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DER KLICK ZUM GLÜCK

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SIENNA MILLER

SIENNA MILLER

Polaroids aus der HartplastikBox, fette Synth Drums und Jeans, die bis zum Nabel reichen. Der große Nostalgie-Boom: So macht uns das Gestern Lust auf morgen. Und auf alte Turnlatschen um 47.000 Euro…

Text MARK BAILEY Fotos PHILIPP MUELLER Prop Styling KELLY-ANNE WILLS

Objektiv betrachtet gibt es längst bessere Fotoapparate als die Sofortbildkamera von Polaroid. 2008 wäre die Produktion fast eingestellt worden – ehe das gute Stück eine völlig neue Bedeutung bekam: eine Kamera wie damals. Nostalgie zum Abdrücken.

Professor Tim Wildschut (Bild links) ist auf die Vergangenheit fixiert. Er hat sein Leben der Erforschung der Nostalgie verschrieben. Schon der Begriff ist vergilbt, er stammt aus dem 17. Jahrhundert: Damals beschrieb man damit die Melancholie von Kriegsheimkehrern, eine Kombination der griechischen Wörter nóstos (Heimkehr) und álgos (Schmerz). Seit damals hat Nostalgie einen angekratzten Ruf: als sentimentales Festhalten am Vergangenen. Doch Professor Wildschut sagt: „Nostalgie ist eine kreative Schubkraft, die uns Hoffnung, Selbstvertrauen und Optimismus verleiht!“

Tim Wildschut, Professor für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Southampton, forscht seit zwei Jahrzehnten an dieser lange missverstandenen Emotion. Anders als vorangegangene Denkschulen konzentrierte sich Wildschut auf die empirische Forschung am Beispiel alltäglicher Durchschnittsmenschen. „Nostalgie“, fand er heraus, „lässt sich ganz leicht wecken, sie liegt direkt unter der Oberfläche.“

Zuerst versetzt er seine Klienten in nostalgische Stimmung: durch Fragen nach alten Spielzeugen, Haustieren oder Wohnorten, durch das Spielen alter Lieblingssongs oder den Duft von Zuckerwatte, mit Bildern längst vom Markt genommener Süßigkeitsverpackungen. Darauf folgt eine Serie von Tests, um die Reaktionen darauf zu messen. Das Resultat: Wer Nostalgie empfindet, hat mit Trauer nichts am Hut. Im Gegenteil: Das individuelle Glücksgefühl steigt, die Verbindung zu anderen wird als stärker empfunden, der Lebenssinn gefestigt. „Die meisten Menschen finden die Emotion angenehm, positiv und bedeutungsvoll“, sagt Wildschut. Und er fand noch etwas Interessantes heraus: Nostalgie ist keine Schwäche der älteren Generation. „Jeder empfindet Nostalgie, doch am stärksten ist das Gefühl bei jüngeren Menschen. Unserer Interpretation zufolge machen nostalgische Gefühle den Wechsel von Lebensphasen einfacher – etwa den Auszug aus dem Elternhaus oder den Übergang von der Jugend ins Erwerbsleben.“

Statt bloß die Vergangenheit zu verklären, scheint uns Nostalgie für unsere Pläne zu inspirieren. „Nostalgie ist keine Einbahnstraße: Die bittersüße Erinnerung an glückliche Zeiten, die niemals wiederkommen werden, gibt uns Mut, uns auch eine glücklichere Zukunft auszumalen“, sagt Wildschut.

Doch das ist nicht alles. Nostalgie ist auch der perfekte Beziehungskitt. „Gemeinsamkeiten, die uns mit unserem Jahrgang oder unserer Generation verbinden, erfüllen unser Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit.“ So gesehen überrascht es nicht, dass Popstar Billie Eilish nach der US-Version von „The Office“ süchtig ist – immerhin ist das eine Serie, die im Jahr 2005 erstausgestrahlt wurde, als Billie selbst erst zarte drei war. Doch Eilish sampelt „The Office“ auch in ihren Songs und setzt die Titelmelodie als Opener für ihre Shows ein. Das PopkulturMagazin „Vulture“ nennt das „eine extreme Addiction der Generation Z“, Billie selbst findet es „therapeutisch“.

Notalgie – die heilende Sucht! Auch für US-Schauspielerin Olivia Munn, die als Jugendliche mit Hingabe das 1992 auf den Markt gebrachte Nintendo-Game „Super Mario Kart“ gespielt hat. Heute, mit 42, sei Gamen „wie Meditation für mich“, meint Munn. „Nostalgie stachelt unsere Kreativität an“, resümiert Wildschut. „Du wirst offener“, sagt er. „Sie ist wie ein Sprungbrett für die Entdeckung der Welt.“

MODE Stranger Trends

Wie eine Netflix-Serie den Kleidungsstil der 1980er zurückbrachte.

„Stranger Things“ ist nicht nur Sci-Fi-Drama. Mit seiner Hommage an die 1980er-Jahre war es auch Mitgrund für das Comeback der dazugehörigen Mode – obwohl der Großteil der Fanbase viel zu jung ist, um sich zu erinnern. Kostümdesignerin Kimberly Adams-Galligan stellte sich dieser Herausforderung: „Als wir 2015 begannen, trug kein Mensch High-waisted Jeans“, sagt sie. „Die jungen Schauspieler fanden sie total komisch, sie waren noch an die Low-Rise-Ära aus den 2000erJahren gewöhnt. Heute sind die Kids verrückt nach Hosen mit High Waist.“ Die jungen Stars von „Stranger Things“, etwa Millie Bobby Brown, 18, und Finn Wolfhard, 19, wurden zu Stil-Ikonen der Generation Z. Fawnia Soo Hoo, Redakteurin der Fashion-Website „Fashionista“: „Die Ästhetik der 80er stellt Spaß und Exzess in den Vordergrund, die Farben knallen. Die Generation Z hingegen ist verantwortungsbewusst, darum verleiht ihr ein Ausflug in die 80er so ein Freiheitsgefühl. Der bewusste Umgang mit Ressourcen in Form von Vintage steht bei dieser umweltbewussten Generation hoch im Kurs.“

Die Serie inspirierte auch ein paar retromoderne Kollaborationen – von Nikes „Hawkins High School“ Air Tailwind 79 Sneakers bis zum „Stranger Things“-T-Shirt, mit dem Louis-Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière 2017 ein Model auf den Laufsteg der Pariser Fashion Week schickte.

„In den 80er-Jahren drehte sich alles um Spaß und Exzess. Für die Generation Z wirkt das wie ein Ausflug in die Freiheit.“

Fashion-Autorin Fawnia Soo Hoo über den Retro-Appeal der Sci-FiDrama-Serie „Stranger Things“

„Jeder Schuh ist ein Kunstwerk – das kostet eben seine 47.000 Euro.“

Nohman Ahmed, Besitzer des Londoner Schuhladens Presentedby (Bild), einer Pilgerstätte für Sneaker-Nostalgiker aus aller Welt

SNEAKERS Herz und Sohle

Früher landeten alte Turnschuhe ganz prosaisch im Müll. Heute gibt’s eine eigene Börse für sie.

Als Nohman Ahmed mit seinen Brüdern Imran und Rizwan 2017 in London den SneakerLaden Presentedby eröffnete, war der Hauptantrieb Nostalgie. „Wir liebten schon als kleine Jungs Turnschuhe – ich mochte Reebok Workouts und Reebok Classics am liebsten“, erinnert er sich. Im Laden in der Tottenham Court Road findet man Sammlerstücke, Neuauflagen und Klassiker. Seine Spezialität sind, wie Ahmed das nennt, „refined regenerations“: VintageTrainer auf kunstvollen Sockeln, Retro-Designs, die sich mit futuristischem Dekor schlagen – und darüber ein Börsenticker mit den aktuellen Preisen.

Die Klientel ist entsprechend prominent, Fußballstar Neymar Jr. zählt ebenso dazu wie der britische Sänger Liam Payne. „Jeder weiß, wie selten diese Stücke sind“, sagt Ahmed. „Du weißt: ‚Diesen Style hat niemand außer mir!‘ Ganz so, als ob du ein feines Kunstwerk erwirbst.“ Der Vergleich passt

auch in Bezug auf die Preise: Ein Paar Air Jordan 4 Undefeated aus dem Jahr 2005 kostet umgerechnet 47.000 Euro, der Eminem × Carhartt × Air Jordan 4 41.000 Euro. Es gibt aber auch den Limited Edition Air Max 90 für rund 230 Euro. „Hinter jedem Schuh steckt eine Story“, sagt PresentedbyDirektor Ridwane Ettoubi. „Der Nike Yeezy Red October für 10.000 Pfund markiert zum Beispiel das Ende der Beziehung von Nike und Kanye West. Die Schuhe sind Geschichte.“ Sneaker-Nostalgie mag heute ein Luxusgut sein, doch das war für Ahmed nie ein Antrieb. „Viele glauben, man braucht tausend Paar, um ein Sneakerhead zu sein, aber das ist Unsinn. Du brauchst allein Leidenschaft.“ Und ein bisserl Taschengeld.

presentedby.com Polaroidkamera: grauer Kunststoff, knallige Bilder

FOTOGRAFIE Mit allen Sinnen

Ein analoger Optimist holt uns zurück in eine prädigitale Welt.

Florian Kaps (Bild), 53, verliebte sich in analoge Technik, als er 2003 sein erstes Foto mit einer PolaroidKamera schoss. „Ich fand alles daran toll, vom Auslöser-Geräusch bis zum Bild“, sagt der Eigentümer von Supersense, einem analogen Konzept-Store in Wien, der alles von der Sofortbildkamera bis zu Vintage-Turntables anbietet. „Digitales beschränkt uns auf zwei Dimensionen: Du kannst hören und sehen. Alles, was analog ist, lässt sich zusätzlich auch noch berühren oder riechen.“

Kaps war überrascht, wie jung seine Kunden sind: „Die jüngeren Generationen verlieben sich in die analoge Technik. Sie sehnen sich nach Dingen, die bleiben – Digitales ist ja so vergänglich, ohne iPod existieren deine Songs gar nicht. Aber eine Plattensammlung, Mixtapes, Fotografien – die gehören für immer dir.“ 2008 erfuhr Kaps von der bevorstehenden Schließung der letzten Polaroidfilm-Fabrik. Daraufhin beschloss er, die einzigartigen Maschinen zu kaufen, die Fabrik zu leasen und das ikonische Foto-Medium so am Leben zu halten. 2013 zog er sich aus dem Projekt zurück, um Supersense zu gründen, doch Polaroid erfreut sich noch immer bester Gesundheit. Heute konzentriert sich Kaps auf Produkte, die analoge und digitale Technik auf clevere Weise kombinieren. „Am liebsten sind mir Konverter – und zwar nicht die, die von analog nach digital überspielen, sondern umgekehrt“, sagt er. „Mit unserem Instant Lab verwandeln wir ein digitales iPhoneFoto in ein chemisches Kunstwerk auf Polaroid-Film. Und wir machen den ‚Mastercut‘ von digitalen MusicFiles und pressen sie auf Vinyl.“ Platte(r) geht’s nicht!

„Funky, aber unperfekt, so war der Synth-Sound der Achtziger. Also haben wir ihn an die Erwartung von heute angepasst.“

Tyler Lyle vom Synthwave-Duo The Midnight über die 80er-Film- und -Game-Einflüsse auf die Band

MUSIK Synthetische Flashbacks

Hätte die Nostalgie einen eigenen Soundtrack, so würde er genau wie The Midnight klingen.

The Midnight: Producer Tim McEwan (li.) und Songwriter Tyler Lyle

Die Band The Midnight ist zwischen zwei Welten hin und her gerissen. Der des Sängers und Songwriters Tyler Lyle aus New York, Fan von Bruce Springsteen und Paul Simon. Und der des dänischen Producers Tim McEwan, der seine Wurzeln im synthesizergeprägten Pop von Toto und Phil Collins hat. Als The Midnight sind sie die Speerspitze von Synthwave – einer Musikrichtung, die den Electro-Pop-Sound der Filme und Videospiele der 1980er mit aktueller Popmusik verbindet. „Alles begann, als ich den Film ‚Drive‘ sah und mich im Soundtrack verlor“, sagt McEwan und meint damit Cliff Martinez’ Auswahl von Retro-Synth-Songs. „Ich spürte sofort eine emotionale Verbindung. Mich zog es zu Akkorden, die sich irgendwie nostalgisch anhörten, und Tyler schrieb dazu diese wunderbaren Texte.“

In den Folgejahren eroberte der Synthwave-Sound den Mainstream, etwa mit „Blinding Lights“ von The Weekend (2019) oder „Physical“ von Dua Lipa (2020). Aber anfangs, sagt McEwan, „war das noch eine echte Nische“.

Das Motto von The Midnight ist „mono no aware“, eine japanische Redewendung, die übersetzt so etwas wie „Trauer über das Vergehen der Zeit“ bedeutet. Ihre Alben – veröffentlicht auf NeonVinyl oder Musikkassetten mit Neon-Artwork – haben nostalgische Titel wie „Endless Summer“, „Kids“ oder „The Rearview Mirror“, die Tracks sind mit ihren gesampelten Kassettendeck-Klicks und Modem-Sounds kleine Zeitreisen. „Nostalgie funktioniert wie ein Fenster in unsere kreativen Ichs“, sagt Lyle.

Im vergangenen Jahr kamen The Midnight auf mehr als 70 Millionen Spotify-Streams in 92 Ländern. Lyle: „Wir schauen zurück auf unsere Wurzeln und hoffen dabei, herauszufinden, wie es weitergehen soll.“ Genau darum imitieren sie die Sounds der 1980er nicht nur, sondern versuchen, sie neu zu interpretieren. „Der digitale Hall der 1980er-

Synths war funky und unperfekt“, sagt Lyle, wir passen den Bass, die Vocals und die Snare Drum ein wenig an die Ansprüche von heute an.“

Inspirationen dafür finden sie etwa in 80er-Filmen wie „Terminator“ oder „Risky Business“: „Wenn ich einen dieser Filme sehe, gehe ich danach direkt ins Studio“, sagt McEwan. „Der Soundtrack und die Ästhetik wecken sofort meine Kreativität.“

„Wir blicken zurück auf unsere Wurzeln – und finden dabei heraus, wie es weitergehen soll.“

Tim McEwan, The Midnight

themidnightofficial.com Vintage-Shirt, veredelt von Pharrell Williams. Wow. Wau.

SPORT Der Rückpass

Wie Pharrell Williams VintageFußball-Trikots neu erfand.

Das Adidas-Archiv im deutschen Herzogenaurach ist das Fort Knox der Sportgeschichte, 18 Grad kühl, 55 Prozent Luftfeuchtigkeit. Hier lagern 40.000 Produkte, die ältesten sind 100 Jahre alt. „Sie müssen Spezial-Handschuhe überziehen“, mahnt Inigo Turner, Design-Direktor der Adidas-Fußballabteilung. Normalerweise dürfen hier keine firmenfremden Personen herein, doch einmal hieß man einen ganz besonderen Gast willkommen: US-Hip-Hop-Star Pharrell Williams. „Wir zeigten ihm die Abteilung mit den alten Fußballdressen, um einzelne Trikots für ein Redesign auszuwählen. Pharrell weiß viel über Mode, Menschen und Kultur, aber wenig über Fußball. Das machte seine Ideen doppelt spannend.“

Williams wählte ein paar ikonische Stücke aus, darunter das gelbe Arsenal-Trikot der Jahre 1991 bis 1993, das wie eine fleckige Banane aussah, oder das blaue Manchester-United-Schneeflocken-Trikot (1990 bis 1992). Diesen Jerseys verpasste er ein Graffiti-Makeover und ersetzte alle Sponsorenaufdrucke durch den Namen seines eigenen FashionLabels Humanrace. „Wir haben ihn in unser Labor mitgenommen, wo er selbst zu Spray und Paintbrush griff“, sagt Turner. „Diese neuen alten Jerseys entsprachen genau dem Zeitgeist der Acid-House-Clubbing-Szene. Williams’ Limited-Edition-Jerseys wurden rasch zu Klassikern, mit denen auf eBay eine Menge Geld zu machen ist. „Die Vergangenheit formt die Zukunft“, sagt Turner. Was für ein Turn!

US-Autor Ernest Cline vor seinem DeLorean DMC-12

POPKULTUR Die doppelte Zeitreise

Ein Sci-Fi-Autor findet den Schlüssel zur Welt von morgen in den Achtzigern.

Wenn Nostalgiker die Vergangenheit glorifizieren, sind Science-Fiction-Autoren wohl eher Postalgiker, also so etwas wie Zukunfts-Fans. Der US-Autor Ernest Cline ist beides. Das liegt vor allem an seinem 2011 erschienenen Buch „Ready Player One“, das Steven Spielberg 2018 verfilmte. Um die Zukunft zu reparieren, switcht Cline in die Vergangenheit. „Ready Player One“ spielt in einem dystopischen 2045, in dem Klimawandel, Überbevölkerung und Energieknappheit die Welt prägen. Zur Ablenkung flüchten die Menschen in eine Online-Welt. Der spannende Dreh: Das Virtual-Reality-Reich OASIS hat ein exzentrischer Spinner aus den 1980ern erfunden, der ein Vermögen für den Sieger eines Games auslobt, das voller Referenzen an popkulturelle Meilensteine wie „Dungeons & Dragons“, „Star Wars“, „Pac-Man“ und „Blade Runner“ ist. Cline setzt also clever auf die Kraft der Nostalgie, um die Sci-Fans an der Stange zu halten. „Fantasy tut immer so, als gäbe sie uns eine Fluchtmöglichkeit in eine andere Realität“, sagt Dr. Allen Stroud, Vorsitzender der Britischen Science Fiction Association. „Dabei fliehen wir doch alle immer in etwas Vertrautes. Zu Dingen, die wir schätzen, an die wir anknüpfen. Wir fliehen in unsere Erinnerungen.“ Für Cline spielen aber auch moderne Phänomene wie Online-Games, Social Media oder Reality-TV eine Rolle. „Die beiden Pole müssen miteinander verschmelzen“, sagt Stroud. „Einerseits braucht Cline Anknüpfungspunkte, mit denen die Leute von heute etwas verbinden, etwa riesige Multiplayer Online Games, zugleich wirft er uns zurück in unser Nostalgiegefühl.“ Ein großer Wurf.

GAMING Die Rückwerts-Revolte

Amerikanische Tüftler kreieren Vintage-Erlebnisse – und zwar mit der neuesten Mikrotechnologie.

Im Juli vergangenen Jahres wurde ein originalverpacktes Exemplar des 1986er-NintendoAdventure-Game „The Legend of Zelda“ für umgerechnet 815.000 Euro versteigert – ein Weltrekord. Der zwei Tage später schon pulverisiert wurde, als jemand für eine neuwertige 1996er-Ausgabe von „Super Mario 64“ stolze 1,46 Millionen Euro auf den Tisch legte. Im selben Jahr, in dem Sony und Microsoft gerade aufwendig konstruierte neue Spielkonsolen herausbrachten, hatten die marktführenden Spiele der Welt ein Vierteljahrhundert auf der knallroten Schirmkappe. „Die Leute denken nostalgisch an einfachere Zeiten zurück“, sagt Dr. Pippin Bar, stellvertretender Direktor des Technoculture, Art and Games Research Center in Montreal, Kanada. „Der Reiz

dieser alten Spiele ist ihre Einfachheit. Sie sind nicht besonders realistisch, da spritzen keine Gehirne an die Wand. Der Spaß steht im Vordergrund.“

Die Lust auf alte Games hat eine eigene Subkultur entstehen lassen. Retro Gamers sammeln ROMs (digitale Kopien alter Kassetten-Spiele) und spielen sie mithilfe von Software-Emulatoren (digitalen Simulationen alter Konsolen). Die rechtlichen Grenzen der Copyright-Gesetze werden dabei nicht ganz so streng genommen.

Parallel dazu entstand eine eigene Industrie von Mini-RetroKonsolen – offiziell lizenzierte, verkleinerte Nachbildungen der alten Geräte von Sega, Sony und Nintendo mit vorinstallierten klassischen Games. Für wahre Game-Archäologen geht das allerdings nicht weit genug. Denn anstelle der Hardware von einst kommen auch hier SoftwareEmulatoren zum Einsatz, das Spielgefühl reicht also nicht ganz ans Original heran.

Hier kommt die US-Company Analogue ins Spiel. Seit ihrer Gründung durch den HobbyGamer Christopher Taber hat sie nur eine Mission: das Spielerlebnis alter Cartridge Games so präzise und originalgetreu wie möglich zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck baute Taber neue Konsolen mit maßgeschneiderten Chips, die die Original-Schaltkreise in der Hardware eins zu eins kopierten. Laut Taber dauerte es allein drei Monate, „Sonic the Hedgehog“ auf der Mega Sg (dem Analogue-Klon der Sega Mega Drive) zum Laufen zu bringen. Das Design des Innenlebens der Super Nt (des sNachbau der Super Nintendo) kostete weitere 5000 Arbeitsstunden.

Analogue geht es aber nicht nur um das Bewahren traditioneller Spielerlebnisse, sondern auch um die Verbindung von persönlicher Erinnerung und moderner Ästhetik. Denn die Konsolen fühlen sich mit ihren OriginalKassetten zwar an wie früher, Videoauflösung, Sound und die Möglichkeit, sich kabellos mit anderen Mitspielern zu verbinden, entsprechen aber dem technischen Stand von heute. Taber: „Wir haben die Seele nicht verändert, sondern nur optimiert.“ Alte Seele, neues Glück. Und so wurde auch der Profit optimiert.

„Keine spritzenden Gehirne – bei den alten Spielen geht es noch um Spaß.“

Dr. Pippin Bar, Game-Forscher

analogue.co

„Wir haben ‚Super Marios‘ Seele nicht verändert, sondern nur optimiert.“

Retro-Spiele-Entwickler Christopher Taber, der Orignal-Schaltkreise auf Chips komprimiert

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