INNOVATOR by The Red Bulletin Erste Bank Innovator

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#glaubandich Wir präsentieren Menschen

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN #GLAUBANDICH

und ihre Ideen, die unsere Welt verbessern

2019

AUSGABE ÖSTERREICH

Erste-Group-CEO Andreas Treichl 22 Jahre zwischen noblen Aufgaben und brutalen Wahrheiten

IDEAS FOR A BETTER FUTURE

THE FUTURE IS YOURS Wie du Stärken entdeckst und wo du sie am besten einsetzt

BETTER FUTURE EDITION

„ WIR BRAUCHEN KEINE SICHERHEITEN  . ..



...  WIR BRAUCHEN IDEEN , VISIONEN UND PERSÖNLICHKEITEN“ Blick zurück und Blick nach vorn: Andreas Treichls persönliche Bilanz


INHALT Frischzellenkur

Wie in der Formel 1

Ein Wiener Start-up haucht dem 3D-Druck Leben ein. Echtes Leben.

Hol dir Energie zurück: Dieses E-Bike lädt sich mit KERS-Technik selbst.

Grüne Power

Ein Kraftwerk für die Steckdose

Die modernste Algen­ fabrik der Welt steht in Niederösterreich.

Nachhaltig lecker

Warum zwei Oberösterreicher in ihrem Keller in Wien Speisepilze auf ­Kaffeesatz züchten.

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Schlauer Test Madmax hilft: Ein Biotech-Start-up schafft Klarheit bei Allergien.

GUIDE 88 90 92

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FINANZ WIS SEN

Was ist Geld? Wo Bildung auf Technik trifft: ein Besuch im FLiP. SAVE THE DATE

Dein Eventplan Diese Termine solltest du im Kalender vormerken. PART Y 4 .0

Trends auf Events Drohnenshow, LED-Walls, Smartphone-Aktivierung: So feiert man heute.

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94 96 98

Sonnenstrom für alle – drei TU-Absolventen ­machen es möglich.

Kabel? Nicht doch! Revolution von unten: So bequem lädst du dein ­E-Auto in Zukunft.

Markt modern Wie eine Steirerin den klassischen Bauernmarkt digitalisiert.

START- U P-SU PP ORT

Erfolgsfahrplan Neun Stopps auf dem Weg zur erfolgreichen Gründung. KOLU MNE

„Das gibt’s nicht!“ Andi Gall über die Möglichkeit des Unmöglichen. TECH - HIGHLIGHT

Cyborg-Chirurgie Headset und Roboterarm für den Operationssaal.

36 REPORTAGE

Finanzieller Spielraum Zu Besuch bei den George Labs der Erste Group: InnovationsWorkshop in sechs Schritten.

INNOVATOR

OLIVER JISZDA

BULLEVARD 14 8 16 10 12 17


I N N O V AT O R

FEATURES

20 30 44 52 54 60 70 76 INNOVATOR

COVERSTORY

Bilanz eines Top-Bankers Erste-Group-CEO Andreas Treichl über Wohlstand, Populismus und ­Steve Jobs’ alternative Karriere.

SERVICE

Erkenne deine Stärken Vom Feuermelder im Kopf bis zur „Messi-Methode“: eine Anleitung zur Selbsterkenntnis in 14 Schritten.

PORTR ÄT

Die Netzwerk-Meisterin Wenn die gute Sache wichtiger ist ­ als gutes Geld: Interview mit Lena Gansterer vom Impact Hub Wien.

GRÜNDERSTORY

Diese Socken rocken Mario Ofner und Thomas Weber von Tapedesign verraten ihre fünf persönlichen Erfolgsregeln.

PRODUK T TIPPS

Regenerieren für Profis Gehirnstrom-Stirnband und weise Sohlen: Diese Gadgets wissen besser als du, was dein Körper braucht.

WISSENSCHAF T

Body-Check Ein präziser Blick auf die Belastungen im Eishockey und jene Innovationen, die Spielern das Leben erleichtern.

ESSAY

Der Wert des Alters Wir werden immer älter und jünger zugleich. Und bleiben deshalb als Arbeitskraft länger interessant.

START- UP-SECTION

Österreich denkt mit Vom Fahrradschlauch zur Sparhilfe: zwölf geniale Jungunternehmen.

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I N N O V AT O R

EDITORIAL ALLES GLAUBENSSACHE! CONTRIBUTORS

Gian Paul Lozza Ein ganzer Probetag nur für ­Lichteinstellungen ging unserem Cover­shooting mit Andreas Treichl voraus. Dafür konnte ­Lozza am Folgetag den ErsteGroup-CEO ganz entspannt im rechten Licht erscheinen lassen. Das Ergebnis: SEITE 20

Vom Sensor im Magen einer Kuh, der Infos über die Gesundheit des Tieres liefert, bis zur ­Schraube, die nach dem Knochenbruch einfach mit dem Körper eines Menschen verwächst: ­Unsere Start-up-Strecke ab Seite 76 zeigt eine kleine Auswahl jener Projekte und Menschen, die an ihre Idee geglaubt und sie mit Unter­ stützung der Erste Bank und Sparkasse ver­ wirklicht haben. Dass diese Unterstützung die nahezu heilige Pflicht einer Bank ist, erklärt Andreas Treichl in einem ausgiebigen Interview ab Seite 20. Darin erfahren wir übrigens auch, wieso der scheidende Erste-Group-CEO eine zukünftige Karriere als Dirigent ablehnt.

Jonas Vogt

Selbst dirigieren kann jeder die Entscheidungen in seinem Leben. Wichtig dafür ist, sich seiner Stärken bewusst zu werden und auch in Zukunft an sich zu glauben – ein praktischer Leitfaden dafür findet sich auf Seite 30. GIAN PAUL LOZZA (COVER) XXXXXX

Der langjährige Musikjournalist wurde hellhörig, als er den Auftrag bekam, sich auf die Spuren von George zu begeben. Dass es dabei um Online-Banking geht, trübte Vogts Stimmung nur kurz. Denn er erfuhr dafür exklusiv, wie man Innovationen antreibt: SEITE 36

Viel Spaß beim Lesen! Die Redaktion

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INNOVATOR


I N N O V AT O R

B U L L E VA R D

IDEEN FÜR EINE BESSERE WELT

JOHANNES LANG

Wir präsentieren Gründerinnen und Gründer, die an sich glauben und – auch dank Unter­ stützung durch die Erste Bank und Sparkasse – mit ihren Inno­­vationen unser Leben verbessern.

INNOVATOR

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B U L L E VA R D

Die Burg thront auf einer Bleistiftspitze. Sie ist so winzig, dass sie mit freiem Auge kaum erkennbar ist. Und trotzdem hat sie alles, was eine Burg braucht. Natürlich auch Türme. Zwei Türmchen, um genau zu sein. Einer er­ innert an einen italienischen Glockenturm, der andere ­fasziniert mit hauchdünnen Säulen. Jeweils sechzehn davon ergeben ­eines von insgesamt zwei Stockwerken: „Die Säulen sind ­hundertmal dünner als ein menschliches Haar“, sagt D ­ enise Mandt. Die 27-Jährige ist Mit­ begründerin von UpNano. Das Wiener Start-up hat eine

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sierter Medizin. Ein gesunder Druck sozusagen. Kein Wunder, dass UpNano mit dieser Entwicklung bei der #glaubandich Challenge 2019 der Erste Bank und Sparkasse zum „Start-up des Jahres“ gekürt wurde. Der erste 500.000 Euro teure Drucker wurde bereits verkauft. Ziel ist es, jedes Jahr dreißig Stück auf den Markt zu bringen. Konkurrenz gibt es kaum. Vor allem deshalb, weil die UpNano-Lösung mit 70 bis 80 Kilo einem handelsüblichen Papierdrucker ähnelt. Die Burg wurde übrigens mit einem Exemplar der ­zweiten Generation gedruckt. Sechs Minuten hat das ge­ dauert. Gut, aber es geht noch ­besser. Peter Gruber, UpNano-­Mitbegründer und Head of Technology, hat weiter­getüftelt: „Wir sind ­bereits deutlich schneller.“ upnano.info

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JOHANNES LANG

Das Wiener Start-up UpNano schrumpft die Welt auf Mikro-Format – beschert ihr damit allerdings riesige Fortschritte.

Maschine entwickelt, die es möglich macht, mikroskopisch kleine 3D-Drucke herzustellen. Diese 3D-Drucke über­ zeugen durch ihren Detailreichtum – wie die Zwei-­ Türmchen-Burg, die auf einer Grundfläche von 0,2 Quadratmillimetern ruht. Vor allem aber verfügen sie über eine einzigartige Eigenschaft: Sie enthalten lebende Zellen. „Vergrößert würde das aus­sehen wie die Schokostückchen in ­einer Kugel Stracciatella-Eis“, erklärt Mandt. Was es bringt, lebende ­Zellen in Photopolymere, also durch Licht aushärtbare Kunststoffe, zu packen? Diese Technik beflügelt die medizinische Forschung. „Damit lässt sich untersuchen, wie sich bestimmte Medikamente auf Zellen auswirken“, sagt Mandt. Derzeit wird das in einer – zweidimensionalen – Petrischale getestet. „In ­einer dreidimensionalen Form reagieren die Zellen so wie im menschlichen Körper.“ Und weil jedermanns Zellen ein­gebracht werden können, ist diese Technik ein Riesenschritt in Richtung personali-

WOLFGANG WIESER

WIR DRUCKEN DICH GESUND

Wer sich die Burg auf der Bleistiftspitze vergrößert, erkennt immer mehr ­Details. Die Säulen im rechten Turm sind hundertmal dünner als ein Haar.

TU WIEN, UPNANO

MEDIZIN


I N N O V AT O R

„WIR BAUEN LEBENDE ZELLEN IN UNSERE 3D-DRUCKE EIN. DER FORSCHUNG WEGEN.“ Denise Mandt, 27, ist Mitbegründerin des ausgezeichneten Wiener Start-ups UpNano.

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B U L L E VA R D

ERNÄHRUNG

DIE ALGENANGLER

Die modernste Algenfabrik der Welt steht in Niederösterreich: Hier produziert man Superfood – auf höchst nachhaltige Art und Weise. In einem 10.000 Qua­drat­ meter großen Glashaus erheben sich 43.000 durch­ sichtige Röhren, jede davon sechs Meter hoch und voller Leben. Im Inneren ­dieser Röh­ ren blubbert es, das Wasser strahlt grün. Die Szenerie wirkt wie aus einem Science-­ Fiction-Blockbuster von ­Ridley Scott. Aber das hier ist keine Fiction, sondern ­Science. Und wir sind nicht in Hollywood, sondern im nieder­ österreichischen Bruck an der Leitha. Hier produziert die Firma ecoduna jährlich bis zu 100 Tonnen Mikroalgen, Best­ seller sind die Arten Chlorella (wirkt auf uns entgiftend) und Spirulina (ist reich an ­Vitamin K und Vitamin A) in Kapselform – kurz: nährstoff­ reiches Detox-Superfood. 10

Das Besondere daran: e­ coduna betreibt die weltweit modernste Algenproduktion. Statt auf offene Teichsysteme setzt man hier seit 2018 auf einen geschlossenen Produk­ tionskreislauf, der Verunreini­ gungen ebenso ausschließt wie Wasserverlust durch ­Verdunstung. Im Fachjargon ­heißen diese sonnenlicht­ durchlässigen Glasröhren Photobioreaktoren. Drinnen: ein Mix aus Stickstoff, CO² und Algennährstoffen. Der ­Effekt: Die Algen wachsen dort zehnmal schneller als Landpflanzen, ohne landwirt­ schaftliche Nutzflächen zu verbrauchen. In wenigen Monaten will man in Bruck an der Leitha eine neue Mikroalge auf den Markt bringen: Aus heimi­ schen Teichen wurde ein Stamm einzelliger Grünalgen isoliert, der einen besonders hohen Gehalt an Omega-3Fettsäuren aufweist. Die be­ nötigt der menschliche K ­ örper für die Entwicklung des Ge­ hirns, sie sind Bestandteil der Netzhaut und unterstützen das Herz-Kreislauf-System. Omega-3 wird aktuell vor allem aus Fischen be­zogen, obwohl diese es nicht selbst bilden, sondern über die Nahrungskette durch ­Algen aufnehmen. Die neue Alge ist deshalb nicht nur eine ­vegane Alternative, sondern auch eine direkt logische. ecoduna.com

Mikroalgen-Tabletten entgiften, liefern Vitamine und Protein.

MIKROALGEN WACHSEN ZEHNMAL SCHNELLER ALS LANDPFLANZEN.

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WALTRAUD HABLE

JOHANNES LANG

I N N O V AT O R

ECODUNA

In diesen sechs Meter hohen Glasröhren produziert ecoduna in Bruck an der Leitha nährstoffreiche Algen.

INNOVATOR

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B U L L E VA R D

Die Austernpilze wachsen aus Löchern in Säcken, die mit Kaffeesud gefüllt sind.

„WIR DACHTEN: WAHNSINN! MIT PILZEN KANN MAN DIE WELT RETTEN!“ Die Ernte von Hut und Stiel findet sich inzwischen auf den Speisekarten renommierter Restaurants und in den Rega­ len ausgewählter Supermärkte. Die Gründer bieten ihre Pilze mittlerweile auch in verarbei­ teter Form als Pesto oder Sugo an – sowie Anbausets und Workshops für alle, die da­ heim Pilze züchten wollen. hutundstiel.at

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INNOVATOR

JOHANNES LANG

Warum zwei Oberösterreicher in einem Wiener Keller Pilze aus Kaffeesatz wachsen lassen.

Auf 400 Quadratmetern in einem klimatisch günstigen Keller in Wien züchten die zwei Oberösterreicher nun 300 Kilo Austernpilze pro Wo­ che. Dafür holen sie rund zwei Tonnen Kaffeesatz von Hotels, Restaurants, Pensionistenhei­ men (und 550 Kilo vom Erste Campus) und mischen diesen mit Pilzmyzel (der Saat) und Kalk. Dieses sogenannte Pilz­ substrat wird in Säcke gefüllt, aus denen dann nach ein paar Wochen die Pilze sprießen.

EMILY WALTON

KAFFEESUD MIT ZUKUNFT

Hier geht’s rein: Florian Hofer (li.) und Manuel Bornbaum vor dem Eingang ihrer Pilzzucht in Wien.

KARIN HACKL PHOTOGRAPHY

R ECYC L I N G

Wien und Kaffee gehören einfach zusammen. Doch wer denkt beim Trinken einer Melange an die 44 Tonnen ­Kaffeesatz, die täglich im Mist­ kübel landen? Und wer ahnt, was für eine wertvolle Res­ source dadurch verlorengeht? Kaffeesatz ist nämlich ein optimaler Nährboden für Pilze. Diese Erkenntnis faszinierte Manuel Bornbaum und Florian Hofer (beide 31) derart, dass sie beschlossen, daraus ein Ge­ schäftsmodell zu entwickeln. „Auch dass Pilze einen extrem kleinen CO²-Fußabdruck und kaum Wasserbedarf haben, be­ geisterte uns“, sagt Bornbaum. „In unserer Anfangseuphorie dachten wir: Wahnsinn, mit Pilzen kann man die Welt ­retten! Heute wissen wir, dass wir zumindest einen Beitrag dazu leisten können.“


I N N O V AT O R Der Allergy Explorer des Wiener BiotechStart-ups Macro Array Diagnostics testet bis zu 300 Allergene gleichzeitig ab.

GESUNDHEIT

ALLERGIEN? MADMAX HILFT! Die Haut juckt, die Nase läuft, die Schleimhäute schwellen an – reagiert man allergisch, merkt man das in der Regel sofort. Die Suche nach dem Auslöser für die ­Immunreaktion hingegen kann dauern: Denn Hauttests, bei denen unterschiedlichste Al­lergenextrakte aufgetragen werden, decken nur einen Bruchteil des Spektrums ab.

MADX, BRANDENSTEIN COMMUNICATIONS/MARTIN STEIGER

WALTRAUD HABLE

JOHANNES LANG

Ein Tropfen Blut klärt, wo’s hakt: Bist du auf Eiweiß oder Eigelb allergisch? Auf alle Hunde oder nur auf Rüden?

Der Madmax-Automat soll bis zu 150 Blutproben pro Tag auslesen. INNOVATOR

Oft sind zusätzlich Atem- bzw. Blutchecks nötig. Genau deshalb gilt der „ALEX – Allergy Explorer“ des 2016 gegründeten Wiener Biotech-Start-ups Macro Array Diagnostics als revolutionär: Für das molekulare Diagnoseverfahren – das die bei Aller­gien auftretenden Antikörper misst – braucht es nur einen Tropfen Blut, um bis zu 300 Allergene zu testen. „Wir können die Ergebnisse genau auftrennen“, erklärt CEO Christian Harwanegg. „Es kann zum Beispiel sein, dass man erhitztes Eiweiß ­verträgt, Eischnee aber nicht.“ Auch bei der Tierhaarallergie ist genaues Hinschauen sinnvoll: Mitunter ist man nur auf männliche Hunde allergisch bzw. auf das Allergen Can f 5, das in der Prostata von Rüden

gebildet wird. In diesem Fall kann eine Hündin pro­blemlos gehalten werden. ALEX ist österreichweit in Allergie-Ambulatorien im Einsatz. Preis: rund 150 Euro. Derzeit tüftelt man an einem vollautomatisierten Gerät für die Blutproben: Madmax (Macro Array Diagnostics Multi Array Xplorer) soll 2020 an Labore geliefert werden und 150 Samples pro Tag auslesen. Eine kleine Revolution. Weiteres Plus: Über igevia. com ist nun auch ein HomeKit verfügbar, mit dem sich der Patient selbst Blut aus der Fingerkuppe entnimmt und dieses dann zur Auswertung an ein Labor schickt. macroarraydx.com

CHRISTIAN H A R WA N E G G C E O VO N M AC R O A R R AY D I AG N O S T I C S

Der Molekularbiologe ist selbst Allergiker und will die neue Diagnostik zu einem für jeden leist­baren Preis bereitstellen.

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B U L L E VA R D

„E-BIKES MACHEN NICHT FAULER. SIE NEHMEN NUR DAS SCHWITZEN WEG.“ Mobilität der Zukunft: Zug, Auto, U-Bahn – und zwischendurch immer wieder aufs faltbare Elektrorad umsteigen.

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I N N O V AT O R

M O B I L I TÄT

DAS IST DIE NEUE FORMEL E

Ein E-Faltrad mit ungewöhnlichem Energie­ management: Dank Formel-1-Technologie lädt sich der Akku während der Fahrt von selbst wieder auf.

Privat und geschäftlich ein Team: Vodev ist verantwortlich für Technik und Design der Räder, Wolff für die Unternehmensentwicklung.

VELLO/LEONARDO RAMIREZ CASTILLO

GÜNTHER KRALICEK

JOHANNES LANG

VA L E R I E W O L F F U N D VA L E N T I N VO D E V GRÜNDER VELLO BIKE

INNOVATOR

Stell dir vor, es ist Rush­ hour, und dir ist das so was von egal. Innerhalb von neun Sekunden machst du dein E-Faltrad startklar, und ab geht die Post. Das AkkuDisplay zeigt 50 Prozent. Du fliegst vorbei an hupenden Blechkolonnen und hast dein Ziel in zwölf Minuten erreicht. Neuer Akku-Stand: 53 Prozent. Klingt unmöglich, ist aber ­Tatsache beim neuen VELLO Bike+. Während der Fahrt lädt sich der Akku nämlich von selbst wieder auf. KERS (Kine­ tic Energy Recovery System) heißt die Technologie, die ­Formel-1-Fans von den Boliden der Königsklasse kennen. Aufs Rad übertragen bedeutet das: Energierückgewinnung beim Bremsen und Bergabfahren sowie bei Rückenwind. Damit wirbelt VELLO Bike in der Szene aktuell gehörig Staub auf. Die Idee dahinter hat ihren Ursprung im Jahr 2009: Für eine Radtour durch Kuba baut Gründer Valentin Vodev für seine Partnerin Va­ lerie Wolff und sich Falt­räder, um damit notfalls rasch in Zug, Bus oder einen der bun­ ten Retro-Cadillacs umsteigen zu können. Die Reise wird ein so inspirierender Erfolg, dass der gebürtige Bulgare an sei­ nen Prototypen weitertüftelt.

Vier Jahre später gehen erste Falträder in Serienproduktion. Doch Vodev denkt noch einen Schritt weiter, an ein Faltrad mit E-Antrieb. Zwei Parameter stecken sein Ziel ab: Effizienz und Leichtigkeit. Der gelernte Produktdesigner (Angewandte in Wien; Royal College of Art in London) hört vom KERS-System aus der For­ mel 1, das ihm für seine Zwecke wie geschaffen scheint. Ein sich selbst speisender Akku, der als Zwischenspeicher funktioniert – so lassen sich Platz und Gewicht sparen. Vier Sensoren messen während

der Fahrt Neigung, Rücktritt, Beschleunigung und Dreh­ moment. So kann der Motor­ schub optimal dosiert werden: beeindruckend effizient. Nach drei Jahren Entwicklungs­ arbeit ist das Baby serienreif. Es wiegt schlanke 12,9 Kilo und ist ab 2590 Euro zu haben. Vodev hat nicht das Rad neu erfunden, sondern auf bestehende technische Lösun­­ gen zurückgegriffen und diese ­clever zusammengefügt. „Manchmal wundere ich mich selbst, warum das noch kein anderer so umgesetzt hat.“ vello.bike

Mit den Maßen eines Reisetrolleys passt das VELLO Bike+ auch in den Kofferraum eines Smart.

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B U L L E VA R D

ENERGIE

SOLARPOWER SO EINFACH WIE NOCH NIE

CHRISTOPH GRIMMER, FLORIAN GEBETSROITHER, STEPHAN WEINBERGER ENTWICKLER VO N S O L M AT E

Mit der Erfindung der drei Studien­ kollegen kann ­jeder Haushalt eigenen Strom produzieren.

erhältlich – entweder mit fünf handtuchgroßen Panels zur Befestigung am Balkongeländer oder mit zwei größeren Panels für Terrasse oder Garten. Beide Systeme liefern 550 Watt, eine App informiert über Stromproduktion und -nutzung ­sowie über den Speicherstand. Rund 25 Prozent des jähr­ lichen Strombedarfs eines Haushalts sollen so gedeckt werden können, auch dank ­innovativer Technologie. ­„Unser Gerät misst den Stromverbrauch im Haushalt und gibt Energie nur dann ab, wenn du sie wirklich brauchst“, so Grimmer. „Was du nicht verbrauchst, bleibt gespeichert.“ Das Geheimnis dahinter heißt Impedanzmessung, ein komplexes Verfahren, das eigentlich bei Brennstoffzellen ein­ gesetzt wird und für Grimmer nur ein Beispiel für die wichtigste Erkenntnis aus seinem Studium ist: „Es gibt viele zukunftsträchtige Technologien, wir wissen oft nur noch nicht, wie wir sie anwenden sollen.“ eet.energy

Dein Kraftwerk auf der Terrasse: zwei Solar­ panels (je 99 × 165 cm) und eine Speicherein­ heit (75 × 55 × 10 cm).

EET GMBH

CHRISTIAN EBERLE-ABASOLO

JOHANNES LANG

Sonnenstrom zu Hause für alle, die kein eigenes Dach haben – oder keine Lust auf komplizierte Technik.

Photovoltaik für alle! ­Üblicherweise kommt der Strom aus Sonnen­strahlen für den Haushalt über die bekannten dunklen Module auf den Dächern unserer Häuser. Was aber, wenn man kein eigenes Dach hat, keine Ahnung von Technik oder keine Lust, sich mit Installateuren oder seinem Stromanbieter (wegen der Tarife für den von dir eingespeisten Strom) herumzubalgen? Hier kommt Solmate ins Spiel – ein System aus Solarpanels und einer Speicher­ einheit, die einfach an die Steckdose angeschlossen wird. „Die Handhabung ist wie bei einem herkömmlichen Elektrogerät, nur dass unseres keinen Strom frisst, sondern liefert“, erklärt Christoph Grimmer, Gründer und CEO von Efficient Energy Technology, dem ­Unternehmen hinter Solmate. Der 32-Jährige hat im Lauf des Studiums der Technischen Chemie an der TU Graz verschiedene Energietechnologien erforscht und arbeitet mit zwei Studienkollegen seit über zwei Jahren an einer praktischeren Umsetzung: „Wir wollten weg von ‚Was ist technisch möglich?‘, hin zu ‚Was wünschen sich Verbraucher?‘.“ Deren Antwort: Autonomie. Zwei Solmate-Varianten sind

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I N N O V AT O R

Das Lade-Pad ist auf dem Boden­ montiert, das ­Elektroauto wird beim Parken ­aufgeladen.

WOLFGANG WIESER

JOHANNES LANG

E - M O B I L I TÄT

SUPER-­ EINFACH LADEN

Kabelsalat, ade: Das Grazer Unternehmen Easelink hat ein revolutionäres Ladesystem für Elektroautos entwickelt.

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Am Anfang war das ­Chaos: umständliches Herumwurschteln mit Lade­ kabeln, um die Batterie eines Elektroautos aufzuladen. Auch die Idee, diesen Vorgang Robotern zu überlassen, schien Easelink-Gründer Hermann Stockinger wenig realistisch. Die Begründung formuliert Marketing-Manager Sebastian Demuth: „Stell dir ein Park­ haus mit 400 Stellplätzen vor, und an jedem werkt ein Robo­ ter. Schrecklich! Uns war klar, dass das nicht die Zukunft sein kann, also haben wir eine Alternative gesucht.“ Eine ­Lösung, die Platz spart, robust und kostengünstig ist, einfach zu installieren und überfahr­ bar. Kurz gesagt: einfach revo­ lutionär. Jetzt hat man diese Lösung gefunden. Matrix ­Charging heißt sie und besteht aus zwei Komponenten: einem Pad und einem Connector. Das Pad ist eine 50 mal 58 Zentimeter große, an das Stromnetz an­ geschlossene äußerst robuste Ladestation. Der Connector wird in der Bodenplatte des Elektroautos verbaut. Fährt

HERMANN ­S T O C K I N G E R , INGENIEUR UND FOUNDER VO N E A S E L I N K

Suchte nach einer einfachen Lösung für das Laden von E-Autos.

das Fahrzeug über die Platte, erkennt er sie automatisch, stellt mit einer Art Rüssel eine Verbindung her und beginnt den Ladevorgang. Serienreif ist das Matrix Charging derzeit noch nicht, erste Tests verliefen allerdings äußerst vielversprechend. Die ­Kosten sollen ähnlich wie jene ­einer herkömmlichen Auflade­ station an der Wand sein (von 600 bis 2200 Euro). Gespräche mit Vertretern der Auto­branche sind im Gan­ ge. Schon 2021 könnten die ersten Mat­­rix-Charging-Systeme am Markt erhältlich sein. easelink.com

Der im Boden des Autos montierte Connector fährt auf die benötigte Länge aus, der Ladevorgang beginnt.

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B U L L E VA R D ERNÄHRUNG

WO ONLINE NACH LAND SCHMECKT

JENN AND THE CAMERA EMILY WALTON JOHANNES LANG

Die Steirerin Theresa Imre will das Einkaufen von L ­ ebensmitteln nachhaltiger gestalten – und hat ­dafür den Bauernmarkt digitalisiert.

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Theresa Imre wuchs im steirischen Stainz auf, mit zwei Großmüttern, die für ihr Leben gern kochten, Obst und Gemüse aus dem Garten ums Haus einlegten und die Nudeln selbst machten. Wer so eine Kindheit hatte, gewöhnt sich wohl nie an das Angebot weit­ gehend anonymer Lebens­ mittel im Supermarkt, oft ­industriell hergestellt und von weither angeliefert.

Mit dem digitalen Bauernmarkt wollen ­Theresa Imre (genau in der Bildmitte) und ihr Team bewusstes Genießen fördern.

Ein Defizit, das die 28-­Jährige auf eine Idee brachte: Wie wäre es mit einer Online-Plattform, die regionale Produzenten hochwertiger ­Lebensmittel und anspruchs­ volle Konsumenten in der Stadt zusammenbrächte? Gedacht, getan: Seit zwei Jahren ist der digitale Bauern­ markt „markta“ geöffnet – heute kann man dort unter ­immerhin 3000 Produkten von 400 Herstellern gustieren: vom Obst, das wenige Stun­ den zuvor am Feld geerntet wurde, über Wurstwaren und Frischfleisch bis hin zum BioWein. Den online zusammen­ gestellten Einkauf liefert markta dann an eine von vier zen­tralen Abholstellen in Wien oder direkt vor die Haustür. „Für viele regionale Be­ triebe ist es unmöglich, auf die schwierigen Konditionen des Handels einzugehen“, sagt Imre, die vor der marktaGründung einen Foodblog über Lebensmittel und deren Herkunft schrieb. „Unser Ziel ist es, den Kunden Alterna­

tiven zur Massenware im ­Supermarkt zu bieten und ­ihnen bei Bedarf auch den Weg dorthin zu ersparen.“ Dabei haben Nachhaltig­ keit und Umweltbewusstsein Priorität. So testet man der­ zeit etwa eine isolierende Ver­ packung aus Schafwolle, auch eine Auslieferung per Lasten­ rad ist geplant. Imre will ihr Konzept bald auf ganz Öster­ reich – und in weiterer Folge Europa – ausweiten: „Ich möchte das gesamte System Lebensmittelhandel verändern und die Welt ein Stück fairer machen.“ markta.at

„WIR WOLLEN ­A LTERNATIVEN ZUR MASSEN­WARE IM ­SUPERMARKT BIETEN.“

Blick auf eine der vier Abholstellen in Wien. Gründerin Therasa Imre: „Wir vertreiben nicht nur Lebensmittel. Jedes ­Produkt erzählt eine Geschichte.“

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4 2 JAHRE E R FA H R U N G 22 Jahre davon sitzt Andreas Treichl nun schon auf dem Chefsessel der Erste Group. Für eine ­börsennotierte Bank ist das Weltrekord.


INTERVIEW

TREICHLS BILANZ Text:

Fotos:

STEFAN WAGNER

GIAN PAUL LOZZA

Allen Wohlstan d bringen , sich genial fühlen un d brutal dafür b estraf t ­w erden , doch lieb er nicht Dirigent geworden sein , Steve J obs als ­P ostb eamten sehen , gegen Pop ulismus kämpfen , den eigenen S ­ öhnen nichts vererb en wollen , im Großraumb üro arb eiten: der scheiden de Erste - Group - CEO A N D R E A S T R E I C H L mit 1 3 Ge danken üb er mehr als vier Jahrzehnte einer einzigar tigen Banker- Karriere .

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LERNEN IN DER KRISE Klar, eine Krise ist hart, sie läutert aber auch: „Man kriegt alle ­Fehler, die man vorher ­gemacht hat, brutal um die Ohren gehaut.“


Bis vierzig war bei mir alles locker und einfach, Fehler sind halt passiert, egal. Dann hatte ich eine Phase – relativ lang, mehr als zehn Jahre –, in denen wir in Summe zwölf Banken in Zentral- und Osteuropa ­gekauft haben und ich geglaubt hab, ich bin ziemlich genial. Das hat sich cool angefühlt, aber natürlich nur, bis mich die Realität vom Gegenteil überzeugt hat. Wenn dann so eine Krise kommt, kriegt man alle Fehler, die man vorher gemacht hat, brutal um die Ohren gehaut, mit Zins und Zinseszins. Dann wird mit einem Schlag alles wahnsinnig ernst. Man kämpft, kämpft, kämpft, glaubt immer wieder, dass man es geschafft hat, und zack, kriegt man die nächste auf den Deckel. Das ist sieben Jahre so gegangen. Aber seither, seit Ende ’14, geht es extrem gut. Besser denn je. Und in der Zielgeraden mit mehr Spaß denn je? Mit ziemlich viel Spaß, ja. Es ist gut, dass ich Ende des Jahres meinen Job wechsle. Sonst gerate ich unter Umständen wieder in den Irrglauben, dass ich genial bin.

„ ICH HAB GEGLAUBT, ICH BIN ZIEMLICH GENIAL. DAS HAT SICH COOL ANGEFÜHLT“ innovator: Herr Treichl, Sie sind seit 1977 Banker, seit 1997 CEO der Erste Group und damit längstdienender CEO einer ­börsennotierten Bank weltweit. Im Rückblick auf 42 Jahre: Welche ­Phase einer Karriere ist die schönste? andreas treichl: Am schwierigsten und unangenehmsten war die Finanzkrise ab 2008. Am schönsten war, da wieder rauszukommen, das Unternehmen wieder auf gute Beine zu stellen, Ende 2014. Das war eindeutig das beste Gefühl in meiner ganzen Karriere.

„ DENKEN SIE DAS MAL KONSEQUENT WEITER, WAS DAS HEISST“ Ich zitiere Andreas Treichl: „Die Blockchain als Technologie könnte die Welt noch mehr verändern, als das Internet es getan hat.“ Wie meinen Sie das, bitte? Das Internet war ein dramatischer Fortschritt für die Kommunikation mit zum Teil dramatischen gesellschaftlichen ­Folgen, mit Einfluss auf die Sprache, auf

Abgesehen von äußeren Ereignissen oder von Misserfolgen und Erfolgen: Macht Karriere mehr Spaß, wenn man jung ist? Oder im Alter?

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IN EUROPA WÄRE STEVE JOBS W A H R­S C H E I N L I C H P O S T B E A M T E R GEWORDEN, MARK ZUCKERBERG R E S TAU R A N TB E SIT Z E R U N D JEFF BEZOS JUSTIZBEAMTER.

die Politik, auf die Art, wie Menschen mit­ einander leben. Blockchain hat aber eine noch tiefere Wirkung, in sich selber, weil Blockchain im Endeffekt Zwischenhändler ausschaltet. Wenn Blockchain wirklich funktioniert, geht alles vom Produzenten direkt zum Konsumenten. Das hat was extrem Gesellschafts­politisches. Dann verdient der Komponist an seinem Kunst­ werk und keiner dazwischen – denken Sie das mal konsequent weiter, was das heißt. Das bringt extreme Veränderungen, in allen Bereichen. Also wenn’s wirklich kommt, was wir ja noch nicht wissen. Das klingt, als würden Sie auch Krypto­ währungen positiv sehen. Das über­ rascht bei einem 67-jährigen Banker. Die Idee dahinter kann extrem positiv sein. Aber wie sie derzeit aufgebaut sind, sind Kryptowährungen eine Fehlentwicklung. Weil sie als Zahlungs­verkehrs­instrument verkauft werden, als ­Währung. Das sind sie nicht. Sie sind ein sehr spekulatives Investitionsobjekt für Leute, die sich damit auskennen … relativ oft zu Lasten derer, die sich damit nicht auskennen.

„ FREUDE AN RISIKO, FREUDE AN LEISTUNG, FREUDE AN ERFOLG, STOLZ AUF ERFOLG“ Sie haben sich immer recht gern recht kritisch über den Innovations- und Wirtschaftsstandort Europa geäußert. Was wäre aus Steve Jobs, Sergey Brin, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg oder Bill Gates als Europäer geworden? Wahrscheinlich wäre Jobs Postbeamter geworden, Zuckerberg Restaurantbesitzer und Bezos Justizbeamter. Wären die alle vorher mit ihren unter­ nehmerischen Ideen gescheitert, oder hätten sie es erst gar nicht versucht?

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Schon der Versuch wäre wesentlich schwieriger gewesen als in den USA. Das hat damit zu tun, dass es in Europa­ keinen einheitlichen Markt gibt für 350 Millionen Menschen so wie in Ame­ rika. Dass in Europa der Kapitalmarkt als ein Instrument für Kapitalisten und Reiche angesehen wird, nicht als Finan­ zierungsinstrument für Unternehmer. Dass das Unternehmerwerden in Europa­ nicht so populär ist wie in Amerika. Dass Erfolg zu haben und ihn zu zeigen nicht so leicht ist wie in Amerika. Ich sage jetzt nicht, dass wir Amerikaner werden sollen, aber ein bisschen mehr Unter­ nehmertum ­würde unserem Kontinent sehr guttun. Freude an Risiko, Freude an Leistung, Freude an Erfolg, Stolz auf Erfolg. Damit hat das zu tun.

NOBLE AUFGABE „Sich mit den ärmeren Schichten der Gesellschaft auseinanderzusetzen ist vielleicht nicht das ­profitabelste Geschäft, aber es ist unsere Aufgabe.“

„ . . .  ICH MIT MEINEM ZWUTSCHGERL, NULL KOMMA IRGENDWAS PROZENT“ Sie haben Ihr gesamtes privates Ver­ mögen in Erste-Group-Aktien gesteckt. Das hatte, wie Sie sagen, vor allem den Vorteil, dass Sie sich immer als Unternehmer gefühlt haben. Ich hab mein Finanzvermögen in ErsteGroup-Aktien gesteckt, ja, und ich bin, glaub ich, auch der größte private ­Investor. Aber mit meinem Zwutschgerl, null Komma irgendwas Prozent, ist es eigentlich eine Frechheit, wenn ich mich als U ­ nternehmer betrachte. Dennoch: Ich hänge vom Erfolg meines Unter­ nehmens ab, das stimmt, und das finde ich auch richtig so. Gehört sich für einen Manager, finde ich.

„ ICH ZWINGE JA NIEMANDEN DAZU, ERSTE-GROUP-AKTIEN ZU KAUFEN“

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Sie haben in der Erste Group mit dem ­Financial Life Park ein ziemlich auf­ wendiges Projekt ins Leben gerufen, mit dem Sie Schulklassen über Geld und Geldwesen aufklären. Als Aktionär gefragt: Wie e ­ rgibt so etwas unter­ nehmerisch Sinn? Weil wir profitable Bankgeschäfte nur mit Menschen machen können, die in der Lage sind, unsere Produkte wirklich zu kaufen. Und weil wir Wert darauf legen, dass die Menschen nur Produkte von uns kaufen, die sie auch verstehen. Ich verstehe aber auch nicht, wie mein Auto funktioniert oder mein Handy. Wir sind kein Produktverkäufer, sondern kümmern uns um das finanzielle Wohl­ ergehen, um die finanzielle Gesundheit unserer Kunden. Und das ist meiner Meinung nach die zweitwichtigste Sache auf der Welt – nach der körperlichen ­Gesundheit. Ich verstehe auch nicht alle Therapien, die mir mein Arzt verordnet. Sollten Sie aber. Und Gesundheits­ bewusstsein wird auch immer mehr zu einem Lifestyle. Sehr gut ist das! Je ­kompetenter die Leute sind, desto besser. In allen Bereichen.

WIR KÜMMERN UNS UM DAS FINANZIELLE WOHLERGEHEN, UM DIE FINANZIELLE GESUNDHEIT UNSERER KUNDEN.

Sie schicken jeden Tag fünf Schul­ klassen durch diesen Financial Life Park. Bis diese Schulklassen in einem Alter sind, in dem sie als Kunden ­überhaupt infrage kommen, vergehen mindestens zehn Jahre. Das heißt, Sie investieren jetzt relativ viel in ­etwas, das sich frühestens in zehn ­Jahren bezahlt macht. Als Aktionär, Herr Treichl, bin ich jetzt besorgt. Brauchen Sie nicht zu sein. In erster Linie geht es uns darum, unseren Auftrag als Sparkasse zu erfüllen. Nämlich Menschen­ finanzielle Bildung zu vermitteln. Wir machen halt Sachen, die langfristig gedacht sind. Bleiben Sie 30 Jahre Aktio­ när, dann profitieren Sie von den Dingen, die wir langfristig planen. In 30 Jahren bin ich 80, Herr Treichl. Sie werden sich darauf einstellen müssen, dass im Finanzleben alles extrem lang­ fristig werden wird. Sorry. Ich zwinge ja keinen, Erste-Group-Aktien zu kaufen. Es geht Ihnen aber auch um Bildung als Wert an sich, haben Sie einmal gesagt.

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WENN BLOCKCHAIN WIRKLICH FUNKTIONIERT, GEHT ALLES VOM PRODUZENTEN D I R E K T Z U M KO N S U M E N TE N , DAS H AT WAS EXTREM GESELLSCHAFTSPOLITISCHES.

Weil nichts gegen Populismus besser hilft als Bildung. Und dann kommt gleich Wohlstand, gefühlter Wohlstand, um genau zu sein. Eine Kombination aus Bildung und wahrgenommenem finan­ ziellem Wohlergehen ist das einzige ­langfristige Mittel gegen Populismus. ­Davon bin ich überzeugt.

„ . . .  MEIST ZIEMLICH UNGUTE TYPEN“ Sie sagen, Sie wollen Ihren Söhnen nichts vererben. Wirklich? Was sagen denn Ihre Söhne dazu? Nein, aber in erster Linie geht’s mir ums geistige und körperliche Wohlergehen und um den Charakter meiner Söhne. Das Glück, in eine Umgebung hinein­ geboren zu sein, die einem ein gutes ­Leben er­möglicht, ohne etwas zu leisten, ist ja eigentlich kein Glück. Oder erst dann, wenn Sie die Erfahrung gemacht haben, dass Sie auch ohne Erbe das Leben führen können, das Sie wollen. Menschen, die sich von Kindheit an darauf einstellen, dass sie nix tun müssen, weil sie von ihren g’stopften Eltern Geld kriegen, werden meistens ziemlich ungute Typen.

„ WOLLEN SIE ZWANZIGJÄHRIGEN HOCH­ RISKANTE SPEKULATIONEN EMPFEHLEN?“ Sie sagen: „Ich bin ein Kapitalist. ­Leider.“ Wieso leider? Sie sind ­einer der erfolgreichsten Banker in ­Österreichs Geschichte. Hab ich „leider“ gesagt? Wirklich? Ja. In Ihrem Statement ging es um ­Steuern und gesellschaftliche Ge­ rechtigkeit. Und darum, dass Sie für alle möglichen Steuern sind, auch auf Erbschaften, auf Vermögen, auf Spekulationen.

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Also grundsätzlich bin ich mal gegen Steu­ ern. Aber noch mehr bin ich da­gegen, dass wir zwischen zwei politischen Richtun­ gen leben: Die eine möchte er­worbenes Vermögen umverteilen und damit soziale Gerechtigkeit erzeugen, die andere möch­ te erworbenes Vermögen erhalten. Beide Richtungen sind okay. Aber es fehlt eine dritte, eine, die sich darauf konzentriert, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, Vermögen zu erwirtschaften. Und dieses Thema wird immer größer werden. Weil das zentrale Vermögenszuwachs­ instrument, nämlich Zinsen, über einen langen Zeitraum wegfallen wird. Und wollen Sie Zwanzigjährigen, die auf eine Eigentums­wohnung sparen, hochriskante Spekulationen empfehlen? Eben. Es ist also logisch, wenn ich einem Zwanzig­ jährigen im Jahr 2019 und einem Zwan­ zigjährigen im Jahr 2079 die gleichen Chancen geben will wie einem Zwanzig­ jährigen von 1979, dann muss ich halt auch auf der steuerlichen Seite was tun. Also denen was wegnehmen, die was haben. Sie sind ja nicht nur Leider-Kapitalist, sondern Sozialist, Herr Treichl! Nein. Keine Angst. (Lacht.) Was die Poli­tik in Europa tun sollte, wäre, zunächst ein­ mal nicht durch Einsparen die Staatskas­ sen füllen zu wollen, weil das nicht geht, sondern durch Anregung des Konsums. Und das passiert halt so gut wie gar nicht. Dann müssen Sie das Unternehmer­tum fördern. Und dann mit Steuern lenken, wo es notwendig und möglich ist. Die Vermö­ genssteuer etwa ist in der Theorie richtig, in der Praxis problematisch. Das Horten von Vermögen, das keinem sozialen oder gesellschaftlichen Zweck dient, gehört besteuert. Aber wie identifizieren Sie das? Schwierig. Die Erbschaftssteuer wäre leichter umzusetzen. Und eine Steuer, die der demografischen Entwicklung in Eu­ ropa entgegenkommt: Wir werden immer weniger und immer älter.

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„Dass wir unserem Gründungszweck treu bleiben: dass wir für alle da sind und allen Wohlstand bringen.“ ­Zitat Andreas Treichl. Da hat er auch recht.

Und die Alten haben in unserer Gesell­ schaft das meiste Geld. Das werden sie aber nicht freiwillig hergeben. Ich will, dass junge Menschen die Chance haben, sich ein Vermögen aufzubauen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht sie kommen. Dafür müssen wir Vorausset­ zungen schaffen: in unserem Wirtschafts­ system, in unserem Steuersystem, in einem neuen gesellschaftlichen Denken.

„ NEUES DENKEN IST NÖTIG“ Im Internet findet man Ihre Interpre­ tation von Paolo Contes „Via con me“. Sie können ja richtig gut singen! Sie haben überhaupt Spaß an öffentlichen Auftritten, können mit Medien gut um­ gehen. Wie sehr muss ein moderner Manager auch ein Showtalent haben? Gar nicht. Wenn man’s hat, kann man’s einsetzen. Das ist aber keine Voraus­ setzung. Es gibt viele sehr gute Manager von Unternehmen, die nicht einmal frohe Weihnachten wünschen können, ohne es von einem Zettel abzulesen.

„ VÖLLIG WURSCHT, WEIL ES UNSERE AUFGABE IST“ Wissen Sie, was das überhaupt ­Wichtigste in der Erste Group ist? Ich hoffe doch.

ICH WILL, DASS JUNGE MENSCHEN DIE CHANCE HABEN, SICH EIN VERMÖGEN AUFZUBAUEN.

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Aber ist es wirklich das Wichtigste, allen Wohlstand zu bringen? Wichtiger ist ja wohl, als Unternehmen wirt­ schaftlich gesund zu sein. Und was ­halten Aktionäre davon, wenn man ­„allen“ Wohlstand bringen möchte statt den „Shareholdern“? Ich sehe da kein Spannungsfeld – über­ haupt keines. Der Satz steht in unserer Gründungsurkunde, das ist unser Auf­ trag, unsere Aufgabe, immer schon gewesen, und darüber wissen unsere Aktionäre auch Bescheid. Sich mit den ärmeren Schichten der Gesellschaft ­auseinanderzusetzen ist vielleicht nicht das profitabelste Geschäft, aber das ist völlig wurscht, weil es unsere Aufgabe ist. Es ist unsere Identität. Punkt. Sind Sie erfolgreich, weil Sie sich daran halten oder obwohl Sie sich ­daran halten? Früher vielleicht obwohl, aber jetzt in zu­ nehmendem Ausmaß weil. Da gibt’s vor allem eine sehr erfreuliche Entwicklung bei den jungen Leuten, Generation Z und drüber. Die sehen einen hohen Wert in dem gesellschaftlichen Ziel und Zweck des Unternehmens, für das sie arbeiten. Für uns heißt das zum Beispiel, dass wir Mitarbeiter bekommen können, richtig gute Leute, die sonst nicht für eine Bank arbeiten würden. Unser Gründungs­ auftrag der sozialen Integrität wird immer schneller zu einem immer wichtigeren Konkurrenzvorteil werden, auf allen Ebe­ nen. Davon bin ich überzeugt. Man steht ja dem Zusammenspiel von finanziellem Gewinn und gesellschaftlichem Gewinn viel konsequenter und viel intelligenter gegenüber als früher. Das ist eine sehr, sehr positive Entwicklung in unserer Gesell­ schaft – und die geht von den Jungen aus.

„ IN IDEEN INVESTIEREN, IN VISIONEN, NICHT IN SICHERHEITEN“ Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie eigentlich noch, gesellschaftlich gesehen? Banken dürfen zum Beispiel jungen Unter­nehmen kaum noch ­Kredite geben.

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DER LETZTE VO R H A N G Showtalent Treichl scheidet Ende 2019 aus dem Vorstand der Erste Group. Seine neue Rolle? Im Aufsichtsrat der Erste Stiftung.

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DER JOB EINER BANK IST ES AUCH, RISIKEN EINZUGEHEN, I N S TA R T- U P S Z U I N V E S TI E R E N , IN IDEEN, IN VISIONEN, IN PERSÖNLICHKEITEN.

Und das ist schrecklich. Der Job einer Bank ist es auch, Risiken einzugehen, in Start-ups zu investieren, in Ideen, in Visionen, in Persönlichkeiten. Nicht in S ­ icherheiten. Solange wir in Europa ­keinen Kapitalmarkt entwickelt haben, der so breit ist und so stark, dass eben auch junge, kleine Unternehmer mit ­guten Ideen Geld bekommen, muss man Finanzinstitutionen die Möglichkeit geben, Start-ups zu finanzieren. Sonst kriegen wir in Europa keine Bezos’ und Jobs’ – und zwar nie. Weil für einen Steve Jobs brauchen wir drei Millionen neue Unternehmen, von denen zwei Millionen nach ein paar Jahren verschwunden sind. Aus den restlichen 999.000 werden dann vielleicht noch fünf relativ erfolgreich sein – und einer wird ein Steve Jobs.

„ NACH HAUSE KOMMEN KÖNNEN!“ Sie haben gesagt, Sie hätten die Krisenjahre 2008 bis 2014 körperlich nicht durchgestanden ohne Ihre Familie. Körperlich? Echt? Nicht unmittelbar, aber mittelbar schon. Die Psyche hat ja einen irrsinnigen Einfluss auf die Physis, und dieses Nach­ hausekommenkönnen war irre wichtig für mich. Es war eine extrem angespannte Zeit. Es ging ja auch um viel. Um das Vertrauen der Kunden zuallererst und natürlich auch um das der Investoren. Denen mussten wir vermitteln, dass wir ein gesundes Geschäftsmodell haben. Natürlich haben auch wir Fehler gemacht, aber diese einzugestehen und Lösungen zu präsentieren hat sehr geholfen. Und in dieser Zeit einen Ort zu haben, der dieses Nachhausekommen vermittelt, war ex­trem wichtig für mich.

„ ICH BIN JA EIN NACHWUCHSTALENT“ Eigentlich wollten Sie ja Dirigent werden. Sie wurden Banker, weil Leonard Bernstein zu Ihnen gesagt hatte: „Es ist wesentlich besser, ein mittelmäßiger Banker zu sein als ein mittelmäßiger Dirigent.“ Wäre es nicht vielleicht doch schöner und spannender gewesen, es als Dirigent zu probieren? Kann ich ja noch machen. Mit 67 bin ich ja noch ein Nachwuchstalent. Aber ich sag Ihnen: Ich glaube nicht, dass Dirigenten ein spannenderes Leben haben als ich. Ich kenne ein paar echte Superstars. Was die so erzählen … Fünfmal in der Woche nach irgendeinem Konzert um zehn am Abend essen gehen mit irgendwelchen Sponsoren, die man eigentlich nicht sehen will? Das würde mich verrückt machen.

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„ GESCHÄFTLICH SOLLTE MAN EH KEINE GEHEIMNISSE HABEN“ Es heißt, Sie haben kein eigenes Büro. Das stimmt aber nicht, oder? Doch, doch. Ich arbeite in einem Großraumbüro zusammen mit meinen Vorstandskollegen. Wir sind zu zwölft im Büro. Und bei einem wichtigen Telefonat? Geht man halt raus, in ein Sitzungs­ zimmer, auf den Gang oder aufs Klo. Aber ­geschäftlich sollte man vor seinen Kolle­gen eh keine Geheimnisse haben. Und private Sachen sollte man so und so nicht in der Arbeitszeit besprechen. Ich mag mein Großraumbüro.

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INN OVATOR WIS SEN

HOW TO FIND YOUR STRENGTH EINE

ANLEITUN G SCHRIT TEN

IN

Auf Social Media sind wir gewohnt uns bestmöglich zu präsentieren. Dabei ist die wichtigste Frage der Selbstwahrnehmung nicht „Wie sehe ich aus?“, sondern „Was leiste ich?“. Und nur wer weiß, was er kann, kann in der Folge auch an sich glauben. Hier sind 14 Tipps, wie man seine Stärken und Schwächen besser versteht. Aufgezeichnet von Marc Baumann

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Karriere in Eigenregie Der schnellste, effektivste und billigste Weg, um dein Leben und deine Karriere zu verbessern? Ein kritischer Blick in den Spiegel und ehrliche Selbstanalyse. Je klarer du deine eigenen Stärken und Grenzen erkennst, desto klügere Karriereentscheidungen wirst du treffen. Du kannst damit Berufe identifizieren, die tatsächlich zu deinen Werten und Fähigkeiten passen. Du wirst deinen Job mehr mögen, besser darin abschneiden­ und widerstandsfähiger in Kri­ sen sein. Selbsterkenntnis ist mit anderen Worten eine stark unter­schätzte Talentförderung. Kostet nichts und bringt viel.

Warum man ein deutscher Amerikaner sein sollte „Confidence before competence“, sagt man in den Vereinigten ­Staaten. Dort spricht man erst gar nicht über eigene Schwächen, sondern konzentriert sich nur auf seine Stärken und glaubt an den eigenen Erfolg. Aber diese „Fake it till you make it“-Botschaft funktio­

„Menschen überschätzen ihre eigene Arbeitsleistung im Schnitt um 20 bis 30 Prozent. Wir neigen dazu, Erfolge unseren eigenen Verdiensten zuzurechnen, den Grund für Misserfolge dagegen bei anderen zu suchen.“

niert nur bis zu einem gewissen Grad. Positives Denken und Moti­ vationssprüche können einem viel Kraft geben – aber man muss dabei ein realistisches Bild der eigenen Fähigkeiten im Blick behalten. Der Glücksrittermentalität der USA steht eine überkritische deutsche Selbstzweifelkultur gegenüber. Ideal wäre eine Kombination aus beiden Welten: Sei ein Deutscher, wenn’s um die Analyse deiner Fehler geht, und lass deinen ­inneren Amerikaner raus, um sie selbstbewusst zu überwinden.

Du täuschst dich Sich selber realistisch beurteilen?­ Gar nicht so einfach, wie auch die Wissenschaft festgestellt hat: Um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent überschätzen Menschen ihre ­eigene Arbeitsleistung. In unserer Selbstwahrnehmung neigen wir Studien zufolge dazu, Erfolge unseren eigenen Verdiensten zuzurechnen, den Grund für Miss­erfolge dagegen bei anderen zu suchen. Und wir schenken eher Informationen Glauben, die unsere Meinung bestätigen, und übersehen gerne Quellen, deren Aussagen wir nicht zustimmen.

Beginne ganz einfach: mit einer SMS Bitte deinen Partner, Freunde, Familienmitglieder oder Kollegen, dich in einer SMS oder WhatsApp in fünf Worten zu beschreiben,

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von denen mindestens eines eine Schwäche ausdrücken soll. Mach vorher eine Liste mit den Antworten, die du erwartest. Die meistgenannten Antworten verraten etwas über deinen Ruf, den du vielleicht schon erahnst. Kritikpunkte, die nur ein- oder zweimal genannt werden, können besonders nützlich sein, weil sie Schwachpunkte ansprechen, die dir selbst vielleicht noch verborgen sind. Denk an die letzten zwei bis drei Jahre im Job: Wie haben Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden deine Arbeit beurteilt? Und: Denk auch an die kleinen spöttischen Nebenbemerkungen oder Sprüche, die man manchmal in der Kaffeeküche oder im Aufzug hört, darin kann sich ernsthafte Kritik verstecken.

Schließ die Lücke zwischen Identität und Ruf Identität ist die Summe unserer Absichten, Gedanken, Wünsche – all das, was unser Verhalten prägt. Deine Identität kann positiv sein („Ich bin aufregend, ich gehe gerne Risiken ein“), auch wenn dein Ruf gleichzeitig weniger gut ist. Denn andere könnten dich wegen deiner Risikofreude als ­unvorhersehbar und unzuverlässig ansehen. Reputation ist das, was Menschen aus unserer Identität machen. Während wir unsere Identität, unsere Persönlichkeit kaum ändern werden, können wir sehr wohl an unserem Ruf arbeiten. Versuche die Lücke zwischen dem, wie du dich siehst, und

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dem, wie andere dich sehen, zu schließen. Anders gesagt: Begib dich in die Schublade, in der du auch wirklich stecken möchtest.

„Bitte deinen­ Partner, Freunde, Familienmitglieder oder Kollegen, dich in einer SMS oder WhatsApp-Nachricht in fünf Worten zu beschreiben, von denen mindestens eines eine Schwäche ausdrücken soll.“

Motivation braucht ein höheres Ziel Meist hinterfragen wir uns erst dann, wenn wir Ärger oder schlechtes Feedback bei der Arbeit bekommen haben. Also lieber früher und aus eigenen Stücken damit anfangen. Ob Sorge vor ungenügender Leistung oder eine leuchtende Vision der eigenen Karriere – beides können starke Beweggründe sein. Wobei negative Motive wie Angst nachlassen können, sobald keine unmittelbare Kritik­ mehr zu befürchten ist. Auf ­jeden Fall solltest du ein höheres­ Ziel haben, das du verfolgst. Einen Nutzen über die reine Veränderung hinaus, etwas, was dich dazu bringt, auf längeren Durststrecken dranzubleiben.

Fünf Fragen zum Verständnis deiner Stärken Was fällt dir bei der Arbeit leicht? Was machst du gerne? Was motiviert dich? Wofür ­loben dich andere? Wann warst du am erfolgreichsten?

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Tiefe Einblicke in Motivation, Selbstvertrauen und Talent zum Nachlesen.

Drive: Was Sie wirklich motiviert Daniel H. Pink zeigt auf, wieso Zuckerbrot (Geld) und Peitsche (Druck) keine guten Treiber sind.

Fünf Fragen, um deine Schwächen zu verstehen

Confidence: The Surprising Truth ...

Bei welchen Arbeiten tust du dir besonders schwer? Welche Auf­ gaben magst du am wenigsten? Was kritisieren andere an dir? Was war deine größte Nieder­ lage? Wo müsstest du dich am dringendsten verbessern?

Überbordendes Selbstbewusstsein macht selten erfolgreich, weiß Tomas Chamorro-Premuzic.

Finde deine Flügel

Die Durchschnitts­ falle: Gene – ­Talente  – Chancen „Die Gesellschaft braucht Peaks und Freaks!“, meint Markus Hengstschläger, einst Punk, ­heute Uni-Professor.

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Deine Persönlichkeit ist im Grunde genommen eine Geschichte, die du über dich selbst geschrieben hast. Diese Geschichte lässt sich nicht umschreiben, aber du kannst Rückschlüsse aus ihr ziehen. Per­ sönlichkeitstests wie der Red Bull Wingfinder (siehe nächste Seite) können dir dabei helfen. Der Test basiert auf 30 Jahren psycho­ logischer Forschung, ist kostenlos und dauert 45 Minuten. Wing­ finder versucht, dein Selbstbild zu verstehen, und analysiert aus den vier Schlüsselbereichen Motivation, Verbundenheit, Krea­tivität und Denkfähigkeit deine Stärken.

„Deine ­P ersönlich­keit ist eine Geschichte, die du über dich selbst geschrieben hast. Diese Geschichte lässt sich nicht umschreiben.“

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Red Bull Wingfinder: Durch Beantworten ­simpler Fragen erhältst du eine Analyse deiner ­beruflichen Stärken in vier Schlüsselkategorien sowie einen Coaching-Plan mit Strategien, sie noch zu optimieren.

Was wirklich wichtig ist Vermutlich könntest du dich nicht nur in einem Bereich ver­ bessern, sondern in vielen. Aber mach dich nicht zur Groß­ baustelle. Welche Schwäche hält dich am meisten zurück? Auf welchem Gebiet bist du am stärksten ­motiviert, dich zu verbessern? Das reicht. Denn wenn du dich zu vielen Fronten gleichzeitig stellst, verlierst du den Fokus, und am Ende passiert gar nichts. Steck dir also selbst Zwischenziele. Wenn man den Mount Everest besteigt, braucht man ein Basislager.

Der Feuermelder in deinem Kopf Schwächen überwindet man nicht von heute auf morgen. Darum muss man lernen, mit ihnen umzugehen. Du solltest eine innere Notfallsirene haben, die frühzeitig losheult, wenn du im Beruf an deine Problemzonen stößt. Lerne, solche Situationen vorherzusehen. Entwirf für diesen Fall einen inneren Evakuierungs­ plan, der dich in sicheres Gebiet bringt. Was kannst du tun, um in brenzligen Momenten besser als früher die Kontrolle zu behalten? Überlege, wie du reagierst, an­ statt einfach nur zu reagieren.

„Mach dich nicht zur Großbaustelle und steck dir selbst Zwischen­ ziele. Wenn man den Mount Everest besteigt, braucht man ein Basislager.“

Connections Arbeitest du gut mit anderen zusammen oder besser eigenständig?

Drive Wie ehrgeizig bist du, und wie steht es um deine Gelassenheit?

Creativity Wie innovativ denkst du? Wie logisch und ­ana­lytisch gehst du vor?

Thinking Kannst du abstrakt ­denken und komplexe Probleme lösen?

Jetzt selbst testen: wingfinder.com 34

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TOMAS CHAMORROPREMUZIC

ADAM YEARSLEY

Mach es wie Messi

Die fünf P erfolgreicher Sportler

„Wir tun zu oft die immer gleichen Dinge, hoffen aber auf ein anderes Ergebnis. Fakt ist: Niemand verändert sein Leben, indem er immer dasselbe macht.“

Purpose: Hab einen Traum und folge ihm. Practise: Üben. Immer und immer wieder. Progression: Versuche, im Laufe­ der Zeit immer höhere Ziele zu erreichen. Steigere dich. Performance: Höre auf Feedback, lerne aus deinen Leistungen. Perseverance: Eine Niederlage ist einfach nur der Punkt, von dem aus das nächste Rennen beginnt.

Niemand macht den Job für dich Die meisten Probleme werden ge­ löst, wenn die richtige Person am richtigen Arbeitsplatz sitzt. Talent ist gewissermaßen Persönlichkeit am passenden Ort. Aber erwarte nicht, dass die Unternehmen ­diese Suche für dich übernehmen. Es liegt ausschließlich an dir.

PRIVAT

Professionelle Fußballspieler trainieren fünfmal pro Woche, bestreiten in derselben Zeit aber meist nur ein Spiel. Der Rest von uns tritt im Büro jeden Tag zum Wettkampf an und übt vielleicht einmal im Jahr. Wir verbringen viel zu wenig Zeit mit Selbst­ optimierung – jeder Profisportler würde darüber nur den Kopf schütteln. Das zu ändern ist schwierig. Bau bewusst Pausen in deinen stressigen Alltag ein, die dir Zeit und Raum geben, auf dein Leben zu schauen und dich zu fragen, ob du das erreichst, was du willst. Natürlich ist der bequeme Weg jener, es so zu machen, wie du es immer machst. Wir tun zu oft die immer gleichen Dinge, ­hoffen aber gleichzeitig auf ein anderes Ergebnis. Fakt ist: Niemand ver­ ändert sein Leben, indem er ­immer nur dasselbe macht. Es geht dar­ um, sich weiterzuentwickeln.

Was Talent, Führungsvermögen und berufliche Kom­petenz ausmachen, wo man diese Eigenschaften findet und wie man sie f­ ördert, erforscht Tomas Chamorro-Premuzic, Wirtschaftspsychologe u. a. an der Columbia University, seit Jahren. Adam Yearsley ist als G ­ lobal Head of Talent Management bei Red Bull für die Gewinnung und Entwicklung hoch veranlagter Mitarbeiter zuständig. Gemeinsam haben die zwei Arbeitsexperten mit Red Bull Wingfinder ein starkes Tool zur Potenzial­entfaltung entwickelt.

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TEXT — JONAS VOGT FOTOS — OLIVER JISZDA

FINANZSPIELRAUM Revolution ohne Zerstörung, On-the-Edge-Technologie, ohne Kunden zu verschrecken. Die George Labs der Erste Group zeigen, wie man Innovationen antreibt – nicht nur im Online-Banking. Ein Workshop in sechs Schritten.

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Transparenz: Am Erste Campus im mondänen Quartier Belvedere in Wien-Favoriten findet Innovation hinter flächigen Glasfassaden statt.

im text


Gäbe es eine Liste von Start-up-Klischees, die George Labs würden fast alle erfüllen. Im offenen Büro starren Mitarbeiter im Alter zwischen 25 und 35 auf ihre Computer. Es gibt keine fixen Sitzplätze, dafür eine Tischtennis­ platte in der Mitte des Raums. Man trägt weiße Sneaker und Jeansjacke. Natürlich.

Eigentlich ist das hier kein Start‑up im engeren Sinn. Vor knapp sechs Jahren hat sich die Erste Group (16 Millionen ­Kunden in sieben Ländern) selbst eine Innovations-Unit verpasst. Mit dem Ziel, die Strukturen eines 200 Jahre alten Unternehmens zu hinterfragen, ohne gleich ­alles kurz und klein zu schlagen. ­George, die Online-Banking-­ Plattform der Erste Group, ist das sichtbare E ­ rgebnis. Aber auch ­darüber ­hinaus sind die Labs ein Beispiel d ­ afür, wie man – gerade in einem großen und daher etwas schwerfälligen Unternehmen – Inno­vationsprozesse Schritt für Schritt einführen kann. Und dabei am besten alle mitnimmt – die ­Kunden und die eigenen Leute.

Weitsicht: Boris Marte, 54, ist einer der Köpfe der George Labs. Sein Auf­ treten ist Silicon Valley pur. Das ist auch der Anspruch, den er verkörpert.

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Wo stehe ich?

Im Jahr 2012 ist Boris Marte, weiße Sneaker, Jeansjacke, D ­ reitagebart, schon elf Jahre bei der ­Erste Group tätig. Zu dem Zeitpunkt nutzen 45 Prozent der ­Österreicher Online-Banking, jeder allerdings bei der Bank, bei der er auch sein Konto hat. Plattformen, die für alle zugänglich als Schnittstellen zur Hausbank genutzt werden können, sind noch ferne Zukunftsmusik. Marte macht eine Bestandsaufnahme. „Damals wussten wir nicht, wo das hinführen würde“, sagt er. „Wir haben nur gesehen, dass sich die Industrie, in der wir uns befinden, dramatisch verändert.“ Aus allen Ecken entsteht Konkurrenz: Start-ups aus dem Bereich Finanztechnologie, FinTechs genannt, entwickeln ­Zahlungssysteme; Direktbanken wie die N 26 konzentrieren sich auf junge Zielgruppen; Big Techs wie Google setzen dazu an, in den ­Bereich Finanzprodukte zu ­gehen. Und dazwischen sitzen die ­alten, schwerfäl­ligen Endkundenbanken wie die Erste Group. „Wir wussten, dass wir eine Antwort brauchen.“


2 „DIE INDUSTRIE VERÄNDERT SICH DRAMATISCH: DIREKTBANKEN, BIG TECHS, STARTUPS – UND DAZWISCHEN WIR.“

BANKING (FAST) OHNE BANKER: DAS TEAM DER GEORGE LABS

17 %

UX Designer & Produktmanager Datenwissenschaftler & Datenanalysten Requirement Engineers & Scrum Masters

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20 %

42 %

21 %

SoftwareEntwickler

Was brauche ich?

Gemeinsam mit Freunden und späteren Mitarbeitern stellt Marte drei Thesen auf. Erstens: Um die notwendige Trans­ formation zu schaffen, benötigt die Bank externe Kompetenzen, Leute aus anderen Branchen mit anderen Per­spektiven. Zweitens: Es braucht einen Platz, um ­erfinderisch und mutig sein zu können, wo Fehler erlaubt sind und ausprobiert werden darf. Drittens: Das Unternehmen muss zum Anziehungspunkt für Talente werden, die sonst den Weg in die ver­ meintlich verstaubte Bankenbranche nicht gehen würden. Andreas Treichl, CEO der Erste Group, lässt sich überzeugen. Er be­auftragt Marte, ein Innovationszentrum einzu­ richten, und sichert die notwendigen Mittel für drei Jahre zu. Rasch fällt die Entscheidung, dass es für einen glaub­ haften Paradigmenwechsel ein sicht­ bares Zeichen braucht. Aus diesen Über­ legungen wird der Erste Hub gegründet, ein internes Start-up – der Vorgänger der George Labs. Das Anfangs­team be­ steht aus knapp 20 Leuten, eine agile, eigenständige Einheit, die ­einen Proto­ typ auf der ganzen Linie auf die Beine ­stellen kann. Mit Designern, SoftwareEntwicklern, Datenanalysten. Der implizite Deal, den sie mit der Führung abschließen: Das Team soll die Freiheit bekommen, althergebrachte Strukturen der Bank zu hinterfragen und bei Bedarf auch einzureißen. ­Voraussetzung: Die neu geschaffenen Strukturen müssen zu marktreifen ­Produkten führen.

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Flexibilität: In den George Labs ­arbeiten kleine ­Feature-Teams räumlich zusammen, fixe Work­ stations gibt es ­allerdings nicht.

„WIR MÜSSEN BEI UNS SELBST STRUKTUREN SCHAFFEN, DIE STETS VERÄNDERBAR SIND.“

GEORGE, DIE ONLINEBANKING-PLATTFORM DER ERSTE GROUP Der Launch fand Anfang 2015 statt, mittlerweile hat die Plattform 4,7 Millionen User in vier Ländern. Davon kommen 1,7 Millionen ­allein aus Österreich. Der Marktanteil von George liegt unter den ­Online-Banking-Usern bei 38 Prozent.


DIE AUFGABENSTELLUNG WAR: WIR BRAUCHEN KEIN HIPSTERPRODUKT, SONDERN EINES FÜR ALLE KUNDEN.

Lässigkeit: Isabella Frey (Chapter Lead & Product Owner) auf einem der Arbeitssofas

VON DER IDEE ZUM ENTWURF – VOM DESIGN ZUR INNOVATION „Der Weg zum Leben der Menschen führt über das Design“, sagt Chefdesigner Maurizio Poletto. „Gutes Design macht eine App ­intuitiv und einfach zu bedienen.“ Dafür sorgt er in den George Labs u. a. mit Art D ­ irector Stefanie Prinz. george-labs.com

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Wie will ich arbeiten?

Um von Ideen schnell zu den geforderten Produkten zu kommen, stellt das Team selbst ein paar Grundregeln („Kitchen Rules“) auf – wie etwa die Orientierung an einem konkreten, aktuell vorhande­ nen Problem. Oder das wöchentliche „Idea Pitching“, bei dem neue Ideen vor­ gestellt werden und dann gemeinsam ent­schieden wird, welche davon weiter­ verfolgt werden sollen. „Das war eine völlig andere Arbeits­ weise, als sie im Bankenumfeld vorher geherrscht hatte“, sagt Marte. Diese unter­nehmenskulturellen Änderungen sind notwendig, um Mitarbeiter aus der Start-up-Szene zu gewinnen und Identifi­kationspotenzial zu wecken. Aus dieser Szene kommt auch die in den Labs selbst verordnete Minimal-­ Value-Product-Philosophie: Man plant nicht das perfekte Produkt am Reiß­ brett, sondern geht mit einem unfertigen Produkt auf den Markt und beendet es erst mit den aus der Kundennutzung ­gewonnenen Daten.

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Was will ich machen?

In den ersten Jahren entwickelt das Team der George Labs eine Reihe von Apps wie „Hilfreich“, eine Möglichkeit, bei Zahlun­ gen gleichzeitig zu spenden, oder „Fair­ Split“, mit der man Zahlungen in einer Gruppe aufteilen kann. Knapp die Hälfte aller Ideen scheitert, weil sie von den Kunden nicht angenommen wird. Im ­Gegenzug führt die direkte Implemen­ tierung des Feedbacks genau zu jenen Apps, die Kunden verlangen. „Gewisse Dinge kann man nicht vor­ hersehen“, sagt Marte und erinnert an die „Wechselstube“-App: „Niemand bestellt darüber täglich Fremdwährungen, aber eine weitere Funktion – das Abfragen des Wechselkurses – wurde permanent ver­ wendet. Nachdem wir erfahren hatten, wie beliebt die Funktion war, konnten wir das für weitere Entwicklungen natür­ lich besser berücksichtigen.“ Die Aufgabenstellung war nicht, ein Hipster-Produkt für die Erste Group zu kreieren, sondern ein digitales Angebot an den g ­ esamten Kundenstock. Dieses muss die ­komplette Bandbreite der Ban­ kengruppe ­abbilden und sich in Sachen Usability mit den großen Konkurrenten messen können. Auch Jahre nach dem Launch hinterlassen die User mit ihrem Nutzungsverhalten Daten, geben Feed­ back und verbessern das Produkt so mit jedem ­neuen Upgrade. „Das verlangt die Einsicht, dass man selber nie zwingend richtig­liegt“, sagt Marte. Das Richtig­ liegen komme erst mit den Daten.

Zusammenarbeit: ­Stefanie Prinz (Art ­Director, li.) und Christa Maier (Chapter Lead & Product Owner) beim Testen neuer Features.

Ausgeglichenheit: Bei Schönwetter wird die Arbeit auch mal an die frische Luft verlegt (im Bild das Gartendeck des Erste Campus).


Der Erfolg ruft andere Banken auf den Plan, Marte wird zum gern gesehenen Gastredner: „Viele machen aber den großen Fehler, zu glauben, dass es reicht, ein Lab zu gründen oder sich von irgendeinem FinTech eine App bauen zu lassen. Ohne interne Bereitschaft, dich grundlegenden Veränderungsprozessen auszusetzen, geht gar nichts.“

6 „AM ANFANG GING ES DARUM, MIT DEM TEAM ÄNDERUNGEN VORAN­ ZUTREIBEN – UND WOHL AUCH EIN PAAR LEUTE IM HAUS AUFZU­ SCHEUCHEN.“

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Wie werde ich konkret?

Anfang 2015 wird George gelauncht. Die erste Welle der Kampagnen kommt ohne die Logos der beteiligten Banken aus. „Auch die Launch-Strategie war ein großes Risiko“, bestätigt Marte. „Niemand wusste, ob unser Produkt so akzeptiert werden würde, wie wir es erhofften. Wir hätten auch lediglich kommunizieren können, dass es ein Upgrade des be­stehenden Netbankings gibt, haben uns dann aber bewusst dafür entschieden, mit etwas ganz Neuem in den Markt zu gehen.“ Das unter eigener Marke zu machen brauchte viel interne Überzeugungs­arbeit. Aber es funktioniert. Und wie! Nach knapp vier Jahren hat George allein in Österreich 1,7 Millionen User.

Wie erhalte ich mir das?

Am Anfang ging es bei den George Labs darum, im kleinen Team Änderungen voranzutreiben – und wohl auch, allein durch die Existenz der Unit ein paar Leute im Haus aufzuscheuchen. Heute, im siebten Jahr, haben sich die Um­ stände geändert: Rund 200 Mitarbeiter arbeiten an George, bis zu 50 weitere werden gesucht. Bis Mitte 2020 ist man mit Neuerungen ausgebucht. „Auch im großen Team innovativ zu bleiben ist eine gewaltige Herausforderung“, sagt Marte. „Dafür müssen wir bei uns selbst immer wieder aufs Neue Strukturen schaffen, die veränderbar sind.“ Der Bankensektor ist im Wandel. Der Zahlungsverkehr wird infolge neuer Payment-Services zu einer Nebensache, die der Kunde kaum noch wahrnimmt – etwa durch den kontaktlosen Bezahldienst Apple Pay. Die Erste Bank und Sparkassen haben ihn Ende April ein­ geführt – auch ein Beispiel dafür, wie man in den George Labs arbeitet. Denn trotz der „disruptiven Kraft“ im Inno­ vationsteam muss nicht immer etwas zerstört werden. Oft geht es mehr darum, intelligente Designlösungen in ­bestehende Systeme zu integrieren und auch dabei die Kunden mitzunehmen. „Es bringt uns nichts, zu techy und zu edgy zu sein“, so Marte. „Wir müssen mit neuen Entwicklungen Schritt halten und trotzdem für die Masse da sein.“ Die Evolution der Revolution sozusagen.

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DAS Z T NE WER K

Der Wiener Impact Hub bringt Geschäftsideen zum Laufen, bei denen die positive Wirkung auf die Gesellschaft wichtiger ist als der Profit. Ein Gespräch mit Managing Director Lena Gansterer über den ambitionierten Versuch, der guten Sache mit wirtschaftlichen Ansätzen zum Durchbruch zu verhelfen.

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Welt, aber auch diese Teile entwickeln sich. Und wenn ich mein eigenes Leben hernehme und überlege, wie meine Großmütter gelebt haben, dann habe ich heute ganz andere Möglichkeiten und Freiheiten als damals. Wir haben das sicherste Europa der Geschichte, seit mittlerweile sieben Jahrzehnten. Die Gesundheitsversorgung wird immer besser, wir werden immer älter. Und wir überlegen uns immer genauer, wie wir unsere Kinder erziehen. Es ist ein für kapitalistische Verhältnisse ziemlich revolutionärer Ansatz, der den 2010 gegründeten Impact Hub von allen anderen Start-up-­ Inkubatoren unterscheidet. Zwar hilft auch diese Plattform mittels Büro­ raum, Infrastruktur und NetzwerkUnterstützung, Ideen in Geschäfte zu verwandeln, doch die Motivation der Gründer besteht nicht darin, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen; sondern Unternehmen auf die Welt zu bringen und wachsen zu lassen, die für Gesellschaft und Umwelt möglichst nützlich sind. Lena Gansterer, 32, ist in dieser Hin­sicht nicht nur familiär vorbelastet – ihr Vater war Ende der Achtzigerjah­re Gründer des Fahrradbotendienstes Veloce, die Mutter Malerin –, auch eine Welt­reise, die sie mit 18 unternommen hat, und ein Praktikum bei einem ­Autozulieferer haben sie nachhaltig geprägt. Erstere führte ihr vor Augen, „wie ­unfair die Welt ist“, und löste den Wunsch aus, daran etwas zu ändern (was schließlich zu einem Wirtschaftsstudium führte), und bei Letzterem lernte sie, „was ich nicht will“. Also landete Gansterer gleich nach dem Studium beim Impact Hub, der in Wien-Neubau daheim ist. Dort knüpft sie seit acht Jahren an einem globalen Netzwerk, das Social Entrepreneurs das Leben und das Wachstum leichter machen soll. innovator: Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass die Welt in den letzten zehn Jahren ein besserer Ort geworden ist? lena gansterer (schweigt lange): Ja. Ich glaub, die Welt wird immer besser. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, dann kann man das wahrscheinlich auf den ersten Blick nicht erkennen. Prinzipiell aber wissen wir viel mehr, haben wir viel mehr Freiheiten – ­sicher nicht in jedem Teil der

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Sie wissen natürlich, warum wir die erste Frage gestellt haben. Der Impact Hub will die Welt zu einem besseren Ort machen: Nicht der Profit steht im Vordergrund, sondern der Social Impact. Aber war die wichtigste Triebfeder des Kapitalismus nicht immer die Gewinnmaximierung? Das Problem seit einigen Jahrzehnten ist eigentlich die Maximierung des Shareholder-Value. Und dass auf den Wirtschaftsuniversitäten gelehrt wird, dass dies das höchste Ziel ist. Sie glauben das offensichtlich nicht. Nein, natürlich nicht. Warum soll das so sein, das ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Wenn ich eine Unternehmung starte, dann muss ich etwas auf die Welt bringen, das ein Problem löst – damit es überhaupt einen Markt dafür gibt. Das heißt, im Endeffekt soll es etwas sein, das die Welt besser macht. Das ist der Grundgedanke.

„Das Problem ist die Maxi­ mierung des ShareholderValue. Und dass auf den Unis gelehrt wird, dass dies das höchste Ziel ist.“

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Engagierte globale Community

Netzwerk

Co-Working-Space

Mehr als 16.000 Mitglieder und derzeit 101 Hubs in 49 Ländern.

Vor allem in Großstädten wird die Idee der gemeinsamen Nutzung von Büroräumen immer beliebter.

Gedankenaustausch

Problemlösung

Das gute Gefühl, nicht allein zu sein, ist schon die halbe Miete. Dazu sind Gleichgesinnte eine Quelle der Inspiration.

Wer Kompetenzen oder Partner sucht, wird vielleicht in der Community fündig.

Mitgliedschaft Wer sich dafür entscheidet, Teil des Impact Hub zu werden, zahlt zwischen 20 und 225 Euro pro Monat.

Finanzierung Ein globales Netzwerk ist von unschätzbarem Vorteil für Menschen, die Investoren oder Mitgesellschafter für ihre Geschäftsidee suchen.

Was leistet der Impact Hub?

Bürofläche

Geburtshilfe für Ideen

Innovation

Der Impact Hub versteht sich als Plattform für Ge­ schäftsideen, die die Welt besser machen. Hier finden sie Raum zur Entwicklung.

Accelerator-Programme fördern gezielt Innovation auf bestimmten Gebieten. Zum Beispiel: „innovate4nature“ in Zusammenarbeit mit dem WWF. Gefragt sind da Ideen, die die Artenvielfalt fördern.

Infrastruktur Am Wiener Standort im 7. Bezirk finden Jungunter­ nehmer nicht nur Platz zum Arbeiten, sondern auch Infra­ struktur – etwa mit Beratung in allen Start-up-Fragen.

Start-upSupport Wettbewerbe

Inkubator In den fast zehn Jahren seit seiner Gründung hat der Impact Hub 450 Unternehmen betreut und sie bei der Aufgabe unterstützt, Ideen in Businesspläne zu gießen und diese dann in Geschäfte mit gutem Gewissen zu verwandeln.

Die Programme sind als mehrstufiger Wettbewerb an­ gelegt: Eine Jury entscheidet, welche Projekte Unter­ stützung bekommen. Das ist gratis, und der Sieger bekommt sogar noch ein Preis­ geld obendrauf.

Programme und Events

Information Veranstaltungen wie die „Impact Days“ oder der „Social Impact Award“ bringen Investoren und Szene zu­ sammen – und verbreiten die noch weitgehend unbekannte Idee des „Social Impact“.


Aber das Problem ist doch, dass die Shareholder Investoren sind. Sind die nicht irritiert, wenn sie hören, dass Profitmaximierung nicht das höchste Ziel ist? Ja, es gibt sicher viele Investoren, die so was irritiert. Aber es gibt auch ganz viele, die das sehr gut verstehen. Und die sagen: „Mein Geld arbeitet für eine gute Sache.“ Wenn es zum Beispiel in einen Fonds eingezahlt wird, könnten damit Waffen und Kriege finanziert werden. Da kann ich das Geld auch in etwas Besseres stecken. Wie weit ist diese Denkweise schon im Mainstream angekommen? Gute Frage, die stelle ich mir auch. Ich glaube: viel mehr als vor zehn Jahren, als wir angefangen haben. Aber wird es irgendwann mehr sein als ein Minderheitenprogramm? Das wird man sehen. Ich glaube jedenfalls, dass es eine Veränderung geben muss in der Art, wie wir die Welt betrachten. Global gesehen gibt es bereits viel Bewegung: BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, hat etwa voriges Jahr entschieden, dass jedes Unternehmen, in das sie investieren, einen Impact-Bericht herausgeben muss.

Schoolfox Nachrichtendienst Schoolfox bringt das Mitteilungsheft ins digi­tale 21.  Jahrhundert und ermöglicht Lehrern, Eltern und Schülern, sicher zu kommunizieren. Dazu kann die App die Nachrichten in viele ­Sprachen übersetzen ­und trägt so zur Inte­ gration von Kindern und Eltern mit Migrations­ hintergrund bei. schoolfox.com

Wenn sich ein Start-up für den Impact Hub bewirbt: Wie finden Sie heraus, ob dessen Geschäftsidee die Welt besser macht? Wer entscheidet das und nach welchen Kriterien?

„aWATTar sitzt im Impact Hub in Wien, hat aber mittlerweile Niederlassungen in Berlin und Zürich.“ aWATTar Stromanbieter Der „innovativste Stromanbieter Öster­ reichs“ (Eigendefinition) verkauft grünen Strom – mit Tarifmodellen, die es so noch nicht gab. Der Strompreis orientiert sich etwa an den Schwankungen der Strom­ börse. So kann der Verbrauch in günstige Zeiten gelegt werden. awattar.com

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„Ein gutes Beispiel aus dem Schul­ bereich, wo Digitalisierung zu mehr Information und Integration führt.“

Um Mitglied bei uns zu werden, gibt es keinen Selektionsprozess. Alle sind willkommen, die unsere Werte teilen! Aber wir haben auch Accelerator-­ Programme, die wir gemeinsam mit Partnern als Wettbewerb durchführen. Da suchen wir zielgerichtet Innovationen zu bestimmten Themen. Zum Beispiel arbeiteten wir in den letzten zwei Jahren mit dem WWF an einem Programm, das „innovate 4nature“ heißt. Da ging’s um Ideen aller Art, die die Biodiversität, also die Artenvielfalt, fördern. Wie lange bleiben denn die Unter­ nehmen im Schnitt unter Ihrer Obhut? Das kommt ganz darauf an. Die Programme dauern etwa ein halbes Jahr. Da sind wir relativ intensiv dran. Manche sehen wir bis zu zwei Jahre. Bis sie den Kinderschuhen entwachsen sind … Ja, wobei wir zwei Ansätze fahren: Da ist der Inkubator, wo es ganz viel um Arbeitsplatz-Infrastruktur geht. Und Accelerator-Programme, wo die Teams schon weiterentwickelt sind. Vielleicht haben die schon ihr eigenes Büro. Da arbeiten wir vor allem daran, dass sie gewisse Sachen schneller bekommen, zum Beispiel die richtigen Netzwerke von Investoren – solche, die impact­orientiert denken und nicht nur profitorientiert –, die gibt es mittlerweile nämlich auch. Oder: Wir finden Partner, die sie für die Lösung ihrer Probleme brauchen.

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„So viele Lebensmittel werden weggeschmissen, nur weil sie nicht schön genug für den Supermarkt sind.“

Sie sind ja als Netzwerkspezialistin bekannt. Was ist wichtig beim Auf­ bau eines Netzwerks? Die Idee des Impact Hub war, einen Raum zu schaffen für Menschen, die zusammenkommen wollen, sich aber noch gar nicht kennen. Die sich gegenseitig inspirieren, die sich unter­stützen, miteinander arbeiten. Menschen mit ähnlichen­Werten, die trotzdem aus unter­schiedlichen Welten kommen und auch unterschiedliche Ressourcen mitbringen. Dann haben wir uns überlegt, dass man Möglichkeiten schaffen muss, dass sie sich nicht mehr nur zufällig über den Weg laufen. Deshalb die ­Accelerator-Programme – der „Social Impact Award“ und die „Impact Days“ –, damit die Menschen ver­ stehen, worum es uns geht. Was war Ihre persönliche Motiva­ tion, beim Impact Hub zu arbeiten? Hier war es möglich, den Job mit dem, was ich denke und fühle, zu vereinen. Ich glaube überhaupt, dass dieses Dreieck aus Denken, Handeln und Fühlen sehr relevant ist für die Zufriedenheit der Menschen. Sehr oft ist das ja nicht im Einklang. Meine Chefin bei dem Autozulieferer hat es zum Beispiel damals – es war 2008, mitten in der Finanzkrise – schrecklich gefunden, dass Autos gehortet werden, um den Preisverfall zu ­stoppen. Dann schaute sie mich an, klappte ihr Notizbuch zu und sagte: „Aber jetzt fällt mir ein, für wen ich arbeite. Also vergessen wir das.“

iss mich! Bio-Catering Was macht man mit bestem Bio-Gemüse, das sich nicht verkaufen lässt, weil es den Model-Contest der Supermärkte nicht besteht? Bisher wurde es zu Biosprit verarbeitet oder landete im Müll. Tobias Judmaier macht Eintöpfe oder Gulasch für sein Catering draus. Ausgeliefert wird natürlich mit Fahrradboten in wiederbefüllbaren Glasbehältern. issmich.at

Aber ist das häufig nicht noch ­immer so? Ja, aber immer öfter haben die Leute keine Lust mehr auf so etwas. Die kommen sofort nach der Uni zu uns und wollen mitarbeiten. Und dann gibt es die, die sind Mitte 30, die haben die herkömmliche Karriere schon gemacht, und die wollen aussteigen. Die sagen: Ich kann da meine Ideen nicht verwirklichen, ich möchte mich nicht mehr verbiegen, ich bin ein unglücklicher Mensch, ich krieg ein Burn-out. Ich bekomme jetzt Kinder, wie kann ich denen in die Augen schauen? Und dann gibt’s die dritte Kategorie – Menschen, die ihre Karriere bereits beenden und die dann sagen: So, und jetzt will ich der Gesellschaft etwas zurückgeben. Die Frage ist: Werden diese Ideen mehrheitsfähig? Der Menschheit wäre es ja zu wünschen. Ja, wir alle wünschen uns das. Und alle sagen: Wir würden es uns wünschen, aber wir glauben es noch immer nicht. Aber warum nicht? Warum erzählen wir uns diese Geschichte die ganze Zeit: „Es geht nicht“? Es geht schon, man muss es nur machen. Sie haben mit dem Impact Hub ins­ gesamt 450 Unternehmen betreut. Wie viele davon sind berühmt und reich geworden? Es geht gar nicht darum, reich und berühmt zu werden, sondern Unter­ nehmen zu entwickeln, die nachhaltige

„Wir haben jetzt technische Möglichkeiten, die wir früher nicht hatten. Bestes Beispiel: die mySugr-App.“ mySugr Diabetes-App Wer an Diabetes leidet, muss viel beachten – und vor allem viel rechnen. Das 2012 gegründete Unternehmen macht mittels App den Alltag einfacher. Mittlerweile hat man 1,8 Millionen User und gehört zum Schweizer Pharmakonzern Roche. mysugr.com

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Lena Gansterer blickt optimistisch in die Zukunft: „Es muss sich was ändern in der Art, wie wir die Welt betrachten.“


SOZIALE GELDADER

Warum sich die Erste Bank in ­S achen Social ­B anking engagiert.

Verzicht auf Gewinnorientierung gilt ja nicht gerade als Spezialität der Finanzwelt. Trotzdem – oder gerade deshalb – leistet sich die Erste Bank eine eigene Abteilung für Social Banking, mit der etwa Projekte wie der Impact Hub unterstützt werden. Warum? „Das liegt in unserer DNA“, sagt Günter Benischek, Chef der Abteilung. „Wir feiern heuer unseren 200. Geburtstag und sind ja seinerzeit als Sozial­unternehmen gegründet worden.“ Daher will man jenen Menschen helfen, die sich für ihre Gesellschaft einsetzen, was gerade heute vielleicht wichtiger ist denn je. Außerdem sehe man ja etwa schon an der „Fridays for Future“-Bewegung, dass das Thema Zukunft hat.

Wirkung erzielen. mySugr, aWATTar, iss mich! oder Schoolfox (siehe Seite 40/41) sind gute Beispiele dafür. Aber es gibt natürlich noch viele mehr. Aber die Dinge, die die Welt ver­ bessern, sollten grundsätzlich schon auch ein Geschäft sein, oder? Ja, wir haben nur dieses System. Und wenn ich bankrottgehe, dann hat die Welt auch nichts davon. Das ist übrigens für eine NGO auch so: In dem Moment, in dem sie keine Spenden­ gelder mehr kriegt, ist Schluss. Also: Es geht nicht ohne Geld auf dieser Welt. Jetzt kann man aber auch einen ganz neutralen Zugang zu Geld haben und sagen: Geld ist nichts anderes als die Bereitschaft, für irgendein Produkt oder eine Dienstleistung eine bestimmte Summe zu bezahlen. Also ist Geld ein Tausch für den Wert, den eine Sache für mich hat. Warum bitte bezahlen manche Leute über 1000 Euro für eine Markenjeans? Das ist ihnen anscheinend wichtig. Und ein anderer sagt: Ich möchte ein gutes Gewissen haben. Und da gebe ich mehr Geld für ein Gewand aus, bei dem ich mir sicher bin, dass bei der Herstellung kein Kind gelitten hat.

MILLIARDEN FÜR GUTES

Doch was sagen die Aktionäre der Bank zu einem Engagement, das im Grunde ihre Gewinne schmälert? Es fällt ihnen kaum auf. Denn noch bewegt sich der Anteil von Social Entrepreneurship an der Gesamtwirtschaft im Promillebereich. Erste-Chef Andreas Treichl macht sich jedenfalls dafür stark, künftig einen kleinen Prozentsatz der Bilanzsumme für soziale Zwecke zu reservieren. Für die entsprechenden Investments würden dann andere Regeln gelten als normal. Benischek: „Bei unserer Größe sind das immerhin zwei, drei Milliarden.“

Günter Benischek Leiter Social Banking in der Erste Bank

Aber es muss von Anfang an die Idee geben, woher das Geld kommt, oder? Ja und nein. Sehr oft weiß man das am Anfang noch nicht, weil man ja auch nicht weiß, ob die Idee funk­ tioniert. Also nehmen wir nur Face­ book her. Wenn man sich da die Über­legungen der ersten Investoren in den Anfangsjahren anschaut: „Wie genau man das zu Geld macht, wissen

„Warum erzählen wir uns diese Geschichte die ganze Zeit: ‚Es geht nicht‘? Es geht schon, man muss es nur machen.“

wir noch nicht. Aber wir wissen eines: Wir haben viel Macht in der Hand, wenn viele Leute auf dieser Plattform sind.“ Fünf Jahre später haben sie dann gesagt: „So, und jetzt schalten wir Werbung.“ Aber das war nicht von Anfang an Teil der Plattform. Wenn jetzt Facebook zu Ihnen käme und behauptete: „Unsere Plattform macht die Welt besser, weil sie Men­ schen verbindet.“ Würden Sie das glauben? Technologie ist immer nur so gut wie das, was der Mensch damit macht. Grundsätzlich ist es so, dass Kommu­ nikationstechnologien die Menschen schon näher zusammenbringen. Und was die Probleme mit den Echo-Blasen­ betrifft: Mein Gott, Stammtische hat es immer gegeben. Wenn ich aber be­ stimmte Algorithmen und Firmen wie Cambridge Analytica zulasse, dann ist das natürlich entsetzlich. Man braucht für solche Fälle politische Rahmen­ bedingungen; Gesetze, die das regeln. Und wir brauchen Werte, die es uns möglich machen, gut gemeinsam zu leben. Im Offlinebereich schaffen wir es ja auch, nebeneinander zu existie­ ren. Weil wir uns etwa darauf geeinigt haben, auf der Rolltreppe auf der rechten Seite zu stehen und auf der linken zu gehen. Oder uns zur Begrü­ ßung die Hand zu geben. Ich glaube, dass wir im virtuellen Raum diese Dinge erst lernen müssen.

MAKE-UP AND HAIR: ALMA MILCIC ST YLING: SIMON WINKELMÜLLER HOSE: ROKSANDA PULLOVER: DRIES VAN NOTEN STUDIO: F6

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Weil die Socken von Tapedesign Sportlern bessere Bodenhaftung verleihen, hebt das Grazer Start-up gerade ab. Uns verrät das Gründer-Duo fünf Regeln, die dir auch auf anderen Geschäftsfeldern mehr Grip geben.

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ario Ofner, 27, und Thomas Weber, 26, haben als Kunden­ betreuer bei der Steier­ märkischen Sparkasse angefangen. Und auch heute betreuen sie weiterhin Kun­ den. Nur heißen die Antoine Griezmann, Marko Arnautović oder Luis Suárez. Und sind mehr an gutem Grip als an Finanzierungen interessiert. Ofner und Weber sind die Gründer von Tapedesign, einem Start-up aus Graz, das seit 2015 Socken mit Gummi­

noppen produziert und damit schon über 5500 Profi-Sport­ ler von Europa über Südame­ rika bis China beliefert. Was ihr Produkt besonders macht: das hochwertige Material, die Einheitsgröße von 37 bis 48. Und dass es sich mit Initialen und Logos personalisieren lässt. Qualität, Flexibilität und Individualität zeichnen aber nicht nur die Socken, sondern auch das Gründerduo aus, wie ein Gespräch über ihre Geschäftserfahrungen zeigt.

L ö s e e i n P r o b l e m  . . . oder besser: F i x i e r e e s! Die Socken Noppen auf der ­Sockensohle sorgen für Halt. Der Basispreis eines Paars liegt bei € 29,95, die personalisierte Version kostet € 39,95.

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thomas weber: Der Name unserer Firma kommt daher, dass wir ursprünglich per­ sonalisierte Tape-Bänder für Fußballer herstellen ließen. Diese Bänder – mit Rücken­ nummer oder Länderflagge – kamen auch gut an, aber das war zu wenig. In dieser

H ol d ir Fe e d b a ck  ... von d e ine r Zie lgruppe mario ofner: Bei guten Sportsocken muss viel pas­ sen: Gummisohle, Elastizität, Komfort, die Anordnung der Noppen, damit das Körper­ gewicht gleichmäßig verteilt ist. Und Logos sollten scharf zu sehen sein. Um zu erfahren, was die Spieler brauchen, haben wir sie von Anfang an mit ins Boot geholt. Ein guter Freund von uns spielte bei Schalke 04 in Deutschland. Wir haben ihn mit Socken fürs ganze Team versorgt. Ebenso den Wolfsberger AC in Öster­ reich. Einzige Bedingung: Sie mussten uns Feedback geben. Dieses haben wir dann in die Produktion eingearbeitet. Uns war wichtig, Tests mit jeman­ dem zu machen, der zweimal am Tag voll trainiert und die Socken danach immer wieder in den Trockner schmeißt. Wir haben so lange schlechte Exemplare herausgefiltert, bis der WAC-Zeugwart gesagt hat: „Die halten jetzt vier Monate, auch wenn ein Profi sie nutzt.“

De r K und e is t K önig ... und m a nchm a l W e ltm e is te r weber: Unter unseren ­Freunden sind viele Fußballer, einige von ihnen Profis. Daher hatten wir gute Startmöglich­ keiten. Je zufriedener die

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KLAUS PICHLER

IN DEN SCHUHEN DER STARS

Zeit hatten viele unserer Fuß­ ballerfreunde Probleme mit Blasen durch das Rutschen in den modernen Kunststoff­ schuhen. Als wir gesehen haben, wie alle versuchen, die Socken mit Tape oder Haar­ spray zu fixieren, war uns klar: Da muss es etwas Besseres geben. Dann sind uns die ABSSocken eingefallen, die es für Kinder gibt. Also haben wir Socken-Hersteller kontaktiert und an Prototypen gebastelt.


„ Ne un Stun den Autofahr t – allein für die So cken . Das ve r giss t dir kein Spieler.“

Star des FC Barcelona, eine Nachricht bekommen: Sein Zeugwart habe die Socken vergessen, die Spieler bräuch­ ten unbedingt welche für das Spiel am Freitag gegen Argentinien. Also habe ich ein Expressvisum besorgt, bin nach Wien gefahren und am Donnerstag im Flieger geses­ sen. Freitagvormittag war ich im kroatischen Teamhotel. In Nischni Nowgorod, nicht in Moskau. Das waren zusätzlich neun Stunden Autofahrt sowie drei Stunden Schlaf in irgend­ einer Unterkunft. So etwas vergisst dir kein Spieler. Diese persönliche Betreuung macht viel von unserem Erfolg aus.

W ork ha rd  ... (s o tha t others can ) p la y ha rd

Spieler mit unseren Socken waren, desto mehr ihrer Mitspieler interessierten sich dafür und desto größer und prominenter wurde unser Netzwerk. Das Wichtigste im Umgang mit sogenannten Stars: ganz locker und ehr­ lich sein. Du bist in diesem Moment kein Fan, du betreust einen Kunden. Und jeder Kunde muss gleich behandelt werden – egal ob österreichi­ scher Bundesliga-Kicker oder

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französischer Weltmeister. Auch wenn der eine ob seines Werbewerts wichtiger ist für dein Business als der andere, darf das keiner merken.

G eh d i e E x t r a m e ile  ... o d er fahr s i e z ur Not ofner: Bei der Fußball-WM 2018 in Russland habe ich an einem Mittwoch von Ivan Rakitić, dem kroatischen

Das Gründerduo Die Schulfreunde Thomas Weber, 26, und Mario Ofner, 27, statten neben Fußballern auch Basketball-, Handball- und Rugby-Profis mit ­ihren rutsch­festen Socken aus.

weber: Wir haben früher in der Mittagspause und nach Feierabend gearbeitet, sind aus dem Büro raus und mit vier Wäschekörben zur Post gegangen. Unseren Urlaub haben wir darauf verwendet, nach Spanien, England, Asien, Südamerika zu fliegen, um Spieler und Agenturen per­ sönlich kennenzulernen und Kontakte aufzubauen. Unser Arbeitgeber, die Steiermärki­ sche Sparkasse, hat uns da unterstützt, weil man unsere Motivation gesehen hat. Heute arbeiten wir 3 ­ 65 Tage im Jahr, und am Tag bis zu 20 Stunden. Das ist hart, aber wenn dir ein berühmter Spieler ein Dank­ schreiben schickt, ist alles wieder vergessen. tape-design.com

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DIE KUNST DER SMARTEN PAUSE Glaub an dich, und glaub an die Technik: Diese Gadgets wissen besser als du, was dein Körper braucht. Und helfen dir in Zukunft, deine Akkus aufzuladen.

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GURU ZUM MITNEHMEN

TEXT ALEX LISETZ 54

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INTERAXON

Meditation boomt. Laut einer Umfrage meditiert etwa in Deutschland fast die Hälfte der Bevölkerung, fast jede(r) Zehnte sogar täglich. Doch wie sieht es mit der Wirkung aus? Das verrät das federleichte Muse-Stirnband, indem es die elektrische Aktivität des Gehirns während der Meditation misst. Kommt der Geist nicht zur Ruhe oder schweifen die Gedanken ab, gibt es sanftes akustisches Feedback über die Kopf-

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DIESES HIGHTECH-STIRNBAND MISST DIE AKTIVITÄT DEINER GEHIRNSTRÖME

hörer. Nach der Einheit wird der Erfolg der ­Meditation auf dem ­Bluetooth-gekoppelten Smartphone dargestellt, über die App kann man auch Challenges be­ stehen und Bonuspunkte sammeln. Eine Sonderanwendung fand die

Agentur Jung von Matt/ Donau: Per Software konnten mit Muse Hirnströme als individuelles „200 Jahre Erste Bank und Sparkasse“-Logo dargestellt werden. PREIS 269 EURO CHOOSEMUSE.COM

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kömmliche Sportuhren können (GPS-Tracking, Herz­frequenz- und ­Tempomessung etc.), fördert aber auch aktiv die effektive Erholung. Zu diesem Zweck misst

sie Bewegungsmuster, Schlafdauer und -qua­ lität, Stressverlauf und Regenerationsstatus. Und plant mithilfe der gesammelten Daten die Trainingsintensität, animiert zu Stress­ abbau oder Pausen und errechnet dazu den ­aktuellen Flüssigkeitsbedarf. Nettes AntiStress-Extra für Zerstreute: der eingebaute Smartphone-Finder.

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Das Wichtigste am ­Training ist die Regeneration. Wer sie auslässt, riskiert Übertraining und Leistungsabfall – wie der Trauner Zehnkämpfer Martin Konrad, Gründer von VIITA Watches, erklärt. Seine intelligente Smartwatch kann alles, was her-


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WELLNESS FÜR DEN GEIST

Vor 185 Jahren entdeckte der Franzose Jean Charles Athanase Peltier den später nach ihm benannten Peltier-Effekt. Dieser zeigt Folgendes: Setzt man zwei verschiedene Metalle unter Strom, entsteht je nach Stromrichtung Wärme

oder Kälte. Dieser Geistesblitz findet im Headband von Aurox zeitgemäße Anwendung. Vier Sensoren (jeweils einer an den Schläfen, zwei an der Stirn) sorgen in dem ­ 115 Gramm leichten

Wellness-Tool je nach Einstellung über die App für Wärme bzw. Kühlung. „Das entspannt und erfrischt“, sagt Managing Director Christoph Schöggler. Besonders wirkungsvoll ist ein 17-minütiger Einsatz bei einer Kühlung nicht unter 12 Grad Celsius – das hat ein Test der Uni­ klinik Graz ergeben.

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AUF WEISEN SOHLEN Was macht ein Elektromechaniker, der sich beim Kraftsport den ­Rücken verreißt? Er gründet gemeinsam mit seiner Frau ein Start-up, das verspannte Muskeln lockert. Die clevere Idee

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von Martin und Sonja Masching: ein PowerChip im Gel-Pad, das – auf die Innensohle des Schuhs geklebt – über eine induzierte Trägerfrequenz das vegetative Nervensystem beeinflusst. Diese sogenannte Powerinsole regt die Durchblutung der Beine an und löst Verspannungen im ganzen Körper. Neben Masching selbst profitierten davon bisher

17.000 User, darunter Tennisprofis und internationale Fußball-Erst­ ligisten. Die meisten Käufer sind aber Nichtsportler: Die Power­ insole senkt nämlich auch Stresslevel und Herzfrequenz.

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DEIN HERZ IM GRIFF Es ist kaum größer als eine Zündholzschachtel und trotzdem schon ein Blutdruckmesser. Wo­ bei: Stopp! Dieses elfen­ beinfarbene Ding mit Namen „VivaVita“ misst nicht, es rechnet. Dafür musst du es in deine ­linke Hand nehmen, mit Zeigefinger und Daumen die Elektroden links und rechts und mit Zeigeoder Mittelfinger der rechten Hand die Elek­ trode oben in der Mitte

berühren. „Den Rest macht ein komplexer ­Algorithmus“, sagt Qua­ litätsmanager Andreas Ruhry von VivaVita-Pro­ duzent Joysys. Binnen Sekunden errechnet er, wie es um deinen Blutdruck bestellt ist. ­Ana­lysiert werden per dazugehöriger App auch weitere Werte wie etwa Pulsfrequenz oder Stresslevel. Letzterer dürfte bei den Produ­ zenten gerade steigen. Nach letzten Tests soll VivaVita noch im De­ zember erhältlich sein.

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Der „Himmel für die ­Hosentasche“ ist eine zwölf Gramm leichte Blaulichtbrille, die ­unseren natürlichen Bio­ rhythmus reguliert. Das Prinzip stammt direkt aus der Natur: Der Blau­ anteil im Sonnenlicht hält uns tagsüber wach und aktiv. Wenn jedoch künstliches Bürolicht, unregelmäßiger Schicht­

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dienst oder wechselnde Zeitzonen diesen Rhyth­ mus durchbrechen, springt die ultraleichte Lichttherapiebrille ein. Sie setzt den Körper ­sozusagen zurück auf Werkseinstellung und macht wach, wenn man wach sein will. Um­ge­ kehrt schläft nachts wie ein Baby, wer nach der aktiven Phase künst­

liches Blaulicht gezielt vermeidet. Daher: Brille nur am Anfang der ­aktiven Phase tragen und zwei Stunden vor dem Schlafengehen den Ausknopf von Handy und Computer drücken! PREIS 199 EURO POCKET-SKY.COM

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auf MEMS-Technologie. Diese funktioniert so: Ein Träger aus Silizium dient als Halbleiter und bewegt einen Kolben je nach elektronischer Ladung nach unten oder oben. Eine dar­auf liegende Mikromem­bran leitet die Signale weiter.

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Keine Sorge! Du musst ja gar nicht verstehen, wieso die entspannende Sinfonie von Beethoven im Kopfhörer plötzlich so brillant klingt.

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E IISS KALT K ALT E AKADEMIK ER AKADEMIKER DER HÄRTESTE MANNSCHAFTSSPORT DER WELT WIRD GERADE NOCH ­PRÄZISER, NOCH SCHNELLER, NOCH WISSENSCHAFTLICHER. EINE ­ENT­WICKLUNG, AN DER DIE ERSTE BANK EISHOCKEY LIGA MASSGEBLICH BETEILIGT IST. EIN BLICK HINTER DIE KULISSEN DES MODERNEN EISHOCKEYS. TE XT: WERNER J ESSNER

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FOTOS: KONSTANTIN RE YER

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INNOVATOR

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B O DYC H EC K härter als ein Autounfall —— Checks sind im Eishockey ausdrücklich erlaubt – allerdings nur gegen den puckführenden Spieler. Damit ein Check regelkonform ist, dürfen weder Stock noch Helm, Knie, Faust oder Ellbogen verwendet werden, der Check darf weder von hinten erfolgen noch gegen Kopf oder Nacken gerichtet sein. Welche Kräfte werden bei einem Bodycheck frei? Nehmen wir an, ein 80 Kilo schwerer Spieler fährt mit 20 km/h in seinen Gegner. Messungen des TV-Senders Sky haben hier

BEI CHECKS, EINE ARMLÄNGE VON DER BANDE ENTFERNT, SCHLÄGT DER S P I E L E R M I T 3 , 6  G I N S PLEXIGLAS EIN. ZUM VERGLEICH: AUTO-AIRBAGS L Ö S E N B E I 2  G A U S .

interessante Werte ergeben. Steht der Puckführende beim Kontakt 50 Zentimeter von der Bande entfernt, wirkt eine Aufprallkraft von über 3000 Newton auf ihn. Die Verzögerung erfolgt mit atemberaubenden 3,6  g. Zum Vergleich: Der Airbag eines Autos löst bereits bei 2  g aus. Je näher sich der gecheckte Spieler an der Bande befindet, desto „sanfter“ ist sein Einschlag. Gerade bei Bodychecks, die etwa in Armlänge von der Bande ausgeführt werden, schaut in der Erste Bank Eishockey Liga das DOPS (Department of Player Safety) ganz genau hin (siehe auch das Interview mit Lyle Seitz auf Seite 68). Zu groß ist die Gefahr ernster Verletzungen wie Gehirnerschütterungen.

Open Ice Bodychecks sind essenzieller Bestandteil von Eishockey. Die Regeln dafür sind präzise definiert.

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UM EINEN PUCK AUF 170 KM/H UND MEHR ZU BESCHLEUNIGEN, BRAUCHT ES KRAFT, TECHNIK UND STÖCKE, DIE SICH VERBIEGEN UND WIE EINE FEDER WIRKEN.

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S L A P S H OT Gewehre für Profis

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1 Feder

2 Te c h n i k

Der Carbon-Stock biegt sich bei Belastung durch und speichert so Energie, die er an den Puck abgibt und ihn so zusätzlich ­beschleunigt.

Für die Puck-Beschleunigung sind neben der Kraft des Spielers Länge und Flex des Stocks, Position relativ zum Puck und ­Winkel entscheidend.

—— Der Rekord für den härtesten Schuss steht bei knapp unter 184 km/h, abgefeuert 2012 vom Russen Alex Rjasanzew. Das ist nur möglich, weil sich die Composite-Schläger verbiegen und den Puck wie eine gespannte Feder beschleunigen. Grundsätzlich gilt: Je härter die Feder, desto mehr Kraft kann sie speichern und an den Puck abgeben – allerdings muss der Spieler auch kräftig genug sein, um sie zu „spannen“, erklärt Isaac Garcia vom Hockey-Produzenten Warrior Sports. Der Ausdruck für die Härte ist „Flex“, er ist auf jedem Schläger vermerkt. „Flex 85“ bedeutet beispielsweise, dass es eine Kraft von 85 Pfund (38,5 Kilo) braucht, um den Schläger um einen Zoll (2,54 cm) zu verbiegen. In Zeitlupenaufnahmen erkennt man jedoch, wie sich Schläger häufig um mehrere Handbreit durchbiegen. Isaac Garcia: „In Tests verkraften neue Schläger Belastungen, die Knochen brechen lassen.“ Wenn sie schließlich telegen und spektakulär splittern, liegt das in der Regel an Mikro-Verletzungen, die die Carbonfasern zuvor – und von außen nicht sichtbar – geschwächt haben.  63


R A PI D S H OT Scharfschützentraining

Oben: Maßarbeit

Unten: Körpereinsatz

Die Rapid-Shot-Maschine schult schnelles Schießen. Das Ziel im Tor ist variabel. Der Monitor zeigt Timing, Präzision und Schusshärte an.

Aufgabe der Goalies ist nicht nur, sich dem Puck in den Weg zu stellen, sondern seine Kraft zu neutralisieren und Abpraller („rebounds“) zu verhindern.

—— Der Puck kommt in dieser Trainingsanlage abwechselnd von links und rechts, mit unterschiedlichem Tempo und in verschiedenen Zeitabständen. Die Spieler richten den Blick auf die Torwand, wo ein Licht genau dort aufleuchtet, wo sie hintreffen sollen. Nach jeder Serie werden drei Dinge ausgewertet: Präzision, Schussgeschwindigkeit und die Zeit von der Puck-Annahme bis zum Schuss. Vor allem der dritte Wert ist entscheidend für die Entwicklung des modernen Eishockeys, sagt Toni Walch aus dem Trainerteam der Red Bulls. „Das Ziel ist ein Schlagschuss, ohne vorher mit dem Schläger ausholen zu müssen. Das macht es für den Goalie fast unmöglich, den Schuss zu lesen. Stars wie Seth Jones von den Columbus Blue Jackets aus der NHL schießen aus dem Handgelenk ansatzlos so scharf, wie es früher nur mit Slapshots möglich war, bei denen der Spieler ­bereits auf den Puck gewartet hat.“

S K AT I N G M I L L St ä n d i g i n B e w e g u n g

E I N S C H L AG Die Last der Goalies —— Mit welcher Wucht prasseln Pucks auf den Torhüter ein? Wir fragen Physiker und Buchautor Martin Apolin. Der Puck wiegt 170 Gramm, als maximale Geschwindigkeit nehmen wir 175 km/h an. Durch Einsetzen dieser Werte in die Formel für kinetische Energie erhalten wir einen Wert von 400 Joule. Um zu berechnen, mit welcher Kraft er aufschlägt, müssen wir den „Bremsweg“ des Pucks kennen, denn es gilt: Energie ist Kraft mal Weg. Wir untersuchen erst einen Schuss auf den 10 Zentimeter dicken Brustschutz, wie er in jedem Match vorkommt. Apolin: „Die Kraft, die auf den Torhüter wirkt, entspricht hier der Gewichtskraft von 400 Kilo.“ Vollends unglaublich wird es, wenn 64

der Puck nur einen Zentimeter Weg bis zum Stillstand hat: Hier wirkt das Äquivalent von vier Tonnen! Kein Wunder, dass Goalies jedes Mal so selt­ sam dreinschauen, nachdem sie einen Schuss auf die Maske bekommen haben. Ohne moderne Ausrüstung wären solche Belastungen kaum zu überstehen. Gerade das Goalie-Equipment wird nicht nur ständig sicherer, es wird auch bequemer und saugt nicht mehr so viel Flüssigkeit auf. Trocken wiegt eine Goalie-Ausrüstung heute nur noch zwölf Kilo – um fünf weniger als noch vor einem Jahrzehnt. Nass kann sich dieser Wert allerdings verdoppeln, womit einmal mehr bewiesen wäre, dass Hockey-Goalies die Härtesten unter den Harten sind.

—— Mehr als ein Laufband: Auf Skating Mills der neuesten Generation, wie sie in der Red Bull Eishockey Akademie in Liefering stehen, können sich Athleten auf einer 2,5 mal 2,5 Meter großen Fläche frei bewegen, den Puck spielen und bis zu 30 km/h schnell laufen. Für explosive Starts lässt sich die Fläche um 10 Grad neigen. Spieler sind also gezwungen, „bergauf“ zu laufen. Der Sinn einer Skating Mill ist aber nicht allein das Intervall- oder Ausdauertraining, wie Toni Walch erklärt: „Es geht ultimativ um die Synchronisation der Bewegung: laufen und gleichzeitig schießen oder passen. Anders als auf dem Eis kann der Spieler auf der Skating Mill nicht stehen bleiben und gleiten, während er den Puck annimmt, sondern ist gezwungen, ständig die Beine zu bewegen.“ In Österreich sind in den letzten neun Jahren vier Skating Mills entstanden: in Liefering, Wien, Poggersdorf bei Klagenfurt und Bruck/Leitha.

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1 Laufband

2 „Eisfläche“

3 To t m a n n l e i n e

Auf der Skating Mill laufen Spieler am Stand – bei bis zu zehn Prozent Steigung. Dabei gilt es, den Puck zu führen oder zu spielen.

Glatte Sache: Der speziell konstruierte selbstschmierende KunststoffBoden weist ähnliche ­Eigenschaften wie Eis auf.

Die Spieler erreichen bis zu 30 km/h. Damit sie sich bei Stürzen nicht verletzen, hängen sie an einer Sicherheitsleine.

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E I S H O C K E YTRAINING FÜRS BÜRO Die Aufgabe: alle 30 Zahlen in aufsteigender Reihenfolge innerhalb einer ­Minute finden. Schult den Rundum-Blick.

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AU G E N T R A I N I N G Schneller schauen —— Auch Feldspieler, aber vor allem Goalies müssen sich auf zwei Dinge zugleich konzentrieren: einerseits auf den Puck, andererseits auf die Bewegung der anderen Spieler rundum. Dazu ist es wichtig, an seiner Blicktechnik zu arbeiten. Dabei hilft ein einfaches Tool, das sich jeder selbst basteln kann: Auf A4-Blätter werden die Zahlen von 1 bis 30 in unterschiedlicher Reihenfolge geschrieben. Der Sportler muss sie nun nur mit seinen Augen in aufsteigender Reihenfolge finden – innerhalb einer Minute. Kostet nichts, kann von jedem nach­ gemacht werden und bringt viel.

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KO G N I T I V E S T R A I N I N G Wie im Computerspiel —— Ein Highlight ist unter dem Eis der Nachwuchsakademie der Red Bulls in Liefering verborgen: neun Punkte, die individuell angesteuert werden können. Spieler bekommen einen Transponder an die Schlittschuhe geschnallt, und ihnen werden über einen Monitor zum Beispiel Rechenaufgaben gestellt, oder es gilt, aus Buchstaben Worte oder aus Worten Sätze zu bilden. Jedem Element der Lösung ist ein Punkt unter dem Eis zugeordnet. Die Spieler flitzen also in korrekter Reihenfolge von Punkt zu Punkt. Präzision und Tempo werden dabei erfasst und ausgewertet.

FITNESSTRAINING Hart am Optimum

Ausdauer Eishockeyspieler stehen pro Spiel im Schnitt zwischen 15 und 20 Minuten auf dem Eis.

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—— Eishockeyspieler stehen im Schnitt zwischen 15 und 20 Minuten pro Spiel auf dem Eis in Shifts von 30 bis 60 Sekunden. Der Puls kratzt dabei jeweils am Maximalwert. Das Ziel ist, bei jeder Schicht auf dem Eis alles zu geben. Um erstens das Gefühl für das persönliche Maximum zu entwickeln und zweitens maximal effizient zu trainieren, ist der Fitnessraum der Akademie in Salzburg personalisiert und computergesteuert: Jeder Spieler­ meldet sich mit seiner Chipkarte an, und die Maschine erkennt in der Folge, wie viel Gewicht er auflegen muss. Wird die Übung zu schnell ausgeführt, kommen ein paar Kilo drauf; ist die Ausführung schlampig, wird sie nicht gezählt.

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Handvoll Spezialisten sieht dort 1300 Spiele im Jahr. Wir achten natürlich auf Fouls und Tore, haben aber auch neue Entwicklungen auf dem Radar.

I N T E RV I E W LY L E S E I T Z Director of H o c key O p e r a t i o n s

„ I D E N T I TÄT SCHAFFEN“ —— Die Erste Bank Eishockey Liga als Innovationslabor: Vor ­wenigen Jahren führte die Erste Bank Eishockey Liga als eine der ersten Ligen der Welt ­einen „Situation Room“ ein, in dem Videos aller Spiele ana­ lysiert, bewertet, Strafen aus­ gesprochen und große Linien festgelegt werden. Wozu das gut ist, erklärt Director of ­Hockey Operations, Lyle Seitz. inno­vator: Wo befindet sich der geheimnisvolle ­„Situation Room“, und was machen die Menschen darin genau? lyle seitz: Physisch befindet er sich in Ebensee in Ober­ österreich, weit weg von den Hockey-Städten. Es ist ziem­ lich einsam bei uns. Unser Job im „Situation Room“ ist das Sammeln und Bewerten von Spielszenen. Wir haben elf Monitore zur Verfügung, eine

Was bringt ein „Situation Room“? Er schafft einer Liga Identität. Die Erste Bank Eishockey Liga soll für „speed and skill“ ste­ hen, und dank unseres VideoMonitorings können wir ge­ meinsam mit den Trainern der Vereine darauf Einfluss nehmen. Erfolgreich, möchte ich sagen: Stolpert man über ­Videos von vor fünf, sechs, sieben Jahren, sieht man, um wie viel schneller und tech­ nisch besser unsere Teams ge­ worden sind. Das merkt man übrigens auch an den Ergeb­ nissen heimischer Clubs in der Champions Hockey League, wo sie gegen Teams „großer“ Hockey-Nationen mittlerweile regelmäßig gewinnen. Einer breiten Öffentlichkeit fällt Ihre Arbeit dennoch hauptsächlich dann auf, wenn wieder einmal ein Spieler aufgrund der Videos aus dem „Situation Room“ ­gesperrt wird. Die Arbeit des DOPS (Department of Player Safety; Anm.) ist nur der sichtbare Teil des Eisbergs. Wir stellen Material potenziell gefährlicher Szenen zusammen und legen es einem Player Safety Committee vor. Das sind fünf Spezialisten, die

„ I N K RITIS C H EN SIT UATI O N EN HÄNGT DIE KORREKTE EIN­ S C H Ä T Z U N G O F T A N D E M E­ I N E N K A M E R A W I N K E L . A L L E V I D E O -­ ENTSCHEIDUNGEN SPIELEN WIR AN DIE COACHES ZURÜCK .“

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­ ervusTV – aber wir sind nicht S einzig und allein darauf an­ gewiesen.

nicht in Österreich sitzen und völlig unabhängig entscheiden, ob eine Sperre gerechtfertigt ist. Mein undankbarer Job ist es dann, die Sperre zu kommu­ nizieren. Unsere e­ igentliche Arbeit ist Kommunikation mit den Teams. Es geht im Grunde darum, den Profis Woche für Woche den Spiegel vorzu­ halten und zu sagen: Dies hier war okay, jenes nicht. Der Weg funktioniert aber auch um­ gekehrt: Teams kommen auf uns zu und wollen wissen, ­warum diese oder jene Aktion zulässig oder unzulässig war. Im Idealfall haben wir dann bereits ein Video, das diese Frage beantwortet. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Unlängst kam die Anfrage, warum eine bestimmte Situa­ tion nicht als Knie-Check ­geahndet worden war. Die ­Antwort: Manchmal liegt es nicht am Checker, es liegt am Gecheckten, wenn es zu einem Kontakt mit dem Knie kommt. Wir können einen ob­ jektiven Video­beweis liefern, unbeeinflusst von Emotionen in der Hitze des Gefechts auf dem Eis. Woher stammt das Roh­ material für die Videos? In jeder unserer elf Hallen ha­ ben wir sechs eigene Kameras. Das ist einzigartig und unter­ scheidet uns von vergleichba­ ren Einrichtungen in anderen Ligen. Zusätzlich nutzen wir bei TV-Spielen selbstverständ­ lich die Kamera-Aufzeichnun­ gen u ­ nserer Partner wie

Der „Situation Room“ sieht bei kritischen Ent­ scheidungen also mehr als der TV-Konsument daheim? Definitiv. Gerade bei schwer zu erkennenden Fouls wie ­einem Check gegen Kopf oder Nacken hängt die korrekte Entscheidung oft an dem ­einen Kamerawinkel, der die Situation klar zeigt. Tor oder kein Tor? Alle Video-Ent­ scheidungen spielen wir an die Coaches der Teams zu­ rück – vor allem dann, wenn es sich um kein TV-Spiel ge­ handelt hat. Warum gibt es dennoch Fehlentscheidungen? Weil wir Menschen sind! Die Sicherheit der Spieler ist ein wichtiger Punkt, gleichzeitig sind wir aber im Entertain­ ment-Business: Hockey muss schnell und hart sein. In die­ sem Spannungsfeld müssen unsere Profi-Schiedsrichter ­innerhalb von Sekunden Ent­ scheidungen treffen. Wäre es nicht besser, haa­ rige Entscheidungen direkt dem „Situation Room“ zu überlassen, wie teilweise in der nordamerikanischen NHL, der schwedischen SHL oder der finnischen Liiga? Einen Videobeweis bei Toren sehe ich zwiespältig: Mög­ licherweise wären unsere Ent­ scheidungen häufiger korrekt, weil wir mehr Kamerapers­ pektiven zur Verfügung haben als die Schiedsrichter vor Ort. Aber sie dauerten auch länger, weil wir die Bilder um 20 Se­ kunden zeitverzögert bekom­ men, und das wollen wir den Fans nicht zumuten. Außer­ dem haben wir im Moment keine Möglichkeit, direkt mit den Schiedsrichtern in den Hallen zu kommunizieren. Dazu kommt noch ein kultu­ reller Aspekt: Es nimmt den menschlichen Faktor weg. Wir sollten bei aller Technologie nie vergessen, dass Hockey von Menschen gespielt wird.

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1 Beobachten

2 Analysieren

3 Entscheiden

Auf elf Monitoren werden im Situation Room bis zu 1300 Spiele pro Jahr gesichtet: aus der Erste Bank Eishockey Liga und aus dem Nachwuchsbereich.

Dank mindestens sechs Kameras pro Halle und Split-Screens erhalten unabhängige Experten neue Perspektiven auf Fouls und strittige Szenen.

Die Entscheidung, ob es nach Fouls zu einer Sperre kommt, treffen fünf ex­terne Experten anhand des im „Situation Room“ erfassten Video-Materials.


GALLERY STOCK

DIE

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J E ÄLTER WIR WERD EN , D ESTO J Ü N G ER WERD EN WIR .

D E S TO ZU KU N F TSFÄHI G ER . D ESTO WICHTIG ER F Ü R SCHL AU E U NTERN EH M EN .

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D ER K AM PF U M DIE B ESTEN

F Ü N F ZIG -, SECHZIG -, SIEBZIG JÄH RIG EN HAT SCH O N BEGO N N EN . TEXT

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S T E FA N WAG N E R

A LT E N

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Den folgenden Text zu lesen dauert eine knappe Viertelstunde. Diese Viertelstunde wird Ihr Leben verändern.

Fa k t i s c h e u n d statistische An­ gaben in diesem Te x t s i n d i m We s e n t l i c h e n d e r D o k u m e n t a­t i o n „Megatrend Silver Society“ der Zukunf tsinstitut G m b H , Fr a n k f u r t a m M a i n , e n t­ n o m m e n (w w w. zukunf tsinstitut. d e) . S i e b e z i e h e n sich, wenn nicht anders angegeben, auf Deutschland, sind aber im Ke r n   a u c h a u f die Schweiz u n d ­Ö s t e r r e i c h ü b e r t r a g b a r.

A

m Ende dieses Textes werden Sie grundsätzlich anders übers Altern denken als jetzt, über Ihr eigenes und über das unserer Gesellschaft. Sie ­werden den Begriff „Über­ alterung“ aus Ihrem Wortschatz gestrichen haben. Sie werden keine Angst mehr haben. Um Ihren Job nicht, um Ihre Zukunft nicht, um Ihren Erfolg nicht, um unsere Gesellschaft nicht. Sie werden sich (als Mitarbeiterin und Mitarbeiter), im Gegenteil, darauf freuen, alt zu werden. Sie werden (als Unter­ nehmerin und Unternehmer) Ältere als Talent erkannt haben, als wertvolle unternehmerische Ressource, als Zukunfts­­­­ hoffnung, als – sehr bald schon – zentralen Erfolgsfaktor. Alles beginnt mit der Demografie.

Niemals in der Menschheitsgeschichte waren wir als Gesellschaft so alt wie jetzt, nämlich jede und jeder von uns im Schnitt 47,1 Jahre. Und wir altern rasend schnell. Derzeit sind 21 Prozent der Be­völkerung 65plus.

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P R OZ E N T A N T E I L D E R Ü B E R 6 4 -JÄ H R I G E N A N D E R B E VÖ L K E R U N G I M JA H R 2 0 6 0 . DA S S I N D U M

2030 werden es 28 Prozent sein. 2060 sind es dann bereits 33 Prozent: Jede und jeder Dritte wird dann 65 Jahre und älter sein. Wie stellen Sie sich so eine Gesellschaft vor? Als riesenhafte geriatrische Anstalt, in der es sich die ­Alten auf Kosten der Jungen gutgehen lassen? Oder in der die Alten verarmen, weil die Jungen die hoffnungslos überlasteten Gesundheits-, Pflege- und Pensionssysteme nicht mehr erhalten können? (Oder, noch gruseligere Vorstellung, nicht mehr wollen?) In der die Generationen ein­ ander hassen, weil sie sich gegenseitig das Leben kaputtmachen? In der wir alle bis achtzig arbeiten müssen, als w ­ ären wir vierzig, egal wie krank oder erschöpft wir sind? Haben Sie keine Angst. Das Gegenteil wird passieren. Der Grund dafür ist, dass die Alten ­unser Bild vom Alter immer älter aus­ sehen lassen. Sechzigjährige von heute sind so gesund wie Vierzigjährige vor hundert Jahren.

Und sie sind geistig fit wie 52-Jährige vor zehn Jahren. (Was nichts anderes heißt als: In den letzten zehn Jahren sind die heute Sechzigjährigen um gerade einmal zwei Jahre gealtert.) Das gefühlte Alter heute 65- bis 85-Jähriger liegt im Schnitt um sieben bis acht Jahre unter ihrem tatsächlichen Alter. Auch dieser Trend wird sich dramatisch weiter verstärken, nicht nur in der Subjektivität, sondern auch objektiv. Auch das ist logisch. Die medizinische Versorgung verbessert sich, das Bewusstsein für die Bedeutung des eigenen Lebensstils für die Gesundheit – Ernährung, Mindset, Bewegung – steigt. Unsere Gesellschaft wird an Lebensjahren älter, wir werden zugleich geistig jugendlicher und körperlich fitter. Wir werden insgesamt nicht nur leistungsfähiger, sondern auch leis­tungs­bereiter. Wir werden immer älter – und wir werden immer jünger. An der Spitze dieser Entwicklung stehen die so­genannten Forever Youngsters.

Sie sind ein neues, einigermaßen exo­ tisches Phänomen, eine noch kleine – wenn auch stark wachsende – Minder-

1 2 P R OZ E N T P U N K T E M E H R A L S A K T U E L L .

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P R OZ E N T Q U O T E B E I M Ä N N E R N I M A LT E R VO N 6 0 B I S 6 9, D I E S I C H J Ü N G E R F Ü H L E N , A L S S I E S I N D.

IZA HEGEDÜS

B E I F R AU E N L I EGT D E R A N T E I L B E I 6 9  P R OZ E N T.

heit. Forever Youngsters werden wohl immer Minderheit bleiben, aber sie zeigen die Möglich­keiten des Alters der Zukunft in ziemlich r­ adikaler Verdichtung: Forever Youngsters ergeben sich ihrem Geburts­datum nicht. Sie sehen Gesundheit als fortlaufenden Optimierungs­ prozess, betreiben akribisch die Entwicklung ihrer Lebensqualität, ihrer Fitness, Vita­lität und Gesundheit. Sie verstehen Gesundheit als Eigenverantwortlichkeit, medizinische Angebote als Dienstleistung. Sie verwenden Apps und Wear­ ables, die Ruhepuls, Blutdruck, Körperfettanteil und Herzratenvariablität messen, tagsüber ihre Schritte und nachts ihre Schlafqualität tracken. Sie schlucken Nahrungsergänzungsmittel, führen Dankbarkeitstagebücher, meditieren. Sie quälen sich in der CrossFit-Box, gönnen sich Wellness-Wochen­ enden und genießen Dinner in Haubenrestaurants. Sie sind ehrgeizig und zielstrebig, haben Erfolg im B ­ eruf und Spaß am Leben, beides sogar mehr denn je. Sie haben Spaß daran, mit sechzig fitter und ­leistungsfähiger zu sein als der durchschnittliche Dreißigjährige. Und fitter und leistungsfähiger zu sein als sie selbst vor fünfzehn Jahren. An Ruhestand denken sie nicht einmal in den phantasievollsten REM-Phasen ihres Schlafs. Nebenbei befeuern sie dadurch, dass sie die Optimierung ihrer Gesundheit selbst in die Hand nehmen, einen der großen globalen Trends: Während Ärzte und medizinisches Personal im Zeitalter der Auto­matisierung sogar schon in Diagnose und Behandlung auf Algorithmen und Big Data vertrauen (und zum Teil sogar dadurch ersetzt werden), hat sich der Bereich Digital Health – also alles in der Schnittmenge von Gesundheit und Technologie – von 1,2 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf 11,5 Milliarden Dollar im Jahr 2017 vergrößert.

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n Wien funktioniert die ­Jugend des Alters bereits. Hier hat Klaudia Bachinger vor rund zwei Jahren ein ­Unternehmen gegründet. Es heißt WisR (growwisr.com) und beschäftigt sich damit, ältere Menschen und Unternehmen zu matchen. ­Bachinger, 33 (tatsächlich!), schlägt mit ihrem Start-up die Brücke zwischen demo­ grafischer Realität, gesellschaftlicher ­Vision (sie spricht von ihrem Ärger über die „Diskriminierung des Alters“) und ­betriebswirtschaftlicher Praxis. „Immer mehr Unternehmen, vor allem erfolg­ reiche Unternehmen, vor allem solche in wirtschaftlich starken Regionen, haben ganz banale Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden“, sagt sie. „Aber es gibt diese Mitarbeiter. Sie sind halt nicht 20 oder 25, sondern 50, 60 oder noch älter.“ Bachingers Erfahrungen der ersten beiden Jahre: • Ihren Stärken entsprechend ein­gesetzte ältere Mitarbeiter bringen Unternehmen jeder Art, jeder Größe und jeder Altersstruktur einen klaren Mehrwert, egal ob Start-up oder ­globaler Konzern. (Einer der ersten Kunden von WisR waren die Österreichischen Bundesbahnen, die ausgerechnet für ihre Innovationsabteilung in Bachingers Kartei fündig wurden.) • Am offensten und motiviertesten sind zwei Arten von Unternehmen: erstens – wenig überraschend – jene, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen ältere Zielgruppen an­sprechen wollen. „Da

K L AU D I A B AC H I N G E R M i t i h r e m S t a r tup WisR zeig t die 3 3 - j ä h r i g e J u n gunternehmerin, wie man mit ­ä l t e r e n A r b e i tn e h m e r n e r f o l greich ist.

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Im Juli 2019 konnte Bachinger eine zweite Finanzierungsrunde abschließen, kurz nachdem der Marktstart in Deutsch­ land geglückt war. Darüber hinaus gibt es Ex­pansionspläne nach Ungarn, Groß­ bri­tan­nien, Polen und Rumänien – die meisten davon, weil WisR von Unterneh­ men kontaktiert wurde. „Die Leute fragen uns, wann wir endlich auch in ihr Land kommen.“

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as World Economic Forum ist längst ein Fan der Alten. Technologisierung, Auto­ matisierung, in der Praxis des Alltags i­ mmer intelligenter, schneller und geschickter werdende Roboter verändern nicht nur den Arbeitsalltag, sondern auch das Anforderungsprofil an den beruflichen ­Erfolg der Zukunft. Das World Economic Forum hat 2016 eine Liste der wichtigsten zehn Fähig­keiten erstellt, die im Jahr 2020 ­darüber entscheiden, wer im Job Erfolg hat und wer nicht. An der Spitze des ­Rankings: komplexe ­Pro­blemlösung, ­kri­tisches Denken, Kreativität. Auf den folgenden sieben Plätzen ausschließlich so­genannte Soft Skills, also Kompetenzen, die im Kern den zwischenmensch­lichen Umgang regeln. Man muss kein besonders talentierter Prophet sein, um zu wissen: Roboter

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PHILIPP SCHÖNAUER

HELGA ROBNIK, 75, wird im Fr ü h j a h r 2 0 2 0 nach fünfzig Dienstjahren ihre a k t i v e B e r u f s­ la u f b a h n b e e n d e n . An Ruhestand denkt sie nicht.

machen sich ä ­ ltere Mit­arbeiter vor allem in Produkt­entwicklung, Marketing und Sales ganz unmittelbar bezahlt.“ Und zweitens familiengeführte Unternehmen, sogenannte „Hidden Champions“ wie der Grazer Hochtechnologieweltmarktführer AVL List. AVL List stellt nicht nur gezielt ältere Mitarbeiter ein, ­sondern holt sogar pensionierte ­Mit­arbeiter zurück. Bachinger: „Bei solchen Unternehmen ist generationenübergreifendes Denken selbst­verständlicher Teil der Kultur. Da ­arbeiten mehrere Generationen der Eigentümerfamilie mit, da wird lang­ fristig und nachhaltig geplant, da werden Wissen und Erfahrung der Mit­arbeiter automatisch höher geschätzt als in her­ kömmlichen Betrieben.“ • Im Gegensatz dazu stecken erstaunlich viele HR-Abteilungen in alten, j­ ugend­zentrierten Mustern fest. „Ich war ver­ wundert, wie konservativ ­gerade Per­ sonalchefs denken“, sagt Bachinger. „Viele arbeiten immer noch stur nach denselben Methoden wie vor fünfzig Jahren.“ • „Erfolgreich ist man immer dann“, sagt Bachinger, „wenn man ganz bewusst die Stärken der Älteren einsetzt. Ein Sechzig­ jähriger ist nicht mehr so schnell wie ein Dreißigjähriger, körper­lich nicht mehr so belastbar. Aber er hat ganz andere Social Skills, er ist Jüngeren in Empathie, in Kommunikation überlegen. Extrem wert­ voll, wenn es zum Beispiel um Team­ führung geht, um das Vorbereiten und Treffen von Entscheidungen, um Ver­ handlungen, ums Einschätzen von Situa­ tionen, von Risiken und Konsequenzen.“ • Die praktische Zusammenarbeit mit Älteren – naturgemäß sind nicht alle bei WisR dreißig – ist für die jugend­liche Jungunternehmerin mittlerweile unver­ zichtbar. „Susanne, unser Head of Sales, könnte in einem Jahr in ­Pension gehen. Ihre Erfahrung ist ein M ­ ega-Mehrwert für uns, gerade als Start-up. Sie bringt Ruhe ins Team. Wenn es einen Rückschlag gibt, bleibt sie cool. ‚Kenn ich schon, hab ich schon gesehen, ist kein Drama‘, a ­ llein diese Gelassenheit ist Goldes wert.“ WisR startete mit 100.000 Euro Unter­ stützung der Stadt Wien, dazu kamen 250.000 Euro von Business Angels, die Kartei umfasst aktuell rund 3900 Arbeit­ suchende und über 300 Unternehmen – im ganzen deutschen Sprachraum, ob­ wohl die Marketingmittel lange nur für den Raum Wien reichten.


werden alle standardisierbaren körper­ lichen und geistigen Fähigkeiten eher früher als später übernehmen. (Nur um zu veranschaulichen, wie flexibel sich der Begriff „standardisierbar“ inter­ pre­tieren lässt: In Japan ­werden Roboter bereits heutzutage in der Krankenpflege ein­gesetzt, inklusive digital gesteuerter Mimik.) Woran Roboter aber mit großer Be­ stimmtheit immer scheitern werden, ist das Zwischenmenschliche. Genau dort, in diesem nicht auto­ matisierbaren, nicht technologisierbaren, nicht standardisierbaren Bereich, wird sich wirtschaftlicher Erfolg in Zukunft entscheiden. Der ausschlaggebende Konkurrenz­ vorteil der Zukunft liegt genau dort, wo Ältere Jüngeren dank ihrer ­Lebenserfahrung überlegen sind.

6 TopSkills 2020 We l c h e Fä h i g ke i te n i n d e r B e r u f s we l t g e f r a g t s e i n we r d e n :

Die Gleichzeitigkeit von Altern und Ver­jüngung hat einen Namen: Downaging.

Das deutsche Zukunftsinstitut hat die ver­ schiedenen Lebensstile der jugendlichen Alten sortiert. Neben den genannten Forever Youngs­ ters formiert sich die Gruppe der Free Agers (Zukunfts­institut: „Gelassenheit, Harmonie, Menschlichkeit, eine gesunde Umwelt und ein soziales Miteinander liegen ihnen am Herzen“, „möchten im Gegensatz zu den Forever Youngsters nicht um jeden Preis jung bleiben“) und jene der Golden Mentors („wollen ein Leben lang aktiv bleiben und andere an ihren gesammelten Erfahrungen teil­ haben lassen“, „arbeiten immer noch und bringen sich aktiv in Wirtschaft und Gesellschaft ein“). Alle drei Gruppen werden in den nächsten Jahren stark wachsen. Sie wer­ den die Zukunft unserer Gesellschaft prägen. Es wird eine ruhigere, gelassenere, ­bewusstere, gescheitere, empathischere Gesellschaft sein.

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LÖSEN KO M P L E X E R PROBLEME

KRITISCHES DENKEN

K R E AT I V I TÄT

GEISTIGE F L E X I B I L I TÄT

K R E AT I V I TÄT

MENSCHEN FÜHREN

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in klassischer Vertreter der Golden Mentors ist Helga Robnik, 75. Die älteste und längstdienende Mit­arbeiterin der Erste Bank wird ihre berufliche Laufbahn im März 2020 pünktlich zum 50-Jahr-Jubi­ läum beenden, „aber eventuell arbeite ich nachher noch ehrenamtlich in der Zweiten Sparkasse mit“, sagt sie (das ist eine sozial ausgerichtete Bank für Menschen ohne Bank; Anm.). In ihrer Freizeit leitet sie Seniorengruppen bei Wanderausflügen oder Gedächt­nistrainings. Robnik hat sich schon als Fünfzig­ jährige für die Anliegen Älterer ein­ gesetzt („Die Alten haben ja keine ­Lobby!“), ist seit 25 Jahren als spezia­ lisierte S ­ eniorenbetreuerin in der Bank tätig, kennt die Fähigkeiten und Defizite des A ­ lterns also im Detail. Und ver­ körpert sie selbst mittlerweile ideal­ typisch: „Die Anforderungen im beruf­ lichen Alltag haben sich verändert. Da braucht man nichts schönzureden: Mit der Entwicklung von EDV, Technik, Administrativem, mit den ständig nötigen Weiterbildungen komme ich, kommen wir irgendwann einfach nicht mehr mit. Das wird uns zu viel, zu schnell, zu ­hektisch. Aber meine Persönlichkeit hat sich ent­wickelt. Mich kann so leicht keine ­Situation mehr be­eindrucken. Ob jetzt ein Kunde a ­ ggressiv wird, ob etwa der Bundes­präsident reinkommt oder ein ­armer Schlucker, ich kann mit allem ­umgehen. Das weiß ich. Ich bin gelas­ sener, ruhiger.“ Robnik sieht ihre Aufgabe als „Zusatz­ joker“, als jemand, der Unternehmen und Kunden verbindet, der eine solide Basis aus Verständnis und Vertrauen schafft – die Voraussetzung für erfolg­ reiches Business, gerade in dieser Bran­ che. „Das hätte ich als Junge so nicht zusammengebracht.“ „Die Zukunft“, sagt Helga Robnik, „das ist die Kombination der Jüngeren und der Älteren.“

P R OZ E N T A N S T I E G D E S I N V E S T I T I O N S­V O L U M E N S W E LT W E I T I M B E R E I C H D I G I TA L H E A LT H I N D E N JA H R E N 2 0 1 0 B I S 2 0 1 7.  75


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SURGEBRIGHT DA S IS T ECHT E KNOCHEN A RBEIT

surgebright-Gründer Dr. Klaus Pastl mit den Geschäftsführern und Söhnen Thomas und Lukas

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SURGEBRIGHT

Der Gedanke an Schrauben im Körper gefällt den wenigsten. Um Knochenbrüche zu stabi­ lisieren und Fehlstellungen zu korrigieren, sind sie manch­ mal jedoch unerlässlich. Was aber, wenn sie nicht aus Metall ­wären und nach getaner Arbeit einfach „verschwänden“? Diese Frage hat sich Doktor Klaus Pastl, Facharzt für ortho­ pädische Chirurgie, nur allzu oft gestellt – und in Shark Screw, einer Schraube aus Spenderknochen, die Antwort gefunden. Mit seinem Start-up surgebright produziert und sterilisiert er die Schrauben in einem mehrwöchigen Prozess. Vorteil: Der Körper erkennt die humane Knochenmatrix, akzeptiert sie und wandelt sie in eigene Knochen um. Schon nach sechs Wochen ist die Schraube mit Blut­ gefäßen durchzogen, nach etwa einem Jahr im Röntgen unsichtbar. Eine Operation zur Entfernung ist somit obsolet. surgebright.com

START


Ausgezeichnete Idee: surgebright formt Schrauben aus mensch­ lichen Knochen. Das Start-up gewann die #glaubandich Challenge des Jahres 2018.

ME UP

U N T E R S T Ü T Z U N G F Ü R K R E AT I V E K Ö P F E : D I E ­E R S T E B A N K U N D S P A R K A S S E I S T E I N V E R L Ä S S ­ L I C H E R P A R T N E R F Ü R S TA R T- U P S . H I E R Z E I G E N W I R , W I E D I E S E D E I N E N A L LTA G V E R Ä N D E R N – O B A M S M A R T ­P H O N E , A M E - B I K E O D E R I M K U H M A G E N . 12 GENIALE UNTERNEHMEN IN NAHAUFNAHME. T E X T: C H R I S T O P H K R I S TA N D L , C L E M E N S M A R S C H A L L , C H R I S T I A N E B E R L E -A B AS O L O

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SM A X TEC UP DAT E AUS DEM RINDERM AGEN

Bauer sucht Infos: Eine deostickgroße Sonde überträgt Daten aus dem Kuhmagen via Base Station (Bild) an die App.

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Zwei Techniker aus der Stadt revolutionieren die Arbeit am Land: Mario Fallast und Stefan Rosenkranz von smaxtec SMAXTEC/MICHAEL FIEDLER, GETTY IMAGES, MONKEE, HELIOZ

Ein Muh lässt sich so oder so deuten, man kann schließlich in keine Kuh hineinschauen. Oder doch? Nachdem ihnen ein Tierarzt von den Sorgen vieler Bauern erzählt hatte, machten sich die Grazer Techniker Mario Fallast und Stefan Rosenkranz an die Arbeit. Ihre Lösung: smaxtec. Eine Sonde – etwa zehn Zentimeter­ lang und aus medizinischem Kunststoff – wird von den Kühen geschluckt und liefert über Sensoren permanent ­Infos zu Körpertemperatur, Bewegung und Trinkverhalten. Mittels App und Dashboard weiß der Bauer über den Zustand seiner Herde Bescheid, Push-Nachrichten alarmieren ihn, wenn es zu bedenklichen Veränderungen kommt. Dadurch lassen sich Er­ krankungen ebenso frühzeitig erkennen (und vielfach noch ohne Antibiotika behandeln) wie der optimale Besamungszeitpunkt oder die anstehende Geburt eines Kalbs. smaxtec.com


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Lacht der Smiley vom Display, ist das Wasser trinkbar – ohne unerwünschte Nebenwirkungen.

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MONKEE DA S K A NNS T DU DIR SPA REN „Wo wir auch unterwegs sind, wir werden immer zu Impulskäufen angeregt“, zeichnet Martin Granig ein allzu vertrautes Bild. „Ein blinkendes Angebot hier, ein Schnäpp-

chen da, und schon haben wir wieder Geld für etwas ausgegeben, was wir eigentlich nicht brauchen.“ Spätestens nach der Geburt seiner Tochter­ wurde dem Tiroler klar, dass er mit dem Geld etwas Sinnvolleres machen könnte. ­Sparen zum Beispiel. „Wenn das nur so einfach wäre, wie Geld auszugeben …“ Der Satz wurde zur Triebkraft hinter der Gründung von Monkee, einer App, die als persönlicher Finanzcoach fungiert. User können damit individuelle Sparziele definieren und diesen – dank Verbindung zum Girokonto ihrer Bank – mit nur zwei Klicks näher kommen. Monkee errechnet leicht zu erreichende Wochenziele und spornt dich – und ausgewählte Mitsparer – mittels Push-Nach­ richten an. Granig: „Das ist die Sparbüchse im Zeitalter der Digitalisierung.“ monkee.com

Sparen für Tochter Lisa oder sich selbst –m ­ it der MonkeeApp kein Problem

HELIOZ DER B E S T E TES T ER UNTER DER S ONNE Vor Jahren bereiste HeliozGründer Martin Wesian Südamerika. Durch kontaminiertes Wasser erkrankte er an Cholera. Und er war bei weitem nicht der Einzige, sondern mitten in einer Epidemie. Zehntausende Menschen starben. Wesian überlebte. Von da an suchte der Vorarlberger nach einer effektiven Reinigungsmethode für verschmutztes Wasser – bis er die solare Wasserdesinfektion entdeckte: Sie benötigt weder Strom, Filter noch Chemika­ lien, sondern nur die Kraft der Sonne und eine PET-Flasche. Sein UV-Messgerät WADI (Wasserdesinfektion), das u. a. bereits in Kenia, Äthiopien und Indien eingesetzt wird, wurde von der WHO anerkannt. Man legt mit Wasser befüllte durchsichtige PETFlaschen so lange in die pralle Sonne, bis die UV-Strahlung das kontaminierte Wasser desinfiziert hat. WADI wird angedockt und zeigt an, wann die Trinkbarkeit erreicht ist. Genial einfach, einfach genial. helioz.org  79


Box für den Autoschlüssel ins Auto, Smart Lock an die Eingangstür – fertig ist das Zutrittssystem per Handy.

5 TA PKE Y

S CHLÜS SELROLLE FÜRS SM A RTPHONE

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UMM A DUM MOB ILES MITEIN A NDER Die Straßen sind überfüllt, die Autos selbst aber nahezu leer. „Wir haben in Österreich einen Besetzungsgrad von im Schnitt 1,2 Personen pro Fahrzeug“, moniert René Schader. Mit der Plattform ummadum möchte der Mobilitätsexperte (er baute in Osttirol bereits ein E-Car-Sharing-System auf) das ändern. Die ummadum-App ist aber mehr als nur eine weitere

TAPKEY, MARIA KIRCHNER, ANDREAS FRIEDLE

Türschlösser mit IT zu ver­ binden – das ist die Grundidee von Tapkey. Konkret heißt das: Der Nutzer installiert sich Hardware wie das Smart Lock und lädt eine App herunter. Nach Anmeldung mit seiner digitalen Identität kann er Smartphone Keys vergeben. Die Berechtigten öffnen dann dank Bluetooth oder NFC mit nur einem Knopfdruck das gewünschte Schloss. Seit einem Jahr gibt es das an Eingangs- und Möbeltüren erprobte System auch für Autos, schließlich sieht sich das Wiener Start-up als „virtueller Schlüsselbund für alle Zugangssysteme“, wie CEO Gilbert Hödl betont. In Kooperation mit der deutschen Firma WITTE hat Tapkey eine Box entwickelt, in die der Autoschlüssel gelegt und per Smartphone aktiviert wird – ideal für Car Sharing, Firmenautos und vergessliche Menschen. Denn auch wer oft Schlüssel verlegt, hat das Smartphone meist dabei. tapkey.com


Ein Diebstahlschutz-­ Paket kostet knapp 200 Euro und kann an ­E-Bike-Motoren unterschiedlicher Hersteller montiert werden.

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P OW UNIT Y DER GP S -TR ACKER FÜR DEIN E -BIKE

Mitfahrgelegenheit via App finden und anbieten. In Schwaz und Wattens werden bereits Punkte ausgegeben.

Mit ummadum wollen René Schader und Thomas Angerer den Verkehr ­entlasten und zugleich den Gemeinsinn fördern.

Mit­fahrbörse, sie ist ein echtes Win-­win-Konzept. User können wie gewohnt Fahrten teilen und Mitfahrgelegenheiten finden. Der Clou: Gemeinden oder Arbeitgeber stellen so­ genannte Mobilitätspunkte zur Verfügung, die die Mitfahrer dem Fahrer übertragen. Der kann sie in ummadum-Punkte umwandeln und die bei regionalen Partnern wie Tankstellen oder Geschäften einlösen. Das Konzept reduziert den Verkehr, fördert soziales Miteinander und stärkt obendrein die Kaufkraft in der Region. ummadum.com

Sicherheits-Plus: Mit dem Tracking-System lassen sich natürlich auch gefahrene Routen festhalten.

„Fahrraddiebe hassen uns“, behaupten Stefan Sinnegger, Christian Strassl und Maximilian Loy von PowUnity. Verständlich, macht das Start-up doch das „Geschäftsmodell“ jener Langfinger zunichte, die es auf teure E-Bikes abgesehen haben. Wer ein solches besitzt, kennt das mulmige Gefühl, wenn es unbewacht auf der Straße oder im Radkeller steht. Mit dem BikeTrax-System von PowUnity, bestehend aus GPS-Tracker, SIM-Karte und App, kann man die Nerven um – im Verhältnis zum E-Bike – günstige 199,90 Euro beruhigen. Der im Motorgehäuse einzubauende Tracker löst Alarm aus, sobald das Rad bewegt wird. Und wenn das Diebe nicht abschreckt, kommst du ihnen dank App zumindest auf die Schliche. Die zeigt jederzeit an, wo sich dein E-Bike befindet – auf fünf Meter genau, in Echtzeit, europaweit. 2020 will PowUnity das System auf nichtmotorisierte Räder ausweiten. powunity.com

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GE T SBY M ACHT JEDE S M A HL ZU FAS T FOOD

Petar Iliev, Lukas Wittich und Michael Platzer saßen ohnehin mit Handys am Tisch. Warum also diese nicht gleich sinnvoll einsetzen?

Das getsby-Prinzip: die Menükarte bequem auf der App studieren und direkt bestellen und zahlen

„Früher haben wir Unfug gebaut, heute Holztische“, lacht Matthias Lienbacher. Ge­ meinsam mit seinen Freunden Mario Siller und Stefan Rehrl begann er 2016 in einer Garage in Salzburg zu basteln. Mit dem ersten Couchtisch wurde dem Trio klar: Das ist, was sie beruflich machen wollen. „Selbst bestimmen, wohin die Reise geht.“ Kurz darauf gründeten sie Dreikant. Klingt eher nach Hand­ werksbetrieb als nach Startup? Falsch. Erstens sind die drei keine klassischen Tischler (sondern HTL-Absolventen), und zweitens haben sie mit ihrem Möbelkonfigurator ein Tool entwickelt, das die Ska­ lierung von Handarbeit leicht macht. Alle Holzplatten im Lager sind digital ersichtlich. Der Kunde kann Material, Design, Längen wählen und den Tisch dank AugmentedReality-Technologie gleich bei sich aufstellen – ein Novum in der Branche. dreikant.at

Bekannt durch Dreikant: das Gründertrio Matthias Lienbacher, Mario Siller und ­Stefan Rehrl

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Die Riegel-Riege: Manuel Zeller, Alexander Gänsdorfer, Patrick Kolomaznik und Adel Hafizovic

GETSBY, WORTHMEYER, CHRISTOPH KOBALD, NEOH

Du sitzt im Café, checkst die Uhrzeit auf deinem Handy und solltest eigentlich schon im nächsten Meeting sein – dabei hast du noch nicht einmal gezahlt, und natürlich kein Kellner weit und breit. Ruhig Blut, denn mit getsby kannst du zahlen und gehen, wann immer du willst. Eine eigens entwickelte Schnittstelle verbindet die kostenlose App direkt mit der Registrierkasse des Partner­ restaurants. So kannst du selbst in Lokalen, die sonst keine Kartenzahlung akzep­ tieren, bargeldlos zahlen. Unterstützt wird getsby von sämtlichen gängigen elektro­ nischen Bezahlmethoden wie Kreditkarte, Sofort­ überweisung und PayPal. Außerdem liefert die App die Menükarte aufs Smart­ phone, Speisen und Getränke­ lassen sich damit direkt ­ordern. Mit der Kommentar­ funktion kannst du Sonder­ wünsche (z. B. extrascharf, ohne Knoblauch) klar über­ mitteln. Alle Bestellungen sind inklusive Preis und Endsumme übersichtlich aufgelistet. gets.by

DREIK A NT W ENN DER HOL Z W EG RICHTIG IS T


Von einer vagen Idee zu massivem Eichenholz: der „Salzburger Tisch“ im Schauraum in der Salzburger Getreidegasse

10 NEOH NUR IM GE S CHM ACK EINE B OMBE

Manuel Zeller ist Hobby­ fußballer und tingelt im Zuge der Meisterschaftsspiele regel­ mäßig durchs Land. Nach dem Spiel braucht er Energie, die er sich oft bei der nächsten Tank­ stelle holt: entweder in Form einer als Schokoriegel getarn­ ten Kalorienbombe oder eines ungenießbaren Proteinriegels. „Wieso gibt’s keinen Riegel, der gut und gesund ist?“, hat sich NEOH-Gründer Zeller gefragt und gemeinsam mit Alexander Gänsdorfer, Patrick Kolomaznik und Adel Hafizo­ vic Antwort gesucht. Drei Jahre lange forschten sie an einer Rezeptur – das Ergebnis lässt sich nun sehen bzw. schmecken: Ihr Riegel enthält gerade einmal ein Gramm Zucker. Zum Ver­ gleich: Bei einem klassischen Schokoriegel sind es 20 bis 30 Gramm Zucker. Mit nur 93 Kilokalorien und 32 Prozent Proteinanteil ist der Riegel ein idealer Post-Workout-Snack – und außerdem: glutenfrei, ohne Aspartam, ohne Palmöl. Kurz: NEOH hat Kalorien und Zucker einen schmackhaften Riegel vorgeschoben. neoh.com

Schmeckt zwar so verlockend wie eine Kalorienbombe, der Zuckerschock bleibt aber aus.

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T UB OLITO DER S CHL AUCH AUS DEM SM A RTPHONE

Eingerollt passt der Schlauch in jede Hosentasche. Der Tubolito MTB, Größe 29 Zoll, wiegt gerade mal 85 Gramm.

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Mit Schärfegrad 4 von 12 passt die „Classic BBQ Honey“-Sauce perfekt zur netten Grillage.

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FIREL A ND FOODS DER S CH Ä RF S TE B AUER DE S L A NDE S

CEO Richard Fohringer experimentiert unentwegt mit neuen Chilis und Rezepturen.

Richard Fohringer rechnet nicht in Euro, sondern in ­Scoville, der Einheit des Schärfegrads. Der Ernährungs­ wissenschaftler ist Kopf von Österreichs größter Chili­ manufaktur und kultiviert hunderte verschiedene Chili­ sorten – von familienfreund­ lich bis höllisch scharf. Ver­ arbeitet werden seine Chilis zu Grillsaucen, Pasten oder Gewürzmischungen – ganz ohne chemische Konservie­ rungsstoffe, Farbstoffe oder sonstige künstliche Zusätze. Davon kann man sich täg­ lich selbst überzeugen: In St. Pölten, wohin Fohringer aufgrund der steigenden Nach­ frage nach seinen „Burnern“ gezogen ist, werden von April bis Oktober täglich Führungen angeboten. Und wer’s am ­eigenen Leib e­ rfahren will: Das schärfste Früchtchen im Sortiment ist die getrocknete Carolina Reaper mit über 1,5 Millionen Scoville. fireland-foods.com

INNOVATOR

GEORG WALLNER/FARGO CIRCLE, FIRELAND FOODS

Chemiker Christian Lem­ bacher und Maschinenbau­ ingenieur Ákos Kertész haben eigentlich nach einem leich­ ten und robusten Stoff für Lautsprechermembranen in Smartphones geforscht. Beim Feierabendbier kam den bei­ den Hobby-Mountainbikern dann die Idee: Warum nicht dieses neue Material auch für Fahrradschläuche verwenden? Der Technologietransfer glückte. Dank einem mittler­ weile patentierten Produk­ tionsverfahren gelang es den beiden, aus thermoplastischen Elastomeren (Kunststoffen, die sich unter Wärmezufuhr verformen lassen) einen Fahr­ radschlauch herzustellen, der kaum Nahtstellen aufweist. Weitere Vorteile ihres Tubo­ lito gegenüber gewöhnlichen Kautschuk-Modellen: 65 Pro­ zent leichter, doppelt so wider­ standsfähig, um zwei Drittel kompakter in eingerollter Form – und deutlich farbenfroher. tubolito.com

Easy Montage: Schlauch leicht aufpumpen, in den Reifen legen, Reifen auf­ziehen, fertig aufpumpen


INTERVIEW

„ START- UPS HALTEN UNS WACHSAM“ Wer hilf t hier wem? Erste-BankCEO Peter Bosek über die Be­ ziehung zwischen Bank und Star tups, den Zauber des Anfangs und den Grund, warum er nicht mit Gründern tauschen möchte.

ANDREAS JAKWERTH

innovator: GründerCenter, spezielle Finanzierungen, Wettbewerbe: Wieso setzt sich die Erste Bank so stark für Start-ups ein? peter bosek: Im Wesent­ lichen entspricht es unserem

Gründungsauftrag: Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben immer schon daran geglaubt, dass es wirtschaftspolitisch wichtig ist, Gründungen zu fördern. Das schafft Innovation, neue Arbeitsplätze und bringt letzt­ lich das Land weiter. Auf welche Parameter achtet man als Bank bei Start-ups? Erstens: Wer sind die Men­ schen dahinter, und wie funktionieren sie als Team? Glaube ich, dass die Personen diese intensive Gründungs­ zeit durchhalten, dass sie

Vorausschauend: Peter Bosek, 51, ist Chief Retail Officer der Erste Group und Vorstandsvorsitzender der Erste Bank. Der Wiener kennt die Start-up-Szene seit Jahren und ist einer der gefragtesten Redner zum Thema Zukunft des Banking.

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KONSTRUKTIVE PARANOIA IST GUT. MAN MUSS IMMER FRAGEN: WOHER KÖNNTE DAS NÄCHSTE RISIKO KOMMEN?

unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen? Habe ich nur Supertechniker, aber keinen, der etwas von Marketing versteht, nützt es auch nichts. Zweitens: Wie sieht der Businessplan aus?

Worin unterscheiden sich Start-ups und „etablierte Unternehmen“? Durch extreme Fokussierung. Unternehmen sind zu Beginn meist produktgetrieben. Die Gründer kümmern sich um nichts anderes als dieses Produkt. Das bringt eine unglaubliche Kraft auf den Boden. Eine Kraft, die die Konkurrenz mitunter zerstören kann. Auch im Finanzsektor. 86

Schon vor dem Start-up-Boom habe ich gelernt: Konstruktive Paranoia ist gut. Wer in einer großen Institution arbeitet, muss aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren. Man muss immer um die Ecke schielen: Woher könnte das nächste ­Risiko kommen? Wo könnte jene Entwicklung am Markt stattfinden, die mich herausfordert? Diese Fragen haben mich stets getrieben. Startups zwingen uns zu noch höherer Wachsamkeit. Beneiden Sie Führungs­ kräfte von Start-ups? Nein. Ein sehr junges Team, höchst stressige Aufbau­ situa­tionen, in denen es um viel geht, und oftmals

Zufrieden: Jurist Bosek wollte einst Naturfotograf werden. Dass heute viel mehr Menschen ihr eigenes Unternehmen aufbauen wollen und auch ­können, sieht er ­­ als „Riesenerfolg“.

wenig Führungserfahrung – das ist herausfordernd und ringt mir Respekt ab. Welches Start-up hat Ihren Alltag verändert? Meine Essensbestell-App. Die nutze ich recht intensiv. Wäre Peter Bosek 22 Jahre alt, würde er zu einem Startup gehen oder wieder, ich zitiere Sie, „der langweilige Banker im Anzug“ werden? Ich glaube, ich würde ein FinTech gründen. Weil ich weiß, wie man uns disrup­ tieren kann. (Lacht.) Nein, ich mache meinen Job gern. Und als Bank stehen wir voll hinter den Start-ups. Das macht auch Riesenspaß.

INNOVATOR

ANDREAS JAKWERTH

Aber der Businessplan … … ändert sich ständig? Ja. Und das ist gut so. Damit mussten wir erst umgehen lernen. Aber wir sehen so viele Geschäftsmodelle, dass wir mit der Zeit ein Gefühl bekommen haben, was sich ausgehen kann und was nicht.


GUIDE

I N N O V AT O R

Insider-Infos und Events:

So geht Bildung: Ein Besuch im Erste Financial Life Park // #glaubandich Challenge und weitere Pflichttermine // Trends auf Events: So feiern wir in Zukunft // Neun kurze Schritte zum Gründungserfolg // Kolumne: Wie ein Besuch in Kärnten dein Weltbild verändert // Der Cyborg-Chirurg aus Tirol

INNOVATOR

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SEE IT

Wohin fließt das Geld? Die Skulpturen repräsentieren Ausgaben wie Freizeit (orange) oder Mobilität (blau).

Besuch im FLiP

BILDUNGSAUFTRAG AUSGEFÜHRT

Der Erste Financial Life Park hebt Lernen auf das nächste Level – dank innovativer Lehrmethoden, moderner Technik und alter Weisheiten.

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Berühren, um berührt zu sein: Touchscreens wie im „FLiP2Go“-Bus vermitteln Wissen nach Art der Jugend.

INNOVATOR


FINANCIAL LIFE PARK

LUPI SPUMA (2) , ANDREAS JAKWERTH, TOBIAS RASCHBACHER

Freiwillige Finanzexperten

INNOVATOR

Unterstützung im Kampf gegen folgenschwere Ahnungslosigkeit erhält von Gayl einerseits durch moderne Technik (siehe Bilder), andererseits von Wissensver­ mittlern. Diese Finanzexperten, knapp 100 davon sind Freiwillige aus dem Erste-Group-Konzern, führen Besucher durch die inter­ aktiven Stationen des FLiP. Und für Wissbegierige abseits von Wien fährt seit April 2019 „FLiP2Go“, ein mit sieben Multi­ mediastationen ausgestatteter Bus, durchs Land. Denn Mobilität ist für Wissenstransfer eminent – eindrucksvoll bewiesen vom See­ fahrervolk der Phönizier. FLiP: Montag bis Freitag 9  – 17 Uhr, Infos & Anmeldung zu den Touren: financiallifepark.at

„Wir wollen der Jugend helfen, die Finanzwelt zu verstehen.“ Nina von Gayl, FLiP-Kuratorin

Stell dich den Fragen aus dem FLiP-Einstiegsquiz! Bei falschen Antworten wird ein Besuch im FLiP dringend empfohlen.

HANDHELD FÜR DIE GELDWELT

1. Wie viel Prozent ihres Geldes gibt eine durchschnitt­ liche österreichische Familie ungefähr für Wohnen, Heizen und Strom aus? a) 9 % b) 27 % c) 48 % d) 71 %

Mittels Tablet, im FLiP „Wallet“ genannt, und NFC-Technologie können Besucher Infos an den Stationen abfragen – hier etwa zu Sparausgaben.

2. Was bedeutet „Rentabilität“ bei Geldanlagen? a) Die Sicherheit, Geld zu bekommen b) D as Risiko, Geld zu verlieren c) D er Gewinn im Verhältnis zum ein­ gesetzten Kapital

AUF DEN UNTERRICHT ABFAHREN

„FLiP2Go“ ist ein Doppeldeckerbus mit sieben interaktiv-multimedialen Stationen für bis zu ­­ 32 Spieler. Er tourt durch ganz Österreich.

3. Preis und Wert einer Sache, wie z. B. eines Fahrrads, … a) müssen gleich sein b) müssen ähnlich sein c) k önnen weit aus­ einanderliegen 4. Was bedeutet Inflation? a) Anstieg des allgemeinen Preisniveaus b) S inken des allgemeinen Preisniveaus c) A nstieg des Zinsniveaus d) S inken des Zinsniveaus 5. Was ist eine Folge von Globalisierung? a) Kürzere Transportwege b) Internationale Arbeitsteilung c) Weltweite Angleichung der Arbeitsnormen

Auflösung : 1b, 2c, 3c, 4a, 5b

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ie Phönizier haben das Geld erfunden – warum bloß so wenig?!“ Dieses Zitat von ­Johann Nepomuk Nestroy ist im Eingangsbereich des Erste Financial Life Park, kurz FLiP, zu lesen, und es gibt einen guten Vorgeschmack auf das, was Be­ sucher in dem 1500 Quadratmeter großen Areal im Erste Campus in Wien erwartet: Wissensvermitt­ lung mit Unterhaltungsfaktor. „Wir wollen Jugendlichen hel­ fen, die Finanzwelt zu verstehen“, sagt Nina von Gayl, Kuratorin des FLiP, „gesellschaftliche Teilhabe ist meist nur möglich, wenn finan­ zielle Grundbedürfnisse abgedeckt sind. Dafür braucht es finanzielle Bildung.“ Wie wichtig das ist, un­ terstreichen die Zahlen: Rund 25 Prozent aller Verschuldeten sind zwischen 15 und 30 Jahre alt. Im Schnitt mit 30.000 Euro!

Bist du ein Finanz­ experte?

FERNSEHEN ZUM FERNSEHEN

Flatscreens stellen unsere globalisierte Welt dar. Sie zeigen: (Kauf-)Entscheidungen auf der einen Seite haben Konsequenzen auf der anderen.

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DO IT

Michael Altrichter (Mitte) führte die Jury beim Stopp der #glaubandich Challenge in Linz an.

#glaubandich Challenge

DAS CASTING C FÜR KLUGE KÖPFE Der Start-up-Wettbewerb #glaubandich Challenge geht in die dritte Runde – und gute Ideen damit wieder auf Tour durchs Land.

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astingshows erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Weil sie sehr unterhaltsam sind. Und weil künftige Stars dort oft den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere legen. Was auf Musiker oder Models zutrifft, gilt auch für Gründer. Das beste Beispiel: die #glaubandich Challenge der Erste Bank und Sparkasse. Der Start-up-Wettbewerb findet nun bereits zum dritten Mal statt, und ein Blick auf die bisherigen Teilnehmer zeigt ein paar der krea­ tivsten Jungunternehmen des ­Landes: Die Knochenschrauben-­ Entwickler surgebright, Sieger 2018 (siehe Seite 76), oder die ­Miniaturdruck-Experten von Up­ Nano (Seite 8), Gewinner 2019, seien nur exemplarisch genannt.

INNOVATOR


S A V E T H E D AT E

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2020

und 24. Jänner Neu und genial, ab ins Regal!

DB-PHOTOGRAPHY, KATHARINA SCHIFFL, KLAUS MORGENSTERN

Frühjahr Challenge Accepted!

Auch 2020 können sich Startups für einen der Stopps in sechs Bundesländern bewerben – in den Kategorien „Fintech“, „Tourismus“, „Energie“, „Mobilität“, „Medtech“ oder „Industrie“. Dort gilt es, vor einer ­renommierten Jury zu pitchen ­und sie von der Idee und dem Business-Modell zu überzeugen. Die jeweiligen Kategoriensieger kämpfen dann im großen Finale in Wien um den Titel „Start-up des Jahres“, Preisgeld und die Möglichkeit, nach ihrer „Entdeckung“ Karriere zu machen.

Jene Start-ups, die bereits ein Produkt haben, das aber noch nicht im Handel vertrieben wird, sind bei der Start-up Academy der Sparkasse genau richtig. Hier durchleuchten Experten die Produkte, beraten bei Ver­ packung, Vertrieb und Vermark­ tung. Abgedeckt werden alle Bereiche – vom Lebensmittel über Kosmetik bis zu Fashion. Erste Campus, Wien; sparkasse.at/startup-academy

Carina Schwarz und Michael Köttritsch führten 2018 durch den Galaabend.

glaubandich-challenge.at

Rückblick auf den Stopp in Graz: Dominik Flener vom Medizin-Start-up Igevia pitcht vor der Jury.

INNOVATOR

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Dezember Diese Gala läuft nach Plan Der krönende Abschluss von Österreichs größtem Business­ plan-Wettbewerb. Studenten und Jungunternehmer haben im Lauf der letzten Monate über 1200 Businesspläne eingereicht und von einer kompetenten

Jury Feedback erhalten. Auf der i2b-Gala werden neben dem Ge­ samtsieger auch die Gewinner der Kategorien „Technologie“, „Studierende“, „Dienstleistun­ gen & Handel“ sowie „Social Business“ mit Preisen im Wert von 150.000 Euro belohnt. Wirtschaftskammer, Wien; i2b.at/wettbewerb

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L O O K AT I T

Party 4.0

TRENDS FÜR EVENTS

Neue Technologien verändern unser Leben. Und unsere Art zu feiern. Hier sind drei beeindruckende Beispiele vom 200-Jahr-Jubiläum der Erste Bank und Sparkasse.

A

m Wochenende vom 4. bis 6. Oktober feierten Erste Bank und Sparkasse ihr 200-jähriges Bestehen. Mit der Stadthalle, dem Konzerthaus und dem Musikverein wählten die Veranstalter dafür

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Der Weg in den Großen Saal des ­ Wiener Konzerthauses führte bei der 200-Jahr-Feier durch einen LED-Tunnel. Verspiegelte Böden und Decken verstärkten den Effekt.

TREND 1

drei Wiener Institutionen als Party-­ Lokalitäten. Dass die Besucher dennoch immer wieder überrascht wurden, lag an innovativen Raum-Konzepten, brillanter Technik und an jenen Menschen, die beides monatelang vorbereitet ­haben. Zwei von ihnen geben uns stellvertretend einen Einblick in ihre Arbeit, sowie einen Ausblick auf allgemeine Event-Trends: ­Joseph Mussil, Projektleiter Eventmanagement der Erste Bank, und Marie-Christine Aichinger, Projektmanagerin bei der Eventagentur ACTS.

ALTBEKANNTES WIRD NEU INSZENIERT „Das Konzerthaus kennt jeder. Wir haben die Leute aus der Realität geholt und ihnen etwas gezeigt, was sie sich nicht erwartet hatten.“

JOSEPH MUSSIL

INNOVATOR


E V E N T-T E C H N I K

10.000 Mitarbeiter lachten von der Videowall, noch mehr waren in der Stadthalle live dabei. Die Kommunikation und Interaktion (Simultanübersetzung, koordinierte Licht- und Toneffekte) erfolgten über eine Smartphone-App.

TREND 2

DANIEL HINTERRAMSKOGLER

WIR WERDEN TEIL DES EVENTS Das Feuerwerk der Zukunft als einzigartiges ­Indoor-Spektakel: 100 MannerSchnitten-große Drohnen des Schweizer Startups Verity schwebten in der voll besetzten Stadthalle über den Köpfen der Besucher.

„Ziel war es, die Leute mithilfe ihres Smartphones in den Event zu integrieren, also jenes Geräts, das sie ohnehin ständig bei sich tragen.“

Oberstes Ziel ­eines Event­ planers ist es, Emo­tionen aus­ zulösen. Hier zu sehen beim Moderatoren-Duo Alice Tumler und Michael Ostrow­ ski – mit Jack Stack (Ex-ČeskáSpořitelna) und Andreas Treichl (Erste Group).

TREND 3

MARIE-CHRISTINE AICHINGER

INNOVATIVE TECHNIK SORGT FÜR HÖHENFLÜGE „100 Drohnen, die in einer Halle wenige Meter über deinem Kopf Formationen fliegen, hat man in Österreich noch nicht gesehen.“

JOSEPH MUSSIL

INNOVATOR

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GO FOR IT

Wer etwas bewegen will, muss wissen, wohin es gehen soll. Orientierung bringen diese neun Stopps auf dem Weg zur erfolgreichen Gründung.

Jedes Start-up sollte Eine ein Problem lösen, Anleitung sagt Business Angel in Johann Hansmann. 9 Schritten: Shazam-Gründer ­Dhiraj Mukherjee geht sogar weiter: Der Trick sei es, ein Problem zu lösen, von dem die Kunden noch nicht mal sagen können, dass sie es haben. Hör auf deinen Bauch: Wann stört dich etwas? Wo hast du das Gefühl, dass es im Alltag hakt? Vielleicht bist du ja ­etwas Neuem auf der Spur.

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Ich hätte da so eine Idee …

Den Traum, ihr eigener Chef zu sein und mit kreativen Ideen Erfolg zu haben, haben viele Menschen. Der Weg dahin ist allerdings oft steinig. Zum Glück muss man ihn aber nicht allein gehen. Vielerorts gibt es Menschen und Institutionen, die Unterstützung anbieten. Und manchmal hilft es auch, den Prozess auf die wichtigsten Schritte herunterzubrechen.

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Überleg dir, wie das Problem zu beseitigen wäre, und lass deinen Gedanken dabei freien Lauf. Sorgen um Finanzierung, Mitstreiter etc. kommen noch früh genug. Welches Produkt würde das Leben besser machen? Entwickle eine konkrete Idee, ­deren Wert für den Kunden du in 20 Sekun­ den zusammenfassen kannst. Profi-Tipp: Denk nach, ob es ­etwas gibt, das deine Idee überflüssig machen würde. Wenn ja, entwickle besser das.

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Know-how via Know-where Was ist die beste ­Unternehmensform? Kann ich um Förderung ansuchen? Und wie ist das eigentlich mit der Steuer? Gerade für Neugründer sind solche Fragen wichtig, aber auch alte Hasen können stets dazu­lernen. In der Start-up-Akademie der Erste Bank und Sparkasse gibt es Schulungen, Workshops und die Möglichkeit für Vier-Augen-Gespräche mit Experten.

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Läuft nach (Business-)Plan

Wer Visionen hat, ­sollte sie aufschreiben. Aber nicht nur die, sondern auch realistische Einschätzungen. Wie sieht der Markt für das Produkt aus? Welche Kunden willst du ansprechen? Wie steht es um Finanzierung und Vertrieb? Die Analyse wirkt nach innen (Wie realistisch ist es, was ich vorhabe?) und hilft bei der Investorensuche. Hilfe für die Erstellung des Businessplans gibt’s auf i2b.at.

INNOVATOR

GETTY IMAGES

FAHRPLAN ZUM ERFOLG

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Hast du ein Problem? Gut!


I N N O V AT O R

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Führ mich zum Schotter Kredit, Fremdkapital, Crowdfunding, Förderungen: Jede Finanzierungsform hat Vor- und Nachteile. Welche für einen passt, hängt von individuellen Möglichkeiten, Kapitalbedarf und Businessplan ab. Und um es noch komplizierter zu machen: Oft ist ein Mix aus mehreren Varianten das Beste. Eine neue und erfrischend ein­ fache Option stellt die Plattform fundnow.at dar – siehe rechts.

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Achtung, Gründerfallen!

Es gibt klassische ­Fehler, die schon viele ­motivierte Menschen in die Knie gezwungen haben: viel zu geringe finanzielle Reserven eingeplant, die eigene Arbeitszeit nicht bepreist, individuelle und systemische Risiken unterschätzt. Aber da, wie erwähnt, schon viele Menschen in diese Fallen getappt sind, musst du es nicht mehr tun. Vorträge über Misserfolge (Fuckup Nights) oder spe­ zielle Bücher helfen.

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Erfolg

Es läuft. Aber nicht weil du Glück hattest (das gehört auch dazu), sondern weil deine Idee gut war, dein Plan durchdacht, dein Einsatz entscheidend. Jetzt genieße es. Aber verabsäume nicht, dich weiter zu ver­ bessern. Und nie vergessen: Hab Spaß! Das gilt nicht nur für diesen Schritt, sondern für den gesamten Weg. Denn warum solltest du ihn sonst gehen?

FUNDNOW

Crowdfunding oder doch Kredit? Warum nicht beides? Die Erste Bank und Sparkasse und CONDA präsentieren das Beste aus zwei (Finan­ zierungs-)Welten.

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Überzeuge die Menschen Es liegt an dir, deine Idee nach außen zu tragen. Dein Plan, dein Marketing, dein Vertrieb, das sollte jetzt funktionieren. (Das heißt natürlich nicht, dass du nichts mehr adaptieren könntest oder solltest.) Bei Start-up-Wettbewerben wie der #glaubandich Challenge – siehe Seite 90 – gibt es nicht nur die angestrebte Aufmerksamkeit, sondern auch Preisgeld.

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Der Moment der Wahrheit Du hast einen Plan und weißt, wie du ihn umsetzen möchtest? Dann tu es einfach!

Sind Projektvolumen, Eigenkapital und ­wei­tere Parameter eingegeben, berechnet die Plattform sofort einen Finanzierungsmix.

„Unternehmer müssen sich breit aufstellen“ Als eine der größten Herausforderungen für Unternehmer gilt, die Liquidität zu bewahren. „Umso wichtiger ist es, sich finanziell breit aufzustellen – erst recht, wenn das Unternehmen wächst“, sagt Peter Bosek, CEO der Erste Bank. Gemeinsam mit der Crowdinvesting-Plattform CONDA hat sein Team dafür mit „fundnow“ ein neues Finanzierungs-Tool entwickelt. Auf fundnow.at können ­Interessierte einfach ihre monetären Bedürfnisse sowie Projektdetails eingeben und erhalten nach nur wenigen Klicks Finanzierungsvorschläge. ­ „Eine erste Empfehlung sieht man online in fünf Minuten“, erklärt Daniel Horak, Co-Founder von CONDA. Danach erarbeiten Experten innerhalb von 48 Stunden ein individuelles Modell mit einem Mix aus Investoren, Crowd-Kampagnen und der gesamten Palette an Bankfinanzierungen. fundnow.at

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READ IT

MOMENT MAL – DAS GEHT DOCH NICHT!

W

ie oft wurden wir schon mit Ideen konfrontiert, bei denen Bauch und Kopf gleichermaßen gesagt ­haben: „Du hast gelernt, dass das nicht funktioniert, also lass es sein!“ Wie oft erleben wir im beruf­ lichen Alltag, dass das geplante Vorhaben nicht dem Standard entspreche, zu unkonventionell sei – und deshalb keine ­Genehmigung bekommt.

Andreas Gall Chief Innovation Officer im Red Bull Media House, gefragter Speaker auf Konferenzen. Innovator. Der 55-Jährige schreibt über Entwicklungen, die unsere Zukunft prägen.

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Als Innovator werde ich oft mit diesen Widersprüchen konfrontiert, bei denen die präsentierte Idee so überhaupt nicht in das Gelernte passt. Und natürlich gehört es auch zum Business, dass man gelernte Strukturen, Prozesse und Technologieanwendungen erst einmal verteidigt – also auf dem Bestehenden beharrt, anstatt sich offen einer anderen Sichtweise, Lösung oder Erneuerung zu stellen. Warum ist es wichtig, das aktuell Gelernte immer wieder zu hinterfragen? Weil der technologische Fortschritt nicht haltmacht

und das Unmögliche mitunter möglich wird. Die Physik ändert sich nicht. Die Rahmenbedingungen mitunter schon. Vor zwei Jahren bekam ich einen Anruf von einem netten Herrn, der schon am Telefon so klang, als wäre er nicht mehr im „Start-up-Alter“. Er erzählte mir von einer Erfindung für den Luftfahrzeug­ bereich – ein Team von erfahrenen Ingenieuren habe es geschafft, ein Fluggerät zu entwickeln, das mit einem einzigen Rotor auskomme. „Moment mal – das geht doch nicht! Nur ein Hauptrotor ohne Drehmomentausgleich – das kann nicht funktionieren!“

Feldkirchen statt San Francisco

Skepsis und Neugierde müssen selbst am Telefon hörbar gewesen sein, und ich bekam eine Einladung, den flugfähigen Prototyp zu bestaunen. Nicht in San ­Francisco, Wien oder München, sondern in Feldkirchen, einer kleinen Stadt in Kärnten, bei der neu gegründeten Firma EFG Aircraft. Der Besuch sollte mein Mindset nachhaltig ändern. Unsere Vorväter haben Dinge ersonnen, die auf Basis der ihnen zur Verfügung ­stehenden Mittel häufig noch nicht umsetzbar waren. Die Erfindungen und Ideen landeten in Schubladen oder Archiven. Doch es gibt Menschen, die dieses Wissen pflegen und durchforsten und prüfen, ob ­vielleicht der Zeitpunkt gekommen ist, um aus der Vision eine funktionierende ­Realität zu machen. Diese Personen sitzen, außer in Bibliotheken, Universitäten und Forschungsanstalten auch in privaten Communitys von „Freizeit­forschern“. Alte Ideen werden aus dem Archiv geholt, mit

INNOVATOR

MICHAEL PRESCHL

Wenn ein Besuch in Kärnten alles auf den Kopf stellt: unser Wissen über Physik und Aerodynamik und das allgemeine Bild von Erfindern.


KOLUMNE

„DIE PHYSIK ÄNDERT SICH NICHT. DIE ­R A H M E N B E D I N G U N G E N MITUNTER SCHON.“

IMPRESSUM

Chefredakteur The Red Bulletin Alexander Macheck Chefredakteur Innovator Arek Piatek Art Director Kasimir Reimann Photo Director Eva Kerschbaum Chefin vom Dienst Marion Lukas-Wildmann Managing Editor Ulrich Corazza Freie Mitarbeiter Marc Baumann, Waltraud Hable, Jakob Hübner, Günther Kralicek, Alexander Lisetz, Jonas Vogt, Emily Walton, Stefan Wagner, Wolfgang Wieser Grafik Miriam Bloching, Martina de CarvalhoHutter, Kevin Goll, Carita Najewitz, Antonia Uhlig Illustrationen Johannes Lang Fotoredaktion Marion Batty, Ellen Haas Global Project Management Melissa Stutz

höchstem Respekt vor dem damaligen Wissensstand. Eine nächste Generation übernimmt, und in manchen Fällen wird aus der „verrückten, unrealistischen Idee“ ein erfolgreiches Produkt.

Innovation braucht Emotion

Damit das funktioniert, braucht es nicht nur den kühlen, analytischen Blick des Wissenschaftlers, sondern auch Begeis­ terung und Emotion – ein Feuer, das in ­einem lodert. Und diese Emotionalität kann ansteckend sein: Das Fluggerät, das eigentlich so nie fliegen dürfte, hob vor meinen Augen ab. Stellte auf den Kopf, was ich über Physik und Aerodynamik zu wis­ sen meinte. Ich hatte Tränen in den Augen vor Begeisterung, Freude und Respekt vor den alten Ingenieuren, die vor vierzig Jahren im ersten Anlauf gescheitert waren – nun war ihre große Stunde gekommen. Was das im Bewusstsein meines Teams geändert hat? Wir sind offener und moti­ vierter Erfindungen gegenüber, die auf den ersten Blick verrückt oder unmöglich erscheinen. Wir „beflügeln“ bewusst auch Projekte, die aus der Vergangenheit zu uns gefunden haben und auf eine nächste Chance warten. Und wir haben gelernt: Innovation braucht gute Rahmenbedin­ gungen, Zeit und oft den richtigen Zeit­ punkt. Vor allem aber braucht Innovation eine über das Rationale hinausgehende Begeisterung – sie braucht Emotion! Das Start-up EFG Aircraft wird u. a. vom Red Bull Media House unterstützt und von der Sparkasse Feldkirchen finanziert.

Projektleitung Erste Bank Christian Hromatka Head of Commercial & Publishing Management Stefan Ebner Publishing Management Sara Varming (Ltg.), Ivona Glibusic, Bernhard Schmied, Mia Wienerberger B2B-Marketing & -Kommunikation Katrin Sigl (Ltg.), Agnes Hager, Teresa Kronreif Head of Creative Markus Kietreiber Co-Publishing Susanne Degn-Pfleger, Elisabeth Staber (beide Ltg.), Mathias Blaha, Vanessa Elwitschger, Raffael Fritz, Marlene Hinterleitner, Valentina Pierer, Mariella Reithoffer, Verena Schörkhuber, Julia Zmek, Edith Zöchling-Marchart Commercial Design Peter Knehtl (Ltg.), Sasha Bunch, Simone Fischer, Martina Maier, Florian Solly Anzeigendisposition Manuela Brandstätter, Monika Spitaler Herstellung Veronika Felder Produktion Friedrich Indich, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig Lektorat Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner, Klaus Peham, Vera Pink Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Sandra Maiko Krutz, Nenad Isailovic, Josef Mühlbacher

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Österreich, ISSN 1995-8838 Länderredaktion Christian Eberle-Abasolo Publishing Management Bernhard Schmied Sales Management The Red Bulletin Alfred Vrej Minassian (Ltg.), Thomas Hutterer, Stefanie Krallinger Media Sales Gerald Daum, Franz Fellner, Wolfgang Götz, Christopher Miesbauer, Nicole Okasek-Lang, ­Jennifer Sabejew, Johannes Wahrmann-Schär, Kristina Krizmanic (Team Assistant) anzeigen@at.redbulletin.com Druck Druckerei Ferdinand Berger & Söhne GmbH, A-3580 Horn Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz Informationen zum Medieninhaber sind ständig und unmittelbar unter folgender Web-Adresse auffindbar: redbulletin.at/impressum Redaktionsadresse Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43 1 90221-0  Fax +43 1 90221-28809 Kontakt redaktion@at.redbulletin.com

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Deutschland, ISSN 2079-4258 Länderredaktion David Mayer Publishing Management Natascha Djodat Anzeigenverkauf Matej Anusic, matej.anusic@redbull.com Thomas Keihl, thomas.keihl@redbull.com

Operations Michael Thaler (MIT), Alexander Peham, Yvonne Tremmel (Office Management) Abo und Vertrieb Peter Schiffer (Ltg.), Klaus ­Pleninger (Vertrieb), Nicole Glaser ­( Vertrieb), ­Victoria Schwärzler, ­Yoldaş Yarar (Abo)

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Schweiz, ISSN 2308-5886

General Manager und Publisher Andreas Kornhofer

Länderredaktion Arek Piatek

Verlagsanschrift Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43 1 90221-0 Fax +43 1 90221-28809 Web redbulletin.com/innovator

Publishing Management Melissa Stutz

Medieninhaber, Verlag und Herausgeber Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700

Abo- und Leserservice abo@ch.redbulletin.com

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Geschäftsführer Dkfm. Dietrich Mateschitz, Gerrit Meier, Dietmar Otti, Christopher Reindl INNOVATOR

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TECH-HIGHLIGHT Mit diesem Headset steuern Chirurgen einen Roboterarm, der 3D-Bilder auf die Displays vor ihren Augen projiziert.

Cyborg-Chirurgie

„ WIR ERWEITERN DIE SINNE DER CHIRURGEN“ Markus Hütter, CEO von BHS Technologies, hilft der Medizin, neue Wege zu gehen.

Der Roboterarm ­ mit 3D-Kamera und Mikroskop arbeitet mit einer Genauigkeit von 0,02 mm.

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Das Tiroler Start-up BHS Technologies ­gewährt uns einen Blick in die OP-Säle der Zukunft: An einem Roboterarm sind Mikroskop und 3D-Kamera angebracht, die kleinste anatomische Strukturen zeigen. Das Besondere: Der Chirurg steuert den Arm über sein Headset. Die Maschine erkennt, wohin er blickt, bewegt den Arm in Richtung des anvisierten Ziels und überträgt die Bilder auf den Screen vor seinen Augen. Die Vorteile liegen buchstäblich auf der Hand: Chirurgen müssen Instrumente nicht absetzen und das Mikroskop einstellen, sondern können gleich weiteroperieren. Im nächsten Entwicklungsschritt sollen am Display auch Elemente eingeblendet oder Tumore farblich hervorgehoben werden. bhs-technologies.com

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