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Mittwoch, 8. Oktober 2014

Deutsche Ausgabe

Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times.

Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich. Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt.

Gazprom: Chinas Freund, Europas Feind? UNSER THEMA DES MONATS

SEITEN 4-5 UND 8-9 Wladimir Potanin im Gespräch

Die Russen kommen

Der Milliardär und Chef des größten Nickel-Herstellers der Welt sprach mit RBTH darüber, was er von Sanktionen hält, wie er sein Unternehmen für Investoren

Investoren aus Russland sind nicht immer gern gesehen, dennoch investieren sie fleißig in die deutsche Wirtschaft, retten insolvente Betriebe und sorgen für Arbeitsplätze.

Unsere Inhalte unterscheiden sich je nach Plattform. Verpassen Sie also nicht:

aus aller Welt attraktiv machen will und welche Ziele er im internationalen Wettbewerb verfolgt. SEITE 2

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ITAR-TASS

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Manche von ihnen sind schon seit Jahren da und entwickelten sich aus eigener Kraft, andere nutzten kürzlich die Chance für eine Übernahme. RBTH stellt drei Unternehmen vor, die sich hierzulande engagieren. SEITEN 6-7

Tägliche Updates über aktuelle Ereignisse sowie Analysen, Experteninterviews, Bildergalerien und Videos über Russland und seine Menschen. Abonnieren Sie unseren Newsletter >> newsletter.rbth.com/subscribe/de_DE


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Unternehmen

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

INTERVIEW WLADIMIR POTANIN

«Es zählt nicht nur der erste Platz» DER TEILHABER UND CHEF DES WELTWEIT GRÖSSTEN NICKELHERSTELLERS DER WELT, NORILSK NICKEL, SPRACH MIT RBTH ÜBER DEN UMBAU SEINER RIESIGEN HOLDING, STRATEGIE UND SANKTIONEN Sie führen mit Norilsk Nickel ein privates Unternehmen. Haben sich die politischen Turbulenzen auf Ihre Arbeit ausgewirkt? Wir sind ein privates und gesetzestreues Unternehmen, das alle Kontrollinstrumente der Regulierungsbehörden implementiert hat und an den internationalen Börsen vertreten ist. Unsere Produkte sind wirtschaftlich von großer Bedeutung. So beliefert Norilsk Nickel europäische Unternehmen der Stahlindustrie mit Nickel. Die gegenwärtigen geopolitischen Spannungen sollten die Geschäfte von Norilsk Nickel nicht berühren. Das Unternehmen ist schließlich tief integriert in globale Wirtschaftsprozesse. Ich persönlich halte Sanktionen für ein zweischneidiges und für alle Beteiligten nachteiliges Instrument. Wirtschaftssanktionen schaden den Wirtschaftsakteuren und weisen immer auf ein Scheitern der Politik hin.

Befürchten Sie nicht, dass die Nachfrage nach Ihren Produkten auf westlichen Märkten zurückgehen könnte? Ein großer Teil der Produkte von Norilsk Nickel ist Börsenware, die von einem Markt auf einen

ALTER: 53 BERUF: UNTERNEHMER

Wladimir Potanin wurde 1961 in Moskau geboren und absolvierte die als elitär geltende Moskauer Universität für Internationale Beziehungen. Zwischen 1983 und 1990 arbeitete Potanin im sowjetischen Ministerium für Außenwirtschaft. 1990 wurde er Chef der privaten Außenhandelsorganisation Interros. 1993 übernahm er den Vorstand bei der privaten Bank Onexim. Zwischen August 1996 und März 1997 war Potanin als Vizepremier verantwortlich für Wirtschaft.

NIKOLAJ KOROLJOV

Wie weitgehend ist das Unternehmen an europäische und amerikanische Kunden gebunden? Welcher Schaden könnte Ihnen im Falle einer Ausweitung der Sanktionen entstehen? Norilsk Nickel verkauft einen großen Teil seiner Produkte in Europa und den USA. Wir liefern zum Beispiel Palladium für die Herstellung von Fahrzeugkatalysatoren. Auf dem PalladiumMarkt zeichnet sich ein strukturelles Defizit in den nächsten Jahren ab. Das wird die Preise in die Höhe treiben. Norilsk Nickel legt jedoch viel Wert auf die Loyalität seiner Kunden, daher schließen wir langfristige Verträge ab, die für beide Seiten vorteilhaft sind. Palladium wird auch für die Herstellung von Kohlendioxidfi ltern verwendet – ein kleines, aber für die Autoindustrie sehr wichtiges Element. Ein fehlender Katalysator, dessen Wert sich auf etwa 1.000 US-Dollar beläuft, könnte ein Auto im Wert 30.000 US-Dollar unverkäuflich machen. Norilsk Nickel geht es unter den gegenwärtigen Bedingungen gut, wir glauben nicht, dass uns die Sanktionen oder andere politische oder wirtschaftliche Maßnahmen betreffen werden. Unabhängig davon haben wir allerdings einen Plan B, der eine Währungsdiversifikation unserer Anlagen, aber auch die Möglichkeit einer stärkeren Orientierung unseres Unternehmen auf asiatische Märkte vorsieht – sollte es auf anderen Märkten schwierig werden.

BIOGRAFIE

anderen umgelenkt werden kann. Es ist keine Konsumware wie ein Kleid, Schuhe oder ein Auto, die in konkreter Ausführung von den Menschen gekauft werden. Man kauft einfach Nickel, ohne auf die Sorten zu achten. Es ist daher nicht zu befürchten, dass der Verkauf von Nickel grundsätzliche Probleme aufwerfen könnte. Die europäische Stahlindustrie ist mit unserem hochwertigen Nickel vertraut, in den USA kaufen Unternehmen unser Produkt, denen es nicht auf die Menge, sondern auf die Qualität ankommt. An den asiatischen Markt haben wir bislang weniger Anbindungen. Wir haben uns erst in den letzten Jahren mit ihm befasst. Im vergangen Jahr haben Sie schrittweise einige Auslandsaktiva verkauft. Wie ist der Rückzug Ihres Unternehmens von einigen Märkten zu erklären, war er Teil einer Strategie? Wir stoßen Vermögenswerte, die nicht zu unserem Kerngeschäft gehören und das Unternehmen nicht vorwärts bringen, konsequent ab. So sind wir komplett aus Investitionsprojekten in Australien ausgestiegen. Wir haben nur eine einzige australische Lizenz bewahrt. Derzeit bereiten wir den Rückzug aus Projekten in Afrika vor. Diese neue Weichenstellung hatten wir schon lange vor dem Beginn der politischen Turbulenzen in unserem Strategieplan festgelegt. Damals gab es allerdings noch Konfl ikte mit den Aktionären, und das Management war nicht zu ein-

deutigen Schritten bereit. Als die neue Ära unseres Unternehmens begann, bekam dieser Plan neue Konturen. Und es festigte sich de r pol it i sche Wi l le, i h n umzusetzen. Im vergangenen Jahr präsentierten Sie eine neue Unternehmensstrategie für Norilsk Nickel und starteten eine Road-Show für ausländische Investoren. Was war der Anlass? Jedes Unternehmen braucht eine für Investoren transparente Strategie, anhand derer sich beurteilen lässt, wie effektiv das Management arbeitet. Ihren Kern bildeten die Konzentration auf hochwertige Aktiva und ein effektiveres Management. Norilsk Nickel hat sich immer schon als ein Unternehmen positioniert, das dank der Qualität seiner Aktiva außer Konkurrenz steht. Uns war es aber auch wichtig, von Investoren als Unternehmen mit einem hochprofessionellen Management wahrgenommen zu werden. In London und New York stellten wir unsere Unternehmensstrategie sowohl den bereits vorhandenen als auch künftigen Investoren vor. Wir veranstalteten sogar in unseren Betrieben für das Management und die Beschäftigten Präsentationen über unseren Kurs. Jeder sollte an seinem Arbeitsplatz seine Aufgabe bei der Um s et z u n g de r St r at eg ie begreifen. Konnten Sie dadurch neue Investoren gewinnen? Ja, unsere Dividenden lockten

neue Investoren an, die hohe Erträge bei geringem Risiko suchten. Je breiter wiederum die Investitionsbasis, desto geringer die Volatilität der Aktien. Auf der Road-Show wollen viele Investoren entweder Norilsk-Nickel-Aktien sofort erwerben oder prüfen kurzfristig einen Aktienkauf. In diesem Fall sprechen wir über Investoren, die nicht auf das Land und die Branche schauen, für sie zählt das Risikoprofil. Norilsk Nickel ist für sie sowohl bezüglich der Dividenden als auch des Risikos attraktiv. Diese neuen Investoren, hauptsächlich aus den USA und aus Europa, sind bisher noch nicht zahlreich, aber es gibt sie. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolge der neuen Strategie? Als großer Erfolg ist zunächst unsere Kontrolle über die Herstellungskosten zu nennen. Zweitens haben wir alle standardmäßigen Prozesse innerhalb des Unternehmens optimiert. Es gibt jetzt abgestimmte Vorgaben für die korrekte Durchführung von Ausschreibungen. Drittens liegt nach EBITDA unsere Rentabilität bei 44 Prozent, was diese Kennziffer betrifft, stehen wir lediglich hinter BHP Billiton zurück und liegen noch vor RioTinto. Viertens haben wir unsere Beziehungen zu Banken und Rating-Agenturen erheblich verbessert und eine Restrukturierung unserer Bankdarlehen vorgenommen. Unter anderem sind jetzt die Laufzeiten der Kredite länger.

Wollen Sie auf Platz eins vorrücken und BHP Billiton bei der Rentabilität überholen? Was müssten Sie dafür tun? In der Wirtschaft ist es anders als im Sport, wo nur der erste Platz zählt. Mein Freund Wjatscheslaw Fetisow, ein weltbekannter Hockeyspieler, sagte einmal, der erste Schritt vom Podest führe immer nach unten. Wenn wir darüber reden, irgendwelche Plätze erreichen zu wollen, dürfen wir das Ziel und seine Wirkung nicht verwechseln. Es gibt immer Alternativen. Abhängig von unserer Politik im Erzbergbau werden wir entweder ein großes Produktionsvolumen bei einer etwas geringeren EBITDA-Marge erzielen, oder wir trennen uns von ineffizienten Geschäftsfeldern und erreichen eine höhere EBITDA-Marge. Wir streben für unsere wichtigsten Aktiva eine Rentabilität von 40 Prozent an. Insgesamt ist es in der Wirtschaft besser, nach allen Kennziffern Platz zwei zu erreichen, als bei einigen ganz oben, bei anderen weit unten zu stehen. Der Faktor der Risikobestimmung bemisst sich nicht nach den besten Kennziffern, sondern nach den schlechtesten. Ganz im Sinne von Wyssozki, der sang „Ein Boxturnier ist keine Prügelei, sondern Sport“. So ist auch unternehmerisches Handeln kein Sport, sondern Gewinnerzielung. Für unsere Konkurrenten von BHP Billiton gibt es aber dennoch keinen Grund, sich zu entspannen. Das Gespräch führte Alexej Lossan.


Konjunktur

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Sanktionen stützen Industrieproduktion

Die russische Wirtschaft stagniert, doch die Industrie trotzt dieser Entwicklung. Sie profitiert vom Embargo und vom Importersatzprogramm. Der Trend könnte sich fortsetzen. ALEXEJ SERGEJEW FÜR RBTH

Obwohl das russische Bruttoinlandsprodukt stagniert, verzeichnet die russische Industrie ein unerwartetes Wachstum. Nach einer Analyse des internationalen Finanzinstituts HSBC und des unabhängigen russischen Gaidar-Instituts für Wirtschaftspolitik schreibt die russische Industrie bereits den dritten Monat in Folge schwarze Zahlen. „Die Entwicklungen im Industriesektor sind trotz der gesamtwirtschaftlichen Situation und der Expertenprognosen durchaus natürlich für die momentane Nachfrage, so dass diese positive Produktionsdynamik auch weiterhin bestehen wird“, heißt es in einer Analyse des Gaidar-Instituts.

Produktionszuwachs in Maschinenbau und Landwirtschaft Laut Experten verzeichneten in diesem Jahr in erster Linie Maschinenbaubetriebe und Hüttenwerke einen Zuwachs in ihrer Produktion, da diese aufgrund des Einfuhrverbots von Gütern aus der Ukraine zusätzliche Absatzmöglichkeiten gewinnen konnten. Im August 2014 konnten sich weitere Wirtschaftszweige, die sich auf den Binnenmarkt konzentrieren, diesem Trend anschließen. Zu diesen gehört beispielsweise die Lebensmittelindustrie, die nach dem russischen Einfuhrstopp für Lebensmittel von der Suche der russischen Einzehändler nach russischen Herstellern profitiert. Den Ergebnissen der Analyse zufolge ist das Industriewachstum jedoch noch nicht vordergründig auf das Embargo gegen bestimmte Produkte aus der EU und anderen westlichen Ländern zurückzuführen, das erst seit August gilt. Vielmehr spiele die spürbare Abwertung des Rubels im Februar und März dieses Jahres eine Rolle.

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Industrie wächst trotz Stagnation in der Wirtschaft ZAHLEN

-15%

Die verarbeitende Industrie gehört zu den wenigen wachsenden Sektoren der rusischen Wirtschaft.

So viel betrug nach Angaben der föderalen Zollbehörde das Minus bei den Importen nach Russland im August verglichen mit dem Vorjahresmonat.

564 Millionen Euro. Um diesen Wert sank der Export von ukrainischen Eisenbahn-Waggons nach Russland allein im ersten Quartal 2014.

+1,3% Um diesen Prozentsatz legte die Produktion in der verarbeitenden Industrie zwischen Januar und August 2014 nach Angaben des Statistikamtes zu.

Russlands schwächelnde Währung wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach inländischen Industriegütern aus

Alexej Koslow, Chefanalyst bei UFS IC, stimmt den Ergebnissen zu und erklärt, dass das russische Industriewachstum auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sei: „Erstens steigt die Nachfrage im Hüttenwesen aufgrund des Importstopps aus der Ukraine“, erklärt der Experte. Zudem hänge die starke Nachfrage nach Metallen und metallurgischen Erzeugnissen auch mit der Umsetzung von großen Pipelineprojekten zusammen, darunter dem Bau der Leitung „South Stream“ nach Europa und der Pipeline „Sila Sibiri“ (Kraft Sibiriens) nach China. „Zweitens sind die staatlichen Aufträge an die Militärindustrie gestiegen“, meint der Analyst. Als dritten Grund nennt Koslow den Produktionsanstieg in der Lebensmittelindustrie und der Landwirtschaft, da der nach dem Importverbot von europäischen und USamerikanischen Lebensmitteln entstandene Bedarf durch inländische Produktion gedeckt werden müsse. Dmitrij Bedenkow, Chef des Analysedepartements der Investitionsgesellschaft Russ-Invest, hält fest, dass das Wachstum im Industriebereich vor allem dank der verarbeitenden Industrie zustande gekommen sei. „Das Wachstum dieses Industriezweigs betrug in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 2,6 Prozent, wohingegen der Bereich der Rohstoffförderung nur ein leichtes Plus von 0,8 Prozent verzeichnete“, so der Experte. Anton Soroko, Analyst bei der Investitionsholding Finam, ist zudem der Meinung, dass die Entwertung des Rubels Anfang des Jahres und ein Anstieg der Nachfrage in China den größten Beitrag zu den positiven Entwicklungen im Fertigungssektor geleistet haben. „In der Lebensmittelindustrie verzeichnet man derzeit Rekordge-

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winne aufgrund der massiven Beschränkung von Importwaren“, so Soroko.

Nachhaltiges Wachstum? „Insgesamt betrug der Industrieproduktionsindex für den Zeitraum Januar bis Juli 2014 101,5 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres“, erklärt Olga Isrjadnowa, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für

Russlands Maschinenbauer und Stahlkocher profitieren vom Einfuhrstopp bei ukrainischen Gütern. Die Schwäche der Finanzbranche und des Dienstleistungssektors sorgen dafür, dass die Wirtschaft stagniert. makroökonomische Studien der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und öffentlichen Dienst. In dieser Zeit habe vor allem die Fertigungsindustrie Zugewinne verzeichnen können. So sei die Produktion von Konsumgütern in diesem Zeitraum um 3,3 Prozent, die von Passagierwaggons um 5,7 Prozent und die Herstellung von Güterwaggons um 12,7 Prozent gestiegen. Die Textil- und Bekleidungsbranche verzeichnete ein Plus von sechs Prozent, die Herstellung von Elektrobauteilen für den Mobilfunk nahm um 17,6 Prozent zu. Doch können sich bei Weitem nicht alle Bereiche der russischen Wirtschaft über ein Wachstum freuen. „Zu den schwächelnden Sektoren, die verhinderten, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten

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Quartal 2014 einen Zuwachs verzeichnet, zählen der Dienstleistungsbereich sowie der Finanzsektor. Der massenweise Entzug von Banklizenzen durch die Zentralbank, die Instabilität des Rubels sowie die Verschärfung der geopolitischen Lage haben den Finanzsektor stark in Mitleidenschaft gezogen“, erklärt Alexej Koslow. Olga Isrjadnowa meint zudem, dass der Rückgang im weltweiten Verbrauch von russischen Energieträgern das Wirtschaftswachstum im Land ebenfalls verlangsamt. „Die negativen Auswirkungen dieser gesamtwirtschaftlichen Dynamik führen zu einem Exportrückgang bei traditionellen Rohstoffen und deren Nebenprodukten sowie zu einem Rückgang im Bau- und Investitionsbereich“, sagt die Expertin. Zudem hätten Automobilhersteller einen Rückgang von 0,7 Prozent und Lkw-Produzenten einen Einbruch von 21,1 Prozent von Januar bis Juli 2014 zu verzeichnen. Die Experten merken zudem an, dass das Wachstum im Industriesektor die Jahresprognosen des russischen Wirtschaftsministeriums von 1,7 Prozent übersteigen werde. Laut der Studie des Gaidar-Instituts könnte das Wachstum bei günstigen Bedingungen sogar bis in das erste oder zweite Quartal 2015 anhalten, denn dann könnten sich auch in der Lebensmittelindustrie die aus Sicht der Hersteller positiven Effekte des Importersatzprogramms zeigen. Auf diese Weise würde es der russischen Wirtschaft gelingen, der a k t ue l le n St ag n at ion z u entkommen. Eine Konfrontation mit westlichen Staaten könnte sich allerdings in jedem Fall kurzfristig negativ auf das russische Wirtschaftswachstum auswirken, sagt Finam-Analyst Anton Soroko.

DIE NÄCHSTE AUSGABE erscheint am 5. November 2014


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Thema des Monats

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RUSSLANDS GASEXPORTE GAZPROM WILL SEINE EXPORTE DIVERSIFIZIEREN UND SICH UNABHÄNGIGER VON ABNEHMERN MACHEN. GEHT DAS ZU LASTEN SEINER LANGJÄHRIGEN KUNDEN IN EUROPA?

GAZPROM BLICKT NACH OSTEN Gazprom plant im November einen weiteren Gas-Deal mit China. Zugleich lehnte es das Unternehmen ab, seine Gasexporte nach Europa aufzustocken. ALEXEJ LOSSAN RBTH

Russland will in Zukunft noch mehr Gas nach China exportieren. Wenn es nach Gazprom geht, könnte bereits im November auf einem Treffen der Asiatisch-Pazifischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (APEC) in Peking ein neuer Vertrag unterschrieben werden. Dies wäre bereits das zweite große Handelsabkommen mit China, nach dem im Mai bereits die Lieferungen aus Vorkommen in Jakutien vereinbart wurden. Laut Energieminister Alexander Nowak sei diesmal eine Route weiter westlich, nämlich durch die Altai-Region, im Gespräch. Auf dem geplanten Gipfeltreffen soll nach den Vorstellungen der russischen Delegation ein Vertrag über die Lieferung von insgesamt 30 Milliarden Kubikmeter Gas für die nächsten 30 Jahre geschlossen werden. Allerdings seien auch höhere Mengen von 60 oder gar 100 Milliarden Kubikmetern Gas denkbar, so Nowak. Zum Vergleich: Nach Europa lieferte Gazprom im vergangenen Jahr 161,6 Milliarden Kubikmeter Gas, davon allein 41 Milliarden Kubikmeter nach Deutschland. Die Bundesrepublik ist damit der größte Verbraucher von russischem Gas in Europa und Russlands größter Gaskonzern der wichtigste Gaslieferant auf dem europäischen Markt. Das Unternehmen versorgt mehr als ein Viertel aller europäischen Verbraucher. Dennoch ist das Verhältnis zwischen Gazprom und Europa angesichts der aktuellen Krise um die Ukraine angespannt. Mitte September 2014 hatte das Unternehmen seinen europäischen Abnehmern, speziell dem polnischen Gas- und Erdölkonzern PGNiG, eine Aufstockung des Lieferumfangs verwehrt. Das Unternehmen hatte um eine Erhöhung der Liefermenge gebeten, was von der von russischen Seite abgelehnt wurde, wie der polnische Konzern mitteilte. Mehr noch: Polen habe rund

20 Prozent weniger Gas erhalten als ursprünglich bestellt.

Russlands Machtdemonstration Vor diesem Hintergrund ist die weitere Annährung Russlands an China zu betrachten. Die Verhandlungen darüber, Gas auch auf einer westlichen Route nach China zu liefern, wurden nach dem Vertragsabschluss zwischen Gazprom und dem chinesischen Energiekonzern CNPC über die Lieferung von 400 Milliarden US-Dollar (rund 311 Milliarden Euro), im Mai dieses Jahres aufgenommen. Das Gas soll über die neue Pipeline Sila Sibiri („Kraft Sibiriens“) fließen, deren Bau bereits im September 2014 begonnen wurde. Die geplanten Gaslieferungen sollen dabei aus den Erdgasvorkommen in Ostsibirien gespeist werden. Ilja Balakirew, Chefanalyst bei der Investmentgesellschaft UFS, sieht in den Verhandlungen über eine zweite Lieferroute nach China eine Machtdemonstration Russlands. „Gazprom lässt durchblicken, dass es dazu bereit sei, Gaslieferungen, die in die EU exportiert werden, buchstäblich nach China umzuleiten. Im Vorfeld weiterer Verhandlungen über die Zukunft von South Stream sowie der ukrainischen Gaslieferungen stellt dies ein klares Zeichen seitens Russlands dar“, erklärt der Analyst. Dass eine Exportroute weiter westlich auch die klassischen Gasfelder Westsibiriens für China öffnen könnte, hat Gazpromchef Alexej Miller bereits angedeutet. Gleichzeitig sind sich Experten sicher, dass der europäische Absatzmarkt weiterhin eine Schlüsselregion für Gazprom bleiben wird. „Der europäische Markt hat für Russland weiterhin eine hohe Priorität – das heißt, er ist für Gazprom der wichtigste Markt. Dass man derzeit eine ganze Reihe an strategisch wichtigen Problemen auf dem europäischen Markt lösen muss, ist ein anderes Thema“, so Ilja Balakirew. Insgesamt liefert Gazprom etwa ein Drittel seines gesamten Exportvolumens nach Europa, mehr als die Hälfte seiner Einnahmen generiert der Gaskonzern damit aus Geschäften in der Europäischen Union. Darüber hinaus verfügt Gazprom in Europa, genauer in Österreich, Großbritannien, Deutschland und Serbien, über unterirdische Gasspeicher mit einem Volumen von insgesamt 4,5 Milliarden Kubikmetern. Gazprom ist daher bemüht, seine europäischen Partner zu beruhi-

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FAKTEN ÜBER RUSSLANDS GASEXPORTE

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Bereits Mitte der 40er Jahre startete der Export von Gas nach Polen. 1967 folgte die Tschechoslowakei. Ein Jahr später unterschrieb die Sowjetunion einen Vertrag mit der österreichischen Firma OMV über die Belieferung Westeuropas.

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Deutschland ist der wichtigste Partner von Gazprom in Europa. Seit 1973 hat Russland bereits über eine Billion Kubikmeter Gas in die Bundesrepublik (einschließlich DDR) geliefert.

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Der Preis für Gas hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht. Während die Exportmenge Russlands seit Jahren stabil blieb, stieg der Erlös aus dem Verkauf von 20 Milliarden US-Dollar im Jahr 2003 auf 67 Milliarden US-Dollar 2013.

Geht es nach Gazprom, könnte bereits bei einem Treffen im November ein neuer Vertrag mit China unterschrieben werden.

ZAHLEN

28

34

40,15

Prozent

Prozent

beträgt der Anteil Russlands an den weltweiten Gasreserven. Dabei entfallen zwei Drittel auf Gazprom.

der deutschen Gasimporte entfallen auf Lieferungen aus Russland. An zweiter Stelle liegt Norwegen mit 31 Prozent.

Milliarden Kubikmeter

gen. Wie Gazprom-cChef Miller in einem Gespräch mit Präsident Putin Mitte September äußerte, bezögen sich die Beschwerden europäischer Abnehmer über zu geringe Liefermengen lediglich auf angeforderte Zusatzlieferungen. „Es ging um sogenannte zusätzliche Mengen. Und es bestehen keine Zweifel daran, dass wir nach dem Abschluss der Periode der Einspeisung, der aktiven Anreicherung von notwendigen Gasvorräten in unseren unterirdischen Speichern dazu fähig sein werden, die zusätzliche Nachfrage unserer europäischen Verbraucher zu befriedigen“, sagte Miller. Zuerst freilich müssen die eigenen Gasspeicher gefüllt werden. Russland erwartet nach Angaben der Meteorologen einen sehr kal-

Erdgas lieferte Russland 2013 nach Deutschland und stellte somit einen Rekord auf.

ten Winter. Daher sollen die Gasvorräte in den Untergrundspeichern auf 72 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Diese Vorratsmenge würde einen Rekord in der Geschichte dieser Branche darstellen.

Kein Gas für die Ukraine Tatsächlich betroffen von Lieferkürzung war die Ukraine. Denn die fehlenden Zusatzmengen in Polen führten schließlich dazu, dass das Land den Reexport von russischem Gas an die Ukraine im September einstellen musste. Zudem drosselte Gazprom auch die Gaslieferungen über die Ukraine und die Slowakei nach Polen. Anfang September wurden noch mehr als 60 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag geliefert, seit dem


Thema des Monats

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CHRONIK

So erweiterte Russland sein Leitungssystem 1980 • Die Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnen einen Vertrag über den Bau einer Pipeline, die Gas aus dem sibirischen Urengoi nach Westeuropa transportieren soll. Der Bau beginnt 1981. Später stoßen weitere Länder zum Projekt, darunter Frankreich und Italien.

1992 • Gazprom prüft eine neue Trasse für den Gasexport von der sibirischen Jamal-Halbinsel bis zur deutsch-polnischen Grenze. Ein Jahr später unterzeichnen Russland, Polen und Belarus einen Vertrag über den Bau der Leitung. Das erste Gas strömt im Jahr 1999.

2005 • BASF, Eon Ruhrgas und Gazprom unterzeichnen ein Abkommen über den Bau der Pipeline vom russischen Wyborg durch die Ostsee bis ins mecklenburgische Lubmin. Der Bau der Nord Stream Pipeline startet 2010. Bereits zwei Jahre später ist der erste Strang fertiggestellt.

2009 • Gazprom und der italienische Energiekonzern Eni gründen die South Stream AG in der Schweiz, später beteiligen sich auch Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich an dem Projekt. Der Bau beginnt Ende 2012. Im Sommer legte Bulgarien auf Druck aus Brüssel seine Teilnahme auf Eis.

2012 • Gazprom beginnt mit der Planung einer Leitung vom Gasfeld Tschajanda in Jakutien bis nach Wladiwostok. Im Mai bekam das Projekt mit dem Namen Sila Sibiri (Kraft Sibiriens) durch einen Gas-Deal mit China einen neuen Impuls. Vor wenigen Wochen begann der Bau.

Transbaikalien soll schon bald aus dem Dornröschenschlaf erwachen

Neue Hoffnung durch Gas und Pipeline-Bau Die Region Transbaikalien wird Teil des nationalen Gassystems. Die Regionalregierung erwartet neue Impulse für die Wirtschaft und mehr Kooperation mit China. ANNA KUTSCHMA

Gasanschluss beträgt die durchschnittliche Grundfläche von Häusern etwa 40 bis 50 Quadratmeter. Mit Gasanschluss steigt die Zahl auf 120 bis 130 Quadratmeter“, freut sich Gouver neu r Ilkowskij.

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12. September 2014 erhalten die Abnehmer nur noch 50 bis 55 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag. Der polnische Konzern PGNiG konnte daher noch bis vor kurzem 4,2 Millionen Kubikmeter des von Polen bezahlten Gases an den ukrainischen Konzern Naftogaz weiterverkaufen. Naftogaz war, nachdem Gazprom die Preise von 210 auf 380 Euro pro 1.000 Kubikmeter Gas erhöht hatte, in Bedrängnis geraten und hatte von Polen und Ungarn Reverslieferungen erbeten. Diese Lieferungen werden jedoch von Gazprom als illegal erachtet. Das Gas, das für Polen bestimmt ist, werde noch auf ukrainischem Territorium angekauft, dort, wo auch die direkten Gaslieferungen an ukrainische Abnehmer aufliefen. Weil es also keine echten Rücklieferungen gibt, das Gas die Ukraine also nie verlässt, sieht Gazprom darin einen Verstoß gegen die Vertragsbedingungen. Gazprom selbst will kein Gas in die Ukraine liefern, bis das Land seinen Schuldenberg von rund vier Milliarden Euro gegenüber Russland beglichen hat.

Genug für Europa und China „Gazprom hat mehrfach betont,

dass der europäische Markt für den Konzern sehr wichtig ist – ungeachtet seiner Zusammenarbeit mit Partnern auf der ganzen Welt. Man beabsichtigt daher auch nicht, die Präsenz in Europa einzustellen“, so Dmitrij Baranow, führender Experte bei Finam Management. Sollte Gazprom kein Gas mehr nach Europa liefern, wäre der Konzern faktisch dazu gezwungen, den Umfang seiner Tätigkeit wesentlich zu reduzieren. „Die Möglichkeiten sowie die Gasreserven, über die das Unternehmen verfügt, reichen aus, um gleichzeitig sowohl auf dem östlichen als auch auf dem westlichen Markt zu agieren. In diesem Sinne kann von einer Strategieänderung nicht die Rede sein – auch in Zukunft nicht“, erklärt Baranow. „Solange Europa nicht auf Gas- sowie Erdöllieferungen aus Russland verzichtet, wird Gazprom auch niemals in Erwägung ziehen, die Gaslieferungen für europäische Konsumenten zu verweigern“, so der Experte. Außerdem ist Ilja Balakirew der Meinung, dass „die Gaspreise für Europa eher sinken könnten – allerdings erst dann, wenn Gazprom in für den Konzern entscheidenden Punkte Fortschritte sieht“.

Mit einer Unterschrift besiegelten Gazprom und die Regierung von Transbaikalien am 19. September dieses Jahres eine Zusammenarbeit, die, wenn es nach den lokalen Machthabern geht, der wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Reg ion neues Leben einhauchen soll. „Für uns ist das sehr wichtig, weil Transbaikalien praktisch die einzige Region ist, in der Gazprom noch nicht vertreten ist, mit Ausnahme kleinerer Lieferungen von Flüssiggas für den täglichen Bedarf der Bevölkerung“, erklärt der Gouverneur des Gebiets Konstantin Ilkowskij im Gespräch mit RBTH. „Mit dem neuen Vertrag können wir nun ein Teil des sogenannten östlichen Gasprogamms werden“, fügt er hinzu. Die Mehrheit der entlegenen Regionen Russlands kommt ohne Leitungsgas aus. 2007 legte die Regierung ein spezielles Programm auf, das dies ändern soll. Der Anschluss an die Gasversorgung eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Entwicklung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, ganz zu schweigen von dem allgemein verbesserten Lebensniveau. „In Gebieten ohne

Zusätzliche Exporte Eine weitere Frage, die die Gebietsverwaltung mit Gazprom und der russischen Regierung diskutiert, ist die Möglichkeit von Gasexporten nach China durch Transbaikalien. Die Region verfügt über eine 1.200 Kilometer lange Gren-

Der Anschluss an die Gasversorgung bietet neue Chancen für kleine und mittelständische Unternehmen. ze mit dem südlichen Nachbarland. „In unserer Region liegt bereits der größte Grenzübergang zwischen Russland und China, sowohl für Autos als auch für Eisenbahnen. Eine Ergänzung um ein Gasterminal wäre absolut folgerichtig“, erklärt Konstantin Ilkowskij. Zudem bestünde die Möglichkeit, künftig den Export von Getreide aus den sibirischen Provinzen nach Asien aufzunehmen. Die Gasifizierung der Region wird ohne Zweifel die regionale Konjunktur ankurbeln, meint auch Sergej Lukonin, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum

Wie Russland die Gaswirtschaft stärkt Das sogenannte „Östliche Gasprogramm“ fördert in erster Linie die Gasgewinnung in östlichen Regionen Russlands. Hierfür werden neue GasCluster auf der Grundlage von neuen großen Vorkommen geschaffen. Die zweite Stoßrichtung ist der Aufbau der Gasinfrastruktur im Osten des Landes. Dritter Punkt ist die Gasifizie-

rung der Regionen in Sibirien und dem Fernen Osten. Das Programm wird heute von Gazprom umgesetzt. Zusammen mit der Förderung wird auch die Gasverarbeitung, darunter die Herstellung von Flüssiggas zunehmen. Die Vorräte der wirtschaftlich förderbaren Ressourcen belaufen sich auf fünf Billionen Kubikmeter.

für asiatisch-pazifische Studien bei der Russischen Akademie der Wissenschaften. „In erster Linie entstehen Anreize für Joint Ventures mit China, etwa im Bereich der Petrochemie“, erklärt Lukonin. Laut dem Experten sei China derzeit interessiert, sein Kapital gewinnbringend anzulegen. Eine Möglichkeit sei, energie- und ressourcenintensive Produktionen näher an den Rohstoffquellen aufzubauen. Theoretisch kann Pipelinegas auch über einen Arm der neuen Pipeline „Sibiriens Kraft“ nach Transbaikalien gelangen. Hier sei allerdings die Frage der ökonomischen Effizienz besonders wichtig, hebt Viktoria Gimadi hervor, Leiterin der Abteilung für Energiewirtschaft am Analysezentrum bei der Regierung der Russischen Föderation. Nach Angaben der Regionalregierung könne der Gasbedarf der Region bis zum Jahr 2030 auf sechs Milliarden Kubikmeter Gas jährlich steigen, während Gazprom von einer Nachfrage von 1,2 Milliarden Kubikmeter ausgeht.

Eigener Gasanschluss Die Gasifizierungspläne haben die Gebietsverwaltung dazu bewegt, auch über die Förderung eigener Vorkommen nachzudenken. „In diesem Jahr haben wir uns zusammen mit den staatlichen Behörden für Geologie und Bodennutzung aktiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Gazprom ist ebenfalls interessiert an dieser Arbeit“, berichtet der Gouverneur. Momentan gibt es zwei Vorkommen von Öl und Gas, die als aussichtsreich gelten. „Die Vorräte sind nicht besonders groß. Voraussichtlich kann man hier etwa eine Milliarde Kubikmeter Gas fördern, was nicht viel ist, aber für einen geringen Export ausreichen könnte“, erklärt Ilkowskij. Experten beurteilen die Initiative der Regionalregierung positiv. „Transbaikalien ist noch nicht genügend erkundet“, sagt Dmitrij Abzalov vom Zentrum für strategische Kommunikation. „Gleichzeitig gibt es neue Kooperationsmöglichkeiten mit China. Die Erkundung und Förderung von Gas könnte große Chancen für Firmen eröffnen, die auf niedrige Energiepreise angewiesen sind.“


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Investitionen

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RUSSISCHE DIREKTINVESTITIONEN DEUTSCHLAND BLEIBT EIN BELIEBTES ZIELLAND FÜR RUSSISCHE INVESTOREN. DIE FLAUTE WÄHREND DER UKRAINE-KRISE SEHEN EXPERTEN NICHT ALS TRENDWENDE.

DEUTSCHLAND TROTZ KRISE ALS STANDORT GEFRAGT Russische Investoren haben nicht den besten Ruf, dabei kaufen sie insolvente Unternehmen und erhalten Arbeitsplätze. Gegenwärtig aber halten sie sich wegen der Krise zurück. MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Heikel und diskussionswürdig, so bezeichneten einige deutsche Politiker den Verkauf der RWE Dea AG, der Öl- und Gasfördertochter des deutschen Energiekonzerns RWE, an die Investorengruppe LetterOne aus Luxemburg. Der Grund dafür ist, dass hinter LetterOne die russischen Milliardäre Michail Fridman, German Han und Alexei Kuzmitschew stecken. Die Übernahme beläuft sich auf 5,1 Milliarden Euro und wäre die größte russische Investition in der Bundesrepublik, größer noch als alle bislang getätigten Investitionen zusammen. Doch das Geschäft wird nicht in der Statistik der Bundesbank über Direktinvestitionen aus Russland auftauchen. Denn auch wenn LetterOne Russen gehört, hat die Gesellschaft ihren Sitz in Luxemburg. Dass es sich damit um einen Investor mit Sitz in der EU handelt, ist laut Bundeswirtschaftsministerium ausschlaggebend für die Zustimmung zu diesem Deal gewesen. „Wenn es um russische Investitionen geht, spielt die Verflechtung von staatlichem Einfluss und Oligarchen in der Presseberichterstattung immer eine große Rolle“, erklärt Sebastian Henn, Projektleiter beim Leibnitz-Institut für Länderkunde, Leipzig (IfL). Das Institut hat in einem Projekt zu ausländischen Direktinvestitionen aus den BRIC-Staaten untersucht, wie die Presse über das Engagement russischer Unternehmen in Deutschland berichtet. „Verglichen mit Investoren aus China oder Indien werden Russen deutlich weniger häufig als Partner gesehen“, erklärt Henn. Gleichzeitig beziehe sich die Berichterstattung, wenn es um russische Investitionen gehe, zu über 90 Prozent auf Übernahmen deutscher Firmen. Tatsäch-

lich aber seien mehr als drei Viertel der russischen Investitionen sogenannte Greenfield-Projekte, also Unternehmen, die komplett neu gegründet und aufgebaut werden. Allerdings handele es sich bei diesen Investments, gemessen an Anzahl und Umsatz überwiegend um Kleinstunternehmen.

14.000 Arbeitsplätze dank russischer Investoren Insgesamt zählten Henn und seine Kollegen 2.554 russische Investitionen in Deutschland, von denen der überwiegende Teil von Privatpersonen getätigt wurde. Nur hinter etwa 200 von stecken institutionellen Investoren, also andere Unternehmen oder eine Holding. Insgesamt schufen russische Unternehmen nach Angaben der Wissenschaftler rund 14.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Gerade bei insolventen Unternehmen greifen Russen gern zu und sichern so Jobs. Ein Paradebeispiel ist etwa die Übernahme des Thüringer Busherstellers Göppel GmbH durch die Petersburger Industrieholding Kirow-Werke, einen der größten Traktoren- und Baumaschinenhersteller Russlands. Die Übernahme habe das Fortbestehen der traditionsreichen Marke mit seinen Standorten in Nobitz und Augsburg gesichert, erklärte der damalige Insolvenzverwalter von Göppel, Harald Hess. Zuvor hatten die Kirow-Werke Ende 2012 bereits den Werkzeughersteller Monforts aus Mönchengladbach vor einer Pleite bewa h r t. Die Peter sbu rger engagierten sich finanziell und verfolgen langfristige Ziele. Der Umsatz ist von 28 Millionen Euro 2012 auf 29,6 Millionen Euro im vergangenen Jahr gewachsen, und er soll weiter zulegen. Dennoch wollen die Kirow-Manager aufgrund der politischen Lage derzeit nicht über die eigenen Erfolge auf internationalen Märkten sprechen. Während sich die Petersburger lediglich in Zurückhaltung üben, könnten andere ihre Investitionen sogar verschieben. Ähnlich sehen es auch

Deutsch-russiche Beziehungen: erfahren Sie mehr über wichtige Themen und brennende Fragen der Zusammenarbeit. de.rbth.com/deutschland_und_russland

unabhängige Experten wie Stanislaw Rogojine, der bei der Russian Business Group von PriceWaterhouseCoopers russische Investoren mit Zielland Deutschland berät. „Nach unserer Erfahrung wird Deutschland nach wie vor als sicheres Investitionsland betrachtet. Insgesamt können wir uns aber vorstellen, dass russische Investoren vorsichtiger werden, im Ausland zu investieren und zunächst abwarten, wie sich die politische Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird“, erklärt Rogojine. „In der Praxis lässt sich das allerdings noch nicht belegen.“

Aktiver als China, Indien und Brasilien Tatsächlich aber fehlt es den russischen Investoren an Dynamik – nicht erst seit der Ukraine-Krise. Den größten Zufluss russischen Kapitals gab es in den beiden Jahren vor der Wirtschaftskrise 2009. 2008 betrug der Bestand russischer Direktinvestitionen 4,3 Milliarden Euro. Noch 2007 sagten Experten voraus, dass sich die russischen Investitionen in die deutsche Wirtschaft den Investitionen deutscher Unternehmen in Russland künftig angleichen könnten. Dazu ist es allerdings nicht gekommen. Derzeit liegen deutsche Direktinvestitionen in die russische Wirtschaft bei etwa 23 Milliarden Euro, während die russischen wieder leicht unter die Marke von drei Milliarden Euro gesunken sind. „Die Investitionen lassen in der Tat nach, das war allerdings schon vor der Krise um die Ukraine der Fall. Die teilweise schwierige wirtschaftliche Situation hat zu einem Rückgang der Investments geführt“, erklärt Andreas Knaul, Rechtsanwalt und Managing Partner Russland der internationalen Kanzlei Rödl &Partner, Nürnberg. Die jetzige Krise habe nicht dazu beigetragen, den Abschwung zu bremsen. Allerdings engagiert sich Russland in Deutschland mehr als Wirtschaftsgrößen wie Indien, China oder Brasilien. Die Investitionen Russlands übersteigen bei weitem die Summe, die die ande-

Die Übernahme des Ölförderers RWE Dea durch LetterOne sorgte für heftige Diskussionen, bekam schließlich dennoch grünes Licht aus Berlin.

Gerade bei insolventen Unternehmen greifen russische Investoren gern zu und sichern so Arbeitsplätze. Die Investitionen russischer Firmen übersteigen jene aus den anderen BRIC-Staaten zusammengenommen.

ren BRIC-Staaten zusammen investierten. Jüngst sorgten etwa zwei Deals im Schiffbau für Aufsehen. Vitalij Jusufow übernahm für geschätzt fünf Millionen Euro im Mai die insolvente Volkswerft Stralsund. Ihm gehören bereits die Schiffbaubetriebe in Warnemünde und Wismar. Im März ging die Sietas-Werft aus Hamburg für sieben Millionen Euro an die Petersburger Pella Shipyards. Beide Investoren versprechen staatliche Aufträge aus Russland. Andere Investoren sehen Deutschland oft auch als Tor für eine Expansion nach Europa, wie etwa der russische Software-Hersteller Abbyy. „Für unseren IT-Vertrieb brauchen wir erfahrene Experten,


Investitionen

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de.rbth.com

MASCHINENBAU

Die Übernahmen der beiden insolventen Unternehmen, des Busbauers Göppel und des Werkzeugmachers Monforts durch die Petersburger Kirow-Werke, waren nicht nur die Rettung für Hunderte Arbeitplätze in Deutschland. Sie markieren auch die Wiedergeburt des einstigen Industrieriesen aus Russland. Das Kirow-Werk in St. Petersburg war einst der Stolz der sowjetischen Wirtschaft. Nach dem Ende der Planwirtschaft hielt sich das Kombinat mit der Stahlproduktion und der Vermietung seines gigantischen Areals im Stadtzentrum über Wasser. Eine radikale Wende erwartete den Konzern, als der 24-jährige Georgij Semenenko 2007 seinen Vater als Chef der Kirow-Werke beerbte und einen knallharten Reformkurs startete. Eines der Hauptziele der Petersburger ist die technologische Angleichung an westliches Niveau. „Wir wollen neue Technologien entwickeln und mit dem

ITAR-TASS

Kirow-Werk: Gut übernommen

Fortschritt mithalten“, sagte Semenenko bei seinem Besuch in der Zentrale von Monforts im Mai dieses Jahres. Schon vor der Übernahme haben die Mönchengladbacher Maschinen für den Bau von Traktoren nach St. Petersburg gelie-

fert. Und das deutsche Tochterunternehmen dürfte mit weiteren Aufträgen rechnen, denn im Juni dieses Jahres startete in St. Petersburg die Serienproduktion eines neuen Traktormodells, des Kirowets K-744R.

CHEMIE

KuibyshevAzot: Gut eingefädelt

ZAHLEN

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Tauesend Arbeitskräfte beschäftigen russische Unternehmen hierzulande. Zudem wird eine Vielzahl russischer Investoren nicht registriert, weil sie über Drittstaaten agieren. GAIA RUSSO

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Milliarden Euro Umsatz machten Unternehmen mit russischer Kapitalbeteiligung in Deutschland nach Angaben der Deutschen Bundesbank im Jahr 2012.

aradies Shoppingp : Russen im nd Deutschla h Kaufrausc m/29993 de.rbth.co

Umsatz pro Jahr. „Die Investition in Deutschland ist Teil einer langfristigen Strategie des Konzerns, die Verarbeitung von Caprolactam zu steigern und verstärkt auf eine Produktion mit einer

IT

Abbyy: Gut erkannt Der russische Softwareentwickler Abbyy ist vor allem durch seine Schrifterkennungssoftware FineReader international bekannt geworden, die es erlaubt, Papierdokumente in durchsuch- und editierbare Dateien umzuwandeln. Gegründet wurde das Unternehmen 1989 vom damaligen Studenten David Jan, der ein elektronisches Wörterbuch programmieren wollte. Der Verkauf startete 1990. Drei Jahre später folgte die erste Version des FineReaders. Ende der 90er Jahre expandierte Abbyy zunächst in die USA und später auch nach Deutschland, wo im Jahr 2000 die Zentrale für Europa in München gegründet wurde. Dort arbeiten heute 70 Mitarbeiter, hinzu kommen noch etwa 15 Angestellte, die

in anderen europäischen Büros tätig sind. „Unsere Aufgabe ist es, die Produkte von Abbyy, die in Russland entwickelt werden, hier zu vermarkten und unseren Kunden einen umfangreichen Service und Support anzubieten“, erklärt Jupp Stoepetie, Europa-Chef des IT-Unternehmens. „Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa, es gibt hier viele erfahrene Fachkräfte, die Infrastruktur ist hervorragend“, zählt er die Vorteile des Standortes auf. Zudem müsse man auch für Kunden vor Ort verfügbar sein. Zu den Kunden des Unternehmens gehören Konzerne wie Volkswagen oder auch öffentliche Einrichtungen wie die Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main. „Wir sind ein

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KOMMERSANT

Gründe für den Kauf war die Belieferung von Kunden in Europa, den USA und im Nahen Osten. „Russische Investoren spielen eine größere Rolle als man gemeinhin annimmt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass sie ihre Tätigkeit kaum öffentlich machen“, erklärt PwC-Mann Rogojine. Viele investierten über Drittländer wie die Niederlande, Zypern, die Schweiz oder wie im Fall von LetterOne über Luxemburg. „Anders als deutsche Unternehmen in Russland, so unsere Erfahrung, haben russische Unternehmer in Deutschland selten den Wunsch, ihre Interessen zu bündeln und in der Öffentlichkeit als russische Investoren wahrgenommen zu werden.“

höheren Wertschöpfung zu setzen“, erklärt Elena Kosova, Sprecherin des Unternehmens. „Für die deutsche Tochter bedeutet die Integration in unsere Holding nicht nur Investitionen in neue Maschinen, sondern auch einen gesicherten Nachschub an Rohstoffen für die eigene Produktion.“ In den zwei Jahren nach der Übernahme stieg der Umsatz am Standort in Thüringen um insgesamt 30 Prozent auf nunmehr 20,1 Millionen Euro. Auch die Mitarbeiterzahl wuchs von 130 auf 162. „Wir haben zudem 2,3 Millionen Euro in neue Anlagen und die Modernisierung alter Anlagen gesteckt“, sagt Kosova. Die russischen Eigentümer planen eigenen Angaben zufolge weitere Investitionen in neue Ausrüstungen, um bei ihrer Thüringer Tochter Kosten zu senken und die Produktion zu steigern.

ITAR-TASS

DPA/VOSTOCK-PHOTO

die mindestens deutsch und englisch sprechen und für unsere Kunden in Europa verfügbar sind“, erklärt Jupp Stoepedie, Europachef von Abbyy. „Um erfolgreich zu sein, brauchen wir eine Niederlassung hier in Deutschland.“ Zumal Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas per se ein attraktiver Markt sei. Für andere Hersteller ist Deutschland wiederum als Quelle für Know-how und als Produktionsstandort besonders interessant. So hat die Ilim Timber aus St. Petersburg 2010 die Klausner Gruppe mit ihren beiden Sägewerken in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern übernommen und die Belegschaft von 530 auf 600 Mitarbeiter vergrößert. Einer der

Zwei Jahre mussten die 130 Mitarbeiter der Thüringer Filamente GmbH in Rudolstadt, einer Spinnerei für synthetische Garne, bangen. Die traditionsreiche Firma stand vor dem Aus und musste einen Insolvenzverwalter bestellen. Mitte 2011 stieg schließlich die russische Holding KuibyshevAzot beim strauchelnden Unternehmen ein. Das Unternehmen aus Togliatti beschäftigt in Russland über 5.000 Mitarbeiter und gehört zu den zehn größten internationalen Produzenten der Kunststoffe Caprolactam und Polyamid – zwei wichtigen Rohstoffen in der Kunstgarnproduktion. Das Kombinat in Togliatti wurde Anfang der 60er Jahre in der Sowjetunion gegründet und wie viele ehemalige Staatsbetriebe nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft privatisiert. Heute erwirtschaftet der Konzern etwa 600 Millionen Euro

globales Unternehmen, unsere Mitarbeiter kommen aus unterschiedlichen Ländern und sind alle mehrsprachig. Die russischen Wurzeln merkt man uns eigentlich nicht an“, erklärt Stoepetie.

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Meinung

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INTELLIGENTE SANKTIONEN DES WESTEN WIRKEN Peter Kasnatschejew ÖKONOM

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Russische Unternehmen haben sich bis vor kurzem unbeeindruckt von den finanziellen Strafmaßnahmen des Westens gegeben. Letztlich mussten sie ihren Einfluss dennoch spüren

NATALIA MIKHAYLENKO

ange Zeit wurden westliche Sanktionen in Russland bestenfalls als wirkungslos und ineffektiv gesehen. Der kürzliche Stopp der gemeinsamen Arbeiten am Bohrloch „Universitetskaja“ von Rosneft und ExxonMobil im arktischen Schelf der Karasee markiert nun einen Wendepunkt in dieser Diskussion. Der Abbruch der Kooperation der größten Ölkonzerne Russlands und der Vereinigten Staaten ist eine Folge der dritten Sanktionsrunde der USA und der EU, die unter anderem den Export von Ausrüstung untersagt, die für Arbeiten im arktischen Schelf notwendig ist. In jüngster Zeit hat sich Russlands Sichtweise auf die Sanktionen eindeutig gewandelt. Nun ist klar geworden, dass sie durchaus spürbare Auswirkungen– auch auf den Energiesektor – haben können. Die ersten beiden Sanktionsrunden waren eher symbolischer Natur. Eine Verschärfung der Visabestimmungen, ein Verhandlungsstopp über Russlands Beitritt zur OSZE, Einreiseverbote für eine Reihe russischer Beamter und Geschäftsleute etc.: Diese Maßnahmen waren wirtschaftlich kaum effektiv. Darüber hinaus schien Russland immun gegen das sogenannte „Iranische Szenario“, sprich ein Verbot von russischen Ölexporten nach Europa. In der globalisierten Welt hätte Russland sein Öl ohne große Verluste auf andere Märkte umleiten können, allen voran nach Asien, auch wenn dies einige Monate in Anspruch genommen hätte. Solche Sanktionen wären kaum produk-

tiv gewesen. Auch die Diskussion um eine Senkung der Gasimporte durch Europa lief ins Leere. Dieser Schritt hätte Jahre in Anspruch genommen, denn die europäischen Staaten sind stark von Russlands Gaslieferungen abhängig. Großangelegte Sanktionen im Gasbereich wä ren a lso eben fa l ls kau m praktikabel. Nun zeigt sich, dass es doch einen Weg gibt, der am Anfang der Auseinandersetzung von kaum jemandem in Betracht gezogen wurde. Dabei handelt es sich um „intelligente Sanktionen“, die nicht auf einem totalen Handelskrieg gründen, sondern auf punktuellen Maßnahmen. Das Ziel ist, die Energiewirtschaft unmittelbar unter Druck zu setzen, um die Produktion von Kohlenwasserstoffen zu

reduzieren und somit auch Russlands Staatseinnahmen. Genau diese Maßnahmen sind der Kern der dritten Sanktionsrunde seitens der USA und der EU, die im August beschlossen und im September um weitere Maßnahmen ergänzt wurde. Diese Sanktionen betreffen eine ganze Reihe von Russlands größten Unternehmen sowie ganze Wirtschaftsbranchen. Auf den Energiesektor wirken sich vor allem Exportbeschränkungen für spezielle Ausrüstungen und Technologien aus sowie die Sanktionen im finanziellen Bereich – namentlich der verwehrte Zugang zu langfristigen Krediten. Das Hauptziel des Embargos auf den Export von Ausrüstungen und Technologien sind nicht die laufenden Projekte, sondern Vorkommen, deren Förderung in wenigen Jahren beginnen könnte, um die sinkende Produktion der alten Lagerstätten zu kompensieren. Mit der Zeit nimmt in Russland der Anteil der schwer förderbaren Ressourcen zu. An den neuen Vorkommen beträgt dieser bereits mehr als 50 Prozent. Bei der Förderung dieser Vorkommen ist die Kooperation mit ausländischen Unternehmen besonders wichtig. Nach Berechnungen des Zentrums für Rohstoffwirtschaft der Russischen Akademie für Volkswirtschaft ist Russland

bei horizontalen Bohrungen zu 56 Prozent von ausländischen Servicegesellschaften abhängig. Beim Fracking beträgt die Abhängigkeit sogar 93 Prozent. Ebenfalls von essenzieller Bedeutung ist die Teilnahme ausländischer Unternehmen an Projekten im arktischen Schelf. Ohne sie könnte die Entwicklung dieser Vorkommen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Die Wirksamkeit der Sanktionen in diesem Bereich gründet in der starken Abhängigkeit des russischen Energiesektors von den internationalen Finanzmärkten und ausländischen Darlehen. Russische Unternehmen haben sich noch bis vor wenigen Wochen unbeeindruckt von den finanziellen Strafmaßnahmen des Westens gegeben. Letztlich mussten sie ihren Einfluss dennoch spüren. Im August hat der Chef des Ölförderers Rosneft, Igor Setschin, die Regierung um einen Staatskredit in Höhe von 44,5 Milliarden US-Dollar gebeten – eine Summe, die in etwa der damaligen Nettoverschuldung von Rosneft entsprach. Russlands zweitgrößte Ölgesellschaft Lukoil hat ihrerseits angekündigt, Ausgaben herunterzufahren – ebenfalls wegen der Schwierigkeiten bei der langfristigen Finanzierung ihrer Darlehen. Die Einführung solcher Maßnahmen zeigt, dass der Westen zu einem harten und langen Grabenkampf mit Russland bereit ist. Es geht nicht darum, schnell und hart zuzuschlagen, sondern vielmehr um stetig wachsenden Druck. Die „Intelligenten Sanktionen“ wurden so angelegt, dass sie die Interessen der europäischen Länder nur minimal treffen. Grundsätzlich hat das funktioniert, denn ein Anstieg der Preise für Öl und Gas blieb aus. Vielmehr sinkt der Ölpreis seit Juli dieses Jahres. Langfristig allerdings sind die Wirkungen der Maßnahmen ungewiss. Klar ist, dass eine Verschärfung des Konflikts zwischen Russland und dem Westen gezielte Sanktionen immer schwieriger macht. Die Gesetze der Wirtschaft sind unerbittlich. Im Endeffekt leiden beide Seiten, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Peter Kasnatschejew ist Leiter des Zentrums für Ressourcenökonomie der Russischen Akademie für Volkswirtschaft.

EIN ÖKONOMISCHER SIEG DER LIBERALEN Alexej Lossan ÖKONOM

A

uf dem Internationalen Investitionsfor u m i n der südrussischen Stadt Sotschi hat Premier Dmitrij Medwedjew im September endgültig einen Schlussstrich unter die Diskussion gezogen, wie die künftige Haushaltspolitik Russlands aussehen soll. In der russischen Märchenwelt gibt es ein bekanntes Fabelwesen, den sprechenden Goldfisch, der seinem Fänger drei Wünsche erfüllt, so dieser ihn freilässt. Anfang September hat nun Dmitrij Medwedjew einen solchen Fisch gefangen. Er sammelte sieben Top-Ökonomen aus Russland um sich und stellte ihnen drei Fragen. Der Premier wollte wisse, ob man die Bin-

dung der Staatsausgaben an den Ölpreis aufheben müsse, ob Russland die Steuern erhöhen und ob es sich Geld auf ausländischen Kapitalmärkten leihen soll. Die Antworten auf diese Schlüsselfragen sollten der Regierung dabei helfen, eine Entscheidung darüber zu treffen, wie die ausbleibenden Einnahmen im Staatshaushalt in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und einer Abkühlung der Beziehungen zum Westen kompensiert werden können. Seit dem Sommer hielt sich in den Reihen der Regierung ziemlich hartnäckig ein Konflikt zwischen den Falken und den Liberalen. Die ersteren bevorzugten einen Übergang zu einer geschlossenen Wirtschaft im Mobilisierungsmodus. Sie forderten unentwegt höhere Steuern, etwa die Einführung

Seit dem Sommer hielt sich in der Regierung ein hartnäckiger Konflikt zwischen den Falken und den Liberalen.

Russland wird wohl kaum mehr zu einem geschlossenen Wirtschaftsmodell wechseln.

einer dreiprozentigen Verkaufssteuer, die wegen ihrer Ineffektivität zuletzt 2003 abgeschafft wurde. Die Probleme der von Sanktionen betroffenen Unternehmen, etwa die des größten Ölkonzerns der Welt, Rosneft, sollten mit Staatsgeldern gelöst werden. Zum Beispiel mit Mitteln aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds und dem Reservefonds, einem speziellen Topf für die Erlöse aus dem Ölexport, der 2004 eingeführt wurde.

Bis zum heutigen Tage liegen dort insgesamt 170 Milliarden Euro und werden nur teilweise investiert, zumal ausschließlich im Bereich Infrastruktur. Die Anhänger des bisherigen, liberalen Kurses schlugen dagegen vor, die Ausgaben zu kürzen. Die Entscheidung über den weiteren Kurs hat Medwedjew nun in seiner Eröffnungsrede zum Wirtschaftsforum in Sotschi bekannt gegeben. Anders als in den Jahren

zuvor dominierte nicht Präsident Putin, sondern der Premier die Veranstaltung, die sich zu einem echten Wirtschaftsforum gemausert hat. Und so basierte auch seine Rede auf den Antworten, die er vom „Goldfisch“ zuvor erhalten hatte. Erstens wird die Regierung ihre Ausgaben weiter optimieren. Zweitens wird es keine Änderung bezüglich der Anlagestrategie für die staatlichen Wohlfahrtsfonds geben. Und drittens sollen die Steuern nicht erhöht werden. Das bedeutet eine Niederlage für die Falken. Russland wird wohl kaum mehr zu einem geschlossenen Wirtschaftsmodell wechseln. Alexej Lossan unterrichtet Wirtschaftsjournalismus an der Lomonossow-Universität.


Meinung

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LESERMEINUNGEN

WAS BEDEUTET GAZPROMS CHINA-DEAL?

Reaktionen zum vergangenen Heft Das Thema der Sanktionen aus Ihrem letzten Heft ist mehr als wichtig. Als eine Unternehmensberatung mit Büro in Moskau, die seit März dieses Jahres sehr intensiv westliche Firmen bezüglich Sanktionen berät, wissen wir bei RUSSIA CONSULTING sehr gut: Die Sanktionen sind extrem unübersichtlich geworden. Für mehrere europäische Firmen ist es heute gänzlich unklar, ob ihre Exportgeschäfte gestattet oder verboten sind. Dies führt zu extremer Unsicherheit auf dem Markt, verursacht zusätzliche Kosten und führt dazu, dass einige Geschäfte aus Sorge um die Reputation nicht mehr zustande kommen obwohl sie nicht unter die Sanktionen fallen.

Alexander Kurdin ANALYTIKER

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Das Abkommen Gazproms mit China kann als einer der wichtigsten Deals in der Erdgaswirtschaft gelten. ten Jahren kaum entwickelt, wohl auch deshalb, weil die Infrastruktur kaum ausgebaut wurde. Zweitens mangelt es an Pipelines zwischen Europa und Asien. Allein Turkmenistan kann theoretisch sowohl nach China als auch nach Europa exportieren. Weil aber die Möglichkeit eines Exports nach Europa sowohl aufgrund der geringen Förderleistung als auch wegen der schlecht ausgebauten Infrastruktur eingeschränkt ist, richtet sich das Land ebenfalls an China aus. Die Aufteilung in regionale Märkte ist kurzfristig für einzelne Erzeuger oder Abnehmer von Vorteil, da sie sich eine dominierende Position auf den lokalen Märkten

ULF SCHNEIDER MANAGING PARTNER RUSSIA CONSULTING GROUP NATALIA MIKHAYLENKO

as Abkommen Gazproms über Erdgaslieferungen nach China ist einer der bedeutendsten Geschäftsabschlüsse in der Geschichte der globalen Erdgaswirtschaft. Es ist ein großer Schritt nach vorn auf dem Weg zur weltweiten Integration der Erdgasmärkte. Langfristig könnte der Deal dazu führen, dass die Gasmärkte Europas und Asiens verschmelzen. Momentan ist es noch ein weiter Weg bis zum Aufbau eines einheitlichen Weltmarktes. Die unterschiedlichen Gaspreise in den wichtigsten Absatzregionen – Europa, Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum – zeigen, dass eine Fusion dieser Märkte großes Potenzial in sich birgt, die globale Erdgasversorgung effizienter zu gestalten. Noch kann aber von einem Ausgleich der Erdgaspreise keine Rede sein. Gegen Ende dieses Sommers reichte die Preisspanne von 150 US-Dollar in Amerika über 250 bis 450 US-Dollar in Europa und bis zu 700 US-Dollar, die etwa Japan für Flüssiggas bezahlen musste. Für diese Deglobalisierung gibt es zwei Ursachen: Erstens haben sich die Flüssiggas-Märkte in den letz-

sichern. Unterm Strich sorgt sie bei der Erdgasindustrie jedoch für zusätzliche Risiken, vor allem für jene, die nicht in der Lage sind, auf andere Märkte auszuweichen. Das Abkommen über Erdgaslieferungen nach China geht dieses Problem an. Der langfristige Vertrag mit China eröffnet Gazprom Möglichkeiten und Anreize für eine beträchtliche Erweiterung der Infrastruktur, um die Förderung und den Transport von Erdgas im Osten des Landes zu gewährleisten. Die Rede ist hierbei nicht nur vom Bau von Pipelines, sondern auch von der Erschließung neuer Lagerstätten und – in Zukunft – der Errichtung neuer LNG-Terminals. Von ähnlicher Bedeutung für die globale Erdgasindustrie wird der LNG-Export aus Nordamerika nach Europa und Asien sein. Die Entwicklung hin zur Globalisierung der Erdgasmärkte ist eine wichtige Voraussetzung für die Festigung der Rolle von Erdgas als Schlüsselbaustein in der internationalen Energiebilanz. Die Hauptprofiteure des Vertrages zwischen Gazprom und China sind in erster Linie natürlich die Vertragsseiten selbst: Gazprom erhält einen Zugang zu dem rasant wachsenden Gasmarkt Chinas. Der Import-Bedarf dieses Landes beträgt gegenwärtig etwa 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, bis 2020 wird er voraussichtlich auf

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES (RBTH) IST EIN INTERNATIONALES MEDIENPROJEKT, DAS VON DEM VERLAG ROSSIJSKAJA GASETA FINANZIELL UNTERSTÜTZT WIRD. RBTH WIRD AUS ANZEIGENGESCHÄFTEN UND SPONSORING SOWIE ZUSCHÜSSEN VON STAATLICHEN BEHÖRDEN IN RUSSLAND FINANZIERT. DIE HANDELSBLATT-REDAKTION IST AN DER ERSTELLUNG DIESER BEZAHLTEN SONDERVERÖFFENTLICHUNG NICHT BETEILIGT. DIE REDAKTION VON RBTH IST UNABHÄNGIG UND HAT ZUM ZIEL, DEN LESERN EIN MÖGLICHST BREITES SPEKTRUM AN EXPERTENMEINUNGEN ÜBER DIE ROLLE RUSSLANDS IN DER WELT UND ZU EREIGNISSEN INNERHALB RUSSLANDS ZU BIETEN. DABEI IST DIE REDAKTION BEMÜHT, HÖCHSTEN JOURNALISTISCHEN ANSPRÜCHEN ZU GENÜGEN. SO SOLL EINE WICHTIGE LÜCKE IN DER INTERNATIONALEN MEDIENBERICHTERSTATTUNG GESCHLOSSEN WERDEN. DIE PRINTBEILAGEN VON RBTH ERSCHEINEN WELTWEIT IN 26 RENOMMIERTEN ZEITUNGEN IN 23 LÄNDERN UND IN 16 SPRACHEN. AUSSERDEM GEHÖREN ZU RBTH 19 ONLINEAUSGABEN IN 16 SPRACHEN. BEI FRAGEN UND ANREGUNGEN WENDEN SIE SICH BITTE AN: REDAKTION@RUSSLAND-HEUTE.DE ROSSIJSKAJA GASETA VERLAG, UL. PRAWDY 24 STR. 4, 125993 MOSKAU, RUSSISCHE FÖDERATION, TEL.

150 Milliarden Kubikmeter steigen und nach 2030 die Grenze von 200 Milliarden Kubikmeter überschreiten. China seinerseits kann die umfangreichen russischen Ressourcen nutzen. Diese sind nicht nur die größten weltweit, sondern für das „Reich der Mitte“ auch die am nächsten gelegenen Reserven.

Europa, China und Russland profitieren alle vom Ausbau der Gasförderung in Russlands Fernem Osten. Beide Seiten stärken zudem ihren Verhandlungsspielraum gegenüber ihren anderen Partnern. Wobei dies für Gazprom im Bezug auf seine europäischen Abnehmer nur eingeschränkt gilt. Einerseits wegen des Exports von LNG aus anderen Ländern nach Europa. Und andererseits, weil der Umfang des russischen Exports nach Osten mindestens bis zum Jahr 2020 noch weit unter dem Volumen des Erdgas-Exports nach Europa liegen wird. Europa, Russland und China profitieren wegen der engeren Verknüpfung ihrer Märkte alle gleichermaßen vom Ausbau der Infrastruktur zur Förderung und zum Transport von Erdgas in Russland.

Dank des neuen Vertrages wächst Russlands Förderungskapazität, und es wird in Zukunft kein Problem sein, zwischen dem Export nach Osten, nach Westen und den Lieferungen für den Binnenmarkt umzuschalten. Die Liquidität der Versorgung steigt, und Preisschwankungen werden kleiner, da Gasüberschüsse oder Knappheiten künftig leichter zu vermeiden sein werden Der Erdgasexport aus Russland nach China wird künftig auch einen Beitrag im Kampf gegen die Klimaveränderung in der Welt leisten. Europa hat große Erfolge bei der Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen erzielt. Bedacht werden sollte dabei aber: Der größte Verursacher von Treibhausgas ist immer noch China. Deshalb wird es von der weiteren Entwicklung der chinesischen Energiewirtschaft abhängen, wie sich die globale Klimapolitik weiter entwickeln wird. Der Umstieg Chinas von Kohle auf Erdgas – einen „saubereren“ Brennstoff – setzt eine zuverlässige Erdgasversorgung zu annehmbaren Preisen voraus. Russland bietet eine Lösung für dieses Problem an. Alexander Kurdin ist Leiter der Abteilung für strategische Forschungen im Energiebereich des Zentrums für Analysen bei der Regierung der Russischen Föderation.

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Ein großes Thema sind momentan die gegenseitigen Sanktionen, weshalb der Leitartikel der aktuellen Ausgabe genau zur richtigen Zeit kommt. Was die Ausgabe als Ganzes betrifft, so bin ich mit der Auswahl und der Darbietung der Themen durchaus zufrieden. Interessant fand ich insbesondere die Tatsache, dass ein breites Spektrum ökonomischer Fragestellungen offen und ehrlich diskutiert wurde. Ich bin von der Idee des Projekts überzeugt. Zudem freut mich, dass ich die Zeitung auch außerhalb von Deutschland online lesen kann. Ich werde die Neuigkeiten von und über RBTH auch i n Zu k u n f t genau verfolgen. YELENA BRYANTSEVA EY KAZAKHSTAN

Es wäre wirklich sehr verdienstvoll, wenn das in Deutschland immer noch vorhandene Informationsdefizit zu Russland etwas verringert werden könnte. Dabei wünsche ich mir von RBTH, neben den notwendigen Wirtschafts- und Handelsinformationen, auch fundierte Analysen der historischen Hintergründe von Ereignissen in Russla nd. Auch z u k u ltu rel len Entwicklungen besteht meines Erachtens ein großes Informationsbedürfnis. In diesem Sinne hoffe ich für die Redaktion auf ein breites Echo in der deutschen Medienwelt. T. EICHLER BERLIN

SAGEN SIE UNS DIE MEINUNG: LESERBRIEFE@RUSSLAND-HEUTE.DE FÜR ALLE IN RUSSIA BEYOND THE HEADLINES VERÖFFENTLICHTEN KOMMENTARE, MEINUNGEN UND ZEICHNUNGEN SIND AUSSCHLIESSLICH IHRE AUTOREN VERANTWORTLICH. DIESE BEITRÄGE STELLEN NICHT DIE MEINUNG DER REDAKTION DAR.

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Büchermarkt

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E-Books verkaufen sich in Russland von Jahr zu Jahr besser, obwohl Verlage nicht alle Chancen nutzen. Litres hat den Online-Markt fest im Griff

GAIA RUSSO

Eine Milliarde für E-Books Eine Milliarde Rubel (20,4 Millionen Euro) – so viel Geld gaben Russen im verganenen Jahr für E-Books aus. Das Wachstumpotenzial auf dem Büchermarkt ist weiterhin gewaltig WLADIMIR CHARITONOW FÜR RBTH

Der E-Book-Markt ist im russischen Buchhandel stärker als jeder andere Bereich gewachsen. Mittlerweile nimmt einen Marktanteil von etwa 1% ein. Die Prognosen für das Jahr 2014 fallen daher optimistisch aus: 950 Millionen Rubel (19,4 Millionen Euro) soll der direkte Verkauf von E-Books einbringen und zusätzliche 500 Millionen (10,2 Millionen Euro) sollen durch Zahlungen über elektronische Bibliothekensysteme eingenommen werden. Insgesamt würden E-Books dann einen Anteil von 2 – 3% des Buch ha ndels einnehmen. Diese Zahlen sind natürlich nicht überwältigend, doch das Wachstum ist konstant hoch. Im Gegensatz zu allen anderen Bereichen des Buchmarkts, die von einem generellen Rückgang kämpfen, ver-

doppeln sich die Werte im E-BookSegment von Jahr zu Jahr.

Konservative Verlagshäuser Im Vergleich zu den USA und Europa sind die Zahlen bescheiden. Grund dafür ist die fehlende Infrastruktur, die es etwa erlauben würde, Bücher direkt über den Reader zu kaufen, wie dies bei Kindle, nook oder Kobo der Fall ist. Der Zuwachs im E-Book-Segment könnte außerdem noch deutlich größer sein, wenn nicht die Verlagshäuser auf ihrer konservativen Einstellung beharren würden. Diese stellen sich nur äußerst langsam auf die Herstellung und den Verkauf von E-Books um. Dabei kann man die Verlage aber durchaus verstehen, denn der Verkauf von E-Books bringt nur relativ geringe Einnahmen mit sich, die zudem auch noch mit zusätzlichen, wenn auch nur geringen, Ausgaben verbunden sind. Bis vor kurzem gab es kein russisches Verlagshaus, das selbstständig E-Books herausgab, weshalb es die Handelspartner der Verlage auf sich nahmen, die Druck-

vorlagen, die von den Publikationshäusern an die Druckereien geschickt wurden, in E-Books zu konvertieren. Mittlerweile hat sich der Anteil an Verlagen, die EBooks produzieren oder planen dies zu tun, bereits auf zwei Drittel erhöht. Auf dem Buchmarkt entstanden des Weiteren vollwer-

Der Zuwachs im E-BookSegment könnte größer sein wenn Verlage weniger konservativ eingestellt wären tige Angebote für E-Book-Leser wie beispielsweise Ridero, ein Dienst, der einen Book-on-Demand-Service bietet. Zusätzlich gibt es mittlerweile auch Konvertierungsdienste wie beispielsweise Wexler – ein Service, mit dem man Bücher auch selbst umwandeln kann.

Geschäft oder Piraterie Zusätzlich zu den Problemen in der Produktion von E-Books sind die Verlage auch mit rechtlichen

Auflagen, die mit der Herausgabe von Büchern in elektronischer Form verbunden sind, konfrontiert: Es müssen neue Verträge mit den Urhebern abgeschlossen oder bereits bestehende Verträge überarbeitet werden. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass es am russischen Markt derzeit nur wenige Übersetzungen von Werken weltberühmter Autoren wie Hermann Hesse, Günter Grass, oder Thomas Mann gibt. Diese Autoren sind auch im sehr selten im Einzel-, und fast überhaupt nicht im Onlinehandel zu finden. Dabei ist der digitale Verkaufsweg am lukrativsten bei Büchern, deren gedruckte Auflage bereits vergriffen ist. Die Verlagshäuser haben es aber nicht eilig, sie in E-BookForm herauszugeben. Dies veranlasst wiederum die Leserschaft dazu, bei ihrer Suche auf Piratenwebsites auszuweichen. Gleichzeitig bemühen sich Verlage gegen den illegalen Verkauf von elektronischen Büchern vorzugehen. Dies hat jedoch, wie überall auf der Welt, kaum Einfluss auf die legalen E-Book-Verkäufe, die ohnehin schnell genug wachsen.

Das wichtigste Unternehmen Russlands im Bereich der elektronischen Buchhandels ist Litres, das 2007 gegründet wurde. Die Webseite bietet etwa 90 000 russischsprachige Bücher und Magazine an, darunter auch die Veröffentlichungen der größten russischen Verlagshäuser Eksmo und AST, die auf den Massenmarkt abzielen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den populärem Genres: Science-Fiction, Fantasy, Krimi- und Liebesromanen. Diese Bücher verkauft Litres sowohl selbst als auch über Partner-Händler. Nach eigenen Angaben beträgt der Marktanteil von Litres 59 %. Der zweitgrößte Anbieter von E-Books sei hingegen Google mit einem Anteil von rund 12%. Google ist dabei der einzige internationale E-BookHändler in Russland. Im vergangenen Jahr kaufte Ozon, einer der größten russischen Onlineshops und Pendant zu Amazon, Anteile an Litres auf, die zuvor Oleg Nowikow, Inhaber der Verlagsholding Eksmo gehörten. Dieser Deal veränderte nicht nur die Marktstruktur (zuvor verkaufte Ozon E-Books selbst und wird nunmehr zu einem Schaufenster für Litres), sondern stellte auch die Verwendung des Buchkatalogs von Litres durch westliche Buchhändler, unter anderem auch Amazon, infrage. Denn Ozon wäre wohl kaum daran interessiert, Amazons Entwicklung in Russland zu stärken.

Bücher am Smartphone Neben dem Einzelhandel entwickelt sich in Russland auch ein weiteres Verkaufsmodell, das auf Basis von Abonnements funktioniert. Auf dieses Modell setzt etwa der stark wachsende Service Bookmate, der 2010 gegründet wurde und derzeit 1,5 Millionen aktive Nutzer pro Monat verzeichnet. Bookmate bietet seinen Kunden einen umfassenden Bücherkatalog an, der im Rahmen eines bezahlten Abos von den wichtigsten mobilen Plattformen aus abgerufen werden kann. Dank einer Kooperation mit Samsung und anderen Smartphone-Herstellern sowie mit Mobilfunkanbietern verzeichnet der Service steigende Nutzerzahlen. In Zukunft möchte Bookmate seinen Service mit einem Katalog bestehend aus englischsprachigen Werken auch in anderen Ländern anbieten, so unter Anderem auch in Skandinavien, im baltischen Raum und in Südostasien. Wladimir Charitonow ist Geschäftsführer des Verbandes der Internet-Verleger

RBTH AUF DER FRANKFURTER BUCHMESSE 8.-12. OKTOBER 2014

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Büchermarkt

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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de.rbth.com

Klassische Bücher sind selten Verkaufsschlager. Wie versuchen Verlage, die Auflage trotzdem zu steigern?

Experimente am Klassik-Regal Verlagshäuser suchen nach neuen Wegen, um klassische Literatur an den Mann zu bringen und experimentieren mit Hollywood-Motiven und Mangas.

Puschkin im Manga-Format Keira Knightly spielte Anna Karenina in der Verfilmung von Tolstois Roman und zierte später auch das Buch-Cover.

TATJANA TROFIMOWA FÜR RBTH

PRESSEBILD (4)

Angesichts der Krise, die momentan auf dem russischen Buchmarkt herrscht, ist die Herausgabe von klassischer Literatur keine leichte Angelegenheit mehr. Der Großteil dieser Werke ist bereits kostenlos online im E-Book-Format verfügbar. Daher lag der Schluss nahe, dass die Verlage im Kampf um ihre Leserschaft auf Qualität setzen würden – durch ein ansprechendes Design, ein praktisches Format oder die Steigerung des Mehrwerts von Büchern. Doch überraschenderweise ist gerade der Bereich der klassischen Literatur die wohl konservativste Sparte des russischen Buchmarkts, denn selbst stark absatzorientierte Verlagshäuser sehen die russische Klassik als etwas „Heiliges“ an, mit dem man nicht experimentiert. Russische Klassik wird heute von den drei größten Verlagshäusern des Landes herausgegeben: AST, Eksmo und Asbuka. Der Asbuka-Verlag nimmt dabei auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle ein, denn eben dieser begann damit, klassische Werke in einem Softcover-Einband zu veröffentlichen und machte diese dadurch günstiger und erschwinglicher für die Bevölkerung. Die beiden anderen Verlage bleiben nach wie vor eher im gehobenen Preissegment. Doch abgesehen von den Unterschieden in der Redaktionspolitik verfolgen alle drei Verlage im Design der Bücher dieselbe Strategie: Klassik wird mit Klassik illustriert. So finden sich auf den Buchcovern meist Portraits von den Schriftstellern oder Kunstwerke, die zur gleichen Zeit wie das Buch entstanden sind und zum Inhalt und zur emotionalen Färbung des Werks passen.

DiCaprio auf dem Ladentisch Die Verkaufszahlen beweisen jedoch, dass dieses Konzept funktioniert. Nach Angaben der VerlagsServiceseite ProBooks.ru schafft e n e s n ä m l ic h g le ic h v ie r

Von oben nach unten: Anna Karenina, L.Tolstoi; Der große Gatsby, F.Scott Fitzgerald; Kapitänstochter, A.Puschkin

MEHR DAZU ERFAHREN SIE AUF DER OFFIZIELLEN WEBSEITE RUSSJAHR.DE

verschiedene Ausgaben von Francis Scott Fitzgeralds Werk „Der große Gatsby“ im vergangenen Jahr unter die Top 50 der meistverkauften Bücher. Ungeachtet der Tatsache, dass kurz vor der Erstellung dieses Rankings die Verfilmung des Romans mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle in die russischen Kinos kam, erfreute sich die traditionelle Ausgabe des Asbuka-Verlages größter Beliebtheit unter den Lesern (Platz 19). Das Cover dieser Ausgabe zierte dabei William Orpens Meisterwerk „Café Royal“ aus dem Jahre 1912. Nur vier Plätze dahinter, auf Platz 23, befand sich die Ausgabe des Eksmo-Verlages, der eine Aufnahme von Jay Gatsby aus der bereits in Vergessenheit geratenen Romanverfilmung von Jack Clayton aus dem Jahr 1974 als Coverbild präsentierte. Die Romanausgabe, die auf eine aktuelle Aufnahme aus der neuen Romanverfilmung setzte, fand sich erst auf dem dritten Platz im GatsbyRanking und auf Platz 31 der Top 50 Kassenschlager 2013. Die geringste Aufmerksamkeit zog eine weitere Ausgabe des Asbuka-Verlags auf sich, die in einem Hardcover-Einband ohne Illustrationen

erschien. Sie landete lediglich auf Platz 43 des Rankings. Eine ähnliche Tendenz ließ sich bei Lew Tolstois „Anna Karenina“ beobachten: Nachdem 2012 die Verfilmung des Romans in die Kinos kam, gab der Asbuka-Verlag in seiner Spezialreihe „Smotrim film – tschitaem knigu!“ (zu Deutsch „Wir schauen den Film – wir lesen das Buch!“) eine Ausgabe des Werkes heraus, auf dessen Cover die Schauspielerin Keira Knightley abgebildet war. Innerhalb eines Jahres wurden jedoch nur 7.000 Exemplare dieses Buches gegenüber den 45.000 mit traditionellem Cover verkauft. Die Präsentation von Filmszenen auf den Covern russischer Klassiker ist eines der wenigen Wagnisse, das die Verleger klassischer Literatur bereit sind einzugehen. „Die Buchläden präsentieren sie prominent, und der bereits durch Werbung sensibilisierte Kunde greift dann auch genau zu diesen“, so erklärt Jekaterina Alekseewa, Leiterin der Abteilung Klassische Literatur und Poesie des EksmoVerlags, diese Strategie. Doch Filme können den Bücherverkauf nur kurzzeitig ankurbeln, während die Verlagshäuser konstante Absatzzahlen sehen wollen.

Zudem geben auch Leser in Russland an, dass sie „von den Kinosujets nicht ganz überzeugt“ seien, vor allem dann, wenn sie das Buch später in ihre Heimbibliothek aufnehmen. Diese schon fast misstrauische Haltung verstärkt sich zusätzlich, wenn es um Werke geht, die in der Schule Pflichtliteratur waren. Den wohl mutigsten Schritt im Buchdesign von Klassikern für Kinder und Jugendliche wagte der Eksmo-Verlag. Dieser gab klassische Werke wie Shakespeares „Romeo und Julia“, Puschkins „Die Hauptmannstochter“ oder Grins „Das Purpursegel“ in Einbänden heraus, die nach dem Vorbild von japanischen Mangas gestaltet waren. „Uns war von Anf a n g a n k l a r, d a s s u n s e r Zielpublikum klein war“, erzählt Tatjana Suworowa, Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendliteratur. „Wir zielten dabei aber auch nicht auf Eltern oder Großeltern, denn diese Ausgabe hätte sie wohl kaum angesprochen. Wir wollten die Aufmerksamkeit von Jugendlichen auf diese Ausgabe lenken und ihnen durch dieses Buchdesign die Aktualität von klassischer Literatur vermitteln.“ Laut Suworowa hat diese Auflage die gleichen Verkaufszahlen erzielt wie jene Reihe mit gewöhnlichem Design, was als Erfolg angesehen werden kann, da das Zielpublikum dieser Auflage von Beginn an kleiner war und weniger Kaufkraft hatte. Doch ungeachtet des Leserfeedbacks, das zeigte, dass Jugendliche gern auch Bücher kaufen, deren Cover mit einem Kinosujet oder im Manga-Stil gestaltet sind, entschieden sich die Verlagshäuser, diese Serien auf fünf Werke zu beschränken und sie nicht mehr weiterzuführen. Sie setzen weiterhin lieber auf das erwachsene Zielpublikum, dessen Geschmack äußerst konservativ ist. Im gleichen Atemzug sprechen aber alle davon, dass neue Wege in der Herausgabe von russischen Klassikern gesucht und beschritten werden müssen. Die Verlage sind jedoch bis heute nicht bereit, das Risiko einzugehen, jene Leser zu verlieren, die stetig ihre Heimbibliotheken mit weiteren Klassikern aus Buchserien bereichern. Tatjana Trofimowa, Philologin und Redakteurin bei dem russischen Verlag Corpus.

Das Kulturjahr bündelt zahlreiche Veranstaltungen in den Bereichen Sprachunterricht, Übersetzung und Literatur, wie beispielsweise: - die bundesweite Russisch-Olympiade - Wettbewerbe für deutsche Schüler und Studenten - Konferenzen für Lehrer und Dozenten für Russisch - Übersetzer-Symposien - Begegnungen zwischen russischen und deutschen Schülern und Studenten - Ausstellungen - Lesungen - Literaten – und Publizistentreffen und vieles andere mehr


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Branche

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

Großereingisse in Russland sind oft ein Werk internationaler Spezialisten statt einheimischer Experten.

Russland setzt auf Großereignisse, auch, um die regionale Wirtschaft anzukurbeln. Bei deren Organisation aber ist man noch immer auf ausländsiche Spezialisten angewiesen. DARJA BELEZKAJA FÜR RBTH

In gut fünf Jahren soll Jekaterinburg ganz groß herauskommen. Die Industriestadt am Ural bewirbt sich um die Weltausstellung Expo 2020. Die Ausgaben für Infrastruktur belaufen sich nach unterschiedlichen Schätzungen auf zehn bis 15 Milliarden US-Dollar. Die Stadtregierung hofft, dass im Falle einer erfolgreichen Nominierung ein Großteil der Mittel als neue Wohnviertel, Straßen, Anlagen und Gebäude in der Stadt verbleiben. Russland liebt Großereignisse. Eine der Strategien der Regierung ist es, diese zu nutzen, um die Entwicklung regionaler Zentren voranzutreiben, so wie die großen Messestädte Leipzig, Hannover oder Frankfurt am Main. Das zei-

gen auch vergangene Großereignisse wie die Universiade in Kasan oder das Treffen der Organisation für Asiatisch-pazifische wirtschaftliche Zusammenarbeit (APEC) in Wladiwostok. Gleichzeitig fehlt es der Branche, die sich erst vor 15 bis 20 Jahren etablierte, an notwendiger Erfahrung. So waren auch bei der Winterolympiade in Sotschi im Frühjahr ausländische Eventagenturen, die über entsprechende Expertise verfügen, sehr gefragt. Darunter etwa die italienische Agentur Filmmaster Events, die bereits die Eröffnungs- und Abschlussfeier bei der Winterolympiade in Turin im Jahr 2006 mitorganisiert hat. Wladimir Proschko von der Agentur „We can Group“ hat bereits in Deutschland gearbeitet. 2012 baute er einen Messestand auf der Hannover Messe auf und kann so die unterschiedliche Herangehensweise von Russen und Deutschen vergleichen. „In Deutschland läuft alles einfacher, leichter und cooler ab“, meint Proschko. Wenn man deutschen Subunternehmen einen

GORKI-PARK Ein herbstliches Selfie oder einfach nur ein schönes Foto bei Instagram ist allen Besuchern garantiert: Der Gorkipark bietet nicht nur zahreiche Fotomotive, sondern auch WLAN-Zugang und Steckdosen zum Laden von Notebooks und Handys. Der Park ist durch Fußgänger- und Fahrradwegen mit den Sperlingsbergen verbunden, dem hohen Flussufer von dem sich der berühmte Panorama-Blick über Moskau öffnet. Von einem Sessellift aus, gibt es die herbstlichen Farben auch aus der Höhe.

BOTANISCHER GARTEN Die Perle des Botanischen Gartens ist der Japanische Garten, gestaltet nach allen Regeln der japanischen Gärtnerkunst. Eine ideale Möglichkeit, Momijigari zu üben, den traditionellen japanischen Brauch, Ahornbäume zu betrachten: Die herbstliche Färbung der Mandschurei-Ahornbäume, Ginkgos, Spindelsträucher und Kastanien spiegelt sich in den Teichen des Gartens, in denen gelbe Blätter schwimmen. Im Zentrum der Gartens steht eine Steinpagoda Und im Teehäuschen „Adsumaja“ finden regelmäßig Teezeremonien statt.

KOLOMENSKOJE Von den historischen Apfelgärten in Kolomenskoje, die heute den höchsten Punkt des Parks markieren. hat man den besten Blick auf den Moskva-Fluss in seiner herbstlichen Umrahmung. Hier spüren Besucher den Geruch von Äpfeln und Laub, der in Moskau so selten geworden ist. Es gibt keinen Ort, der stiller, schöner und angenehmer wäre, as die Apfelgärten von Kolomenskoje. Man kann Freunde mitnehmen, eine Decke und einen Picknickkorb und einen Tag in einer anderen Welt verbringen.

ITAR-TASS

Eventbranche steckt noch in den Kinderschuhen

Die Olympiastadt Sotschi soll von Großevents wie dem Investitionsforum im September profitieren.

Auftrag gibt, könne man sicher sein, dass dieser fristgerecht erfüllt werde. In Russland müsse man dagegen ständig alles unter Kontrolle behalten und sollte immer auf der Hut sein. Egor Dobrogorskij, Managing Partner bei Communicator Creative Events, war von seiner Teilnahme an der Tourismusmesse IMEX in Frankfurt am Main überrascht. „Alle 45 Sekunden fuhren Busse vor, doch nirgendwo gab es

Staus. Ein strikter Zeitplan, eine gute Navigation – alles wurde bis ins Detail geplant. Russlands größte Messegelände, Crocus Expo und Expozentrum in Moskau, könnten hier viel lernen.“ Dafür, dass der Markt noch in den Kinderschuhen steckt, sprechen auch die eklatanten Preisunterschiede, so Dobrogorskij. Als seine Agentur kürzlich den Aufbau eine Messestandes für den Ölförderer Rosneft ausgeschrieben hatte, un-

Moskau kann getrost zu den grünsten Metropolen gezählt werden. Es gibt hier über fünfzig Parks und Anlagen, um die herbstliche Natur zu genießen. Die malerischsten unter ihnen sollten Sie bei einem Moskau-Besuch auf keinen Fall verpassen.

Reiseführer durch die malerischsten Ecken des herbstlichen Moskaus

T R AV E L 2 M O S C O W. C O M

terschieden sich die Angebote – trotz genauer Vorgaben – um das Zwei- bis Zweieinhalbfache. „Das zeigt definitiv, dass der Markt noch r e c ht u n z iv i l i s ie r t i s t“, s o Dobrogorskij. Dafür übersteigen die Ausgaben für Betriebsfeiern in Russland oft die Vorstellungskraft ausländischer Kollegen. Kosten in Höhe von einer bis zwei Millionen Euro für ein Firmen-Fest sind keine Seltenheit.

DER ISMAJLOWSKIJ PARK Dieser Park lädt ein zu einer herbstlichen Wandern in der Stadt. Im Gegensatz zu den übrigen Anlagen in Moskau erinnert er mehr an einen richtigen Wald mit verzweigten Bäumen und moosigen Baumstümpfen. Hier lässt sich mit trockenem Laub rascheln und einen bunten Strauß aus bunten Herbstblättern mit nach Hause nehmen. Wer den Park komplett erkunden möchte, sollte den Fahrradverleih nutzen. Aber wer ihn nur komplett sehen will, kann auch auf das Riesenrad steigen.

ZARIZYNO Zarizyno ist der einzige Großpark Moskaus im englischen Stil. Eine Verbindung der roten Ziegelsteine und des weißen Marmorschmucks ist das Markenzeichen der Anlage. Gothische Schlösser, Lauben, und geschnörkelte Brücken passen sich effektvoll in die herbstliche Landschaft ein. Ein ganzes Netz von Teichen spiegelt die Schönheit ringsum. Im Herbst ist es früh dunkel und man kann abends den Musikspringbrunnen mit farblicher Untermalung auf der Hufeisen-Insel des Zarizyno-Teichs bewundern.

HERRENHAUS KUSKOWO Der französische Park, geschmückt mit originellen Marmorskulpturen mythischer Gestalten, sowie das erhaltene Sommerschloss mit seiner größtenteils erhaltenen Einrichtung und einer Keramiksammlung machen dieses Anwesen einzigartig. Es gibt keinen besseren Ort in Moskau, um die herbstliche Geometrie der Landschaft zu bewundern. Es ist schön, am Wochenende hierher zu kommen, besonders im Frühherbst, wenn die Bäume und Büsche sich in die grellsten Farben färben.


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