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Respekt? VOLL
from Kinderkram 225
by Rönne Verlag
Braucht unsere Gesellschaft mehr Respekt?
Schüler und Schülerinnen, die Lehrkräfte beleidigen, wiederholt den Unterricht stören, am Handy spielen und offenbar keine Regel einhalten. Ein Kindergartenkind, das absichtlich Schneematsch in eine Bäckerei wirft und Eltern, die dieses Fehlverhalten ignorieren. Diffamierungen und Hasskommentare im Internet. Geht in unserer Gesellschaft der notwendige Respekt verloren? Und was ist das überhaupt: Respekt?
Das Wort Respekt kann je nach Kontext verschiedene Bedeutungen haben. Zum einen geht es um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Demnach ist jede Andersartigkeit zum Beispiel hinsichtlich Verhalten, Denkweise, Moral, Herkunft oder Religion grundsätzlich zuzulassen und nicht zu bewerten; Begegnungen erfolgen auf Augenhöhe, weshalb in der Forschung auch von horizontalem Respekt gesprochen wird. Vertikaler Respekt drückt sich in Form von Anerkennung aufgrund von besonderen Fähigkeiten, Leistungen oder Eigenschaften aus. Darüber hinaus wird der Begriff Respekt aber auch als Anerkennung von Autoritäten verwendet, was in Unterwürfigkeit gegenüber diesen Personen oder Institutionen resultiert oder als Angst vor Machtausübung, was sich in Unterwerfung und blindem Gehorsam ausdrückt.
Prof. Dr. Niels van Quaquebeke, Professor für Organisationspsychologie und Führung in Hamburg, warnt davor, in der Debatte um einen vermeintlichen Zuwachs an Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft vorschnell Schlüsse zu ziehen. Weder sind ihm wissenschaftliche Untersuchungen bekannt, die eine solche Entwicklung bestätigen, noch konnten Studien wesentliche Veränderungen der Wertestruktur in Deutschland über die letzten Generationen belegen. Allerdings ist im Nachkriegsdeutschland ein deutlicher Verlust an Gehorsam zu verzeichnen. Eine Entwicklung, die ja durchaus positiv interpretiert werden kann – van Quaquebeke zu Folge in Kombination mit einer medial exzessiv zur Schau gestellten Streitlust, der Möglichkeit, im Netz anonym und somit folgenlos zu beleidigen, einem generellen Fokus auf negative Schlagzeilen und tatsächlich wachsenden Herausforderungen durch eine zunehmend heterogene Gesellschaft allerdings leicht als zunehmende Respektlosigkeit verstanden werden kann.
Früher war nicht alles besser, sondern anders!
Aber heißt das nun, dass wir nicht mehr Respekt brauchen? Nein! Es heißt nur, dass früher nicht alles besser war, nur anders. Unsere Welt braucht jede Menge Respekt, sie kann gar nicht genug davon bekommen. Und zwar zwischenmenschlich ebenso wie im übertragenen Sinn gegenüber der Natur, im Umgang mit den Ressourcen unserer Erde und nicht zuletzt auch uns selbst gegenüber. Nur wie kann es gelingen, unseren Kindern diesen Wert in all seinen Facetten beizubringen? Sie vielleicht sogar besser darin zu machen als wir selbst es bisher waren? Indem wir Respekt leben!
Respekt in Form von Gleichwürdigkeit setzt die Einsicht voraus, Menschen trotz ihres Andersseins als gleichwertig anzusehen. Und es bedeutet, dieses Anderssein wahrzunehmen, ohne den Menschen zu verurteilen oder gar verändern zu wollen. Dabei dürfen wir durchaus anderer Meinung sein und können dies auch kundtun, aber eben als unsere Meinung und nicht als Fakt. Und das ist schon in den kleinen Dingen nicht einfach. Wie oft glauben wir im Recht zu sein? Kritisieren den Partner, weil er den Müll nicht richtig hinunterbringt oder den Käse falsch schneidet. Wir fallen der Freundin ins Wort oder lästern über den Kollegen, der gerade den Raum verlassen hat. Besserwisserei erzeugt vielleicht vorübergehend ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit, ist aber immer respektlos.
Eltern sind wichtige Vorbilder
Dabei sind Erwachsene, die sich respektvoll gegenüber anderen verhalten, wichtige Vorbilder für das Erlernen von Respekt. Kinder beobachten ihre Eltern sehr genau und imitieren deren Verhalten. Doch noch viel wirksamer als jedes Vorbild ist das eigene Erleben. Wenn Eltern respektvoll mit ihren Kindern umgehen, können
DRAUSSEN NASS?
DRINNEN NASSER!
Regen, Hagel, Schneegestöber? Ab in die Kieler Bäder! Das Hörnbad und die Schwimmhalle Schilksee machen auch bei Schietwetter Riesenspaß.
diese Respekt fühlen. Immer wieder beobachte ich allerdings Eltern, die auf dem Spielplatz oder im Café auf ihrem Handy herumtippen, während ihre Kinder spielen. Kommt dann eines der Kinder auf sie zu und erzählt voller Begeisterung, bittet um Anschwung oder möchte kuscheln, stört es die Eltern und wird von diesen genervt weggeschickt mit Worten wie: „Spiel weiter, du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.“ Das Handy ist wichtiger. Dabei brauchen Kinder Aufmerksamkeit, Rückversicherung und Nähe von ihren Eltern. Vielleicht nicht immer sofort und nicht in der Art, in der sie dies einfordern, aber eine zugewandte Antwort, in der der Wunsch des Kindes möglicherweise nicht erfüllt, aber doch anerkannt wird, haben sie in jedem Fall verdient. Alles andere ist respektlos.
Respekt gegenüber Kindern und Jugendlichen bedeutet unter anderem, dass diese ohne Angst vor Demütigung oder Bloßstellung altersgerecht aufwachsen können. Dass sie Fehler machen dürfen und nicht für ihre Taten, sondern für ihr Sein Wertschätzung erfahren. Prinzipien, die der Realität an Schulen leider zu oft widersprechen. Fehler und Schwächen Einzelner werden vor der gesamten Klasse thematisiert, manche Kinder fühlen sich gedemütigt und bloßgestellt, gehen nur noch mit Bauchweh zur Schule. Und auf der anderen Seite gibt es Schüler*innen, die Klassenkameraden ebenso wie Lehrkräfte beleidigen und keine Regel einhalten. Respektlosigkeiten auf beiden Seiten. Aber was unterscheidet Pädagog*innen, die auch mit herausfordernden Klassen zurechtkommen von anderen, bei denen sogar die entspannteste Klasse macht was sie will? Ein Blick zwei Generationen zurück verdeutlicht, dass Disziplin in der Schule damals häufig durch Angst vor den Lehrkräften erzwungen wurde. Zwar mag diese Art der Unterdrückung in der Vergangenheit funktioniert haben, heute ist ein solch respektloses, dem Prinzip der Gleichwürdigkeit eines jeden Menschen widersprechendes Verhalten glücklicherweise inakzeptabel. Ich glaube, dass Lehrerinnen und Lehrer heutzutage dann Respekt erfahren, wenn sie ihre Schüler*innen respektieren. Aber wie bringen Lehrkräfte diesen Respekt zum Ausdruck? Zum Beispiel indem Regeln für alle gleichermaßen gelten. Es sollte selbstverständlich sein, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, wenn dies auch von der Schülerschaft erwartet wird. Aber ebenso wichtig ist es zu zeigen, dass diese Regel auch für alle anderen gilt, immer und jeden Tag und dass es bei Nichteinhaltung verlässlich Konsequenzen gibt. Wer mal gar nicht und mal streng agiert, signalisiert damit, dass die Regel nicht immer gleich relevant ist und mal für einige gilt und ein anderes Mal für andere nicht. Ein solches Verhalten ist denjenigen gegenüber respektlos, die die Regel bisher eingehalten haben.
Wie können Eltern mit respektlosem Verhalten ihrer Kinder umgehen?
Und wie kann die Mutter des Kindergartenkindes, das absichtlich Schneematsch in die Bäckerei geworfen hat, auf das respektlose Verhalten ihres Kindes reagieren? Sie könnte mit dem Kind an der Hand in die Bäckerei gehen, sich für die entstandene Sauerei entschuldigen, dicke Schneeklumpen aufheben und ihre Hilfe bei der restlichen Beseitigung des Schneematsches anbieten. Damit zeigt sie Respekt gegenüber dem Personal der Bäckerei, das vermutlich für die Reinigung zuständig ist und über die unnötige Extraaufgabe sicherlich nicht begeistert sein wird. Vielleicht muss sie auch die schlechte Laune der Verkäuferin oder des Verkäufers aushalten. Ihrem Kind gegenüber zeigt sie Respekt, indem sie im Laden die Verantwortung für eine Situation übernimmt, der ein Kindergartenkind noch nicht gewachsen ist, ohne dabei das Kind zu beschimpfen oder in Anwesenheit desselben über das Kind zu sprechen. Durch die Hand, die sie ihrem Kind gibt, signalisiert sie: „Ich setze deinem Aktionsradius jetzt eine Grenze. Ich bin bei dir und stehe zu dir, auch wenn du etwas falsch gemacht hast. Du bist es mir wert.“ So unangenehm die Situation für die Mutter auch sein mag, für das Kind birgt sie die Chance, eine Menge über respektvolles Verhalten zu lernen.
Respekt ist in unserer Gesellschaft wichtig, aber egal wie vehement er angemahnt wird – er lässt sich nicht einfordern. Respekt ist eine Haltung, die von Demut anderen Menschen gegenüber gekennzeichnet ist. Er ist wechselseitig und entsteht in Resonanz zwischen Menschen. Weder kann eine solche Haltung, die im Innern wächst, von außen verlangt werden, noch kann erwartet werden, dass eine solche Haltung vom Gegenüber auch tatsächlich als respektvoll empfunden wird. Und dennoch oder gerade deshalb ist dies ein Plädoyer für ein Bemühen um Respekt.
Nele Borm ist pädagogischpsychologische Beraterin, Familien- und Eltern-Coach sowie Hospiz- und Trauerbegleiterin in Kiel-Holtenau. www.beratungspraxis-borm.de