11/2012 &
in Stadt & Land
Mühlhiasl hat’s gsagt Chrysanthemen & Mispeln & Gräser & Zapfenpflücker in der Oberpfalz & Michael Köhlmeier: Die Stadt im Lautergrund & münchner gwand
Der Prophet aus dem Wald
2
E i nfac h
.
Gut .
Leben
Hochzeit am Berg
Auf den Spuren der Gams
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November 11/2012
EUR 3,90
Aus Omas
Backstube
Platzerl-Rezepte mit Tradition Zu Gast in Coburg
&
Kuhschellenschmiede im Oberallgäu
&
Der Zinngießer vom Ammersee >
84
52
36
November
Natur & Garten 12 Schleierhaftes Land
In aller Stille bereitet der Nebel die Natur auf den Winter vor.
20 Wenn der November blüht Die Herbstchrysantheme zaubert Farbenreichtum in den Garten.
28 Kleinod im Raureif
Im niederbayerischen Prachtgarten der Familie Ernst überzieht Herbst reif Kiefern, Kräuter und Gräser.
36 Im Reich der Gräser
Silberfeder und Blau-Schwingel haben jetzt ihren großen Auftritt.
128 Hochzeit in den Bergen
In den verschneiten Höhen geht der Gamsbock auf Brautschau.
4 Servus
134
Küche 48 Goldige Raritäten
Der kleine Mispelbaum kehrt zurück in unsere Gärten – mit den letzten Früchten im Jahreskreis. Mit dem ersten Frost gereift, schmecken sie besonders süß.
52 Schmankerl aus der Luft
Die besten klassischen Rezepte für Fasan, Gans und Co.
60 Omas Kochbuch
Schoarnbladl aus der Oberpfalz.
62 Alle Jahre wieder
Es duftet endlich nach Weihnachten. Acht Platzerlsorten, die zum Fest nicht fehlen dürfen und auf die sich die ganze Familie schon freut.
Wohnen 40 A gschwinde Zwistel
Jeder Lausbub braucht eine selbst gebaute Steinschleuder. So geht’s.
72 Das Märchenkloster
Nathaly Götz hat im oberbayerischen Windach ein Refugium so schön wie einst bei Oma geschaffen.
84 Basteln mit Kindern
Wie aus einem Stück Leder und einer Kordel ein lustiges Tascherl wird.
86 Hübsche Zweigstellen Herbstliche Äste haben viele Qualitäten, die sich für eine ganz besondere Deko eignen.
zusatzfotos Cover: mirco taliercio, ddp-images
Inhalt 2012
128
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Fotos inhalt: das gartenarchiv, ruth ehrmann, colourbox, eisenhut & Mayer, mirco taliercio, bernhard huber, imago
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Standards 118
Land & Leute
Brauchtum
94 Handwerk aus einem Guss
100 Das Münchner Gwand
Gunnar Schweizer stellt in Dießen am Ammersee in Familientradition einzigartige Zinn-Pretiosen her.
118 Natürlich schöne Schellen Die Schmiede von Bihlerdorf im Oberallgäu schaffen jetzt wieder ihre klingenden Kunstwerke.
124 O’zapft ist!
Sein Arbeitsplatz ist in luftiger Höh’: Albert Köglmeier aus der Oberpfalz ist einer von rund 50 Zapfenpflückern in Deutschland.
134 Eine sagenhafte Stadt
Zu Gast im fränkischen Coburg, wo Geschichte quicklebendig ist.
Im Stadtteil Lehel haben sich eine Handvoll Männer und Frauen zusammengetan, um alles für den Erhalt der wunderschönen Biedermeier-Tracht zu tun.
110 Der Mühlhiasl hat’s scho gsagt
Auf den Spuren des legendären Propheten aus Niederbayern. Oder waren es gar zwei?
158 Alte Zeiten
Der Markgraf im fränkischen Ansbach hielt sich einen Spaßmacher der besonderen Art – einen Hoftiroler!
3 Vorwort 6 Leserbriefe, Altes Wissen 8 Mundart 10 Servus daheim 26 Schönes für draußen 34 Der Garten-Philosoph 42 Gartenpflege, Mondkalender 46 Natur-Apotheke: Waldkiefer 70 Schönes für die Küche 80 Fundstück: Bücher zum Besitzen 90 Schönes für drinnen 106 Michael Köhlmeier:
Die Stadt im Lautergrund
146 Gutes vom Bauern: Eichelschwein 148 Julya Rabinowich:
Von Bergfexen und Mozartkugeln
152 ServusTV: Sehenswertes im November 156 Feste, Märkte, Veranstaltungen 162 Impressum, Ausblick, Adressen Titelfoto: Eisenhut & Mayer
Servus 5
jahreszeiten
12 Servus
Schleierhaftes Land
fotos: corbis
In aller Stille bereitet sich die Natur nun auf den Winter vor. Wenn die Sonne an Kraft verliert und die Böden langsam auskühlen, schweben feinste Wassertröpfchen übers Land und hüllen Wald und Wiesen in märchenhafte Schleier. Der Nebel kommt – und Servus-Autor Tobias Micke widmet ihm ein paar sehr persönliche Worte.
Wenn im Herbst die Sonne aufgeht im Tölzer Land, dann liegt über den Feuchtgebieten rund um den Kochelsee oft ein lichtdurchfluteter Nebelschleier.
Servus 13
Wölfe sind im Bayerischen Wald im Tierfreigelände von Neuschönau zu beobachten. Auch in freier Wildbahn ist Isegrim unterwegs. Nebelwanderer werden das Tier freilich nicht zu Gesicht bekommen, denn dazu ist es zu scheu.
14 Servus
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Aus weißen Nebeln tauchen schwarze Bäume, an kahlen Büschen perlt der Silbertau, aus blauen Wäldern fließen rote Gluten, die Sonne kommt, die Luft weht scharf und rauh. Das wird ein schöner Tag, schön wie die Liebe, die Liebe einer strengen, stolzen Frau. Hermann Löns (1866–1914)
foto: F1 online
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Servus 15
D
rei Sommer lang hatte ich Kühe gehütet. Immer auf derselben, wunderschönen Alm. Ich kannte sie bei Sonne und bei Regen. Ich kannte sie nachts, wenn der Mond so hell schien, dass er Schatten warf und das Vieh auf Wanderschaft ging. Ich kannte sie bei Hagel, Blitz und Donner. Ich kannte sie langsam, wenn beim Gehen Zeit zum Verschnaufen war, und ich kannte sie in eiliger Hast, wenn sich ein wütendes Gewitter näherte. Ich kannte buchstäblich jeden größeren Stein. Ich glaube, ich hätte auch mit verbundenen Augen hinauf in die Hochalm zum kleinen Moorsee gefunden. Dann kam der Nebel. Er schmiegte sich so dicht an die Sennhütte, dass die Scheiben beschlugen und es nichts Gemütlicheres gab, als drinnen im Warmen am knackenden Holzofen zu sitzen und ein Buch zu lesen. Spinnweben an den Fenstern verwandelten sich in zierliche Perlencolliers, der Brunntrog wenige Meter von der Hauswand entfernt war nur noch mithilfe des Wasserplätscherns auszumachen, und das Tal mit seinen Dörfern und Weilern und dem alles durchwandernden Fluss verschwand für zwei Tage gänzlich in einer anderen Dimension.
verlaufen im eigenen „Wohnzimmer“
Am zweiten Nebeltag musste ich nach dem Vieh sehen. Ich war gewarnt worden von den Einheimischen, dass ein solcher Nebel alles verändere, man die Orientierung verlieren und abstürzen könne. Ein Grund mehr für mich, nach den Kühen zu schauen. Der Kühe wegen. Was wär ich für ein Hirte, wenn ich sie in einem solchen Wetter alleinließe, sie nicht zusammenriefe, um ihnen ihre Portion Salz zu geben? Und was sollte mir schon passieren, ich kannte ja jeden Stein. Niemals in diesen Monaten auf der Alm habe ich mich so allein gefühlt wie in diesen drei Stunden. Unbewusst fühlt man sich als Teil eines Ganzen, als Teil dessen, was man sieht und hört und fühlt. Aber jetzt: Ich sah bis hinunter zu meinen Bergschuhen. Ich sah den Weg, den ich täglich ging. Und wenn ich den Hirtenstock waagrecht in den Nebel steckte, konnte ich gerade noch seine Spitze ausmachen. So dicht war der Nebel. „Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, kein Baum sieht den anderen, jeder ist allein …“ So beginnt Hermann Hesse eines seiner Gedichte. ➻
16 Servus
Die Feuchtigkeit des Loisach-Kochelsee-Moors speichert die Wärme des Sommers länger als die bodennahen Luftschichten. Der Temperaturunterschied verwandelt das Naturschutzgebiet in eine Märchenlandschaft.
7
Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen: bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt, herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen. Eduard Mörike (1804–1875)
foto: corbis
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Servus 17
Und genau so fühlte es sich denn auch an. Kam ich an einem vertrauten Felsen oder Baum vorbei, waren wir für Sekunden in derselben kleinen Welt, teilten sie miteinander, tauschten einen erleichterten, stillen Gruß des Wiedererkennens aus. Und wenn ich weiterging, war wieder jeder für sich. Als ich in die milchige Stille hinein nach meinen Kühen rief, konnte ich mir förmlich vorstellen, wie sie überrascht den Kopf hoben und mit den großen Ohren schlackerten. Dann: Glockengeläut, vereinzeltes Muhen. Wenig später besuchte mich ein Dutzend vierbeiniger Gäste in meiner kleinen Nebelwelt. Dann machte ich mich auf, um die anderen zu suchen, und ging in die falsche Richtung. Zu sehr hatte ich mich vom freudigen Anblick der Tiere ablenken lassen. Das wirklich Gefährliche am Verirren – kann ich im Nachhinein sagen – ist eigentlich nicht, dass man nicht mehr weiß, wo man sich befindet, sondern dass man immer wieder zu wissen glaubt, wo man ist. Erst Letzteres führt zu einem unbedachten Schritt über einen Felsvorsprung oder in einen rutschigen Steilhang hinein. Ich brauchte eine Viertelstunde, bis ich den rechten Weg wiederfand. Ich überlegte sogar kurz,
18 Servus
mich hinzusetzen und den Nebel abzuwarten. Peinlich war das, sich im eigenen „Wohnzimmer“ zu verlaufen … Wie es scheint, war ich damit aber durchaus in guter Gesellschaft: Als Odysseus nach zehnjähriger Irrfahrt endlich nach Ithaka zurückfand, hüllte ihn seine Schutzgöttin Athene vorsorglich in Nebel ein, um ihn vor Feinden zu schützen. Das hatte den Nebeneffekt, dass der große Krieger abermals ein wenig umherirrte, weil er seine eigene Heimat nicht wiedererkannte. die nebelfalle des liebestollen zeus
Überhaupt setzten die Götter im Altertum ausgesprochen gern Nebel für das Gelingen ihrer diversen Machenschaften auf Erden ein. Venus hüllte Aeneas und seinen Waffenträger Achates auf dem Weg nach Karthago in schützenden Nebel. Der liebestolle Zeus fing die hübsche Hirtin Io, indem er ihre Rinderweide derart vernebelte, dass sie nicht mehr vor ihm flüchten konnte. Und Apoll schoss in den Sagen des klassischen Altertums aus einer Nebelbank heraus seinen tödlichen Pfeil auf Achills fragile Ferse ab. Wie die Götter das machten, wenn sie bei Bedarf einen kleinen Bodennebel aus dem Ärmel zauberten, ist heutigen Meteorologen
ein Rätsel. Denn die zarten (oft auch sehr blickdichten) Schleier, die sich mit Vorliebe im November übers Land breiten, gehören bis heute zu den unvorhersehbarsten Wetterphänomenen, die es gibt. Oft sind es nur wenige Zehntelgrad Temperaturschwankung in den Luftschichten, die über klare Sicht oder Nebelsuppe entscheiden. Wie und warum Nebel grundsätzlich entsteht, versteht die Wissenschaft allerdings sehr gut, wie Markus Garhammer, Experimentalmeteorologe an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, erklärt: Luft kann eine bestimmte Menge gasförmiges Wasser als Feuchtigkeit aufnehmen. Warme Luft speichert mehr Wasser als trockene Luft. Im Spätherbst kühlt die Landmasse (und die Luftschicht unmittelbar darüber) ab, weil die Sonne an Kraft verliert. Gleichzeitig kommt aber vom Atlantik her und auch von den Binnenseen weiterhin warme Luft, weil Meere und Seen die Sonnenwärme des Sommers länger speichern. Jetzt, im nebelanfälligen Herbst, sind die Luftschichten in Bodennähe (vor allem nachts) kalt und daher eher trocken, in der Höhe sind sie weiterhin warm und vergleichsweise feucht. Dazwischen kann sich nun Nebel bilden. Die Luft erreicht dort eine
fotos: imago, laif travel
Türme und Dächer der Burganlage von Burghausen (an der Grenze zu Oberösterreich) sind im abendlichen Nebel zwischen Wöhrsee und Salzach verschwunden.
Morgenstund hat zumindest im wunderschönen Allgäu Gold im Mund: Angler im herbstlichen Morgenlicht auf dem Schmuttersee.
Wassersättigung von 100 Prozent (man spricht vom „Taupunkt“), und das, was dann noch zu viel an Feuchtigkeit da ist (kühle Luft nimmt ja weniger Feuchtigkeit auf als warme), tritt in Form von Nebel in Erscheinung. Markus Garhammer: „Dabei handelt es sich um wenige Hundertstelmillimeter große Wassertröpfchen, die so fein sind, dass sie in der Luft schweben.“ Ganz langsam, mit oft weniger als zehn Millimeter pro Sekunde, sinken sie zu Boden (zum Vergleich: Regentropfen fallen mit rund vier Meter pro Sekunde) und sorgen dort für Tau, feuchte Wiesen und Perlencolliers in Spinnennetzen. Wenn aber immer mehr Nebel gebildet wird, weil die Temperaturbedingungen weiterhin bestehen bleiben, oder bei Windstille, bei der sich die verschieden warmen Luftpakete nicht vermischen, kann uns Nebel, besonders in den Tälern der Alpen, auch tagelang erhalten bleiben. Das freut dann in erster Linie die Weinbauern. Denn wo Nebel ist, ist in der Regel kein Frost. Zum einen sorgt Nebel lokal begrenzt generell für ein milderes Klima, zum anderen verringern die Wassertröpfchen ganz direkt den Wärmeverlust im Inneren der reifenden Weintrauben. Nebel fördert aber auch die sogenannte Edelfäule: Ein be-
sonderer Pilz (Botrytis cinerea) kann bei nebelig-feuchtem Wetter besser gedeihen. Er fügt den Traubenhüllen winzige Löcher zu, entzieht dadurch der Beere Wasser und sorgt so für intensivere Aromen. In der Wahrnehmung von Nichtweinbauern wird das Auftauchen von Nebel aber eher zwiespältig empfunden. Eine plötzliche Nebelbank bei Autobahntempo kann ohne Zweifel zum Albtraum werden. Auf einer ganz anderen Ebene, wenn sich Begebenheiten im Nebel der Geschichte verlieren, hat das in der Selbstverständlichkeit unseres Informationszeitalters, wo alles Wissen auf Knopfdruck bereitzustehen scheint, auch etwas Mystisches und Abenteuerliches. ein land voll kobolde und feen
Wo sich der Nebel des Vergessens ausbreitet, lindert er oft seelische Schmerzen und lässt Menschen leichter zur Ruhe kommen. Ebenfalls das Wirken einer geheimnisvollen, „schleierhaften“ Macht – im Guten wie im Schlechten. Wer an einem Novembermorgen eine Landschaft im Nebel durchwandert, wird selbst eine vertraute Umgebung als seltsam verändert vorfinden. Farben verblassen und treten dezent in den Hintergrund. Die über-
bordende Pracht eines herbstlichen Waldes reduziert sich auf Schemen und Umrisse. Manches verliert sich ganz, anderes tritt unmittelbarer, einprägsamer hervor. Gelegentlich finden Sonnenstrahlen ihren Weg durch Astwerk und Schleier. Und mit einem Mal spaziert man gleich hinterm eigenen Haus als Entdecker durch einen unbekannten Märchenwald. Wenn die Sicht nachlässt, schärfen sich unwillkürlich die anderen Sinne. Spitze Krallen eines kletternden Eichhörnchens kratzen und klappern über raue Lärchenrinde. Man hört vereinzelt Eicheln von Ast zu Ast hinunter ins Laub purzeln. Ein unsichtbarer Specht hämmert sein Stakkato scheinbar lauter als sonst ganz ungeniert in den Nebel hinaus. So laut, dass sogar ein Reh den raschelnden Schritt des Wanderers überhört und völlig überrascht mitten auf dem Weg steht. Dort, ganz am Rand des Sichtfeldes und nur für einen kurzen Augenblick: ein schleierhaftes Land voll kleiner Kobolde und Feen. Aber es sind Schleier, die sich lichten können, wenn die Sonne noch einmal alle Kraft zusammennimmt. Und dann, dann nimmt man all die Farben und Formen, die Muster und Schatten noch einmal viel intensiver wahr. Schau, ein Buntspecht! 3
Servus 19
Weihnachtsbäckerei
Alle Jahre wieder
Wenn der Duft von Vanille und Lebkuchen durch die guten Stuben zieht, ist die Zeit gekommen, sich auf Weihnachten einzustimmen. Acht süße Klassiker, die beim Platzerlbacken auf keinen Fall fehlen dürfen. Redaktion: Uschi Korda & Alexander Rieder Fotos: eisenhut & Mayer
62 Servus
Spitzbuben Zutaten für ca. 50 Stück Zeitaufwand: 1 Stunde Arbeit plus 2 Stunden Teig ruhen lassen 300 g glattes Mehl 50 g geriebene Haselnüsse 80 g Puderzucker 150 g kalte Butterwürfel 1 TL Vanillezucker abgeriebene Schale von K Zitrone 2 Eigelbe 100 g Konfitüre (Erdbeere, Aprikose, Himbeere, Johannisbeere) Saft von K Zitrone Puderzucker zum Bestreuen
Zubereitung 1. Mehl, Haselnüsse, Puderzucker, Butterwürfel, Vanillezucker und Zitronenschale auf eine Arbeitsfläche streuen und mit den Eigelben rasch zu einem glatten Mürbeteig ver kneten. Den Teig in eine Frischhaltefolie wickeln und 2 Stunden lang im Kühlschrank ruhen lassen. 2. Das Backrohr auf 190 °C Ober-/Unterhitze vorheizen. 3. Den Teig 3 mm dünn ausrollen und runde Platzerl mit etwa 4 cm Durchmesser ausstechen. In die Hälfte der Platzerl
ein kleines Loch mit 1 cm Durchmesser stechen und alle Platzerl auf ein mit Backpapier belegtes Backblech setzen. 4. Auf der mittleren Schiene 10 Minuten goldgelb backen. Herausnehmen und auf einem Kuchengitter abkühlen lassen. 5. Die Konfitüre mit Zitronensaft kurz aufkochen und durch ein feines Sieb passieren. 6. Auf jedes Keks ohne Loch einen Tupfer Konfitüre setzen. Die Kekse mit Loch dick mit Puderzucker bestreuen und auf die Konfitüre setzen.
Servus 63
Windbäckerei Zutaten für ca. 20 Stück Zeitaufwand: 30 Minuten Arbeit plus 3 Stunden zum Trocknen 3 Eiweiß 1 Prise Salz 100 g Feinkristallzucker 10 g Vanillezucker 100 g Puderzucker
Zubereitung 1. Eiweiß mit Salz in einer fettfreien Schüssel mit dem Handmixer dickcremig schlagen. 2. Unter ständigem Weiterschlagen Feinkristallzucker einrieseln lassen, bis ein fester und mattglänzenderEischnee entsteht. 3. Vanillezucker und Puderzucker darübersieben und mit einem Holz- oder Gummispatel luftig unter die Schneemasse ziehen. 4. Das Backrohr auf 100 °C Umluft vorheizen.
bunte Streusel nach Belieben
5. Die Masse in einen Spritzsack mit einer Stern tülle nach Wahl füllen und beliebige Formen auf ein mit Backpapier belegtes Backblech spritzen. Nach Belieben mit bunten Streuseln bestreuen. 6. Im vorgeheizten Backrohr etwa 3 Stunden lang trocknen. Das Backrohr immer wieder für ein paar Sekunden öffnen, damit die Feuchtigkeit entweichen kann. Nach Ende der Trockenzeit die Ofentür mit einem eingeklemmten Kochlöffel leicht geöffnet halten und die Windbäckerei im ausgeschalteten Ofen auskühlen lassen.
Gefüllter Lebkuchen Zutaten für ca. 40 Stück Zeitaufwand: 4 Stunden 300 g Honig 2 EL Öl 150 g Kristallzucker 1 TL Lebkuchengewürz geriebene Zitronenschale 1 TL Vanillezucker 480 g Mehl 1 TL Backpulver 1 Ei 1 Eigelb 150 g geriebene Mandeln Salz 120 g fein gehacktes Orangeat 2 EL passierte Johannisbeerkonfitüre 250 g Früchtemischung aus gehackten Orangeat, Zitronat, Schokostücken, Rosinenund Walnüssen Milch zum Bestreichen
64 Servus
Zubereitung 1. Honig, Öl, Kristallzucker, Lebkuchengewürz, Zitronenschale und Vanillezucker unter ständigem Rühren aufkochen und anschließend abkühlen lassen. 2. Mehl und Backpulver gut vermischen. Die Honigmischung, Ei, Eigelb, gerie bene Mandeln, Salz und gehacktes Orangeat zugeben und zu einem glatten Teig verkneten. In eine Frischhaltefolie wickelnund mindestens 1 Stunde lang im Kühlschrank ruhen lassen. 3. Den Honigteig ca. 1 cm dick auf einem Bogen Backpapier zu einem 60 x 40 cm großen Rechteck ausrollen und mit der langen Seite zur Tischkante auflegen. Mit Johannisbeerkonfitüre bestreichen und die Früchtemischung 1 cm dick darauf verteilen. Den Lebkuchenteig auf den schmalen Seiten 2 cm über die Füllung einschlagen und vom Tisch weg einrollen.
4. Die Lebkuchenrolle in Backpapier wickelnund 1 Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. 5. Das Backrohr auf 200 °C Ober-/ Unterhitze vorheizen. 6. Die Teigrolle in fingerdicke Scheiben schneiden, auf einem mit Backpapier belegten Backblech verteilen und mit Milch bestreichen. Etwa 25 Minuten lang backen und auf einem Gitter auskühlen lassen.
Eigelbmakronen Zutaten für ca. 25 stück Zeitaufwand: 1 Stunde 400 g Marzipanrohmasse 64 g Puderzucker 5 Eigelbe Abgeriebene Schale von 1 Zitrone 1 TL Vanillezucker 1 Prise Salz Kandierte Kirschen, Dörr aprikosen, Mandeln und Haselnüssezum Belegen Eiweiß zum Bepinseln 100 g Zartbitterkuvertüre 20 g Kokosfett
Zubereitung 1. Den Backofen auf 220 °C Ober-/Unterhitze vorheizen. 2. Alle Zutaten mit den Händen zu einem weichen, klebrigen Teig vermischen. In einen Spritzsack mit einer Stern tülle Nr. 10 füllen. 3. Ein Backblech mit Backpapier auslegen. Die Masse in wal- nussgroßen Rosetten darauf dressieren und in die Mitte je ein Stück Belegfrucht oder Nuss setzen.
4. Die Makronen im Ofen auf Sicht etwa 4 Minuten backen. Anschließend sofort mit Eiweiß bepinseln und auskühlen lassen. 5. Die Kuvertüre mit Kokosfett in einer kleinen Schüssel in einem lauwarmen Wasserbad schmelzen lassen und glatt verrühren. Den Boden der Makronen in die Kuvertüre tunken und auf Backpapier trocknen lassen.
Eierlikörplatzerl Zutaten für 40 bis 50 Platzerl Zeitaufwand: 1 Stunde plus 1 Stunde, um den Teig rasten zu lassen 200 g Mehl 1 EL Eierlikör 2 Eigelbe 80 g Puderzucker 100 g Butter Für die Creme: 50 g Butter 100 g weiße Schokolade 6 EL Eierlikör
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Zubereitung 1. Aus den Zutaten einen feinen Mürbeteig bereiten. 1 Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. 2. Das Backrohr auf 180 °C vorheizen. 3. Den Teig dünn ausrollen und Platzerl ausstechen. Auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech legen und etwa 8 Minuten backen. 4. Für die Creme Butter schaumig rühren. Schokolade in einem Wasserbad schmelzen und mit dem Eierlikör unter die Butter mischen. Je zwei Platzerl mit dieser Creme zusammensetzen.
Christbaumschokolade Zutaten für 40 bis 50 Stück Zeitaufwand: 10 Minuten plus ca. 1 Stunde, bis die Stücke erstarrt sind 300 g Kokosfett 300 g Zucker 100 g Kakao 100 g geriebene Nüsse 1 Pkg. Vanillezucker 3 EL Mehl etwas Rum
Zubereitung 1. Kokosfett erwärmen und die restlichen Zutaten einmischen. 2. Die flüssige Masse in geschlossene kleine Formen füllen und im Schnee erstarrenlassen (falls noch kein Schnee liegt, tut es natürlich auch ein Kühlschrank). 3. Dann aus den Formen stürzen, in weihnachtlichesPapier wickeln und an den Christbaum hängen.
Servus 67
Springerle Zutaten für 20 bis 30 Stück (Je nach grösse der Model) Zeitaufwand: 1 Stunde Arbeit plus 24 Stunden zum Trocknen 2 Eier 250 g Puderzucker K TL fein geriebene Schale von 1 Zitrone 250 g Mehl 1 Prise Hirschhornsalz Holzmodel für Springerle Butter für das Backblech 1 EL Anissamen
68 Servus
Zubereitung 1. Eier, Puderzucker und Zitronenschale mit den Schneebesen des Mixers dickschaumig schlagen. 2. Mehl und Hirschhornsalz vermischen, zur Eier-Puderzucker-Mischung geben und alles rasch zu einem glatten Mürbeteig verkneten. 3. Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche ca. 1 cm dick ausrollen. Die Teigoberfläche mit Mehl bestäuben. Die Holzmodel in den Teig drücken und die Springerle mit einem Messer oder einemTeigrad ausschneiden. Die Springerle auf Backpapier legen und offen24 Stunden lang bei Zimmer temperatur trocknen lassen.
4. Das Backblech dünn mit Butter bestreichenund nach Belieben mit Anissamen bestreuen. Die Springerle darauf verteilen. 5. Den Backofen auf 150 °C Ober-/Unterhitze vorheizen. In die obere Schiene ein leeres Backblech schieben, damit die Springerle nicht zu dunkel werden. Das Gebäck 20 bis 25 Minuten backen und anschließend auf dem Blech auskühlen lassen.
Sterntaler Zutaten für ca. 40 stück Zeitaufwand: 2 K Stunden Für die Taler: 80 g eiskalte Butter 40 g Puderzucker 1 Eigelb 1 TL echter Vanillezucker 1 Prise Salz je 1 Prise Zimt-, Nelken- und Kardamompulver 130 g glattes Mehl Für die Sterne: 80 g Zartbitterkuvertüre 8 g Kokosfett 100 g Marzipanrohmasse 30 g Puderzucker 1 TL Rum 2 EL Johannisbeerkonfitüre 40 g geschälte Pistazien
Zubereitung 1. Alle Zutaten für die Taler auf eine Arbeitsfläche geben und mit einem Messer oder einer Teigkarte klein hacken.Möglichst rasch zu einem glattenMürbeteig verkneten, in Klarsichtfolie wickeln und 1 Stunde in den Kühlschrank geben. 2. Den Backofen auf 180 °C Ober-/ Unterhitze vorheizen. 3. Den Mürbeteig 3 mm dünn ausrollen und runde Kreise mit 4 cm Durchmesser ausstechen. Die Kreise auf ein mit Backpapier belegtes Blech setzen und im Ofen in ca. 10 Minuten goldbraun backen. Anschließend auskühlen lassen. 4. Für die Sterne die Kuvertüre mit Kokosfett in einer kleinen Schüssel in einem lauwarmen Wasserbad schmelzen und glatt rühren.
5. Marzipan mit Puderzucker und Rum verkneten und auf einer mit Puder zucker bestreuten Arbeitsfläche 3 mm dünn ausrollen. Dann Sterne mit 4 cm Durchmesser zwischen den gegenüberliegenden Zackenspitzen ausstechen. 6. Auf jeden Taler einen Tupfer Johannisbeerkonfitüre geben und die Marzipansterne daraufkleben. 7. Die Sterne mit Kuvertüre bepinseln und in die Mitte je eine Pistazie setzen.
Servus 69
hausbesuch
Das Märchenkloster Es war einmal ein Mädchen, das träumte von einem verwunschenen alten Haus mit vielen Tieren, großer Familie und lauter schönen Sachen wie bei Oma. Das Mädchen ist heute erwachsen – und lebt diesen Traum in einem Kloster am Mühlbach. Text: Susi Biró Fotos: Christine Bauer Styling: Nathaly Götz
72 Servus
Das einstige Refektorium ist heute Speisezimmer und Schauplatz fröhlicher Tafelrunden. Die Stühle sind bunt zusammengewürfelt, als Tischtücher dienen alte Lei nentücher. Der Kristallluster übrigens ist Nathaly auf einem Trödlermarkt in die Hände gefallen. LinkeSeite: Pony Bommel bettelt an der Durchreiche zur Küche.
M
önche in alten Zeiten wussten, wo man sich ansiedeln muss. Zum Beispiel an einem Mühlbach, wo für die innere Einkehr alle Voraussetzungen gegeben waren. Die Benediktinermönche in jüngerer Zeit mussten jedoch einsehen, dass nicht alles, was schön ist, auch zu erhalten ist. Und so kam es, dass ihr Refugium in Windach im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech über Jahrzehnte immer mehr verfiel. „Als wir es das erste Mal sahen, war es mehr Trümmerhaufen denn Haus. Und die Menschen hier im Ort haben sich wohl gedacht, dass nur echte Spinner Zeit, Geld und eine riesige Portion Liebe investieren, um daraus wieder bewohnbare Räume zu zaubern“, sagt Nathaly Götz heute.
Ein Spaziergang durch die Epochen
Sie, das kleine Mädchen von einst, hat sich hier mit ihrem Mann Reinhard, vier Kindern,zwei Pferden, Pony Bommel, einer Handvoll Hühner und den „Stars der Manege“, den beiden Rehpinscher-Hündinnen Lula und Dolly, ihren Traum verwirklicht. Seit acht Jahren wird hier gezimmert, gemalt, werden Wände eingerissen, Kasset tendecken wieder freigelegt. „Meine Frau schleppt mit erhöhtem Puls und glänzenden Augen Unmengen alter Dinge von Märkten an, und gemeinsam restaurieren wir sie dann“, erzählt Reinhard. Da war zum Beispiel diese alte Kommode. „Ja“, fällt Nathaly ein, „die hab ich für 60 Euro erstanden. Und der Reinhard hat furchtbar geschimpft, weil der Wurm drin war, keine Scharniere mehr vorhanden und die Laden nur mehr Fragmente waren.“ Aber so ist’s im Hause Götz: Ein paar Tage später hat sich der Handwerker im Manne gemeldet, und der Reinhard hat begonnen, Hand an das Monstrum zu legen. Das Ergebnis steht jetzt im Wohnzimmer. Und wie viele der Stücke im Haus hat es eine türkisfarbene Patina bekommen. Hier ist alles gewachsen. Der Rundgang, ein Spaziergang im Zeitraffer der Epochen. In den Vitrinen stapeln sich sogar vollständig erhaltene alte Geschirr-Ensembles. In jeder Ecke steht mindestens ein Kinderstuhl, ➻
74 Servus
Vor dem alten Kamin stricken auch die Mädchen schon. Die Fensterfronten dekoriert Nathaly mit frischen Blumen (links unten). Das Heiligenbild hat sie auf einem Dachboden entdeckt. Auf der Kredenz (unten) reihen sich die Kindersessel. Den Dachgiebel aus Zink (oben rechts) hat die Haus herrin zum 40. Geburtstag bekommen. Rechts: Tochter Lisa und Hßndin Lula beim Mittagsschlaf.
Ton in Ton erzählt das Geschirr von der Sammelleiden schaft und dem Geschmack der Hausherrin. Unendlich viele Details, von den Babyschuhen bis zu alten Heili genfiguren und den Schneiderpuppen im Schlafzimmer, ergeben ein großes, schönes Ganzes. Rechts oben: Die Kinder helfen beim Entkernen der Zwetschgen, darunter die wiederentdeckte und restaurierte Hauskapelle.
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„Unsere Prämisse war immer, dass all das lebbar sein muss. Wenn ein Stück fertig ist, darf man ihm nicht ansehen, wie viel Arbeit darin steckt.“
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ein Vogelkäfig, ein Tischerl, altes Leinen deckt die Tische, Einmachgläser in gigan tischer Größe dienen als Blumenvase. Was in England einst als Waschkorb aus Zink gedient hat, ist im Kloster am Mühlbach heute ein Topf für allerlei Pflanzen oder Lampentischerl. Hausbesuch in einem Museum? Mitnichten! Dieses Haus lebt. Die beiden Mädchen, Lilli, 8, und Lisa, 10, tollen mit den Hündinnen über die dicken Holzböden. Pony Bommel, ein Frechdachs, holt sich schon mal die Jause selbst an der Durchreiche zur Küche ab, die Jungs, Patrick, 15, und Phillip, 17, feiern Feste und bringen Freunde mit. „Wir haben damals gesagt, ja, wir wollen dieses Haus mit all den Dingen verschönern, die wir lieben. Wir haben jeden Quadrat zentimeter gemeinsam so gestaltet, wie wir uns das Leben in früheren Zeiten vorstellen. Aber unsere Prämisse war immer, dass all das lebbar sein muss. Wenn ein Stück fertig restauriert ist, darf man ihm nicht ansehen, wie viel Arbeit darin steckt. Es muss so wirken, als wäre es nie bearbeitet worden“, erzählt Nathaly. Die goldene Hand
Sie, die gelernte Goldschmiedin, hat, was man eine goldene Hand nennt, und wunderbar verrückte Ideen hat sie auch. „Mein Tag ist immer zu kurz. Ich dekoriere, restauriere, male, koche, und wenn Schlafenszeit ist, bleiben noch so viele Einfälle im Kopf.“ Und als ob am Mühlbach nicht genug zu tun wäre: Wenn Reinhard beruflich unterwegs ist, hilft Nathaly mittlerweile anderen, ihrem Heim ein besonderes Flair zu verleihen. Sie weiß, oft sind es nur Kleinigkeiten, die Gemütlichkeit ausmachen, das Abstimmen von Farben, hier und da ein kleiner gekonnter Stilbruch, man muss sich nur trauen im Leben.Dann werden Träume wahr. Wo einst die Mönche in aller Stille ihr Refugium pflegten, da sprudeln heute k uriose Geschichten nur so aus den ➻
Servus 77
Äpfel am Baum, Hühner im Garten, Pferd auf der Koppel, Hund im Korb oder auf dem Schoß – und mittendrin Familie Götz: „Wir haben immer gesagt, hier muss Leben rein.“ Rechts das ehe malige Benediktinerklostervon außen.
heutigen Bewohnern. Da war die Sache mit den Hühnern, die partout nicht in das auf dem Markt erstandene Hühnerhaus wollten. Nichts zu machen. „Also haben wir beschlossen, die dürfen im Freien leben, und haben neue gekauft. Die sind auch gleich ins Hühnerhaus gezogen“, erinnert sich Reinhard Götz. Da spazierten eines Abends plötzlich die „alten“ Hühner, offenbar beleidigt, weil die Neuankömmlinge ihren Stall okkupiert hatten,in Formation in die kleine Hauskapelle und machten es sich auf einem alten Schrank gemütlich. Ende gut, alles gut: Schließlich wurden die gefiederten Freunde in einen Entenstall übersiedelt. Wenn Bommel Ringe zum Altar trägt
Oder die Sache mit dem Altar: Abgemauert, in einem kleinen Anbau, der direkt an das heutige Wohnzimmer anschließt, fand die Familie dieses wunderschöne Relikt aus der Jugendstilzeit: „Es war den Mönchen wohl zu schwer, den Altar abzutransportieren. Wir haben ihn wieder hergerichtet und aus der Nische unsere Hauskapelle gemacht.“ Heute können Paare hier im kleinen Rahmen Hochzeit feiern oder ihre Kinder
taufen lassen. Die Mädels haben da auch schon eigene Ideen: Bei der letzten Trauung haben sie Bommel geschmückt, und das Pony durfte die Ringe überbringen. Nathaly: „Wie gesagt, unser Haus soll Erlebnis sein und kein Museum.“ Und wer es ganz speziell mag, der kann die Familie besuchen. Für maximal zehn Personen veranstaltet Familie Götz sogenannte Tafelrunden im ehemaligen Refek torium, das jetzt ein gemütliches Speise zimmer ist. Es ist ein geselliger Abend in privatem Rahmen. Die Gäste sitzen dabei auf vielen unterschiedlichen Sesseln, denen so manches neue Sprießel hinzugezimmert werden musste, und einem Eisenbett, das zum Sofa umfunktioniert wurde. Die Hausfrau: „Wir haben die Idee aus Frankreich. Da können sich interessante Menschen einfach für ein Abendessen anmelden. Man kommt zusammen, lernt einander kennen und führt gute Gespräche.“ Die Küche – sie ist ein eigenes Reich. In der Mitte thront der alte Tresen aus einem Krämerladen. Auf der Kommode dahinter: ein Sammelgefäß für Kaffee, wie man es heute nicht mehr sieht. Und an den Wän-
den, über dem Ofenherd, der Abwasch und dem Tisch – überall blitzt blaues Email. „Darauf bin ich stolz, dieses Geschirr hab ich mir einzeln zusammengesucht, bis kein Platzerl mehr frei war“, strahlt Nathaly. Und selbstverständlich ist das keine Deko, sondernwirklich in Gebrauch. Fast traut man sich nicht zu fragen, ob überhaupt ein modernes Stück – vielleicht hinter einem Paravent versteckt? – zu finden ist. Ein Fernseher vielleicht? Computerspielzeug? Wie zur Antwort schieben Lilli und Lisa einen alten Puppenwagen in die Küche. Drinnen: die beiden RehpinscherDamen Dolly und Lula. „Wir haben vor lauter Renovieren vergessen, den Fernseher vom Dachboden runterzuholen. Und jetzt braucht ihn keiner mehr“, lachen die Eltern. Keiner in der Familie weiß mehr, wie vieleStunden Arbeit, Staub und Tüftelei in diesem alten Haus stecken. Aber die Freude daran, die lässt sich bemessen – wenn unendlich eine Einheit ist … 3
Servus-Tipp: Familie Götz freut sich auf Besuch. Mehr Infos auf www.saint-antique.de
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Familientradition
Handwerk aus einem Guss
In Dießen am Ammersee steht die älteste Kleinzinngießerei Deutschlands. Der Familienbetrieb stellt in siebenter Generation einzigartige Pretiosen in Handarbeit her und versorgte bereits das bayerische Königshaus mit kostbarem Weihnachtsschmuck. Text: Christina Radzwill Fotos: Monika Höfler
Eine ruhige Hand braucht es, um den „Koller“ – wie der Gießlöffel in Fachkreisen heißt – mit der Zinnlegierung richtig zu führen.
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leichmäßig schwappen die Wellen des spätherbstlichen Ammersees ans Ufer. Es ist zapfig kalt an diesem November tag. Vorbei an alteingesessenen Fischer häusern geht es ins Ortszentrum von Die ßen, wo Familie Schweizer seit mehr als 200 Jahren ihre Zinngießerei betreibt. Engel und Nikoläuse, Märchen- und Tiergestalten, Soldaten und Heilige: Ein bunter Reigen von Zinnfiguren ziert den Eingang des Ladens und des angrenzenden Zinncafés. Die schlaue Kombination aus Kaffeehaus, Museum und Ausstellung hat sich bewährt: Bei heißer Schokolade und Nusskuchen können Kunden die kleinen Kunstwerke in aller Ruhe schätzen lernen. Schon jetzt zieht ein Hauch Weihnachts stimmung durch die Räumlichkeiten. „In
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der Adventzeit wird bei uns Hochbetrieb herrschen“, sagt Gunnar Schweizer, Zinn meister in siebenter Generation nach dem einstigen Firmengründer Adam Schweizer. „Meine Großtante war eine der ersten Frau en in der Zinngießerei und malte auch. Mein Großvater war selbst Zinnmeister, und mein Vater war Heimatpfleger. Er goss in seiner Freizeit und ordnete die erhaltenen alten Formen historisch zu“, erklärt der 69-Jährige, dessen Leidenschaft fürs Zinn gießen von Kindheit an mitwachsen durfte. Kleinzinngießer, so lautet die präzise Be rufsbezeichnung, die die Familie Schweizer seit 1796 im Namen trägt. „Das ist genau zu unterscheiden“, erklärt der Meister: Ein Großzinngießer stellt Gebrauchsgegenstän de wie Becher und Teller her. Der Kleinzinn
gießer hingegen arbeitet an zierlicheren Werkstücken. Mitte des 18. Jahrhunderts waren das vor allem Schuh- oder Gürtel schnallen. Nach Napoleons Feldzügen Anfang des 19. Jahrhunderts hatten eine Zeitlang preußische und französische Zinnsoldaten Hochsaison. Enormen Auf schwung aber hatte die Kleinzinngießerei schon vorher mit Aufkommen der Wallfahrtsbräuche zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der tiefreligiösen Region südlich des Starnberger Sees erlebt. Der Volksmund nannte das wegen seiner prächtigen Klöster und Kirchen bekannte Gebiet nicht ohne Grund „Pfaffenwinkel“. Und so konzentrierte sich Familie Schweizer in jener Zeit auf die Herstellung von Wallfahrtsmedaillen, Rosenkränzen ➻
Für die filigrane Bemalung der Figuren beschäftigt Gunnar Schweizer eigene Zinnmaler. Diese verwenden umweltfreundliche Acrylfarben. Der Trommler und der Flammenschwertträger aus Zinn gehören zur Schweizer Garde und wurden vom Vatikan in Auftrag gegeben.
Der Arbeitsplatz des Zinngießermeisters: Gießlöffel, Handschuhe, Spezialwerkzeuge aus Holz, Zange und – ganz wichtig – die Brille. Die beiden Modeln im Vordergrund sind aus Jurastein und stammen aus dem Jahr 1760.
und Gnadenbildern aus Zinn. Goldene Zeiten waren das für die etwa 600 Beschäf tigten, die in den verschiedenen Kleinzinn gießereien rund um Dießen tätig waren. Denn wer auf Wallfahrt ging, der wollte auch eine geweihte Erinnerung mitbringen. Und wer es nicht bis nach Dießen schaffte, konnte immerhin eine Wallfahrtstafel aus Zinn erstehen. Bis ins 600 Kilometer ent fernte Schlesien wurden die handgemach ten Kostbarkeiten exportiert. „So eine Wallfahrtsmedaille“, erklärt der Zinnmeister, „funktionierte auf ähnliche Weise wie ein Ablasspfennig.“ Dann lacht er und fügt hinzu: „So gab es wieder mal 300 Tage Ermäßigung in der Hölle …“ So leicht und fein wie nur irgend mög lich: Das war schon in den Kleinzinngieße reien des 18. Jahrhunderts oberstes Gebot. Der Grund war kein künstlerischer, sondern ein kaufmännischer: Wallfahrer und Säumer – so hießen damals die Handlungs reisenden – sollten möglichst viele dieser Pretiosen mit auf ihre Reisen in die Ferne nehmen können.
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Und so dreht sich auch heute noch beim Zinngießen in der Werkstatt traditionell alles um Feinheit und Feingliedrigkeit. Die Wallfahrtsmotive sind weitgehend gewi chen. Es folgten – nicht nur für das Kloster Andechs – Monstranzen, Glöckchen und anderes Altarzubehör aus Zinn. Und im 19. Jahrhundert verschob sich der Schwer punkt schließlich in Richtung Spielsachen und Weihnachtsschmuck. Weihnachtskugeln für das Königshaus
So eine kunstvolle Christbaumkugel, wie sie Gunnar Schweizer gerade vorsichtig in die Hand nimmt, kostet je nach Ausführung bis zu 150 Euro. Seine Familie ist die einzige in Deutschland, die so etwas überhaupt hän disch herstellt. Umso leidenschaftlicher ist die Sammlergemeinde, die auch schon mal aus Japan, Brasilien und den USA ordert. Kein Wunder, dass der kostbare Weihnachts schmuck auch früher nicht fürs gemeine Volk gedacht war. „Erster Auftraggeber für diese Kugeln“, erklärt der Zinnmeister, „war Mitte des
19. Jahrhunderts das bayerische Königshaus, als die Mode des feierlich geschmückten Christbaums nach Bayern vordrang. Damals wie heute entstehen sie aus vielen separat gegossenen Einzelteilen, die dann vorsichtig von Hand gebogen und gelötet werden. Eine zeitintensive Arbeit, die in dieser Präzision keine Maschine der Welt bewältigt. Und so darf sich der Zinnkünstler auch über eine konstant gute Auftragslage freu en. „Es kommen zwar immer wieder billige Imitate auf den Markt“, weiß Gunnar Schweizer“, aber den Unterschied merkt ein erfahrener Kunde sofort. Bei den Zinnspielsachen des 19. Jahrhun derts waren der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Szenen aus dem häuslichen Alltag, Fahrzeuge, Tiermotive und Sportarten – beinahe jede Modeerscheinung konnte in Zinn umgesetzt werden. Besonders beliebt sind bis heute traditio nelle Motive. Nach Fernost geht dieser Tage noch ein Paket mit detailreich bemalten Nikoläusen. Und gerade hat Gunnar Schweizer wieder eine Lieferung für den Vatikan ➻
Gunnar Schweizer benutzt einen antiquierten Lötkolben, wegen der Präzision: Aus bis zu 25 Teilen setzt sich eine Christbaumkugel zusammen. Die Schiefermodeln (unten) ergeben den „Kaiserlichen Matrosen“. Wichtigstes Arbeitsmittel ist der Schmelzofen.
brauchtum
Aus Liebe zum
Münchner Gwand Die schöne Biedermeiertracht schien schon fast vergessen. Bis sich ein paar Männer und Frauen aus dem Stadtteil Lehel auf eine historische Suche begaben und Erstaunliches herausfanden. Text: Christl Rauner Fotos: Maria Dorner
A
ls Renate Seeber, 59, von dem kleinen Mädchen mit den langen braunen Haaren erzählt, klingt ihre warme Stimme noch eine Spur milder als sonst – und ein melancholischer Glanz legt sich über ihre quicklebendigen schwarzen Augen. Es ist die Geschichte von einem Münchner Kindl. Aufgewachsen am Stiglmaierplatz, im Herzen der Stadt. Immer wenn die Wiesn naht, ist das Mädel schon Tage vorher aufgeregt. Wie viele kleine Mädchen faszinieren es schöne Kleider. Solche, wie die Frauen sie im großen Festzug tragen – die prächtigen Trachtengewänder. Und jedes Mal, wenn es am Straßenrand steht und die Trachtler stolz vorüberziehen, dann pumpert das Kinderherz zum Zerspringen, und das kleine Mädchen beginnt zu träumen: Später, wenn es einmal groß ist, will es auch in so einem Festzug mitlaufen – und das allerschönste Gwand von allen tragen. Als Renate Seeber am Ende ihrer Geschichte ist, schmunzelt sie. Das kleine Mädchen war sie selbst – vor mehr als 50 Jahren. Freilich: Heute besitzt sie alles, was sie sich damals so sehnsüchtig wünschte. Allerfeinste Dirndln und Trachten, einen großen Kleiderschrank voller Schürzen, Blusen, Mieder und Röcke. Ein Kindertraum wird wahr
Wenn sie aber von der Kutsche des Münchner Heimat- und Trachtenvereins Lechler den Menschen zuwinkt und in die Schwan thalerstraße einbiegt, dann fühlt es sich wieder an wie früher. Dann sieht sie sich selbst da stehen, das kleine Mädel an der Hand des Vaters – und ist ganz tief drinnen wirklich glücklich. „Ja“, sagt Renate Seeber leise, „weil ich mir diesen Kindheitstraum erfüllen wollte, bin ich vor 15 Jahren zu den Lechlern gegangen.“ Heute ist sie die Chefin, Organisatorin, Ratgeberin, vor allem aber ist sie, die Sanftmütige, im Laufe der Jahre Herz und Seele der rund 100 Mitglieder starken Brauchtumsgruppe geworden. Für Renate Seeber sind die öffentlichen Auftritte ein wahr gewordenes Märchen. Für andere im Verein ein „wunderbares Ganshautgfühl“, „a unbandige Freud“ oder einfach ein „einmaliges Erlebnis“. ➻
Chefin, Organisatorin und gute Seele der Lechler: Renate Seeber (Foto li.) teilt auch die Aufstellung (Foto ganz oben) ein, jeder hat im Festzug seinen Platz. Foto oben: Damit das Gwand im Festzug immer makellos aussieht und nichts ver rutscht, gibt’s kleine Tricks, das Mieder wird innen an den Rock geknöpft.
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Wie man es auch beschreiben mag, es sind Empfindungen wie diese, die Renate Seeber und ihre Vereinsfreunde, Männer, Frauen, Kinder, vereinen – den Bäcker, die Apothekerin, die Schneiderin, den Lehrer. Dabei zu sein, mitzulaufen in einem Festzug, sich im schönen Münchner Bürgergwand von der feschesten Seite zu zeigen, das ist das Höchste für die Trachtler. Dafür reisen sie rund 20-mal im Jahr auf eigene Kosten durch die Lande, treten an Fronleichnam und zum Leonhardiritt, bei Jubi läumszügen und Trachtenfesten auf – und opfern gerne ihre ganze Freizeit. Wer sind diese Lechler? Woher stammen sie? Und: Haben sie auch ein Anliegen? Beginnen wir mit ein paar kleinen Kuriositäten, wie dem Irrtum um ihre Herkunft. „Kommen Sie denn alle vom Lech?“, wird Renate Seeber oft gefragt. Weil heute sogar manche Münchner nicht mehr wissen, dass das Lehel früher mal „Lechel“ hieß. Der einstige Vorort gab dem Verein den Namen. Brauchtums-Detektive unterwegs
Mit Stolz und viel Würde trägt Nina Schmidtlein ihr Biedermeiergwand, das die Mutter in unzähligen Stun den genäht hat. Besonderer Blickfang ist das schwarze, fein bestickte Mieder mit dem Gschnür und seinen symbolträchtigen Anhän gern. Foto rechts: Hübscher Schmuck muss sein – wie die verspielten Biedermeier ohrringe. Flohmärkte sind wahre Fundgruben.
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Und da ist die Chronik. Recht kurz fällt sie aus. Weil die Lechler für einen Brauchtumsverein noch richtige Vereinsküken sind. Gerade einmal 22 Jahre gibt es sie heuer. Das Netteste aber ist: Ausgerechnet sie, die Trachten-Narrischen, sind durch einen Zufall aufs Münchner Gwand gestoßen. Renate Seeber: „In der Pfarrgemeinde St. Anna im Lehel gab es schon in den Siebzigern ein paar Männer und Frauen, die sich regelmäßig in der Kirchenarbeit engagierten. Als ein junges Paar heiraten wollte, und zwar in Tracht, hatte die Gruppe eine Idee. Die Frauen wollten das Paar im Münchner Kellnerinnengwand, im plissierten Rock, mit Mieder und Bluse, überraschen.“ Das Problem war nur: Wie bekommt man ein solches Gwand, möglichst original? Sie hatten keine Ahnung, aber Spaß daran, alles darüber herauszufinden. Im Jahr 1990 gründeten sie den Verein. Mit dem Zweck, das Münchner Gwand zu fördern, zu erhalten und zu verbreiten. Von Bürgern, wie es sie auch im „Lechel“ gab, in dem damals noch nicht die feinen Herrschaften, sondern Handwerker, Flößer und Ziegler verkehrten. Eine schwierige Sache, wie sich bald zeigte. Reinste Brauchtums-Detektivarbeit mussten die Gründungsmitglieder leisten. Wie die frühere Vorsitzende Eva Tomasini, die unermüdlich Ausstellungen und Museen besuchte, jedes Exponat mikroskopisch auf Hinweise durchsuchte – um schließlich fest-
Besser geht’s nicht: Logenplatz für den Trachten-Nachwuchs im echten Bieder meier-Kinderwagen (Foto ganz oben) Zum fünfjährigen Bestehen leistete sich der Verein eine handbestickte Fahne. Foto rechts: Das mit Perlen bestickte Kranl trägt die Lechlerin, bis sie 18 ist.
stellen zu müssen: Es sind kaum Dokumente und Bilder überliefert. Die Lechler löcherten den einstigen Stadtheimatpfleger Volker Laturell und grasten alle erdenklichen Flohmärkte ab, um ein paar verborgene Schätze zu entdecken. „Bunte Schürzen und weiße Blusen waren gut zu kriegen, mitunter auch eine Riegelhaube oder ein Mieder“, erzählt Renate Seeber. Aber bald ließ es sich nicht mehr übersehen: Es war ein rechter TrachtenMischmasch, den die Lechler da zusammengetragen hatten. Zumal sich die Mode auch in der Biedermeierzeit (1815–1850) schon häufig änderte: Einmal waren Ärmel gerüscht, dann gerafft; einmal trug man das
Kropfband mit Perlen, dann ohne; und die Hauben wurden mit der Zeit auch immer kleiner. Völlig klar: Wollten die Lechler irgendwann einmal optisch was hermachen, mussten sie sich für eine Zeitspanne entscheiden. Renate Seeber: „Wir wählten die Dekade von etwa 1820 bis 1830.“ Wem gehört die Riegelhaube?
Was aber macht nun ein echtes Münchner Gwand aus? „Das Wichtigste ist natürlich die Münchner Riegelhaube“, sagt Renate Seeber. Mit Betonung auf „Münchner“! Denn die Urheberschaft auf den prächtigen, mit Gold- und Silberfäden, Perlen und Pailletten bestickten Brokat-Kopfschmuck der
Frauen hatten längst andere bayerische Städte und Regionen für sich reklamiert. „Zu Unrecht!“, sagt die Chef-Trachtlerin entschieden. „Heute wissen wir, die Riegelhaube wurde in München erfunden und auch zuallererst getragen. Erst dann verbreitete sie sich in ganz Süddeutschland. So mussten sich die „Lechler“ auch in der großen bayerischen Trachtenfamilie, vor allem bei den Oberlandlern, Respekt verschaffen. Renate Seeber: „Die waren anfangs schon a bisserl herablassend zu uns ‚Stadteren‘, weil es früher immer hieß, die Münchner haben kein eigenes Gwand und damit auch keine Tradition als Trachtler. Selbst der sonst sehr populäre Münch- ➻
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ner Oberbürgermeister Christian Ude hat sich mit einer derartigen Äußerung vor drei Jahren bei der Ober-Lechlerin „einen Schiefer eizogn“. Sagt Renate Seeber in ihrer charmant-direkten Art: „Da hätt’ ich ihn am liebsten quergfressn.“ Die Lechler dürfen stolz auf sich sein: Viel Pionierarbeit haben sie seit der Gründung 1990 geleistet. Und sich einen wertvollen Schatz an historischen Gewändern geschaffen. Dank Flohmärkten, der Auer Dult und manchmal auch Nachlässen oder Versteigerungen, wo die Frauen immer wieder einmal seltene Stücke finden. Die wachsen den Trachtlerinnen dann besonders ans Herz, weil sie danach oft lange gesucht hatten und zu guter Letzt wegen der gschmalzenen Preise noch gründlich feilschen mussten. Ein Fünfer-Set Haarnadeln für 200 Euro, eine Riegelhaube für bis zu 500 Euro – damit muss man rechnen. Kropfband zu eng – alles klar …
Ur-Münchnerisch: Seit mehr als 200 Jahren ist die Riegelhaube (gr. Foto) das Wahrzeichen der Kellnerinnen – und das Herzstück des Münchner Gwands. Beim Anstecken (Gwandwartin Regine Berkling mit Nina Schmidtlein, Foto rechts) ist Schummeln e rlaubt – mit einem falschen Zopf.
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Wohl jede Frau besitzt ein oder mehrere originale Stücke, ein schönes altes Mieder, lieblich geschmiedete Biedermeierohrringe oder das unverzichtbare Kropfband. Das putzte schon früher die Trägerin vortrefflich und taugte in der guten alten Zeit – so sagt man – auch für eine untrügliche medizinische Diagnose. Entdeckte die Schwiegermutter (auch die in spe) mit kri tischem Blick, dass das Kropfband beim Deandl immer enger sitzt, wusste sie gleich: Sauber, jetzt is’ sie a no schwanger! Wenn heutzutage ein kritischer Blick auf den Hals einer Lechlerin fällt, steckt dahinter glücklicherweise eine harmlosere Sorge. Regine Berkling, 55, seit zwei Jahren Gwand wartin bei den Lechlern, achtet nur darauf, dass die selbst auferlegten Vereinsvorschriften zum Gwand bei öffentlichen Auftritten eingehalten werden. Zuständig ist sie in erster Linie für die Frauen. Aber auch auf die Männer im schmucken schwarzen Gehrock mit Bundhose, schwarz-gelber Weste und dem flachen Fuhrmannshut hat sie ein Auge. Bei der Aufstellung zu jedem „Ausrucker“, wie die Trachtler die Umzüge nennen, hat die Gwandwartin ihren großen Einsatz – und stets das kleine Notfallset zur Hand. Ein Bürsterl für letzte Fusseln, einen Kochlöffel, um das Halstuch noch einmal gründlich ins Mieder zu stopfen, ein Stück Kreide, um einen Flecken auf den strahlend weißen Strümpfen wegzuzaubern – und Sicherheitsnadeln, um kleine oder größere Malheurs geschickt zu kaschieren.
Goldene Regeln für das Münchner Gwand Tracht: Alle Einzelteile müssen der Münchner Tracht im Zeitraum von etwa 1820 bis 1830 entsprechen. Die gewählten Stoffe sollten freundlich, aber nicht zu grell sein, ihre Muster aus der Biedermeierzeit stammen. •
Gesamterscheinung: Das Gwand muss gepflegt und frisch gebügelt sein. Es darf keine offenen Säume geben, der Unterrock darf nicht hervorlugen. Die Schuhe müssen geputzt und poliert sein. •
Gschnür: Die Schnürung muss gleichmäßig auf die Ösen verteilt sein und beim Wechsel in den nächsthöheren Gang immer in dieselbe Richtung führen, z. B. von links unten nach rechts oben. •
Halstuch: Nur die Ziehharmonika-Faltung ist als Technik erlaubt. Danach wird das Tuch über seine Diagonalen einmal zum Dreieck und dann in sieben gleichmäßige Falten gelegt. Die Tuchspitze muss auf der Rückseite exakt mit dem Mieder abschließen. •
Riegelhaube: Bei Umzügen ist die Kopfbedeckung Pflicht. Die Riegelhaube muss mittig am Hinterkopf angebracht sein. •
Verbote: Sonnenbrille und Armbanduhr tragen. Auffälliges Make-up und Nagellack. Kaugummi kauen. Von Gwandwartin Regine Berkling
Da ist ein Saum beim Aussteigen aus dem Auto gerissen, dort eine kleine Naht geplatzt. „Sie ahnen gar nicht, wie viele Sicherheitsnadeln manchmal in so einem Gwand stecken können“, sagt Regine Berk ling. Aber genau so soll es ja sein, eben unsichtbar für den Betrachter. Ganz besonders für den männlichen. Der darf sich in puncto „Holz vor der Hüttn“ ganz und gar seinen Fantasien hingeben. Denn ein pralles Dekolleté bekommt er bei einer Biedermeiertracht nicht zu sehen. Das Halstuch ist züchtig gelegt und verschwindet mit seinen Enden direkt unter dem steifen, ohne Brustabnäher gefertigten Mieder. Dem Freier zum Trost: Trägt seine Aus erwählte die Schleife der Schürze auf der linken Seite, ist sie wenigstens noch ledig. Und wenn er’s wirklich ernst meint, darf er ihr einen Anhänger für das etwa dreieinhalb Meter lange Miedergschnür schenken. Eine Traube zum Beispiel, das Fruchtbarkeitssymbol. Die mit schmeichelnden Gold mustern bestickten, borteneingefassten Mieder mit ihrem echt silbernen Gschnür ließen sich früher wie ein Kontoauszug
Schon aufgemaschelt wie ein Großer: der Nachwuchs-Trachtler mit Gehrock, gelber Weste und Fuhrmannshut. Für die Gewänder der Kleinen haben die Lechler inzwischen einen Fundus.
l esen. Ob Fische oder Muscheln, Breze oder Bergkristall und am besten noch ein paar Gedenkmünzen – je mehr am Gschnür der Dame baumelte, umso besser war sie gesellschaftlich und finanziell gestellt. Keine Kompromisse beim Gwand
Besuch bei der Gwandwartin. Am Holzschrank hängen zwei Trachten, auf dem Tisch liegen Ohrringe, Kropfketten, eine Auswahl an Täschchen, die Pompadours. Regine hilft Nina Schmidtlein, 30, beim Anziehen der Tracht. Rund eineinhalb Stunden, mit Haarestecken, muss man rechnen. Nina zeigt stolz ihr neues, altes Mieder. Die Mama hat es für sie gefunden, wird es jetzt in unzähligen Stunden liebevoll restaurieren, die hauchdünne Stickerei an Schadstellen mit dem spiralförmigen BouillonGolddraht reparieren, Peddigrohr-Stäbchen einziehen, das zerschlissene Sackleinen auf der Rückseite auswechseln. Die Gwandwartin muss das Mieder in spizieren, auf Lechler-Tauglichkeit über prüfen. Das tut sie bei allem, was die Vereinsmitglieder sich neu anschaffen.
Stoffe zum Beispiel für das nächste Gwand, für Röcke, Blusen, Schürzen, Tücher. Die Farben dürfen nicht zu grell, die Muster müssen filigran und dezent sein, eben zur Biedermeierzeit passen. Regine Berkling: „Da machen wir keine Kompromisse.“ Eines ist sicher: Bei den „Lechlerinnen“ ist alles original oder eben selbst geschneidert. Da kommt nichts von der Stange. Ob Profi- oder Hobby-Schneiderin – beim Nähen ihres Gwands haben die Trachtlerinnen die höchste Perfektion erreicht – und wenn eine einmal etwas nicht so gut kann, findet sie selbstverständlich bei den Vereinsfreundinnen Unterstützung. „Wir machen alles in Gemeinschaftsarbeit“, sagt die Vorsitzende Renate Seeber. Z’ammhelfen, z’ammhalten, z’ammstehen, das ist das Wichtigste, findet sie. Denn sonst wäre selbst das schönste Gwand nicht viel wert. 3
Servus-Tipp: Heimat- und Brauchtumsverein Lechler, www.lechler-muenchen.de
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Foto: Eisenhut & Mayer
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