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wie Familie Nischler ein Hotel führt

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DAS DUOTORIAL

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DER BERG RUFT…

Helmut Stieger ist im Lindenhof Restaurantleiter, Sommelier – und Wanderführer. Mit Schrecken erinnert er sich an die Tour mit einem jungen Ungarn hoch zur Veneziaspitze im Martelltal. Sie hat ihn geprägt – und ihn im Umgang mit Gästen noch verantwortungsvoller gemacht.

Hoch oben, kurz vor der Veneziaspitze, habe ich die falsche

Entscheidung getroffen. Wir hatten bis dahin schon viel mehr Zeit gebraucht, als ich geplant hatte. Ich sah meinen erschöpften Begleiter, ich sah, wie das Unwetter, das für den späten Nachmittag prognostiziert worden war, immer näher rückte. Ich sah – nur einen Ausweg: Wir mussten schnell nach unten kommen. So schnell wie möglich. Aber: nie wieder werde ich mich, wenn ich nicht allein bin, für eine Strecke entscheiden, die ich nicht kenne. Das verspreche ich. Großes Ehrenwort.

Zu meiner Entschuldigung muss man sagen: ich war jung. Damals. Und Laszlo auch. Laszlo kam aus Ungarn und hatte von Anfang an nur ein Ziel: Er wollte hoch auf die Gipfel. So wie Reinhold Messner. Alles, was er über unseren Südtiroler Bergsteigerkönig zu lesen oder zu sehen bekam, trichterte er sich ein. Er arbeitete in der Küche. Aber Messner war sein Vorbild. Er wollte Bergsteiger werden, das war sein Traum schon in der Heimat. Und als er die Berge in Südtirol sah, ist er vielleicht sogar zum Albtraum geworden. Er kaufte sich die teuerste und modernste Ausrüstung mit allem, was dazu gehört. Er übte, kalte Nächte im Thermozelt zu verbringen.

Weil ich glaubte, dass er wirklich zum Bergsteiger berufen war und entsprechende Kondition voraussetzte, ließ ich mich von ihm überreden. Ich nahm ihn mit auf eine Tour ins Martelltal. Marteller Hütte, die drei Spitzen am Marteller Hauptkamm

und der Abstieg über die Vordere Rotspitze. Der Wetterbericht sagte zwar für den späten Nachmittag ein Unwetter voraus, aber wir starteten in aller Herrgottsfrühe. Viel mehr als sieben Stunden, so war mein Plan, sind wir nicht unterwegs. Allein schaffe ich die Gipfelwanderung locker in sechs Stunden.

Allein. Aber ich hatte Laszlo dabei.

Die ersten Zweifel kommen mir auf 2.610 Meter Höhe. Wir sind auf dem Weg zur Marteller Hütte. Laszlo atmet schon schwer, was vielleicht daran liegt, dass er nicht gewohnt ist, 15 Kilo Gepäck mit sich zu schleppen. 15 Kilo sind es gewesen. Bestimmt. Für die Tour über die Gletscher braucht man ein Steigeisen, einen Stehpickel, einen Eispickel, Kletterseil, Schnüre, Proviant, Wasser. Ein zweites Paar Stiefel kann nichts schaden, warme Kleidung auch nicht.

Von der Marteller Hütte aus geht es steil nach oben. Über das Gletschergebiet hängen wir zusammen am Seil. Laszlo stürzt immer wieder, weil er es nicht gewohnt ist, mit den Steigeisen breiter zu laufen. Sie verhaken sich schnell. Das kostet Zeit – und mich Nerven. Weil ich Angst um ihn habe, schließlich braucht er auch den Pickel in der Hand, der am Armgelenk mit einer Schleife befestigt ist. Nicht auszudenken, wenn er auf diesen Pickel… Ich achte mehr auf ihn als auf mich.

Wir sind auf der Marmotta, auch Köllkuppe genannt. Sie liegt genau auf der Grenze zwischen Südtirol und Trentino im Nationalpark Stilfser Joch. Die 690 Höhenmeter von der Martellhütte aus haben uns viel Zeit und Laszlo viel Kraft gekostet. Trotzdem will er weiter. Zur Veneziaspitze. Wir müssen klettern. Senkrecht nach oben. Es wird zur Qual

Hier findet Helmut Stieger sein Glück: mit Frau Irmi am Gipfelkreuz

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WANDERTIPPS

vom Lindenhof-Wanderführer Helmut Stieger können Sie im neuen Onlinemagazin nachlesen. Da beschreibt der 54-Jährige die Touren, die er donnerstags seinen Gästen anbietet. „Ich bin bergsüchtig“, hat er in der SUITE-Geschichte „Der Wanderer zwischen den Welten“ erklärt (auch diese finden Sie im neuen Onlinemagazin). „Bergsüchtig“ ist sicher auch der zweite Lindenhof-Wanderführer. Rudi Alber bietet jeden Montag geführte Wanderungen an.

für Laszlo, auch wenn es nur 86 Höhenmeter sind.

Trotzdem will er hoch. Ich nicht.

Meine Ausdauer ist bestens. Bergwandern ist meine Leidenschaft. In jeder freien Minute bin ich mit meiner Frau Irmi auf dem Weg nach oben. Ganz oben, meistens. Ich brauche das. Ich brauche die Luft, die Aussicht, diese Freiheit, die mir so eine Tour schenkt. Vielleicht liegt es daran, dass ich im Martelltal geboren bin. Auf einem Bauernhof, von dem aus ich jeden Tag den Berg runter in die Schule laufen musste. Und natürlich nach der Schule wieder hoch. Ich habe noch nie aufgegeben. Egal, was für ein Wetter – mein Ziel habe ich immer erreicht. Bis dahin.

Den weiteren Weg über die drei Venezierspitzen hinüber zur Hinteren Schranspitze erspare ich Laszlo. Und

„Gletscher wandern. Und damit auch die gefährlichen Spalten. Das ist of ein riskantes Spiel.“

Das Martelltal ist seine Heimat. Und trotzdem wäre hier eine Tour fast zum Verhängnis geworden für den erfahrenen Bergführer

vor allem mir. Ich will nur noch eines: Laszlo heil nach unten bringen. Und weil das Wetter seine Warnzeichen schickt, sollte das auch schnell geschehen. Wir steigen unterhalb der Veneziaspitze ab, entscheide ich. Und das, obwohl ich den Weg nicht kenne. Ein verhängnisvoller Fehler. Die Sicht ist schlecht, das Gelände über den Gletscher so hügelig, dass du nicht siehst, was auf dem nächsten Meter passiert. Laszlo geht voran, weil ich ihn am Seil absichern kann. Immer wieder höre ich ihn. Es geht nicht weiter. Gletscherspalte. Ich muss zu ihm nach unten, Eisschrauben rein drehen, ihn hoch begleiten. Eine neue Strecke suchen. Aber entweder rutscht Laszlo auf dem brüchigen Geröll. Oder ich muss ihn kurz vor einer Gletscherspalte wieder nach oben ziehen.

Gletscherspalten überraschen einen hier im Ortlergebirge immer. Auch auf Touren, die man gut kennt. Gletscher wandern – und damit auch die gefährlichen Spalten. Das ist oft ein riskantes Spiel. Meistens hält der Gletscher ja. Allerdings kann er auch brechen. Wer weiß das schon? Ich weiß, ich muss jetzt Sicherheit ausstrahlen. Bei Laszlo hat die Panik eingesetzt. Da wirst du unkonzentriert, der Körper blockiert, du rutschst häufiger ab. Laszlo ist nur noch gerutscht. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich zu ihm klettere und ihn aus seiner misslichen Situation befreie. Normalerweise hatte ich nicht mehr als 1.500 Höhenmeter eingeplant. Keine Ahnung, wie viele es für mich durch Abstieg und Aufstieg wegen Laszlo geworden sind. Es ist der Horrorweg nach unten. Mit einem Anfänger, dem jetzt nicht einmal mehr der Gedanke an Reinhold Messner hilft.

Was soll ich Ihnen sagen? Laszlo lebt. Hoffentlich. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Nie wieder wollte er mit mir hoch auf die Berge. Wahrscheinlich ist er wieder in Ungarn und macht Urlaub am Plattensee. Er hat nicht viel geredet nach unserer Tour, auch später nicht. Wir haben uns die Hand geschüttelt. Und ich habe noch einen Dank nach oben geschickt. Der Liebe Gott hat das Unwetter ein bisschen aufgehalten. Bis wir unten am Parkplatz waren. Dann erst ging’s los. Keine Ahnung, was passiert wäre, wenn wir zu dieser Zeit noch irgendwo am Gletscher gewesen wären.

Ich erkunde immer noch neue Touren. Aber nur mit Irmi. Mit Gästen wandere ich auf Strecken, die ich kenne. Und lasse mich auf kein Abenteuer mehr ein. Auch wenn einer mir erklärt, dass Reinhold Messner sein Vorbild ist und mir die neueste Kletterausrüstung zeigt.

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