Rephlex Ausgabe 30

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Studierendenzeitung der PH ZĂźrich Nr. 30, 12. Dezember 2018

Projekt Tagesschulen 2025 Tagesschulen unter der Lupe Interview mit dem Stadtrat Urban Exploration


Impressum Ausgabe: RePHlex Nr. 30, 12. Dezember 2018, Auflage: 1300 Stück Herausgeber: VS PH Zürich, Versammlung der Studierenden der PHZH; Lagerstrasse 2, Büro LAC-E073 8090 Zürich; vs@phzh.ch; www.facebook.com/vsphzh Redaktion: RePHlex, Zeitung des VS PH Zürich, Lagerstrasse 2, Büro: LAC-E073, 8090 Zürich; rephlex@phzh.ch Redaktionsleitung: Gabriel Mateos Sánchez Redaktion: Simon Heiniger, Luca Bastianini, Nathalie Hug, Martin Wipf, Jelena Bosiokovic, Marta Ribeiro, Michelle Speck, Cécile Mouron, Céline Haag, Gino Egli, Miro Müller, Riccardo Geuggis, Roman Balzarini, Teresa Dreßler, Whitney Huber Titelbild: Whitney Huber, (Foto Simon Heiniger) Küche: Cécile Mouron, Luca Bastianini Layout & Gestaltung: Simon Heiniger, Michelle Speck Inserieren: vs@phzh.ch – Einsendeschluss Ausgabe 31: 30. Januar 2018 2


Im Wandel 4

Editorial

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Tagesschulen 2025 SchülerInnen bleiben über den Mittag an der Schule. Chancen und Risiken des Projekts.

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Schulhaus Leutschenbach Die Schule gilt als Vorzeigeprojekt. Ist sie das auch?

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Schulhaus Schauenberg Kann trotz Provisorium eine Tagesschule betrieben werden?

2 Impressum 21 Ein Dach für alle PH Studierenden organisationen 16 Portraitiert 24 Für ein Dach über dem Kopf 26 RePHlexionen 28 Pinnwand 30 Rätsel 31 #phlife 31 Comic 32

Dr. PHlex

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Exgüsi,

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aber weisch du, dass es Praktika und nöd Praktikas und scho gar nöd Praktikums heisst?

Interview mit dem Stadrat Filippo Leutenegger nimmt Stellung zum Tagesschul-Projekt Alternativen für Lehrpersonen Auch unser Schulsystem wandelt sich ständig. Wie sehen dagegen die alternativen Schulen aus?

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Von der Natur ins digitale Zeitalter Der Interessenwandel von Kindern und Jugendlichen untersucht.

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Urban Exploration Die Stadt im Wandel. Die Stadt als Abenteuerspielplatz.

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Freier Wille? Können wir überhaupt wirklichen Wandel herbeiführen? Unser Wille ist nicht so frei, wie wir denken.

DIE ZAHL

29‘180.00 CHF gibt die Mensa pro Jahr für neues Geschirr und Besteck aus.

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Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Illustration Jérôme Philipp

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden… Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde! Hermann Hesse, 1941 5


Tagesschulen 2025

Das Projekt Tagesschulen 2025 wurde ins Leben gerufen, um Familien die Mรถglichkeit zu bieten, ihre Kinder auch ausserhalb des Unterrichts schulintern betreuen zu lassen. Text Teresa Dressler Fotos Rahel Schaffter

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Die Idee Die konkrete Idee ist, dass die SchülerInnen über Mittag nicht mehr nach Hause gehen. An den Tagen, an denen nachmittags Unterricht stattfindet, wird der Mittag zu einem sogenannten gebundenen Mittag. Das bedeutet, die Mittagszeit wird von 110 Minuten auf 80 Minuten gekürzt. Von der Schule wird Betreuung sowie eine warme Mahlzeit angeboten. Dadurch ist der Schultag jeweils etwas früher zu Ende als bisher. Doch auch in der Zeit vor Schulbeginn und nach Schulende sorgt die Schule für mögliche Betreuung durch das Angebot von Freizeitaktivitäten und die Zusammenarbeit mit Drittanbietern. Daraus folgt, dass Eltern in Zukunft die Möglichkeit haben, ihre Kinder von 7 Uhr morgens bis 18 Uhr abends von der Schule betreuen zu lassen. In seiner Umsetzung verfolgt das Projekt hauptsächlich drei Ziele:

Bildungsgerechtigkeit: Unterstützung von Integration und Förderung aller SchülerInnen Wirtschaftlichkeit: Optimierung der Organisation von Unterricht und Betreuung Gleichstellung: Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Möglichkeit für beide Elternteile oder alleinstehende Eltern, Familie und Karriere zu vereinen, ist für viele ein grosser Schritt nach vorne. Die Kosten für einen gebundenen Mittag betragen ca. 6 Fr. pro Mahlzeit. Das dürfte in den wenigsten Haushalten ein Problem darstellen. Zudem wird versprochen, dass die Stundenpläne der Kinder aus denselben Familien aufeinander abgestimmt werden. Das bedeutet, dass Geschwister an den gleichen Nachmittagen schulfrei haben. Die Umsetzung In der Umsetzung fordert dieses Projekt ein grosses Mass an Organisation. Vielen Schulen fehlen die Ressourcen an Räumlichkeiten und Personal. Jede Schule muss mehr kompetentes Betreuungs-, Hausdienst- sowie Reinigungspersonal einstellen. Zudem brauchen einige Schulen mehr Räume, um alle SchülerInnen über Mittag unterzubringen. Für den Lärm, den die Kinder verursachen, muss ebenfalls eine Lösung gefunden werden. Aufgrund des Platzproblems müssen an den meisten Schulen die Kinder gestaffelt essen, das heisst die Hälfte der Klassen haben erst gegen 13:00 Uhr Mittagspause. Das wiederum bedeutet, dass morgens 5 Lektionen Unterricht anstehen. Damit könnten gewisse Kinder Mühe haben. Insbesondere, da die Mittagszeit und somit die Erholungszeit kürzer ausfällt. Dies könnte dazu führen, dass es gewissen SchülerInnen schwerer fällt, sich zu konzentrieren.

Die Folgen Die Lehrpersonen, und somit auch wir als angehende Lehrpersonen, müssen darauf eingestellt sein, dass die SchülerInnen in diesem Konzept um einiges mehr Zeit an ihren Schulen verbringen werden. Die Kinder sollen in Zukunft den ganzen Tag in den Schulen sein. Dadurch werden die Lehrpersonen weniger Zeit haben, ihren Unterricht vorzubereiten. Gleichermassen wird es erschwert, sich mit dem Kollegium auszutauschen. Ausserdem wird in den grossen Schulpausen der Raum für die Lehrpersonen, sich abzugrenzen und zu erholen, vermindert. Mit all diesen Veränderungen wird auch die Stundenplangestaltung erschwert. Der neue Berufsauftrag, die Vorgaben des Projektes Tagesschulen 2025 und des Lehrplans 21 müssen vereint werden. Der aktuelle Stand Wie dem auch sei, hat das Projekt Tagesschulen 2025 bereits als Pilotprojekt gestartet. Zurzeit sind 6 Schulen beteiligt. Keine der beteiligten Schulen möchte zurück zum alten System. Sie sind alle überzeugte Befürworter der Tagesschulen. Der Gemeinderat, der Stadtrat und die Schulpflege planen 24 weitere Schulen in das Projekt miteinzubeziehen. Die Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 zu dem Thema wurde mit 77.3% angenommen. 7


Schulhaus Leutschenbach Text Céline Haag & Michelle Speck Fotos Michelle Speck

Tagesschulen, die Schulen der Zukunft. Sie existieren bereits und eine sehr bekannte davon ist das Schulhaus Leutschenbach in Oerlikon. Wir durften mit dem Schulleiter Claude Saladin ein Interview führen und haben dabei Folgendes in Erfahrung gebracht. Das Konzept der Tagesschulen löst bei jedem andere Gefühle aus. Manche sind dafür Feuer und Flamme, andere bekommen nur schon beim Gedanken daran Schweissausbrüche. Fakt ist: ab 2025 sollen sämtliche Schulen Zürichs in Tagesschulen umgewandelt werden. Dabei birgt dieses Projekt so einige Schwierigkeiten. Für das Schulhaus Leutschenbach war und ist es noch immer hauptsächlich der kontinuierlich hohe Lärmpegel. Die Wände sind aus Glas, die Flure sind breit und das Echo entsprechend laut. Die Doppelturnhalle, die zuoberst ist, trägt sämtliche Stimmen, Schritte, Aufpraller und Aufschreie von der einen in die andere Etage und teilweise sogar bis ganz hinunter ins Erdgeschoss. Früher war die Lärmbelästigung über den Mittag kein Thema. Die Schule war geschlossen, die SchülerInnen gingen nach Hause, doch seit dem Beginn der Tagesschule wurden ruhige Pausen zu einem Luxus, den sich die Lehrpersonen aktiv suchen müssen. So betont dies auch Claude Saladin immer wieder, der darauf verweist, dass das Leben der Lehrer durch die Tagesschulen durchaus härter geworden ist. Burnouts hätten sie noch keine gehabt, und es habe auch noch keine Lehrperson deswegen gekündigt, jedoch birgt diese dauernde Präsenz die Gefahr von erhöhtem Stress. Nebst dem Lärm stellt vor allem der räumliche Aspekt ein Problem dar. Im Falle Leutschenbach werden in den nächsten Jahren voraussichtlich mehrere hundert Kinder in die Umgebung ziehen und es werden unausweichlich neue Klassen entstehen. Allerdings ist der Platz bereits jetzt begrenzt. Wir haben uns im Schulhaus etwas umgesehen und uns wurde schnell bewusst, wie grosszügig das Schulhaus doch gebaut wurde. Improvisierte Räume könnten erbaut und relativ schnell genutzt werden und auch die neuen zwei Pavillons bieten noch etwas Platz. Doch das ist ein Luxus, den nicht alle Schulhäuser haben. Fakt ist, dass die Planung der Umwandlung einer normalen Schule in eine Tagesschule mehr als frühzeitig begonnen werden muss. Es gibt viele Faktoren, die miteinbezogen 8

werden müssen und zwar von Anfang an. Immerhin, so erzählte uns Saladin, hatten sie sich nie allein gelassen gefühlt. Das Schulamt nimmt Beschwerden ernst und versucht, diese jeweils schnellstmöglich umzusetzen. Ihnen scheint das Projekt ebenfalls sehr am Herzen zu liegen. Im Schulhaus Leutschenbach, in das momentan gut 520 SchülerInnen, vom Kindergarten bis in die Sek in die Schule gehen, habe der Wechsel jedoch gut geklappt. Die Kinder fühlen sich wohl und den meisten gefällt es, sogar über den Mittag mit ihren Klassenkameraden und Klassenkameradinnen beisammen zu sein. Leutschenbach bietet den SchülerInnen jedoch auch viele Freiräume. Sie haben keine Mensa oder Aula, sondern ein Schülerrestaurant. Die SchülerInnen können sich selbst auswählen, wann sie essen gehen wollen und mit wem. Sogar den Kindergartenkindern ist diese Entscheidung freigestellt. Und das funktioniere gut. Die SchülerInnen wissen diese Freiheit zu schätzen, so Saladin. Wir hatten die Möglichkeit, den Übergang in den Mittag zu beobachten und die Betreuungsmöglichkeiten zu erleben. Die SchülerInnen konnten jeweils aussuchen, ob sie zu Beginn des Mittags lieber direkt essen, spielen oder sich ausruhen gehen. Beim näheren Betrachten der Betreuungspersonen fiel uns jedoch auf, dass diese zum Teil wenig Deutschkenntnisse haben und eher als «Aufpasser» fungieren. Dabei stellt sich die Frage, wie gross der pädagogische Wert dieser Betreuung ist. Hinzu kommt, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen mit so einem Modell vollkommen untergehen. Dies stellt die Chancengleichheit, die bei dem Projekt eines der Hauptziele ist, in Frage. Der Klassenzusammenhalt habe sich seit dem Beginn der Tagesschule deutlich verbessert. Für uns stellte sich jedoch die Frage, was mit den Kindern passiert, die über den Mittag nicht in der Schule bleiben. Schliesslich ist es nach wie vor keine Pflicht. Gemäss Saladin sei das überhaupt kein Problem. Bisher sei es noch nie vorgekommen, dass jemand deswegen gemobbt oder ausgeschlossen wurde. Er persönlich ist sowieso dafür, dass nicht alle Kinder über den Mittag in der Schule bleiben. Es gäbe schlichtweg Kinder, denen eine Tagesschule zu viel sei. Das müssen nicht unbedingt nur ADHS-Kinder sein. Es komme immer mal wieder vor, dass der ständige soziale Kontakt manche überfordere. Für diese SchülerInnen sei es wichtig, dass sie über den Mittag nach Hause gehen und alleine etwas lesen oder spielen können. Die Ruheräume reichen für solche Kinder einfach nicht aus, und das muss respektiert werden. Ob dies jedoch in allen Schulen ab 2025 so umgesetzt wird, ist noch unklar.


Ăœbergang in den Mittag Ruheraum

Essen

Spielen

Auswahl treffen - Was mache ich zuerst?

Anmelden fĂźrs Essen

Spielbereich

Draussen spielen

Anstehen

Freie Platzwahl - En Guete!

Kreativbereich

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Schulhaus Schauenberg

von Michelle Speck

Ein weiteres Schulhaus des Pilotprojekts ist das Schulhaus Schauenberg. Dieses ist anderen Problemen ausgesetzt, da das eigentliche Schulhaus sich momentan im Bau befindet und sie in einem provisorische Schulpavillon untergebracht sind. Ich hatte die Möglichkeit ein Gespräch zu führen mit den Schulleiterinnen, Ruth Bellis und Bettina Treschl. Am 26. September 2016 wurde über die Tagesschule abgestimmt, das Schulhaus Schauenberg befindet sich seit dem 1. November 2016 im Provisorium. Es stellte sich die Frage, wie sinnvoll der Strukturwechsel innerhalb des Provisoriums und zusätzlich während dem laufenden Schuljahr wäre. Jedoch hielt die Stadt Zürich daran fest, dass das Schulhaus Schauenberg an dem Pilotprojekt teilnehmen sollte. Sie hatten acht Monate vom Einzug ins Provisorium bis zum Beginn der Tagesschule, d.h. es gab gar keine Zeit für Problemklärungen und Teambildungen. Für die Schulleitung war es eine Herausforderung, sich neu einzuleben und zusätzlich noch die Angelegenheiten der Tagesschule mit einzuplanen, u.a. die Transportmöglichkeiten zu organisieren, da sich das Provisorium nicht im gleichen Quartier befindet wie das Schulhaus. Sie haben es jedoch sehr elegant umgesetzt. Durch den Platzmangel wurde der Stundenplan so angepasst, dass die Mittelstufe und die Unterstufe gestaffelt zu Mittag essen. Die Mittelstufe hat dementsprechend fünf Lektionen am Morgen und somit bis 12:40 Uhr Schule, während der Unterricht der Unterstufe bis 12:00 Uhr geht. Sie haben eine Rohkostpause um 10:00 Uhr, in der die Lehrer gemeinsam mit den SchülerInnenn das Essen vorbereiten und die Pause im Klassenzimmer stattfindet. Dies heisst jedoch auch, dass die Lehrpersonen sich weniger sehen und somit ein Austausch nicht mehr möglich ist. Es stellt sich auch die Frage, ob die 5 Lektionen nicht zu einer Überlastung der Lehrpersonen führen. Die Betreuung über den Mittag ist für die Lehrpersonen nicht zwingend, jedoch gibt es sehr viele Lehrpersonen, die das im freiwilligen Rahmen machen. Die Schulleitung 10

sieht es als Bereicherung, den Mittag gemeinsam mit den Kindern zu verbringen, da die Kinder glücklicher sind desto mehr Lehrpersonen am Mittag dabei sind. Das Teilnehmen an den Mittagen ist natürlich wünschenswert und optimal, darf aber auch nicht erzwungen werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen und den Betreuern ist intensiver und der Austausch besser, da es viele Betreuungspersonen gibt, die auch bei der Klassenassistenz involviert sind. Das Schulhaus Schauenberg hat momentan auch andere Konditionen, da sie nicht mit Drittanbietern arbeiten. Dies wird sich jedoch ändern, sobald sie im Sommer 2019 ins neue Schulhaus einziehen. Themen wie das Einbinden von Vereinen und Schulsport und das vielfältige Freizeitangebot stehen noch zur Debatte und bieten Entwicklungspotential. Mit dem Umzug wird sich ebenso herausstellen, wie gross der pädagogische Freiraum über den Mittag ist, da man die Busfahrerei nicht mehr hat. Der gestaffelte Mittag wird sich beim Umzug ins neue Schulhaus nicht ändern, da es nicht möglich ist, das ganze Schulhaus gleichzeitig zu verpflegen. Da die Tagesschule günstiger ist als die Regelbetreuung, haben viele Elternteile wieder angefangen zu arbeiten, d.h. die politischen Ziele der Tagesschule wurden grösstenteils erreicht. Man kann sehr viele positive Auswirkungen der Tagesschule erkennen. Fakt ist jedoch, dass das grösste Problem immer noch die Infrastruktur ist und das zeigt sich nicht nur im Schulhaus Schauenberg. Die Frage ist nun, wie man diesem Problem entgehen kann, um als Lehrperson weiterhin qualitativ guten Unterricht zu geben.


Bastel- und Spielzimmer mit Verhaltensregeln

oben: Eines von mehreren Esszimmern links: Ein zum Schulbus umfunktionierter Eurobus

«Ich trage Sorge dazu: Gegenständen, Umwelt & Natur, mir & meinen Mitmenschen.»

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Interview mit Stadtrat Leutenegger von Luca Bastianini

«Die Schule der Zukunft muss über eine reine Unterrichtsschule hinausgehen.»

Im Rahmen unseres Schwerpunktes zum Thema Tagesschulen 2025 haben wir mit dem zuständigen Stadtrat Filippo Leutenegger gesprochen. Herr Leutenegger, dieses Jahr wurden Sie mit dem Slogan «Filippo – einer von uns» in den Zürcher Stadtrat wiedergewählt. Sind Sie auch ein Lehrer? Mit dem Slogan will ich zeigen, dass ich nahe bei den Leuten bin. Ich kümmere mich um Alltagsthemen, aber auch Themen der Stadt. Im Schul- und Sportdepartement versuche ich daher, jede Woche eine Schule zu besuchen. Bezüglich Ihrer Frage: Ja, ich war auch mal Lehrer. Während meines Studiums habe ich an der KV-Gewerbeschule unterrichtet. Als Gründer von Kinderkrippen und eines Kinderhorts ist mir auch das Thema Betreuung nicht fremd. Mir ist es wichtig, die Anliegen der Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen zu kennen. Wie stellen Sie sich einen idealen «Lebensraum Schule» vor? Ich denke, die Schule der Zukunft muss über eine reine Unterrichtsschule hinausgehen. Diesen Weg hat die Stadtzürcher Volksschule bereits eingeschlagen. Nun müssen die Nachmittagsangebote der Betreuung über die Kernzeiten hinaus weiterentwickelt werden, damit ein 12


Gesamtpaket entsteht, das einen kompakten, pädagogisch stimmigen Schultag ermöglicht. Der Lebensraum Schule muss verlässlich, pädagogisch sinnvoll und bezahlbar sein. Nur so kann einerseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt und andererseits für die Kinder ein fördernder Lern- und Lebensort gestaltet werden. Zwischen fünf und sechs Uhr sollen die Kinder dann nach Hause kommen können und im Idealfall wären die Hausaufgaben bereits erledigt. Sofern es diese dann noch gibt (lacht). Ist die Mittagsbetreuung zukünftig ein Teil des Lehrerberufs? Möglicherweise wird es sich in Zukunft so entwickeln, dass die Lehrpersonen am Mittagessen teilnehmen und dann auch Betreuungsaufgaben übernehmen. Das wird aber nicht zur Pflicht. Wenn ein Lehrer nur unterrichten will, wird er das weiterhin können. Denken Sie, dass die Mittagstischbetreuung kindgerecht umgesetzt werden kann? Ich kann aus meiner eigenen Familie ein Beispiel geben: Meine jüngste Tochter ging zweimal pro Woche in einen von mir mitgegründeten Kinderhort. Einmal pro Woche habe ich zu Hause einen Mittagstisch mit ihr und ihren «Gspänli» gemacht. Das war sehr bereichernd für mich als Vater und das hätte ich auch nicht hergeben wollen. Ich glaube, die Freiwilligkeit ist enorm wichtig, damit wir keine ideologischen Diskussionen führen müssen. Es muss ein freiwilliges Modell bleiben, ein Angebot, das gut ist, die Familien entlastet und trotzdem bezahlbar bleibt. Eltern zahlen 6 Franken für Betreuung. Die realistischen Betreuungskosten pro Kind und Tag betragen jedoch um die 30 Franken.Wer zahlt die Differenz? Der Steuerzahlende. Die ungebundene Betreuung wird zwar einkommensabhängig berechnet, doch auch hier haben wir einen Deckungsgrad von rund 30 Prozent. Wir zahlen zwischen 6 und 7 Franken für das Essen, welches von «menuandmore» angeliefert wird. Der ganze Betreuungsaufwand ist damit gar nicht finanziert. Übrigens wird die gesamte unentgeltliche Volksschule mit Steuern finanziert. Das gilt grundsätzlich auch für die Tagesschule 2025 mit den gebundenen Mittagen. Die Mittagspause soll auf 80 Minuten verkürzt werden. Reicht diese Zeit für die Kinder, welche zu Hause essen? In der Regel wohnen die Kinder nicht viel weiter als einen Kilometer von der Schule entfernt. Die 80 Minuten

sollten also reichen, um nach Hause gehen zu können. Nach meinen Erfahrungen mit dem Mittagstisch haben nach 10 bis 15 Minuten alle fertig gegessen und anschliessend ist genügend Zeit für die Erholungsphase und den Schulweg. Sind Essensschichten keine Realität wegen der fehlenden Infrastruktur? In einzelnen Schulen in der Stadt Zürich wählen die Kinder selbst, wann sie essen wollen. Das sogenannte «Open Restaurant» ermöglicht, die Infrastruktur optimal zu nutzen. Vor und nach dem Essen stehen den Kindern verschiedene Aktivitäten, Spiele und Erholungsräume zur Verfügung. Wo sehen Sie die grössten Risiken bei der Umsetzung des Projekts? In den Wachstumsgebieten entsteht durch die Einführung der Tagesschule eine nicht zu unterschätzende Zusatzbelastung. Die zweite Herausforderung liegt in der Platznutzung. Die Räume müssen polyvalent und mehrfach genutzt werden können, denn viele Schulen leiden jetzt schon unter Raumknappheit. Wenn zusätzliche Betreuungsangebote entstehen, muss man dafür sorgen, dass die Schulräume besser genutzt werden. Politisch sehe ich kein grosses Risiko, denn das Stimmvolk steht hinter den Schulprojekten. Wie bleiben Sie am Puls der Projektumsetzung? Wir haben die Zürcher Schulpflege mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Kreisschulbehörden, mit der wir fast jeden Dienstag zusammensitzen. Hier werden wir regelmässig durch die Projektleitung über die neusten Entwicklungen informiert. Ich mache mir bei meinen Schulbesuchen aber auch vor Ort ein Bild und bin im Austausch sowohl mit dem Elternkontaktgremium der Stadt Zürich als auch mit den Schulleitungen und dem Schulpersonal. Wo sehen Sie die grössten Chancen des Projekts? Es ist eine Chance für die Gesellschaft. Durch dieses Angebot können Eltern Familie und Beruf besser vereinbaren. Natürlich muss die Tagesschule 2025 auch bezahlbar bleiben, sowohl für die Stadt als auch für jene, die sie nutzen. Für Kinder ist es eine soziale Chance. Sie können in einer grösseren Gruppe zu Mittag essen und einen Teil der Freizeit miteinander verbringen. Bei all diesen Veränderungen dürfen die Lernziele nicht vergessen werden. Denn letztlich ist die Hauptaufgabe der Schule die Bildung der Kinder. 13


Ein Dach für alle PH-Studierenden­ organisationen

von Gabriel Mateos Sánchez Am 20. Oktober 2017 wurde der Dachverband VSPHS1 ins Leben gerufen. Die Gründung krönte die zweijährige Planungsphase. Oder mit den Worten unseres Präsidenten: «Mit der Gründung haben wir zwar das Grundstück gekauft, das Haus müssen wir erst noch bauen.» Denn mit dem Korkenknall an der Feier auf dem Campus der PH Zürich fiel der Startschuss zu den eigentlichen Aufgaben: Der Verband brauchte Strukturen, damit wir effizient kommunizieren und organisieren konnten. Anschliessend vernetzten wir uns mit anderen Institutionen und packten die ersten Projekte an. Der Pioniergeist des Verbandes ist nach wie vor ungebrochen und mittlerweile hat sich mit folgenden Vorstandsmitgliedern ein zuverlässiger Kern gebildet:Theresa Geucke (LU), Laila Rutz (SG), Estelle Rogivue (VS), Jimmy A. Goutzimitros (ZH) und Gabriel Mateos Sánchez (ZH). Dass die Zusammenarbeit funktioniert, hat sich an den beiden Delegiertenversammlungen in Kreuzlingen (April, siehe Foto) und Lausanne (November) gezeigt. Zudem steht der Vorstand in Kontakt mit dem VSS, dem Verband der Schweizer Studierendenschaften, sowie der Kammer PH von swissuniversities. Wir können also auf ein erfolgreiches erstes Verbandsjahr zurückblicken und freuen uns auf die Zusammenarbeit im Jahr 2019. Weitere Infos findet ihr unter www.vsphs.ch. 1

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Verband der Studierendenorganisationen der Pädagogischen Hochschulen der Schweiz

Mitglieder der VSPHS

Laufende Projekte

11 Studierendenorganisationen mit insgesamt über 15‘000 Studierenden

• Prüfungseinsicht bei bestandenen Prüfungen • Anforderungen an die Sprachdiplome • Förderung der politischen Bildung an den pädagogischen Hochschulen • Das Akkreditierungsverfahren der pädagogischen Hochschulen bei swissuniversities


13. April 2018: Studierende aus der ganzen Schweiz an der Delegiertenversammlung in Kreuzlingen

Lernobjekte to go: E-Books in beook

Unterwegs offline lernen, auf Tablet oder Laptop. E-Book-Beratung im Digital Learning.
 15 Weitere Informationen unter «phzh.ch/lernmedien»


Portraitiert

Ilaria, HS17, Primarstufe Wieso wirsch du e gueti Lehrperson? Es gitt viel Gründ. Ich bin mega offe und authentisch und will ich immer versueche, s beschte i de Schüeler z’gseh. Was sind d’Eigeschafte vo dim Lieblingslehrer gsi? Herzlich, verständnisvoll, kreativ und streng. Was würsch du am jetzige Schuelsystem ändere? Ich fänd weniger leistig- und notefokussierte Unterricht super. Also kei Note, defür meh uf d’Fähigkeite vode Schüeler fokussiere. Was haltisch du vom Konzept vo de Tagesschuele? Ich finds nöd schlächt. De Bezug zu de Eltere isch denn halt nümm so gäh, handkerum isch es e Chanceglichheit für all Chind. Was haltisch du vo religiöse Brüüch a de Schuel? Eigentlich ghört’s ja nöd id Schuel, aber eusi Kultur basiert uf em Christetum. Daher ganz usgrenze wür ich’s nöd, aber bim Singe viellicht uf religiösi Liedli verzichte oder so.

Angela, HS16, KiGa Wieso wirsch du e gueti Lehrperson? Will’s mir mega wichtig isch, dass ich s’einzelne Chind gseh und au was es brucht, seg’s emotional wie au kognitiv und’s dete denn au unterstütze. Was sind d’Eigeschafte vo dim Lieblingslehrer gsi? Er isch mega kreativ und sehr fiinfühlig gsi, het aber au e fairi Strengi gha. Er het de Unterricht sehr lebensweltbezoge gstaltet, also nöd nur Blätter usfülle. Was würsch du am jetzige Schuelsystem ändere? Uf de Chindergartestufe bini zwar nöd gross demit konfrontiert, aber sicher s’Benotigssystem und dass d’Chind sich no meh chönd individuell entwickle. Was haltisch du vom Konzept vo de Tagesschuele? Es het bestimmt Vorteil, aber d’Chind sind denn de ganz Tag vo de Familie weg und hend denn non-stop Programm. Also wenn Tagesschuele, denn eso, dass sie gnueg Inslene hend, wo sie sich chönd usrueh und gnueg Entfaltigsmöglichkeite. Ich persönlich wür mini Chind nöd gern ine Tagesschuel schicke.

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Text & Fotos Marta Ribeiro


Ivan, HS16, KUst Wieso wirsch du e gueti Lehrperson? Ich bin sehr ihfühligsvermögend. Ich chan de Chind das übermittle, was es brucht, us eim Grund: Ich bin früener mal selber es Chind gsi, wo relativ schwierig gsi isch, und chan dur das verständnisvoller demit umgah. Was sind d’Eigeschafte vo dim Lieblingslehrer gsi? Er isch sehr streng gsi, aber zuvorkommend und fair. Was würsch du am jetzige Schuelsystem ändere? Vieles! Ich wür de Leistigsdruck senke und denn das ganze Züg mit de Medie. Dass mir so viel über Computer und Tabletts schaffet, findi e Katastrophe. Mir bringet am Chind scho viel z’früeh bii, was Medie alles chönd und was sie alles söllet chöne. Ich find’s viel wichtiger, dass es Chind usegaht, dass es öpis selber muss go nahschlah – da hends viel meh devo. Was haltisch du vom Konzept vo de Tagesschuele? Ich find’s super. Ich find’s mega guet, will d’Sozialkompetenze vo de Chind underenand gförderet werdet. Sie lernet wie sie sich in Privatsituatione oder bimene Mittagässe z’verhalte hend.

Solana, HS18, Sek Wieso wirsch du e gueti Lehrperson? Ich lieb Chinde und schaff gern mitne. Da ich grad selber usem Gymi chume, weissi halt so chli wie’s isch. Was sind d’Eigeschafte vo dim Lieblingslehrer gsi? Er isch mega gechillt druff gsi und überhaupt nöd streng. Vorwiegend weg dem und au will mer nur selte Ufzgi becho hend. Was würsch du am jetzige Schuelsystem ändere? Ich wür weniger Ufzgi verteile und weniger, defür grösseri Prüefige statt immer regelmässigi Tests. Was haltisch du vom Konzept vo de Tagesschuele? Ich find’s eich no guet, mer isch de ganz Tag mit andere und chan grad zemme d Ufzgi löse. Bechunt vielleicht sogar no Hilf debie. Was haltisch du vo religiöse Brüüch a de Schuel? Mir hend biespielswies jewiels gwichtlet oder Ostereili versteckt, i dem Rahme findi’s in Ordnig.

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Alternativen für Lehrpersonen Keinen Bock mehr auf Schule? Das Korsett der Volksschule ist dir zu eng und du weisst nicht, was du machen sollst? Vielleicht verbirgt sich in diesem Artikel eine Lösung für dein Problem. Denn die gute Nachricht ist, es gibt alternative Erziehungskonzepte. Um den dichten Wald von alternativen Schulen etwas zu lichten, will ich hier vor allem auf zwei Erziehungskonzepte eingehen, welche sich seit ihrer Gründung behaupten konnten. Die Rudolf-Steiner- und die Montessori-Schulen. Vielleicht rollst du in diesem Moment die Augen und neigst dazu, schnell zum nächsten Thema zu blättern. Ich rate dir jedoch, die folgenden Zeilen zu lesen. Denn sie können einem nicht nur eine Alternative aufzeigen, sondern Inspiration für eigene Konzepte sein. Text Roman Balsarini Illustrationen Simon Heiniger

Rudolf-Steiner-Schulen Die wohl bekannteste alternative Schule dürfte die Rudolf-Steiner-Schulen sein. Im Jahr 1919 gegründet, wollte Steiner, dass der Unterrichtsinhalt seiner Schule nicht aus den Qualifikations-, Reproduktions- und Selektionsanforderungen einer spätindustriellen demokratischen Leistungsgesellschaft, sondern unmittelbar aus den Erfordernissen der kindlichen Entwicklung heraus bestimmt wird. Ein Unterrichtstag an einer Steiner-Schule sieht in der Regel folgendermassen aus. Am Morgen findet der Hauptunterricht mit der Klassenlehrperson statt. Dabei werden die Grundfächer Deutsch, Mathematik, Sachkunde, Geschichte, Biologie, Geographie, Physik und Chemie im Epochenunterricht vermittelt. Am Nachmittag werden im Fachunterricht Fächer wie Kunst, Turnen und Gymnastik, Handarbeit, Singen, Instrumentalmusik, Eurythmie, Religion, Hauswirtschaft im Wechsel mit Gartenbau und Feldmessen, Buchbinden und Technik unterrichtet. Die Klassenlehrperson begleitet dabei eine Klasse acht Jahre lang, der Fachunterricht wird von anderen Lehrpersonen übernommen. Bei vielen eckt die anthroposophische Pädagogik jedoch an. Den eigenen Namen tanzen zu müssen, ist mittlerweile schon zu einem müden Witz geworden. Allerdings gibt es bei der Anthroposophie tatsächlich einige Kritikpunkt. Sie geht zum Beispiel bei der Entwicklung der Kinder von einem sieben Jahre Zyklus aus, in denen sich der Ätherleib entwickelt. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hat dies wenig zu tun. Auch die sogenannte Temperamentenlehre ist kritisch zu betrachten. Die Kinder werden dabei in die vier Grundtypen Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker unterteilt und werden auf Grund von dieser Einteilung verschieden gefördert. Einmal eingeteilt, ist es für die Kinder schwer zu einem anderen Grundtyp zu wechseln, zumal die Lehrperson, die sie eingeteilt hat, acht Jahre für sie zuständig ist. Die Anthroposophie soll jedoch nicht aktiv im Unterricht gelehrt werden und es steht der Lehrperson frei, wie sehr sie diese Lehren in ihren Unterricht einfliessen lassen will. Rudolf Steiners Schriften sehen sich auch immer wieder mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Die Steiner-Schulen wichen diesen Vorwürfen lange aus, erst 2007 bezogen sie öffentlich Stellung gegen Rassismus, Nationalismus und Diskriminierung. Positiv fällt die Rudolf-Steiner-Schule mit dem Epochenunterricht auf. Dabei wird jedem Unterrichtsthema mehrere Wochen Zeit am Stück gewidmet. Berühmt ist die Schule auch für ihre Inklusionsklassen. Einige Volksschulen haben mittlerweile Teile dieser Konzepte ebenfalls übernommen. Fälschlicherweise wird oft behauptet, es gäbe an einer Steiner-Schule keine Noten. Dem ist jedoch nicht so. Jedes Jahr gibt es für jedes Kind ein ausführliches, schriftliches Zeugnis und ab der Oberstufe werden auch Noten vergeben, wie man dies von der Volksschule kennt. Die Schule bietet also trotz des esoterischen Einschlags viele gute Dinge. Da die Klasse acht Jahre lang von der gleichen Klassenlehrperson begleitet wird, kann diese die Kinder viel besser kennen lernen und ihren Werdegang mitgestalten. Der Epochenunterricht sorgt dafür, dass die Kinder besser in die verschiedenen Fächer eintauchen können und die schriftlichen Zeugnisse sorgen für weniger Druck und Konkurrenzkampf in der Klasse. So können sich die Kinder zu starken Individuen entwickeln. 18


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Montessori-Schulen «Hilf mir es selbst zu tun.» – so der Grundsatz von Maria Montessori, als sie im Jahre 1908 das erste Casa dei Bambini in Rom gründete. Die Kinder sollten selbst entscheiden dürfen, was sie wie, wo und wann lernen möchten. Maria Montessori war überzeugt, dass die Kinder von sich aus Lernen wollten und ein eigenes Gespür dafür, was sie in welchem Moment brauchen. Schon seit je her Stand die Montessori-Pädagogik in der Kritik, dass sie nicht auf den Erkenntnissen der modernen Entwicklungs- und Lernpsychologie beruht, sondern sich grösstenteils im Feld der experimentellen Psychologie bewegt. Dies führt dazu, dass der Erfolg dieser Pädagogik kaum messbar ist. Eine 2006 veröffentlichte Studie der Montessori-Stiftung hat zwar gezeigt, dass Schüler der 4. Klasse der Montessori-Schulen besser in den Fächern Mathematik und Deutsch abschnitten, als gleichalterige Kinder aus der Volksschule. Diese Studie wurde jedoch ebenfalls stark kritisiert, da die Schulen die Bewertungen der Kinder selbst ausfüllten und eine unabhängige Kontrollinstanz fehlte. Sowieso ist es schwer Kinder aus Montessori-Schulen mit Kindern aus der Volksschule zu vergleichen. Zu unterschiedlich ist die Gestaltung des Unterrichts. Es gibt keinen allgemeinen Lehrplan, jedes Kind hat seinen ganz individuellen. Die Aufgabe der Lehrperson, die mehr als Lernbegleitung verstanden wird, ist dabei eine möglichst angenehme Lernumgebung zu schaffen und das Kind in seinem eigenen Lernprozess zu unterstützen. Die Lehrperson ist geschult, sensible Phasen des Kindes zu erkennen und das Kind zu Aktivitäten hinzuführen, die sein Interesse wecken sollten. Belohnung oder Bestrafung gibt es in den Montessori-Schulen keine. Einerseits wegen des oben genannten Selbstantriebes des Kindes, aber auch weil so einer Beeinflussung des Kindes durch die Lehrperson oder Dritter vorgebeugt werden sollte. Es gibt zwar von Maria Montessori entwickelte Materialien für den Unterricht, diese muss das Kind jedoch nicht annehmen und es steht ihm frei, eigene Inputs zu geben. Die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson soll auf Augenhöhe stattfinden. Einziges Instrument um Entwicklungen in eine ungewollte Richtung vorzubeugen sind Supervisionen. Die Leitplanken setzte Maria Montessori dabei folgendermassen: «Die Freiheit des Kindes muss als Grenze das Gemeinwohl haben, als Form das, was wir als Wohlerzogenheit bei seinen Manieren und seinem Auftreten bezeichnen. Wir müssen also dem Kind alles verbieten, was den anderen kränken oder ihnen schaden kann oder als unschickliche oder unfreundliche Handlung gilt.» Von dieser grossen Freiheit können viele Kinder profitieren und zu kreativen Köpfen heranwachsen. Die Schule ist stolz auf ihre berühmten Absolventen wie zum Beispiel Amazon-Gründer Jeff Bezos, die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page oder der berühmte Maler Friedensreich Hundertwasser. Unbestritten ist jedoch auch, dass einige Kinder bei so vielen Freiheiten durch die Maschen fallen. Hier ist es die Aufgabe der Lehrperson pragmatisch zu Handeln und dem Kind die Unterstützung zu geben, die es braucht.

Was tun? Wie gesagt, sind dies nur zwei der bekanntesten Schulen. Es gibt noch unzählige andere Erziehungskonzepte. So zum Beispiel die Freinet-Pädagogik, welche viele Ähnlichkeiten mit der Montessori-Schule aufweist, jedoch aus einem sozialistisch/kommunistischen Umfeld stammt und ihren Laizismus betont. Oder das Modell der Antiautoritären Erziehung, dessen Wurzeln im wieder aufkeimenden Anarchismus der 60er und 70er-Jahre liegen. Weiter gibt es noch die Befreiungspädagogik, den Philanthropismus, die Charaktererziehung und viele mehr. Wer unter all diesen Konzepten nicht das richtige für sich selbst gefunden hat, sollte die Flinte aber noch immer nicht ins Korn werfen. Wieso nicht einfach das Beste aus den verschiedenen Modellen zusammenpicken und eine eigene Pädagogik begründen? Die Pädagogische Hochschule ist ein perfekter Raum, um sich mit Mitstudenten, Lehrpersonen und Experten auszutauschen und selbst eine neue Form von Schule zu entwickeln. Vielleicht bist du der neue Rudolf Steiner oder die neue Maria Montessori. 19


Von der Natur ins digitale Zeitalter

Interessenwandel von Kindern und Jugendlichen Text Riccardo Geuggis Bild Simon Heiniger

«Die Kinder von heute sitzen nur noch zuhause vor dem Bildschirm und wenn sie mal draussen sind, beschäftigen sie sich mit dem Smartphone.» Doch stimmt diese Aussage, die man von so vielen verschiedenen Seiten hört, wirklich? Sind die guten alten Zeiten vorbei, in denen die Kinder auf dem Spielplatz «Räuber und Poli» spielten und im Wald auf Erkundungstour gingen?

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67 befragte SchülerInnen Um dieser Frage nachzugehen, habe ich eine Umfrage entworfen, die ich insgesamt an drei Schulen, in drei Gemeinden verteilt habe. Daran teilgenommen haben 67 SchülerInnen, im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren, die in diesen drei Schulgemeinden entweder in die Primar- oder Sekundarschule gehen. Ich habe darauf geachtet, dass in der Umfrage Hobbys vertreten sind, die schon immer gerne ausgeübt wurden, wie zum Beispiel Zeichnen, Backen und Lesen. Als Gegenstück habe ich auch neue Hobbys als Multiple Choice Auswahl aufgelistet:YouTube, Shoppen und Videospiele spielen. Diese Punkte wurden unter den Rubriken «Sport», «Draussen» und «Zuhause» aufgelistet. Bei jeder dieser Rubriken habe ich eine Linie frei gelassen, damit die SchülerInnen eigene Präferenzen aufschreiben konnten. Natürlich kann man anhand von 67 SchülerInnenn nicht auf alle Kinder und Jugendliche der Schweiz schliessen, aber es gibt uns einen


Querschnitt verschiedener Hobbys Mädchen Jungs

Abgegebener Fragebogen

Anhaltspunkt, in welche Richtung sich die Interessen der Kinder verschieben. Alt = besser? Jeder hat den Satz «früher ging man noch in die Natur und sass nicht nur zuhause rum» schon einmal gehört. Früher ging man fischen, Pilze sammeln und in jeder freien Minute Fahrrad fahren. Aber das ist nur das Bild, das uns unsere Eltern vermitteln oder vermittelt haben. Selbstverständlich gab es damals auch viele Kinder, die nur zuhause rumhockten und in den Bildschirm starrten. Aber das würde ja niemand zugeben. Also gehen wir einfach davon aus, dass früher alles besser war und die Kinder von damals nur draussen spielten und die Natur ohne Blödsinn im Kopf genossen. Das Bild, das viele Erwachsene von den heutigen Jugendlichen haben, ist, dass sie nur herumhängen, kiffen und am Smartphone sind. Aber dass die Jugendlichen von damals ebenfalls draussen herumhängten, kifften und – statt am Handy zu sein – Unfug anstellten, das weiss keiner mehr. Es ist klar, dass sich mit dem Fortschritt in der Technologie auch die Interessen verändern. Das heisst aber nicht, dass sich das Leben der Kinder und Jugendlichen nur noch in der digitalen Welt abspielt oder alles schlechter ist. Im nächsten Abschnitt werden wir die Umfrage genauer anschauen und sehen, ob es wirklich so schlimm um die «Generation Nix» steht. Resultate die (nicht) verblüffen Ein Grossteil aller Mädchen – egal welchen Alters – tanzen und reiten gerne. In der Rubrik Sport gibt es beträchtlich mehr Varietät als bei den Jungs. Die Mädchen haben eine grosse Bandbreite; von Fussball über Eishockey und Volleyball bis zur Mädchenriege und dem Schwimmunterricht wurde alles aufgeschrieben oder angekreuzt. Es

wurde von allen Kindern und Jugendlichen mindestens ein Hobby unter dem Thema Sport eingetragen. Es zeigt also, dass sich Kinder gerne bewegen. Auch die, die «nur zuhause rumhocken und in den Bildschirm starren». Der einzige Punkt in der Umfrage, der von allen angekreuzt wurde, war «mit Freunden draussen sein». Die Mädchen von heute Shoppen sehr gerne, knapp 75% der Mädchen haben diesen Punkt angekreuzt. Etwas weniger als die Hälfte haben «chillen» angekreuzt, was mich ein wenig erstaunt hat. Hobbies, die zuhause ausgeübt werden können, waren schon immer beliebt und sind es auch heute noch. Beim «Lesen» habe ich auch erstaunlich viele Kreuzchen gesehen – bei Mädchen und Jungs. Leider spielt nur noch ein kleiner Anteil der Schülerinnen und Schüler ein Instrument. Acht von 67 um genau zu sein. Sehr viele haben YouTube als Hobby angekreuzt: fünfundvierzig Kreuzchen – das sind gleich viele wie beim Lesen. Die Mehrheit liegt bei den männlichen Jugendlichen und Kindern, beschränkt sich aber keines Wegs auf diese. Ein typisches Exempel für ein populäres Hobby, dem vor allem auf dem Smartphone nachgegangen wird. Videospiele wurden oft genannt, nicht aber so oft, wie ich es gedacht hätte. Zwei Mädchen und zwölf Jungs, was gute 20% ausmacht. Vor allem Fortnite und Fifa wurden erwähnt. Fazit Ja, die Kinder und Jugendlichen von heute verbringen mehr Zeit vor Bildschirmen. Der schnelle Fortschritt ist schuld. Wäre die Technik schon damals auf dem heutigen Stand gewesen, sähe es genau gleich aus. Aber es ist weitaus weniger schlimm, als das Vorurteil besagt, das man hat und welches auch vermittelt wird. Die Kinder und Jugendlichen sind immer noch in der Natur – auch wenn sie sich vielleicht weniger damit auseinandersetzen. Sie haben auch reale Freunde, mit denen sie etwas unternehmen, nicht nur Online-Freunde, mit denen sie chatten. Die Hobbys haben sich in die Digitalität verschoben, jedoch die «normalen» Hobbys nicht verdrängt.Wir wissen nicht wie es in zehn Jahren aussieht, aber heute besteht ein ausgewogener Ausgleich zwischen «alten und neuen», zwischen «virtuellen und realen» Hobbys. 21


Urban Exploration

Betreibt man Urban Exploration, so wird die Stadt zum Abenteuerspielplatz. von Miro Müller

Das Erste, was einem beim Betreten des finsteren Tunnels auffällt, ist der Geruch – eine Mischung aus nassem Beton, abgestandenem Wasser, einer Note Chlor und, unverkennbar, Fäkalien unbekannten Ursprungs. Meine Kollegin Mae (Pseudonym) leuchtet mit ihrer Taschenlampe die Wände entlang: Sie sind übersät mit Graffiti. Wir sind definitiv nicht die Ersten hier unten, im Abwassertunnel unter der Stadt. Der trügerisch schmale, angeschrägte Betonsteg, auf welchem wir uns im Halbdunkel vortasten, ist stellenweise immer wieder überflutet von den roh aus der Wand geschlagenen Wasserzuläufen. Ihre kalten, klaren Ausflüsse strömen in den träge neben uns daher fliessenden Kanal, und in einem unvorsichtigen Moment auch in meine Schuhe. Ab und zu hören wir das holpernde Rattern der Trams über uns; wir sind nur etwa 8 Meter unter ihren Gleisen. Als aber der letzte Strahl des Tageslichts um eine sanfte Beugung des Tunnels verschwindet, fühle ich mich plötzlich sehr weit weg von der Stadt an der Oberfläche, verloren irgendwo in ihren labyrinthartigen Zementeingeweiden. Erforscher des Grossstadtdschungels Die Schweizer Grossstädte befinden sich im Moment im Wandel. So beispielsweise auch in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs, wo im Moment die schon lange herbeigesehnte Europaallee entsteht: Das topmoderne Quartier soll Platz bieten für diverse Büros,Wohnungen, Geschäfte und Bildungseinrichtungen. Jeden Tag beobachten Passanten fasziniert das Tummeln der Bauarbeiter auf den vielen Gerüsten und Baustellen. Doch bereits jetzt finden städtische Abenteurer eine neue Funktion in ebensolchen unfertigen Räumen: Urban Exploration (kurz «Urbex») nennt sich das Hobby, das sich seit Mitte der 2000er Jahre einer immer mehr gesteigerten Aufmerksamkeit erfreut. Wer Urbex betreibt, will die unbekannten, vergessenen oder unsichtbaren Winkel der Stadt entdecken – und somit werden vom geschichtsbegeisterten Hobbyforscher über den Adrenalinjunkie bis zum wagemutigen Stadtfotografen verschiedenste Arten von Leuten davon angezogen. Baustellen, verlassene Industriegebäude und unterirdische Wasserbecken werden zu Kletteranlagen, Erkundungsorten und Spielplätzen. Die Grundregel dabei ist simpel: «Nimm nichts mit, lass nichts zurück». Mae, die mich in den feuchten Abwassertunnel mitgenommen hat, ist eine dieser waghalsigen Entdeckerinnen. Aus Wänden werden Berge Nachdem wir die Leiter am Ende des Tunnels wieder hochgeklettert sind, erklärt mir Mae, wie sie Urbex für sich entdeckt hat. «Ich war eigentlich schon immer ein

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sehr aktives Kind und bin überall hochgeklettert. Zuerst waren das Bäume oder Klettergerüste. Dann bin ich einmal auf dem Spielplatz auf das Dach des Türmchens geklettert, wo man ja eigentlich nicht hochdurfte – und damit war das Tabu gebrochen. Von da an habe ich immer spannendere Orte gesehen, die ich erklimmen wollte. Der Spielplatz hat sich auf die Stadt ausgebreitet, und aus Wänden sind erklimmbare Berge geworden». Später wird sie mir auch erzählen, dass es sie sowieso immer am meisten in die Höhe ziehe. Auf meine Frage, ob sie denn vor allem den Adrenalinkick suche, meint sie, dass sei eher der falsche Begriff: «Einen wirklich expliziten «Kick» gibt es nicht, beim Klettern bist du die ganze Zeit voll da, und eigentlich auch immer nervös. Aber dieser Moment, wenn du oben ankommst und dich umsiehst – das ist so ein extrem schönes Gefühl der Freiheit. Das findest du sonst nirgends!». Aus den Augen, aus dem Sinn Auf dem Rückweg schlägt Mae vor, dass wir auch noch auf ein Hausdach in der Nähe klettern könnten – der Aufstieg sei nicht sehr schwierig, und die Aussicht die Anstrengung wert. Etwas zögerlich stimme ich ihr zu. Zehn Minuten später sind wir bereits ein Treppenhaus hochgestiegen, und ich zwänge mich durch das unabgeschlossene Dachfenster, durch welches sich Mae gerade vor mir noch mühelos hochgezogen hat. Nach einer kurzen Anstrengung stehe ich mit wackligen Beinen auf dem ziegelsteinbelegten Satteldach. Mae zeigt über die Dachrinne hinweg auf die Strasse und die Fussgänger, die das Trottoir entlangschlendern. «Du musst dir keine Sorgen machen; die Leute gucken eh nie hoch», meint sie. Tatsächlich sollten wir von der Strasse aus, über welcher wir in 15 Metern Höhe stehen, gut sichtbar sein – aber keiner der Passanten macht auch nur den Anschein, den Kopf zu heben. Wir gehen den Dachfirst entlang, und Mae zeigt auf die Baukräne, die zwischen den Häusern herausragen: Vor etwa einem Jahr habe sie alle damals von hier aus sichtbaren Kräne schon einmal erklommen. Inzwischen seien aber schon wieder neue dazugekommen. Wir kommen am Ende des Dachfirstes an, und ohne zu zögern

zieht sich Mae auf das nächste, angrenzende Dach. Dort rappelt sie sich auf und schwingt sich auf einen Kamin, der aus der Dachschräge ragt. Dann lässt sie die Beine baumeln, schaut sich um – und gestikuliert mir plötzlich zu, unten zu bleiben; leise zu sein. Sie deutet hinter sich: Etwa zwanzig Meter Luftlinie von uns aus sitzt eine ältere Dame mit ihrer (nun gesenkten) Zeitung in den Händen auf ihrer Dachterrasse und beobachtet uns interessiert. Zwar macht sie nicht den Anschein, die Polizei rufen zu wollen – aber unser Bedarf, weitere Risiken einzugehen, ist gering. Nach wenigen Minuten stehen wir wieder unten auf der Strasse. Die wahren Gefahren Kurze Zeit später sind wir in Maes Wohnung angekommen. Während sie beiläufig immer wieder die Krümel von der Packung Doppelkekse, die wir uns teilen, zur Seite wischt, erzählt sie mir, dass das heute im Ernstfall nicht ihre erste Konfrontation mit der Polizei aufgrund von Urbex gewesen wäre. Die Hüter des Gesetzes seien aber auch bei weitem nicht das Gefährlichste, das einem passieren könne. «Einmal, da wäre ich wirklich fast gestorben. Wir sind in der Nacht auf einem mit welligen Platten belegten Industriedach herumgeklettert – das war schon ganz alt und erodiert. Zwischen den Platten hatte es brüchige Plastikfenster, die aber so verwittert waren, dass man sie auch bei Tageslicht kaum erkennen konnte – geschweige denn bei Dunkelheit! Ich bin da also übers Dach gestiegen, und plötzlich ist der Boden mit einem lauten Krachen unter meinen Füssen eingebrochen. Zum Glück konnte ich mich gerade noch zusammenziehen und zur Seite fallen lassen – ansonsten wäre es weit runtergegangen. Etwa 5 Stockwerke, und zuunterst alte Maschinen… Das wäre kein schönes Ende gewesen.» Trotzdem sei es ihr das Risiko wert, und solange man vorsichtig sei, passiere ja grundsätzlich auch wirklich nichts. Inzwischen ist es ziemlich spät geworden, und bevor ich mich auf den Weg mache, frage ich sie, ob sie noch eine abschliessende Bemerkung habe. Sie denkt kurz nach – und dann breitet sich ein Grinsen in ihrem Gesicht aus: «Stay safe!». 23


Für ein Dach über dem Kopf

Ein Schuldossier von Nathalie Hug

Dieses Jahr setzt sich die Spendenaktion «Jeder Rappen zählt» vom Radio SRF für Familien ohne Dach über dem Kopf ein. In Zusammenarbeit mit SRF und der Glückskette hat youngCaritas nun ein Schuldossier für die Praxis zusammengestellt. Wie das Dossier aufgebaut und für wen es geeignet ist, erfahrt ihr hier.

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links: Weisses Infoblatt für die SchülerInnenn rechts: Graues Infoblatt für die Lehrperson

Einblick in das Dossier Das Schuldossier kann kostenlos auf der Website von youngCaritas in gedruckter oder digitaler Form bestellt werden. Die Zielstufe reicht von der 5. bis zur 9. Klasse. Der Bezug zum Lehrplan 21 wurde nur für den dritten Zyklus gemacht, im zweiten Zyklus sind aber auch Lernziele zu finden, die man in einer Mittelstufe abdecken kann. Im Dossier wird das Thema «Dach über dem Kopf» aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Das erste Beispiel ist das Erdbeben in Nepal im Jahr 2015, das zweite befasst sich mit dem Syrienkonflikt, der seit 2010 andauert und als drittes wird das Schicksal der Rohingya-Flüchtlinge (ethnische Minderheit in Myanmar) angesprochen. Als zusätzliches Kapitel wird die Situation in der Schweiz angeschaut, in dem auch «Kindesmisshandlungen» thematisiert werden. Da die unterschiedlichen Perspektiven unabhängig voneinander sind, können auch nur Teile des Dossiers bearbeitet werden, je nachdem wie viel Zeit man in das Thema investieren möchte. Aufbau des Dossiers Das Schuldossier ist in drei, beziehungsweise vier, unterschiedlich grosse Kapitel unterteilt. Am Anfang jedes Kapitels folgen zunächst die Informationsblätter der jeweiligen Perspektiven. Bevor man jedoch mit einem Kapitel einsteigt, gibt das Dossier eine Einführung ins Thema «Dach über dem Kopf». Dabei werden verschiedene Bilder von Schlafplätzen von Kindern der ganzen Welt besprochen. Die Bilder sind per Link aufrufbar. Anschliessend folgen die vier Kapitel. Aufbau eines Kapitels Im nachfolgenden Abschnitt wird das Kapitel der «Rohingya-Flüchtlinge» näher angeschaut. Im Dossier gibt es graue Infoblätter für die Lehrperson und weisse für SchülerInnen. Die Informationsblätter für die Lehrpersonen beinhalten die Lernziele für das jeweilige Kapitel sowie passende Videobeiträge und Links. Das Kapitel «Rohingya-Flüchtlinge» ist aufgeteilt in die Hintergrundinformationen, die grossen Probleme im Camp

Kutupalong und die konkreten Hilfsprojekte. Für jedes Teilthema gibt es ein Arbeitsblatt mit Fakten und Diskussionsfragen. Die möglichen Lösungen sind auf den Infoblättern für die Lehrperson notiert. Mein Fazit Das Schuldossier ist sehr strukturiert aufgebaut und ansprechend gestaltet. Die Lernziele sind vernünftig mit dem Lehrplan verknüpft und der Aufbau der Kapitel ist sinnvoll. Die Videobeiträge und die Diskussionsfragen sind jeweils mit einem Schwierigkeitsgrad versehen, man kann das Kapitel also den Klassenstufen anpassen. Die Kapitel können gut in der Sekundarstufe auf verschiedene Gruppen aufgeteilt werden. Die Videos sind von einer sehr guten Qualität, müssen vorher aber unbedingt angeschaut werden, da sie reale Begebenheiten und Situationen von Menschen in Not zeigen und diese verstörend für Kinder sein können. Für eine Primarstufenklasse hat es sehr viele Diskussionsfragen, die man aber natürlich nicht alle behandeln muss. Ich finde, dass das Dossier für die Sekundarstufe geeignet ist. Natürlich muss man das Dossier je nach Klasse anpassen; für die Sekundarstufe weniger, für die Primarstufe mehr. Es müssten Ergänzungen gemacht und Hilfestellungen gegeben werden, damit die Kapitel für jede Schülerin und jeden Schüler verständlich sind.

+ –

Pro • Kostenlos (digitale und gedruckte Form) • Ansprechend gestaltet • Sinnvoller Aufbau der Kapitel • Schwierigkeitsgrade bei Videos und Diskussionsfragen angegeben • Qualität der Videos Kontra • Schwere Themen • Evt. zu diskussionslastig für Primarstufe • Anpassungen/Ergänzungen müssen in jedem Fall gemacht werden 25


In einer Gesellschaft, die so bunt wie noch nie ist, sollte es doch möglich sein, eine Lösung für alle zu finden. Ein gescheiter Mann mit heraushängender Zunge meinte mal beiläufig: «Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.» Darum hier der Vorschlag, dass jeder einfach selber entscheiden soll, wie spät es denn jetzt ist. Ein Tag hat in der Endabrechnung für jeden immer noch 24 Stunden, zeitliche Gleichstellung. Bei jeglichen Zeitangaben müsste man natürlich beide Ausrichtungen beachten, kein Problem für die Schweiz, wo sowieso jede Beschriftung und jedes Dokument in mind. zwei Sprachen vorliegt. Lehrpersonen müssten dann natürlich ihr Unterrichtsangebot für alle zugänglich machen, ob Sommer- oder Winterzeitler – Angebotsvielfalt und Berücksichtigung der Heterogenität. Auch kein Problem, die täglichen zwei Stunden Mehraufwand werden mit den 13 Wochen Ferien kompensiert. Und für alle Unterrichtsempfänger würde die passende Kompetenz heissen: «Die SchülerInnen können sich eigenständig einer Zeitausrichtung zuordnen und nehmen mit dem überfachlichen Ziel der sozialen Zusammenarbeit Rücksicht auf die Zeitausrichtung von MitschülerInnen.» 26


Im Gegenuhrzeigersinn W

Text Cécile Mouron Illustrationen Kinga Carp

er seine Uhren jetzt noch nicht zurückgestellt hat, ist für einmal der Zeit nicht hinterher, sondern voraus. Während manche Zeitgenossen an der Denkleistung scheitern, ob es jetzt nun früher hell oder dunkel wird, lassen sich andere in endlosen Diskussionen über die Notwendigkeit oder gar die Befreiung von der Umstellung aus. Dieses Jahr schien aus dem leidigen, alljährigen Gejammer tatsächlich ernst zu werden: Die Zeitumstellung soll abgeschafft werden, und das schon sehr bald. Die Reaktionen darauf sind überschaubar in drei Kategorien einzuteilen. Zum einen sind da die Verfechter der Abschaffung, die sich einmal im Jahr ihrer Lebenszeit beraubt und einmal ihrem Schlafrhythmus enteignet fühlen. Die zweite Gruppe sind die Umstellungsvirtuosen. Das sind die, die im Frühsommer nicht über die verlorene Stunde trauern, sondern am Abend eine Stunde länger in ihrem Pavillon einen Caipirinha gurgeln. Die letzte Gruppe sind die, die es in jeder Diskussion und in jeder Revolution gibt. Denen ist es einfach nur egal. Es sind die, die nicht einmal über die Schokokläuse und Christbaumkugeln in der Migros am Tag nach Halloween «Fest, das in unserer Kultur gar nicht gefeiert werden sollte!» motzen. Wie schön ruhig und diskussionslos eine solche Einstellung sein muss.

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Freier Wille? Wenn wir einen Wandel herbeiführen wollen, entscheiden wir uns bewusst, etwas anders als bis anhin zu machen. Doch bei genauerer Betrachtung bilden wir uns eine Entscheidungsfreiheit – einen freien Willen – nur ein.

Ein Lied von determiniert und vorprogrammiert In der Fernsehserie «Game of Thrones» kommen die Charaktere oft in Situationen, in denen sie grundlegende Entscheidungen treffen müssen, die ihren weiteren Verlauf bestimmen werden. Diese sind natürlich meist höchst dramatischer Natur, wobei ihre Loyalität und Moral geprüft werden. Ich finde es äusserst spannend, wie man über mehrere Folgen eine Person, ihre Vergangenheit, Beweggründe und Motivationen kennenlernt und ihre Entscheidungen somit nachvollziehen kann. Auch wenn man nicht mit ihnen übereinstimmt, weiss man, wieso sie so gehandelt haben. Theon Greyjoy – ein Charakter aus der Serie – wird nach der gescheiterten Rebellion seines Vaters sozusagen als Geisel genommen und von einer anderen Familie aufgezogen, wo er gut behandelt wird. Nachdem Jahre später das Familienoberhaupt, Eddard Stark, in einem erneuten Krieg hingerichtet wird, schwört er seine Loyalität dem ältesten Sohn, Robb Stark, den er sehr bewundert und zu dem er eine brüderliche Beziehung hat. Nachdem jedoch sein leiblicher Vater gegen die Starks in den Krieg zieht, schlägt er sich auf die Seite seines Vaters, den er kaum kennt und hintergeht seine Stieffamilie. Theon hat von seinem freien Willen Gebrauch gemacht und sich gegen die Familie, die ihn erzogen hat und für seine leibliche Familie, die er kaum kennt entschieden. Doch hätte er sich überhaupt anders entscheiden können? War er doch so getrieben von seiner Unsicherheit und seinen Suche nach Anerkennung.

doch auch einer inneren Quelle. Aufgrund von all unseren Erlebnissen und Erfahrungen treffen wir eine Entscheidung und da diese die einzigen sind, die wir haben, ist doch eigentlich schon klar, wofür wir uns entscheiden. Wenn eine Maschine jedes kleinste Detail über uns wüsste, könnte sie womöglich all unsere Entscheidungen voraussagen. Können wir also überhaupt von freien Entscheidungen sprechen – geschweige denn von einem freien Willen? Sind wir womöglich nur ein Produkt aus äusseren Einflüssen und inneren Veranlagungen? Nicht frei Beginnen wir einmal einfach: Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass wir keinen absolut freien Willen haben können. Denn sonst wären wir willkürlich. Unsere Entscheidungen müssen begründet durch Erfahrungen oder Überzeugungen entstehen. Alles andere wäre zufällig. Ein absolut freier Wille ist also paradox. Doch haben wir wenigstens einen Entscheidungsspielraum der den Unterschied macht? Manchmal zweifle ich daran. Wenn ich mein Denken beobachte, kann ich oft ganze Gedankenstränge zurückverfolgen. Ein Gedanke wird von einem vorherigen ausgelöst. Jeden Gedanken gibt es nur, weil es zuvor schon einen gab und diesen gibt es nur, weil es vor ihm schon einen gab. Auch im Alltag scheint das Leben oft auf Schienen abzulaufen. Das eine folgt aufs andere – meist zufällig. Dinge ergeben sich, weil sich andere Dinge zuvor ergeben haben. Hat uns die Natur ein Bewusstsein geschenkt, nur dass wir auf den Schluss kommen, dass alles vorbestimmt ist?

Nicht bestimmt Falls dies wirklich so wäre, hätte dies eine erschütternde Bedeutung für unser Verständnis von Moral, Schuld und Verantwortung. Wenn wir uns nicht Auch wenn unsere Leben keinem dra- wirklich für unsere Taten entscheiden matischen Spannungsbogen folgen, könnten, dann wären unsere Leistunentspringen unsere Entscheidungen gen und Niederlagen bedeutungslos.

Jeder Täter wäre somit auch ein Opfer. Ein Opfer seiner Umstände. Einfach ganz fest an einen freien Willen zu glauben, wäre die falsche Herangehensweise. Am einfachsten zu manipulieren sind Leute, die glauben, alle ihre Entscheidungen würden ihren freien Willen reflektieren. Sie sind leichte Opfer. Gerade im Zeitalter von Algorithmen und Fake News werden wir von allen Seiten unbewusst in unseren Entscheidungen beeinflusst. Wir müssen tiefer in uns hineinschauen. Statt einfach an den freien Willen zu glauben, müssen wir uns fragen, woher unsere Entscheidungen wirklich kommen. Ein Bewusstsein für unsere eigene Tendenzen entwickeln. So können wir eigene Muster erkennen, die wir entweder bewusst durchbrechen oder weiterführen können. Achtsamkeit ist die beste Dosis gegen den Alltagstrott und ein reaktionäres Verhalten. Es gibt den freien Willen doch. Jedoch nicht völlig frei. Wir können uns nicht einfach über unsere Genetik, Vergangenheit oder Umstände hinwegsetzen. Ausserdem kommt er nicht von ungefähr. Für wirklichen Wandel muss man sich hinterfragen, ergründen und manchmal gegen sich selbst vorgehen. Sonst bleibt man gefangen in der Gewohnheit. Frei zu handeln, bedeutet, nicht einfach nur zu reagieren, sondern sich bewusst gegen Tendenzen zu entscheiden.

Simon Heiniger 29


Weihnachtsrätsel –

Findest du die 10 Fehler?

Zu gewinnen: Fünf Glühweine für die ersten zwei, die uns eine Mail schicken: rephlex@phzh.ch

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#phlife

Comic von Gino Egli

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Dr. PHlex

Gratis Mitgliedschaft für Studierende

Es plagt dich PH-Kummer? Du kannst dich nicht konzentrieren? Nicht zögern: Dr. PHlex konsultieren!

Lieber Dr. PHlex, früher war das alles viel einfacher: Bruchrechnen, Diktate, Hauptstädte, Notenschnitt ins Zeugnis, fertig. Und recht hatten wir auch immer. Heute ist alles so, so kompliziert: Kooperative Lernformen, überfachliche Kompetenzen und bloss das Dokumentieren nicht vergessen, sonst haut dir die Helikoptermama das Zeugnis um die Ohren. Und jetzt fangen sie auch noch mit Tagesschulen an. Bei aller Liebe, wird uns nicht zumindest über Mittag ein bisschen Ruhe gegönnt? Das stand so nicht im Kleingedruckten. Wo führt das mit uns Lehrpersonen bloss noch hin? Besorgte Grüsse Leif-Wørk Bålåns

Gratis: • 5x jährlich ZLV-Magazin • Stellenbörse auf Homepage • Merkblätter, Newsletter Rabatte: • ZLV-Fachtagungen • Einkauf in verschiedenen Shops • Sunrise Mobile-Abo

www.zlv.ch

Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband

Lieber Leif-Wørk Ich gebe dir recht, das Leben eines Pädagogen ist kompliziert geworden. Stell dir vor: Als ich noch zur Schule ging, mussten wir in Geografie wissen, wo Washington, Berlin und Moskau liegen. Damit war klar, wo die Guten und die Schlechten hausen. Im Deutschunterricht mussten wir weder Poetry Slams schreiben, noch uns in Diskussionen eine eigene Meinung bilden. Es reichte völlig, Goethes Erlkönig auswendig zu rezitieren. Und im Klassenrat… den gab’s bei Frau Rottenmeier nicht. Ob Schule früher besser war, mag ich also zu bezweifeln. Deshalb rate ich dir: Schau nicht zurück, sondern vorwärts. Ohrfeigen und blutende Fingerknöchel wollen wir ja auch nicht wieder einführen, oder du etwa schon? Die Schule ist nämlich ein äusserst zukunftsorientiertes Business. Deshalb solltest du Tagesschulen unbedingt pragmatisch sehen: Statt der Reste aus dem Tupperware kriegst du frisch gekochtes Essen – und wirst dafür erst noch bezahlt. Zum Dessert gibt’s Fachgespräche über die Champions League oder das neuste Shooter Game, statt im Lehrerzimmer Geläster über Kevin. Lebenswelteinblick à discrétion! Dein Name weist zudem auf eine skandinavische Abstammung hin. In den Landen deiner Ahnen sind Tagesschulen längst Standard und die meisten Lehrpersonen, die ich kenne, haben mit skandinavischen Ideen bislang gute Erfahrungen gemacht. Oder würdest du das Expedit-Regal in deinem Klassenzimmer freiwillig hergeben? Kjærlighetshilsener, Dr. PHlex


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