Kinderkram 222

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Starke Gefühle

Kindliche Wut und was wir als Eltern lernen können Familien und der Umgang mit der Wut – von Dr. Björn Osterhage Wut ist eins unserer stärksten Gefühle und zugleich auch ein Gefühl, welches in unserer Gesellschaft durchaus als unangenehm und unbrauchbar angesehen wird. Wie wir selbst Wut empfinden und ausdrücken hängt von vielen Faktoren ab. Ein Faktor ist unsere Prägung: es gibt Familien, die sind ein Muster für Unterdrückung und Ablehnung von Wut. In anderen Familien kann eine regelrechte Lust am Aus-der-Haut-fahren bestehen. Wut als Basisemotion ist in vielerlei Hinsicht wichtig für uns und dass vor allem schon von Beginn unseres Lebens an: Wut zeigt die Notwendigkeit von Abgrenzung auf und weist auf Bedürfnisse hin. Kinder werden durch Wut sichtbar in ihrem Bedürfnis; das können Autonomie-Bedürfnisse und Wünsche nach Mitgestaltung sein. Wut gibt uns auch die Energie, handlungsfähig zu sein. Wir können so Ja oder Nein zu etwas sagen, können uns abgrenzen gegenüber Situationen, die für uns unpassend sind. Unsere Kinder leben Wut oft ungefiltert aus. Das kann dann zu regelrechten Wutanfällen führen. Diese Wut ist durch die Kinder selbst nur schwer regulierbar, so dass die Eltern steuernd mit eingreifen müssen. Steuern bedeutet in diesem Zusammenhang einen Raum zu schaffen, in dem die Wut stattfinden kann, ohne dass jemand zu schaden kommt. Denn die Wut lässt sich nicht auf die Schnelle wieder stoppen oder zeitlich aufschieben. Sie ist unmittelbar und passt somit häufig im Alltag nicht in die hoch strukturierten Abläufe, in denen wir als Eltern stecken. Wichtig ist es für Sie als Eltern dann zu wissen, dass Ihr Kind die Wut nicht gegen Sie persönlich richtet oder dass die Wut kein Ausdruck von regelrechter Bosheit ist. Wenn Sie es als Eltern schaffen, sich selbst in diesen Situationen zu steuern, um nicht auch mit in den Wutanfall zu verfallen, dann kann es Ihnen

Foto: ErikaMitchell

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mit der Zeit gelingen, Möglichkeiten aufzuzeigen, mit der Wut umzugehen. Ihr Kind wird dann im Verlauf Wut leichter regulieren können. Ist es für Familien nicht möglich, Wut zu regulieren, so kann dies langfristig zu schweren Störungen in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern führen. Diese Kinder sind dann häufig übellaunig, werten sich selbst ab, trauen sich weniger zu und sind trauriger als andere Kinder. Mit den normalen „Bordmitteln“ einer Familie ist dieser Zustand häufig nicht mehr zu verändern. Wir bieten in der Ambulanz bewusst schon im Vorschulalter eine Behandlung ausgeprägter Störungen der Beziehung an, damit früh Leid abgewendet werden kann. Die Behandlung zielt auf eine bessere gegenseitige Kooperation zwischen Kindern und Eltern ab. Als ersten Schritt allerdings wird die Beziehung verbessert; d.h. durch gezielte Strategien soll der Selbstwert der Kinder angehoben, Frustration vermindert und positive Erlebnisse geschaffen werden. Eltern werden in dieser Behandlung über den gesamten Zeitraum hinweg mit ein-

gebunden, so dass der Behandlungserfolg direkt ins familiäre Umfeld aber auch in die weiteren Lebensumfelder der Kinder getragen wird (Kindergarten, Sportvereine, etc.). Als erste Anlaufstellen bei zunehmenden Problemen im familiären Umfeld in Kiel sind die Erziehungsberatungsstellen, das Kinderschutzzentrum und Praxen niedergelassener Kinder- und Jugendpsychiater*innen zu nennen. Überprüfen Sie also gerne Ihre eigene Einstellung zur Wut und suchen Sie bewusst die vermeintlich positiven Anteile der Wut, damit Sie Ihren Kindern im lohnenswerten Umgang mit der Wut eine große Hilfe sein können. Dr. Björn Osterhage ist Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Oberarzt am ­ mbulanzzentrum ZIP Kiel A

Kinderkram Nr. 222 · September 2020


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