D E N I S G U I L LO M O
B A R AQ U E S — BERÜHRUNGEN
Berührungen waren in der Kunst schon immer mit einer besonderen Magie verbunden. Auf Michelangelos berühmtem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle ist es der ausgestreckte Zeigefinger Gottes, der Adam durch seine nahende Berührung das Leben einflößt und auf dem Porträt der «Seconde École de Fontainebleau», das Gabrielle D’Estrées und ihre Schwestern im Bad darstellt, wird durch die Berührung zugleich ein erotisches Spiel von Distanz und Intimität eröffnet. Berührungen sind – allgemein gefasst – lebendige Schnittpunkte, welche sowohl Figuren als auch Bilder in ihrer wechselseitigen Beziehung zueinander darzustellen vermögen und einen Zusammenhang herstellen, ohne jedoch die Individualität der einzelnen Figuren oder der einzelnen Werke aufzuheben. Denis Guillomo kreiert durch die vielseitigen Berührungen individuell gestalteter Einzelstücke ein Ensemble, das besonders in Hinblick auf die Licht-, Form- und Raumgestaltung als Grenzerfahrung zu verstehen ist. Im Mittelpunkt seines Werkes stehen dabei – nach wie vor – der Mensch und die ihn prägenden Erfahrungen des Krieges. Der französische Begriff «baraque», der charakterisierend eines seiner Leinwand Module tituliert, galt als allgemeine Bezeichnung der Flüchtlingslager infolge des Krieges. Die Gefangenschaft der
Menschen und das eingepfercht Sein auf engstem Raum schaffen einen Lebensraum ohne Horizont und Perspektive, den Denis Guillomo in seinen Collagen reflektiert. Eine Lebenserfahrung, die den aus Algerien stammenden Künstler und seine Kunst nachhaltig geprägt hat. Lichtblicke zeigen sich immer wieder in der Öffnung des Raumes. Sie verweisen sinnbildlich auf das Wegfallen der territorialen Grenzen und auf die Hoffnung auf ein Leben in Europa, das besonders von der ärmeren Bevölkerungsschicht in Afrika als funkelndes Wunderland phantasiert wird. Doch die strahlende Hoffnung auf eine bessere Welt, die ihren Ausdruck in der leuchtenden und reflektierenden Oberfläche der Spiegelfoliencollagen wiederfindet, droht an einer Realität zu scheitern, die mit dem ersehnten Leben im fernen Europa nichts mehr gemein hat. Die Installation der verschiedenen Materialien und geometrischen Formen ermöglicht dem Betrachter eine aktive Licht- und Raumerfahrung. Die Spiegelfolie bezieht den Betrachter einerseits in die Komposition mit ein und suggeriert andererseits die verzerrte Wahrnehmung Europas, die ausgehend von der Position des Betrachters als körperliche Verzerrung des eigenen Körpers empfunden wird. Die mit schwarzem Lack aufgetragenen schrägen Streifen werfen die Raumkonstruktionen immer wieder auf ihre Grenzen und
somit auf ihre innere Geschlossenheit zurück und verweisen im übertragenen Sinne auf die territorialen Grenzen. Die schwarzen geometrischen Formen stellen die Kehrseite der hoffnungsvollen Lichtblicke dar und spielen auf die Bruchstelle zwischen Illusion und Realität an, darüber hinaus bestimmt der Hell-Dunkel-Kontrast überwiegend die Raumkompositionen. Die minimale Sicht auf die leeren Lagerräume, welche sich häufig lediglich durch einen Lichteinbruch als solche zu erkennen geben und die radikale Farbreduktion schaffen eine Reihe von stilisierten Räumen, die dem Betrachter das eingeschränkte Leben in einer «baraque» näher bringen sollen. Denis Guillomo greift in Hinblick auf die Ästhetik ganz bewusst auf das von Theo van Doesburg geprägte Konzept der konkreten Kunst («Art concret») zurück und auf sein berühmtes holländisches Vorbild Piet Mondrian. Im Mittelpunkt steht für den Künstler dabei die Wirkungsästhetik der Kunst der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. So ermög-liche das Wechselspiel von geometrischer Form, Licht und Schatten eine unmittelbarere Kunsterfahrung als dies bei narrativen Bildkompositionen der Fall ist. Während der Betrachter bei narrativen Bildkompositionen sowohl auf seine Erfahrung als auch auf sein weltliches Wissen zurückgreift und die Interpretation in erster Linie geistig erschließt, wird die nicht-darstellende und abstrakte Kunst primär durch die Empfindung des Betrachterserschlossen;durcheinimmediatesEinfühlenindieBildkomposition. Diese Rezeption macht sich Guillomo zunutze, indem der Betrachter
sich nicht nur in die Ästhetik einfühlen kann, sondern selbst mit in die Komposition einbezogen wird. Der Titel «Berührungen» betrifft folglich nicht nur die Bilder, sondern zugleich den Betrachter, der von den Bildern «berührt» werden soll. Dadurch wird das brisante sozial und politisch motivierte Thema gefühlsmäßig erfahrbar. In Hinblick auf die Zielsetzung, unterscheidet sich Guillomos Konzept von den Doktrinen der konkreten Kunst vor allem durch die Betonung des Gefühls und der Erfahrung, welche nach van Doesburg durch die an die Mathematik angelehnten geometrischen Formen gerade ausgeklammert werden sollten, zugunsten einer rein geistigen Dimension. Die Bilder selbst stellen schließlich wiederum menschliche Erfahrungen und Gefühle dar, die sich innerhalb der Collage auf engstem Raum berühren und in ihrem Empfinden widerspiegeln. Das Material besteht überwiegend aus wiederverwendetem Material und Materialresten von schwarzem und rotem Holzlack, Kreppklebeband, transparentem Klebeband, Papierresten, Leinwänden sowie Plastik-, Isolier- und Spiegelfolie. Durch die verschiedenen Materialien werden reflektierende und fein strukturierte Oberflächen geschaffen, die ihr Aussehen –
ähnlich einem Chamäleon – abhängig von der Umgebung, von der Position des Betrachters und den Lichtverhältnissen, verändern. Während die Spiegelfolie und das transparente Klebeband reflektierende Flächen entstehen lassen, wird durch den schwarzen bzw. roten Lack auf Plastik- und Spiegelfolie eine organisch anmutende Oberfläche erzeugt, die an die natürliche Struktur von Rinde oder Haut anklingt. Die individuelle Gestaltung der einzelnen Elemente zeigt sich insbesondere anhand der Oberflächenstruktur, die sogar bei analogen Bildern unterschiedlich gestaltet ist. Das reflektierende Spiel der Folien und Bilder erstreckt sich nicht nur innerhalb einer Collage, sondern wird wie in einem Spiegel auf die andere Wand projiziert, auf welcher sich die gleichen geometrischen Formen und Folien wiederfinden. Der Betrachter findet sich in der Mitte des Raumes in einem Spiegelsaal wieder, der sowohl den Betrachter als auch sich selbst reflektiert und multipliziert, wodurch die Raumkonstruktion immer wieder auf sich selbst und den Betrachter zurückverweist. Die Hoffnung auf die Überwindung der territorialen Grenzen sowie das Spiegelbild des Individuums in einer fernen Welt manifestieren sich als verzerrte und illusionistische Trugbilder, die ostinat auf die Grenzen und die Grenzerfahrung zurückgeworfen werden aus denen sie resultieren. Die abstrakt gehaltenen Raumkonstruktionen greifen die fotorealistischen Arbeiten thematisch wieder auf, rücken
jedoch die Raumerfahrung stärker in den Vordergrund. Dadurch tritt die inhaltliche Provokation – wie sie sich zum Beispiel in dem Werk «Déjeuner sur l’herbe II» (Tusche auf Leinwand, 2007/2008) in Anknüpfung an Édouard Manets gleichnamiges Gemälde offenbart – zugunsten einer vom Betrachter erfahrbaren Rauminstallation zurück. Anstelle der Dokumente, Zeitungsauschnitte und Vor-Ort-Fotographien dienen dem Künstler nun überwiegend geometrische Formen als Vorlage, die an die Formensprache Kasimir Malewitschs erinnern. Die früheren Arbeiten Denis Guillomos sind auf seiner Homepage unter www.denisguillomo.de zu sehen.
Denis Guillomo w w w. d e n i s g u i l l o m o . d e info@denisguillomo.de + 4 9 . 1 7 7. 2 1 4 8 6 9 1
Te x t Olga Gorol olga .gorol@web.de Fotos und Gestaltung Alex Ketze r & I n a Kur th e n w w w. a l e x k e t z e r. c o m h e l l o @ a l e x k e t z e r. c o m Bildbearbeitung Martin Johna martinjohna@gmx.de
Erste Auflage Kรถln im J a n ua r 2012
______ / ______