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Digital Inclusion



Die Hand reichen
Mit „Digital Inclusion“ ist eine einfache Idee zum erfolgreichen Konzept geworden: Ausgediente digitale Geräte werden an Menschen weitergereicht, die sich selbst keine leisten können.
Als Patrick de la Hamette im Herbst 2015 auf einer Willkommensfeier für Flüchtlinge ist, rechnet er nicht damit, dass sein Leben jetzt eine besondere Wendung nimmt. Ihm werden ein paar Leute vorgestellt, Ingenieure wie er, mit denen er sich gut versteht. Später besucht er sie im Escher Flüchtlingsheim, wo sie wohnen. Dort hat fast jeder ein Smartphone, aber keinen Internetzugang. In der Escher Innenstadt gibt es zwar kostenfreies WLAN, doch das Signal reicht nicht weit genug. Also kauft er eine Antenne und holt den Bewohnern das Internet ins Haus. Jetzt müssen sie nicht mehr bei Wind und Wetter losziehen, um ihre WhatsApp-Nachrichten abzurufen oder mit ihren Angehörigen zu sprechen. Zehn Euro kostete die Investition.
So beginnt die Geschichte von „Digital Inclusion“. Doch ganz zufällig ist sie nicht geschehen. Denn für Patrick de la Hamette gehört der Zugang zu Internet, Computer und Smartphones zu den Grundrechten. Schon während seiner Studienzeit in Zürich hat er gebrauchte Computer gesammelt, zum Laufen gebracht und dann an Bedürftige verschenkt. Deshalb war die Idee schnell geboren: Menschen in Flüchtlingsheimen nicht nur das freie Surfen zu ermöglichen, sondern ihnen zudem Computer und Laptops zur Verfügung zu stellen, an denen sie lernen, schreiben und produktiv werden können.
„Es macht Menschen krank, wenn sie längere Zeit keine Beschäftigung haben“, sagt er. „Und ein Smartphone ist kein Ersatz für einen Computer, es kann ihm nicht das Wasser reichen.“ Schon für eine Bewerbung bräuchte man zumindest ein Tablet, um anständige Dokumente zu erstellen. „Smartphones erziehen in einen passiven

Konsum hinein. Viele Menschen sind nicht in der Lage, eine E-Mail zu schreiben, weil sie nur noch Messenger oder WhatsApp kennen.“
Er startete einen Aufruf auf Facebook, mit dem er gebrauchte Laptops suchte. „Leute wie ich haben oft ein Laptop, das sie benutzen und noch ein oder zwei weitere, weil nach ein paar Jahren halt immer Bedarf da ist nach einem neuen, schnelleren Gerät. Und wenn es kaputt ist, tendieren wir in Luxemburg eher dazu, es zu ersetzen, anstatt zu reparieren. Ich wusste, dass beides da ist: gebrauchte Geräte und Menschen, die solche Geräte gerne benutzen würden.“ Also brachte er beides zusammen. Die gespendeten Laptops machte er auf seinem Dachboden fit und gab sie dann den Menschen in Flüchtlingsheimen.
Anfang 2016 gründete er mit der Soziologin Isabelle Mousset eine Asbl., „Digital Inclusion“ war geboren. Im Herbst 2016 wurde die Soziologin Anna Szymanska eingestellt. Bei der Œuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte stellte er einen Antrag auf Förderung, der bald bewilligt wurde. Seit 2018 wird Digital Inclusion zusätzlich vom Europäischen Sozialfond (ESF) und dem Arbeitsministerium unterstützt.
16 festangestellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind mittlerweile bei der Asbl. beschäftigt, die Hälfte davon sind selbst ehemalige Geflüchtete. Die Kernaufgabe besteht noch immer darin, gebrauchte Laptops und Computer von allen Daten zu befreien, sie aufzubauen und gebrauchsfertig zu machen, um sie anschließend an Menschen zu verteilen, die sich keinen leisten können. Das
Angebot richtete sich zuerst vor allem an Geflüchtete, wurde aber schnell auf alle Bedürftigen erweitert, denen das Sozialamt eine entsprechende Bescheinigung ausstellt. Dann gibt es ein Laptop oder einen stationären Computer pro Haushalt.
Mithilfe der Förderung durch die ESF konnte zudem das Angebot an Kursen und Workshops vergrößert werden. Dort werden Interessierten alle nötigen Skills vermittelt, die mit Smartphones, Computern oder Laptops zu tun haben. Manche Menschen hätten noch nie eine Computermaus in der Hand gehabt, erzählt de la Hamette. Oder wüssten nicht, wofür eine Escape-Taste da ist. „Wenn man das nicht kennt, ist man weniger qualifiziert. Sogar für einen Job auf der Tankstelle muss man inzwischen Computerprogramme beherrschen. Es ist leicht zu unterschätzen, welche Rolle die Digitalisierung in der Arbeitswelt spielt.“
In zehn verschiedenen Sprachen werden die Kurse angeboten, teilnehmen kann jeder, der sich dafür interessiert. Doch weil die Kurse grundsätzlich während der Bürozeiten stattfinden, seien es vor allem Menschen ohne Beschäftigung, die kommen, manchmal sind auch Rentner dabei, das Angebot ist niederschwellig und kostenfrei. Seit Kurzem werden digitale Sprachkurse angeboten. Und wer will, kann in Workshops am Nachmittag lernen, wie man programmiert und kleine Reparaturen durchführt. „Menschen aus ärmeren Regionen benutzen die gleichen Geräte wie wir. Nur werden sie dort eher repariert, wenn sie kaputt gehen. Das Know-how und die Einstellung zur Reparatur sind da eher vorhanden. Und es gibt gerade unter den Geflüchteten viele, die sich damit auskennen. Wir haben einen Smartphone-Techniker, der keinen Schulabschluss hat. Aber seine Familie hatte einen Repair-Shop, da hat er das gelernt.“
Patrick de la Hamette, Digital Inclusion
Mehrmals musste Digital Inclusion bereits umziehen: zuerst im Mai 2016 vom Dachboden zu Hariko in Bonneweg, dann nach Howald und zuletzt in die Rue d'Épernay im Bahnhofsviertel, wo die Asbl. noch immer untergebracht ist. Die Räume mieten sie von einer Privatperson, zur ortsüblichen Miete, sagt de la Hamette. Wer da reingeht, ist gleich mittendrin. Mitarbeiter, Unterrichtende und Workshopteilnehmer wuseln umher. Ein eigenes Büro hat der Vereinsvorsitzende nicht, aber es gibt einen Besprechungsraum, in den man sich bei Bedarf zurückziehen kann.

Nach fast sechs Jahren ist Patrick de la Hamette noch immer begeistert von seinem „Baby“, wie er es nennt. Er ist froh, dass seine Idee funktioniert hat und noch immer funktioniert. Seine Stelle im Staatsdienst hat er reduziert, um mehr Zeit für die Asbl. zu haben. Ehrenamtlich, versteht sich, an seinem Engagement will er nicht verdienen. Als Erfolg von „Digital Inclusion“ sieht er an, dass dort viele Menschen arbeiten, die selbst Erfahrungen mit Flucht und Neuanfang gemacht haben. Dadurch ist die Hemmschwelle für Menschen, die neu im Land sind, gering. Sie können kommen, treffen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und können meist in ihrer Sprache sprechen.
Unter den Büroräumen steckt der Keller bis unter die Decke voller Geräte, ordentlich sortiert. Kommen die Geräte bei ihnen an, werden sie erst einmal von den Daten gesäubert. Dazu werden einfach noch mehr Daten aufgespielt, so dass später nicht mehr herauszufinden ist, welche Daten ursprünglich da waren. Anschließend werden die Geräte repariert und sortiert, dann warten sie auf ihre Empfänger. Um zu verhindern, dass bestimmte Geräte, vor allem Smartphones, einfach weiterverkauft werden, erhalten sie eine Art Tattoo, das nicht

entfernt werden kann. Gebrauchte Handys sind zwar auf dem Schwarzmarkt nicht viel wert, sagt de la Hamette, „aber für manch einen sind schon 50 Euro eine Menge Geld“.
Pro Person wird nur ein Handy herausgegeben, jeder Haushalt hat Anrecht auf einen Computer oder ein Laptop. Mehr nicht. Sind die Sachen kaputt oder weg, gibt es vorerst keinen Ersatz. Um sein Anrecht nachzuweisen, muss eine Bescheinigung des Sozialamts vorliegen. Es sei denn, es handelt sich um Schüler oder Schülerinnen, die keinen eigenen PC zu Hause haben. Diese Ausnahme gibt es seit der Coronapandemie und dem damit verbundenen Homeschooling. 300 Familien wurden so versorgt. Insgesamt 750 Computer und 150 Smartphones wurden 2020 verteilt. „Wir konnten schnell reagieren, weil wir eine kleine Struktur sind und im Lager genügend Vorrat hatten“, erklärt de la Hamette. Mehr als die E-Mail eines Lehrers oder einer Lehrerin war dafür nicht nötig.
Diese Regelung will Digital Inclusion beibehalten. „Für Kinder ist es nicht gut, wenn sie keinen Zugang zu einem Computer haben. Davon war ich schon vor Corona überzeugt. In Luxemburg ist es besonders stark ausgeprägt, dass das soziale Umfeld mit der Qualität des Schulabschlusses korreliert. Es ist wichtig, allen zu helfen, denen einfach nur die finanziellen Mittel fehlen.“
Ende des Jahres laufen die Förderungen über die Œuvre und den ESF aus. Gespräche mit einem Ministerium bezüglich der weiterlaufenden Finanzierung laufen aber bereits. Welches Ministerium es ist, will Patrick de la Hamette im Moment noch nicht sagen. Prinzipiell kämen einige in Frage, Digital Inclusion arbeitet sozusagen in einer Schnittmenge: Bildung, Integration, Familie, Arbeit, Gleichstellung, Wirtschaft, Digitalisierung, Kultur und Umwelt. Was könnte nachhaltiger sein, als ausgediente, aber noch funktionstüchtige Smartphones und Computer weiter zu benutzen?

Spenden sind bei Digital Inclusion immer gern gesehen. Allerdings dürfen die Geräte nicht älter sein als sechs Jahre. Nur bei Laptops wird eine Ausnahme gemacht. Die können zehn Jahre alt sein, weil sie Mangelware sind, weshalb es für sie bereits eine monatelange Warteliste gibt. Doch Patrick de la Hamette ist zuversichtlich, dass die Spendenbereitschaft nicht aufhören wird. Er ist davon überzeugt, dass sich die Gesellschaft immer weiter digitalisiert. Deshalb sei es wichtig, denen zu helfen, die Anschluss finden wollen. „Diesen Menschen muss eine Hand gereicht werden.“