Kinderkram 218

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Was kostet Familie?

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Was kostet die Welt? Als Kind meines nicht mehr existierenden Heimatlandes, der DDR, habe ich einige sehr spezielle Erfahrungen mit Geld gemacht. Es gab Eiskugeln, die nur ein paar Pfennige gekostet haben, aber Schokolade war immer sehr teuer. Für das Kino musste ich in kleinen, viereckigen Papierschnipseln bezahlen, die ich von einem vorgestanzten Kärtchen abriss, welches mich und meine zwei Geschwister als Mitglieder einer kinderreichen Familie auswies. Also durften wir mehrmals im Monat kostenlos ins Kino. Und da meine älteren Geschwister von der nicht vorhandenen Filmauswahl sehr unterwältigt waren, ging ich eben 63 Mal in den Film „Die unendliche Geschichte“. Und in der Straßenbahn warf man 20 Pfennig in einen „Fahrkartenautomat“ ein, zog an einem Hebel und erhielt einen Fahrschein. Man erhielt allerdings auch einen Fahrschein, wenn man kein Geld einwarf. Dutzende Fahrscheine, wenn man wollte. Weil der Hebel einfach nur dazu diente, die riesige Fahrscheinrolle wie Toilettenpapier abzuwickeln. Das merkwürdigste Erlebnis war allerdings als ich in der Weihnachtszeit kurz vor dem Fall der Mauer einmal zu viel Geld hatte. Ich sang damals in einem großen, bekannten Knabenchor. Das bedeutete zweimal die Woche Probe, einmal die Woche Einzelgesangstraining und an den Wochenenden mindestens einen Auftritt. Und für die Auftritte wurden wir jährlich bezahlt. Ich bekam also kurz vor meinem Geburtstag und dem Weihnachtsabend 350 Ostmark – für ein Kind in den damaligen Verhältnissen unfassbar viel Geld. Ich kaufte mir ein Fahrrad, viel Spielzeug, jede Menge Süßigkeiten und hatte am Ende immer noch über 250 Mark übrig. Mehr wollte ich nicht haben und mehr gab es auch nicht wirklich zu kaufen. Den Rest haben meine Eltern für mich aufgehoben. Ich schreibe aufgehoben und nicht gespart, weil Geld für mich nie eine eigenständige Bedeutung hatte. Es war immer nur Mittel zum Zweck, sich etwas zu ermöglichen. Schwimmbadbesuche mit dem besten Freund. Einen neuen Abrafaxe-Comic. Schokoladeneis. Straßenbahnfahren nicht, das

Foto: kmn-network

Nils Pickert lernte den Umgang mit Geld in einer Mangelwirtschaft, seine Kinder im Kapitalismus

war ja kostenlos, wenn man einen Hosenknopf, einen schmalen Stein oder auch nichts einwarf. In der Mangelwirtschaft aus der ich komme und die mich noch heute über Dinge wie Sekundenkleber und Schweizer Taschenmesser staunen lässt, war Geld viel weniger wichtig als schöne Erlebnisse oder nützliche, haltbare Dinge. Denn egal wie viel Geld man hatte: Passierte Tomaten und viele andere Dinge hätte man sich dafür ebenso wenig kaufen können wie einen Spaziergang unter einer toskanischen Zypressenallee oder einen Gleitschirmflug. Meine Kinder wachsen in einer sehr anderen Welt auf. Für sie ist Geld wichtig, weil sich ihr Leben auch aus vielen kleineren und größeren Konsumgütern und Dienstleistungen zusammensetzt. Sie bekommen nach Alter gestaffelt ein monatliches Taschengeld und an geraden Monaten Klamottengeld. Notwendige Sachen bezahlen wir, alles andere sie. Also sparen sie, planen, verdienen als Babysitter dazu und haben ein waches Auge auf ihre Konten, auf denen die Verwandtschaft an Geburtstagen und Weihnachten Geldbeträge einzahlt. Anfänglich war ich nicht sicher, was ich davon halten soll. Zumal wir für einige Jahre

Regen, Hagel, Schneegestöber? Ab in die Kieler Bäder!

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Kinderkram Nr. 218 · April/Mai 2020

Das Hörnbad und die Schwimmhalle Schilksee machen auch bei Schietwetter Riesenspaß.

neben einem dieser 1-Euro-Shops gewohnt haben und mein ältester Sohn sich bis heute nicht ganz von der Idee des Schnäppchens und des unsinnigen „Was, bei dem Handyvertrag bekomme ich ein iPhone dazu, da habe ich ja voll das System überlistet“ Gedankens erholt hat. Inzwischen stelle ich jedoch ziemlich zufrieden fest, dass Geld für meine Großen zwar einen sehr viel höheren Stellenwert als für mich hat, sie es aber auch sehr umsichtig und großzügig einsetzen können. Für Spenden oder um Freunde zum Essen einzuladen. Für eine coole Urlaubsaktivität oder Geschenke für die jüngeren Geschwister. Und gelegentlich auch nicht für die dritte Herbstjacke, sondern für Kleidungsstücke, die sie tatsächlich brauchen. Sogar ein bisschen Kapitalismuskritik ist hängengeblieben. Wenn sich da meine Kindheit nicht bezahlt gemacht hat, dann weiß ich auch nicht. Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­ Feminist. Jeden Monat lässt er uns an seiner Gedankenwelt teilhaben.


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