Streetlights

Page 1

JÜRGEN NABER

NORWEGIAN

STREETLIGHTS

rilli

“!!”



STREETLIGHTS NORWEGIAN

JÜRGEN NABER text by HENNING GROSCURTH translation (short version) by ALEXANDRA COX

rilli

“!!””



»Streetlights« -- Technisches Licht und optisches Präparat -- Henning Groscurth Anlässlich der Weltausstellung des Jahres 1878 erscheint Paris im neuen Licht der elektrischen Straßenbeleuchtung. Auf einem dreiviertel Kilometer entlang der prachtvollen Avenue de l'Opera aber auch auf einigen der schönsten Fassaden der Metropole protestiert eine nie gesehene Lichtfülle gegen die Zumutung des nächtlichen Dunkels. Ihren kommerziellen Zweck sollte die Pariser Leistungsschau nicht verfehlen. Wie die New York Times damals berichtete, stießen die erstmals zu einem „new system of general illumination“(NYT1878, 1878) verbundenen Einzelentwicklungen in einer Vielzahl europäischer Städte auf reges Interesse. Bald schon wird aus dem norwegischen Hammerfest berichtet werden, dass zwei Kaufleute sich auf den Weg nach Paris machen, um die Annehmlichkeiten des elektrischen Straßenlichts in der nördlichsten Stadt Europas einführen zu können.(Vgl.: Proctor, 2012, 170) In den dortigen bedrückend langen Winternächten, während denen zwischen dem 22. November und dem 21. Januar die Sonne gar nicht erst aufgeht, steigert sich das neue Leuchtmittel zum regelrechten Lebensmittel. Technisches Licht Jürgen Naber verbrachte längere Zeit in Norwegen. Mit seiner nachstehend präsentierten Werkserie ruft er die im Hammerfest des Jahres 1890 (Vgl.: d. Prakt. Maschinen-Constructeur, 1898, 74) beginnende Geschichte des elektrischen Straßenlichts in Norwegen fotographisch in Erinnerung. Seine Bilder des technischen Lichts sind über hundert Jahre nach dessen Einführung entstanden. Sie vermitteln nichts mehr von der Faszination Technik, vom flirrend elektrifizierten Leben und dem Aufbruch in ein neues Jahrhundert. Und man muss erst ins halbdunkle Norwegen am nördlichen Ende Europas reisen, um ein Gespür für den Charme der von Naber belichteten Beleuchtung zu entwickeln. Mit dem Licht, zumal dem technischen, wählt Naber ein anspruchsvolles Sujet. Nicht zuletzt aktualisiert die Fotographie hier Bestrebungen des gezielten Aufzeigens von Licht, deren Einsatz etwa mit Rembrandt und Vermeer in den „Lichtgefügen“ (Bohlmann et al., 2008) der Malerei des 17. Jahrhunderts zu markieren ist. Sehr viel mehr denn als Epigone aber besteht Nabers heutige Auseinandersetzung mit der ‚Abblendung von Blendung‘ in einem Dialog mit künstlerischen Positionen der zeitgenössischen Fotographie. Hier sind vor allem Fotographen zu nennen, in deren Arbeiten das technische Licht zu einem Stilmittel avanciert, das nicht nur dem Aufzeigen durch Licht, sondern darin gerade auch dem Lokalisieren von Licht dient. Zu nennen sind hier etwa die Arbeiten Thomas Weinbergers, Michael Weselys, Thomas Bachlers, Thomas Graichens und Hiroshi Sugimotos. Ihnen gemeinsam ist eine radikale Reflektion auf das mit der Fotographie technifizierte Licht und der


Ausformulierung ihrer Einsichten zu einer nachgerade ästhetischen Position. Was die Wohlstimmigkeit einer als „richtig“ empfundenen Belichtung angeht, so demonstrieren die Künstler nicht bloß die bewusste Abweichung von der Norm auf so eindrucksvolle wie eigensinnige Weise. In ihren Doppel- und Langzeitbelichtungen muss das Licht im Raum auf eine Weise präsent sein, sodass es als „optisch evozierte Raumformel“(Bohlmann, 2011, 168) erst seine Wirkung auf den Betrachter entfalten kann. Entsprechend bedeutet Fotographie ihnen mehr als die einfache bildgebende Methode. Es besteht ein Unterschied zwischen der schlichten Notwendigkeit des lichteinschreibenden Effekts und der Ästhetisierung dieser Selbstverständlichkeit in einer fotographischen Form, die dem Betrachter die sinnliche Erfahrung der technischen Charakterismen des neuen Lichts anheim stellt.[Fußnote:Vgl. dazu die aufschlussreichen Bildbesprechungen zeitgenössischer Fotographie in dem Katalog zur Ausstellung Lichtgefüge -- Das Licht im Zeitalter von Rembrandt und Vermeer (2011). ] Diesen ästhetischen Reflektionen auf das technische Licht stehen Jürgen Nabers fotographische Arbeiten in Nichts nach. Zugleich verschafft das von ihm ins Bild gesetzte technische Licht der Erfahrung nordwärts länger und länger währender Nächte einen Plausibilitätsschub, der der skeptischen Einstellung des Philosophen Hans Blumenberg gegenüber dem Eindringen „technischer Charaktere“(Blumenberg, 2001, 170) in die Lichtmetaphorik entgegenzuwirken vermag. „Aber nur weil diese Möglichkeiten des gezielten Lichts überhaupt einmal entdeckt worden sind, konnte die Technik zu dieser Entdeckung schließlich die gewaltsamsten Mittel erschließen, und es ist signifikativ, daß der Name ‚Illumination‘ auf die rücksichtslose Akzentsetzung des künstlichen Lichts Anwendung findet, auf die technische Selektion und Überhöhung des als einzig sichtwürdig unübersehbar zu machenden Menschenwerks .“ (Blumenberg, 2001, 171) Blumenbergs Bedenken angesichts einer über Sichtwürdigkeit und -Unwürdigkeit verfügenden Hybris der Illumination muss man nicht unbedingt teilen. Was aber das von Blumenberg als Metapher der Wahrheit behandelte Licht betrifft, so müssen wir einsehen, dass die natürliche Leichtigkeit, mit der sie „von sich her sich durchsetzt“(Blumenberg, 2001, 168) mit dem technischen Licht verloren ist. Stattdessen muss Wahrheit gezeigt, ihr Licht systematisch und mit Methode zugeführt werden. Lässt sich daher neben der rein technischen Behauptung der neuen Möglichkeiten der Beleuchtung noch von einer erfolgreichen Behauptung jener historischen Sinnhorizonte und Sichtweisen des Lichts ausgehen, deren Paradigmatik im philosophischen Denken Hans Blumenbergs so prominent behandelt wird? Oder ist mit dem Aufkommen des technischen Lichts eine maßgebliche Umformung innerhalb der historischen Lichtmetaphorik zu konstatieren, von der Jürgen Nabers Fotographie zugleich betroffen ist und zu berichten weiß? Ausschlaggebend für die nachstehenden Ausführungen soll die Beobachtung sein, dass Jürgen Naber mit seiner »Streetlights« betitelten Werkserie eine fotographische Reflektion auf die Technisierung des Lichts verbindet. Damit gerät seine Fotographie auch zu einer Autopsie der mittlerweile gut eingeübten Praxis der Lichteffekte, Lichtarchitektur und Lichtregie, mit denen das Beleuchtete, so ein zentraler Befund Blumenbergs, einer „Optik des Präparats“(Blumenberg, 2001, 171) Preis gegeben wird.


Mit dem durch das technische Licht hervorgerufenen Präparatcharakter der Wirklichkeit nehmen es die Arbeiten Jürgen Nabers auf. Zum Objekt der optischen Präparation aber werden bei ihm die längs der Straße, des Gehsteiges sich reihenden Leuchtkörper selbst. Eine extreme Kurzzeitbelichtung reduziert die blendende Überhelle des optischen Präparats, trotzt ihr Sichtbarkeit ab. Naber konfrontiert die Lichtquellen mit ihrem Effekt, indem er ihre eigene präparathafte Optik sichtbar werden lässt. Lichtmetaphorik und fotographische Methode Im Mittelpunkt der Philosophie Hans Blumenbergs steht das Projekt der Metaphorologie. Noch vor seiner 1960 erschienenen Programmschrift Paradigmen zu einer Metaphorologie arbeitete Blumenberg an einer Reihe von Einzelstudien, deren theoretische Essenz ihn zu jenem groß angelegten Projekt der europäischen Geistesgeschichte führte. Dabei kommt insbesondere seiner beeindruckenden Studie zur Lichtmetaphorik (1957) eine geradezu wegweisende Bedeutung zu. Die historische Metaphorologie interessiert sich für das Aufkommen bestimmter Metaphern, die als „Grundbestände der philosophischen Sprache“(Blumenberg, 1998, 10) für eine logische „Verlegen- heit“(Blumenberg, 1998, 10) einspringen. Da es uns im Vorfeld der Begriffsgeschichte noch an terminologisch erfüllten Anschauungen mangelt, gebrauchen wir eine aussagekräftige ‚Bild- sprache‘, an der sich menschliches Denken und Handeln orientieren kann. Die Metaphorologie kennt gar absolute Metaphern, wie die des Lichts, denen ihre begriffliche Einholung und Konkretion grundsätzlich verwehrt bleibt. In unseren alltäglichen Lebenswelten sind solche absoluten Metaphern von permanenter Wirksamkeit. Wenn wir bspw. etwas ‚ins richtige Licht‘ zu stellen beabsichtigen, dann ist in dieses korrektive Unterfangen auch die (neuzeitlich moderne) Lichtmetaphorik verstrickt. Das historische Aussagepotential der Lichtmetapher ist auf nicht weniger als die Wahrheit bezogen. Ihrem Gebrauch nach sind Lichtmetaphern also etwas für Metaphysiker, ihrer Reflektion nach etwas für die Philosophie der Metapher. Ausgehend von der antiken Philosophie und dem hellenistischen Denken verfolgt Blumenberg historisch bedeutsame Umformungen der Lichtmetaphorik über das Mittelalter bis zur Aufklärung und ihrem Vorkommen in der modernen Wissenschaft. Dabei eignet die Lichtmetapher insgesamt zur Anzeige von Sachverhalten, auf die anders denn metaphorisch nicht mehr angemessen zu verweisen ist. Licht, so könnte man sagen, ist auf das Eigentliche der Wahrheit bezogen und verschafft ihr einen uneigentlichen Ausdruck. Es mag sich eingangs der Eindruck eingestellt haben, seinerzeit in Paris habe das Licht selbst über eine geradezu ästhetisierende Ausstrahlung verfügt. Aber bekanntermaßen ist das Licht ein sinnlich nicht erfahrbares Phänomen. Sein ästhetischer Schein ist geborgt. Das Licht ‚zeigt‘ sich nur an dem, was es sichtbar werden lässt. Licht braucht die Reflexion durch ein Objekt, das in ihm steht. Das macht die Natürlichkeit des Zusammenhangs zwischen Erhellung und Sehen aus. Deshalb kann Hans Blumenberg in seiner berühmten Studie sagen, dass „Wahrheit Licht am Sein selbst [ist]“ (Blumenberg, 2001, 142).


Gegenüber der sich selbst erhellenden Wahrheit befindet er eine bemerkenswerte, mit der Entdeckung des Kunstlichts verbundene Umformung der Lichtmetapher. Wahrheit bietet sich nicht mehr wie zuvor selbst dar, sondern kann Geltung allein als ein bloß möglicher Aspekt eines „Präparats“(Blumenberg, 2001, 171) beanspruchen. „Das Gegebene“, schreibt Blumenberg das optische Präparat an, „steht nicht mehr im Licht, sondern es wird von einem bestimmten Aspekt her beleuchtet“(Blumenberg, 2001, 170). Gerade die jüngere Verfassung der Lichtmetapher in der Neuzeit ist außerordentlich aufschlussreich auch für die Belange des fotographischen Verfahrens. Seit Bacon und Descartes greift nicht nur die moderne Wissenschaft auf spezifische Methodiken zurück, um regel- und verfahrensgeleitet zu Erkenntnissen gelangen zu können. Auch die Fotographie ist eine Methode. Als eine auf technisch-optische Weise über das Licht verfügende Methode verschafft sie ihren Gegenständen nicht nur eine fotographische Wirklichkeit, sondern gleichermaßen bewirkt sie die Legitimität der Fotographie innerhalb des Paradigmas der Lichtmetaphorik. Die Optik des Präparats ist daher auch ein Effekt der Fotographie, sofern sie als eine methodisch über das Licht verfügende Apparatur Verwendung findet. Freilich dient diese nicht der Beleuchtung, sondern, dies führt Nabers Fotographie auf ganz eigene Weise vor, stellt sie technische Möglichkeiten zur Belichtung von Beleuchtung bereit. Innerhalb der Geschichte der Fotographie hat sich eine Vielzahl technisch-optischer Methoden herausgebildet. Durch diese angeleitet, wird Sicht- barkeit nicht mehr aufgrund des natürlichen Zusammenhangs von Erhellung und Sehen bewirkt, sondern die „Entselbstverständlichung“ (Blumenberg, 2001, 159) dieses Zusammenhangs in der Belichtung wird technisch kompensiert durch Selektion und Überhöhung der als sichtwürdig herauspräparierten Aspekte des fotographischen Objekts. Perspektive, Fokus, Belichtungszeit, Blende sind die wesentlichen technischen Parameter, über die der Fotograph zum Zweck der Selektion und Überhöhung verfügt und bestimmte Aspekte des fotographischen Objekts heraus präpariert. An dieser Weise der optisch gezielten Herbeiführung eines fotographischen „Präparats“ lässt sich eine bedeutende Umformung der modernen Lichtmetaphorik festmachen. Denn mit dem Aufkommen der lichtmanipulierenden, zumal der fotographischen Methoden wird Licht erstmals als „verfügbar“(Blumenberg, 2001, 170) gedacht. Dass diesbezüglich der Fotograph von available light spricht, stellt geradezu eine lichtmetaphorische Verwirrung angesichts der fotographischen ‚Verfügungsgewalt‘ über das Licht dar. In der Fotographie vollzieht sich die Umformung von der Metapher des natürlichen zu der des künstlichen Lichts im Akt der Belichtung. Das available light noch als natürlich verfügbares Licht zu denken, erweist sich als obsolet, sobald es im Medium der Fotographie aufgrund der Disponibilität des technifizierten Lichts seiner Denaturalisierung anheim gestellt wird. Licht als Metapher der Wahrheit ist also nicht mehr umfassend und ringsum, sondern ihre Allverbindlichkeit löst sich in viele Wahrheiten, in die Relativität der Wahrheit angesichts der Wahl von Perspektive, Fokus, Belichtungszeit, Blende auf. „Das Gegebene“, so historisiert Blumenberg die Natürlichkeit des Zusammenhangs von Wahrheit und Sein, „steht nicht mehr im Licht, sondern es wird von einem bestimmten Aspekt her beleuchtet“(Blumenberg, 2001, 170). Damit ist auch die Gewißheit von fotographischen Sachverhalten, denen Wahrheit zukommen soll, nicht mehr an eine schlichte, sich selbst offenbarende Sichtbarkeit gebunden. Vielmehr gilt es, mögliche Wahrheiten des fotographischen Objekts gleichsam mit „Licht zuführender Therapie“(Blumenberg, 2001, 169) durch die Fotographie auf selektive und überhöhende Weise zutage zu fördern.


Mit der Betonung der fotographischen Verfügung über das Licht wird auch der Winkel oder die Perspektive bedeutsam, aus denen der methodisch abgesicherte Beobachter den Gegenstand in einem bestimmten Licht erscheinen lässt. Und dass man kann die Dinge, wie man so sagt, von verschiedenen Seiten her beleuchten kann, zeigt Nabers Fotographie auf geradezu spektakuläre Weise. Mehr noch können wir mit der fotographischen Verfügungsgewalt über das Licht einem Aspektsehen den Vorzug vor einer „akzentlosen Präsenz des Darzustellenden“(Blumenberg, 2001, 170) geben, die noch im Umfeld der Metaphorik des natürlichen Lichts am Werk war. Insgesamt also geht es Blumenberg wie Naber mit der modernen Lichtmetaphorik darum, Form und Folge des Eindringens technischer Charaktere in die Paradigmatik des natürlichen Licht auszuweisen. „Aus dem Licht“, so folgert Blumenberg, „als einem ringsum herrschenden Medium [wird] der gerichtete und dosierte Strahl der ‚Beleuchtung‘“.(Blumenberg, 2001, 170) Das Licht, zumal das durch die technische Optik der Fotographie (zu-)geführte Licht, muss nun als prinzipiell verfügbar gelten. Eine wesentliche Funktion der Lichtmetaphorik kann jetzt in der Lokalisierung, im gezielten Aufzeigen durch Licht bestehen. Zur Belichtung von Beleuchtung In seiner fotographischen Arbeit reflektiert Jürgen Naber auf die durch Hans Blumenberg herausgearbeitete Umformung der Lichtmetapher durch das künstliche Licht. Seiner Fotographie aber geht es nicht nur um das gezielte Aufzeigen durch Licht, sondern darin zugleich auch von Licht. Die nachstehend präsentierte Werkserie zeigt 34 Variationen ein und desselben Motivs: Straßenlaternen des an der norwegischen Atlantikküste gelegenen Städtchens Ålesund. Und nicht einmal von der ganzen Laterne handelt „Streetlights“. Von Interesse ist allein ihr zentrales Bauteil, die lichtspendende Leuchte. Das durch Kunstlicht optisch Präparierte selbst allerdings -- der Gehsteig, die Straße -- ist nicht im Bild zu sehen. Stattdessen wird „im Raum der Nacht [...] eine Optik des Präparats herbeigeführt“(Blumenberg, 2001, 171), die die Möglichkeit des Umsehens im Licht der Straßenbeleuchtung zugunsten eines freien Aktes der Blickwendung ins Gegenlicht geradezu ausblendet. In diesem Sinne ist Jürgen Nabers Fotographie inszeniert als Konfrontation von Kamera und Kunstlicht. Seine himmelschauende Werkidee ist aus einer höchst anspruchsvollen, perspektivisch fast übermütigen Position heraus realisiert. Geometrisch exakt befindet sich die Kamera am längsachsigen Tiefpunkt im Zentrum von 30 Lichtkegeln. Jürgen Naber setzt die Kamera einem extremen Gegenlicht aus, konfrontiert sie geradezu mit der blendenden Überhelle des Kunstlichts. Zu diesem Zweck besinnt er sich insbesondere auf die gestalterischen Möglichkeiten der „richtigen“ Belichtung. Mit äußerst kurzen Belichtungszeiten wird die von den Straßenleuchten ausgehende Lichtmenge soweit reduziert, dass in der Abbildung Details gezeichnet sind, die das Auge bei direkter Betrachtung nicht wahrzunehmen in der Lage wäre. Wir sehen auf einmal Unmengen im Licht verkohlter Insekten, Sprünge und Einschlüsse im Glaskörper der Leuchte, Nuancen in ihrer Lichtfarbe. Auch den Leuchtkörper selbst nehmen wir wahr, den Reflektor. Dreck und Staub zudem, die unterschiedlichen Strukturen der Streuscheiben.


Alles andere als selbstverständlich, das beginnen wir hier zu ahnen, ist die gewohnte Entsprechung von Erhellung und Sehen. Gerade in der norwegischen Provinz, die das jahreszeitliche Dunkel als zyklisch wiederkehrenden Lebensumstand anerkennen muss, werden wir der drohenden „Entselbstverständlichung“(Blumenberg, 2001, 159) von Erhellung und Sehen gewahr. Jürgen Naber vermittelt dem Betrachter, was es heißen kann, wenn die Wahrheit nicht ohne Weiteres zutage befördert werden kann, denn Licht als Metapher der Wahrheit rückt hier, wie gesagt, in den Bereich des zu Leistenden. Wenngleich Naber dort, wo lichtmetaphorisch eigentlich ein Mehr an Licht gefragt ist, durch die Reduktion der Lichtmenge erst einmal ein Weniger an Licht bewirkt. Zugleich aber indiziert diese für die Illumination des optischen Präparats geltende Vorraussetzung des Dunkels einen weitreichenden Wandel unserer lichtmetaphorisch beeindruckten Wahrheitsaufassungen. Für diese bedeutet Dunkelheit einen konstitutionell blinden Fleck. Angesichts der ‚Entselbstverständlichung‘ von Erhellung und Sehen muss also der Wahrheit Licht künstlich zugeführt werden. Zum historischen Aussagepotential der Lichtmetapher konnte noch zählen, dass aus ihrem (natürlichen) Licht „das Wahre ‚heraustritt‘” (Blumenberg, 2001, 140). Was immer das auch sein mag, ihr Heraustreten bedarf bei Naber der fotographischen Methode. Dabei geht die Wiederherstellung des auch für das „Kameraauge“ (Dziga Vertov) selbstverständlichen Zusammenhangs von Erhellung und Sehen zurück auf Nabers radikale Interpretation der fotographischen Methode. Es gilt dabei, die blendende Überhelle des technischen Lichts so weit zu reduzieren, dass die entselbstverständlichende Blendung durch eine als „richtig“ verstandene Belichtung kompensierbar ist, wenn überhaupt etwas zu sehen sein soll. In seinem einzigen enzyklopädischen Werk berichtet Hans Blumenberg über die mit seinem Vater geteilte Leidenschaft der Entwicklung ihrer fotographischen Beuten in der Dunkelkammer. „Nicht selten passierte es, daß die Platte sich in einheitliches Schwarz verfärbte; wohl ebenso häufig, daß sie klar und durchsichtig blieb, als sei nichts gewesen. Die Grenzfälle verfehlter Belichtungen also, und dazwischen lag ‚die Welt‘ des mehr oder weniger Unbedeutsamen.” (Blumenberg1998a, 1998, 7) Gegenüber dem Begriff der „richtigen“ Belichtung, dessen Umfang für Blumenberg ‚die Welt‘ faktisch bewirkt, gilt sein Interesse dem (Schöpfungs-)Prozess der fotochemischen Entwicklung, in dem aus dem Nichts allein durch Zuführung von Licht etwas entsteht. Die den Vater erfreuende „richtige“ Belichtung hingegen war für ihn von geringer Bedeutung. Aus den vielen möglichen Belichtungen eine allein als „richtig“ zu erklären, muss Blumenberg suspekt vorgekommen sein. Und dennoch ist das „richtige“ Produkt aus Blende und Verschlusszeit nicht nur eine Frage an das künstlerische Vermögen des Fotographen, sondern auch ein paradigmatisch bedeutsamer Vorgang im Übergang von der Lichtmetaphorik zum fotographiegeschichtlich wirksam werdenden Begriff einer als „richtig“ eingeschätzten Belichtung. Aller Relativität ihrer als richtig oder auch bloß möglich verstandenen Belichtungen zum Trotz ist aber auf das begriffsstiftende Vermögen der fotographischen Methode zu insistieren, soll aus dem Prozess der Belichtung überhaupt irgendeine Welt entstehen. Eine dieser möglichen Welten wird uns in Jürgen Nabers Fotographie vorgeführt. Und die Wirklichkeit dieser Welt stellt sich erst aufgrund der von ihm spektakulär ausgereizten Methode einer ganz bestimmten Weise der Belichtung ein. Mit einem Weniger an Licht ist aus der gezielten Blendung durch das technische Licht dennoch eine sichtbare Welt erhellt.


»Streetlights« ist ein lichtmetaphorisches Paradoxon. Unsere eingeübte Sicht des Lichts verunsichert das. Unterschlägt uns der Fotograph hier etwas? Versucht er, durch seine Fotographie die Wahrheit zu verstellen? Ironisiert er sie gar? Jürgen Naber ist beeindruckt durch das in der nordeuropäisch-subpolaren Provinz vorherrschende Dunkel. Aus den »Streetlights« scheint daher auch eine bestimmte Weise der künstlerischen Verarbeitung der für das mitteleuropäische Lichtmaß gering erhellten norwegischen Provinz herzurühren. Dazu treibt Naber den Stadt wie Land beherrschenden Lichtmangel auf die Spitze. Er reduziert das ohnehin spärliche Licht der getrübten Leuchtmittel auf ein Minimum und -- er sieht, erhellt. Seine »Norwegian Highlights« stellen geradezu eine Karikatur des fotographischen Spitzlichts dar, indem er den eigentlich überhellen Phänomen ihre Belichtbarkeit abtrotzt. Er spürt eine Wahrheit des fotographischen Objekts in Detailzeichnungen auf, deren natürliche Wahrnehmung mit dem bloßen Auge nicht erfolgen könnte. Kann der fotographisch therapierte Lichtmangel der norwegischen Provinz erkenntnistiftend sein? Durchaus, möchte man sagen. Denn es zeigt sich, dass das subpolare Dunkel nicht allein auf natürliche Weise durch den Wechsel der Jahreszeiten hervorgerufen ist. Über 100 Jahre nach seiner Entdeckung scheint das technische Licht merklich gealtert. Jede der Fotographien offenbart eine mit der Alterung einhergehende Patina der abgebildeten Leuchtkörper. Nicht das Licht selbst, sondern das den Leuchtkörper umfassende Glas ist trübe.. Der fleckige Schattenwurf ist nicht der Zwillingsbruder des Lichts. Vielmehr ist jener mit den Sprüngen, den Einschlüssen und der durch eindringendes Wasser hervorgerufenen Veralgung des Glases verschwistert. Ein lebloser Teppich schwarzer Insekten stört die geometrisch exakt berechneten Lichtkegel. Die auf den Quecksilberdampflampen erkennbare Angabe ihrer Lichtstärke ist nur noch ein historischer Index. Aber noch etwas erhellt Nabers abdunkelnde Fotographie. Mit seinem Projekt der optischen Präparation durch extremes Abblenden deckt er nicht nur die Verstrickung von Fotographie und Lichtmetaphorik auf, sondern drängt darin zugleich auf die Terminologisierung dieser Metapher im optischen Begriff der Belichtung. Dass dieser Begriff über die „Grenzfälle verfehlter Belichtungen“ (Blumenberg1998a, 1998, 7) hinausweist, ja ihre Grenzen in Frage stellt, zeigt auch die Vermeintlichkeit jeglicher terminologisierten Wahrheiten an.



“Streetlights” Henning Groscurth (Cologne) Jürgen Naber’s photographic series of works shows 30 variations of one and the same motif: streetlights in the little town of Ålesund, on Norway’s Atlantic coast. And “Streetlights” deals not once with the streetlight as a whole. Of sole interest is its central component, the light-dispensing lamp. His skyward work concept is realized from an extremely exacting position, almost wanton where perspective is concerned. With geometric precision, the camera is located at the longitudinal low point at the centre of 34 beams of light. Using extremely short exposure times he reduces the amount of light emanating from the streetlights such that, in the picture, details are depicted which the eye would be incapable of perceiving on direct examination. All at once we see vast amounts of insects carbonized in the light, cracks and inclusions in the glass body of the lamp, nuances of its light’s colour. We also perceive the lamp body itself, the reflector. Dirt and dust moreover, the different structures of the diffusing panels. Naber’s work demonstrates not just a mere photographic game with the exposure of lighting. His interest goes deeper, is of a philosophical nature. “Streetlights” is no less than an artistic reflection on technical light. Unlike natural light, technical light is directed. It concentrates the other-directed gaze on an “optical compound” (Hans Blumenberg). Its worthiness to be seen, however, is judged solely by its stage-lighter and not its beholder. This is no less than a conscious intervention in the free act of gaze movement. Jürgen Naber counters this violent and deliberate manipulation photographically. In a liberated act of gaze movement he focuses on the light source and confronts it with its own manner of optical preparation. And therefore, in Naber’s series of works, technical light has itself become a compound. The photo artist impressively demonstrates that technology’s philosophical questions can be answered at an equally high level aesthetically and conceptually.




































credits for images J端rgen Naber, 2012 for text Henning Groscurth for translation Alexandra Cox J端rgen Naber Br端sseler Platz 26 50674 K旦ln www.juergennaber.de info@juergennaber.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.