Armenische Frau in Feiertagstracht, 1912
DIE ZEITMASCHINE 100 Jahre alte Farbfotos erwecken das russische Zarenreich zu neuem Leben.
KAMPFZONE ZENTRALAFRIKA Die Gesetze des Dschungels KLIMAWANDEL IN DER ARKTIS Die Inuit verstehen die Welt nicht mehr PLANET MENSCH Die erstaunliche Mikrowelt unseres Körpers EINSATZ AM ÄTNA Der Mann, der auf Europas aktivsten Vulkan aufpasst AUSGABE 02 – SE PTE M BE R 2012 EUR 9,90 / CHF 12,50 ( INKL . DVD )
E I N E P U B L I K AT I O N VO N
inhalt we ltbild
Re PORtaGe n
22 Sechs erstaunliche Bilder
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von Mutter Erde und ihren Bewohnern – von Seepferdchen bis zu Baumwollpflückern.
Der Regenwald in der Zentralafrikanischen Republik ist eine Kampfzone, in der Menschen und Tiere nur ein Ziel verfolgen: Überleben mit allen Mitteln. Es prallen aufeinander: Pygmäen und Siedler, Wildhüter und Wilderer. Ein Frontbericht.
32 Schaubild
Wie viel Platz haben wir noch auf unserer Erde? Ein interessantes Gedankenexperiment.
34 Ein Mensch in New York City Jay Fan, Obsthändler in Chinatown, gibt Einblicke in seinen Alltag.
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Warum sie daheim wenig zu melden haben und andere bemerkenswerte Details.
38 Ein Tag, der die Welt veränderte
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RÄTSELHAFTE ARKTIS Die Natur in der Arktis hat sich mit dem Klimawandel derart verändert, dass die Einheimischen ihre Sprache nicht mehr verstehen. Und die Regeln der Väter gelten über Nacht nichts mehr. Ein Ortstermin bei den Inuit von Banks Island im hohen Norden Kanadas.
Coverfoto: Michailowitsch Prokudin-Gorskij
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DER HÜTER DES FEUERBERGES Aus der Ferne wirkt der Ätna friedlich und harmlos. Doch Europas aktivster Vulkan ist höchst lebendig. Und gefährlich, wie sieben Ausbrüche seit Jahresbeginn belegen. Keiner weiß das besser als der deutsche Vulkanologe Boris Behncke – der Mann, der auf ihn aufpasst.
36 Ein Wunder namens Erdmännchen
17. Oktober 1969: Wie zwei Amerikaner durch Zufall die digitale Fotografie erfanden.
DIE GESETZE DES DSCHUNGELS
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DIE RETTUNG DER LUCHSE Protokoll einer Auferstehung: Vor zehn Jahren noch galt der Iberische Luchs als die am meisten vom Aussterben bedrohte Katzenart der Welt. Doch nach einem aufwendigen Rettungsprogramm beginnt sich die Lage jetzt langsam zu entspannen.
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FOTOS: GERALD FÖRSTER, SOLVIN ZANKL/AGENTUR FOCUS, ERIKA LARSEN/REDUX/LAIF, THE VISUALIZATION GROUP/UNIVERSITÄT FÜR ANGEWANDTE KUNST WIEN, LUCA ZANETTI, OSKAR SCHMIDT, SAM FAULKNER/AGENTUR FOCUS, SERGEI MIKHAILOVICH PROKUDIN-GORSKIJ/LIBRARY OF CONGRESS/PRINTS & PHOTOGRAPHS DIVISION/PROKUDIN-GORSKII COLLECTION, PETE OXFORD/MINDEN PICTURES; ILLUSTRATIONEN: ANDREAS LEITNER
TERR A M ATER | SEPTEMBER 2012
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DIE ZEITMASCHINE
174 JANE GOODALL
Die Fotos von Michailowitsch Prokudin-Gorskij sind über 100 Jahre alt, aber sie sehen aus, als wären sie erst gestern geschossen worden. Berührende Einblicke in die Zeit des untergehenden Zarenreichs. 140
ZHENG HES LETZTE REISE Anfang des 15. Jahrhunderts dominierte eine gigantische Flotte aus China die Weltmeere – mit 30.000 Mann und 130 Meter langen Prunkschiffen. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, erwacht jetzt wieder das Interesse an den Schiffen und ihrem Admiral Zheng He.
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WIR SIND NICHT ALLEIN Der menschliche Körper ist Lebensraum für Milliarden von Lebewesen. Und je mehr sich die Forschung mit diesem faszinierenden Ökosystem beschäftigt, desto mehr wird klar: Wir haben seine Bedeutung gewaltig unterschätzt.
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Sie träumte von Exotik und suchte sie in Afrika: Mit Herbert Völker sprach die legendäre Schimpansenforscherin Jane Goodall über ihre abenteuerliche Karriere, ihre Mission und ihre Faszination für Tarzan.
182 RAY BRADBURY
Meisterwerke der Literatur: Der erst im Juni verstorbene Schriftsteller Ray Bradbury (Fahrenheit 451) gilt als Meister der feinen Beobachtung. Die Erzählung Alter Köter im Straßenstaub beschreibt einen Wanderzirkus in Mexiko.
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Ray Bradbury
standards
9 Editorial 12 Logbuch 14 Terra Mater Society Das Leser-Forum. 16 Impressum 190 Terra Mater im TV
Die Programm-Highlights aus der Produktion der Terra Mater Factual Studios bei ServusTV.
194 Noch Fragen?
Ungelöste Rätsel der Wissenschaft.
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H e lDe n von H eute
Der Hüter Des Feuerberges Aus der Ferne wirkt der Ätna harmlos. Doch Europas aktivster Vulkan ist höchst lebendig. Und gefährlich. Keiner weiß das besser als Boris Behncke – der Mann, der auf ihn aufpasst.
Text: Stefan Nink Fotos: Oskar Schmidt
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H e lde n von H eute
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IE ERSTARRTE, ZERBRÖSELTE Lava
knirscht unter den Schuhen, und vom Meer pfeift der Wind die Bergflanke hinauf, aber das alles nimmt er heute Morgen nicht wahr. Boris Behncke wartet auf ein anderes Geräusch. Auf eines, mit dem er rechnet, täglich, ach was, stündlich – auf einen Ton, der genau jetzt, in diesem Moment, aus dem Berg dringen könnte. Vielleicht ein Zischen. Vielleicht ein Rumpeln. Vielleicht ein Röhren oder ein Krachen oder ein Grummeln – so tief, dass es einem wie eine Faust in die Magengrube fährt, noch bevor man es hört. Behncke steht da oben auf dem Berg, steht ganz still und wartet darauf, dass der Ätna eine neue Eruption ankündigt. Mit einem jener Geräusche, die er immer von sich gibt, bevor es so weit ist, und manchmal auch mit allen zusammen. Der jüngste Ausbruch ist mittlerweile fast zwei Wochen her; es war bereits der siebte in diesem Jahr. Lange wird es nicht mehr dauern. Der Vulkan wird erneut von sich hören lassen. Sehr bald schon.
Italien Ätna
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Das ist kein Berg, den man aus den Augen verlieren sollte. Keinen Tag. Keine Minute. Eigentlich keine Sekunde. Italiens größter Vulkan ist einer der aktivsten der Welt: Kaum ein Jahr auf Sizilien vergeht ohne Zwischenfälle. 2001 spie der Ätna 21 Millionen Kubikmeter Lava. 2002 erwischte es Skistation und Hotel auf dem Piano Provenzana, einer bis dahin lieblichen Hochebene, die von über 60 Millionen Kubikmeter Lava in eine Landschaft verwandelt wurde, die jetzt optisch sehr an Mordor aus dem Film „Herr der Ringe“ erinnert. 2004/05 dauerten die Eruptionen ein halbes Jahr, 2006 spuckte der Vulkan fünf Monate lang Lava. Der bislang letzte Ausbruch an der Bergflanke währte sogar volle 417 Tage, von Mai 2008 bis Juli 2009. Seit vergangenem Jahr befindet sich der Ätna in einer besonders unruhigen Phase seines Vulkanlebens: Alle paar Wochen schleudert er Lava aus seinem Inneren. 2011 wurden 18 Explosionen gezählt, bei denen jedes Mal breite Lavaströme die Hänge hinunterliefen und der Berg bis zu sieben Kilometer hohe Aschesäulen in den
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Himmel über Sizilien jagte. 2012 verlief bis jetzt kaum ruhiger: Seit Jahresbeginn gab es bereits sieben Lavafontänen. Dass die Sizilianer im Osten der Insel dennoch beruhigt schlafen können, liegt an Männern wie Boris Behncke. Der Vulkanologe am Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia in Catania überwacht den Ätna rund um die Uhr mit einem Netzwerk aus Sensoren, die jeden Schluckauf und jedes Räuspern des Berges registrieren. Die
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1: Krater und Lavafelder an der nordöstlichen Flanke des Ätna. Während Eruptionen aus den Gipfelkratern keine unmittelbare Bedrohung bedeuten, fürchten die Wissenschafter einen Ausbruch in dieser Zone, wie zuletzt 2002. Dabei sind Menschen in den nahegelegenen Orten in Lebensgefahr. 2: Für Vulkanologen wie Boris Behncke gilt es, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Hier studiert er ein ziemlich eindrucksvolles Video von einem Ausbruch.
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Sie sind 100 Jahre alt. Aber sehen aus, als ob sie erst gestern geschossen worden w채ren: Farbfotos aus dem vorrevolution채ren Russland zeigen ein faszinierendes Bild des untergehenden Zarenreiches.
Text: Markus Honsig Fotos: Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij
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FOTOS: SERGEI MIKHAILOVICH PROKUDIN-GORSKIJ/LIBRARY OF CONGRESS, PRINTS & PHOTOGRAPHS DIVISION, PROKUDIN-GORSKII COLLECTION
Seyyid Mir Mohammed Alim Khan, 1911. Der stolze Emir von Buchara, einem islamischen Staat im heutigen Usbekistan, 1868 von Russland erobert.
Text: Fotos:
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S GIBT HISTORISCHE Konstellationen,
die auf ihre Weise einmalig sind: Da ist ein Land von gigantischer Größe, das vorrevolutionäre Russland am Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Land mit einem riesigen Reichtum an kultureller und landschaftlicher Vielfalt. Ein Land im wirtschaftlichen Aufschwung, neu erschlossen durch den Bau der Transsibirischen Eisenbahn. Da ist ein Zar, der nicht Zar werden wollte, Zar Nikolaus II. Ein absoluter, aber schwacher Monarch, der nicht in der Lage ist, die notwendigen Reformen einzuleiten, die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen in seinem Reich abzubauen, die wachsende Unzufriedenheit der Bauern und Arbeiter aufzufangen. Der letzte Zar einer untergehenden Epoche. Da ist eine Technologie, die Forscher rund um die Welt beschäftigt und die das Bild von der Welt nachhaltig verändern wird: die Farbfotografie, gerade ausgereift genug, um im größeren Stil eingesetzt zu werden. Und schließlich ist da ein Mann, der eine große Idee hat und die Kraft, sie umzusetzen. Ein Mann, der nicht ein- oder zweimal abdrückt, sondern rund 3.500-mal (genau genommen mehr als zehntausendmal, aber davon später): Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij. Dass seine Fotos Jahrzehnte später von der Bibliothek des US-Kongresses erworben, von einem Team engagierter Wissenschaftler digital aufbereitet wurden und heute im Internet frei zugänglich sind, erhöht die Magie des Gesamtkunstwerks noch einmal: eine Zeitmaschine, die uns ansatzlos einhundert Jahre zurück mitten in die spannendsten Jahre russischer Geschichte bringt, eine Landkarte in Farbe, die wir im Kopf bislang nur in Schwarz-Weiß abgespeichert hatten; ein einmaliges Werk in der Geschichte der Fotografie. Es gibt individuelle Chancen, die man nur einmal im Leben bekommt. Der Fotograf Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij hat seine am
Armenische Frau in Feiertagstracht, 1912. Für ein Lächeln dauerte das Fotografieren zu lange. Die ersten Farbfotos verlangten würdige Haltung und ernsten Blick.
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Der Fotograf des letzten Zaren. Brillant, visionär, egozentrisch, verschlossen: S. M. Prokudin-Gorskij.
3. Mai 1909, einem Sonntag. Zar Nikolaus II . lädt ihn an diesem Tag in die St. Petersburger Residenz Zarskoje Selo zu einem ganz speziellen Dia-Abend ein. Er möchte die neue Farbfotografie kennenlernen. Der Fotograf weiß, sein Vorhaben, „ganz Russland in natürlichen Farben“ abzubilden, könnte an diesem Abend den entscheidenden Schub bekommen. Er trifft eine sorgfältige Auswahl von Fotos – Sonnenuntergänge, verschneite Landschaften, Blumen, Bauernkinder, Herbstszenen. Und er arrangiert sie klug – die besten, effektvollsten Bilder hält er für ein starkes Finale zurück. „Aber schon nach dem allerersten Bild“, berichtet er später, „als ich das zustimmende Flüstern des Zaren hörte, war ich mir sicher, dass ich Erfolg haben würde.“ Alles läuft wie geplant: Der Zar zeigt offene Begeisterung noch während der Vorführung. Als ihn der Fotograf schließlich fragt, ob er nicht von Zeit zu Zeit das „wahre Russland“ sehen wolle, verspricht ihm der Monarch seine volle Unterstützung. Prokudin-Gorskij bekommt einen eigens mit Dunkelkammer ausgestatteten Eisenbahnwagen zur Verfügung gestellt, Schiffe für die diversen Flussfahrten und einen entsprechend ausgerüsteten Ford T für die schlechten Straßen im Ural. Noch wichtiger aber sind zwei vom Zar persönlich unterschriebene Papiere. Eines, das ihm Zugang zu allen Regionen des Landes verschafft, keine Selbstverständlichkeit im Russland dieser Tage. Ein zweites, das die lokalen Verwaltungen auffordert, ihn uneingeschränkt zu unterstützen. Schon im Juni bricht Prokudin-Gorskij auf, um im Norden zu fotografieren, im August reist er in das Ural-Gebirge. Rückblende: Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij wird am 31. August 1863 vermutlich in Funikowa Gora östlich von Moskau als Sohn Die Kathedrale von Jalutorowsk, 1912. Selbst der Hund hielt still, um sich ins Bild zu rücken. Die Kirche der westsibirischen Stadt wurde 1931 von den Kommunisten zerstört.
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FOTO: www.crimsOn.se/gOrskij/Om.hTml
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Admiral Zheng Hes letzte Reise 87 Jahre vor Kolumbus dominierte eine gigantische Flotte aus China die Weltmeere. Mitten im Verband: Prunkschiffe, angeblich 端ber 130 Meter lang. Dann aber verloren die Ming-Kaiser schlagartig die Lust an ihrer Seemacht. Erst jetzt erwacht neues Interesse an den Schiffen und ihrem Admiral.
Text: Ulrich Baron Illustrationen, Kalligrafie: Andreas Leitner Infografiken: Golden Section Graphics
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Lange galten in China Zheng Hes Reisen als Fehler. Jetzt steht er wieder auf einem Sockel.
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so weit. Nach jahrelangen Vorbereitungen gibt der Admiral noch einmal den Befehl zum Auf bruch. Und ein letztes Mal stechen 300 Schiffe, die größte Armada, die die Welt bislang gesehen hat, in See. Wir schreiben das Jahr 1431, der Ort ist Nanjing in Südchina, zu jener Zeit die Hauptstadt des chinesischen Kaiserreiches. Der Befehlshaber der Flotte, Admiral Zheng He, darf noch einmal seinen gewaltigen Schiffsverband aufs Meer führen. Mehr als 27.000 Seeleute folgen seinem Kommando. Die größten Einheiten, die „Schatzschiffe“, sind sagenhafte 137 Meter lang und 56 Meter breit. Der Kurs lautet: Süden, immer an der Küste Chinas entlang, dann durch den Indischen Ozean nach Indien und vielleicht weiter nach Ostafrika. Die Mannschaften sind darauf vorbereitet, ihre Heimat erst in zwei Jahren wiederzusehen. Doch was macht der Admiral in seiner luxuriös ausgestatteten Kajüte? Nach nicht einmal einer Woche auf See lässt er wieder anlegen. Da haben die Dschunken gerade einmal die Stadt Changle erreicht, keine 800 Kilometer vom Heimathafen entfernt. Hier lässt Zheng He eine steinerne Stele errichten – einen massigen, dunklen Brocken, den ein Steinmetz über und über mit Schriftzeichen bedeckt. Erst als das erledigt ist, geht die Reise weiter. Erst 1938 wird die Stele wiederentdeckt, ihre Inschrift entziffert. In dem Text erbittet Zheng He günstige Winde und glückliche Heimkehr von der Schutzgöttin der Seefahrer, Tian Fei. Was für die Historiker heute aber noch viel interessanter ist: Zheng He hält auf der Stele auch Details seiner unglaublichen Karriere und seiner abenteuerlichen Reisen fest. Er sei bereits 50.000 Kilometer weit gesegelt, lässt Zheng He in den Stein meißeln. Das klingt unglaublich, ist aber durchaus plausibel. Schließlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits sechsmal durch den Indischen Ozean gesegelt. Die Fürbitten, vor allem aber die Autobiografie des Admirals, gehören zu den wichtigsten N DL ICH WA R E S
und zuverlässigsten Quellen, die eines der spektakulärsten Kapitel in der Geschichte der Seefahrt überliefern. Abgesehen von diesen Texten gibt es nur noch einige wenige zeitgenössische Chroniken sowie Memoiren einiger Reisegefährten von zweifelhafter Faktentreue. Die breit angelegte Historie der Ming-Ära, genannt „Mingshi“, erwähnt Zheng He ausführlich, doch sie wird erst 200 Jahre nach seinem Tod fertiggestellt. Die originalen Aufzeichnungen seiner Reisen, die Baupläne und Logbücher seiner Schiffe sowie die Listen ihrer Mannschaften sind im Wechsel der Herrscher und durch Palastintrigen fast vollständig vernichtet worden. Die Stele jedoch hat die Zeiten überdauert und rundet das Bild ab, das die Historiker von der erstaunlichen Karriere des Zheng He zeichnen. Die Art und Weise, wie die Erinnerung an Zheng Hes Abenteuer in den vergangenen Jahrhunderten in China weitergetragen wurde, ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung des heutigen Milliardenvolkes: Jahrhundertelang hatte sich das Weltreich isoliert. Die Weltreisen des Zheng He galten da als Irrtum, den es zu vertuschen galt. Noch Ende der 1990er-Jahre stieß der amerikanische Journalist Nicholas D. Kristof in Nanjing auf ein geschlossenes Museum. Und das Grab des Admirals? Das sei leer, verriet ein Bauer dem reisenden Reporter. Die steinerne Schildkröte, die es bewacht habe, sei bei Maos „Großem Sprung nach vorn“ zerschlagen und als Straßenbelag missbraucht worden. Doch jetzt, da sich China als Weltmacht neu erfindet, erlebt auch das Andenken an Zheng He eine Renaissance. Am deutlichsten wird das in Nanjing, wo gerade an der Replika einer großen Dschunke des Admirals gebaut wird (siehe Kasten auf Seite 154: „Eine Legende im Trockendock“). Wäre die Geschichte ein wenig anders gelaufen, so glaubte Kristof, dann hätte Zheng He „der chinesischen Besiedlung von Amerika, Australien und Afrika den Weg bereitet, Kolumbus hingegen wäre irgendein Seefahrer, den niemand mehr kennt, verbannt in ein verstaubtes, zugesperrtes Museum in Genua“. Doch warum segelte er nach Westen und nicht nach Amerika? Warum fuhr er
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die sieben Reisen des Zheng he Die Flotte sorgte entlang der Handelsrouten für Frieden und Ordnung – und sammelte Tributgaben für den Ming-Kaiser.
Changle
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REICh
Kalikut
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Pazifischer Ozean
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Semudera
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Indischer Ozean Reiserouten von Zheng He 0 0
500 500
1.000 Meilen
1.000 km
an Afrikas Küste nicht weiter hinunter als bis Mogadischu oder vielleicht bis Malindi? Um die wenigen überlieferten Informationen richtig deuten zu können, muss man zurückblicken in die Welt von Zheng He – in das China der frühen Ming-Epoche.
FOTO: PICTUREDESK.COM
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1405 –1407
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AFRIkA
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Golf von Bengalen
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Arabisches Meer
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Aden
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Rote
Hormuz 14
Mogadischu
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Nanjing
PERSIEn
Persischer Golf
Die sieben Reisen des Zheng He
Das Reich hatte sich 1368 von der mongolischen Fremdherrschaft befreit und schickte sich nun an, sein enormes wirtschaftliches und militärisches Potenzial zu entfalten. Schon bald würde China der übrigen Welt zeigen, dass es sie nur als seine tributpflichtige Peripherie ansah. 1371 kommt in der Provinz Yunnan ein Kind auf die Welt, genannt Ma He. Es scheint für weite Reisen prädestiniert. Sein Vater und Großvater tragen den muslimischen Ehrentitel Hadji, haben also eine Pilgerreise ins ferne Mekka absolviert.
1381 nimmt das Leben des Knaben eine dramatische Wendung: Truppen des Ming-Kaisers marschieren in Yunnan ein, er wird gefangen genommen, kastriert und an den Hof des Ming-Prinzen Zhu Di verschleppt. Dort wächst er heran. Eunuchen der MingZeit besetzen am Kaiserhof – sehr zum Missfallen der konfuzianisch geprägten Beamtenschaft – höchste Ämter und bilden einen Staat im Staat. Ma He fällt dem Prinzen bald wegen seiner militärischen und diplomatischen Talente auf. Als sich Zhu Di 1402 an die Macht putscht und die Regierungsdevise „Yongle“ („immerwährende Freude“) wählt, erhält auch Ma He einen neuen Namen: Von nun an heißt er Zheng He. Der neue Kaiser hat eine Vorliebe für Großprojekte: Er führt aufwendige Feldzüge gegen die Mongolen und
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