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Dr. Michael Stumpf: „Spuren des napoleonischen Russlandfeldzuges 1812 in bayerischen Kirchen“

210 Jahre zurückgeblickt

SPUREN DES NAPOLEONISCHEN RUSSLANDFELDZUGS 1812 IN BAYERISCHEN KIRCHEN

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In diesen Tagen vor 210 Jahren begann das Ereignis, welches den Abstieg des genialen Feldherrn Napoleon Bonaparte einleitete. Die im Frieden von Tilsit 1807 getroffenen Vereinbarungen zwischen Napoleon und dem russischen Zaren hielten nicht lange. Ab dem 24. Juni 1812 überquerte Napoleon mit seiner Grande Armée den Grenzfluss Memel und marschierte in das Riesenreich des Zaren ein. Bestandteil der Grande Armée war auch ein bayerisches Kontingent von 30.000 Soldaten; weitere 5.000 Soldaten wurden auf Drängen von Napoleon nachgeschickt. Der unselige Verlauf des Feldzugs ist oftmals beschrieben und auch analysiert worden. Als ab dem 12 Dezember 1812 die noch vorhandenen Truppen die Memel ein weiteres Mal, diesmal in Richtung Heimat, überschritten, wurde das Ausmaß der Verluste deutlich. Von den 35.000 Soldaten des bayerischen Kontingents waren 30.000 umgekommen. So ist es auch am Fuß des am Karolinenplatz in München im Auftrag von König Ludwig I. errichteten Obelisken vermerkt. Eine Reihe der glücklichen Heimkehrer brachte ihren Dank für das Überleben in Votivbildern zum Ausdruck; die Bilder zieren heute noch die Kirchen landauf landab. Erheblich zahlreicher jedoch, sind die im Stil von Votivbildern gefertigten Erinnerungsbilder; in großer Zahl berichten sie über den Verbleib einer geliebten Person in der Ferne. Nicht unüblich sind Bilder auf denen eine Dorfgemeinschaft oder Pfarrgemeinde kollektiv der nicht mehr heimgekehrten Soldaten gedenkt. 1

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Votivbilder von glücklich nach Hause gekommenen Soldaten

1 Die Tafel ist in der Kirche St. Korbinian in Dettendorf, Gemeinde Bad Feilnbach zu finden, ebenso wie im Buch „Dem Heil so nah“, 2016 herausgegeben vom Markt Bruckmühl. Korbinian Riedl war Gemeiner beim 1. Dragoner-Regiment und machte die Feldzüge in Tirol und Rußland mit. Im Moment seiner hier dargestellten Gefangennahme verlobte er, bei gutem Ausgang, dem Kirchenpatron Korbinian eine Bildtafel zu widmen, was er 1838 dann auch gemacht hat. 2 Das Votivbild befindet sich in der Wallfahrts- und Pfarrkirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Weihenlinden, einem Ortsteil des Marktes Bruckmühl. Auch dieses Bild ist in das vorerwähnte Buch aufgenommen. Bemerkenswert: Bartholomä Kellerer, der Verlober der Tafel, ist einer der drei heimgekehrten Soldaten, welche die einmalige, im Gotteshaus von Kleinhöhenkirchen verwahrte Darstellung der Schlacht von Polozk veranlaßt hatten. Die Heilige Dreifaltigkeit nimmt etwa die Hälfte des Bildes ein, symbolhaft für die Bedeutung des Ortes.

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3 Ein wahrer Schatz ist das Bild der 1. Schlacht von Polozk an der Düna vom 17./18. August 1812 aus dem Jahr 1834. Das Bild ist knapp 120 cm lang und in Öl auf Leinwand ausgeführt. Geschichtlich korrekt ist zwischen der ersten und zweiten Schlacht im Oktober unterschieden. Der Schwerpunkt mußte aus bayerischer Sicht auf der ersten liegen, fand doch dort der hochgeachtete General Deroy den Tod. Drei Soldaten aus dem Gebiet am Mangfallknie hatten das große Glück in die Heimat zurückzukehren: der Anton Messerer von Dilching, der Korbinian Schweiger von Grub und der schon erwähnte Bartlmä Kellerer von Kleinhöhenkirchen. Die drei veranlassten mit der Unterstützung weiterer die Anfertigung des Bildes. Den Rußländerjahrtag am ersten Sonntag im Juli gibt es noch heute. Quelle: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg (Foto: Konrad Rainer, Salzburg)

4 4 Eine andere Einmaligkeit ist das „Blechbuch“ des Jakob Wimmer, aufbewahrt in der Pfarrkirche von Palling im Landkreis Traunstein. Geboren 1790 ging es für ihn vom Militärdienst gleich nach Russland. Im Anschluß daran nahm er an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Blätter des Buches sind den Schlachten 1814 von Brienne und Bar-sur-Aube gewidmet; wäre Arcis-sur-Aube noch dabei, wären die drei Straßennamen von München komplett. Weiter vorne im „Buch“ nochmal die Schlacht von Polozk, diesmal die vom Oktober. Einem Votivbild ähnlich, beschreibt er die Rettung aus einer äußerst misslichen Situation.

Erinnerungsbilder für Gefallene

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5 Wenige Kilometer südlich von Palling steht in der Ortschaft Traunwalchen die Wallfahrtskapelle Frauenbrunn. Dort gibt es ein Erinnerungsbild an Simon Wimmer, den Bruder des vorerwähnten Spenders des Blechbuchs von Palling, Jakob Wimmer. Durch Zufall traf Jakob nach der Schlacht von Polozk dort seinen Bruder Simon, der kurz darauf verstarb. Das Bild zeigt die beiden Brüder umgeben von weiteren durch Krankheit oder Blessuren gezeichneten Kameraden. Das Gnadenbild von Frauenbrunn, die Muttergottes mit Kind wacht über der Szene.

7 6 In Irsing, zwischen Traunreut und Stein an der Traun gelegen, ist ein anderes Soldatenschicksal dokumentiert. Erinnert wird an die Brüder Andreas und Georg Dieblinner, die in Russland geblieben sind. Das Kruzifix zwischen den gefalteten Händen weist darauf hin, dass sie tot sind. Ein Gnadenbild, das angerufen hätte werden können, um das Ganze zum Guten zu wenden, gibt es nicht. An seine Stelle ist der Kerkerheiland getreten, ein häufig verwendetes Motiv um das Leiden und die Entwürdigung des Menschen im Krieg auszudrücken.

7 In der selben Friedhofskapelle findet sich das Bild, welches der Prinhauser Bauer zum Andenken an seinen in Russland gebliebenen Bruder Michael herstellen hat lassen. Auch diese Familie ist lokalisierbar: der Weiler Brünhausen befindet sich wenige Kilometer nordwestlich von Oberfeldkirchen. Eine anrührende Darstellung; der Verstorbene mit Kruzifix in den Händen und Raupenhelm am Boden, blickt an dem Dreisproßbäumchen vorbei in den Paradiesgarten. Der Namenspatron Erzengel Michael wacht, ein Engel hält einen Kranz übers Haupt und im Wolkenloch erscheint das Christusmonogramm.

Zeugnisse kollektiver Erinnerung

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Denkmäler

10 8 Die Pfarrei Sachrang widmete ihren „auf Rußlands Eisfeldern Gestorbenen“ eine Erinnerungstafel. Sie befindet sich in der Pfarrkirche St. Michael. Mit viel Liebe und Akribie sind die sechs Personen in ihren individuellen Uniformen gemalt; ihre Raupenhelme sind sauber im Halbkreis vor den Soldaten abgestellt. Auch der aus dem Schwäbischen stammende und in Sachrang lebende Schneidermeister hat den Feldzug mitgemacht – und der hat überlebt; sein Todestag wird mit dem 23. März 1842 angegeben. Das obere Bilddrittel wird von der auf der Mond sichel ruhenden Muttergottes eingenommen, der Kirchenpa tronin.

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