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Jemp Schuster über das neue Schankemännchen-Theaterstück
Nichts ist absurder als die Wirklichkeit
Mit ihrer aktuellen Produktion „Kinnek Ubu“ bringen Jemp Schuster und das Theaterensemble De Schankemännchen wieder einen modernen Klassiker auf die Grosbouser Freilichtbühne. Und sind aktueller denn je.
An Gefräßigkeit ist er kaum zu überbieten. Feige, geldgierig und machtbesessen ist er. „Père Ubu“ (oder später „Ubu Roi“) ist nicht der Einzige, der es damit zu etwas gebracht hat. 1896 hat ihn Alfred Jarry als Hauptfigur seines gleichnamigen Theaterstücks ins Leben gerufen. Ubu hat den 1907 mit 34 Jahren jung verstorbenen französischen Schriftsteller um mehr als das Dreifache überlebt. Und er hat den Weg nach Grosbous gefunden, wo ihn die Theatertruppe De Schankemännchen auf die Bühne ihres diesjährigen Freilichtspektakels bringt. Theaterregisseur Jemp Schuster hat den „Kinnek Ubu“ auf Luxemburgisch übersetzt und adapiert.
Das Stück, inspiriert vom französischen Grand Guignol, kann als Ursprung des absurden Theaters betrachtet werden. „Père Ubu“ brach zur Zeit der Uraufführung mit den damaligen formalen und inhaltlichen Konventionen und sorgte für einen handfesten Skandal. Dies wird heute sicherlich nicht mehr der Fall sein. Der Skandal ist zur Normalität geworden.
Das Ensemble De Schankemännchen hatte im vergangenen Jahr zuerst vor, den Ubu als Jugendtheater zu inszenieren. „Doch Corona machte uns einen Strich durch die Rechnung“, sagt Jemp Schuster. Was der ganzen Absurdität eine Krone aufsetzte. Dabei war der Ubu so zeitgemäß wie schon lange nicht mehr. „Überall auf der Welt waren die neuen Ubuen aus den Löchern gekommen“, erklärt Schuster. Ob in Person von Donald Trump, ein Ubu par excellence, oder in der Figur des nicht minder grotesken Brasilianers Jair Bolsonaro, aber auch Xi Jinping in China und Erdogan in der Türkei: „Es schien mir unglaublich aktuell“, so Jemp Schuster. „Die Betonung auf ‚aktuell‘. Die Kunstfigur ist bittere Realität geworden.“ Die Welt steht am Abgrund – also Zeit fürs absurde Theater.
Schon Jarry hatte den Ubu in dem Teil Europas angesiedelt, der erneut im Zentrum einer Krise steht: in Polen, Russland und der Ukraine. Dabei ist Kinnek Ubu nicht nur brutal, sondern felsenfest davon überzeugt, zu etwas Höherem berufen zu sein. Und er ruft unverhohlen: „Ich will mich bereichern.“ Außerdem manipuliert er seine Anhänger, wo es nur geht, wobei er sich wiederum von ‚Mamma Ubu‘ manipulieren lässt. Er ist opportunistisch wie kaum ein anderer. „Wenn es nötig ist, wird er fromm“, sagt Schuster. „Dann fängt er an zu beten. Er erweist sich dann als richtiger Hosenscheißer.“
Wer einige Lebenserfahrung besitzt, der weiß, dass die Realität manchmal die Fiktion überholen kann. „Doch können wir dann überhaupt noch lachen?“, fragt sich Schuster. „Ich denke, dass wir das tun müssen. Wir können diesen putinischen Ubu nicht aufhalten, sondern mit unseren eigenen Mitteln lächerlich machen. Dabei sind Satire und Humor unsere Waffen.“ Obwohl schon allein Putins Auftritte, sein breitbeiniges Machotum, seine zur Schau gestellte Wichtigkeit und sein Hang zur Symbolik (etwa die langen Tische beim Empfang der westlichen Staatsmänner) lächerlich genug sind. Man frage sich, so Jemp Schuster: „Wie kann so ein Typ überhaupt existieren?“
Wie schon erwähnt, sollte das Stück schon letztes Jahr – als Jugendtheater – aufgeführt werden. Doch mit der aktuellen Weltlage wurde eben dieses Jahr noch die Ukraine miteingebaut. Bei Ubu wird, verglichen mit der Aktualität, der Spieß umgedreht. Kinnek Ubu murkst den polnischen König ab, schlachtet die polnische Armee ab – und er will den russischen Zaren umbringen. Es sei ein richtiges Gemetzel auf der Bühne, warnt
der Regisseur. Mord und Totschlag werden auf der Bühne grotesk dargestellt. Ist das Stück etwa nichts für Kinder? Oh doch. Gerade weil es so überzeichnet ist. „Darüber muss man lachen“, sagt Schuster. Er weiß, dass es sich bei der Groteske um eine Gratwanderung handelt. Man dürfe nicht zögern, sondern müsse sich trauen und gerade noch mal eine Schippe drauflegen. „Es darf aber kein billiger Klamauk werden“, so der erfahrene Theatermacher. Die Form muss stimmen.
Mit seinem Ensemble De Schankemännchen verfügt der Regisseur über eine erfahrene Truppe. Allesamt sind sie Laienschauspieler. Doch was heißt hier Laien? Einige von ihnen sind schon seit 1993, seit der ersten Vorstellung, dabei. Sie begannen als Kinder und Jugendliche und sind jetzt in den besten Jahren. Darauf kann ein Theatermacher wie Schuster stolz sein. Er erzählt von dem Zulauf vieler Interessierter schon in den ersten Jahren. „Viele sagten, sie würden gerne mitmachen und taten dies auch“, erinnert er sich. „Doch einige merkten auch, dass dies viel Engagement verlangt.“ Jeder könne mitmachen, müsse aber erst mal unten anfangen. Schauspielen ist eben nicht nur Spielen, sondern verlangt Einsatz und Leidenschaft.
Davon zeigen die 22 Schauspieler der aktuellen Inszenierung, die 55 Rollen verkörpern, eine gehörige Portion, ebenso die 13 Orchestermusiker, die ins Stück integriert sind, um die verschiedenen Szenen zu untermalen. Manche Schauspielerinnen oder Schauspieler schlüpfen in drei oder gar vier verschiedene Rollen. Die Hauptrolle gebührt jedoch Clod Thommes. Der frühere Gemeindebeamte ist ein „Schankemännchen“ der ersten Stunde. Und sein Sohn Max Thommes, der als Dreikäsehoch schon mitmachte, ist Berufsschauspieler auf der Bühne und im Fernsehen geworden.
Jemp Schuster hat als Regisseur schon häufig mit Profischauspielern gearbeitet. „Die spielen mit dem Kopf, und die Laiendarsteller eher mit dem Bauch.“ Apropos Bauch – eine künstliche Wampe trägt Clod Thommes, um die Gefräßigkeit von Ubu zu zeigen. Glücklicherweise wird der leibhaftige Ubu nicht auf das Catering losgelassen, das zu dem großen Team von etwa hunder hundert Personen rund um die Freilichtaufführung gehört. Inzwischen ist es die 15. Produktion von De Schankemännchen. Die ersten zehn Stücke schrieb Jemp Schuster selbst und versah sie mit viel Lokalkolorit. Dann ist er zur Bearbeitung von Klassikern übergegangen.
Lange Zeit hat er Kabarett gemacht und sogar Kabarettensembles gegründet, ebenso Kindertheater und Musicals. Erst vor zwei Jahren hat er neue Wege beschritten mit zwei Romanen, seine beiden ersten. Die Zeit der Pandemie kam ihm entgegen. Da hatte er viel Zeit zu schreiben. In der Theaterzwangspause entstand folglich die zweiteilige Familiensaga „Blutsëffer“ (2020) und „Ouereschlëffer“ (2021), die mit dem Luxemburger Buchpreis ausgezeichnet wurde: Im Mittelpunkt der Handlung, die im Bauernmilieu spielt, steht die Familie Gerber aus einem fiktiven Dorf im Ösling. In Form einer Chronik entsteht das Panorama von hundert Jahren luxemburgischer Sozialgeschichte – und die Geschichte von starken Frauenfiguren, wie Jemp Schuster betont. Wenn er erzählt, ist Jemp Schuster ganz nah bei den Menschen, so wie auch die Stücke der Schankemännchen vor allem durch die Nähe zur gesellschaftlichen Wirklichkeit überzeugen. „Kinnek Ubu“ ist ein weiterer Beweis dafür.
Text: Stefan Kunzmann Fotos: Alain Rischard (Editpress),
Mireille Gereke
Links der gefräßige und machtgierige Ubu (Clod Thommes) im Bühneneinsatz.