INNOVATOR BY THE RED BULLETIN 01/2021
*Die Zukunft ist besser als ihr Ruf Inspiriert eine neue Generation: Aktivistin und Fair-FashionUnternehmerin DariaDaria
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AUSGABE DEUTSCHLAND EURO 2,50
Daria Daria und weitere 21 Pioniere erklären,
IDEAS FOR A BETTER FUTURE
wie auch du die Welt verbessern kannst
GREEN * ISSUE THE
ALPHATAURI.COM
© Jean Nouvel, Gilbert Lézénès, Pierre Soria et Architecture-Studio / Adagp, Paris, 2021
EDITORIAL
Hilde van Mas Um eine möglichst weibliche Crew bat unsere Cover-Heldin DariaDaria – ein Wunsch, den wir unter anderem mit Fotografin Hilde van Mas nur zu gerne er füllten. Sie lichtete die Aktivistin DariaDaria kunstvoll vor eigens installiertem Rollrasen ab. Das Interview: AB SEITE 2 2
Tobias Moorstedt Als junger Vater oft übermüdet, als Autor (z. B. „Süddeutsche Zeitung“) auf Technologie spezialisiert: Mit diesen Schlüsselqualifikationen widmete sich Moorstedt der Zukunft des Schlafens – im Gespräch mit Forschern und beim Test aktueller Gadgets. AB SEITE 6 8
SEIEN WIR EHRLICH! Wer Großes bewegen will, braucht großen Mut. Und was könnte größer sein als die Rettung unseres Planeten vor dem Klimawandel? Damit das gelingt, müssen alle mit anpacken: Unternehmen, Politiker, aber auch jeder Einzelne. Deshalb haben wir in diesem „Green Issue“ Vordenker wie Formel-1-Weltmeister und Nachhaltigkeits-Unternehmer Nico Rosberg gefragt, wie man den Mut zum ersten Schritt findet. „Die Welt braucht mehr Ehrlichkeit“, meint die Wiener Aktivistin DariaDaria und erklärt, warum es nicht um die perfekte Öko-Bilanz geht, sondern um menschliche Veränderung. Ach ja: Jede Menge Weltretter-Ideen und grüne Gadgets gibt’s natürlich auch, ab Seite 21. Besonderen Mut zeigen auch die Mitglieder der Copenhagen Suborbitals: Die dänischen Tüftler wollen mit einer selbst gebauten Rakete ins All fliegen. Bitte gut anschnallen ab Seite 58. Viel Spaß bei der Lektüre! Die Redaktion
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INNOVATOR
HILDE VAN MAS (COVER)
CONTRIBUTORS
I N N O V AT O R
Vienna UP’21 digital Let’s talk startups.
27.4. – 12.5. 2021
Join Europe’s most authentic startup experience! viennaUP.com
INHALT
BULLEVARD 16 10 12 18 14 19 Volle Kraft voraus
Kabinen für alle
Eine Gruppe junger Ingenieure will den Speed-Rekord im Segeln brechen.
Münchener Techies wollen den Stadtverkehr mit Gondeln revolutionieren.
Smarte Strippe
Master-Studium in der U-Bahn
Ein Trainingsband, das Fitnessstudio und Personal Trainer ersetzt.
Gesunder Boxenstopp
Ruf mich an!
Wie ein Start-up selbst Kochmuffel zu Chefköchen macht.
Einsam? Eine App findet den richtigen Gesprächspartner für dich.
GUIDE 90 93 94 6
Zwei Gründer bieten radikal neue Lösungen für die Weiterbildung.
E VENTS
Auf Wiedersehen Diese Konferenzen planen 2021 ihr Comeback – digital und vor Ort. WE T TBE WERB
Kampf der Ideen Red Bull Basement fördert junge Vordenker. FASHION
Innere Wärme Eine AlphaTauri-Jacke, die dir per App einheizt.
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KOLU MNE
Nachhaltig überrascht Autor Christoph Koch über erstaunliche Folgen des Weltrettens. TECH - HIGHLIGHT
Polar-Labor Wie Forscher am Südpol Geheimnisse des Universums entschlüsseln.
58 REPORTAGE
Weltall, wir kommen!
Wie Hobby-Astronauten in Kopenhagen mit einer selbst gebauten Rakete durchstarten wollen.
INNOVATOR
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FEATURES
ROBERT ORMEROD
58 68 74 82
INNOVATOR
R AUMFAHRT
Die Raketenbastler Wie dänische Amateure ihren Traum von der Reise ins Weltall verwirklichen wollen. GESUNDHEIT
Gute-Nacht-Zukunft Unser Autor erkundet die Zukunft des Schlafens – und das auch am eigenen Leib. VERKEHR
Visionen auf Rädern Wie Hersteller das Konzept Automobil neu denken und die Lust am Fahren erhalten. UNTERNEHMERTUM
Gegen jede Regel Netflix-Star Sophia Amoruso erklärt, welche Leitsätze du ignorieren solltest.
GREEN ISSUE
DariaDaria und 21 weitere Pioniere erklären, wie du die Welt verbessern kannst.
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COVERSTORY
Die Mut-Macherin Aktivistin DariaDaria über Ehrlichkeit als bestes Tool für Veränderung. ALISON TE AL
Die Kraft der Bilder Wie die US-Amerikanerin mit unterhaltsamen Videos Müll im Meer bekämpft. PRODUK TE
Gut und schön Innovative Produkte, die den Alltag erleichtern und Ressourcen schonen. START- UPS
Saubere Einfälle Altkleider als Rohstoff, digitale Kassenzettel: 10 Ideen, die Zukunft haben. NICO ROSBERG
Vollgas-Revoluzzer Warum der Formel-1Weltmeister E-Mobilität zum Sieg verhelfen will. CIRCUL ARIT Y
Runde Sache Von recycelten Autos bis zu innovativen Jobs: So funktioniert die Kreislaufwirtschaft.
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Glasflasche nur in ausgewählter Gastronomie
BULLEVARD
I N N O V AT O R
JOHANNES LANG
IDEEN FÜR EINE BESSERE ZUKUNFT
INNOVATOR
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B U L L E VA R D M O B I L I TÄT
DIE RAKETENSEGLER VOM GENFERSEE Der Geschwindigkeitsrekord beim Segeln liegt derzeit bei 121 km/h. Eine Gruppe junger Ingenieure aus der Schweiz will nun einen neuen Rekord aufstellen: 150 km/h! Ihre Konstruktion dafür könnte sogar die Transport-Schifffahrt revolutionieren.
Im November 2012 schrieb der Australier Paul Larsen Geschichte. Mit der „Vestas Sailrocket 2“, einer Segelboot-Sonderanfertigung, gelang es dem Skipper vor der Küste Namibias mit 121 km/h (65,45 Knoten) über das Wasser zu preschen – und damit einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord im Segeln aufzustellen. Dieser hat trotz zahlreicher späterer Weltrekord-Versuche bis heute gehalten. D R A C H E N S TAT T S E G E L
Wenn es nach drei Schweizer Studenten vom Polytechnikum Lausanne (EPFL) geht, dürfte sich das schon bald ändern: Xavier Lepercq, Mayeul van den Broek und Benoît Gaudiot, Altersdurchschnitt 25 Jahre, sind fest entschlossen, das schnellste Segelboot der Geschichte zu bauen. Und Larsens Weltrekord innerhalb der nächsten zwölf Monate zu pulverisieren. Das vom EPFL-Team angepeilte Weltrekord-Tempo: 150 km/h oder 80 Knoten (worauf übrigens auch der geheimnisvolle Projektname „SP80“ hinweist).
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Jet mit Wasser kontakt: Der „SP80“ soll 2022 den Rekord für Segelboote auf 150 km/h schrauben.
INNOVATOR
I N N O V AT O R
SP80-Team: Mayeul van den Broek, Xavier Lepercq, Benoît Gaudiot (v. l. n. r.)
TESTS AM GENFERSEE
„WIR WOLLEN MIT UNSEREM BOOT DIE CODES DES SEGELNS AUFBRECHEN.“
Nach dem offiziellen Start des Projekts vor rund einem Jahr hat das Team die ver gangenen Monate damit ver bracht, die Details des Kon zepts zu überprüfen und ein verkleinertes Modell auf dem Genfersee zu testen. Dutzen de Male waren die drei – be reits rekordverdächtig schnell – mit dem schwimmenden Labor unterwegs und haben dabei neue Rümpfe, Anhän ger oder Flügel ausprobiert. Im Frühling dieses Jahres wollen sie mit dem Bau des Bootes in Originalgröße (9 × 5 m) beginnen. Anfang 2022 soll der Prototyp dann erstmals ins Wasser kommen und in den Monaten darauf einen ersten Rekordversuch starten. ZUKUNFT WINDKRAFT
GUILLAUME FISCHER SP80
AREK PIATEK
JOHANNES LANG
Der Schlüssel zu der ange strebten Pionierleistung? „Statt mit einem Segel an getrieben zu werden, soll das Boot von einem Drachen ge zogen werden“, sagt Mayeul van den Broek, SP80-Projekt manager. So ließe sich defini tiv mehr Geschwindigkeit he rausholen. Am Boot selbst – einem Trimaran mit einem Hauptrumpf und zwei kleine ren Tragflügeln – wird vor allem an der Verbesserung der Stabilität gearbeitet. „Das Streben nach Stabilität führt letztlich zum Erfolg“, ist van den Broek überzeugt. Die Besonderheit beim SP80 ist ein System, das die soge nannte Kavitation (Bildung von Luftblasen im Wasser während des Segelns, Anm.) verhindert und damit das Boot bei hohen Geschwindig keiten ruhiger über das Was ser gleiten lässt. INNOVATOR
Beim Projekt SP80 geht es jedoch um mehr als nur um Temporausch. „Wir wollen mit diesem Boot die Codes des Segelns aufbrechen“, sagt van den Broek. „Und wir wollen die Grenze dessen ausloten, wie Wind als einzi ge Energiequelle für künftige Anwendungen zum Einsatz kommen kann.“ Schnelles Segeln bietet nämlich großes Potenzial für den Transport auf Wasser. Von SP80 soll in Zukunft die ganze Welt profitieren. sp80.ch
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B U L L E VA R D
I N N O V AT O R „Ein Trainingsband ist an sich schon sehr vielseitig: Du trainierst den ganzen Körper, ohne ins Fitnessstudio zu müs‑ sen, und kannst bis zu hundert Übungen absolvieren. Aber wir wollten einen zusätzlichen Motivationsfaktor“, sagt Ste‑ fan Weiß, 31, der das Start‑up 2019 mit Hanno Storz, 31, und Torben Hellmuth, 29, gründe‑ te. „Uns fehlte die Vergleich‑ barkeit. Wie viel Gewicht be‑ wegst du, und wie verbesserst du dich?“ M E H R A L S S Q U AT S
Dieses Trainingsband kann die Geräte eines ganzen Gyms ersetzen – und dank dieser drei Gründer aus Kassel nun auch noch den Personal Coach. Eigentlich ist der Markt der digitalen Trainings‑ geräte schon hoffnungslos überfüllt. Umso erstaunlicher, wenn ein neues Produkt er‑ scheint, das innovativ und gleichzeitig selbsterklärend ist: Straffr ist ein intelligentes Fitnessband. Es funktioniert wie ein normales elastisches Trainingsband. Allerdings misst das smarte Band dank eines integrierten Sensors Kraft und Geschwindigkeit, mit der gezogen wird, und es zählt die Wiederholungen.
HANNO STORZ , CHIEF O P E R AT I N G OFFICER TORBEN HELLMUTH, CHIEF TECHNICAL OFFICER S T E FA N W E I S S , CHIEF EXECUTIVE OFFICER
Kernkompetenz: Alle drei StraffrGründer sind Wirtschafts ingenieure.
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STRAFFR
Und eins und zwei …: Ein Sensor misst Kraft, Tempo und Wiederholungen.
JOHANNES LANGW
ANSAGEN VOM BAND
MARC DECKERT
FITNESS
Die Gründer tüftelten dafür eine neue Hardware-Lösung aus. „Ein Trainingsband möchte man mal eng greifen, mal lang lassen. Deshalb musste der Sensor in das Silikonband integriert sein.“ Gefüttert mit den Messwerten, hilft eine App, effektiv zu trai‑ nieren. „Sie passt die Übun‑ gen an deine Ziele an – als würde ein Trainer neben dir stehen.“ Egal, ob intensives Training oder nur die Erhal‑ tung der Fitness gewünscht ist: Der Trainingsplan ist in dividuell und bietet, so Weiß, „viele Übungen abseits von Push-ups und Squats“. straffr.com
INNOVATOR
Eine Hommage an die allerersten Flieger und Entdecker — und ihre gemeinsame Geschichte mit Longines.
Howard Hughes, einer der wichtigsten Aviatik-Pioniere, flog in Rekordzeit rund um die Welt. Für die Navigation über den Meeren und Kontinenten vertraute er auf die Aviatik-Chronometer und Chronographen von Longines. Im Jahr 1935 war Howard Hughes zu seiner Zeit der schnellste Flieger der Welt. Er stellte einen neuen Fluggeschwindigkeitsrekord von 566 km/h auf. Was die Geschichte von Hughes jedoch so besonders beeindruckend macht, ist die Tatsache, daß das Flugzeug, welches er flog, von ihm selbst entworfen worden war. Hughes war kein gewöhnlicher Pilot, der Rekorden hinterherjagte — er war auch Luftfahrtingenieur, Geschäftsmagnat und erfolgreicher Filmproduzent in Hollywood. Doch es waren sein Kampfgeist und sein Mut im Angesicht des Unbekannten, die ihn dazu bewogen, immer wieder an seine Grenzen zu gehen. Nur wenige Jahre später umrundete Hughes die Erde.
Seine Reise dauerte nur 3 Tage, 19 Stunden und 14 Minuten — und damit hatte er 1938 einen Weltrekord aufgestellt. Hughes vertraute stets auf seinen Longines-Chronometer für die Astronavigation, um die genaue Position seines Flugzeugs bei Nacht, in völliger Dunkelheit und über den riesigen Ozeanen zu bestimmen. Die Art und Weise, wie sie mit Herausforderungen umgehen, trennt die Pioniere vom Rest der Menschheit. Eleganz zeigen, wenn alle Chancen gegen einen stehen. Mit Eleganz alles versuchen, alles geben, vielleicht scheitern. Elegant kämpfen — und triumphieren. Das ist es, woran man sich erinnert. Das ist es, was bleibt — wenn alles andere nicht mehr zählt.
Longines hat die Spirit Collection entwickelt, um genau dies zu verkörpern. Sie verbindet Eleganz, Tradition und Leistung — mit denselben unverwechselbaren Merkmalen, die speziell für die ersten Aviatik-Pioniere geschaffen wurden: von ihrer geprüften Ganggenauigkeit bis zur übergroßen Aufzugskrone, die mit Handschuhen leicht bedient werden kann; von den markanten, kontrastreichen Ziffern bis zu den Zeigern mit Leuchtmaßenbeschichtung für Nachtflüge. Die Spirit Collection ist der lebhafte Beweis, daß der Pioniergeist fortlebt.
I N N O V AT O R
B U L L E VA R D
Das bekommen selbst Kochanfänger gut hin: Tex-Mex- Salat nach HelloFresh-Rezept.
ERNÄHRUNG
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„Gesundes, selbst gekochtes Essen ist möglich – auch ohne in den Supermarkt zu hetzen, um frische Zutaten einzukaufen.“
N A C H H A LT I G E R E R F O L G
2017 zählte HelloFresh 1,3 Millionen Kunden. Heute abonnieren schon 5 Millio nen Menschen in 14 Ländern den Dienst. Im nächsten Schritt der Essensrevolution bietet HelloFresh Unterneh men und Betriebskantinen Kühlschränke als Essens automaten an – gefüllt mit abwechslungsreicher und gesunder Kost … HelloFresh gibt’s im Abo ab 4,25 Euro pro Portion: hellofresh.de INNOVATOR
JOHANNES LANG
Kochen ist nicht gleich Kochen. Kochen heißt auch Lebensmittel einkau fen. Im Internet Rezepte su chen. Lebensmittel dosie ren. Zurück ins Geschäft laufen, weil man die Eier vergessen hat. Wer oft Über stunden schiebt, weiß, wie nervig solche Extrarunden sind – und wie entspannend
DOMINIK RICHTER UND THOMAS GRIESEL , G R Ü N D E R VO N HELLOFRESH
FLORIAN OBKIRCHER
Das Berliner Start-up HelloFresh macht jeden Küchenmuffel zum Chefkoch.
bei Kochanfängern. Außer dem wird Lebensmittel verschwendung vermieden“, sagt HelloFresh-Mitgründer Dominik Richter, „und v iele Kunden finden einfach wie der Gefallen daran, sich ihr Essen selbst zuzubereiten.“ Die in passender Menge gelieferten Lebensmittel kommen von ausgewählten Produzenten – Frische und Qualität sind auf diese Art garantiert – und sind in nahezu vollständig recycel baren Materialien verpackt.
HELLO FRESH
BEREIT FÜR DEN BOXENSTOPP?
es ist, wenn man sich in der Küche auf das Wesentliche konzentrieren kann. Diesen Gedanken hatten Dominik Richter, Jessica Nilsson und Thomas Griesel, als sie 2011 mit der Ankün digung, „die Art des Essens zu revolutionieren“, ihr Un ternehmen HelloFresh grün deten. Der Lösungsansatz des Berliner Start-ups: Koch boxen. Individualisiert und auf jeden Geschmack abge stimmt – mit dem Verspre chen, dem Kunden Zeit, Geld und Stress zu ersparen. HelloFresh ist heute ein Lebensmittellieferant, prä ziser: ein Zutatenlieferant. Wer per App (oder online) die gewünschten Speisen ordert, kriegt eine Kiste nach Hause geliefert. Darin befin den sich, neben genauen Kochrezepten, die erwähn ten frischen Zutaten, die – und jetzt kommt’s – für die jeweiligen Speisen exakt dosiert sind, wie etwa ein 20-Gramm-Würfel Butter. „So kann beim Kochen der Gerichte fast nichts schiefgehen – auch nicht
3 TAGE, 19 STUNDEN, 14 MINUTEN So lange benötigte Howard Hughes für seine Weltumrundung, die ihn 1938 zum schnellsten Mann der Lüfte machte. Bei der Bestimmung der Position seines Flugzeugs in der Nacht und über dem Ozean vertraute er auf einen Longines-Chronometer, der speziell für die astronomische Navigation entwickelt worden war.
Howard Hughes
B U L L E VA R D
M O B I L I TÄT
GONDELN FÜR ALLE
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„WIR MÜSSEN IN DIE DRITTE EBENE GEHEN. DORT GIBT ES UNGENUTZTEN RAUM.“ In fünf bis zehn Meter Höhe sollen die Gondeln nach Marc Schindlers Plänen an Schienen hängen.
MARC DECKERT
Seit 2019 treibt der Wirtschafts ingenieur das Projekt mit einem Team aus Software entwicklern und Maschinen bauern voran.
Verkehrsteilnehmer abholen und ohne anzuhalten an ihr Ziel bringen – eine Mischung aus Individualverkehr und öffentlichem Schienennetz, das die Vorteile beider Mobi litätsformen kombiniert. Die Gondeln rollen energie effizient auf Schienen in 5 bis 10 Meter Höhe. Am Ziel an gekommen, sinken sie auf Straßenniveau herab. Autonome Straßenfahrzeuge seien, so Schindler, nicht in der Lage, das Problem verstopfter Städte zu lösen. „Außerdem ist unser Konzept viel einfacher. Das System Straßenverkehr beinhaltet ja neben den A utos
OTTOBAHN GMBH
MARC SCHINDLER, M A N AG I N G DIRECTOR OT TOBAHN
In unseren Städten wird es immer enger. Viele Verkehrsmittel – Autos, Lastwagen, Fahrräder, Straßenbahnen, Busse, E-Scooter und vielleicht bald autonome Fahrzeuge – konkurrieren um den Platz auf der Straße. Wohin soll das noch führen? „Wir müssen in die dritte Ebene gehen. Dort gibt es Raum, der heute noch nicht genutzt ist“, sagt Marc Schind ler, 41, Managing Director des Start-ups Ottobahn (er selbst bezeichnet sich als „Can Do Officer“). Das Unternehmen aus München hat ein komplett neues Verkehrskonzept ent wickelt, in dem Gondeln die
JOHANNES LANG
Straßenbahn, next Level: Die Ingenieure von Ottobahn aus München wollen dem Stadtverkehr mit ihrem System neue Luft verschaffen.
INNOVATOR
I N N O V AT O R
auch noch Radfahrer und Fußgänger.“ Diese Variablen fallen beim „ottonomen Fahren“ weg. Das bedeutet, dass die Rechenkraft ganz darauf verwendet werden kann, die Gondeln schnell und sicher zum Ziel zu bringen. PROBLEME VOR ORT
Alle Zeichen auf Grün: Angetrieben von erneuerbaren Energien, soll Ottobahn emissionsfrei unterwegs sein.
Gemeinsam unterwegs: In eine Gondel passen vier Passagiere, überdies soll es spezielle Fracht transport-Einheiten geben. INNOVATOR
Ottobahn hat bereits einen Gondelprototyp, der in den 300 m² großen Räumen des Unternehmens unterwegs ist. Die Planungen für eine AußenReferenzstrecke laufen bereits auf Hochtouren. Das Start-up versteht sich hauptsächlich als Softwareschmiede mit zusätzlicher Ingenieurskompetenz. Die größte Herausforderung liegt für Schindler aber weder in der Technologie noch in der Software, sondern in der Umsetzung vor Ort: „Es wird nicht leicht werden, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine Strecke vor ihrer Haustür gebaut wird.“ Immerhin: Konzept und Prototyp von Ottobahn sehen schon jetzt so attraktiv aus, dass das Start-up über solche Hürden hinwegsausen könnte – in der dritten Ebene. ottobahn.de
Persönliches Shuttle: Fahrgäste können ihre Ottobahn per App bestellen, die autonom fahrenden Gondeln holen sie pünktlich ab.
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B U L L E VA R D
CHRISTIAN REBERNIK, THOMAS FUNKE, GRÜNDER
Doppelt schlau: Rebernik bringt seine Erfahrung als mehrfacher Gründer ein, Funke seine Bildungsexpertise.
BILDUNG
DEIN UNIABSCHLUSS VIA PHONE
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nability, Entrepreneurship and Technology). „Die Studierenden können lernen, wo sie gerade sind – zu e iner Tageszeit, die ihnen passt. Und im eigenen Tempo“, sagt Christian Rebernik. Die Aufgaben reichen von Solo-Challenges bis zu komplexen Her ausforderungen wie „Entwickle ein Geschäftsmodell, das den CO2-Fußabdruck reduziert“. Dank des radikalen Praxisbezugs sind die Studierenden anschließend optimal auf künftige Jobs vorbereitet. tomorrows.education INNOVATOR
JOHANNES LANG
Noch einmal etwas Neues lernen – etwas, was mich auf die Arbeitswelt von morgen vorbereitet und vielleicht sogar den Planeten besser macht. Diesen Wunsch hegen viele Menschen. Wie aber soll das gehen, neben Berufsalltag und vielleicht noch Kinderbetreuung? Zum Beispiel mit Online-Lektionen zu Themen wie Nachhaltigkeit und Technologie, die eigens für Smartphones optimiert und
in Häppchen unterteilt sind („bite-sized learning“), sodass ich sie auch in der U-Bahn konsumieren kann. Und mit einer Methode, nach der die Studierenden sämtliche Inhalte lernen, indem sie Herausforderungen („Challenges“) lösen – mal alleine, mal in der Gruppe. So bieten es Seriengründer Christian Rebernik, 43, und Bildungsexperte Thomas Funke, 37, auf ihrer Plattform Tomorrow’s Education an. Schon im April startet der mit der Wirtschaftsuniversität Wien entwickelte z weijährige berufsbegleitende Master- Studiengang in SET (Sustai
Mit tomorrows.education verlegst du den Hörsaal jederzeit genau dorthin, wo du gerade bist.
MARC DECKERT
Frontale Vorlesungen im Hörsaal? Oldschool! Zwei Berliner Gründer bieten ein Master-Studium via Handy, das seine Inhalte in der freien Wildbahn vermittelt.
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B U L L E VA R D
Neben ihrer Arbeit am Portal Ahoyly coacht Ania Krol andere Start-ups und Freelancer.
K O M M U N I K AT I O N
Du fühlst dich einsam? Oder möchtest einfach mit jemandem über dein ausgefallenes Hobby plaudern? Die Online-Plattform Ahoyly findet den richtigen Partner für dich. Die Vorstellung, Freunde und Familie wochenlang nicht sehen zu können, schien vor gut einem Jahr noch absurd. Dann kam Corona. Und vielen von uns wurde bewusst, wie wichtig der Austausch mit anderen Menschen für unser eigenes Wohlbefinden ist. Aus diesem Grund starteten Ania Krol und Fabian Henze im April 2020 Ahoyly – eine kostenlose Online-Plattform, auf der man sich mit
GETTY IMAGES
FLORIAN OBKIRCHER
JOHANNES LANG
SO BLEIBST DU IM GESPRÄCH
INNOVATOR
Gleichgesinnten verbinden kann. Die Anmeldung dauert kaum zwei Minuten: Du gibst deine Interessen an (anhand dieser schlägt der Algorithmus Gesprächspartner vor) und einen bevorzugten Kommunikationskanal (Skype, Zoom etc.). Wirkt eine Person interessant, schickst du ihr eine Anfrage – und los geht’s! Warum das deutsche Start-up auch nach der Ausgangssperre relevant ist, erklärt Krol hier. innovator: Wie kam euch die Idee zu Ahoyly? ania krol: Die Corona-Ausgangssperre war der Auslöser. Obwohl wir uns gut kennen, gingen Fabian und mir irgendwann die Gesprächsthemen aus. Wir wollten uns mit neuen Menschen unterhalten – und andere Menschen mit einander vernetzen. Ist Telefonieren nicht out? Bei anregenden Unterhaltun-
gen bauen wir Stress ab, beim Texten fehlt es oft an tieferen Verbindungen. Deshalb ermutigen wir Nutzer zu Telefon- oder Videoanrufen. Wer verwendet Ahoyly? Männer und Frauen halten sich in etwa die Waage. Der Altersdurchschnitt liegt zwischen 20 und 55 Jahren. Der älteste mir bekannte Nutzer ist 89 Jahre alt! Das am häufigsten diskutierte Thema war bis jetzt das Reisen. Wie sieht die Zukunft für Ahoyly nach der CoronaKrise aus? Viele von uns haben Interessen, die niemand im näheren Umfeld teilt. Was tun, wenn du dein Portugiesisch auf frischen willst, aber kein Portugiese in Sicht ist? Deshalb ist es unser Ziel, mehr internationale Dialoge zu fördern. ahoyly.com 19
AUF DEM SPRUNG IN DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT? FREE
Wie Sie alle Hürden meistern: www.wingfinder.com
AS
SE
SS
MENT
GRÜN IST DIE ZUKUNFT!
Eine Digital-Aktivistin, die das Prinzip Fair Fashion auf die Spitze treibt, ein Formel-1-Weltmeister, der E-Mobilität zum Sieg verhelfen will, eine App, mit der du laufen und dabei Bäume pflanzen kannst – willkommen zu einem Umwelt-Spezial abseits des Alltäglichen!
GREEN ISSUE
DIE W E LT Sie treibt das Prinzip Fair Fashion auf die Spitze, schrieb einen Bestseller übers Weltretten und inspiriert als
DariaDaria auf Instagram Hunderttausende, besser zum Planeten und zu sich selbst zu sein. Hier erklärt Madeleine Alizadeh, 31, warum Ehrlichkeit das beste Werkzeug für Veränderung ist und wie jeder seinen ersten Schritt findet.
BRAUCHT MEHR EHRLICHKEIT TE XT: Waltraud Hable
INNOVATOR
FOTOS: Hilde Van Mas
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s kommt der Zeitpunkt, da kannst du deine innere Stimme nicht länger ignorieren. 2013 ist für Madeleine Alizadeh so ein Punkt. Und das ging so: Ihr privater Blog DariaDaria läuft gut. Modefirmen zahlen dafür, dass sie deren Produkte bewirbt. Dann stürzt in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza ein. Mehr als tausend Menschen sterben. Fast zeitgleich sieht Madeleine die Doku „Gift auf unserer Haut“ über M issstände in der Lederindustrie. Die Wienerin beschließt: Schluss mit Billigmode und Lifestyle-Blabla. Ab sofort will sie sich für Themen einsetzen, die ihren Moral- und Ethikvorstellungen besser entsprechen. Madeleine Alizadeh – Ex-Politikwissen schaft-Studentin und Tochter eines iranischen Menschenrechtsaktivisten – beginnt, über nachhaltige Mode, Umweltschutz und Flüchtlingshilfe zu schreiben. „Anfangs dachte ich: Wahrscheinlich muss ich mir damit einen neuen Job suchen.“ Doch mit Offenheit und Verletzlichkeit wird Alizadeh zu einer starken Stimme, die sogar vor dem Europäischen Parlament reden darf. Ihr 2019 erschienenes Buch „Starkes weiches Herz“ – ein Plädoyer, sich mit Mut und Liebe für Themen wie Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung einzusetzen – landet in Deutschland auf Platz 3 der „Spiegel“-Bestsellerliste. Ihr Podcast „a mindful mess“ verbindet Persönlichkeitsentwicklung mit Meditation. Und sie gründet ihr eigenes ÖkoModelabel dariadéh. Was man aus diesem kurzen Lebenslauf lernen kann? Erstens: Große Veränderungen sind machbar, wenn man sie wirklich will. Zweitens: Madeleine Alizadeh erreicht viele Menschen, weil sie vorlebt, dass man auch als Aktivistin keine Heilige sein muss. Es geht beides: Engagement und Fehler. Konsumkritisch und konsumfreudig sein. Wütend und optimistisch. innovator: Du bist Vorbild von Beruf. Trotzdem ist dein ökologischer Fußabdruck alles andere als vorbildlich, sagst du. madeleine alizadeh: Er ist genau genommen eine Katastrophe. (Lacht.) Warum? Kein Ökostrom, kein Fahrrad statt dem Auto?
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Doch, ich beziehe Ökostrom, und ich ernähre mich zu 95 Prozent vegan. Aber man weiß ja: Je höher der Lebensstandard, desto gravierender der CO2-Fußabdruck – und als jemand, der in einem der reicheren Länder lebt und zu den Besser verdienenden gehört, ist mein CO2Fußabdruck auch exponenziell größer. Konkret: Ich lebe in einer großen Wohnung. Ich besitze ein iPhone. Ich habe für mein Unternehmen ein Elektroauto angeschafft, mache Langstreckenflüge zu Freunden oder zu meiner Familie in den USA. Das mag viele irritieren. Aber nur weil ich aktivistisch tätig bin, heißt das nicht, dass ich keine Fehler mache oder in einer Höhle leben muss. Diese Erwartungshaltung finde ich auch falsch, denn sie lenkt vom eigentlichen Diskurs ab. Was ist der eigentliche Diskurs? Wir dürfen Nachhaltigkeit nicht nur auf die KonsumentInnen abwälzen. Mit dem Verzicht auf Plastikstroh halme und mit dem Kauf von BioBaumwolle allein wird sich die Welt nicht retten lassen. Denn für die größten Treibhausgas-Emissionen sind nicht wir, sondern die Industrie verantwortlich. Laut einer Studie ver ursachen 100 Unternehmen 71 Prozent der weltweiten Emissionen. Was schlägst du vor? Dass wir die Politik und die großen Konzerne in die Pflicht nehmen. Denn ich kann noch so viele Flugreisen aus meinem Alltag streichen – aber wenn jenen, die 70 Prozent der Emissionen verursachen, weiterhin das Geld in den Hintern geschoben wird und Gesetze im Interesse entsprechender Lobbys verabschiedet werden, ändert sich leider wenig.
„Oft liegt es tatsächlich an der jüngeren Generation, mit neuen Ideen daherzukommen und ein System aufzubrechen.“ INNOVATOR
Blick für andere: Alizadeh wirbt auch für ein herzlicheres Kli ma im täglichen Miteinander.
S O W E I T, SO GUT 2010 DER START
Alizadeh gründet ihren eigenen Modeblog dariadaria.com
2013 DER WECHSEL
Von nun an konzentriert sie sich auf das Thema Nachhaltigkeit.
2015 DER APPELL
In der Flüchtlingskrise engagiert sich Alizadeh öffentlich für Geflohene.
2017 DIE ERGÄNZUNG
Podcast „a mindful mess“, Fashion-Label dariadéh.
2019 DAS BUCH
Ihr Erstling „Starkes weiches Herz“ erscheint.
2019 DIE WAHL
Alizadeh unterstützt Die Grünen bei der österreichischen Nationalratswahl.
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INNOVATOR
Wer sich engagieren will, kann also nicht unpolitisch bleiben? Absolut. Am Ende des Tages kommt es halt auch darauf an, die richtigen Parteien zu wählen.
DAT E N A B F R AG E Über 310.000 Menschen folgen Alizadehs Account DariaDaria auf Instagram, auf Facebook sind es rund 60.000. 36 verschiedene nachhaltige Fashion-Produkte bietet Alizadeh in ihrem Shop dariadeh.com 10–15 Prozent beträgt Alizadehs Gewinnmarge, die sie langsam steigern will. 50 Cent spendet Alizadeh bei jeder Bestellung an karitative Organisationen. Platz 3 erreichte ihr Buch „Starkes weiches Herz“ in der Bestsellerliste.
INNOVATOR
Trotzdem, lass uns einen Schritt zurückgehen: Was kann ich im Kleinen für den Planeten tun? Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Aktivismus ist immer auch eine Frage persönlicher Ressourcen – das muss ich vorausschicken. Eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern kann man nicht dafür verurteilen, dass sie ihre Baby-Bodys bei H & M kauft und nicht beim ökofairen Label. Ich finde, jeder soll machen, was er im Rahmen seiner Möglichkeiten machen kann – und will. Aber, um eine Antwort zu geben: Einen Impact auf unser Klima haben etwa Lebensmittel und Landwirtschaft. Ich kann mich etwa fragen: Will ich wirklich dreimal pro Woche Fleisch essen? Oder bloß einmal im Monat? Oder gleich vegetarisch essen? Vegetarier leben nicht automatisch nachhaltiger – mancher Schweizer Käse hat eine schlechtere Ökobilanz als eine Avocado. Es geht um das Bewusstsein, woher die Nahrung kommt und wie sie hergestellt wird. Was kann ich in Sachen Kleidung machen? Für mich fasst es ein Zitat von Designerin Vivi enne Westwood gut zusammen: „Buy less. Choose well. Make it last.“ Konsumiere weniger. Hinterfrage: Wie viel Kleidung brauche ich wirklich? Welche Farben lassen sich vielfältig kombinieren? 80 Prozent des Inhalts unseres Kleiderschranks hängen meist ungetragen herum. Und wenn ich mir etwas zulege, sollte ich die Sachen möglichst lange tragen können, sie richtig pflegen und gegebenenfalls reparieren. So kann auch Fast Fashion etwas „nachhaltiger“ werden. Auf Social Media beschränken viele ihr Engagement auf Hashtags. #greenplanet, #changetheworld. Entmutigt das? Nein. Natürlich ist dieser Pseudoaktivismus manchmal irritierend. Bei Black Lives Matter haben alle schwarze Kacheln auf Instagram gepostet und kundgetan, sie unterstützen Black Business. Ein, zwei Wochen später war nichts mehr davon zu hören. Aber das hat es schon immer gegeben. Es gibt Leute, die ketten sich tagelang an Bäume, andere tragen nur einen Anstecker mit „Rettet die Natur“. Warum kommen die einen in die Gänge, die anderen nicht? Wenn jemand sich nicht engagiert, heißt das nicht, dass er oder sie zwangsweise faul ist. Vielleicht stecken Ängste dahinter, Unwissenheit, ein Mangel an Zeit und Ressourcen. Das muss man evaluieren. Und es müssen auch nicht alle gleich stark aktiv werden. Wichtig finde ich letztlich nur, dass es Menschen gibt – vor allem in Machtpositionen –, die die Dinge ausbalancieren und
für sozial-ökologische Gerechtigkeit sorgen. Du hast 2010 als Modebloggerin begonnen und bist nach drei Jahren zum Thema Nachhaltigkeit um geschwenkt. Wie viele haben dich für diesen Schritt belächelt? Interessanterweise habe ich bis heute oft noch den Stempel des Modepüppchens – obwohl ich seit sieben Jahren als Unternehmerin, Aktivistin und Autorin tätig bin. Ich schätze, man denkt: „Ah, die ist auf Instagram, die sieht so und so aus“ – und schon hat man ein Bild im Kopf, was jemand macht oder nicht macht. Wie hast du anfangs den Mut ge funden, öffentlich Themen anzu sprechen, für die es immer kompe tentere ExpertInnen geben wird? Es ist ein Prozess. Man muss sich natürlich einlesen und sich an die Fakten halten, um keine gefährlichen Falschinformationen zu verbreiten. Einen Doktortitel braucht es aber nicht, um am Diskurs teilnehmen zu dürfen. Wer nicht gleich als RednerIn auf die Bühne treten will, kann ja auch erst mal im Hintergrund einer Bewegung helfen. Für mich persönlich war sicherlich wichtig, ein Selbstverständnis dafür zu entwickeln, dass ich mir Raum in der Gesellschaft nehmen darf. Gerade als Frau wird man ja eher dazu sozialisiert, sich kleinzuhalten und nicht zu laut zu sein. Du schreibst in deinem Buch, dass es helfen würde, weniger elitär mit dem Mikrofon umzugehen. Was meinst du damit? Wir sprechen gerne jenen Menschen Expertenstatus zu, die ein gewisses Alter, Erfahrung, Titel oder Verbindungen haben. Aber diese Menschen haben nicht unbedingt das Richtige zu sagen. Oft liegt es tatsächlich an der jüngeren Generation, mit neuen Ideen daherzukommen und ein System aufzubrechen. Fridays for Future und die Klimaschutzbewegung sind ein schönes Beispiel dafür. Oder der TED-Talk mit einer 17-jährigen Schülerin, den ich auch im Buch zitiere. Sie sagt zu Beginn: „Ihr erwartet jetzt sicher, dass ich einen Jugendnobelpreis gewonnen habe, weil ich auf der Bühne stehen darf.“ Aber ihr Vortrag thematisiert bloß, dass wir jungen Menschen zuhören sollen, auch wenn sie vielleicht noch nichts „vollbracht“ haben. 27
Auf Instagram hast du über 300.000 Follower. Wie wichtig sind die sozialen Medien fürs Weltretten? Ich würde da unterscheiden: Reden wir von einem Individuum oder von einer Bewegung? Als Einzelperson muss ich nicht unbedingt auf Instagram oder Twitter sein, obwohl es natürlich hilft, sein Anliegen bekannter zu machen. Es gibt Leute, die auch ohne soziale Medien viel bewirkt haben. Für Organisationen hingegen sind soziale Medien sicher wichtig – allein schon, um Veranstaltungen zu posten. Es braucht aber keinen perfekt betreuten Account – wichtiger ist eine gute Strategie, damit sich das Wort verbreitet und die Leute auf die Straße gehen.
Fehler sind erlaubt: Wer sich für mehr Nachhaltigkeit engagiert, muss deswegen kein ökologisch makelloses Leben führen, findet Alizadeh.
Weltretten braucht darüber hinaus viel Optimismus. Wie bewahrt man sich diesen? Ich glaube, indem man sich einer Sache verschreibt, aber sich nicht in ihr verliert oder sich selbst dafür aufgibt. Ich musste mich etwa besser abgrenzen lernen und mehr auf meine mentale Gesundheit achten. Das bedeutet, dass ich bewusst Dinge in meinen Alltag integriere, die ich liebe und die mich glücklich machen. „Liebe … oder lass es“ – dein Lebensmotto. Richtig. Mit dem Hund kuscheln. Freunde umarmen. Das herrliche Weißbrot essen, auch wenn das trockene Vollkornbrot wahrscheinlich ein bisschen gesünder wäre. Liebe ist für mich in vielen Kleinigkeiten des Lebens zu finden. Diese Kleinigkeiten ergeben eine Art Schutzmantel, sie geben mir Kraft. Pragmatisch-rational an die Dinge heranzugehen hilft aber auch. Luisa Neubauer, die deutsche Klimaschutzaktivistin, hat dazu mal gesagt, sie sei „Possibilistin“. Was ist denn das? Das heißt, sie ist weder Optimistin noch Pessimistin, aber sie glaubt an die „possibilities“, also an Möglichkeiten. Das fand ich sehr schön. Mit all diesen Möglichkeiten: Ist die Zukunft vielleicht besser als ihr Ruf? Ich denke: ja. Wir haben Lösungsansätze für viele Probleme. Jetzt gilt es nur noch, diese auch anzuwenden. Öko-Mode, Klimaschutz, Tierrechte, Flüchtlingshilfe. Was ist der gemeinsame Nenner bei all deinen Projekten? Gerechtigkeit! Ich hatte schon als Kind einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und ich schätze, in Summe geht es mir auch um ein wärmeres Klima in der Gesellschaft. Das beginnt schon mit kleinen Dingen. Mit Zivilcourage. Oder dass man der Frau mit dem Kinderwagen hilft. Jemanden, der verloren aussieht, fragt, ob sie oder er Hilfe braucht. Sich ehrenamtlich engagiert. Du hast mal in einem Vortrag gesagt: Wenn man übers Weltretten sprechen will, muss 28
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man auch über die großen Gefühle sprechen. Du meintest damit aber nicht etwa Mitgefühl, sondern Wut. Ich finde es wichtig, der Wut Raum zu geben, weil sie wie jedes Gefühl Raum braucht. Gerade Frauen laufen Gefahr, die zurückgehaltene Aggression gegen sich selbst zu richten – weil Wut eine Emotion ist, die ihnen oft nicht erlaubt wurde. Wut zeigt einem, wo etwas Ungerechtes passiert. Was macht dich wütend? Sehr vieles. Dass unsere Welt alles und jeden stereotypisieren will. Massentierhaltung. Die Zerstörung der Wälder. Oder wenn ich dafür angegangen werde, dass ich für meine Wohnung ein gebrauchtes Ikea-Regal kaufe, weil ich damit angeblich die Massenmöbel-Produktion unterstütze. Das macht mich wütend, denn es ist Kritik an der falschen Stelle. Zu allererst sollte man die angehen, die es den Unternehmen leicht machen, schnell und billig zu produzieren. Laut Studien erleben Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, mehr Gegenwind als Leute, die nichts tun. Kannst du das bestätigen? Ja. Als ich noch über Fast Fashion geschrieben habe, gab’s keine bösen Kommentare. Aber ich sage mal so: Wenn man sich von der Idee verabschiedet, dass alle immer nett zueinander sein werden, ist das recht befreiend. Trotzdem nehme ich manchmal Supervision und Coaching in Anspruch, um zu lernen, mich noch besser abgrenzen zu können. Neben Liebe und Wut ist ein weiteres Schlüsselthema für dich Ehrlichkeit. Warum? Ich glaube, wenn wir alle ehrlicher wären, hätten wir viele Probleme nicht: Korruption, Ressourcen verschwendung, Misstrauen in der Politik. Würden die Menschen zum Beispiel zugeben, „Hey, ich hab total Angst. Diese Sache mit dem Klima ist so komplex – ich verstehe nicht, was da passiert“, wäre es leichter, in einen Dialog zu treten, als wenn sich jemand im stillen Kämmerchen fürchtet und sich eine Verschwörungserzählung als Ventil sucht. Dann wird es schwierig, zu kommunizieren. Du hast in kurzer Zeit viel bewegt. Warum schaffen das deiner Meinung nach nicht auch Konzerne? Ich glaube, bei vielen hapert es daran, INNOVATOR
„Ich will zeigen: Ja, man kann ethisch und ökologisch ver antwortungsbewusst ein Unternehmen aufziehen.“
dass sie sich keine Hilfe holen. Sie meinen, sie hätten das Know-how innerhalb ihres Unternehmens und müssten alles selbst lösen. Und so passiert es, dass man den immer gleichen CEOs zuhört. Meine Frage ist: Wieso holt ihr euch nicht Nachhaltigskeits-ExpertInnen und beratende NGOs ins Boot? Neuer Input ist wichtig – denn darauf beruht ja Innovation. Bei dariadéh, meinem Modelabel, arbeite ich etwa mit einer Agentur für nachhaltige Textilentwicklung zusammen, um nach neuen Rohstoffen zu suchen. Wie tief tauchst du in die Materie ein? Bist du bei dariadéh in jeden Knopf involviert? Ja, bis ins kleinste Detail. Es ist irre aufwendig, ein ökofaires Kleidungsstück herzustellen. Was mir hilft: Durch meine Blog-Erfahrung habe ich gelernt, vieles aus dem Blickwinkel der Kundin zu sehen. Mit diesem Wissen kann ich ganz andere Produkte entwickeln. Was heißt „andere“? Wir arbeiten viel mit Materialien, die wenig im konventionellen Bereich eingesetzt werden. Lyocell zum Beispiel, eine aus Zellulose be stehende Faser. Oder wir verwenden ein Garn, das schadstofffrei in der Natur zerfallen kann. Oder: Steinnüsse werden zu Knöpfen geschliffen. Das erfordert natürlich mehr Testläufe, in denen geprüft wird, wie das Gewebe aufs Waschen reagiert, aufs Färben, auf Reibung. Das Streben nach Perfektionismus muss man da ablegen. Es wird Reklamationen geben, aber am Ende bringt mich das weiter. Wie viel Idealismus braucht es, um ein nachhaltiges Business aufzuziehen? Sehr viel – zumal es bis jetzt noch keine steuer lichen Anreize gibt. Dabei sollte es meiner Meinung nach genau umgekehrt sein: Jemand, der schlecht produziert und unfaire Arbeits bedingungen schafft, sollte mehr Steuern zahlen müssen als jemand, der nachhaltig produziert. Trotzdem habe ich die Vision, dariadéh zu einem Konkurrenten für Fast Fashion und vor allem skalierbar zu machen. Ich will zeigen: Ja, man kann ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst ein Unternehmen aufziehen. 29
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ALISON’S ADVENTURES/CONNER GUEST PHOTOGRAPHER, SARAH LEE
Blick nach vorn: Auf ihren Reisen (hier in Jordanien) zeigt Teal die Schönheit der Natur und warnt vor deren Zerstörung.
Eins mit dem Ozean: In ihrer Wahlheimat Hawaii stürzt sich Teal oft in die Fluten. Unter wegs hat sie stets ein rosa Surfboard dabei. 30
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ALISON IM WUNDERLAND Die Videos der Amerika nerin Alison Teal sind so unterhaltsam, dass sie die Welt verändern: Die 30 Millionen Likes, die ihre Filme allein auf TikTok sammelten, können in zwischen ordentlich Druck aufbauen. So half ihre A rbeit etwa, ein Verbot von Plastiktüten in Kalifor nien durchzusetzen. TE XT: Ma ximilian Reich
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s war früh klar, dass Alison Teal Aben teurerin werden würde. Sehr früh. „Ich bin praktisch in ein Abenteuer hineingeboren“, sagt die Amerikane rin. „Meine Eltern waren in den Rocky Mountains. Ein Schneesturm tobte, und meine Mutter entschied, mich auf dem Boden einer Blockhütte zur Welt zu bringen. Das war wie eine Vorsehung für mein Leben.“ Alison Teal ist heute Weltreisende in Sachen Umweltschutz. Ihren Videos („Alison’s Adventures“) folgen allein auf TikTok inzwischen über eine Million Menschen. „Das Tolle an Social Media ist, dass mir niemand vorschreibt, was ich zeigen soll“, sagt sie. „Ich kann scho ckierende Bilder posten, die um die Welt gehen, und helfen, Umweltgesetze zu ändern.“ Ein Video, in dem sie in Los Angeles auf ihrem Markenzeichen, einem rosa Surfbrett aus recycelten Kaffeekapseln, durch einen zugemüllten Fluss paddelt, half dabei, ein Gesetz durchzubringen, das Plastiktüten in Kalifornien verbietet. Ein anderes sorgte dafür, dass in Hawaii erst jüngst bestimmte Sonnencremes, die im Verdacht stehen, das Korallen sterben zu verursachen, aus dem Verkehr gezogen wurden. Erfolge, die nicht
unbemerkt blieben: Das US-Nachrich tenmagazin „Time“ bezeichnete sie als „weiblichen Indiana Jones“. Und 2019 wurde sie eingeladen, in einem TED Talk über ihr Projekt zu sprechen. Warum Alison die Rolle als InternetStar so liegt, ist schnell erklärt: Die Begabung liegt in der Familie. Papa ar beitete als Fotograf für das US-Magazin „National Geographic“. Auf Reisen nahm er die Familie mit und unterrichtete die Tochter selbst. In einem Alter, in dem andere Kinder Fahrradfahren üben, war Alison bereits im Basislager des Mount Everest, streichelte Alpakas in Peru und lernte, wie man mit Yak-Kot Feuer macht. Als Homebase baute sich die Familie eine Art Baumhaus auf Hawaii. „Unser Strom kommt von einer Solaranlage, und unser Truck läuft mit Gemüseöl“, sagt sie und lacht. Eigentlich lacht Alison ständig. Es scheint fast ausgeschlossen, dass sie je schlechte Laune hat. Kunststück, bei der Umgebung. Ein Schlüsselerlebnis in Sachen Job hatte Alison 2013: Da nahm sie bei „Naked and Afraid“ teil, einer RealityShow auf Discovery Channel, in der sie 21 Tage auf einer einsamen Insel der Malediven verbringen musste. „Ich saß fast einen Monat am Strand und sah, wie Plastikmüll aus der ganzen Welt angespült wurde.“ Nach dem Ende der Show kehrte sie mit einer Kamera zurück und drehte ein Video über „Trash Island“ – eine künstliche Insel der Malediven, die als Mülldeponie genutzt wird. Sie postete den Film auf Facebook und lan dete prompt einen viralen Hit. Eine Auf räumaktion war die Folge. „Da merkte ich zum ersten Mal, was man mit Social Media bewegen kann.“ Sie änderte daraufhin das Konzept von „Alison’s Adventures“ und legt seit her den Fokus ihrer Filme auf die Natur schönheiten ihrer Reiseziele. „Wenn wir uns in die Natur verlieben, wollen wir sie auch schützen“, sagt sie. Egal, ob in der kanadischen Wild nis mit Grizzlybären oder auf einer Farm in Neuseeland: Witz und Augen zwinkern müssen immer dabei sein. „Ich bin schließlich keine Aktivistin, sondern Entertainerin. Du musst die Sachen mit Humor machen, dann wollen die Men schen sie auch sehen.“ Wie es weitergeht? Abwarten. Aber so, wie die Dinge bei Alison liegen, wird es sicher ein Abenteuer.
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TINY HOUSE
RAUM KAPSEL Unser Wohnraum wird knapper, erste deutsche Politiker fordern das Verbot von Einfamilienhäu sern. Die gute Nach richt: Fürs Leben auf kleinstem Raum gibt es smarte Lösungen – etwa Tiny Houses. Das Modell Ecocap sule misst 6,3 Quad ratmeter, bietet mit Küche, Bad und Bett aber alles, was man braucht. Für ein au tarkes Leben auf klei nem Fuß ist die Kap sel mit Solaranlage und Windrad aus gestattet. Der größte Vorteil: Sie lässt sich frei bewegen. Ab 79.000 Euro; ecocapsule.sk
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BESSER GR Ü N LEBEN Lastenräder mit Extra-Power, Designerstühle aus Fischer netzen, klappbare To-go-Becher: Diese Produkte erleichtern unser Leben – und erfreuen gleichzeitig die Umwelt. TEXT Wolfgang Westermeier
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THERMOSKANNE
GUTE FLASCHEN
Eine Flasche gegen die Plastikflut: Wer eine Ocean Bottle kauft, finanziert das Sammeln von 11,4 Kilo Plastikmüll, was etwa tausend Plastikflaschen entspricht. Ein Blockchain-ÜberweisungsSystem garantiert, dass die Sammler
fair bezahlt werden. Zusatzeffekt: Man ist selbst im Alltag noch weniger auf Plastikflaschen angewiesen. Die doppelwandige Thermosflasche aus Edelstahl ist clever konstruiert: Sie hält Temperaturen über Stunden konstant, im Verschlusssystem ist ein Trinkbecher
integriert, in die Spülmaschine darf sie auch. Und im Boden steckt ein NFC-Chip, der auf Wunsch bei jeder Nachfüllung auto matisch für die Plastiksammler spendet. 47,95 Euro; oceanbottle.com
NATUR SCHUTZ
Smartphones sind längst das Cockpit unseres Lebens. Um ihre Nachhaltigkeit ist es allerdings eher so lala bestellt. Gut, dass es erste Alternativen wie das Fairphone gibt. Mit dieser Schutzhülle des 34
OCEAN BOTTLE, DIZZCONCEPT.COM, 1521STORE.COM, GOMI.DESIGN
SMARTPHONE-HÜLLE
Labels 15:21 statt einer aus Kunststoff ist zumindest einmal ein Anfang gemacht. Diese ist nicht nur schockabsorbierend und besonders widerstandsfähig, sondern darüber hinaus aus nachwachsendem und somit ressourcenschonendem Kork. 39 Euro; 1521store.com INNOVATOR
ARBEITSPLATZ
ÖKONISCHE
Wer noch nicht be reit fürs Tiny House ist, kann schon mal mit dem kleinen Büro anfangen: Dieser mit einer Schiebetür ver schließbare Arbeits platz besteht kom plett aus natürlichen Materialien wie Holz, Kork, Wolle und Lino leum. Smarte Tech nik wie ein Luft befeuchter und UVStrahlen zur Bakte rienabwehr sorgen für ein angenehmes Klima. Gedacht ist die Nische etwa als Rückzugsort im Großraumbüro. Oder als Homeoffice? Preis auf Anfrage; dizzconcept.com
POWERBANK
KRAFT PAKET Perfektes Mitbring sel aus England: stylishe Powerbank aus recyceltem Plas tik, wobei Farbe und Muster bei jedem Exemplar einzigartig sind. Zum Laden kommen ungenutzte Batteriezellen zum Einsatz – zum Bei spiel aus ausran gierten E‑Scootern. INNOVATOR
Die Ladekapazität wird vorab geprüft und reicht aus, um ein Smartphone fünfmal aufzuladen. 69 Pfund; gomi.design
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GREEN ISSUE LASTEN-E-BIKE
RAD LADER
„Und wie soll ich meine Wasserkiste transportieren?“ Wenn es um die Existenz berechtigung von Autos geht, zählt dieses Argument schon lange nicht mehr – schließlich gibt es Lastenräder mit E-Motor. Nun können diese sogar noch größere Transporte übernehmen, was sie auch für Betriebe interessant macht: Bis zu 200 Kilo können die Loadster- Modelle des Herstellers Citkar schleppen, eine Kabine schützt den Fahrer vor Wind und Wetter. Preis auf Anfrage; citkar.com
SMART GIESSEN
Wer beim Gießen seines Gartens nicht immer den Schlauch in der Hand halten möchte, braucht ein Bewässerungssys-
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tem. Der Haken: Die meisten Modelle werden von einer simplen Zeitschaltuhr gesteuert und wässern auch dann noch, was das Zeug hält, wenn längst der Donner grollt. Die Cloudrain hingegen denkt dagegen mit – und bezieht Wind, Temperatur, Feuchtigkeit und Sonne in ihren Be-
CITKAR.COM, METTE JOHNSEN/WEHLERS, CLOUDRAIN.COM
BEWÄSSERUNG
wässerungsplan mit ein. So spart man bis zu 80 Prozent Wasser. Mit Kabeln oder Batterien muss man sich nicht rumschlagen: Der Controller speist sich aus Solarenergie, dazu gibt’s eine App. 242,49 Euro; cloudrain.de
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MÖBEL
NETZ WERK „Rum“ heißt dieser Stuhl – und wer da zuerst an Schnaps, wettergegerbte Gesichter und Seemannslieder denkt, der liegt gar nicht so falsch. Denn für diese Sitzgelegenheit hat das Kopenhagener Label Wehlers sogenannte „Geisternetze“ recycelt, also Fischernetze, die herrenlos durch die Weltmeere treiben. Daher auch der Name Rum, der für „Re-Used Materials“
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steht. Im Ozean verfangen sich Tiere in den Netzen, und ihre Fasern tragen zur Mikroplastik-Belastung bei. In jedem Stuhl stecken zwei Kilo Netze, die Stuhlbeine bestehen aus recyceltem Stahl. Und natürlich ist das Möbel selbst ebenfalls recycelbar – damit die nächste Generation auf Designklassikern und nicht auf Müllbergen sitzt. 285,99 Euro; wehlers.com
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DESINFEKTION
DUFTE LÖSUNG
Endlich ein Desinfek tionsmittel, das we der nach Operations saal noch nach Schwarzbrennerei riecht. Die Produkte von Haan kommen stattdessen mit so exquisiten Düften wie „Dew of Dawn“ oder „Sunset Fleur“ daher. Ein kleines
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Licht gibt Signale, wie es um den Füll stand steht oder wann die Batterie aufgeladen werden möchte. Gut für die Umwelt ist der Spen der nicht nur, weil sich das Desinfek tionsmittel ein fach und unter Ver meidung von Plastik nachfüllen lässt. Das Unternehmen unterstützt mit sei nen Gewinnen Brun nenprojekte in Afrika und garantiert mit jedem verkauften Gerät 627 Liter sau beres Trinkwasser. Preis auf Anfrage; haanready.com
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TRINKBECHER
KLAPPT SUPER REINIGUNG
HAANREADY.COM, EVERDROP.DE, WEAREHUNU.COM
SAUBER, SAUBER Der Sauereien, die in herkömmlichen Reinigungsmitteln lange enthalten waren (und teilweise noch immer sind), wird man sich erst bewusst, wenn man sich durchliest, was in diesen alternativen Produkten alles nicht drinnen ist. Mikroplastik, Acrylate, Phosphate und Chlor etwa. Aber neben den umweltfreundlichen Inhaltsstoffen gibt es noch weitere Argumente für die nachhaltigen Saubermacher des Münchener Startups. Statt am Ende INNOVATOR
einer Lieferkette zu stehen, die hekto literweise Glasreiniger in Einweg-Plastikflaschen durch die Nation fährt, lässt man sich hier einfach ein paar Tabs nach Hause schicken. Die löst man in 500 Milliliter Wasser – und wischt los. Das spart nicht nur jede Menge CO2 , sondern obendrein noch Geld. Gibt es auch für Spülund Waschmaschine.
Hand aufs Herz: Wer hat im Alltag schon immer einen Mehrwegbecher dabei, um auch bei spontan auftretender Heiß getränkelust die Umwelt zu schonen? Der Hunu Cup macht es einem leichter denn je: Der faltbare und giftstofffreie Silikon becher ist im ein geklappten Zustand nur zwei Zentimeter hoch, passt also wirklich in fast jede Hosentasche. Trotzdem fasst er
Cappuccino-taug liche 265 Milliliter. Und nach dem Trinken? Wandert der Becher bedenkenlos wieder zurück in die Tasche. Denn er ist so konstruiert, dass die Trinköffnung beim Zusammen falten verschlossen wird. Entwickelt als Crowdfunding-Projekt in London, ist der Hunu-Becher nun in über 70 Ländern weltweit erhältlich. 20,95 Euro; wearehunu.com
Putzmittel-Starterset 34,99 Euro; everdrop.de
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10 IDEEN FÜR EINE BESSERE WELT GETTY IMAGES, MINDFUL MISSION
L aufen un d dab ei Bäume pflanzen , Kaugummi aus biologisch em Anbau , Altkleide r als we r t volle r Rohs tof f: ze hn inspirieren de Gesch äf t sm o delle , die auch für unse ren Plan eten ein Gewinn sin d . T E X T: M A R C B A U M A N N , D AV I D M AY E R
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MINDFUL MISSION
PRIMA FÜRS KLIMA Karim Abdel-Baky ist ein bemerkenswert gut gelaunter Mensch. Nur eine Frage im Interview lässt ihn kurz ernst werden: „Glauben Sie, dass wir den Klimawandel noch rechtzeitig stoppen können?“ Nach einer kurzen Nachdenkpause antwortet Abdel-Baky: „Ich bin überzeugt, durch Technologie und Verhaltensänderung können wir das gewaltige Problem lösen.“ Der 24-Jährige und sein 23-jähriger Mitgründer Christoph Rebernig wollen ihren Teil dazu beitragen – ihr Ziel sind eine Million Abonnenten für ihr Start-up „mindful mission“. Mit 8 Euro im Monat kann man damit seinen CO2-Fußabdruck ausgleichen. mindful mission berechnet, wie viel CO2 man verbraucht, und finanziert im Gegenzug dann Klimaschutzprojekte, die CO2 einsparen. „Unser Motto ist dabei: erst vermeiden, dann kompensieren.“ Als ein Kreuzfahrtunternehmen seine CO2-Bilanz mit mindful mission verbessern wollte, lehnten
Sieht doch gleich besser aus: Auf der hübschen mindfulmission-App kann der Nutzer seine Fortschritte sehen. INNOVATOR
Männer mit Mission: Karim Abdel-Baky, 24, (o.) und Christoph Rebernig, 23, wollen CO2 -Fußabdrücke verkleinern.
Abdel-Baky und Rebernig ab, weil sie keine Möglichkeit sahen, bei dem Konzern CO2Emissionen zu reduzieren. „Wir haben viel Zeit in einen Algorithmus investiert, der jedem Nutzer regelmäßig Tipps gibt, wie er seinen Fußabdruck reduzieren kann“, sagt Abdel-Baky. Kurz vor dem Abitur nahm seine Klasse den Klimawandel durch, und er bemerkte: Niemand wusste, wie groß sein CO2-Fußabdruck ist. Aber wie soll man etwas bekämpfen, was man nicht kennt? Seither beschäftigt ihn das Thema. Und wie sparen die beiden CO2? Abdel-Baky ernährt sich überwiegend vegan und fährt schon mal 15 Stunden Zug, um einen Flug zu sparen. Eine Fernreise gönnte er sich aber: nach Kalifornien, zu einer einmonatigen Start-up-Schulung. mindfulmission.earth
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Gesunder Kreislauf: Aus alter Kleidung recycelt Alina B assi, 31, ein Material, aus dem sich Mode oder Möbel fertigen lassen.
KLEIDERLY
Als Alina Bassi Verwandte im afrikanischen Tansania besuchte, fielen ihr Marktstände auf, die gebrauchte Kleidung aus Europa verkauften. „Werden die das alles los?“, fragte sich die in Berlin lebende Britin. Sie begann zu recherchieren und war geschockt: 87 Prozent unserer Kleidung landet auf Müllhalden, ein voller Lastwagen pro Sekunde, wo sie wegen des hohen Plastikanteils bis zu 200 Jahre lang nicht verrottet, oder sie wird verbrannt und verursacht Unmengen CO2. Das kam der Chemieingenieurin so sinnlos vor, dass sie jahrelang an einer Recylingmethode tüftelte. Nun macht sie aus Altkleidern ein plastikähnliches Material, das sie als Rohstoff verkauft. Daraus entsteht neue Mode, aber auch Kleiderbügel oder Möbel. Kreislauf statt Vernichtung. Ihre 2018 gegründete Firma Kleiderly hat erst sieben MitarbeiterInnen, aber die Industrie signalisiert großes Interesse. Der Name Kleiderly ist eine Hommage an Deutschland, ihre neue Heimat. Dass das sehr niedlich klingt angesichts des Problems, das die Firma löst, erfuhr Bassi erst später. „So gut war mein Deutsch nicht.“ kleiderly.com
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MIT EINER PATENTIERTEN METHODE VERWANDELN SICH ALTKLEIDER IN EINEN ROHSTOFF. INNOVATOR
JONAS HOLTHAUS, FORSUPERHEROES.COM
GIB STOFF!
FOR SUPER HEROES
AB JETZT IMMER FLÜSSIG
EPAP
WEG MIT DEM WISCH
Das kann man als Jung-Un ternehmer auch mal machen: auf seine Eltern hören. Ur sprünglich wollten Friedrich Klinger und seine Mitstreiter eine Ernährungs-App starten. „Aber wenn selbst die Eltern nach zwei Wochen aufhören, sie zu nutzen, ist das bezeich nend“, erzählt er. Nach dem Rückschlag fiel ihnen auf, dass die Lebensmittel in ihren Kühlschränken oft vergam melten, weil sie nicht zum Kochen kamen. So entstand die Idee für For Super Heros: Trinkmahl zeiten für alle, die es eilig haben, sich trotzdem gesund ernähren und Ressourcen schonen wollen. Sie bestehen aus rein pflanzlichen Zutaten wie Beeren, Nüssen oder Al gen, die nach saisonaler Ernte gefriergetrocknet werden. Das Pulver 30 Sekunden mit
Wasser aufgießen, umrüh ren – fertig sind Smoothie oder Shake. Bislang sind ihre Mahlzeiten alle süß, bald sollen herzhafte Varianten folgen. „Eines Tages möchten wir alle Fast-Food-Produkte gesund herstellen“, so Klinger. Klingt nach einer Aufgabe für Superhelden. forsuperheroes.com
Food-Revoluzzer (v. l.): die drei Gründer von For Super Heroes Friedrich Klinger, 25, Fabio Schasse de Araujo, 29, Simon Breidert, 36
Bei der Wahl zum deutsches ten aller deutschen Worte hat die „Belegausgabepflicht“ gute Siegchancen. Wie sehr das nach Amtsstube und Currywurstflecken auf Kurz armhemden klingt! Man kann die 2020 eingeführte Beleg ausgabepflicht aber auch als Basis für ein Start-up nutzen, indem man die gedruckten Kassenzettel im Einzelhandel durch eine digitale Spielart er
setzt. Man empfängt die Rech nung auf der epap-App und spart so bergeweise Papier. Die Idee dazu kam MitGründer Sebastian Berger im Auslandssemester. Den Ord nungsfan machten insbeson dere die langen Kassenzettel bei Ikea wahnsinnig. Das musste doch schlauer gehen. Drei andere Studenten dach ten das auch, und so entstand das gemeinsame Start-up.
epap funktioniert schon mit 18 der 20 großen Kassen hersteller in Deutschland. Die Integration erfolgt über die Kassensoftware, die An schaffung oder Befestigung eines Zusatzgeräts ist nicht nötig. Händler, die epap ein setzen, zahlen eine Gebühr, für Kunden soll es bald kos tenpflichtige Zusatzangebote geben – wie ein digitales Haushaltsbuch. epap.app
Machen Kasse: die epap-Gründer Fabian Gruß, 27, Sebastian Berger, 25, Gerd Trang, 28, und Jannis Dust, 20
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Athleten mit Vision: Laurent Petit, 33, (l.) und Till Harnos, 34, kombinieren Freizeitsport mit Umweltschutz.
ACTIVE GIVING
LAUFEND PFLANZEN Hat jemand die Handynummer von Cristiano Ronaldo? Dann bitte bei Laurent Petit melden. „Es wäre mein Traum, ihn für unseren guten Zweck zu gewinnen, aber noch traue ich mich nicht, jemand so Berühmten zu fragen“, sagt der 33-jährige Belgier. Beim Berühmtwerden ist es wie beim Laufen – kleine Schritte führen zum Ziel. Vor vier Jahren zog Petit nach Berlin. Er trat einer Laufgruppe bei und beschäftigte sich mit dem Thema Umweltschutz. So entstand die Idee, den Communitygedanken der Läufe mit Nachhaltigkeit zu verbinden. „Meine Freunde nutzten Fitness-Apps, die kein höheres Ziel hatten, als fit zu bleiben. Das wollte ich ändern.“ Petit ging auf Betriebe zu: „Ich sagte, ich habe 250 Leute, die laufen wollen, wie wäre es, wenn ihr für die zurückgelegten Kilometer Bäume pflanzt?“ Die Idee kam an, zwei Mitgründer stießen dazu. Seit Juni 2020 ist die App fertig, wer mit ihr läuft, kann laufend Bäume pflanzen – finanziert durch Unternehmen, die in der App Werbung schalten. Auch Rad fahren, Surfen, Yoga oder Schwimmen zählen. Nach sechs Monaten hatten 13.000 aktive User mehr als 160.000 Bäume gepflanzt. Das müsste mal jemand Cristiano Ronaldo erzählen. activegiving.de
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FOREST GUM
KAU DICH GLÜCKLICH Manchmal lohnt es sich, in Vorlesungen aufzupassen (okay, fast immer). Thomas Krämer, 40, jedenfalls hörte gut zu, als sein Professor in einem Seminar über Forstwirtschaft über Chicle sprach, einen Baumsaft, den man in Zentralamerika schon vor 500 Jahren wie Kaugummis kaute. Das, sagt Krämer, hat sich leider geändert: „99 Prozent der Leute wissen nicht,
dass wir bei heutigen Kaugummis auf Plastik rumkauen, hergestellt aus Erdöl. Denn die Inhaltsstoffe werden maximal verschleiert.“ Krämer wollte es besser machen: „Niemand hinters Licht führen, keine Müllberge, fair produzieren.“ Knapp eine halbe Milliarde Euro ist der Kaugummimarkt in Deutschland groß, 80 Prozent davon räumt der US-Konzern Mars mit verschiedenen Marken ab. Krämers Konkurrenz-Idee: zurück zur Natur. Er begann, selbst Kaugummi zu kochen. Dass man Pfeffer minze sanft dosieren muss, lernte er auf die harte Tour – mit tränenden Augen und aufgerissenen Fenstern. Er reiste zu Chicle-Produzenten, gewann deren Vertrauen. 2019 gründete er Forest Gum – zur Herstellung von Kaugummi aus nachhaltiger Forstwirt-
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Beauty-Pionierin: Jennifer Baum-Minkus, 36, will Nachhaltigkeit in der Kosmetikbranche vorantreiben.
GITTI
PATRYCIA LUKAS/AL-PR.DE
Rock ’n’ Chew: Diese beiden Herren sind nicht die Gründer von Forest Gum, verkörpern den disruptiven Spirit des Start-ups aber auf den Punkt.
schaft. Heute gibt es Forest Gum in zwei Geschmacksrichtungen (Minze und Beeren) bereits bei großen Ketten wie Rewe, Rossmann und Müller. Dass Forrest Gump bestimmt Forest Gum kauen würde, war Thomas Krämer bei der Namensfindung übrigens gar nicht bewusst. An den berühmten, fast gleich namigen Hollywood-Hit hatte er überhaupt nicht gedacht. forestgum.de
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GOOD LACK Manchmal ist die innere Stimme der beste Karriere-Coach. Etwa im Fall von Jennifer Baum-Minkus. Als sie Anfang 2018 mit Freunden in einem Berliner Lokal saß und die Frage aufkam, was jeder tun würde, wenn er keine Angst hätte, schoss ihr – zur eigenen Überraschung – „Glitzernagellack“ in den Kopf. Es auszusprechen traute sie sich nicht, doch gleich nach ihrer Heimkehr morgens um vier recherchierte sie und konnte kaum fassen, wie viele Schadstoffe gängige Produkte beinhalten, die im Verdacht stehen, Krebs und Unfruchtbarkeit zu verursachen. Vom CO2-Fußabdruck der Verpackungen ganz zu schweigen. Ihren Konzern-Job bei CocaCola hatte sie – ebenfalls aus dem Bauch heraus – ohnehin
gerade gekündigt, also machte sie sich an die Arbeit. Eineinhalb Jahre entwickelte sie mit einem Labor eine Nagelfarbe, die zu 55 Prozent auf Wasser basiert. „Damit er sich genauso gut auftragen lässt wie konventionelle Produkte, müssen die Farbpigmente im Wasser stabil bleiben können“, erklärt Baum-Minkus. Das chemische Kunststück gelang, die erste Kollektion ihres Labels Gitti war 2019 binnen zwei Wochen ausverkauft. Ohne 16 giftige Stoffe kommen die Nagelfarben bereits aus, 100 Prozent Schadstofffreiheit ist das Ziel. Über 20 Mitarbeiter zählt das Team, zum Sortiment zählen auch Handpflegeprodukte. Derzeit arbeitet Baum-Minkus an der ultimativ nachhaltigen und dennoch stylischen Verpackung. Ihrer inneren Stimme gefällt das. gitticonsciousbeauty.de
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Höhenflug: Als MitGründerin eines Space-Start-ups schaffte es Kristina Nikolaus, 26, in die „30 under 30“-Liste des US-Magazins Forbes.
OKAPIORBITS.SPACE
ALL STARS Ein Metallstück mit einem Durchmesser von einem Zentimeter wirkt nicht sehr bedrohlich. Außer es rast mit 28.000 km/h durch die Gegend. Rund 900.000 Teilchen Elektroschrott wie inaktive Satelliten, Raketen oberstufen oder eben kleinste Kollisionsfragmente um kreisen die Erde inzwischen. Sie können Satelliten stören oder zerstören. So sehen also Abfallprobleme im All aus – und erste Start-ups arbeiten bereits an Lösungen. Zum Beispiel okapiorbits. space, hervorgegangen aus der Technischen Universität Braunschweig. Gegen Bezah lung bietet das Forscher-Team Kollisionswarnungen und Empfehlungen für Ausweich manöver mit einer Sicherheit von stolzen 99,999 Prozent. Dafür wertet eine Künstliche Intelligenz GPS-Daten von Satelliten aus, Datenkataloge und Observationsdaten. „Im Low Earth Orbit zwi schen 400 und 900 Kilometer Höhe um die Erde ist super viel los“, sagt Mit-Gründerin Kristina Nikolaus. Kollisionen sind selten, die kommerzielle Raumfahrt dürfte das Risiko aber erhöhen. Für noch mehr Nachhaltigkeit im Erd-Orbit könnten eines Tages Roboter arme den Schrott einsammeln, aber hier steht die Forschung noch am Anfang. okapiorbits.space
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EINES TAGES KÖNNTEN IM WELTALL ROBOTERARME DEN SCHROTT EINSAMMELN.
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SIRPLUS
ESSEN RETTEN Verkäufer mit Botschaft: Raphael Fellmer, 37, verhindert Lebensmittelverschwendung.
KLANG GAMES
RUEDIGER GLATZ, JULIAN GLAAB, MARKTHALLE NEUN/SIRPLUS GMBH
NEUE WELT
Drei Isländer in Berlin (v. o.): die Klang-Gründer Oddur Snær Magnússon, 40, Mundi Vondi, 34, und Ívar Emilsson, 36
Ívar Emilsson ist Experte für Neuanfänge. Aufgewachsen in Island, studierte er in Schottland, arbeitete in Shanghai und landete im Winter 2012 als Spieleentwickler in Berlin. Sein erster Eindruck? „Grau, morbid, furchtbar.“ Doch mit dem Frühling erwachte seine Liebe zur Stadt und er startete mit zwei Co-Gründern die Gaming-Schmiede Klang Games. Seit 2017 entwickeln sie „Seed“ – ein Spiel, das, Überraschung!, von einem Neuanfang handelt. Überlebende einer Erd katastrophe gründen eine Weltraum-Kolonie mit diversen Ökosystemen und Wetterkapriolen. Die Spieler entwickeln eine eigene Gesellschaftsform und müssen Wege finden, mit den Ressourcen umzugehen. Ein Versuchslabor, eine Vision, „eine nischige Nische“, so Emilsson. Aber daraus entstehen ja oft die größten Hits. 2022 soll „Seed“ als Beta-Version starten. klang-games.com
Eine Weltreise ohne Geld, ein Konsumstreik mit Frau und zwei Kindern, ein Buch über das Leben mit bewusstem Verzicht: An Ideen mangelt es Raphael Fellmer, 37, nicht, um für sein Herzensthema zu werben – den Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. „Mit nur einem Viertel unserer Nahrungsabfälle könnten wir alle Hungernden der Erde versorgen“, sagt er. Allein in Deutschland werden pro Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet, das verursacht vier Prozent der bundesweit produzierten Treibhausgase. „Manche Produkte landen nur im Müll, weil etwa das Design ihrer Verpackung veraltet ist oder weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum abzulaufen droht“, sagt Fellmer, dabei sei vieles sogar noch Jahre später genießbar. Die von ihm mitgegründete Bewegung foodsharing.de vermittelt nun aussortierte, aber noch genießbare Lebensmittel kostenlos weiter. Tausende Betriebe spenden entsprechende Produkte, über 100.000 Freiwillige helfen. Und weil trotzdem noch Millionen Tonnen übrig bleiben, gründete Fellmer Sirplus, einen Supermarkt mit Filialen in Berlin und einem bundesweit liefernden OnlineShop, in dem jeder die vorab auf Qualität kontrollierten Lebensmittel günstig kaufen oder im Abo beziehen kann. So kann wirklich jeder dabei helfen, das von der Bundesregierung ausgerufene Ziel zu erreichen, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent zu reduzieren. sirplus.de
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Klarer Fahrplan: Seinen Weg als NachhaltigkeitsEntrepreneur plante Nico Rosberg noch als Formel-1-Pilot. 48
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GREEN ISSUE
I C H WA R B E I
F R I D AY S FOR FUTURE Text Werner Jessner
Fotos Tom Ziora
Nico Rosberg, 35, ist der letzte Rennfahrer, der Lewis Hamilton in der Formel-1-WM besiegen konnte. Danach trat er zurück und vertritt jetzt als Unternehmer und Gründer „grüne“ Werte. Interview mit einem geläuterten Egoisten.
Es ist ein Prozess, der schon während meiner aktiven Karriere begann. Ich arbeitete eng mit einem Psychologen zusammen, und in der gemeinsamen Arbeit wurde deutlich, wie viel Kraft man daraus beziehen kann, wenn man Gutes tut und an andere denkt. Heute weiß ich: Es fühlt sich unglaublich toll an, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, und es reißt meine gesamte Mannschaft mit.
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the red bulletin innovator: Du bezeichnest dich als „Nach haltigkeitsunternehmer“. Was genau verstehst du darunter? nico rosberg: Das ist ein wertebasierter Unternehmer. Jemand, der nicht nur gewinnorientiert denkt, sondern versucht, mit seinen Investments positiv auf die Gesellschaft oder auch auf die Umwelt zu wirken. Wie kam es dazu? Dieses Versprechen habe ich mir noch während meiner Formel-1- Karriere gegeben: Nach der egogetriebenen Phase würde eine kommen, in der ich etwas fürs große Ganze tue. Ich spürte, dass etwas fehlte. Man wacht eines Tages auf und denkt plötzlich an die All gemeinheit statt nur an den eigenen Erfolg?
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Kann man sich als Rennfahrer, der gegen Lewis Hamilton um die WM kämpft, Altruismus überhaupt leisten? Als Sportler musst du Egoist sein, um Erfolg zu haben. Aber selbst da kann man versuchen, eine gewisse Balance zu finden. Man braucht die Rückendeckung des Teams, der Fans. Ganz allein geht gar nichts. War auch schlechtes Gewissen dabei, das dich vom Im-Kreis-Fahren zur Nachhaltigkeit gebracht hat? Ganz klar: nein. Ich bin stolz auf meine Erfolge im Rennsport. Und man darf nicht vergessen, wie viele Innovationen in der Mobilität ihren Ursprung im Motorsport haben. Sparsame, kompakte Turbomotoren, Hybridantrieb, Leichtbau durch Carbonfasern – all das hat in der Formel 1 begonnen. Welche Idee steckt hinter der Renn serie Extreme E? In der Extreme E fahren wir mit ElektroBuggies Rennen in fünf Weltregionen, die vom Klimawandel unmittelbar betroffen sind. Im Amazonas, wo Wälder gerodet werden, oder im Senegal, wo die Plastikverschmutzung der Meere ein riesiges Thema ist. Extreme E verbindet meine zwei Leidenschaften: Nachhaltigkeit und Rennsport. Wir sind ein wertebasiertes Rennteam und somit hoffentlich eine In spiration für andere Sportmannschaften. Sport hat eine unglaubliche Emotionalität, und die sollte man für das große Ganze nutzen: Gutes tun, die große Masse auf den richtigen Weg leiten, Vorbild sein. Was sind die Kernwerte, die Extreme E vertritt? Ein Beispiel: Wir garantieren, dass wir die Orte, an denen wir unsere Rennen fahren, in einem besseren Zustand ver lassen, als wir sie vorgefunden haben. Aufmerksamkeit für den Klimawandel ist das eine, aber die unmittelbare Aktion vor Ort, die Unterstützung der Menschen dort ist mindestens ebenso wichtig. Ende 2020 waren wir in Spanien beim Testen. Wir als Team haben das führende Aufforstungsunternehmen des Landes
Stets im Bild: Heute ist Nico Rosberg auch als Investor der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ bekannt.
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„Das Potenzial, Geld zu verdienen, ist genauso wichtig wie das Potenzial, Gutes zu tun.“
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ontaktiert und eine Partnerschaft ge k schlossen. Ein Deal mit der Rennstrecke stellt sicher, dass ein Teil mit Bäumen be pflanzt wird. Die ersten 100 haben wir ei genhändig gesetzt. Ein kleiner Schritt, zu gegeben, aber er illustriert, wie wir denken. Auffällig viele deiner Investments drehen sich um Mobilität. Meinst du, man sollte sich nur in Bereichen engagieren, von denen man eine Ahnung hat? Mobilität ist natürlich mein Zuhause. Hier ist meine Leidenschaft, mein Netzwerk, meine Glaubwürdigkeit. Und es wird im nächsten Jahrzehnt ein riesiges Thema bleiben: Energiewende, Elektromobilität, vielleicht auch Wasserstoff. Von meinen 20 Investments sind drei auf dem Weg zum Unicorn (Investoren-Fachbegriff für Unternehmen mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar, Anm. d. Red.). Alle drei haben mit Mobilität zu tun: Formula E, Lilium (elektrisches Lufttaxi) und Tier (E-Scooter-Sharing). Aber ich blicke durchaus über den Tellerrand: Der Food-Bereich interessiert mich sehr, auch das aus innerer Überzeugung. Ich bin Gesundheitsfanatiker. Gibt es ein Lieblingsprojekt, das unverhofft zum Erfolg wurde? Der E-Scooter-Bereich mit Tier war so eine Geschichte. Der Markt ist wahnsin nig umkämpft, amerikanische Konzerne pumpen da Milliarden rein. Anfangs gab es keine Regulierungen in den Städten, daher war das Risiko enorm. Vor kurzem ist der japanische Riesenkonzern Soft bank bei uns eingestiegen, und zwar mit 250 Millionen Dollar. Tier ist weltweit auf Platz 2 in seiner Branche und Markt führer in Europa. Es ist schon irre, wie das abgegangen ist in den letzten Jahren. Und es zeigt die Kompetenz der Gründer, in einem so umkämpften Markt so erfolg reich zu sein. Mit welcher Geschäftsidee, mit welchen Qualitäten kann ein neues Projekt Nico Rosberg als Investor gewinnen? Die Geschäftsidee muss erstens funktio nieren und zweitens wertebasiert sein. Das Potenzial, Geld zu verdienen, ist ge nauso wichtig wie das Potenzial, Gutes zu tun. Darüber hinaus muss ich mit den Gründern auf einer Wellenlänge sein. Und sie dürfen nicht stur und von sich selbst eingenommen sein. Jedes junge Unternehmen wird sein Geschäftsmodell mindestens einmal umbauen müssen, um sich an das eigene Wachstum anzupassen. Dafür braucht es Flexibilität. Dann inter
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essiert mich, welche Co-Investo ren bereits an Bord sind. Siehst du dich denn als reinen Investor? Nein, ich bin auch selbst Gründer. Das Greentech-Festival, eine Messe für grüne Technologien, stammt von mir, und auch hier sind wir in kürzester Zeit zu ei nem der führenden Festivals in Europa geworden. Von GoogleCEO Sundar Pichai bis EU-Kom missionspräsidentin Ursula von der Leyen sind echte Hochkaräter bei uns aufgetreten. Sind Solarparks und alternative Antriebe inzwischen bereits bessere Investments als Tabak und Waffen? Ja, absolut. Der Hype in der Invest ment-Branche sind genau solche Unternehmen. Und das ist so cool, denn das wird die Energiewende dramatisch beschleunigen! In den nächsten fünf bis zehn J ahren liegt die größte Rendite genau in diesen Themenfeldern. Und letz ten Endes spielt hier auch „Fridays for Future“ rein. Wie genau? Ich kenne das aus meinem per sönlichen Umfeld: Die Kids eines großen CEO kommen am Freitag von der Demo nach Hause und fragen: „Papa, welchen Beitrag leistest du zur Klimawende? Du hast doch alle Möglichkeiten! So kann das nicht weitergehen!“ Und prompt wird das in der Vorstands sitzung in der Woche darauf zum Top-Thema. Man darf die Power der Kids nicht unterschätzen. Die Kids würden schön schauen, wenn plötzlich mit Nico
DAT E N ABFRAGE 6 Alter, in dem Nico Rosberg erstmals in einem Kart saß.
23 Siege fuhr Rosberg in der Formel 1 in zehn Jahren ein.
910.000 Abonnenten zählt Rosbergs YouTube-Kanal.
35.000 Besucher kamen 2019 zur Premiere seines Greentech-Festivals.
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„Sport hat eine unglaubliche Emotionalität, und die sollte man für das grosse Ganze nutzen.“
Mal investierte Rosberg bereits in verschiedene Start-ups.
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ein guter Indikator, wie weit wir auf dem Weg bereits sind, wie akzeptiert E‑Mobilität mittlerweile ist. Jetzt müssen wir nur noch den allerletzten Petrolhead überzeugen, nämlich Rallye-Weltmeister Walter Röhrl. Aber das schaffen wir auch noch. (Lacht.) Was kann man Leuten raten, die nicht sicher sind, ob E-Mobilität für sie das Passende ist? Sich mit dem Thema auseinanderzu setzen und sich undogmatisch zu in formieren. Nicht jeder muss ein E-Auto kaufen. In vielen Bereichen ist E-Mobilität heute der konventionellen bereits überlegen, aber es hängt immer von den persönlichen Bedürfnissen ab. Im innerstädtischen Bereich kann ein E-Auto bereits heute über fünf Jahre gerechnet die günstigste Variante sein.
GEPA PICTURES/RED BULL CONTENT POOL, TEAM NICO ROSBERG
Oben: Rosberg nach seinem Formel-1-Sieg 2014 in Österreich. Unten: Mit diesem voll elektrischen SUV startet Rosbergs Team aktuell in der Rennserie Extreme E.
Rosberg, ein ehemaliger Formel‑1-Weltmeister, bei „Fridays for F uture“ mit marschieren würde. Hab ich doch schon gemacht! Das war in Berlin, im Zuge meines Greentech-Festivals. Ich gebe zu, da war ich erst mal raus aus meiner Komfortzone. Als dann ein neunjähriger Junge neben mir auf der Bühne stand, war es faszinierend, zu spüren, mit welcher Leidenschaft er bei der Sache war. Das war Enthusiasmus wie in der Formel 1! Ich versuche, mit meiner Bekanntheit und meinem Netzwerk einen Beitrag zu leisten, dass diese Leidenschaft im breiten Publikum rüberkommt. Wie reagieren die Petrolheads auf einen grünen Abtrünnigen? Mein Vater (Keke Rosberg, F1Weltmeister 1982, Anm.) ist der ultimative Petrolhead. Als ich mich an der Formel E beteiligt habe, hat er mir auf den Kopf zugesagt, ich sei bescheuert. Inzwischen stellt er sich für jedes Rennen den Wecker, so ist er reingekippt. Leute wie er sind
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Was soll mit all den schönen alten Porsches und Ferraris passieren, die in den Garagen stehen? Ich hoffe sehr, dass es nach wie vor einen Platz dafür geben wird, Klassiker zu genießen. Das ist unsere Historie, da kommen wir her. Vielleicht gibt es einmal einen synthetischen Kraftstoff, der Benzin ersetzen kann. Ich finde, man muss altes Kulturgut erhalten. Wir sollten immer bessere Lösungen suchen, statt mit Verboten zu agieren. Besitzt du ein altes Auto? Ja, einen Mercedes 300 SL Gullwing. Daheim in Monaco bin ich im Alltag allerdings meist mit Mobee (Sharing-Dienst, Anm.) unterwegs, wo man kleine, elek trisch betriebene Renault Twizy mieten kann, die man auf Motorrad-Parkplätzen abstellen darf. Was kann die Mobilitätsbranche vom Motorsport lernen? Perfektion. Keine halben Lösungen. Und die Investment-Welt? Geschwindigkeit in den Entscheidungen. Gerade auch in der Politik wird zu viel geredet und zu wenig entschieden. Im Sport läuft es so: Diskussion – Entscheidung. Diskussion – Entscheidung. Das ist eine Stärke, die ich aus dem Sport ins Business mitbringe: Ich entscheide. Diese lähmende Betulichkeit gerade in großen Konzernen kann ich gar nicht leiden. 53
Neue Perspek tiven: Auch mit der Rennserie Extreme E engagiert sich Rosberg für Umweltschutz.
„Was die Investment-Welt vom Motorsport lernen kann? Geschwindigkeit in den Entscheidungen.“ 54
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Warum bloß fällt mir jetzt dein ehe maliger Teamchef Toto Wolff ein? Toto ist ein tolles Beispiel für einen Ma nager, der Entscheidungen trifft. Ein ech ter Leader. Und er setzt sehr stark auf das Empowerment seiner Mitarbeiter. Er agiert nicht wie ein Diktator, sondern gibt seinen Leuten Vertrauen und Verant wortung. Jeder fühlt sich stark und mutig – davon profitiert die gesamte Firma. Empathie und Anerkennung vom Chef sind ganz starke Triebfedern. Etwas, was ich in meiner Firma ebenfalls vorzuleben versuche. Wie konkret? Kleines Beispiel: Wir haben komplettes Homeoffice eingeführt, und das wird auch nach der Corona-Pandemie so blei ben. Das erlaubt zum Beispiel meinen deutschen Mitarbeitern, bei ihren Familien leben zu können und nicht nach Monaco oder Frankreich pendeln zu müssen. Sie fühlen sich wohl, und das ist in der Produktivität messbar. Wie werden wir 2040 unterwegs sein? Wir werden – jedenfalls in der westlichen Welt – überwiegend komplett emissions frei unterwegs sein, und zwar tatsächlich, nicht nur rechnerisch mithilfe von Kom pensationsmaßnahmen. Darüber hinaus wird es Mobilitätsketten geben. Wir wer den eine einzige Mobilitäts-App haben, ein Von-A-nach-B-Abo, so wie Netflix. Dieses Mobilitäts-Netflix wird mir die Transportkette bereitstellen. Von Berlin nach Hamburg? E-Scooter bis zum Zug, in Hamburg steht die autonome Drohne bereit für den Weg zum Zielort, der etwas außerhalb der Stadt liegt. Am Abend fahre ich mit Car-Sharing zum Grillabend mit meinen Kumpels. Was löst diese Vorstellung bei dir aus? Ich freue mich drauf. Es wird uns allen einen großen Mehrwert geben. Diese Mobilitätskette führt – anders als heute – konsequent von Tür zu Tür. Exakt. Und genau hier muss man wach sein als Autoland Deutschland: Die Power des Geschäftsmodells liegt dann in der App, in der Software. Die Hardware- Hersteller verlieren genau wie einst die Handy-Industrie viel an Power. Deutsche Autohersteller müssen saumäßig auf passen, dass es ihnen nicht so geht wie seinerzeit Nokia. Ich möchte ihnen raten, dieses Software-Thema nicht von den Amerikanern oder Chinesen besetzen zu INNOVATOR
lassen, sondern dringend eigene Kompetenz aufzubauen. Werden wir 2040 so viel unter wegs sein wie in Zeiten vor Covid-19? Bis dahin wird es eine weitere In novation geben, auf die ich mich sehr freue: Wir werden virtuelle Konferenzen mit Hologrammen haben. Die fehlende menschliche Nähe bei Conference Calls werden wir damit virtuell hinkriegen. Aber wenn Reisen eines Tages komplett emissionsfrei sein wer den, spricht auch nichts dagegen, wieder unterwegs zu sein wie früher. Es macht ja auch Spaß! Wie wird man auf die heutige Gegenwart zurückblicken? Vielleicht so, wie wir heute auf die Formel 1 der 1960er-Jahre zurückschauen. Oder auf eine Zeit, in der man ohne Sicher heitsgurte unterwegs war. Wir werden froh sein, dass die Wende gekommen ist, und sagen, dass es viel sinnvoller ist als damals. Deine Töchter sind heute drei und fünf Jahre alt. Werden sie noch einen Führerschein machen? Ich vermute: die eine schon, die andere nicht. Aber das liegt eher an ihren unterschiedlichen Cha rakteren. Die eine ist eher drauf gängerisch und mutig, die andere eher vorsichtig und zurückhaltend. Gut, vielleicht sind 50 Prozent ja auch ein Indikator für die Ge schwindigkeit des Wandels. Was wäre das Ä quivalent zum Weltmeister-Titel in deiner Karriere als Nachhaltigkeits unternehmer? Die Größe des Impacts all meiner Projekte. Wie viele Menschen ich damit bewegt und inspiriert habe. Wie viel ich dazu beigetragen habe, etwas zum Besseren zu ver ändern. Die Latte liegt mit einem Formel-1-Titel natürlich hoch, aber die gute Nachricht ist, dass meine Karriere als Unternehmer deutlich länger dauern wird als die als Rennfahrer.
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JETZT GEHT’S RICHTIG RUND . .. Recycelte Autos, ewig haltbare Materialien, innovative Jobs – die Kreislaufwirtschaft hat ein großes Ziel: die Rettung unseres Planeten. Diese Zahlen zeigen, wie diese Vision Wirklichkeit werden kann. Wie können wir Produkte ent wickeln, die keine Ressourcen mehr verbrauchen? Wie dafür sor gen, dass Materialien nie weg geworfen, sondern immer wieder verwertet werden? Und wie können wir der Natur dabei helfen, sich von jenen Schäden zu erholen, die wir ihr durch hohen CO2-Verbrauch zu gefügt haben? Indem sie auf d iese Fragen Antworten finden, wollen
die Pioniere der Kreislaufwirtschaft einen Weg aus der Klimakrise fin den. Ein ehrgeiziges Ziel, aber ein machbares. Wenn alle mit an packen. Die Zahlen nebenan zei gen, welches Potenzial in den An sätzen steckt, welche Fortschritte es heute schon gibt, was jeder tun kann und warum die Kreislaufwirt schaft nicht nur für den Planeten eine gute Nachricht ist.
Text David Mayer
700.000
NEUE ARBEITSPLÄTZE könnten in der Europäischen Union auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft bis 2030 geschaffen werden – etwa in digitalen Feldern wie Internet der Dinge, Big Data oder Künstlicher Intelligenz.
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MINUTEN braucht es, um die besonders langlebigen Jeans des Labels Hiut Denim in Handarbeit zu fertigen (statt der industrie üblichen 11 Minuten). Nutzen sie sich ab, bietet der junge Waliser Betrieb Reparaturen und schont so Ressourcen wie Wasser und Baumwolle.
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JOHANNES LANG
LITER Getränke kann ein Lkw transportieren, wenn diese in PET-Flaschen oder Alu-Dosen abgefüllt sind, deren Material wiederverwertet werden kann. Weniger als die Hälfte (11.000 l) ist mit Glasflaschen möglich. Somit sind bei Va riante eins weniger Fahrten nötig – was CO2 einspart und damit im Sinne des Effizienzgedankens der Kreislaufwirtschaft ist.
PROZENT
CO2 -EMISSIONEN
kann die Kreislaufwirtschaft bis zum Jahr 2030 einsparen. 56
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EURO mehr Haushaltseinkommen pro Jahr könnte EU-Bürgern 2030 dank Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stehen – etwa weil Produkte durch effizien tere Fertigung günstiger werden und Menschen weniger unproduktive Zeit in Staus verbringen.
TONNEN GOLD
befinden sich verbaut in ausgedienten Smart phones in Deutschlands Schubladen. Wer die Geräte verkauft oder recyceln lässt, hilft, ihre Wertstoffe weiter sinnvoll einzusetzen.
TONNEN Kunststofffasern werden jährlich aus PET-Flaschen ge wonnen, aus denen die Textil industrie in der Folge Kleidung herstellen kann. Aktuell arbeiten Forscher daran, die Qualität der recycelten Fasern zu erhöhen.
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METER unter der Erde deponiert das Start-up Climeworks in Island CO2 , das es zuvor mit eigenen Filtern aus der Luft geholt hat. Weltweit stehen schon 14 solcher Anlagen, und weitere Gründer verfolgen ähnliche Konzepte. Ganz nach der Idee der Kreislaufwirtschaft: Lasst uns die Natur mit Innovationen aktiv heilen.
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DES ALUMINIUMS, das je produziert wurde, sind immer noch in Gebrauch, da es – ganz im Sinne der Kreislaufwirt schaft – lange hält und fast endlos recycelt werden kann. Übrigens: Die Recyclingrate für AluGetränkedosen in Deutschland beträgt 99 Prozent.
PROZENT eines in Europa gebauten Renault bestehen aus Recyclingmaterial. In einem neuen Werk will der Auto hersteller künftig pro Jahr 10.000 alte E-Autos zur Wiederverwertung demontieren.
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TAGE wächst das Pilzgeflecht heran, aus dem das Start-up-Unter nehmen Ecovative styropor ähnliche Verpackungen fertigt. Nach Gebrauch können sie einfach kom postiert werden und hinter lassen so keinen Müll.
QUELLEN Bund Getränkeverpackungen der Zukunft, Ecovative, Renault, Hiut Denim, Ellen MacArthur Foundation, EU-Kommission, Textil+Mode, Climeworks, NABU, Sphera, HDE, European Aluminium, Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung INNOVATOR
STÜCK
PLASTIKTÜTEN haben die Menschen in Deutschland 2019 im Schnitt verbraucht. Das macht Mut: 2015 waren es noch 68. Kreislaufwirtschaft will Materialien wie herkömmliches Plastik vermeiden, weil ihre Herstellung viel Energie verschlingt und sie als Abfall Umweltprobleme verursachen. 57
Erde an Rakete Noch keinen Föhn – der kommt erst etwas später zum Einsatz – bedient hier Suborbitals- Mitarbeiter Peter Scott. Dafür aber eine Antenne, die die Kommu nikation mit der Rakete ermöglicht.
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MIT DEM HAARFÖHN INS ALL TE XT: Reiner Kapeller FOTOS: Rober t Ormerod
Das Amateur-Raumfahrtprogramm Copenhagen Suborbitals will bis 2030 eine bemannte Rakete ins All schicken – ohne Geld und Hightech-Materialien, aber mit unkonventionellen Ideen und einem Motto, das kein Nein akzeptiert: Gib dich nicht mit A usreden zufrieden, sondern finde einen Weg.
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KOPENHAGEN, ZENTRALE
OSTSEE
SCHWEDEN
DÄNEMARK
SPACEPORT NEXØ
ABSCHUSSBASIS
E EIN SONNTAGVORMITTAG IM SOMMER 2018 AUF DER HALBINSEL REFSHALEØEN. Aus einer
Lagerhalle im Hafen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen tönt aufgeregtes Streitgespräch. Im Inneren der Halle stehen groß gewachsene Männer in ölverschmierten Blaumännern vor einer weißen, knapp sieben Meter hohen Rakete mit oranger Spitze. Auf der Rakete steht in großen schwarzen Buchstaben „Nexø II“.
Eigentlich sollte die Rakete bereits die interne Freigabe für die kommende Woche haben, doch jetzt hat ein Spezialkabel den Geist aufgegeben. Die Wartezeit für das neue Kabel beträgt eine Woche. Zu spät für die bereits von der Stadt erteilte Raketentest- Genehmigung. Das Fixieren eines neuen Termins
3, 2, 1 – Liftoff! Die 9,38 Meter hohe und 1630 Kilogramm schwere HEAT-1X- Rakete startete am 3. Juni 2011 von der mobilen Plattform Sputnik in der Ostsee.
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würde Wochen dauern. Die Männer vor der Rakete sind Maschinisten und Ingenieure des Amateur-Raumfahrtprogramms Copenhagen Sub orbitals. In den vergangenen Wochen haben sie die Nexø-II-Rakete für einenTestlauf vorbereitet. Jetzt droht er zu scheitern. Einer der Ingenieure streicht sich nachdenklich über seinen Dreitagebart: „Ich habe mal ein Kabel in meinem Auto r epariert. Das sah genauso aus. Vielleicht funktioniert es damit.“ Eine Stunde später kommt er vom Schrottplatz zurück. In der Hand hält er ein Bremskabel eines Fiat-Ducato-Lieferwagens. Das Kabel passt, die Ventile funktionieren. Die Tests können wie geplant starten. Für Mads Wilson erzählt diese Anekdote, wie bei Copenhagen Suborbi tals gearbeitet wird: „Wir a kzeptieren keine Ausreden. Wir suchen einen Weg, wie etwas doch funktionieren kann. Das ist Teil unserer DNA.“ Mads ist Sprecher und Vorstands mitglied des 2008 gegründeten Vereins Copenhagen Suborbitals. Sechs unbemannte Raketen haben die gut hundert Vereinsmitglieder bereits gestartet. Meist funktionierte alles nach Plan, etwa bei den Raketenstarts der H EAT-1X (2011), Sapphire (2013) oder Nexø II (2018). Manchmal gab es Teilerfolge. Die Nexø I (2016) lieferte Messdaten für ein neues R aketenleitsystem, erreichte aber nie die erhoffte Geschwindigkeit.
THOMAS PEDERSEN
BORNHOLM, DÄNEMARK
1 FA L L S C H I R M Der gut 150 m2 große Fallschirm der Raumkapsel Tycho Deep Space hängt nun im Suborbital- Museum. 2 T R I E BW E R K Beim TM65- Antrieb wurde erstmals die Treibstoff-Kombi Ethanol und Flüssigsauerstoff eingesetzt. 3 RAUMK APSEL Die Tycho Deep Space („Beautiful Betty“) bietet Platz für einen Astronauten.
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Einmal gab es eine Niederlage: 2014 ging der Antrieb der HEAT-2X-Rakete bei einem Teststart in Flammen auf. Mads Wilson: „Wir mussten zusehen, wie zwei Jahre Arbeit verbrannten. Aber fünf Minuten nach dem Feuer sahen wir schon wieder nach vorn: Okay, bauen wir halt noch eine.“ Mit den Erfahrungen von sechs Raketenstarts gehen die Suborbitals jetzt ihr größtes Projekt an. Mit der Spica- Rakete möchten sie bis 2030 einen Astronauten in einer Rakete auf 100 Kilometer Höhe bringen. Dort markiert die Kármán-Linie den Beginn des Weltraums. Auf die Erde zurück soll es in einer Kapsel gehen, die auf den letzten Kilometern vor
„DER STEUERCOMPUTER DER RAKETE BERECHNETE FRÜHER DIE KOSTEN FÜR EXTRA MAYO.“ der Landung von einem Fallschirm gebremst wird. Gelingt das Projekt, wäre Dänemark nach Russland, den USA und China die vierte Nation, die einen Astronauten in einer selbst gebauten Rakete ins Weltall schießt. Die Teammitglieder von Copenhagen Suborbitals kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Manche haben einen professionellen Weltraum-Hintergrund. Es gibt einen Ex-NASA- und einen Ex-ESA-Angestellten. Ein paar Mitarbeiter haben Satelliten-Komponenten für Dänemarks Technische Universität gebaut. 90 Prozent der Suborbitals besitzen jedoch keine Weltraumerfahrung. Unter ihnen finden sich Techniker, Ingenieure, Programmierer und PR-Leute. Auch ein Kindergarten pädagoge und ein Physiotherapeut gehören zum Team. Sie alle haben ein Faible dafür, Dinge zu sammeln, auseinanderzunehmen und neu 62
z usammenzubauen. Oft sitzen sie am Abend nach der Arbeit oder am Wochenende in zwei insgesamt tausend Quadratmeter großen und bis oben hin mit Technikschrott und Ersatzteilen vollgepackten Hallen. „Alle a rbeiten unbezahlt. Wir ver anstalten an zwei bis drei Tagen pro Woche Open Workshops und halten die Gruppen klein. Das macht uns effizient“, erklärt Mads. In den Workshops werden Geräte repariert, umfunktioniert oder für den Gebrauch in einer Rakete optimiert, zum Beispiel ein alter Haarföhn. Im Inneren der Nexø-II-Rakete sorgt die warme Luft aus dem Gerät dafür, dass Schläuche bei Minus graden nicht einfrieren. Auch der Steuercomputer der Rakete wurde ursprünglich anders eingesetzt. Einst berechnete er als Teil eines Burger-King-Kassenterminals die Kosten für extra Mayo. Verwendung findet auch eine auf dem Schrottplatz gefundene Radarkuppel. Sie verstärkt das Signal des Wi-Fi-Funknetzwerks auf dem Mission-ControlSchiff. Damit die Suborbitals bei einem Start niemanden gefährden, heben ihre Raketen von einer Plattform in der Ostsee ab. Den Countdown starten sie aus sicherer Ent fernung vom Schiff. Manchmal dienen alte Autos als Ersatzteillager. Das Bremskabel aus dem Fiat-Ducato- Kastenwagen ist ein Beispiel dafür. Die Gaskartuschen, die in Airbags verbaut werden, ebenso. Damit können die Suborbitals bei der Landevorbereitung den Fallschirm aus der Rakete schießen. Es gibt zwei Gründe,
Sicherheitscheck Jop Nijenhuis fixiert die Spitze der HEAT-2X- Rakete, in der sich der zusammen gefaltete Fallschirm befindet.
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„DIE SUBORBITALS MÖCHTEN VERSTEHEN, WIE DINGE FUNKTIONIEREN. DAFÜR MÜSSEN SIE SIE ZUERST MAL ZERLEGEN.“ warum sie Geräte auseinanderbauen oder in Elektroschrott nach Ersatz teilen suchen. Der erste hat mit der Begeisterung für das Basteln zu tun; die Suborbitals möchten verstehen, wie Dinge funktionieren – dafür müs sen sie sie auseinandernehmen. Der zweite Grund hat mit Geld zu tun. Das Jahresbudget der NASA beträgt 22,6 Milliarden Dollar. Das der Welt raum-Dänen 100.000 Dollar. Copen hagen Suborbitals bezahlt damit Mieten für die Hallen, Material und anfallende Reparaturen. Zur Verfü gung gestellt wird das Geld von einer Crowdfunding-Community aus über 600 Personen. Jeder von ihnen über weist monatlich 10 oder 20 Dollar auf das Kopenhagener Vereinskonto. Allein aus Budgetgründen gibt es für die All-Amateure also Grenzen. Beim Bau einer Rakete lassen sich diese aber umgehen: „Es ist mir ein Rätsel, wie die Falcon-9-Raketen von SpaceX (Unternehmen von Elon Musk, Anm.) mit Boostern selbständig landen und somit wiederverwendet werden können. Zum Glück machen wir das nicht. Unsere Rakete muss zwei Dinge können: in den Weltraum kommen und ins Meer stürzen.“ Seine Überzeugung bringt Mads so auf den Punkt: „Wir können bis 2030 mit der Spica-Rakete (benannt nach einem Stern, Anm.) einen Menschen ins Weltall bringen, weil Rocket Sci ence gar nicht immer Rocket Science ist.“ Das Selbstvertrauen für solche INNOVATOR
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Grenzgänger Der Niederländer Jop Nijenhuis zog der Suborbitals wegen sogar nach Kopenhagen. Hier hält er einen Teil der Verkleidung der Nexø-I-Rakete.
Workshop Viele Materialund Maschinentests finden vor Ort statt. Im blauen Container im Hintergrund ist das offizielle Büro zu sehen.
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Fallschirmtest Viele Ideen werden zuerst im kleinen Maßstab umgesetzt. Verlaufen die Tests wie erwartet, wird ein großer Fallschirm genäht.
Raketenbauer Thomas Madsen gehört zum Kon struktionsteam. Der Ingenieur entwirft und designt Bauteile mit dem 3D- Programm. SolidWorks. INNOVATOR
1 VERKLEIDUNG Um Gewicht zu sparen, wurde die Außenhülle der HEAT-2X- Rakete fast komplett aus Aluminium gefertigt. Über das Loch haben die Ingenieure Zugang zum Raketenantrieb.
2 FLOSSEN Anhand der Zahlen auf den Raketenflossen kann das Team bei einem Start mittels Video feststellen, wie schnell sich die Rakete dreht.
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„MIT DEM FORTSCHRITT DER TECHNIK IST DER RAUMFLUG SOGAR EINFACHER GEWORDEN.“ Ansagen finden die Hobbybastler in der Geschichte der Raumfahrt. Fast alles, was in Kopenhagen zusammengeschweißt wird, baut auf der Arbeit der NASA und der UdSSR der 1950er- und 1960er- Jahre auf. Konzepte und Theorien der „Space Race“-Periode sind seit Jahrzehnten bekannt und ausführlich beschrieben. Mit dem Fortschreiten der Technik ist die Raumfahrt sogar einfacher geworden. Früher musste eine Raketenhülle mit maximal 0,1 Millimeter Toleranz gebaut werden. Das heißt, das Metall musste an jedem Punkt der Hülle praktisch gleich dick sein. War es an einer Stelle dicker oder dünner, verließ die Rakete nach dem Start die vorberechnete Flugbahn. Heute liegt die Toleranz bei 1 Millimeter. Den zusätzlichen Spielraum verdanken die Suborbitals einem Computer-Leitsystem, das selbständig Korrekturen vornimmt. Herz dieses Systems ist ein Arduino-Computer, den es um 100 Euro im Elektrofachgeschäft zu kaufen gibt. Wissens- und Technologiefortschritte haben den Bau einer Rakete erleichtert und demokratisiert. Trotzdem bleibt er eine Wissenschaft. Wie sehr Details entscheiden, erfuhren die Suborbitals 2016 beim Liftoff der Nexø-I-Rakete. Die Rakete entfaltete nie ihre volle Leistung und schlug nach kurzem Flug im Wasser auf. Der Grund: Das Mischverhältnis des Treibstoffs war nicht perfekt. Suborbital-Raketen fliegen mit einer 66
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INFO So kannst du Copenhagen Suborbitals unterstützen. C R OW D F U N D I N G Damit die Spica- Rakete 2030 abheben kann, ist finanzielle Unterstützung von Weltraum-Fans weltweit erforderlich. So geht’s: M AC H 2 Bereits mit 10 Dollar monatlich können die Suborbitals Bauteile erstehen. „Mach 2“Förderer erhalten Zugang zu allen öffentlichen Tests. M AC H 3 Für 20 Dollar pro Monat steht dein Name zusätzlich auf jeder Rakete, die gestartet wird. Alle Infos: copenhagen suborbitals.com
Rocket Man Mads Wilson vertritt Copenhagen Suborbitals nach außen. Er ist Sprecher, TED-KeynoteSpeaker und Vorstandsmitglied des Vereins.
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Mischung aus 75-prozentigem Alkohol und Flüssigsauerstoff. Alkohol ist einfach. Man gibt ihn in ein Gefäß und weiß, wie viel drinnen ist. Flüssigsauerstoff ist heikel. Bei –183 °C ist er flüssig. Wird er wärmer, beginnt er sofort zu verdampfen. Das kann gefährlich werden. In gasförmigem Zustand braucht Flüssigsauerstoff 860-mal mehr Platz. Damit das Gas entweichen kann, muss bei der Befüllung einer Rakete der Tank ständig belüftet werden. Weil das Betanken einer Rakete so komplex ist, wird es erst kurz vor dem Start gemacht. Man befüllt den Tank, kühlt den Flüssigsauerstoff, so gut es geht, schließt das Ventil und drückt den Startknopf. Es brauchte drei Versuche, bis die Ingenieure genau sagen konnten, wie viel Flüssigsauerstoff gerade im Tank war. Zuerst wollten sie die exakte Menge Flüssigsauerstoff mit einer Gewichtsmessung berechnen. „Wir haben unsere Rakete mit und ohne Treibstoff gewogen.“ An Land hat das funktioniert. Die Suborbitals starteten ihre Raketen aber von einer schwimmenden Plattform. Es klappte nicht. Dann haben sie in der Mitte des Tanks einen Stab eingebaut. Alle fünf Zentimeter wurde darauf ein Sensor angebracht, der die Temperatur misst. Damit lässt sich die aktuelle Menge an Flüssigsauerstoff berechnen. Die Daten waren aber nicht genau genug. Mit ihrem dritten Versuch kopierten die Suborbitals einen Füllstandssensor der NASA. Aber anstatt ihn um 8000 Dollar zu kaufen, packte das den Ehrgeiz der Bastler. Also nahmen sie den alten Flüssigsauerstofftank eines Spitals unter die Lupe. „Wir zerlegten ihn und bauten ein kleineres Gerät, das in den Tank passte.“
„WAS WIR HIER TUN, IST GRÖSSER ALS JEDER EINZELNE VON UNS.“ Sie halten Universitätskurse im Raketenbau. Ein Start-up holte sich jüngst Design- und TestKnow-how. Und EUROC, Europas einziger Raketen-Wettbewerb, nahm Suborbitals-Mitglied Jacob Skov Larsen in die Jury. „Wir wollen mit unserer Arbeit Menschen weltweit inspirieren“, sagt Mads, „und sie ermuntern, Dinge zu tun, die unmöglich erscheinen. Wir wollen sagen: Mach es! Und du wirst staunen, was mit Leidenschaft alles möglich wird.“ Seit 2008 verfolgen die Hobby ingenieure und Weltraum-Fans aus Kopenhagen unbeirrbar ihren Traum vom suborbitalen Flug. Einmal langsamer, einmal schneller, aber immer mit derselben unbeirrbaren Überzeugung. Tatsächlich haben sie einen großen Teil des Weges bereits zurück gelegt. Jetzt beginnt der letzte und schwierigste Teil. Dass sie es schaffen können, steht für die Suborbitals außer Frage. Alle glauben hier fest daran. Für sie ist es nicht eine Frage der Ein stellung. Für sie ist es maximal eine Frage der Zeit.
Dass jede Sackgasse einen Ausweg hat, hilft nicht nur den Weltraum-Dänen. Von ihrem Mindset profitieren Menschen weltweit. Mehr als 300 YouTube- Videos über die Grundsätze von Physik und Maschinenbau haben die Suborbitals online gestellt. 67
SCHLAFEN S M A R T E S L I C H T, T I E F S C H L A F - C H A L L E N G E S , S C H L A F P H A S E N -A N A LY S E : H I G H T E C H GADGETS SOLLEN UNSERE NACHTRUHE O P T I M I E R E N . U N S E R A U T O R H AT A M E I G E N E N L E I B Ü B E R P R Ü F T, O B S I E
FÜR
I H R V E R S P R E C H E N H A LT E N , U N D F R A G T FORSCHER, WIE WIR UNS ÜBERMORGEN GUTE NACHT SAGEN WERDEN.
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Text: Tobias Moorstedt
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as Ding auf meinem Nachttisch sieht aus wie eine Requisite aus einem Science-Fiction-Film: ein weißes Oval, unter dessen glänzender Oberfläche kryptische Symbole orange schimmern. Eine Lampe? Ein Lautsprecher? Ein Wecker? Irgendwie alles. Und mehr. Fünfzehn Minuten nachdem ich das Smart-Sleep-Gerät auf meinen Nachttisch gestellt und eingeschaltet habe, bin ich auch schon eingeschlafen. Weg. Wow. Allerdings war ich halt echt hundemüde. Schlaf gut! Gute Nacht! Träum schön! Gibt es freundlichere, friedlichere Aufforderungen in der deutschen Sprache? Aber wenn ich abends gegen 22 Uhr meiner Frau einen Gute-Nacht-Kuss gebe, haben diese Sätze oft einen fast ängst lichen Unterton: Schlaf gut. Mach’s gut. Hoffentlich wird’s nicht so schlimm. Denn: Unser Baby und die dreijährige Tochter leben nach dem Rock-’n’-RollMotto „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Schlafentzug gilt nach der Genfer Konvention als Folter. Gerade weil ich weiß, wie zerschmettert man sich nach einer kurzen Nacht mit vielen Unter brechungen fühlt, will ich die wenigen Stunden Schlaf, die uns bleiben, maximal effizient zur Erholung nutzen – und teste deshalb ein paar Wochen lang neue aktuelle Schlaf-Apps und -Gadgets. Meine Erwartungen sind hoch. „Fühlen Sie sich ausgeruhter und fitter“, wirbt Philips für seine Schlaf-Technologien. Wäre das nicht schön? In unserem Gästezimmer richten wir ein temporäres Schlaflabor ein. Im ersten Schritt muss ich erst einmal eine Menge Apps auf dem Smartphone installieren, Nutzerkonten einrichten und AGBs abnicken. Das Basis-Set-up: eine Sensor- Matte von Withings, die ich unter die Matratze lege, um meine Schlafdauer und -qualität zu messen. Die anfangs bereits erwähnte intelligente Laut sprecherlampe von Philips, die mittels Lichtstimmung und Geräuschen das Einschlafen und Aufwachen managen soll. Dazu noch eine Suunto-Smart-
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watch, die meine Schrittzahl und Körperdaten wie Puls und Blutdruck misst. Natürlich werden all diese Geräte mit WLAN, Apple Health und meiner Lauf-App Strava verbunden. Macht doch mit meinen Daten, was ihr wollt, ich muss ins Bett. 80 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Deutschland schlafen schlecht – seit 2010 ist der Anteil der 35bis 65-Jährigen, die von Schlafstörungen betroffen sind, um 66 Prozent gestiegen. Die WHO rät, dass Erwachsene regelmäßig sieben Stunden pro Nacht ruhen sollen – und bezeichnet den verbreiteten Schlafmangel als „globale Gesundheitskrise“. Wer zu wenig schläft, hat eine geringere Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit – und eine stark erhöhte Wahrscheinlichkeit für folgende Schicksalsschläge: Herzinfarkt, Autounfall, Diabetes, Scheidung, Depression, Krebs und Demenz. Diese Fakten sind bekannt, aber weil das Problem – „Wann soll ich schlafen? Ich hab so viel zu tun!“ – so enorm erscheint wie der Plastikmüllkontinent im Pazifik oder der Klimawandel, machen wir weiter wie bisher, schlagen morgens die Augen auf, spüren die bleierne Müdigkeit in Knochen und Geist und denken für einen Moment, dass das mit dem Sterben vielleicht doch nicht ganz so schlimm ist. Kein Wunder, dass Schlafforscher wie Matthew Walker, Neuropsychiater an der kalifornischen Universität Berkeley und Autor des Bestsellers „Why We Sleep“, versuchen, die Menschen aus ihrer Sorglosigkeit aufzurütteln. „Wer zu wenig schläft, betreibt eine Art Selbst-Euthanasie“, schreibt er und fügt trocken hinzu: „Männer, die weniger als sechs Stunden schlafen, haben kleinere Hoden und das Testosteronlevel eines zehn Jahre älteren Mannes.“ Vielleicht denkt der Professor ja, er könne die Wahnsinnigen auf die Art aufwecken? Auch ich gehe regelmäßig viel zu spät ins Bett. Weil die To-do-Liste nie leer ist – oder eher: weil ich die seltene Ruhe und Leere in den späten Stunden des Tages genieße. Nun aber gehe ich brav um 22.30 Uhr in unser „Schlaflabor“, die Bedingungen sind laut Health MateApp optimal: 18 Grad Celsius, geringe Luftfeuchtigkeit. Und auch mein Smartphone habe ich in den Schrank verbannt, weil das blaue Licht des LED-Bildschirms die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrückt. Ich starte die Lautsprecher-Lampe, die mich in 30 Minuten in den Schlaf begleiten soll. Man kann z wischen Regen-Geräuschen, Blätterrascheln und Ozeanwellen wählen. Das Licht, das das Science-Fiction-Oval aussendet, ist samtig warm und wird langsam schwächer wie ein natürlicher Sonnenuntergang (Menüpunkt „Tropical Island“). Den Moment, in dem meine künstliche Sonne ins Meer eintaucht, erlebe ich schon nicht mehr. Die Nacht jedoch ist unruhig, ich wache dreimal auf. Um 6.15 Uhr ist das Baby wach. Die Health Mate-App zeigt, dass ich nur zwei kurze Tiefschlafphasen hatte, und spuckt einen Score von 62 von 100 aus. Dunkelorange. Ich denke: Herzinfarkt. Demenz. Kleine Hoden. Hilfe! Schlaf war lange ein Geheimnis. Fast so, als würde der menschliche Geist die Kränkung, dass er ein Drittel seines Lebens quasi ausgeschaltet ist, damit zurück zahlen, das Phänomen hartnäckig zu ignorieren. Erst seit Erfindung des EEG (Elektroenzephalogramm) und bildgebender Verfahren wie etwa MRT (Magnet INNOVATOR
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S C H L U M M E R -T E C H
BOSE, MYDODOW, SUUNOTO, MUSE, WITHINGS, PHILIPPS
Zumal Gadgets schon unsere (Sport-)Aktivitäten tracken und verbessern, ist nun auch der Schlaf dran. Eine Auswahl aktueller Technik, teilweise getestet von unserem Autor:
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(1) Traumflüsterer: Relax-Töne und Noise-Masking-Funktion der Kopfhörer helfen beim Ein- und Durchschlafen. Bose Sleepbuds II, 269,95 Euro; bose.com (2) Atemcoach: Wirft blaues Licht an die Decke, an dessen Bewegung der Nutzer seinen Atem anpasst und sich so in den optimalen Einschlaf zustand begibt. 49,90 Euro; mydodow.com (3) Aufzeichner: Die HighEnd-Smartwatch misst neben verschiedenen Sportarten
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auch Schlafdauer und Schlaf qualität. Suunto 9, 499 Euro; suunto.com (4) Kopfsache: Trackt Gehirnwellen, ermöglicht es, Stress zu steuern – für effektiveres Meditieren und Schlafen. Muse 2, 269 Euro; choosemuse.com (5) Unterlage: Sensoren unter der Matratze werten A tmung, Herzfrequenz und Bewegung aus – und das Ganze mündet in Schlaftipps. Withings Sleep Analyzer, 129,95 Euro; withings.com (6) Erleuchtung: pulsierendes Licht zum Einschlafen, simulierter Sonnenaufgang zum Aufwachen. Philips Sleep & Wake-up Light, 269,99 Euro; philips.de
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Der Schlaf, hier meisterhaft von Bernini (1598–1680) in Stein gemeißelt, galt lange als Zeichen der Faulheit. Zu Unrecht.
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eden Tag bekomme ich Push-Nachrichten von meinen digitalen Schlaf-Coaches, die sich nicht nur für mein Nachtleben interessieren. „An einem gesunden Tag macht man 10.000 Schritte“, mahnt die App. Wenn der Bewegungsradius zwischen Home, Home-Kita und Home-Office auf 50 bis 100 Quadratmeter schrumpft, ist das gar nicht so einfach: Die Updates machen mir jedoch gute Laune. Bis ich sehe, dass meine Frau, mit der ich mich im Schlaflabor abwechsle, einen Score von 92 hat – fünf Stunden Tiefschlaf! Keine Unterbrechung. Sofort sinkt meine Bereitschaft, nach der Arbeit den Müll rauszubringen. Mach du das doch, du hast ja so gut geschlafen! Kurz denke ich darüber nach, ob ich eine Privatsphären-Richtlinie verletze, wenn ich derart über ihren Schlaf informiert werde. Aber: Mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich schlafe mich noch in den grünen Bereich! Schlaf muss man nicht lernen. Eigentlich. Schlaf ist ganz natürlich. Eigentlich. Aber natürlich ist nichts, was der Mensch macht, wirklich natürlich. Die innere Uhr, die Tiere und Pflanzen leitet, wird durch unseren freien Willen und die Einflüsse der Kultur permanent umgestellt und verdreht. Durch die Bändigung des Feuers, die Erfindung von Öllampen und später künstlichem Licht wurde die Schlafphase immer weiter nach hinten verschoben. Während die Bauern im 19. Jahrhundert im Rhythmus von Tag und Nacht lebten, konnte man ab der Industrialisierung in den erleuchteten Fabrikhallen zu jeder Stunde
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ICH BR AUCHE NUR V IER BIS SECHS STUNDEN SCHL A F. „ DAS IST HUMBUG“, SO EXPERTEN.
arbeiten. Kein Wunder, dass Schlaf bald mit Faulheit und Unproduktivität assozi iert wurde. Donald Trump rühmt sich gern, dass er nur vier bis sechs Stunden Schlaf bräuchte – Schlafmangel war lange Statussymbol für Leistungsfähigkeit. Die Forschung hat all das als H umbug enttarnt. „Lange dachte man, dass Schlaf dem Gedächtnis nur deshalb hilft, weil man keine neuen Informationen aufnimmt“, sagt Professor Jan Born, Neurowissenschaftler an der Universität Tübingen und der renommierteste Schlafforscher im deutschsprachigen Raum. Heute weiß man, dass im Schlaf neu aufgenommene Daten auf neuronaler Ebene bearbeitet und ins Langzeitgedächtnis verschoben werden. „Und das ist nicht nur Copy & Paste“, sagt Born. „Es wird der Kern der Erinnerung gespeichert – während Details vergessen werden. Wir beginnen erst, das genau zu verstehen.“
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resonanztomografie) können Forscher in den Kopf hineinschauen – und zwischen verschiedenen Schlafphasen wie dem REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), in dem man träumt, oder dem Delta-Schlaf, der besonders tief und wichtig ist, unterscheiden. Schlaf, erklärt Matthew Walker, ist der „bislang beste Versuch von Mutter Natur, den Tod abzuwehren“. Im Schlaf ruhen Körper und Geist nicht nur, sondern werden aktiv reorganisiert – als würde man eine Software über das System jagen, die Viren killt, den Körper-Cache leert und Junk-Files löscht.
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Und diese Funktion des Schlafs kann man nutzen. Wenn er eine wichtige Rede halten muss, liest Born sich das Skript vor dem Einschlafen laut vor. Nach zwei Wochen des Schlaf-Experiments fühle ich mich nicht unbedingt ausgeschlafen, aber gut, weil ich meine Müdigkeit nicht hinnehme, sondern versuche, durch minimalinvasives Bio hacking mein Leben (und meine Lebenserwartung) zu verbessern. Auf den ersten Blick sind Hightech und guter Schlaf zwar ein Widerspruch. „The future of sleep is a return to the past“ – die Zukunft des Schlafens liegt in einer Rückkehr in die Vergangenheit, schreibt auch Matthew Walker. Der Mensch müsse wieder lernen, wie ein Tier zu schlafen – einfach regelmäßig und ausreichend die Augen schließen, im Einklang mit der inneren Uhr. Schlaf-Papst Walker sagt: „Eine Möglichkeit, eine gesunde neue Gewohnheit dauerhaft zu leben, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Daten.“ Selbst wenn man so die Schlafmenge nur um 15 Minuten pro Tag erhöhe, mache dies einen signifikanten Unterschied über die gesamte Lebensspanne aus und würde Billionen von Dollar in der Weltwirtschaft einsparen, schreibt er in „Why We Sleep“.
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ie Zukunft des Schlafs kann man schon heute im Weltraum bewundern. Die Astronauten der Inter national Space Station (ISS) litten lange unter Schlaflosigkeit, weil sie alle 90 Minuten um die Erde r asen und so in 24 Stunden 16 Sonnen auf- und -untergänge erleben. Die NASA installierte deshalb spezielle Lampen in der Raumstation, die die sich verändernde Lichtstimmung eines Erdentages simulieren. Diese Technologie kostete die NASA bestimmt Unsummen – aber weil es bald erschwingliche Geräte geben wird, die den Schlaf und den zirkadianen Rhythmus einer Person aufzeichnen, kann man diese mit Smart-Home-Lösungen verbinden. Schlafforscher träumen von einem Haus, in dem alle Bildschirme und Leuchtmittel über den Biorhythmus des Bewohners informiert sind – und, je näher die Schlafenszeit rückt, das blaue Licht durch rotes, warmes Licht ersetzen. Das Smart Home kommuniziert direkt mit unserem vegetativen Nervensystem. Wir alle werden Terranauten in unserer maßgeschneiderten Raum-Station sein. Die größten Fortschritte für den Schlaf werden allerdings nicht im Weltraum und Hightech-Laboren erreicht, sondern
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IN DER NACHT SICKERN NEUE DATEN INS L A NGZEITGEDÄCHTNIS. auf der Schulbank. „Wir unterrichten Kinder und Jugendliche in Sexualität und Ernährung“, sagt Jan Born, Schlaf hingegen tauche in den Lehrbüchern kaum auf. Zwar könne jeder Einzelne auf sein Verhalten achten, aber am Ende seien Veränderungen auf der gesellschaftlichen Ebene nötig. Es sei ja absurd, wenn man den Kindern in der Schule erklärt, dass es Menschen gibt, die eher Frühaufsteher (Lerchen) oder eher Nachtmenschen (Eulen) sind – und der Schulgong trotzdem für alle um 8 Uhr läutet. Warum also nicht: Unterricht zwischen 10 und 16 Uhr? Gleitzeit in der Schule? Individualisierte Stundenpläne? Eine ähnliche Flexibilität müsste genauso auf dem Arbeitsmarkt entstehen. Vielleicht ist die aktuelle Homeoffice-Erfahrung ein guter Impuls. In einer Kernzeit zwischen 12 und 15 Uhr finden die meisten (Video-)Konferenzen statt – ansonsten organisieren sich alle die Arbeit nach ihren Bedürfnissen. Vor ein paar Jahren hätte ich mit einem Sleep Score von 69 noch im Büro angeben können: Guckt, was für ein harter Workaholic ich bin! Durch den Achtsamkeitstrend ändert sich das. Der US-Gesundheitskonzern Aetna etwa zahlt Mitarbeitern eine Prämie, wenn sie mehr als 20 Nächte am Stück mehr als 7 Stunden schlafen – maximal 500 Dollar. Auch Matthew Walker denkt über ein „sleep credit system“ nach, in dem Unternehmen vernünftiges Schlafmanagement durch Boni oder zusätz liche Urlaubstage belohnen könnten. Dazu müsste man seinen Sleep Score allerdings mit dem A rbeitgeber teilen oder mit der Krankenkasse – datenschutztechnisch eine gruselige Vorstellung. Aus medizinischer Sicht aber interessant, um Schlafstörungen mit therapeutischen Apps und Schulungen zu bekämpfen. Meine Schlaf-App bietet bereits die Funktion an, meine Daten mit meinem Arzt zu teilen. Wir leben in der Gegenwart der Zukunft. In der vierten Woche erreiche ich einen Score im grünen Bereich. 92. Obwohl ich nur 7 Stunden und 3 Minuten in Morpheus’ Armen war. Weil ich regelmäßig ins Bett gehe, weniger Alkohol trinke und das Smartphone in der letzten wachen Stunde nicht mehr anfasse. „Was könnten wir noch machen?“, frage ich Professor Born. „Eine aktuelle Innovation“, erklärt er, „sind SensorenBänder, die man sich um den Kopf legt und die die langsamen EEG-Wellen des Tiefschlafs messen. Damit kann man dann, präzise auf diese langsamen Wellen getaktet, das Gehirn stimulieren, um gezielt den Schlaf zu vertiefen.“ So könne man bald Menschen mit Schlafstörungen besser helfen als mit Medikamenten. Eine Zukunft, in der wir alle verkabelt und mit Metallbändern um den Kopf im Bett liegen, sieht Born trotzdem nicht. „Die Daten sind alle gut und schön“, sagt er, „aber wer zu viel Kontrolle ausüben will, bleibt wach. Wir müssen lernen, uns fallen zu lassen.“ Das wäre wirklich ein Traum. 73
WIE WIR M O RG EN FAH REN WERD EN: RE VO LU TIO NÄRE KO NZEP TE U N D NACH HALTIG E LÖSU N G EN , ALTERNATIVE ANTRIEB E U ND SPANNEND E N O RMALITÄT. SELTEN WAR DIE ZU KU NF T D ER M O BILITÄT SO AU FREG END WIE J E T Z T.
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E I N S T E I G E N , BITTE!
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Wasserstoff extrem: Der von einer Brennstoffzelle angetriebene Hyperion XP-1 ist 355 km/h schnell und hat 1600 km Reichweite. INNOVATOR
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MERCEDES V I S I O N AV T R
TREND SCHNELLER LADEN
Vorbei die Zeiten, als man E-Auto-Fahrer an den Lade stationen Zeit totschlagen sah. Dank 800-Volt-Technologie wird man künftig eher in Minuten statt Stunden rechnen. HERSTELLER
Der Name deutet darauf hin, dass diese fahrbare Studie im kommenden „Avatar“-Film auftauchen könnte. Statt mit Lenkrad und Pedalen steuert man über eine zentrale Kommandoeinheit. Funktionen aus dem ehemaligen Armaturenbrett werden als Icons auf die Handfläche projiziert.
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FORD MUSTANG MACH - E
Heck- oder Allradantrieb, 198 bis 258 PS, Reichweite je nach Modell von 400 bis 610 km: Fords erster E-Schuss sitzt. Batterietechnisch? Da ist die 198-PSVersion schon nach 10 Minuten Ladezeit für die nächsten 100 Kilometer bereit. Über diese Daten hinaus glänzt
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BMW IX3
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Die Alltagstauglichkeit eines E-Autos steht und fällt mit Ladegeschwindigkeit und Reichweite. Der Akku des neuen iX3 hat eine um 20 Prozent gesteigerte Energiedichte gegenüber den bislang verwendeten Modellen, man kann ihn also kleiner und
das Auto mit dem Pferd als Logo mit so smarten Details wie einem zweiten Kofferraum vorn und einem mit 39 cm Bildschirmdiagonale rekordverdächtig großen Touchscreen. Als Schlüssel wird das Smartphone des Besitzers verwendet: Über Bluetooth erkennt der Mustang seinen Reiter und entriegelt die Türen. Gestartet wird per Knopf.
leichter bauen. Die Reichweite beträgt trotzdem alltagstaugliche 460 km. Die Hochvolt-Batterie ist in 34 Minuten zu 80 Prozent voll, in schlanken 10 Minuten sind 100 km Reichweite nach geladen. Leistung: 286 PS, die Höchstgeschwindigkeit ist auf 180 km/h beschränkt.
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HYPERION X P -1
An Bord wird Wasserstoff in elekt rische Energie umge wandelt, der Rest funktioniert wie bei heutigen E-Autos – a llerdings ohne große und schwere Batterie, was die Fahr leistungen auf ein neues Level hebt. Und aus dem Auspuff kommt statt CO 2 Wasserdampf.
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Das kalifornische Start-up verpackt Wasserstoff- Technologie in ein Hyper sportler-Kleid. 1031 kg, schnell lad- und entladbare Superkondensatoren statt einer Batterie, Carbon, Titan. 2022 soll die Produktion beginnen.
TREND BRENNSTOFFZELLE
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MERCEDES GLC F - CELL
Und schon wieder vorbei: Nach 3000 gebauten Exemp laren lief jüngst die Produktion des einzigen europäischen Serien-Pkw mit Brennstoffzelle aus. War bloß die Reichweite mit rund 300 km zu knapp ausgelegt? Das Netz an WasserstoffTankstellen zu
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HYUNDAI NEXO
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Im Unterboden und unter der Rückbank sind drei Tanks mit einer Wandstärke von 4,5 cm verbaut, in die der Wasserstoff mit 700 Bar (!) strömt. Das dauert nicht länger, als würde man Erdgas tanken. Sind die Tanks voll, kommt der 163 PS starke
ering, um einen g globalen Hit zu landen? Oder haben die Akkus einen so großen Schritt nach vorn gemacht, dass konventionelle E-Autos der komplizierten Brennstoffzelle den Garaus gemacht haben? Vermutlich war es eine Kombination aller drei Faktoren.
Hyundai 666 km weit – das ist deutlich mehr als die meisten kon ventionellen E-SUV dieser Klasse. Da die Brennstoffzelle extrem saubere Luft braucht, werden Mikropartikel durch einen Hochleistungsfilter aufgefangen. Die Außenluft ist danach also reiner als zuvor!
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VW ID.4
Sieht man den kleineren ID.3 als E-Golf, ist der ID.4 das Pendant zum SUV Tiguan. Mit 204 PS und einer Reichweite von 522 km lässt sich im Alltag problemlos auskommen. Der Fahrer entscheidet, ob das Auto frei rollen soll,
wenn er vom Gas geht, oder doch lieber abbremsen und Energie zurückgewinnen. Kluges Detail bei den Assistenzsystemen: Sie greifen auch auf Navi-Daten zurück, reduzieren so vor Ortsgebieten, Kreisverkehren oder Kreuzungen selbständig vorab die Geschwindigkeit und sparen Strom.
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ŜKODA ENYAQ IV
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Die Tschechen waren schon immer die Meister von schlauen Details. Man denke nur an den integrierten Regenschirm in der Fahrertür. Wie legt man das in die digitale Welt um? Zwei Beispiele: Die Innenraum temperatur lässt sich fernbedient übers Smartphone steuern. Heiß, kalt? Wohltemperiert!
Oder: Ein Tür-Alarm erkennt, wenn Sie aussteigen wollen, während ein Radfahrer daherkommt, und warnt. Das erste E-SUV von Škoda ist ein enger Verwandter des VW ID.4, maximal 204 PS stark und kommt bis zu 510 km weit.
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R E N A U LT E Z- G O
Selbstfahrende Autos sind ein alter Traum der Techniker. Schritt für Schritt hat man in den letzten Jahren Erfahrungen mit Steuer- und Kontroll systemen gewonnen. Auf dem fünfstufigen Fahrplan zum v olla utonomen Fahren kommen dieser Tage die ersten Modelle mit Stufe 3. Hier lenken, b remsen und beschleunigen Autos erstmals für einen d efinierten Zeitraum ganz s elbständig. Der Fahrer muss nur eingreifen, wenn das System ein Problem erkennt.
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Die Studie kommt ohne konventionelles Cockpit aus und bietet sechs Personen Platz, die bequem über eine Front-Tür einsteigen – dank Rampe barrierefrei. Der E-Antrieb steckt in der Bodenplatte. Einsatz bereich: selbstfahrendes Shuttle in Ballungszentren.
TREND AUTOMATISIERTES FAHREN
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9 REGELN, DIE DU IGNORIEREN SOLLTEST … … UND DREI REGELN, AUF DIE ES WIRKLICH ANKOMMT: START-UP-MYTHEN IM REALITY-CHECK VON NETFLIX-STAR SOPHIA AMORUSO.
„Als Start-up musst du deinen Job kündigen“, „Du musst getrieben sein“, „Hör nur auf den Bauch, nicht auf den Kopf“. – „Alles Unsinn“, sagt Sophia Amoruso, Gründerin des Modelabels „Vintage Gal“, deren außergewöhnliche Erfolgsstory sogar als Netflix-Serie verfilmt wurde. Hier verrät uns SOPHIA AMORUSO, 36 Gründerin, Coach, Unternehmensberaterin
die US-Top-Entrepreneurin die größten Start-up-Irrtümer – und welche Regeln wirklich wichtig sind.
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Aufgezeichnet von Arek Piatek
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Du musst für deine Idee brennen – und sie stur umsetzen.
Jage Investoren und erzähle von deiner Idee.
Unsinn. Für deine Idee solltest du nicht brennen. Damit behinderst du dich selbst und hörst auto matisch auf keine gut gemeinten Vorschläge mehr – von Experten, die sich auskennen. Und die dir sehr wohl sagen könnten, dass deine Idee die eine oder andere Kursänderung braucht, um in der realen Welt wirklich zu funktio nieren. Also: Zuzuhören und dei ne Idee zu hinterfragen ist smar ter, als stur mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Deshalb: Sei leidenschaftlich und brenne für das, was du tust, aber brenne nie mals für eine fixe Idee!
Nein. Ein Investor – selbst wenn er dir Gehör schenkt – wird sich von einer bloßen Idee kaum be eindrucken lassen. Das ist nun mal so. Würdest du an seiner Stelle wahrscheinlich auch nicht. Was einen Investor hingegen be eindruckt? Deine Erfolge! Also: Zu einem Investor zu gehen zahlt sich aus – doch nur, wenn du als Business(wo)man etwas Hand festes vorzuweisen hast. Dann hört er zu und wird auch was von deiner Idee erfahren wollen.
Erzähle niemandem von deiner Idee – sonst stiehlt man sie dir.
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Nur neue Ideen führen zum Erfolg. Auch das ist Unsinn! Ich bin das beste Beispiel dafür. Als ich anfing, Klamotten auf eBay zu verkaufen, war die Konkurrenz nicht nur längst da, sie war auch riesengroß. Der Trick bei der Sache ist nur: Du musst dich von den anderen abheben, dich mar kant unterscheiden. Das geht auf viele Arten: mit dem Produkt, das du verkaufst, wie du es verkaufst – oder mit dem Image, das du verkörperst. Als ich mein damals neues Modelabel „Nasty Gal“ (böses Mädchen, Anm.) nannte, war das sicher kein Fehler – weil der Name provoziert. Und Aufmerk samkeit erregt. Und das ist die halbe Miete im Business: Kunden auf dich aufmerksam zu machen.
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„HALTE DEINE IDEE NICHT GEHEIM. POSAUNE SIE RUHIG IN DIE WELT HINAUS. DAS FEEDBACK ANDERER IST IMMENS WICHTIG.“
Das ist eine wirklich unbegrün dete Angst. Es mag jetzt ernüch ternd sein, aber erstens: Deine in deinen Augen so tolle Idee ist vermutlich nicht so toll, wie du glaubst. Allein aus dem Grund wäre es wichtig, mit anderen darüber zu reden – um schon im Vorfeld gewarnt zu werden oder deine Idee neu zu definieren. Und zweitens, selbst wenn es so wäre: Niemand klaut so schnell deine Idee, patentiert sie – und wird zum Millionär. Ich selbst habe immer – und mache es heu te noch – Ratschläge und Tipps von anderen eingeholt. Immer. Das ist wertvoll und bringt dich viel weiter, als allein an deinem eigenen Projekt zu brüten. Denn du siehst nicht, was andere Leute sehen – und du weißt nicht, was andere wissen. Also: Posaune dein Vorhaben ruhig in die Welt hinaus und warte, was zurück kommt. Das Feedback von an deren – auch von Fremden – ist immens wichtig.
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Bauchgefühl ist im Business wichtiger als Logik.
Wenn du ein Unter nehmen gründen willst, kündige deinen Job.
Ungeduld ist ein guter Antrieb für Gründer
Nein! Denn: Beides ist gleich wichtig. Der Punkt ist nur: Bauchgefühl ist immens wichtig am Beginn deiner Karriere. Quasi vor deinem richtigen Start. Es ist ein guter Ratgeber für das, was du wirklich machen willst – und wofür dein Herz schlägt. Doch später, wenn Ausgaben, Ein nahmen und Verluste ins Spiel kommen, zählen nur mehr Zah len und Hard Facts – und der blanke Hausverstand. Wenn dann deine Logik sagt: Finger weg von diesem Business-Model – dann halt dich daran und lass es. Egal, was dein Bauchgefühl sagt.
Nein! Das ist nicht smart. Das sollten nur Leute, die entweder Kohle ohne Ende haben – oder erst zwanzig sind und noch nichts zu verlieren haben. Allen anderen rate ich: zweigleisig fahren. Ich weiß aus Erfahrung: Viele erfolgreiche Gründer begannen ihre zweite Karriere mit einem „Side Hustle“, also einem Nebengeschäft zu ihrer Arbeit. Das hat jede Menge Vor teile und hält das Risiko, auf die Schnauze zu fallen, gering. Konkret: Man kann sich langsam und ohne Druck an ein Business herantasten. Mein Tipp daher: Kündige nicht deinen Job, aber reserviere regelmäßig Zeit für deinen Side Hustle. Sei bereit, privat Überstunden zu machen, aber gehe Dinge langsam an. Recherchiere, probiere aus, arbeite … ganz ohne Druck. Denn wer unter Druck ist, macht Fehler. Und überhaupt: Man muss ja nicht gleich über Nacht die Welt erobern, oder?
Wenn mit Ungeduld ein hoher Adrenalinpegel gemeint ist, dann yes! Ich selbst war in meiner Kar riere ungeduldig und getrieben. Das ist positiv und pusht dich. Aber nur solange du selber damit klarkommst. Deshalb Vorsicht: Wenn du deine Ungeduld auf deine Partner überträgst, kann das rasch in die Hose gehen. Denn nicht jeder arbeitet auf die gleiche Art … und manche Men schen könnten durch deine Un geduld rasch gehemmt werden.
„WAS ALS BOSS WIRK LICH ZÄHLT, IST, DIE STÄR KEN DEINER LEUTE ZU FÖRDERN.“
BUSINESS-GIRL-POWER Sophia Amoruso ist eine Entrepreneurin aus San Diego, USA. In ihrem Buch „#Girlboss“ schildert sie ihre außergewöhnliche Erfolgsstory, wie sie ihren Vintage-Mode-Versand („Nasty Gal“) zu einem Millionen-Unternehmen machte. „#Girlboss“ wurde inzwischen auch als Serie verfilmt – und ist unter diesem Titel auf Netflix zu sehen. 2020 war Sophia Keynote Speaker am Global Workshop von Red Bull Basement. sophiaamoruso.com
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BUCHTIPPS Pflichtlektüre für angehende Gründer
„Das 4-Stunden- Startup“ Wie setze ich meine Idee professionell um? Smarte Tipps für Berufstätige, die „nebenher“ gründen wollen.
„Werde, was du kannst“
„GRIT“
Das Buch ermutigt, vor allem die eigenen Fähigkeiten zu nutzen, um Ideen unternehmerisch erfolgreich umzusetzen – mit 21 wahren Success-Storys als Inspiration.
Nicht IQ und Talent, sondern Leidenschaft und Ausdauer entscheiden über Erfolg, sagt Psychologin Angela Duckworth. Und belegt dies mit Beispielen aus der realen (Business-)Welt.
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Die Basis von gutem Teamwork ist: Einigkeit.
Als Boss hast du immer das letzte Wort im Team.
Nein. Wenn im Team ständig Einigkeit herrscht, dann stimmt was nicht! Einigkeit ist Stillstand. Ein guter Output basiert immer auf Meinungsvielfalt, heftigen Diskussionen, gern auch Streite reien in der Gruppe. Letzten Endes fördert das die Qualität dessen, was du tust. Und das ist verdammt wichtig: dass am Ende ein gesunder Kompromiss her ausschaut. Ich sage immer: Wirklich gute Qualität ist ohne Konflikte nicht möglich.
Wenn du deine Leute unter drücken, schlechte Stimmung in der Gruppe machen oder die Stärken der Teammitglieder beschneiden willst, dann ja. Im Ernst: Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr smart, ein Team wie ein Diktator anzuführen. Was wirklich zählt, ist, die Stärken deiner Leute maximal zu fördern, sie einzubinden, wo es nur geht – und auch entscheiden zu las sen, wenn du der Meinung bist, sie wissen es besser. Denn sie wissen es manchmal besser. Sich dies einzugestehen ist als Boss eine Stärke. Und bringt allen nur Vorteile.
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„SCHEITERN IST WICHTIG, DENN MAN LERNT NUR AUS DEM SCHEITERN. AUS E RFOLGEN LERNST DU GAR NICHTS.“
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WAS ZÄHLT:
3 REGELN ZUM ERFOLG 1. Scheitern ist normal. Nur musst du jedes Mal besser scheitern. 100 Prozent Zustimmung! Die Menschen denken oft, dass Scheitern etwas ist, was nur ihnen zustößt. Dabei ist es wichtig, sich aufs Scheitern einzulassen und dafür bereit zu sein. Es ist für viele eine neue Art, die Welt zu sehen, aber es ist wirklich so, und das ist kein Klischee: Nichts bringt dich weiter als Niederlagen und die Learnings daraus! Denn aus Erfolgen lernst du gar nichts.
2. Netzwerke, wo du nur kannst! Ja, ja, ja! Und nochmals ja. Und noch etwas: Netzwerken bedeutet überall netzwerken. Nicht nur bei Start-up-Events, Festivals und dergleichen. Sondern im Fitnesscenter, beim Einkaufen oder auf der Straße … überall. Ich hatte an den ungewöhnlichsten Orten die wichtigsten Begegnungen meiner Karriere. Ein Gespräch, ein Tipp, ein Handshake, eine Telefonnummer … Du weißt nie, wo du eine Bekanntschaft machst, die sich später als Sprungbrett herausstellen wird.
3. Prüfe deine Business-Idee im Vorfeld gründlich! Stimmt 100-prozentig! Das ist die Regel Nummer eins. Nichts ist wichtiger als eine profunde Vorab-Recherche deines angedachten BusinessModels. Stöbere also zunächst gründlich im Netz. Ist deine Idee völlig neu oder gibt es schon Leute, die das machen? Wenn ja, wie machen sie es? Tauche ein in ihre Welt. Stelle dir vor, du bist ihr Kunde. Was gefällt dir an ihrem Angebot? Was gefällt dir nicht? Was fehlt deiner Meinung nach? Wenn du die Chance hättest, das Unternehmen zu führen, was würdest du anders machen? Solche Gedanken sind wichtiger, als du glaubst. Denn sie schärfen mit der Zeit deinen Blick auf das, was wichtig ist: dein eigenes Business-Model.
SERIENTIPPS Von genialen Geistern und Business-Rebellen – hier sind 3 Netflix-Serien mit hohem Inspirationsfaktor
„Inside Bill’s Brain – Decoding Bill Gates“
„Girlboss“ Angelehnt an die Sophia-AmorusoErfolgsstory. Die Serie begleitet eine junge Rebellin bei der Gründung ihres Online-Geschäfts. Extrem kurzweilig!
NETFLIX
Ein Einblick in die Psyche des icrosoft-Gründers. Von Davis GugM genheim („An Inconvenient Truth“).
„The Mind, Explained“ Wie tickt unsere Psyche? Wie können wir mithilfe unseres Verstandes besser leben – und besser performen? Diese Doku liefert Antworten.
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INNOVATOR
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GUIDE
I N N O V AT O R
Konferenzen, Messen, Festivals: Diese Innovations-Events planen ein Comeback // Red Bull Basement: Studenten, die die Welt verändern // Fashion: Diese Jacke wärmt per App // Kolumne: Überraschende Folgen von Nachhaltigkeit // Tech-Highlight: Das Labor am Ende der Welt //
INNOVATOR
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DO IT
BOCK AUF INNOVATION?
Dann bist du hier richtig, Wir präsentieren eine Auswahl der spannendsten Events 2021 in Deutschland. Die finden statt – je nach Lage – in echt und/oder digital.
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und 8. September
dmexco
Wie kann ich Menschen über digitale Kanäle so begeistern, dass sie für meine Sache brennen? Um diese Frage dreht sich diese internationale Marketing-Konferenz zwei Tage lang. Von Machine Learning über Audio-Content bis zu TikTok-Influencern: Renommierte Speaker – zuletzt etwa Facebooks Werbe-Chef David Fischer, SAP-
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KOELNMESSE GMBH/MAX HAMPEL, ALEX FETTICH
Talk um das Phänomen TikTok: Moderatorin Jennifer Sarah Boone im Gespräch mit TikTokStar Onkel Banjou (r.) und Agentur-Gründer Adil Sbai.
Marketing-Leiterin Alicia Tillman und Alexander Birken, der CEO der Otto Group – erzählen, auf welche Strate gien und Technologien sie aktuell setzen und was jeder, der digital Menschen erreichen will, davon lernen kann. 2021 soll die dmexco nun in hybrider Form ablaufen – vor Ort in den Kölner Messehallen und gleichzeitig als Online-Event für Zuschauer auf der ganzen Welt. Koelnmesse; dmexco.com
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S A V E T H E D AT E
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September Growth Marketing Summit Ob als Familienbetrieb oder Großkonzern: Wer in der digitalen Welt wachsen will, muss seine Kunden möglichst genau kennen. Auf dieser Konferenz erklären Experten, wie etwa Daten dabei helfen können, jedem Nutzer maßgeschneiderte Angebote zu machen und das Geschäft auf diese Art auszubauen. Unter den Rednern in diesem Jahr: Verhaltensökonom und BestsellerAutor Dan Ariely sowie SpotifyWachstums-Chef Simon Dahla.
Gefragter Speaker: Ruppert Bodmeier, CEO der Plattform Disrooptive
Alte Oper, Frankfurt am Main; growthmarketingsummit.com
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bis 17. September Impact Festival Wenn wir den Planeten schützen wollen, müssen wir miteinander kooperieren: Aus dieser Überzeugung heraus will das Impact Festival potenzielle Weltverbesserer mit einander vernetzen – etwa junge Start-ups mit innovativen Konzepten mit Investoren, die ihren Ideen die nötige Durchschlagskraft verleihen können; oder mit Konzernen, die nach Konzepten für ihre eigene nach haltige Zukunft suchen. Frankfurt/Offenbach; impact-festival.earth
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Mai German Start-up Awards Hinter jedem Start-up stecken Helden, die ihr ganzes Herzblut in eine Idee stecken: Dieses Event will herausragenden Gründern eine Bühne bieten und ihren Einsatz würdigen. Nach der Nominierungsphase im vergangenen Jahr entscheidet eine Jury über die Gewinner 2021. Zu den Juroren zählen etwa Ina Remmers, MitGründerin von nebenan.de, und Ecosia-Gründer Christian Kroll. Tipi am Kanzleramt, Berlin; germanstartupawards.de
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bis 28. Mai FitTech Summit Vorbei die Zeiten, in denen es Fitness nur im Fitnessstudio gab: Die in diesem Jahr rein digitale Konferenz FitTech Summit ergründet, wie das Thema unseren Alltag bewegt – sei es durch neue Smartwatches und andere Wearables oder durch innovatives Training vor dem Bildschirm. Und natürlich spielen auch die Studios eine Rolle. Etwa wenn es darum geht, wie ihre Betreiber Technologien nutzen können, um Kunden zu begeistern. München; fittechsummit.com
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bis 7. September IFA Von Gaming über Heimkino bis zur smarten Wohnzimmer-Beleuchtung: Auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin präsentieren Hersteller aus der ganzen Welt ihre Innovationen. Eine einzigartige Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen (und oft auch auszuprobieren), wie die Zukunft in unseren eigenen vier Wänden bald aussehen könnte. Berliner Messegelände; ifa-berlin.com
Nachhaltiger Wandel: Sustainability-Expertin Nicole de Paula vernetzt Frauen, die sich für Umweltfragen einsetzen.
30 Juni bis 2. Juli Pirate Summit
Star-Investor Frank Thelen ist Fan, unter Europas Start-ups ist die Konferenz längst kein Geheimtipp mehr: Auf dem Pirate Summit treffen Jung-Gründer auf Möglichmacher wie eben Investoren und Manager. Wichtigste Bedingung für eine Einladung: Du willst nicht nur reden, sondern bedeutende Probleme unserer Zeit wirklich anpacken. Köln; piratesummit.com
MESSE BERLIN GMBH, DAN TAYLOR/PIRATE SUMMMIT
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bis 22. Juni Global Female Leaders Lange wurde nur darüber gesprochen, nun kommt die Entwicklung endlich ins Rollen: Immer mehr Frauen übernehmen Führungsrollen in Start-ups und Konzernen – und bereichern diese mit neuen Sichtweisen und Ansätzen. Wie genau diese aussehen und wie sich Frauen weiterhin gegenseitig unterstützen können, darum geht es auf der Konferenz „Global Female Leaders“ in Berlin. Zwei Tage lang berichten internationale Expertinnen und Top-Führungskräfte über ihre Erfolgsstorys und wichtige Lektionen – darunter Taiwans Digital-Ministerin Audrey Tang, Google-Designerin Sara Ortloff oder Tech-Unternehmerin und Bestseller-Autorin Aya Jaff (zuletzt zu Gast in unserem Podcast „INNOVATOR Sessions“). Hotel Adlon Kempinski Berlin; globalfemaleleaders.com
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DO IT
RED BULL BASEMENT
Die Red Bull Basement- Hosts Daniel Cronin und Caroline de Moraes „überreichen“ dem Team Lava die Siegertrophäe.
Lava Aqua X
SUPER SMART WÄSCHE WASCHEN Die Sieger des Red Bull Basement Global Workshop 2020 Joanna Power und Paramveer Bhachu erfanden eine Waschmaschine, die Wäsche mit recyceltem Duschwasser und noch dazu stromsparend reinigt.
PHILIPP CARL RIEDL/RED BULL CONTENT POOL, MARK ROE/RED BULL CONTENT POOL
GÜNTHER KRALICEK
Red Bull Basement
DER TURBO FÜR GUTE EINFÄLLE
Du bist Student und hast eine Idee, die die Welt zu einem besseren Ort macht? Dann bist du hier goldrichtig.
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eue Ideen gesucht! Seit 2018 gibt die Plattform Bull Base ment Studenten weltweit die Chance, Lösungen zu Problemen zu präsentieren. 3800 Teilnehmer waren es bei der Challenge im Vorjahr. Durch Pub lic Voting und einer Jury wurden die vielversprechendsten 38 Ide engeber ausgewählt und zum Red Bull Global Workshop – der im Dezember ausnahmsweise virtuell über die Bühne ging – eingeladen. Joanna Power und Paramveer Bhachu, zwei junge Pioniere aus
INNOVATOR
London, machten schließlich das Rennen. Sie haben eine Wasch maschine entwickelt, die Wäsche mit recyceltem Duschwasser säu bert, und dabei weniger Wasser verbraucht und das in nur einem Drittel der gewöhnlichen Zeit (sie he Infokasten rechts). Den Erfolg beim Red Bull Basement Global Workshop nützt das Duo nun als Startrampe, um die Erfindung so rasch wie möglich auf den Markt zu bringen.
Hier kannst du einreichen
Nach dem Wettbewerb ist vor dem Wettbewerb: 2021 geht Red Bull Basement in die nächste Runde. Wenn also auch du eine Idee hast, die unbedingt verwirk lich werden sollte, dann bereite sie bis Herbst diesen Jahres vor. Die genauen Termine und Infos findest du unter redbullbasement.com
Nachhaltig
Das Wasser wird am Boden der Dusche gesammelt, gefiltert und für den nächsten Waschgang der „Lava Aqua X“ wiederverwendet.
Praktisch
Die transportable Waschmaschine hat Platz in jeder Studentenbude. 2,5 kg Wäsche können damit pro Waschgang gewaschen werden.
Effizient
Die kugelförmige Waschtrommel arbeitet deutlich effizienter als herkömmliche Zylindertrommeln. Das spart Zeit und Strom.
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DO IT
Smart Fashion
Die Heatable Capsule Collection verbindet Hightech mit urban-sport lichem Design.
DIESE MODE HEIZT UNS EIN
Hier kommt die Smart-FashionLösung gegen Kälte: Die Jacken und Westen der Heatable Capsule Collection von AlphaTauri wärmen auf Knopfdruck oder per App. Und wenn der Akku des Smartphones leer ist, laden sie ihn auf.
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M
anchmal ermöglichen innovative Technolo gien, dass wir bekannte Dinge auf völlig neue Art und mit völlig neuen Funktionen einsetzen. Oder aber die innovativen Technologien verbessern die ursprünglichen Funktionen dramatisch. Ein gutes Beispiel dafür ist Smart Fashion: In der Mode können Kleider mit Einsatz von Hightech mittlerweile ihre Farbe im Einklang mit den Gefühlen ihrer TrägerIn nen wechseln. Gürtel geben Erschütterungen in Compu terspielen mit Vibrationen
an die Gamer weiter. Und Bikinis warnen, wenn wir uns zu lange in der Sonne aufhalten. Die Spezialisten des Mode labels AlphaTauri, der Deut schen Telekom und des Zu lieferers Schöller Textil haben indes gemeinsam an der Verbesserung einer sehr ur sprünglichen, ziemlich ent scheidenden Funktion unse rer Kleidung gearbeitet: der Aufgabe, uns zu wärmen. Zu diesem Zweck verknüpften sie Hightech-Textilien mit di gitaler Steuerung und s marter Technik. Das Ergebnis: die in diesem Winter vorgestellte Heatable Capsule Collection, deren Jacken und Westen uns auf Knopfdruck oder per AppBefehl aktiv einheizen. So können die TrägerInnen über eine eigens entwickelte App auf ihrem Smartphone die gewünschte Wärmestufe einstellen, ein Sensor im Inneren des Kleidungsstücks misst die Temperatur und wärmt bei Bedarf mittels heizbarer Elemente in den Taschen und am unteren Rü cken nach (die genaue Funk tionsweise: siehe rechte Seite). Zusatzfeature: Wenn die Jacke gerade nicht einheizt, kann der integrierte Akku das Smartphone aufladen. Diese Kollektion ist erst der Anfang: Weitere gemein same Innovationen werden folgen. Genaueres darf noch nicht verraten werden. Nur so viel: Konnektivität und Künst liche Intelligenz werden dabei Schlüsselrollen einnehmen.
Jacken und Westen gibt es für Damen und Herren in den Farben Kreide und Navy. 699,90 Euro (Jacke), 399,90 Euro (Weste); alphatauri.com
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FASHION
HOT STUFF
Tolle Textilien, smarte Bedienung und effiziente Technik machen diese Jacke zur Wärmequelle. Und so funktioniert sie im Detail.
Der Akku
Untergebracht in einer kleinen Extratasche am unteren Rücken, liefert diese Batterie die für die Heizung benötigte Energie. Dank ihres Federgewichts von 175 Gramm ist sie am Körper kaum spürbar. Wird die Power des Akkus gerade nicht gebraucht, kann er zum Beispiel ein Smartphone aufladen.
Die Steuerung
Neben der eigens entwickelten App fürs Smartphone lässt sich die Wärme auch auf Knopfdruck über ein Bedienelement am Innenfutter regulieren. Hier können die TrägerInnen zwischen je zwei Wärmestufen wählen – sowohl für die Taschen als auch für die Zonen am unteren Rücken.
Das Material
ALPHA TAURI
Die sogenannte E-Soft-Shell Heiztechnologie ist für die Verteilung der Wärme entwickelt worden. Entscheidend ist ein neuartiger beheizbarer Futterstoff, der ein Netzwerk leit fähiger Garne enthält. Weitere Stoffe wie etwa Corkshell bieten zusätz liche Wärmeisolation.
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KOLUMNE
Bestseller-Autor Christoph Koch schreibt über spannende bis verblüffende Zusammenhänge, die wir beim Weltverbessern mitdenken dürfen.
Christoph Koch 46, ist Autor für Titel wie „Die Zeit“, „brand eins“ oder „Geo“. Mit seinem Buch „Ich bin dann mal offline“ über digitalen Verzicht landete er einen „Spiegel“-Bestseller.
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läne sind nutzlos, aber Planung ist unersetzlich.“ Dieser Satz wird meist US-Präsident Dwight D. Eisenhower zugeschrieben. Vermutlich ist er schon viel älter. Er stimmt aber nach wie vor. Wer Pläne macht, wer Szenarien entwirft, wer also in Möglichkeiten denkt, der ist gezwungen, sich mit der Zukunft und ihren verschiedenen Varianten auseinanderzusetzen. Manche Entwicklungen erscheinen fast sicher, andere wirken unwahrscheinlicher. Doch selbst beim Nachdenken über die unwahrscheinlichen lässt sich etwas lernen – schon allein, weil Zusammenhänge sichtbar werden, von denen man vorher vielleicht nicht wusste. Denn jede Veränderung hat weitere Konsequenzen, zieht andere Umwälzungen nach sich. Hier habe ich ein paar der überraschenderen Folgen großer möglicher Veränderungen rund um das Thema Nachhaltigkeit zusammengestellt.
1. Mehr E-Autos, weniger Raucher
Mit der Umstellung unserer Autos auf Elektromotor sinkt der weltweite Benzinbedarf, logisch. Aber vermutlich dürfte auch der Zigarettenkonsum zurückgehen, wenn alle Menschen in E-Autos unterwegs sind. Denn derzeit werden in den USA rund die Hälfte aller Zigaretten an Tankstellen verkauft, in Deutschland
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2. Weniger Bares, weniger Emission
Noch sind die Deutschen strikt dagegen (84 Prozent, um genau zu sein), aber falls das Bargeld irgendwann doch ab geschafft wird, hätte das auch positiven Einfluss auf die Umwelt: Erstens, weil das Metall des Hartgelds wiederverwendet werden könnte – ein Münzquetscher vom Modell „Decoiner“ schafft pro Stunde bis zu fünf Tonnen, die anschließend eingeschmolzen werden. Und zweitens würden die Emissionen durch Geldtransporter entfallen – sie stoßen besonders viele Abgase aus, weil Kleingeld so schwer ist.
3. Weniger Fleisch, ein Kontinent mehr Platz
Wenn niemand mehr Fleisch äße, wäre das bekanntermaßen gut fürs Klima: Eine vierköpfige Durchschnittsfamilie in den USA beispielsweise verursacht durch ihren Fleischkonsum mehr Treibhaus gase als durch ihre beiden Autos. Gleichzeitig würde die Welt aber auch eine Nutzfläche in der Größe des afrikanischen Kontinents dazugewinnen. So viel Raum wird derzeit nämlich für den Anbau von Futtermitteln benötigt, die nur der Fleischerzeugung dienen.
4. Weniger Tempo auf der Autobahn, kaum weniger Lärm Würde Deutschland – das als einzige westliche Industrienation kein generelles Tempolimit auf der Autobahn hat – die Geschwindigkeit auf 120 km/h begrenzen, gäbe es den meisten Studien nach weniger Verkehrstote und Verletzte. Auch rund drei Millionen Tonnen CO² würden vermieden. Viel leiser würde es überraschenderweise jedoch nicht: Das Umweltbundesamt geht an Werktagen bei einem Tempolimit auf der Autobahn von einem halben Dezibel weniger Verkehrslärm aus. Zum Vergleich: Der so genannte Flüsterasphalt reduziert die Lautstärke um etwa drei Dezibel.
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URBAN ZUNTEL
NACHHALTIG ÜBERRASCHT
machen die Tankstellen 62 Prozent ihres Shop-Umsatzes mit Tabakwaren. Studien zeigen, dass das Angebot durchaus die Nachfrage bestimmen kann – und Menschen weniger Zigaretten kaufen, wenn sie weniger oft die Gelegenheit bekommen. Und mit dem E-Auto entfällt auch der Tankstellenstopp und somit der Blick aufs Zigarettenregal: Denn E-Autos tanken dort, wo sie parken – also vor allem zu Hause oder in der Bürogarage.
READ IT
EISENHOWERS DILEMMA: „PLÄNE SIND NUTZLOS, ABER PLANUNG IST UNERSE T ZLICH.“ 5. Weniger Subventionen, mehr Umweltschutz
Gäbe es keinerlei Subventionen für Individualverkehr mehr, verschwände zwar die E-Auto-Prämie, die Umwelt könnte aber trotzdem profitieren: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat berechnet, dass sich der weltweite Schaden durch Kraftstoffsubventionen auf jährlich 5300 Milliarden Dollar summiert. Das sind sechs Prozent des globalen Brutto inlandsproduktes und fast so viel wie die weltweiten Gesundheitsausgaben. Würde der Staat Kraftstoffe nicht fördern, gewännen umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel Attraktivität – wie Fahrrad statt Moped oder U-Bahn statt Auto. Treibstoffpreise werden gern mit der Begründung subventioniert, Menschen mit geringem Einkommen würden entlastet. Dabei profitieren in Wirklichkeit oft die Reichen: In einem typischen Schwellenland gehen 40 Prozent solcher Entlastungen an das reichste Fünftel der Haushalte. Beim ärmsten Fünftel kommen nur sieben Prozent an.
6. Weniger Menschen, mehr Elefanten, weniger Stubenfliegen
Wenn es die Menschheit nicht mehr gäbe, würde sich die Elefantenpopulation binnen hundert Jahren verzwanzig fachen, da natürlich auch Wilderer und Elfenbeinhandel wegfielen. Auch die Zahl an Vögeln nähme wieder stark zu: Allein in den USA sterben nach Schätzungen 80 Millionen Vögel jährlich durch Autos und eine weitere Milliarde durch Pestizide und Stromleitungen. Ratten, Stubenfliegen oder Kopfläuse – also Tiere, die sich stark an den Menschen angepasst haben – hätten es jedoch schwerer und würden ohne uns nahezu aussterben.
Mehr überraschende Erkenntnisse und spannende Szenarien finden sich in dem Buch „Was wäre, wenn …? 33 Szenarien, die unsere Welt neu denken“ von Christoph Koch, erschienen im Tropen Verlag (176 Seiten, 15 Euro). Mehr Infos unter: christoph-koch.net INNOVATOR
IMPRESSUM
Gesamtleitung The Red Bulletin Alexander Macheck (Ltg.), Sara Car-Varming Chefredaktion The Red Bulletin Andreas Rottenschlager (Ltg.), Andreas Wollinger Chefredakteur Innovator Arek Piatek Textchefs Jakob Hübner, Andreas Wollinger Redaktion Florian Obkircher, Wolfgang Wieser Creative Director Kasimir Reimann (Ltg.), Erik Turek Grafik Marion Bernert-Thomann, Martina de Carvalho-Hutter, Cornelia Gleichweit, Kevin Goll, Antonia Uhlig Fotoredaktion Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty (Stv.), Susie Forman, Tahira Mirza, Rudi Übelhör Managing Editors Ulrich Corazza, Marion Lukas-Wildmann Publishing Management Ivona Glibusic, Bernhard Schmied, Anna Wilczek Managing Director Stefan Ebner Head of Media Sales & Partnerships Lukas Scharmbacher Head of Co-Publishing Susanne Degn-Pfleger Projektmanagement Co-Publishing, B2B-Marketing & Communication Katrin Sigl (Ltg.), Mathias Blaha, Katrin Dollenz, Thomas Hammerschmied, Teresa Kronreif (B2B), Eva Pech, Valentina Pierer, Stefan Portenkirchner (Communication) Creative Services Verena Schörkhuber-Zöhrer (Ltg.), Sara Wonka, Julia Bianca Zmek, Edith Zöchling-Marchart Commercial Management Co-Publishing Alexandra Ita Editorial Co-Publishing Raffael Fritz (Ltg.), Gundi Bittermann, Mariella Reithoffer, Wolfgang Wieser Executive Creative Director Markus Kietreiber Projekt Management Creative Elisabeth Kopanz Art Direction Co-Publishing Peter Knehtl (Ltg.), Erwin Edtmayer, Andreea Parvu, Dominik Uhl Commercial Design Simone Fischer, Martina Maier, Alexandra Schendl, Julia Schinzel, Florian Solly, Stephan Zenz Abo und Vertrieb Peter Schiffer (Ltg.), Marija Althajm, Nicole Glaser ( Vertrieb), Victoria Schwärzler, Y oldaş Yarar (Abo) Anzeigenservice Manuela Brandstätter, Monika Spitaler Herstellung & Produktion Veronika Felder (Ltg.), Friedrich Indich, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig Lektorat Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner, Klaus Peham, Vera Pink Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailović, Sandra Maiko Krutz, Josef Mühlbacher Finanzen Mariia Gerutska (Ltg.), Klaus Pleninger MIT Christoph Kocsisek, Michael Thaler Operations Melanie Grasserbauer, Alexander Peham, Yvonne Tremmel Projektmanagement Gabriela-Teresa Humer Herausgeber & Geschäftsführer Andreas Kornhofer Verlagsanschrift Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43/1/90 221-0, Fax +43/1/90 221‑28809 Web redbulletin.com Medieninhaber, Verlag & Herausgeber Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700 Geschäftsführer Dkfm. Dietrich Mateschitz, Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber
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DESIGN-HIGHLIGHT Misst kosmische Strahlung und spürt ihre Herkunft auf: das IceCubeObservatorium am Südpol
Neutrino-Suche auf dem Südpol
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DIESE STATION ENTSCHLÜSSELT DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS
SVEN LIDSTROM/ICECUBE/NATIONAL SCIENCE FOUNDATION
Schon mal was von „Neutrinos“ gehört? Es sind Elementarteilchen, kleinste Ein heiten unserer Materie, die täglich als kosmische Strahlung auf die Erde pral len. Wo sie herkommen, ist unbekannt. Um diese Frage zu beantworten, wurde 2010 in der Antarktis der größte Neu trino-Detektor der Welt fertig gestellt: das IceCube Neutrino Observatory. Und dort gelang den Forschern 2017 eine Sensation: Sie orteten sie ein Milliarden Lichtjahre entferntes Schwarzes Loch als e in Ursprung der Neutrino-Strahlung – und erlangten dadurch fundamentale Erkenntnisse zur Entstehung kosmi scher Strahlen sowie einen wichtigen Schritt im Verständnis des Universums energetischer Prozesse. Gerade wurde der IceCube up-gegradet und mit mehr Detektoren ausgestattet – um künftig die Geheimnisse des Alls noch intensi ver zu ergründen. icecube.wisc.edu
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3 TIPPS VON JEDEM GAST FÜR DEINEN ALLTAG
Pioniere unserer Zeit sprechen über die innovativen Rezepte hinter ihrem Erfolg. Jeden Montag – überall, wo es Podcasts gibt. Jetzt reinhören und am besten gleich abonnieren:
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EINE NEUE DEFINITION VON MEHR. Unser Crossover SUV begeistert mit mehr Flexibilität, mehr Effizienz, mehr Technologie. Dafür sorgen unter anderem die innovative Ford MegaBox, der Hybrid-Antrieb und die wegweisenden Assistenzsysteme. Im Ergebnis bedeutet das für uns das Goldene Lenkrad 2020 und für Sie viel Fahrspaß.
Kraftstoff verbrauch (in l/100 km nach § 2 Nrn. 5, 6, 6 a Pkw-EnVKV in der jeweils geltenden Fassung): 5,3–5,1 (innerorts), 4,0–3,8 (außerorts), 4,5–4,3 (kombiniert); CO2-Emissionen: 102–97 g/km (kombiniert). * Ausgezeichnet von Bild am Sonntag, Ausgabe 45/20 und Auto Bild, Ausgabe 45/20, mit dem Goldenen Lenkrad 2020 in der Fahrzeugkategorie kleine SUVs.