach 3 Sekunden) Das kenn ich. Das ist doch Drexciya! Debug: Ich habe den Track ausgesucht, weil er mich an die “Prototype“-EP erinnert, die du als Kollaboration mit F#X unter dem Namen Black Sites herausbrachttest. Die Bassdrums, die wirken, als würden sie irgendwie quietschen und geölt werden müssen, scheinen mir zum Beispiel auch bei Drexciya ein wichtiges Stilmittel zu sein. HH: Das ist natürlich ein riesiges Kompliment. Wahrscheinlich das größte, das du mir machen kannst. Ich liebe Drexciya! Wenn es um elektronische Musik ab 199$ geht, sind für mich Unit Moebius und Drexciya die, die es am besten gemacht haben. Deren Soundästhetik, das Roughe, Primitive - beide haben einen sehr charakteristischen Sound. Swans - Time Is Money (Bastard) (K.422, 1986) HH: Sind das Front 242? Das ist total verrückt. Als hätte ich das auf Platte und würde nicht drauf kommen. Debug: Swans! HH: Okay, die Platte habe ich nicht in meiner Sammlung, aber ich will sie unbedingt haben. (lacht) Großartig! Debug: In deinen Sets und Mixtapes sind viele EBM-Tracks. Ich dachte, mit dem Song treffe ich vielleicht einen wunden Punkt... HH: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass ich einfach eine gewisse Brutalität in der Musik mag. Ich mag ja auch französische Chansons. Die sind ja nicht unbedingt brutal, aber vielleicht emotional sehr brutal. Bei fröhlicher Musik werde ich schlecht gelaunt, genervt und aggressiv. Ich weiß nicht, warum. Ich kann das nicht ertragen. Düstere, brutale Musik stimmt mich dann eher ruhig und glücklich.

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HH: (sofort) Actress. Ich mag das neue Album sehr gerne. Diesen Track hier aber wohl am wenigsten. Debug: Stichwort “R’n’B concrète“, als den Darren Cunningham seine Musik mal selbst bezeichnet haben soll. HH: Das passt natürlich total. Ich bin eigentlich überhaupt kein R’n’B-Fan, aber so funktioniert das für mich. Ich habe auch keine bessere Erklärung, warum ich auf Werkdiscs bin. Shit happens. (lacht) Es fühlt sich richtig an und es ist, zumindest für mich, sinnvoll. Drangsal - Wolpertinger (Self Release, 2(13) HH: Was zum Teufel ist das denn? (lacht) Debug: Drangsal, mit Namen Max Gruber, aus Berlin. Ein 2$-jähriges Talent, das seine Songs im Schlafzimmer schreibt und gerade seinen ersten Gig als SupportAct von Dagobert hatte. HH: Beängstigend! Zuerst dachte ich “Ist das Hot Chip?“ und dann “….ist das Soft Cell?“ (lacht). Es erinnert mich auch stark an Tame Impala. Irgendwie eine Mischung aus Sachen, die ich toll finde und Sachen, die ich gar nicht mag. Sehr gut gemacht und interessant auf jeden Fall. Florian Hecker - Stocha Acid Zlook (Mego, 2((3) HH: Klingt super. Debug: In anderen Interviews sagtest du, dass du avantgardistische Musik im weitesten Sinne magst. Du hast einen gerade erschienenen Mix sogar mit einem zehnminütigen Ernstalbrecht-Stiebler-Stück anfangen lassen. Hast du solche Musik auch im Hinterkopf, wenn du dich an deine Synths und Drumcomputer setzt? HH: Gute Frage. Ich unterscheide nicht wirklich zwischen avantgardistischer Musik und Pop. Wenn ich mir Sachen anhöre und ich sie mag, dann auch in einem Entertainment-Sinne, was ja eigentlich Popmusik zugeschrieben wird. Aber solche Musik ist für mich auch riesiges Entertainment, deswegen verstehe ich die Trennlinie Avantgarde/Pop nicht. Was ist überhaupt avantgardistisch? Ist das erste Album von Autechre avantgardistisch? Oder eher das letzte? Das interessiert mich nicht. Irgendwelche Pionierwerke sind da vielleicht eine Ausnahme. Ich setze mich natürlich nicht zu Hause hin, höre mir vier Minuten Stille von John Cage an und denke mir, wie unterhaltsam das ist - aber ich finde es wichtig, dass es da ist. Wenn ich selbst Musik mache, denke ich jedenfalls nicht in solchen Kategorien. Natürlich besteht durch das Hören der Einfluss, aber ich bin da eher primitiv. Ich habe nicht den Anspruch irgendetwas Avantgardistisches zu machen. Mein Hypnobeat-Kollege meinte bei dem Gig gestern, ich würde Techno machen, als ob es Techno noch gar nicht gäbe. Ich glaube, das trifft es ganz gut.

Sensate Focus - X (PAN, 2(12) HH: Das klingt, als würde es aus England kommen. Debug: Tut es. Das ist Mark Fell unter dem Sensate-Focus-Pseudonym. HH: Natürlich, das macht Sinn. Debug: Erkennst du zwischen seiner House-Weiterentwicklung und den eher klassischen Tracks, die du in deinen Sets spielst, einen grundsätzlichen Unterschied? HH: (überlegt) Ja. Es kommt natürlich auf den Track an. Aber der House-Klassiker, den ich spiele, ist im Zweifelsfall viel roher und viel mehr Straße. Wobei hier auch noch das Ghetto nachhallt. Foyer Des Arts Wissenswertes über Erlangen (WEA, 1982) Debug: Nach der der ernsten Kunstmusik von Florian Hecker gibt es jetzt das genaue Gegenteil: Foyer Des Arts, die skurrile NDWAusgeburt des Schriftstellers Max Goldt. HH: Aber das ist auch total ernsthaft. Ich meine, wenn ernste Musik nicht einen Ticken Humor hat, funktioniert sie doch sowieso nicht. Selbst bei Florian Hecker, wenn da irgendein Sound kommt, bei dem du schmunzeln musst. Vielleicht ist es aber auch nur der Blick von Heute auf die Vergangenheit, der Sachen dann ernster erscheinen lässt, als sie eigentlich gemeint waren. Wenn ich das hier höre, denke ich mir - nette Abwechslung zu dem Mainstream-Mist. Und ein schöner Track über Erlangen. Dead Moon - Dead Moon Night (Tombstone Records, 1989) HH: Dead Moon! Ich dachte erst, es wäre Blue Cheer, aber klingt eigentlich gar nicht nach denen. (lacht) Ich stehe total auf Garage oder psychedelischen Kram, für mich ist das nichts anderes als Acid Techno. Das ist der gleiche Kram, die gleiche Energie. Cashmere Cat - With Me (LuckyMe Records, 2(13) HH: Was ist das denn? Debug: Cashmere Cat, ein norwegischer DJ, der gerade in die USA gezogen ist und dort ziemlich gehypt wird. HH: Was? Cashmere Cunt? (lacht) Furchtbar. Kannst du das bitte ausmachen? Grauenvoll.

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180 — 65

Für Helena Hauff war es ein kurzer Weg von ihrem Keimbett, dem Golden Pudel Club, zu illustren Labels wie Werkdisc und PAN. Ihre Sets sind tanzbar und krass, ihr Studio-Output eigentümlich verquer. Was hört so jemand zuhause? Hauffs Haltung zum Musik-Machen wird schon vor unserem MusikhörenMit klar: archaisch, unprätentiös, bodenständig. Hauff sagt, sie wolle “einfach machen“. Wir auch! Kaffee, Zigarette, wir drücken auf Play.

"Bei fröhlicher Musik werde ich schlecht gelaunt, genervt und aggressiv. Ich kann das nicht ertragen. Düstere, brutale Musik stimmt mich dann eher ruhig und glücklich."

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180 — FÜR EIN BESSERES MORGEN

TEXT ANTON WALDT

ILLU HARTHORST

Zerfickte Optik mit Spassbommeln Schon morgen kann die Niedrigenergiehaussiedlung plötzlich im Niedriglohnsektor liegen.

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Planet der Hirne, vom Besen gefressen: Von erwartbaren 8" Lebensjahren ist der Mensch sechs Monate auf Klo aber nur drei in der Kneipe, in der All-Ager-Show-Gala Nichts ist so rot wie die Sonne und keine wird so geliebt wie die Vorsitzende Merkel ist zukünftig ein zweites Piccolöchen im Eintrittspreis inbegriffen und der Bringdienstler aus dem Darknet schickt seine Pakete jetzt schon los, wenn wir noch nicht mal ahnen, dass wir das Zeug bestellen wollen werden und wenn es dann endlich soweit ist: Bäng!, klopft der neue Nudeldrucker auch schon an der Tür, Motto: Befugnishopping - We fuckin' deliver! Au Weia? Einerseits ja. Andererseits gibt es gewisse Hörste, die stellen sich nun hin und wollen den Spassemacken weismachen, die Welt wäre bloß zerfickte Optik mit Spaßbommeln, und außer Zwergenschweiß, Netzhetze und Dauerbohnenbefüllung sei vom Leben auch nichts weiter zu erwarten Humbug! Gewisse Hörste müssten nur mal den Kopf aus der Ausschließlichkeitsschublade nehmen und einen langen, ungläubigen Kopfschmerz später stehen die Fenster der Gelegenheit sperrangelweit auf - Es zieht! Lüftungsmuffel aufgepasst, Superhirnkrüppel Stephen Hawking lässt frischen Wind ab: Es gibt gar keine schwarzen Löcher, sondern nur komischen anderen Kram, wo kein

Mensch nicht mal halbwegs ansatzweise durchsteigt, aber damit muss man leben, bei intergalaktischen Unendlichkeiten kannste eben nix machen. Klartext: Der Teufel ist tot und das ist kein Problem, im Licht der Aufklärung kann die Welt nämlich auch ohne eine Idee des absolut Bösen beschrieben und erklärt werden, Fazit: Volle Kanne Fortschritt! Erst recht im großen und ganzen: 1914 hat der französische Professor Edgar Bérillon noch erklärt, die Deutschen hätten eine Darmschlinge mehr und würden daher stinkigen Körpergeruch verbreiten, wofür er dann von Pinkelhauben als Vollfrosch beschimpft wurde, bevor man sich allseits die Köpfe eingehauen hat. Heute träumt Frankreichs Präsident vom Leben in der Hängematte aus deutschem Steuergeld, große Nationen fahren auf dem Mond spazieren, weil sie können, und Hä? ist ein universell geschätzter Forschungsansatz, auf dessen Basis Grundwissenschaftler wie Superhirnkrüppel tolle neue Sachen erfinden, zum Beispiel die Zwei-Scheiben-Theorie, nach der die Milchstraße nicht aus einer sondern aus zwei Scheiben besteht, die man nämlich anhand des relativen Magnesiumgehalts unterscheiden kann, was sich vielleicht erstmal total Banane anhört, aber schon ein bisschen relativer Magnesiumgehalt macht viel Butter bei die Fische: Die eine

Milchstraßenscheibe ist nämlich alt, dick und klein, die zweite dagegen jung, flach und weitläufig. Wie die Chose weitergeht, liegt damit wohl auf der Hand: Wenn nach all der Zeit plötzlich eine zweite galaktische Scheibe reinschneit, dann lässt die dritte bestimmt nicht lange auf sich warten und so weiter und irgendwann reden wir von Millionen möglicher Scheiben: Alle mit unterschiedlichem relativen Magnesiumgehalt! Klartext: Schon morgen kann die Niedrigenergiehaussiedlung plötzlich im Niedriglohnsektor liegen, und die ADLs (Activities of Daily Living) der Niedrigenergiemenschen gehörig in den Matsch schubsen, denn wie sich auf die gepflegte Lektüre des internationalen Bestseller-Romans Under the Yogabaum Tree konzentrieren, wenn nebenan kleingeldhungrige Stromzaunpisser aus Bruchbudenhausen überagieren? Merke: Maurerbonschen lassen sich nicht einfach mir nichts dir nichts wegveganisieren und den Gestank der Niedriglöhnerei kriegt man nicht mal mit drei Wochen evidenzbasiertem AntiAging im oberbayrischen Grünwasching aus den Niedrigenergieklamotten. Für ein besseres Morgen: Raus ist das neue rein, eine Socke sagt weniger als keine Worte und immer schön dran denken: Ne jute jebraten Jans is ne jute Jabe Jottes.

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