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Genug für alle für immer

Nachhaltigkeit bedeutet Lebensqualitiät und Ressourcen für die nachfolgenden Generationen zu sichern

Vor kurzem traf ich in der Gemüseabteilung eines Supermarktes in Kiel eine Freundin, die entnervt feststellte: „Eigentlich gibt‘s hier frische, geschnittene Kürbiswürfel, die nehme ich immer gerne. Heute gibt es keine! Was mach‘ ich denn jetzt?“ „Nichts leichter als das! Kauf einen ganzen Hokkaido-Kürbis, den muss man nicht schälen, und schneid‘ ihn selbst“, antwortete ich, ein bisschen entsetzt über die Idee, Gemüse vorgeschnitten und in Folie eingeschweißt im Supermarkt zu kaufen. Klar wird Kochen dadurch einfach – man muss weder Hände noch Küche dreckig machen und spart Zeit. Aber können wir es angesichts schwindender Ressourcen, wachsender Umweltverschmutzung, Klimawandel, Zerstörung von Lebensräumen und Natur verantworten, weiter unreflektiert zu konsumieren? Gleichzeitig frage ich mich, ob eine Einschweißfolie mehr oder weniger überhaupt noch eine Rolle spielt, angesichts all der Katastrophenmeldungen in den Medien.

Nachhaltig: nur soviel verbrauchen wie nachwachsen oder sich regenerieren kann!

Wie kann uns Nachhaltigkeit hier weiterhelfen? Nachhaltigkeit kommt von nachhalten, was so viel bedeutet wie „länger anhalten, bleiben“. Hans-Karl von Carlowitz benutzte den Begriff „Nachhaltigkeit“ im Sinne eines längerfristig angelegten, verantwortungsbewussten Umgangs mit einer Ressource schon 1713 in seinem Buch über nachhaltige Forstwirtschaft. Schlage nur so viel Holz, wie der Wald verkraften kann – so viel Holz, wie nachwachsen kann. Nur so viel ist ökonomisch sinnvoll, meinte er. Diese ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ wurde im 20. Jahrhundert prinzipiell beibehalten, aber deutlich ausgeweitet, basierend auf dem Kerngedanken, dass wir nicht auf Kosten der Menschen in anderen Regionen der Erde oder zukünftiger Generationen leben dürfen. Man hatte erkannt, dass Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sich gegenseitig und weltweit beeinflussen und dass es langfristig keinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ohne intakte Umwelt geben kann. Diese wiederum kann nicht wirkungsvoll geschützt werden, wenn Menschen um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen. Anfang der 1970er Jahre erreichte die Menschheit erstmals einen Punkt im Jahr, von dem an sie aus ökologischer Sicht über ihre Verhältnisse lebte. Das hatte das „Global Footprint Network“ errechnet und damit den „Earth Overshoot Day“ geprägt. Der Earth Overshoot Day ist der Tag im Jahr, an dem alle Menschen zusammen so viele Ressourcen verbraucht und so viel Abfall produziert haben, wie durch die natürliche Bioproduktivität der Erde nachwachsen bzw. regeneriert werden kann. Ab diesem Tag leben wir praktisch auf Kosten nachfolgender Generationen. Der Mehrverbrauch (Overschoot) ist möglich, weil wir mehr CO2 in die Atmosphäre ausstoßen können, als unsere Meere und Wälder absorbieren, weil wir schneller fischen können, als sich die Fischbestände erholen, und wir Bäume schneller fällen können, als sie nachwachsen. Seit 1970 erreichen wir den Earth Overshoot Day immer früher im Jahr. Im Jahr 2018 war es am 2. August soweit. Bitter finde ich die Tatsache, dass reiche Industrienationen Hauptverursacher des Overshoots sind, arme Staaten aber oft Hauptleidtragende.

Denken wir nach, wenn wir einkaufen? Diese Mandarinen mit eigener, robuster Schale brauchen weder eine Folie noch eine Styroporschale.

Overshoot Day: der Tag, von dem an wir auf Kosten der nachfolgenden Generation leben

1987 traf sich die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen unter Vorsitz der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland und veröffentlichte am Ende des Treffens einen Bericht mit dem Titel „Our Common Future“. Dieser Bericht gilt als der Beginn der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit. 1992 luden die Vereinten Nationen zu einer Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro („Rio-Konferenz“ oder „Erdgipfel“), bei der auch die Agenda 21 beschlossen wurde, die die internationale Umsetzung des Brundtland-Berichtes regeln sollte. Weitere Ergebnisse der Rio-Konferenz waren die Deklaration von Rio über Umwelt und Entwick-

lung, Klimaschutz- und Biodiversitätskonvention, die Walddeklaration und die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Es folgten weiter Konferenzen und Protokolle, unter anderem in Kyoto, Bali, Doha und Paris. Wir fragen uns: Was haben all diese Konferenzen und Protokolle bewirkt? Und hat sich seitdem irgendetwas zum Besseren bewegt? Auch wenn es im Moment eher nach dem Gegenteil aussieht, kann man die Frage mit einem „Ja“ beantworten. Das Thema „Nachhaltigkeit“ hat sich inzwischen in den Lehrplänen etabliert, Bildung für nachhaltige Entwicklung gewinnt an Bedeutung und immer öfter liest man in den Medien oder in Werbeprospekten von nachhaltig produzierten Produkten wie Kaffeebechern, Kakao und Kinderwägen, mit Fischöl betriebenen Kreuzfahrtschiffen und mehr. Wenn man bedenkt, wie groß und vielfältig die Interessensgegensätzen auf internationaler oder nationaler Ebene zum Teil sind, ist das vielleicht als kleiner Erfolg zu werten. Aber es scheint offensichtlich: Genug ist das noch lange nicht! Wir spüren die Folgen des Klimawandels, wissen, dass Ressourcen wie Erdöl knapp werden. Ebenso, dass in manchen Regionen der Erde um Süßwasser gekämpft wird. Dass wir aber mehr Holz für Papier verbrauchen, als nachwachsen kann, oder dass der gestiegene Sandverbrauch für Beton für schnell wachsende Städte neben dem Klimawandel einen Anteil daran hat, dass manche Inseln im Meer verschwinden, ist uns kaum bewusst. Die Dimensionen, die Komplexität des Themas „Nachhaltigkeit“ können uns manchmal fast verzweifeln lassen an den Fragen: „Was kann ich als einzelner Mensch bei der Größe des Problems denn überhaupt bewirken?“ Und: „Weiß ich denn, ob das, wovon ich denke, dass es gut und richtig ist, wirklich nachhaltig ist?“ Sind zum Beispiel Stoffwindeln wirklich besser als Einwegwindeln, weil sie deutlich weniger Müll produzieren? Wie entscheide ich mich, wenn ich höre, dass konventionelle Baumwolle bis zur Ernte 14 bis 30 Mal mit Pestiziden behandelt wird und zur Produktion von 1 kg Baumwolle durchschnittlich etwa 11.000 Liter Wasser benötigt werden? Und dass bis zum Sauberwerden durchschnittlich 6.000 Einwegwindeln pro Kind anfallen?

Was kann ein einzelner Mensch bei der Größe des Problems überhaupt bewirken?

Bei diesem permanenten Entscheidungen-treffenmüssen fühle ich mich wirklich sehr gefordert, manchmal überfordert: im Supermarkt, im Alltag, bei der Urlaubsplanung. Kaufe ich abgepacktes Biogemüse aus Spanien oder nicht? Mit der Bahn oder mit dem Auto zu Oma und Opa? Bin ich bereit, Geld und Zeit zu investieren, um nachhaltiger zu leben und lohnt sich der Aufwand wirklich? Mut macht das Global Footprint Network mit seiner Aktion „movethedate“, bei der es darum geht, mit unterschiedlichsten Aktionen den Earth Overshoot Day möglichst weit nach hinten zu verschieben, um irgendwann wieder eine ausgeglichene Ökobilanz und nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Man kann auf der Internetseite des Netzwerks seinen eigenen ökologischen Fußabdruck und seinen eigenen individuellen Earth Overshoot Day berechnen. Das macht bewusst, welche Auswirkungen die eigene Lebensführung und das eigene Konsumverhalten haben. Die Botschaft des Netzwerks ist klar: Gemeinsam können wir es schaffen! Klar ist aber auch: Es ist höchste Zeit, wirklich damit anzufangen. Wir sind diejenigen, die über unser Konsumverhalten großen Einfluss auf Handel und Produzenten nehmen können, wir sind diejenigen, die Vorbildfunktion für unsere Kinder haben und wir sind diejenigen, die sich irgendwann rechtfertigen müssen, wenn die eigenen Kinder fragen: „Was habt ihr eigentlich getan, um die Natur, unsere Lebensgrundlage und damit unsere Zukunft zu sichern?“ Hier ein paar Beispiele, was wir tun können: · Möglichst viel Second-Hand von Anfang an.

Das spart so viel Geld, dass man, wenn man neue Dinge kaufen möchte, auf nachhaltige

Produkte zurückgreifen kann. · Precycling (= Kauf von Unnötigem vermeiden),

Recycling, Upcycling · Zur Geburt einen Baum statt unzähliger Stofftiere schenken (lassen). · Informieren und diskutieren, auch mit den Kindern. · … Es kann gut sein, dass, angeregt durch diese Ausgabe des „Kinderkram“ bei manchen Leserinnen eine Art Nachhaltigkeits-Aktionismus ausbricht: dass bei Unverpackt oder auf dem Wochenmarkt eingekauft wird, das Auto stehen gelassen wird, Wachstücher als Ersatz für Frischhaltefolie selbst hergestellt und Kürbisse selbst in Würfel geschnitten werden. Nachhaltigkeit bedeutet hier, dass dieser Aktionismus länger als zwei Wochen anhält, auch wenn sich während dieser zwei Wochen zeigt, dass eine nachhaltige Lebensweise oft aufwendiger, teurer und unbequemer ist als Konsumieren ohne nachzudenken. Sie ist aber unabdingbar, damit die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation gesichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung ihres Lebens erhalten bleibt (nach einer Definition von nachhaltiger Entwicklung aus dem Brundtland-Bericht von 1987).

Barbara Braun

www.overshootday.org/steps-to-movethedate www.footprintnetwork.org www.pro-regenwald.de/hg_papier

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