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HERR DES FLIEGENS

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DIE VERWANDLUNG

DIE VERWANDLUNG

DER RADKROBAT

Slopestyle ist die schwierigste Form des Mountainbikens. Und EMIL JOHANSSON, 23, ist der beste Slopestyler der Welt. Hier erzählt er, wie er sich aus einer tiefen Lebenskrise befreite. Und warum es hilft, einen Schritt zurück zu machen, um bald wieder ganz oben zu stehen.

Text WERNER JESSNER

Das Bike in der Luft und parallel zum Boden: Slopestyle-Ass Emil Johansson zeigt den „Euro Tabletop“.

„Viele wollen mich verlieren sehen – ich hab nichts dagegen.“

Mountainbiker Emil Johansson, 23, über den entspannten Umgang mit Konkurrenz

„Ich habe mich in meiner Liebe verloren und immer, immer weitergemacht.“

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lopestyle ist jene Spielart des Mountainbikens, die die größten motorischen Fähigkeiten verlangt. Selbst geübte Zuschauer müssen manchmal die Zeitlupe bemühen, um zu verstehen, wer und was wie oft rotierte und um welche Achsen. Slopestyle ist auch jene Spielart, die den meisten Mut erfordert. Nirgendwo sonst fallen die Sprünge so hoch und so weit aus. Nirgendwo sonst ist es für Alltagsbiker so utopisch, den Kurs auch nur irgendwie zu bewältigen. Zwischen Absprung und Landung liegen oft mehr als zehn, manchmal auch zwanzig Meter. Wer zu schnell auf die gigantischen Jumps zufährt, hat ein Problem. Wer zu langsam ist, aber auch.

Slopestyle ist ein Publikumsmagnet. Die großen Events wie Red Bull District Ride, Red Bull Joyride oder die Stopps der Crankworx World Tour ziehen die Massen nicht nur vor die Monitore, sondern auch zu den Events. Vor allem ist Slopestyle ein sehr junger Sport, nimmt man das Alter der Top-Athleten als Maßstab.

Auftritt Emil Johansson, gerade 23 geworden. Der blonde Schwede aus der Stadt Trollhättan kürte sich 2017 mit gerade einmal 18 Jahren zum Sieger der Gesamtwertung – als jüngster Fahrer der Slopestyle-Ära. „Das wird der nächste Unstoppbare“, hatte Slopestyle-Legende Brandon Semenuk prophezeit. Und die Legende sollte recht behalten.

Doch nach dem großen Triumph, eingefahren beim Red Bull District Ride in Nürnberg vor über hunderttausend Zuschauern, wurde es Zeit, sich den Rückenproblemen zu widmen, die den jungen Überflieger plagten. Emil konsultierte zwei Ärztinnen in München, die dem Leiden gemeinsam auf die Schliche kamen: Emil litt an Hashimoto-Thyreoiditis und einer Infektion, hervorgerufen durch das Epstein-Barr-Virus. Diese beiden Autoimmunerkrankungen waren auch der Grund, weshalb er oft selbst nach zwölf Stunden Schlaf wie gerädert aufwachte. Mit einer Kombination aus Medikation und Physiotherapie wurde Emil zunächst körperlich stabilisiert. Die Krankheit ist nicht weg, aber sie ist voll unter Kontrolle. Der Rest passierte in Emils Kopf.

Im vergangenen Jahr wiederholte er seinen Slopestyle-Gesamtsieg, gewann alle großen Events, bei denen er antrat, und schrieb sich als zweiter Fahrer überhaupt in den Triple Crown Club für drei Siege in der höchsten Kategorie innerhalb eines Jahres ein. Emil ist zurück. Aber der beste Emil, verspricht Emil, kommt erst.

  : Was verbindest du mit München, wo deine Karriere so richtig begonnen hat?

 : Gemischte Gefühle. In München bin ich mit 16 Jahren meinen ersten Event der höchsten Kategorie gefahren. Es war so was wie mein Durchbruch auf der großen Bühne. Das war ziemlich emotional. Eineinhalb Jahre später war ich dann zum ersten Mal wegen meiner medizinischen Probleme dort. Auch die dunkelste Zeit meines Lebens spielte in München.

Aber es ist doch gut ausgegangen?

Ich hatte großes Glück. Das waren nicht die Klischee-Ärzte, die hören, ach, Mountainbiker mit Rückenweh, ein paar Painkiller, und weiter geht’s. Wir haben eine tiefe persönliche Beziehung entwickelt. Ich glaube, ich werde ihnen nie zurückzahlen können, was sie für mich getan haben.

Wen siehst du, wenn du auf den 18-jährigen Emil zurückblickst?

Ein sehr entschlossenes Kind. Eines, das alles unternimmt, um seine Leidenschaft zu seinem Leben zu machen. Damals hatte ich keine Ahnung von Effizienz, von Training. Ich bin bloß auf dem Rad gesessen, weil ich es geliebt habe. Mein Körper hatte gar keine Chance, sich zu regenerieren. Die Balance hat völlig gefehlt. Ich habe mich in meiner Liebe verirrt und einfach immer, immer weitergemacht. Heute bin ich schlauer. Auch – und gerade – wegen der Krankheit.

„Gib immer alles, dann kannst du alles schaffen – das Netz ist voll solcher Botschaften. Aber was, wenn man ohnehin schon alles gibt?“

Wie hast du dein Training umgestellt?

Schwierig, das in einzelne Übungen runterzubrechen. Entscheidend war das Mentale. Das Internet ist voll mit Motivatoren: „Gib immer alles, dann kannst du alles schaffen“, solche Sachen. Was aber, wenn man – so wie ich – ohnehin schon alles gibt? Dann brennst du aus. Schläfst zu wenig. Regenerierst dich nicht mehr. Ernährst dich womöglich auch noch schlecht. Dann beginnt sich die Spirale zu drehen, die Resultate werden schlechter. Du arbeitest noch härter. Bist erst recht müde. Für mich war entscheidend, einen Schritt zurück zu machen. Mein Leben anzuschauen. Routinen zu etablieren, die mir und meinem Körper guttun. Ich bin heute viel reifer.

Folgende Theorie: Slopestyler sind die Rockstars des Mountainbikens: Party, Action, keine Schmerzen. Du hast den inneren Rockstar gezähmt.

Haha, von allen Fahrern bin ich definitiv am wenigsten ein Rockstar! Aber es stimmt schon: Ich beobachte bei anderen Fahrern, wie sie den Fokus verlieren. Wie sie Dinge zuerst machen, die sie von dem ablenken, was sie eigentlich lieben, nämlich das Radfahren. Wenn du in diesem Sport etwas schaffen willst, musst du Ablenkungen ausblenden und auf die Zeit nach der Karriere verschieben.

Wie hat es sich angefühlt, nicht aufs Rad zu können?

Wahnsinnig schmerzhaft. Es war nicht nur der Umstand, nicht aufs Bike zu können. In dieser Zeit war ich einfach nicht ich selbst. Ein Fremder in meinem Körper, alles war anstrengend. Ein paar Monate lang hatte ich null Energie. Ein Tag im Fitnesscenter – am nächsten Tag krank. Keine Kraft, um Rad fahren zu gehen. Darüber hinaus kann es immer diese allgemeine Verunsicherung geben, die sich in Kleinigkeiten äußert – die einen jedoch aus der Bahn werfen können. Sogar Familienessen haben mich gestresst. Schwierig zu beschreiben, ich musste mich selbst wiederfinden.

Konntest du dich mit anderen Menschen austauschen?

Jeder funktioniert da anders. Ich habe nicht viel geredet. Es weiß ohnehin jeder, dass die Krankheit da ist.

Hast du Freunde unter deinen Gegnern?

Oh ja. Mit Erik Fedko und Nicholi Rogatkin sogar meine zwei größten Gegner! Das ist schon cool in unserem Sport: Es geht um den perfekten Run. Wenn einer besser ist: geil! Dass sich Boxer vielleicht hassen müssen, kann ich nachvollziehen. Bei uns ist das anders. Wir hängen gemeinsam ab und trinken nach dem Contest ein Bier miteinander. Es bringt keinem was, die anderen zu hassen. Meine Gegner können vielleicht mein Ergebnis beeinflussen, aber nicht meinen Run. Als ich in die Szene gekommen bin, war die Stimmung noch etwas rauer. Das hat sich in den letzten Jahren definitiv geändert, und ich finde es gut.

Dämpft es nicht die Stimmung der Gegner, wenn du jeden einzelnen Contest dominierst?

Viele wollen mich verlieren sehen! Da hab ich nichts dagegen, das ist völlig normal im Sport. Das Härteste ist immer, den nächsten Contest zu gewinnen. Kleinigkeiten entscheiden, und unser Sport ist wahnsinnig komplex, ein Mosaik aus Kleinigkeiten. Fehler können jederzeit passieren: Du schätzt den Wind falsch ein. Den Absprungwinkel. Den Rollwiderstand. Die Rotation. Schon ist es passiert. Klar sieht es von außen schwierig aus, was wir machen, aber glaube mir: In der Realität ist es noch schwieriger. Wie jede Siegesserie wird auch meine eines Tages abreißen. Damit habe ich kein Problem. Ich bin eher demütig, dass meine Ergebnisse aktuell so gut sind.

Hat dich die Siegesserie selbst überrascht?

Ganz ehrlich? Nein. Ich weiß ja, wie viel ich investiert habe. Und ich weiß, was ich konnte, bevor ich so viel investiert habe. Es ist die Evolution von Emil. Als ich zurückgekommen bin, war ich körperlich richtig schwach. Seither habe ich zehn Kilo Muskelmasse zugelegt. Das sowie mein Reifeprozess als Athlet sind eine ganze Menge Kapital, und es gibt einfach keinen Grund, warum ich heute nicht besser sein sollte als vor drei Jahren.

Was bedeuten dir Ergebnisse?

Ich hänge nicht so sehr an Ergebnissen. Wenn ich am Start stehe, will ich den besten Run runterbringen, den ich mir vorstellen kann. Sieg? Fein. Letzter Platz? Auch okay, solange es für mich gepasst hat. Das ist der Drive: dass ich so fahre, wie ich es mir vorgestellt habe.

Was betrachtest du als deinen bisherigen sportlichen Höhepunkt?

Keinen Sieg, sondern Platz vier bei meinem Comeback 2018. Allein den Kurs bewältigt zu haben – etwas, das Monate davor völlig undenkbar gewesen wäre. Ich war noch ziemlich schwach, aber ich war da. Stand oben. Konnte fahren. Sah ein Licht am Ende des Tunnels. Ich wusste, ich würde zurückkommen. Das war das Schönste, und darum war ich im Ziel auch so emotional und musste sogar weinen. Der WM-Titel letzte Saison war die endgültige Bestätigung: Jetzt bin ich tatsächlich zurück.

Wohin geht die Reise?

Ich arbeite ständig an neuen Tricks, die ich noch nie gemacht habe. Diesen Sommer werde ich viel auf dem Bike sitzen. Ausgewählte Events fahren.

1. Volle Konzentration: Emil Johansson auf seinem Trainingsparcours im schwedischen Falun kurz vor dem Absprung. 3. Bodenlos: Emil richtet den Körper wieder auf und bereitet sich auf den Landeanflug vor.

4. Der Touchdown: Eine perfekte Landung, beide Reifen berühren gleichzeitig den Boden. Entscheidend dafür ist die Geschwindigkeit beim Absprung.

Vor viereinhalb Jahren hat dort meine erste Karriere geendet. Vor zehntausenden Fans. Mit dem Titel der FMB World Tour. Das macht mich noch immer ein wenig – überrascht? Demütig? Da, wo ich herkomme, wird man nicht einfach Mountainbiker, der wie ein Rockstar in der Nürnberger Altstadt steht und sich als bester Slopestyler der Welt feiern lässt. In meiner Kindheit gab es vielleicht ein oder zwei Jungs, mit denen man auf Fahrrädern von Gehsteigkanten springen konnte. Es war ein langer Weg, für den ich als Teenager die Stadt gewechselt habe, um in Falun bessere Trainingsbedingungen zu haben. Vor zehn Jahren machte ich meinen ersten Backflip (Rückwärtssalto, Anm.). Fünf Jahre später war ich Weltmeister. Keine Ahnung, wie das so schnell gehen konnte! Das verbinde ich mit dem Red Bull District Ride.

Wie fühlt sich der Red Bull District Ride in der Altstadt für den Fahrer an – etwa im Unterschied zu einem Event auf einem Berg?

Es sind so viele Menschen! Auf dem Bike verschwimmen sie zu einer bunten Masse wie in einem psychedelischen Tunnel. Eine bunte Verschwommenheit, zu ver-

„Abkürzungen funktionieren nicht. Im Leben geht es um den Weg. Um den Prozess.“

rückt, um sich real anzufühlen. Genau wie der Blick vom Startturm. Ich brauche immer Zeit, um das zu verarbeiten. So nahe kommt man als kleiner Radfahrer dem Gefühl, ein Rockstar zu sein, nirgendwo sonst. Ziemlich crazy!

Martin Söderström war der erste schwedische Slopestyle-Star und dein deklariertes Vorbild. Heute bist du die Nummer eins. Fungierst du mittlerweile als Mentor für junge Fahrer?

Mentor ist ein zu starkes Wort. Natürlich helfe ich, wo ich kann, wenn man mich fragt. Aber eigene Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Ganz egal, wer dir sagt, wie es geht: Solange du es nicht selbst ausprobiert hast, weißt du es nicht. Das war eine meiner wichtigsten Er-

Sprung ins Glück

Die Slopestyle-Elite kommt zum Showdown nach Franken

Der Red Bull District Ride ist der Bike-Event des Jahres und das große Finale der Freeride World Tour. Der Slopestyle-Kurs vor insgesamt 100.000 Zuschauern führt die besten Rider der Welt mitten durch die Nürnberger Altstadt – inklusive Big-Air-Sprung aus dem Rathausbüro des Oberbürgermeisters.

Nicht verpassen! Der Red Bull District Ride am 2. und 3. September in Nürnberg – oder live auf Red Bull TV. Info: redbull.com/districtride

fahrungen. Ich musste es selbst herausfinden. Und nicht nur das: Ich musste auch lernen, wie man Dinge herausfindet. Vorgefertigte Lösungen berauben dich dieser Chance. Abkürzungen funktionieren meiner Ansicht nach nicht. Es geht um den Weg, um den Prozess.

Das gilt wohl auch für deine letzten fünf Jahre abseits des Bikes. Würdest du alles noch einmal so machen, mit dem Erfahrungsschatz von heute?

Nein. Wenn wir zurückspulen könnten, würde ich einiges ändern. Ich kann manchmal nicht glauben, was ich damals für die beste Entscheidung gehalten habe. Wie ich Dinge angegangen bin. Aber das passiert mir auch, wenn ich nur ein paar Monate zurückschaue: Was habe ich mir dabei nur gedacht? Aber das nennt man wohl dazulernen. Es gibt so vieles, was man nicht weiß, und das hört nie auf. Es gehört einfach so viel mehr dazu, ein Bike-Profi zu sein, als man meint.

Bereust du etwas?

Nein. Ich bin in Balance mit mir selbst. Aber ich stelle mir mehr denn je die Frage: Willst du das wirklich? Ist das meine Lebenszeit wert?

Eine ganz große Frage…

Ja – und wie viel von meiner Lebenszeit? Auch darauf bin ich in den letzten Jahren gekommen: dass es Dinge gibt, für die man gar nicht brennt, die aber getan werden müssen, wenn man das Feuer weiterbrennen lassen will. Aber auch daraus lässt sich Befriedigung ziehen. Am Ende muss es sowieso jeder mit sich selbst ausmachen. Wenn es dir deine Zeit wert ist, vor dem Fernseher Fastfood zu essen: fein. Meine Vorstellungen sehen anders aus – aber das ist ganz allein meine Sache.

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