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Mittwoch, 5. November 2014

Deutsche Ausgabe

Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times.

Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich. Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt.

Metallindustrie kommt aus der Krise

UNSER THEMA DES MONATS

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Ein neues Mediengesetz in Russland droht, ausländische Investoren aus der Branche zu vertreiben. Betroffen sind auch deutsche Verlage, deren russische Tochterfirmen zu den

Unsere Inhalte unterscheiden sich je nach Plattform. Verpassen Sie also nicht:

Michail Gorbatschow im Exklusiv-Interview größten Medienunternehmen des Landes zählen. Hinter verschlossenen Türen wird bereits nach Auswegen gesucht. SEITE 7

Monatliche Ausgaben, die weltweit führenden Zeitungen beiliegen. Die Inhalte behandeln umfassend ein Thema des Monats, das auf Ihre Interessen abgestimmt ist. Unsere Printausgabe digital >> de.rbth.com/e-paper

Der Vater der Perestroika und letzter Präsident der UdSSR erinnert im Gespräch mit RBTH daran, wer am meisten zum Mauerfall beigetragen hat, schafft Klarheit über das Versprechen,

die NATO nicht nach Osten zu erweitern und erklärt, warum die Hoffnungen der Russen nach 1989 enttäuscht worden sind. SEITEN 10-11

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Verlage unter Druck

DIE NÄCHSTE AUSGABE erscheint am 3. Dezember 2014


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Politik und Wirtschaft

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

INTERVIEW ALEXEJ ULJUKAJEW

«Russland schottet sich nicht ab» RUSSLANDS MINISTER FÜR WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG IM GESPRÄCH MIT RBTH ÜBER AUSLÄNDISCHE INVESTOREN UND DIE BEREITSCHAFT DER REGIERUNG, IHNEN FINANZIELL ENTGEGENZUKOMMEN gen, Anschluss an das Energienetz und Zollformalitäten.

Wie geht es derzeit der russischen Wirtschaft? Was hat sich in letzter Zeit getan, insbesondere vor dem Hintergrund der internationalen Sanktionen? Wir beobachten eine ambivalente Auswirkung der Sanktionen auf die russische Wirtschaft. Einerseits lässt sich nicht verhindern, dass Wachstumstempo und die Liquidität sinken, während die Inflation und Volatilität des Rubel-Kurses steigen. Andererseits hilft uns gerade die aktuelle Situation, das strukturelle Ungleichgewicht, durch das die russische Wirtschaft schon seit geraumer Zeit geprägt ist, zu überwinden. Das betrifft vor allem die äußerst ungesunde Abhängigkeit vom Export fossiler Brennstoffe sowie die Fokussierung auf den Import eines sehr breiten Warenspektrums, mit dem sowohl der Bedarf der Industrie, als auch der Privatkonsumenten gedeckt wird. Die russische Wirtschaft ist stabil genug, um auch in Zukunft noch weiter wachsen zu können. In der Rangliste der globalen Wettbewerbsfähigkeit 2014-2015 des Internationalen Wirtschaftsforums konnte sich Russland binnen eines Jahres unter den insgesamt 144 bewerteten Staaten ganze elf Plätze nach oben arbeiten, vom 64. auf den 53. Rang. Zu den Wettbewerbsvorteilen zählen zum Beispiel das sehr hohe Bildungsniveau in Russland und das große Innovationspotenzial des Landes.

Auf welche Weise kann Russland die strukturellen Wirtschaftsprobleme lösen, von denen Sie gesprochen haben?

Wir arbeiten an einer Verbesserung des Investitionsklimas, damit sich die Geschäftswelt sicher fühlen kann. BIOGRAFIE POSTEN: WIRTSCHAFTSMINISTER ALTER: 58

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Wie schnell kann die russische Wirtschaft in einer solchen Situation die Krise überwinden? Unsere Prognose der Wirtschaftsentwicklung geht davon aus, dass die Wirtschaft vorab stabilisiert wird und es in naher Zukunft keine weiteren ernsthaften Sanktionen geben wird. Die Kapitalflucht könnte bis 2017 deutlich verringert werden. Es ist zu erwarten, dass das Wachstumstempo des BIP im Jahre 2015 auf 1,2% steigen wird (gegenüber 0,5% im Jahre 2014). Ein beschleunigtes Wachstum hängt vor allem mit steigenden Investitionen zusammen, deren Umfang 2015 um 2,0% wachsen wird, während wir im laufenden Jahr von einem Rückgang um 2,4% ausgehen. Wir arbeiten an der Verbesserung des Investitionsklimas, damit die Geschäftswelt sich in jeder Beziehung angenehm und sicher fühlen kann. Russland schottet sich nicht von der Außenwelt ab und erhält seine Geschäftsbeziehungen aufrecht.

Der gegenwärtige Zeitpunkt ist so günstig wie noch nie, um effektiv in die Entwicklung des Landes zu investieren.

Russland befi ndet sich in einer Phase neuer ökonomischer Bedingungen, und der Staat sollte den Gürtel enger schnallen. Die Situation des Staatshaushaltes verschärft sich noch dadurch, dass langfristig betrachtet die Einnahmen des Landes gegenüber den Vorjahreszeiträumen weiterhin zurückgehen werden. Bleiben wesentliche Veränderungen in der Wirtschaft aus, kann die Haushaltspolitik des Staates nicht damit rechnen, dass die neg at ive n Fa k t or e n ge r i n ge r werden. Gleichzeitig ist der gegenwärtige Zeitpunkt so günstig wie noch nie, um effektiv in die Entwicklung des Landes zu investieren. Mit dem Importstopp für bestimmte Waren aus den USA, Kanada, Norwegen und den Ländern der EU als Reaktion auf die Sanktionen hat Russland die einmalige Möglichkeit bekommen, seine wesentlichen Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft und die

Lebensmittelindustrie grundlegend weiter zu entwickeln. Die Programme zur Subventionierung der Landwirtschaft, zur Gründung von Betrieben auf der Basis öffentlich-privater Partnerschaften, die dafür sorgen können, die Importabhängigkeit deutlich zu verringern, bedürfen sehr hoher Aufwendungen. Welche russischen Regionen sind nach Ihrer Meinung für ausländische Investoren attraktiv? Die dynamische Entwicklung der Regionen in Sibirien und dem Fernen Osten hat oberste Priorität, und der Beschluss über die Einführung eines günstigeren Gewinnsteuersatzes für neue Investitionsprojekte, die in diesen Regionen realisier t werden, wurde bereits verabschiedet. Der nächste Schritt wird die Ausweitung dieser Vergünstigungen auf ganz Ostsibirien, einschließlich der Region Krasnojarsk und der Republik Chakassien, sein.

Alexej Uljukajew wurde 1956 in Moskau geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Moskauer Lomonossow-Universität, wo er auch promovierte. Zwischen 1982 und 1988 unterrichtete er politische Ökonomie an der Moskauer Bauuniversität, danach wechselte er in den Journalismus und wurde politischer Korrespondent der Zeitung Moskowskie Novosti. 1991 bis 1994 fungierte er als Wirtschaftsberater der russischen Regierung. Zwischen 1994 und 2000 leitete er das Gaidar-Institut für Wirtschaftspolitik. Er war stellvertretender Finanzminister von 2000 bis 2004. Danach wurde er Vize-Chef der russischen Zentralbank. Seit Juni 2013 ist er Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Er hat einen Doktortitel der französischen Universität Pierre Mendès-France.

Außerdem wird gegenwärtig die Möglichkeit untersucht, im Fernen Osten und in Ostsibirien sogenannte Gebiete mit zukunftsweisender Entwicklung einzurichten. In diesen Gebieten sollen Sonderbedingungen geschaffen werden für jene Produktionsstätten, die nicht zum Rohstoffsektor gehören und zum Teil auch exportorientiert agieren. Für neue Betriebe, die in einem solchen Gebiet mit zukunftsweisender Entwicklung geschaffen werden, sind eine fünfjährige Befreiung von der Gewinnsteuer, der Steuer auf Bodenschätze mit Ausnahme von Öl und Gas, der Grund- und Eigentumsteuer sowie geringere Versicherungsbeiträge vorgesehen. Wir planen, in diesen Gebieten unternehmerfreundliche Bedingungen zu schaffen, die gegenüber den Bedingungen in den Geschäftszentren der asiatischpazifischen Region konkurrenzfähig sind, einschließlich solcher Prozeduren wie Baugenehmigun-

Wodurch ist Russland zum gegenwärtigen Zeitpunkt attraktiv für ausländische Investoren? Im World Investment Report 2014, der von der UNCTAD, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, herausgegeben wird, wird Russland als eines der attraktivsten Schwellenländer für ausländische Investoren aufgeführt. Unser Vorteil liegt in der sehr guten Ertragsfähigkeiten bei Investitionen im Energiebereich und im Bereich von anderen natürlichen Ressourcen. Nicht nur russisches Erdöl und Erdgas, sondern auch unsere Erze und Holz ziehen ausländische Investoren an. Leider gibt es bisher nur sehr wenige Beispiele für die Schaffung von Betrieben mit einer sehr großen Fertigungstiefe. Russland ist eindeutig nicht nur an der Akquisition von Finanzkapital interessiert, sondern auch an neuen Technologien, Know-how und internationaler Managementerfahrung, die die unternehmerische Tätigkeit wesentlich effizienter werden lassen. Um die Abhängigkeit unseres Landes von den Rohstoffexporten und den Hightech-Importen zu verringern und den Anteil der Produktion mit einer höheren Wertschöpfung zu vergrößern, müssen mehr Investitionen zur Modernisierung der Industrie, des Dienstleistungssektors und der Landwirtschaft akquiriert werden. Gegenwärtig sind in Russland bereits einige ausländische Großkonzerne, zum Beispiel Volkswagen, Siemens und Samsung, aktiv. Will Russland sie dazu bewegen einen größeren Anteil ihrer Produktion im Land zu lokalisieren und herzustellen? Diese Forderung von unserer Seite betrifft alle ausländischen Industriebetriebe, die in Russland in erster Linie über Montagebetriebe verfügen. Ein effektives Instrument zum Ausbau der Lokalisierung ist die Schaffung von Branchenclustern und Industrieparks. In zahlreichen Regionen Russlands wurden und werden solche Produktions-Agglomerationen geschaffen. Ein Vorreiter ist hier die Automobilindustrie. In den Gebieten Kaluga und Kaliningrad sowie im Umland von St. Petersburg existieren bereits richtiggehende Montagecluster der führenden internationalen Unternehmen. Der nächste logische Schritt ist der Aufbau von Betrieben aus dem Zulifererbereich in diesen Regionen. Das Gespräch führte Viktor Kusmin.


Finanzen

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Sanktionen Wie es russischen Banken und Firmen nach zweieinhalb Monaten geht

Russlands Wirtschaft unter Strafe: eine Zwischenbilanz

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Asien und Staatshilfe als Alternative

Seit mehr als zwei Monaten gelten die Sanktionen gegen die größten russischen Banken und Konzerne. RBTH ging der Frage nach, was das für das Bankensystem bedeutet. ANTON SWESCHNIKOW FÜR RBTH

Seit die Sanktionen gegen die größten russischen Banken und Konzerne in Kraft getreten sind, sind mittlerweile mehr als zwei Monate vergangen. So lange haben die Unternehmen bereits keinen Zugang zu ausländischem Geld und langfristigen Finanzierungskrediten mehr. Noch haben die staatlichen Banken allerdings keine großen Probleme, denn ihnen stehen die Einlagen ihrer Kunden zur Verfügung. Die Zinsen wiederum sind bisher nicht spürbar gestiegen. Die Einlagen garantieren den großen Banken also stabile Rubeleinnahmen zu relativ geringen Kosten. Dies bestätigen verschiedene Experten auf Anfrage von RBTH, doch sie merken gleichzeitig an, dass den Banken die größten Schwierigkeiten erst noch bevorstehen. Die Finanzhäuser selbst hüllen sich lieber in Schweigen und wollten sich gegenüber R BT H n icht äußern. Die größte Herausforderung für die Banken wird die Tilgung ihrer in ausländischer Währung, meist in US-Dollar, angehäuften Schulden gegenüber internationalen Geldgebern. Zur Erinnerung: Der Bankensektor nahm im vergangenen Jahr mehr als elf Milliarden Euro an Kapital auf den Anleihemärkten auf, 70 Prozent davon entfielen auf die Institute, die jetzt von den Sanktionen betroffen sind.

Private Banken sind keine Alternative Von September 2014 bis März 2015 müssen die Banken Auslandsschulden in Höhe von 27 Milliarden Euro zurückzahlen. Wie

sourcen, die von Anfang des Jahres übrig geblieben sind, und einige der größten Konzerne konnten sogar einen Teil ihrer Kredite aus dem Westen vorzeitig tilgen“, erklärt Igor Dmitrew, stellvertretender Vorsitzender der Bank für Zahlungsverkehr und Spareinlagen. Doch es gebe bereits eine Tendenz zur verstärkten Aufnahme von Krediten auf dem Binnenmarkt, wie der Ökonom ergänzt, wobei sich die Geschäftswelt eher den großen Privatbanken zuwende. Wie die Online-Zeitung „RBC“ unter Verweis auf anonyme Quellen mitteilte, haben Kreditverhandlungen zwischen den von den Sanktionen betroffenen Ölkonzernen Rosneft und Gazpromneft sowie einigen anderen Konzernen mit einer Reihe russischer Privatbanken begonnen. „Seit die westlichen Kapitalmärkte für die größten Kreditnehmer Russlands nicht mehr zugänglich sind, wenden sich die größten Konzerne, die uns traditionell nie beachtet haben, nun mit Kreditanfragen an uns“, freut sich Alexej Petrow, Leiter der Syndizierungsabteilung der Alfa-Bank, und fügt hinzu: „Wir haben bislang kein Geschäft abgeschlossen, noch sind wir in der Verhandlungsphase. Aber schon das ist beachtlich.“

ZAHLEN

Sanktionen: Aus der Schusslinie gebracht

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In der Zwischenzeit zeigt sich, dass russische Banken auch anderweitig versuchen, sich aus dem Schussfeld der westlichen Sanktionen zu entfernen. So ist es auf dem russischen Finanzmarkt zu einem richtungsweisenden Geschäft gekommen: Russlands zweitgrößte Bank, die staatliche VTB (Vneschtorgbank) hat 20 Prozent ihrer Anteile an dem zyprischen Tochterunternehmen RCB Bank Ltd. an einen langjährigen Partner, die Bank Otkrytie, die von den Sanktionen nicht betroffen ist, verkauft. Laut Experten

versucht die VTB-Bank auf diese Weise, die RCB-Bank vor den Sanktionen zu retten, von denen die zyprische Bank als ein von der VTB-Bank kontrolliertes Unternehmen betroffen sein könnte. Laut der Analystin Jelena Fedotkowa verfolgt die VTB möglicherweise das Ziel, den eigenen Anteil am Kapital der RCB-Bank auf unter 50 Prozent zu drücken. Denn so verliert das Unternehmen seinen Status als Tochterfirma und entzieht sich der Wirkung von Sanktionen, die für staatlich kontrollierte Institute gelten.

Natalja Orlowa, Chefökonomin der privaten Alfa-Bank, unterstreicht, bedeuten die von den USA und der Europäischen Union eingeführten Sanktionen, dass alle davon betroffenen Banken Schwierigkeiten bei der Refinanzierung auf den Weltmärkten haben werden. Eine naheliegende Lösung scheinen inländische Kredite zu sein. Banken, die nicht von den Sanktionen betroffen sind und Zugang zu ausländischem Geld haben, könnten diese Mittel weitergeben. Da es sich dabei meist um mittelgroße Geldhäuser handelt, be-

kommen sie aber nicht die günstigen Bedingungen wie einst die staatlichen Marktführer. Außerdem ist es das Geschäftsmodell jeder Bank, Geld an Krediten zu verdienen, indem sie diese ein bis zwei Prozentpunkte teurer anbietet. Für die sanktionierten Institute würde das die Kosten treiben.

Mrd. Euro beträgt die gesamte Schuldenlast Russlands samt Staats-, Bank- und Unternehmensschulden gegenüber dem Ausland.

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Mrd. Euro entfallen davon auf die Wirtschaft, zu der auch Staatsbetriebe wie Gazprom und Rosneft gehören, aber auch Banken.

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Mrd. Euro Schulden müssen Russlands Unternehmen und der Bankensektor allein im November und Dezember tilgen.

Inländische Banken werden nicht in der Lage sein, ausländische Kreditgeber komplett zu ersetzen.

Großkonzerne zehren von ihren Reserven Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Blick auf Großkonzerne, die ebenfalls unter die Sanktionen fallen. „Viele zehren noch von ihren Res-

Alexej Kotlow, Abteilungsleiter für syndizierte Finanzierungen bei der Gazprombank, warnt, dass russische Banken nicht allen helfen können. Es sei nicht genug Kapital vorhanden, um alle ausländischen Kapitalgeber zu ersetzen und noch dazu den Bedarf an Krediten und Investitionen zu decken, meint der Experte. „Außerdem ziehen es viele Banken momentan vor, Geldreserven zu hamstern und möchten kein Kapital in Form von Krediten weitergeben“, sagt Kotlow. Teilweise ist auch der russische Staat bereit, den Staatsbanken und großen Unternehmen zu helfen. Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, hat auf dem Investitionsforum in Moskau Anfang Oktober bestätigt, dass der Staat den Finanzinstituten, gegen die von den westlichen Ländern Sanktionen verhängt wurden, helfen werde, ihr Kapital zu erhöhen. Laut Anton Soroko, einem Analysten der Investment-Holding Finam, können die fünf größten Banken des Landes, die von Sanktionen betroffen sind, auf Unterstützung hoffen. Wie Kira Juchtenko, die führenden Analystin des Finanzdienstleisters FBS, erklärte, werden die Staatsbanken in Zukunft ihre Präsenz auf den asiatischen Finanzmärkten ausbauen müssen, um ihren Währungsbedarf zu decken. „Eine Hinwendung zum asiatischen Markt ist möglich und auch notwendig, allerdings reicht das Marktvolumen dort nicht aus. Es können wohl kaum alle Interessenten ihre benötigte Geldmenge zu einem Zinssatz erhalten, der den russischen Bankiers gefällt“, merkt Anton Soroko an. Die asiatischen Kapitalmärkte sind daher wohl eher eine ergänzende, wenn auch vielversprechende Möglichkeit, relativ günstig Kredite zu erhalten.


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Thema des Monats

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

RUSSLANDS RIESEN DIE ZWEITGRÖSSTE BRANCHE DES LANDES KOMMT DANK REFORMEN GESTÄRKT AUS DER KRISE

METALLBRANCHE ERFINDET SICH NEU

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Rusal wurde nach der Übernahme des kleineren Wettbewerbers SUAL und des internationalen Rohstoffhändlers Glencore im Jahre 2007 zum neuen Aluminium-Champion Russlands. Heute ist Rusal in 19 Ländern auf fünf Kontinenten aktiv und hat seinen Hauptsitz in Moskau. Laut Rusal stieg der weltweite Verbrauch von Aluminium in der ersten Jahreshälfte 2014 auf 27 Millionen Tonnen und damit um 6 % im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Am stärksten stieg die Nachfrage nach Aluminium in China (13 %), Japan und Südkorea (jeweils 10 %) sowie in Mittel- und Südamerika (5 %). „Das zu Jahresbeginn noch absolut düstere Bild auf dem Aluminiummarkt hat sich dank eines drastischen Preisanstiegs inzwischen wesentlich aufgehellt“, sagt Ilja Balakirjew, Chef-Analyst der Moskauer Investmentgesellschaft UFS IC. Bezahlt macht es sich auch für die Branche, dass sie, anders als der Öl- und Gassektor, nicht von westlichen Sanktionen betroffen ist. Die russischen Stahl-, Kohle-, Diamanten-, Eisen-, Palladium-, Aluminium- und Kali-Erzeuger sind zwar nicht völlig losgelöst von politischem Einfluss, aber in sicherem Abstand zur Risikozone.

Russia Beyond The Headlines

Riesen in privater Hand

Sinkende Rohstoffpreise zwingen Russlands Metallbranche zu Kostensenkungen und harten Einschnitten. Doch der Umbau zahlt sich bereits aus. DAVID MILLER UND ALEXEJ LOSSAN FÜR RBTH

Die fetten Jahre für die russische Metallindustrie scheinen endgültig vorbei zu sein. Die horrenden Metallpreise, die die Stahlkocher dank der unstillbar scheinenden Nachfrage aus China und Indien einst reich machten, kommen so schnell nicht wieder. Die verwöhnte Branche musste sich daher in den vergangenen Jahren einem knallharten Fitnessprogramm unterziehen und schmerzhafte Einschnitte verkraften. Dazu gehörten etwa der Verkauf ausländsicher Beteiligungen, Investitionen in die Modernisierung der

Anlagen und die Fokussierung aufs Kerngeschäft. Dank dieses Fitnessprogramms können sich die Gewinne der Branche wieder sehen lassen, und es gibt Anzeichen, dass die Zukunft auf einigen Gebieten ein wenig freundlicher aussehen wird. „Die globale Aluminiumindustrie hat die Talsohle durchschritten“, erklärte Rusal-Geschäftsführer Oleg Deripaska im Sommer, nachdem das Unternehmen, das fast 9 % des gesamten Aluminiumbedarfes in der Welt deckt, für das zweiten Quartal 2014 ein Ergebnis von 91,6 Millionen Euro gemeldet hatte.

Aluminium boomt Es war das erste Mal seit einem Jahr, dass Rusal einen Quartalsgewinn vermelden konnte. Inzwischen haben die Aluminiumpreise im dritten Quartal angezogen.

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Russland gehört zu den Ländern mit den reichsten Vorräten an Rohstoffen. Im russischen Boden lagern ungefähr 25 Milliarden Tonnen Eisenerz, die drittgrößten Vorkommen der Welt. Hoch im Norden, hinter dem Polarkreis, fördert

Norilsk Nickel Rohstoffe und deckt mit seinen Erzeugnissen 14 % des globalen Bedarfs an Nickel und 41 % des Bedarfs an Palladium. Norilsk gehört mit einem Weltmarktanteil von 11 % auch zu den vier größten Platinproduzenten und deckt 2 % des weltweiten Kupferbedarfes. Russland ist auch der drittgrößte Exporteur von Hüttenaluminium und -stahl und verfügt über die zweitgrößten Kohlenvorräte der Welt. Und dann sind da noch Russlands Kronjuwelen: die weltweit größten Erdgasreserven und achtgrößten Erdölreserven. Die übergroße Bedeutung der russischen Erdölund Erdgasproduktion für die Wirtschaft des Landes hat den Kreml dazu veranlasst, diese Branche fester in der Hand zu halten als andere Rohstofferzeuger. Russlands Metallindustrie befindet sich dagegen mehrheitlich in privater Hand. Die Aktien der größten Unternehmen der Branche werden über die Börsen in Moskau, London und New York an internationale Kapitalanleger verkauft.

Reformen zahlen sich aus Russlands große Stahlerzeuger haben kontinuierlich Anstrengungen unternommen, um Kosten zu senken, schlechte Aktiva abzustoßen und sich wieder auf den einheimischen Markt zu fokussieren. Die Erfolge der Unternehmen können sich sehen lassen, auch wenn der Reingewinn nicht ganz so glänzend ist wie das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibung auf Sachanlagen und nichtmaterielle Vermögenswerte. Im August war

Novolipetsk-Steel beispielsweise, kurz NLMK genannt, nach Kostensenkungen das profitabelste Stahlunternehmen der Welt. Laut Angaben der Wirtschaftsagentur Bloomberg betrug das EBITDA des Unternehmens im zweiten Quartal 461 Millionen Euro. Mit seiner Gewinnspanne von 21 % stellte der Konzern, der seit 2005 an der Londoner Börse gelistet ist, a l l e We t t b e w e r b e r i n d e n Schatten. Severstal, das Stahl- und Bergbauunternehmen, an dem der Milliardär Alexej Mordaschow einen Mehrheitsanteil hält, gehörte mit einer Gewinnspanne von 19 % laut Bloomberg vor Kurzem auch noch zu den 25 profitabelsten Firmen der Branche. Im Sommer dieses Jahres stieß Severstal seine US-amerikanischen Aktiva in Columbus (Mississippi) und Dearborn (Michigan) für insgesamt 2,3 Milliarden US-Dollar ab und zahlte davon eine Milliarde US-Dollar als Sonderdividende aus. Auch der Bergbau- und Stahlkonzern Mechel beabsichtige, Vermögenswerte in Höhe von 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro zu verkaufen, um damit seine Schulden von 6,3 Milliarden Euro zu verringern, erklärte Geschäftsführer Oleg Korschow im September gegenüber der Moskauer Wirtschaftszeitung Wedomosti. Mechel befindet sich in Verhandlungen mit staatlichen Banken, um eine Umschuldung zu erzielen, die das Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung dem Unternehmen, das über 70.000 Mitarbeiter beschäftigt, mit Rettungspaketen unter die Arme greift.


Thema des Monats

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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ZAHLEN

Bergbau Neue Technologien sollen die Förderung Seltener Erden ermöglichen.

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Comeback im Ural geplant

Vier Milliarden Euro investierten die Stahl- und Buntmetallhersteller im vergangenen Jahr. Im laufenden Jahr dürften die Investitionen geringer ausfallen.

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Die russische Buntmetallbranche setzte im vergangenen Jahr Waren im Wert von 30 Milliarden Euro um. Der Export betrug mehr als 13 Milliarden Euro, also fast die Hälfte des Umsatzes.

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Der Anteil von Stahl und Buntmetallen am Gesamtexport Russlands lag im vergangenen Jahr bei 9,6 Prozent. 4,7 Prozent des BIP werden in der Metallurgie erwirtschaftet.

5 Russland belegt hinter China, Japan, Indien und den USA den fünften Platz unter den weltweit größten Stahlherstellern.

Innerhalb der nächsten drei Jahre soll im Ural der Abbau von Seltenen Erden starten. Damit kratzt Russland am Thron der chinesischen Alleinherrscher auf dem Weltmarkt.

Seltene Erden sind ein unverzichtbarer Rohstoff für die Elektronikbranche und die Rüstungsindustrie. Die meisten Vorkommen werden von chinesischen Förderern kontrolliert.

DARJA KESINA FÜR RBTH

Russland hofft schon bald auf ein Comeback im Bereich der Seltenen Erden. Eine Entwicklung von Forschern der Uraler Föderalen Universität URFU, die die Gewinnung Seltener Erden bei der Förderung von Uran ermöglicht, soll d ie P r o du k t io n i m L a n d e voranbringen. Gegenwärtig kontrolliert China 97% aller Lieferungen von Metallen der Seltenen Erden. Von den jährlich weltweit produzierten 120.000 Tonnen entfallen nur etwa einhundert Tonnen auf Russland. Zu Zeiten der Sowjetunion gehörte das Land noch zu den Weltmarktführern in diesem Bereich. Die neue Technologie soll es nun richten – und eine Steigerung der Produktion auf 1.000 Tonnen ermöglichen. „Gegenwärtig gibt es in Russland keine nennenswerte Produktion, doch diese Materialien werden in vielen Bereichen benötigt. Wirtschaftlich gesehen lohnt es sich, die Eigenproduktion an Seltenen

Erden wieder aufzunehmen“, sagte Sergej Kortow, Rektor der Uraler Föderalen Universität gegenüber RBTH. Die Forscher planen in den kommenden drei Jahren eine Probeförderung und werden verschiedene Tests mit der neuen Technologie durchführen. Dafür stellt die russische Regierung der Universität 6,2 Millionen Euro zur Verfügung. Weitere 7,3 Millionen Euro steuert ein Moskauer Partnerunternehmen der Hochschule bei. In der Theorie sieht die Gewinnung der Metalle folgendermaßen aus: Zuerst wird Schwefelsäure in die Erde gepumpt, die Uran und Seltene Erden löst. Das gewonnene Konzentrat wird aufgefangen und mithilfe einer speziellen Verarbeitungsanlage in seine wert-

vollen Komponenten getrennt. Das Revolutionäre an dieser Entwicklung ist das Sorptionsmittel, das selektiv Uran, Seltene Erden und Skandium aus der Lösung absorbiert und dabei keine Auswirkungen auf die Uranproduktion hat. Eben dieses Sorptionsmittel wurde von den Forschern der Ural-Universität gemeinsam mit ihren Partnern synthetisiert.

Potenzielle Auftraggeber zeigen Interesse Die Erfinder dieser neuen Technologie am Physikalisch-Technischen Institut der Uraler Föderalen Universität forschen seit langer Zeit an Neuentwicklungen in diesem Bereich. „Wir beschäftigen uns schon lange mit den Seltenen Erden und verfolgen deren

Entwicklung weltweit sehr genau. In Russland hat sich lange niemand für die Produktion von Seltenen Erden interessiert. Doch wir haben Zukunftstechnologie entwickelt. Jetzt ist unsere Zeit gekommen“, glaubt Professor Wladimir Rytschkow, Leiter der Forschungsgruppe. Er hofft, dass die neue Technologie hilft, die Effizienz der Verarbeitung der Vorprodukte aus den Uranminen zu steigern und Importe im Metallurgiebreich abzulösen. Seltene Erden und Skandium werden heute für die Rüstungsindustrie, die Radioelektronik, den Gerätebau, die Atomtechnik, den Maschinenbau, die Chemieindustrie und die Metallurgie benötigt. „Die Produktpalette, die wir herstellen wollen, ist riesig: Metalle, Oxide, Poliermittel, Rohre, Magnete, Phosphor und vieles mehr“, so Rytschkow. Nicht nur die Rüstungsindustrie, die sowohl von China als Lieferant Seltener Erden als auch von westeuropäischen Elektroniklieferanten abhängig ist, will Aufträge erteilen. Nach Aussagen der Wissenschaftler sei auch Rosatom, der staatliche Atomenergiekonzern, am industriellen Einsatz der Technologie interessiert. Auch andere russische und europäische Unternehmen haben ihr Interesse bekundet. Besonders begehrt ist Neodym, einem Metall, das insbesondere in der Elektronikindustrie und im Maschinenbau eingesetzt wird.

Gold ist das Anlageprodukt schlechthin. Doch die steigende Produktion könnte zu einem Überangebot führen.

Russlands Goldfieber sorgt für sinkende Preise Russland will die Produktion hochfahren und fördert bereits jetzt mehr Gold als die USA. Zukäufe könnten für weiteres Wachstum sorgen. LEONID CHOMERIKI

belegte weltweit den dritten Platz. In den vergangenen Jahren hat die Goldförderung in Russland immer schneller zugenommen. Allein im ersten Halbjahr 2014 stieg die Produktion um 27 Prozent auf 116 Tonnen.

FÜR RBTH

Seit 2001 galt Gold aufgrund der ständigen Wertsteigerung als eine der besten Geldanlagen: Der Preis dieses Metalls stieg mehr oder weniger kontinuierlich bis zum Jahre 2013. Doch nun scheint die drastische Produktionssteigerung den Trend umgekehrt zu haben. Ende 2013 hatte Russland erstmals seit 25 Jahren die USA bei der Förderung des Edelmetalls überholt und

Mehr Gold, sinkende Preise „Im Land gibt es eine Reihe Projekte, die die Goldförderer im Zeitraum von 2014 bis 2015 umsetzen werden. So wird die Goldproduktion in Russland in den nächsten vier bis fünf Jahren noch weiter steigen“, sagt Nikolaj Selenskij, Generaldirektor von Nordgold. Kürzlich erklärte der Gouverneur von Magadan, der goldreichsten

Region Russlands im Fernen Osten, dass die Produktion von derzeit 24 auf 80 Tonnen steigen könnte. Im sibirischen Kemerowo will das südkoreanische Unternehmen Koeura 157 Millionen Euro in die Erschließung von drei Goldlagerstätten investieren. Die Vergrößerung der Fördermengen führte zu einem drastischen Sturz des Goldpreises. 2013 fiel dieser um 24 Prozent. Sollte der Preis unterhalb von 800 Euro pro Feinunze sinken, müssten Kapazitäten außer Betrieb genommen werden, erklärte Witalij Nesis, Chef des Unternehmens Polymetall im Juli 2014 in einem Interview mit der russischen Wirt-

schaftszeitung Kommersant. Neue Anlagen seien erst bei einem Goldpreis von mindestens 1.200 bis 1.300 Euro pro Feinunze rentabel. Am 13. Oktober 2014 kostete eine Feinunzer auf dem Edelmetallmarkt in London 969 Euro. Nach Angaben des Verbandes der Goldindustrie Russlands befinden sich die Produzenten erst ab einem Mindestpreis von ungefähr 950 Euro pro Feinunze des Edelmetalls in der Gewinnzone.

Übernahmen erwartet „Wir erwarten einen gemäßigten Rückgang des durchschnittlichen Goldpreises von drei bis fünf Prozent per anno für die nächsten zwei Jahre“, sagt der Chef der Analyseabteilung von IK RussInvest, Dmitrij Bedjenkow. Nach seinen Angaben lag der durchschnittliche Goldpreis zu Beginn dieses Jahres 6,5 Prozent unter dem Stand vom Vorjahr.

Als mögliche Lösung für das Problem der Gold fördernden Unternehmen nennen Fachleute Fusionen und Übernahmen sowie die anschließende Liquidierung unrentabler Betriebe. „Es gibt derzeit einige Unternehmen mit guten Projekten, die sie allerdings aufgrund des Preissturzes und des damit verbundenen gesunkenen Marktwertes nicht realisieren können und deshalb solchen Deals gegenüber aufgeschlossen sein dürften“, meint Nikolaj Selenskij von Nordgold. „Auch die größten russischen Goldförderer, Poljus Gold und Polymetal, planen eine Erhöhung des Produktionsausstoßes, sind dabei aber an einem steigenden Goldpreis interessiert. Deshalb dürfte der Ausbau der Förderkapazitäten durch Neuerwerbungen erfolgen“, erklärt der Direktor der analytischen Abteilung von United Traders, Michail Krylow.


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Exporte

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Investitionen Russland ist einer der wichtigsten Märkte für deutsche Gießerei- und Hüttenausrüster. 180 Millionen Euro teuren Stahlwerks in Tula, südlich von Moskau, den sich die SMS Meer in die Auftragbücher schreiben durfte. Ein Deal, auf den ebenfalls deutsche Firmen hoffen, ist zudem der Bau einer Galvanisierungsanlage für etwa 140 Millionen Euro, über den der russische Konzern NLMK bis Ende des Jahres entscheiden wird. Ein ähnlicher Auftrag ging bereits vor einigen Jahren an die deutsche Andritz Sundwig GmbH. Größerer Investitionsbedarf besteht dagegen in der Buntmetallbranche. Viele Aluminiumhütten arbeiten mit dem veralteten Söderberg-Verfahren, das die Umwelt stark belastet. Sollten die Aluminiumpreise anziehen, könnten Modernisierungen wieder angeschoben werden, hofft man bei der Riedhammer GmbH in Nürnberg, dem führenden Hersteller von Industrieofen-Anlagen.

Flaute bei guter Aussicht Deutsche Ausrüster haben mit Russlands Metallunternehmen stets gute Geschäfte gemacht. Diese stocken nun angesichts von Sanktionen. Dabei bleibt das Potenzial riesig.

Die deutsche SMS Meer baute Russlands modernste Röhrenfabrik „Höhe 239“.

MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Weitreichende Pläne

PRESSEBILD

Wenn in Kürze die internationale Ausstellung Metall-Expo in Moskau beginnt, werden rund 30.000 Spezialisten der Metallbranche aus Dutzenden Ländern nach Russland kommen. Mit 47 Unternehmen sind die Deutschen nach China die zweitstärkste Ausstellernation. Kein Wunder, schließlich gehören Russlands Stahlkocher und Buntmetallproduzenten zu den treuesten Kunden von Ausrüstern aus der Bundesrepublik. Doch diesmal dürfte die Stimmung im deutschen Lager gedämpft sein, denn derzeit herrscht eine Auftragsflaute in den deutschen Firmenzentralen. Vor Kurzem erklärte der Hauptaktionär der SMS Group Heinrich Weiss, dass die Ukraine-Krise das Projektvolumen weiter reduziere. „Wir sind zwar nicht direkt vom Embargo betroffen, aber unsere Kunden haben wegen der Sanktionen Probleme bei der Finanzierung ihrer Investitionen“, so Weiss. Russland war in den vergangenen Jahren ein Schlüsselmarkt im Bereich von Gießerei-, Walzwerksund Hüttentechnik sowie von Thermoprozesstechnik. Rund acht Prozent der Exporte deutscher Unternehmen aus diesen Bereichen seien von 2009 bis 2013 jährlich auf das Konto russischer Auftraggeber gegangen, erklärt Ines Polak, Referentin beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, VDMA. Damit lag das Land in der Rangliste der Exportmärkte in dieser Branche auf Platz vier. Zwar weise die Ausfuhrstatistik insbesondere bei der Hütten- und Walzwerkstechnik ein Plus von etwa 20 Prozent im ersten Halbjahr aus. Doch dies sei auf alte Aufträge zurückzuführen. Neue Projekte liegen derzeit auf Eis, obwohl es noch zu Jahresbeginn aufgrund der guten Wirtschaftsbeziehungen in den metallurgienahen Branchen großes Potenzial für neue Projekte gegeben habe, so die VDMA-Expertin. Grund dafür seien insbesondere „aktuelle Rahmenbedingungen“, oder besser gesagt: Verunsicherungen infolge der Sanktionen. „Die Exportstatistiken zeigen insbesondere bei Gießereimaschinen und Industrieöfen starke Rückgänge um jeweils über 40 Prozent.“

Dabei waren deutsche Lieferanten maßgeblich an der tiefgreifenden Modernisierung der russischen Metallurgie in den vergangenen Jahren beteiligt. So lieferte die Düsseldorfer SMS Group zwei Großblechstraßen nach Tscheljabinsk und nach Vyksa. In beiden Fällen lagen die Investitionen der russischen Kunden bei mehr als einer Milliarde Euro. Auch der Stolz der russischen Röhrenindustrie, die Fabrik „Höhe 239“, stammt von der SMS Meer, einem Tochterunternehmen der Düsseldorfer Gruppe. Das Werk produziert Pipelines mit einem maximalen Durchmesser von 1,4 Metern und gilt als modernste Anlage ihrer Art in Russland. Die Gesamtinvestitionen für die 2010 in Betrieb gegangene Fabrik beliefen sich auf eine halbe Milliarde Euro.

Weniger Investitionen, kleinere Projekte Russlands Stahlbranche ist nun bescheidener geworden. Sanktionen sind dabei nicht der einzige Grund. Tatsächlich haben viele Branchengrößen zum Jahresanfang angekündigt, Investitionen zurückzufahren. So will der Stahlkonzern NLMK geplante Investitionen im Umfang von 2,8 Milliarden Euro bis 2018 strecken. In den vergangenen vier Jahren beliefen sich die Investitionen noch auf 4,5 Milliarden Euro. Auch die Holdings Evraz und Severstal gaben an, ihre jährlichen Investitionen in den kommenden Jahren

jeweils unter 800 Millionen Euro zu drücken. Die Stahlwerke der Region Tscheljabinsk, MMK, ChTPZ, Ch MK, Mechel und UGMK, haben seit 2010 etwa 3,5 Milliarden Euro investiert.

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Angesichts der Investitionsflaute sind die Projekte, um die sich deutsche Auftragnehmer derzeit in Russland bemühen, deutlich kleiner geworden. Der größte Auftrag im laufenden Jahr: Der Bau eines

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Geht es nach der russischen Regierung, sollte das lieber heute als morgen passieren. Denn das Wirtschaftsministerium hat ehrgeizige Pläne für die zweitwichtigste Industrie des Landes. Die Investitionen der Stahlhersteller sollen laut eines Strategiepapiers bis 2020 rund 15 Milliarden Euro betragen, wobei zwei Drittel davon in die Zeit nach 2017 fallen. Gleichzeitig soll die Stahlproduktion um 14 Prozent auf 80 Millionen Tonnen jährlich steigen. Neue Großprojekte sollen dies ermöglichen, etwa ein Stahlwerk im Fernen Osten mit einer jährlichen Kapazität von 2,2 Millionen Tonnen, dessen Baustart für 2016 geplant ist. Allein dafür rechnen Regierungsvertreter mit Investitionen von über vier Milliarden Euro. Weitere Mega-Projekte sind die Erschließung des Erzvorkommens Tajoschnoe in Jakutien durch die Evraz-Holding oder Investitionen der KOKS-Gruppe in ihr Stahlwerk in Tula, die sich bis 2020 auf eine Milliarde Euro belaufen werden. Bei der Umsetzung dieser Projekte dürften ausländische, insbesondere deutsche Hersteller eine große Rolle spielen. „Insgesamt 80 Prozent der notwendigen Ausrüstung kommt aus dem Ausland, vorrangig von den drei Branchengrößen SMS Group, Siemens und Daniele“, heißt es in dem Papier. Auch der Vize-Chef der EvrazHolding, Alexej Iwanow, glaubt, dass ausländische Hersteller weiterhin gute Chancen auf dem russischen Markt haben. „Der internationale Maschinenbau ist uns einen Schritt voraus. Importsubstitution ist möglich, nicht jedoch bei ganzen Anlagen“, sagte Iwanow kürzlich in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Expert. Dabei gehe es weniger um den Preis, denn um Qualität.


Medien

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Neues Mediengesetz soll der nationalen Sicherheit dienen und bringt gleichzeitig ausländische Verlage in Bedrängnis. ZAHLEN

62 Millionen So groß ist ungefähr die Leserschaft der Magazine, die von den deutschen Verlagshäusern Hubert Burda, Bauer und Axel Springer in Russland herausgegeben werden.

500 Millionen Euro So hoch sind etwa die Werbeeinnahmen von Magazinen, dem Segment mit den meisten deutschen Investoren. 2008 lagen sie über einer Milliarde, stürzten dann jedoch um mehr als die Hälfte ab.

200 Publikationen

PHOTOXPRESS

Die deutschen Verlage in Russland geben insgesamt über 200 Publikationen heraus, darunter Hochglanzmagazine, Rätsel-Hefte und Ratgeber, aber auch bekannte Marken wie das Forbes-Magazin oder der Playboy.

Schachmatt für Springer und Bauer Ein neues Gesetz droht ausländische Verlagshäuser aus Russland zu vertreiben. Auch deutsche Medienhäuser sind betroffen und suchen bereits nach Auswegen. TATJANA FIRSOWA FÜR RBTH

Der Mehrheit der Einwohner Russlands sagen die Namen Hubert Burda Media, Axel Springer SE oder Bauer Media Group nichts. Die Namen Forbes, Playboy, Burda, GEO, OK! kennen dagegen Millionen Leser im Land. Deutsche Mediengruppen geben in Russland Hunderte Titel heraus, angefangen bei der monatlichen Wirtschaftszeitschrift Forbes bis hin zu Sammelbänden von Sudoku und Kreuzworträtseln. Damit könnte es jedoch bald Schluss sein. Am 15. Oktober 2014 unterzeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin eine Gesetzesänderung. Demnach können ausländische Staaten, internationale Organisationen, ausländische Staatsbürger und russische Bürger mit ausländischem Pass nicht mehr Inhaber von Medien auf dem russischen Staatsgebiet sein. Es ist offensichtlich, dass das restriktive Gesetz dafür gedacht ist, die Kontrolle über die Massenmedien in Russland zu stärken. Experten sagen, dass das eigentliche Ziel des Änderungsantrags erst dann ersichtlich sein wird, wenn bei den Verlagen neue Inhaber erscheinen. Gleichzeitig sind schon jetzt viele Probleme sichtbar – zum Beispiel die finanziellen Schwierigkeiten, denen sich die russischen Zeitungszusteller bald gegenübersehen dürften. Deutsche Verlagshäuser, deren Geschäft die Gesetzesänderung direkt betrifft, geben sich zurückhaltend und wollen mögliche Folgen des Gesetzes für ihren Verbleib in Russland nicht kommentieren. „Wir müssen prüfen, was das für uns konkret bedeutet und können erst danach eine Bewertung ab-

geben“, sagte Edda Fels, Leiterin der Kommunikationsabteilung der Axel Springer SE. Auch das Moskauer Büro des Verlagshauses war zu keiner Stellungnahme bereit. Dass es eine schlechte Nachricht ist, daran gibt es keinen Zweifel. „Wie alle internationalen Medienhäuser sehen auch wir das jetzt von der Duma verabschiedete und von Präsident Putin unterzeichnete Mediengesetz kritisch. Eine Beurteilung ist aber in der Summe erst möglich, wenn das Gesetz im Detail analysiert ist und die Ausführungsbestimmungen vorliegen. Beides ist bisher nicht der Fall“,

scheint, erreicht mit einer Ausgabe 1.172.215 Leser. Insgesamt hat das Verlagshaus sechs Printmedien und zwei Onlineportale für Wirtschafts- und Börsennachrichten. Axel Springer Russia ist, wie der deutsche Mutterkonzern mitteilte, zu einhundert Prozent Tochtergesellschaft der Axel Springer SE. Das Verlagshaus Burda in Russland ist ebenfalls eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft des deutschen Konzerns Hubert Burda Media. Das Unternehmen gibt mehr als 80 Zeitschriften heraus. Das Verlagshaus ist nach eigenen

Kritiker sehen in dem Gesetz einen weiteren Versuch der Regierung, ihre Kontrolle mithilfe der Medien zu festigen.

Vom Gesetz betroffene Hochglanzmagazine sind die wichtigsten Geldbringer für die Zustelldienste der Presse.

heißt es beim Hubert Burda Verlag. Hinter verschlossenen Türen laufen allerdings bereits die Verhandlungen. Nach Informationen von RBTH führen schon jetzt westliche Verlagshäuser, darunter auch die deutschen, in Moskau entsprechende Beratungen sowohl mit einander als auch mit Kollegen im Ministerium für Kommunikation und Medien. „Es geht darum, organisatorische Wege zu finden, die dabei helfen, dem Verbot zu entgehen“, hieß es aus einem der größten deutschen Verlagshäuser. Dabei geht es um einen Millionenmarkt. Allein Axel Springer setzte laut einem Branchendienst im vergangenen Jahr knapp 25 Millionen Euro in Russland um. Nach Angaben von TNS Russia erreicht eine Ausgabe der Zeitsch r i f t Forbes i n Ru ssla nd 1.296.800 Leser. Die Auflage der Zeitschrift beträgt in Russland 100.000 Exemplare. Sie ist lediglich eines von mehreren Produkten des Verlagshauses Axel Springer Russia. Die Zeitschrift GEO, die im selben Verlagshaus er-

Angaben „Marktführer auf dem russischen Markt der Periodika im Verkauf von Zeitschriften und bei der Leserreichweite“, die nach Angaben der TNS Gallup Media mehr als 35 Millionen Menschen umfasst. Neben der eigentlichen Zeitschrift Burda gibt der Verlag auch die Ausgaben von Oops!, Playboy und einer ganzen Reihe von Einrichtungs-, Auto-, oder Frauenmagazinen heraus. Doch das Gesetz trifft nicht nur klassische Branchenvertreter. Auch die nichtkommerzielle Zeitschrift der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer „Impuls“ wird vom neuen Verbot erfasst. „Formal betrifft auch uns das Gesetz, und ich werde dies mit dem Justizministerium, das uns kontrolliert, aus diesem Grund besprechen. Wenn es keine Möglichkeiten gibt, dem Verbot zu entgehen, dann müssen wir unsere Medien schließen. Zum Beispiel unsere Quartalszeitschrift Impuls, die wir als regelmäßiges Informationsmittel herausgeben“, sagte der Jurist der AHK Russland, Wladi-

mir Kobsew, gegenüber RBTH. Er wird sich schon jetzt mit der Frage auseinandersetzen, obwohl dafür noch Zeit ist – die Gesetzesänderungen treten erst am 1. Januar 2016 in Kraft. Für Verlage mit mehr als 20 Prozent ausländischem Kapital ist außerdem eine Verlängerung bis zum 1. Januar 2017 vorgesehen. Elena Zelinskaja, Geschäftsführerin des Journalistenverbandes MediaSojus, glaubt, dass unter der Gesetzesänderung in erster Linie das Verbreitungssystem leiden wird. Nach ihren Worten „schlägt“ das Gesetz vor allen Dingen gegen Hochglanzmagazine, die für die Verbreitung systemrelevant sind. Ein tragfähiges Zustellsystem ohne Hochglanzmagazine sei schwer vorstellbar. „Das ist eine sehr ernste Frage, wir werden jetzt große Veränderungen auf dem Markt bemerken. Die bedeutenden Publikationen wechseln Schritt für Schritt den Besitzer und dann, wenn wir sehen, in welche Hände diese Publikationen fallen, werden die Hintergründe und Ziele dieses Gesetzes offengelegt“, erklärt Zelinskaja. Gleichzeitig gibt es Befürchtungen, dass das Gesetz schneller kommt, als es manchem lieb ist. Nikolai Swanidze, Journalist und Mitglied im Menschenrechtsrat des Präsidenten, meint, dass die Gesetzesänderungen „im Trend zur Verstärkung der Staatskontrolle mithilfe der Massenmedien liegen.“ Darüber hinaus schließt er nicht aus, dass die Wirksamkeit des Gesetzes sogar noch vorgezogen wird. „Schon viele Gesetze sollten zunächst im Jahr 2016 in Kraft treten. Aber dann wurde das Inkraftreten durch einen seperaten gesetzgebenden Beschluss früher herbeigeführt. Ich schließe nicht aus, dass auch dieses Gesetz beschleunigt wird“, sagte er. Tatjana Firsowa ist Chefkorrespondentin von RIA Novosti in Berlin.

ZITATE

Jean-Emmanuel de Witt CEO VON «SANOMA INDEPENDENT MEDIA»

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In Russland stammen 90 % unserer Inhalte aus dem Inland. Nur unsere Marke ist ausländisch. Aber der Eigentümer muss das Recht haben, die Marke und ihre Reputation zu kontrollieren. Wenn russische Unternehmen ausländische Medienaktiva in Russland aufkaufen, dann bekommen sie von den Inhabern der Marke keine Rechte, diese weiterzuführen. Aus dem einfachen Grund: Fehlende Qualitätskontrolle und Reputation der Marke.

Iwan Sasurskij INHABER DES LEHRSTUHLS FÜR NEUE MEDIEN AN DER MOSKAUER LOMONOSSOW-UNIVERSITÄT

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Dieses Gesetz führt zu einer Trennung zwischen russischen und ausländischen Publikationen. Die ersten werden unter die Kontrolle einheimischer Holdings fallen, während die letzteren lediglich als Repräsentanz tätig sein können. Sie werden keine Geschäfte mehr in Russland machen. Konkret führt das zu Veränderungen in der Eigentümerstruktur. Die Vielfalt in der Presse sinkt, wird aber nicht zerstört, solange es The New Times oder die Nowaja Gazeta gibt.

Pawel Gusew CHEFREDAKTEUR UND BESITZER DER ZEITUNG MOSKOWSKIJ KOMSOMOLEZ

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Der Staat hat das gemacht – für seine Sicherheit und für die Sicherheit seines Informationsraums. Ich sehe darin keine großen Probleme für die Pressefreiheit insgesamt.


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Infrastruktur

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IM GESPRÄCH

Russlands Eisenbahn: Von Wien nach Nordost-China

teiligen und wollen auf jeden Fall an unserer Ausschreibung teilnehmen, mit der die endgültige Entscheidung getroffen wird. Ich möchte auch das große Interesse unserer Kollegen aus Deutschland an diesem Projekt erwähnen. Ein wichtiger Schritt war zu Beginn dieses Jahres die Gründung einer “Hochgeschwindigkeitsinitiative“, in der sich deutsche Unternehmen zusammengeschlossen haben, die über das Potenzial zur Realisierung solcher Vorhaben verfügen, darunter die Deutsche Bahn, Siemens, Knorr-Bremse und viele andere.

© RIA NOVOSTI

RZD kooperiert mit Siemens

Zwei von Siemens gebaute Sapsan-Züge auf dem Moskauer Bahnhof in St. Petersburg.

Im Rahmen des Forums „Bau, Innovationen, Partnerschaft und offener Dialog“ in Sotschi sprach der Präsident der russischen Eisenbahn Wladimir Jakunin mit RBTH über internationale Großprojekte, Investitionen und die Rekonstruktion der Transsib.

Russland ist geografisch gesehen ein Bindeglied zwischen Asien und Europa. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen? Wir arbeiten seit 2012 im Rahmen der Eurasischen Union an der Entwicklung eines Transportkorri-

PRESSEBILD

Seinerzeit kündigte die Russische Staatsbahn (RZD) ein Projekt zum Bau einer Breitspureisenbahn bis nach Europa an. Wie ist der Stand dieses Projektes? Das Projekt zum Bau der Breitspureisenbahn (1520 mm) bis nach Wien befi ndet sich – ungeachtet der angespannten internationalen Situation – in der Entwicklung, momentan läuft die Projektierung. Der Businessplan des Projektes soll bis Jahresende fertiggestellt sein. Übrigens setzen alle Partner der RZD beim Bau der Breitspureisenbahn von Košice in der Ostslowakei bis nach Wien – das sind die Eisenbahnen Österreichs, der Slowakei und der Ukraine – ihre Arbeit an der Realisierung des Projektes fort, weil ihnen dessen Bedeutung klar ist. Denn mit der Realisierung des Projektes entfällt das früher notwendige Umladen der Fracht auf dem Weg nach Europa. Dadurch sinkt der Anteil der Transportkosten am Endpreis der Waren und die Lieferzeit verkürzt sich auf zwölf bis 14 Tage. Der jährliche Frachtumsatz kann bis zum Jahr 2050 auf 16 bis 24 Mill ionen Ton nen gesteige r t werden.

motiven nach Russland ausgeliefert. Russland wird von 2014 bis 2015 sieben Züge erhalten: Drei davon sollen auf der Strecke zwischen Moskau und Berlin (über Minsk und Warschau) eingesetzt werden, die restlichen vier sollen auf innerrussischen Strecken zum Einsatz kommen.

Präsident der russischen Eisenbahn Wladimir Jakunin.

dors für Frachtcontainer zwischen China und den Ländern der Zollunion, der eine Alternative zu den Schifffahrtsrouten darstellen soll. Auch existiert das Konzept zum Bau der Trans-Europa-AsienTrasse RAZVITIE. Hier sehe ich die Hauptaufgabe darin, auf der Grundlage einer multimodalen Infrastruktur einschließlich Eisenbahn, Straße und der Energieversorgung ein System zu schaffen, das die Volkswirtschaften Europas, Russlands und asiatischer Staaten wie Kasachstan, China oder Japan weiter miteinander verknüpft. Wie entwickelt sich das Logistikunternehmen GEFCO aus Frankreich, an dem RZD eine Mehrheit hält? Im laufenden Jahr ist GEFCO Russland als Partner an unserem Logistik-Großprojekt, der Lieferung spanischer Hochgeschwindigkeitszüge TALGO, beteiligt. Ende März 2014 wurden die ersten TALGO-Waggons und -Loko-

Die RZD steckt Milliarden in die Modernisierung. Welche Kooperationsmöglichkeiten bieten sich dabei insbesondere für deutsche Unternehmen? Die RZD arbeitet bereits seit vielen Jahren mit Siemens zusammen. Ein Meilenstein dieser Zusammenarbeit war die Gründung von Uralskije Lokomotiwy, eines Gemeinschaftsbetriebes von Siemens und der russischen Sinara Group, zur Fertigung moderner Züge. Im Herbst 2011 vereinbarten RZD und Uralskije Lokomotiwy die Lieferung von 1.200 Elektrotriebwagen des Typs Lastotschka, auf Deutsch Schwälbchen, in Russland besser bekannt als Desiro RUS, für den regionalen Passagierverkehr. Laut Vertrag sollen bis Ende 2017 mindestens 80 % der Lastotschkas in Russland gefertigt werden. Insgesamt aber beläuft sich das Investitionsprogramm der RZD auf 24 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre. Suchen Sie dabei auch nach ausländischen Investoren? Eines der Projekte, bei dem wir über die Akquisition ausländischer Investitionen nachdenken, ist der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Moskau–Kasan. Inzwischen ist dieses Projekt praktisch zur Umsetzung bereit. Französische Unternehmen haben ihre Bereitschaft erklärt, sich an der Realisierung des Vorhabens zu be-

Die Zusammenarbeit zwischen der RZD und Siemens begann mit der Bestellung von acht Hochgeschwindigkeitszügen Sapsan vom Typ Velaro RUS, in Deutschland besser bekannt als ICE. Die russische Variante des Zuges ist wegen des größeren Gleisabstandes um 30 cm breiter als die Züge, die bei der Deutschen Bahn zum Einsatz kommen. Der im Jahr 2006 unterzeichnete Vertrag belief sich auf 600 Millionen Euro. Er läuft über 30 Jahre, Wartungsarbeiten sind eingeschlossen. 2011 bestellte die RZD acht weitere Sapsan-Züge. Ein nächster Großauftrag war 2009 die Bestellung von 54 Desiro-RUS-Zügen im Wert von 500 Millionen Euro im Vorfeld der Winterolympiade in Sotschi. 2011 stockte die russische Eisenbahn ihre Bestellung um weitere 1.200 Wagen im Wert von zwei Milliarden Euro auf. Diese sollen in einem Gemeinschaftswerk von Siemens und der russischen Sinara Group im Ural gefertigt werden, wobei die Lokalisierung bis 2017 auf 80 Prozent steigen soll. Außerdem wird das Gemeinschaftsunternehmen bis 2016 221 Loks an die RZD liefern.

ZAHLEN

85.000 km beträgt die Länge des russischen Eisenbahnnetzes, das die staatliche RZD betreibt. Die Hälfte davon ist elektrifiziert.

7,5 Mrd. Euro will die RZD im laufenden Jahr investieren. Davon fließen rund zwei Milliarden in neue Loks und Züge.

4,6 Mrd. Euro hat die RZD seit 2006 in SiemensTechnik investiert, so in den Kauf von 16 Sapsan-Zügen, etwa 300 Lastotschkas und in langjährige Serviceverträge.

Im Sommer dieses Jahres sprachen Sie über die Notwendigkeit, das Gleisnetz im Fernen Osten, darunter auch auf der Halbinsel Kamtschatka, auszubauen und einen Tunnel unter der Beringstraße zu errichten. Ist das in absehbarer Zukunft ein konkretes Vorhaben des Unternehmens? Diese Idee gab es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Während der Sowjetzeit wurde sogar ein entsprechendes Projekt erstellt. Sollte die Realisierung dieses Vorhabens beschlossen werden, müsste es zweifelsohne grundlegend überarbeitet werden. Soweit mir bekannt ist, haben US-Fachleute bereits den Entwurf eines Businessplanes für eine Verbindung der amerikanischen Eisenbahn mit China – und zwar über die noch nicht existierende Eisenbahnlinie Kamtschatkas – ausgearbeitet. Vorauszusagen, ob und wann dieses Projekt realisiert werden wird, wäre Kaffeesatzleserei. Sie verstehen bestimmt, dass alles ganz allein vom politischen Willen der Führungen der an diesem Projekt beteiligten Länder abhängt, und natürlich auch von der finanziellen und ökonomischen Situation dieser Staaten. Soweit mir bekannt ist, wurde die russische Regierung bei der Erörterung des Projektes nicht einbezogen. Das ist eine Initiative der Amerikaner, und die Diskussion erfolgte bis zum heutigen Tag nur unter den Eisenbahnern. Bisher hat das Projekt nicht den Rang einer zwischenstaatlichen Angelegenheit erreicht. Der Ausbau der Transsib und die Wiederbelebung der Baikal-AmurMagistrale sind für die Entwicklung des Fernen Ostens wichtig. Wann werden die Bauarbeiten abgeschlossen sein? Die Arbeiten zur Rekonstruktion der Baikal-Amur-Magistrale und der Transsibirischen Eisenbahn sind bereits im vollen Gange. Bis zum Jahresende werden insgesamt 16 Kilometer Stationsgleise verlegt. Am wichtigsten für den Frachtverkehr der Transsibirischen Eisenbahn sind die Güter aus Nord- und Nordost-China, Korea und Japan. Dabei schlägt sich der Anstieg des europäischasiatischen Güterverkehrs um ein Prozent immerhin in einem Plus von ungefähr vier Milliarden Euro bei den Einnahmen aus dem Frachttransport nieder. Dieses Projekt wird die Industrie in der Region ankurbeln, es wird Arbeitsplätze schaffen und zu einer nachhaltigen Entwicklung Sibiriens und des russischen Fernen Ostens beitragen. Das Gespräch führte Igor Rosin.


Meinung

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NATO-ERWEITERUNG: DIE VERPASSTE CHANCE AUF FRIEDEN Andrej Suschenzow POLITOLOGE

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IORSH

EIN EUROPA, DAS WIR VERLOREN HABEN Fjodor Lukjanow POLITOLOGE

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ie Berliner Mauer war das Symbol einer absurden ideologischen Konfrontation. Mit ihrem Ende, so hätte man denken können, wären auch alle Ursachen der Teilung verschwunden. Aber es zeigte sich, dass der Wunsch ein gemeinsamer war, der Weg aus dieser Konfrontation jedoch vollkommen unterschiedlich gesehen wurde. Gorbatschow ging davon aus, dass die Architektur des gemeinsamen europäischen Hauses von den „Ingenieuren“ der beiden ehemaligen Lager gemeinsam entwickelt werde. In diesem Sinne folgte Gorbatschow, auch wenn er dies wahrscheinlich nicht wollte, der Logik des Wissenschaftlers und Dissidenten Andrej Sacharow mit dessen Aufruf zu einer Konvergenz von Kapitalismus und Sozialismus. In der Praxis hat der Westen den Zerfall der UdSSR als Beleg dafür gewertet, dass sein Weg der uneingeschränkt richtige war, sowohl moralisch als auch historisch und ökonomisch. Und was eine stufenweise, ausgewogene Annäherung, ein qualitativ neues Konstrukt werden sollte, verwandelte sich binnen kurzer Zeit in eine Aufteilung des „sowjetischen Erbes“.

Dieser Ansatz für die Errichtung eines „gemeinsamen europäischen Hauses“ konnte nach westlichen Maßstäben nur in einem einzigen Falle zum Erfolge führen – wenn auch Russland das Schicksal der Sowjetunion geteilt hätte. Wäre Russland auseinandergefallen, wären wohl seine Bestandteile früher oder später vom europäischen Integrationsprozess in der einen

halten geblieben wäre, hätte Europa sich w i rk l ich au f de r Grundlage gleichberechtigter Prinzipien vereinigen können. Diese Integration hätte auf zwei Säulen gestanden: Brüssel und Moskau. Und die Frucht dieser Konvergenz wäre eine qualitativ vollkommen andere Struktur gewesen. Und natürlich hätte 25 Jahre später nicht die Frage einer neuen Aufrüstung Zentraleuropas und einer Rückkehr der Gefahr für die europäische Sicherheit im Raume gestanden. Mag sein, dass dies nur eine Utopie war. Zu dem Zeitpunkt, als beschlossen wurde, das gemeinsame europäische Haus zu errichten, war es bereits zu spät. Die Sowjetunion überschritt den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, und ihre westlichen Opponenten spürten die Möglichkeit eines bedingungslosen Sieges und waren an Verha nd lu ngen for t a n n icht interessiert.

Wäre die UdSSR als Vernunftgemeinschaft geblieben, hätte sich Europa gleichberechtigt vereinigen können.

Nur ein weiterer Zerfall Russlands hätte zu einer europäischen Integration seiner Bestandteile geführt.

oder anderen Form verdaut worden. Einen anderen Weg als die einseitige Verbreitung seines juristischen und normativen Raums auf die Nachbarstaaten hat die Europäische Union nicht gekannt. Russland als gleichberechtigten Miterbauer eines neuen Europas anzuerkennen, war der Westen nicht in der Lage. Mit einer Rolle als Juniorpartner gab Russland sich jedoch nicht zufrieden. Wenn die Sowjetunion – nicht etwa als kommunistisches Imperium, sondern als eine durch den gegenteiligen Vorteil zusammengehaltene Vernunftgemeinschaft – er-

Wenn dies so ist, könnte das Europa, das wir verloren haben, nur in den Köpfen von Idealisten existieren – wo es auch immer bleiben wird. Es würde sich im Gedächtnis einprägen, zusammen mit den unwahrscheinlich berührenden Bildern aus dem Spätherbst 1989, als Tausende glückliche Berliner frohlockten, dass die Mauer weg ist. Und ehrlichen Herzens glaubten, dass es nie wieder eine Mauer geben wird.

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES (RBTH) IST EIN INTERNATIONALES MEDIENPROJEKT, DAS VON DEM VERLAG ROSSIJSKAJA GASETA FINANZIELL UNTERSTÜTZT WIRD. RBTH WIRD AUS ANZEIGENGESCHÄFTEN UND SPONSORING SOWIE ZUSCHÜSSEN VON STAATLICHEN BEHÖRDEN IN RUSSLAND FINANZIERT. DIE HANDELSBLATT-REDAKTION IST AN DER ERSTELLUNG DIESER BEZAHLTEN SONDERVERÖFFENTLICHUNG NICHT BETEILIGT. DIE REDAKTION VON RBTH IST UNABHÄNGIG UND HAT ZUM ZIEL, DEN LESERN EIN MÖGLICHST BREITES SPEKTRUM AN EXPERTENMEINUNGEN ÜBER DIE ROLLE RUSSLANDS IN DER WELT UND ZU EREIGNISSEN INNERHALB RUSSLANDS ZU BIETEN. DABEI IST DIE REDAKTION BEMÜHT, HÖCHSTEN JOURNALISTISCHEN ANSPRÜCHEN ZU GENÜGEN. SO SOLL EINE WICHTIGE LÜCKE IN DER INTERNATIONALEN MEDIENBERICHTERSTATTUNG GESCHLOSSEN WERDEN. DIE PRINTBEILAGEN VON RBTH ERSCHEINEN WELTWEIT IN 26 RENOMMIERTEN ZEITUNGEN IN 23 LÄNDERN UND IN 16 SPRACHEN. AUSSERDEM GEHÖREN ZU RBTH 19 ONLINEAUSGABEN IN 16 SPRACHEN. BEI FRAGEN UND ANREGUNGEN WENDEN SIE SICH BITTE AN: REDAKTION@RUSSLAND-HEUTE.DE ROSSIJSKAJA GASETA VERLAG, UL. PRAWDY 24 STR. 4, 125993 MOSKAU, RUSSISCHE FÖDERATION, TEL.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Foreign Affairs.

er Streit zwischen Russland und dem Westen um die Nato-Osterweiterung ist wesentlich für die Diskussion um die europäische Sicherheit. Er ist begründet in unterschiedlichen Interpretationen vom Ende des Kalten Krieges und seinen Folgen. Russland glaubt, dass der Kalte Krieg Ende der 1980er durch gemeinsame Anstrengungen der UdSSR und der USA für den Frieden beendet wurde. So dachte man auch im Westen bis zur Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991. Schon im Januar 1992 sagte Präsident George Bush, Amerika habe Dank Gottes Gnade den Kalten Krieg gewonnen. Dieses Ereignis wurde im Westen als Übergang zu einer neuen historischen Epoche aufgefasst, in der die Vereinbarungen aus der Vergangenheit keine Gültigkeit mehr hatten. Der sowjetischen Herangehensweise lag zugrunde, dass die Seiten nach einer friedlichen Beilegung des Konflikts gemeinsam die Zukunft jener Räume gestalten würden, in denen sich ihre Interessen kreuzten. Die Rede war in erster Linie von der europäischen Sicherheit, die auf einem Interessensausgleich der größten Mächte gründen sollte. Es stellte sich nun die Frage über die Zukunft der Nato, die zur Eindämmung der UdSSR gegründet worden war. Ende der 1980er haben sich die Seiten bei Gesprächen zur Zukunft Deutschlands geeinigt, dass die Zusage der UdSSR zur deutschen Einheit und der Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR eine Garantie der Nichtausdehnung der Nato voraussetzt. In einem Gespräch mit Gorbatschow erklärte US-Außenminister James Baker 1990: „Wir glauben, dass im Rahmen der Zwei-Plus-Vier-Gespräche eine Garantie gegeben werden muss, dass sich die Nato im Falle einer deutschen Wiedervereinigung nicht nach Osten ausdehnt.“ Die Länder der Nato haben sich dazu verpflichtet, keine militärische Infrastruktur in Ostdeutschland aufzubauen, woran sie sich bis heute hielten. Ungeachtet dessen, dass die Position der UdSSR über die Nato-Osterweiterung klar war, wurde kein Vertrag geschlossen, der diese Position festhielt. 1989/90 gab es hierfür auch keinen Anlass, da der Warschauer Pakt noch existierte,

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und es noch Hoffnungen gab, in Europa einen neuen Status quo mit dem Westen auszuhandeln. Aber schon 1991 verlor die UdSSR die Kontrolle über Ost- und Mitteleuropa. Samtene Revolutionen und die Auflösung des Warschauer Paktes führten dazu, dass der Westen es nicht besonders eilig hatte, irgendwelche Verpflichtungen gegenüber Moskau einzugehen. Hinzu kamen der gescheiterte Putsch in Moskau und der darauf folgende Zerfall des Staates. Für die neue Führung des neuen Russlands hatte die sowjetische Forderung nach einer Nichtausdehnung der Nato keine Priorität – im Gegenteil. Russland dachte zunächst sogar daran, selbst dem Militärbündnis beizutreten. Westliche Politiker haben die Situation als einen eindeutigen Sieg aufgefasst und schlugen vor, die Allianz in eine universelle Sicherheitsorganisation zu verwandeln. In diesem Kontext wurde Russland nicht mehr als gleichwertiger Partner angesehen. Vielmehr war Russland nun einfach ein weiteres europäisches Land, mit dem die Allianz ein Verhältnis nach eigenem Gutdünken aufbauen konnte. Diese Entwicklungen schufen ein tiefes Ungleichgewicht in der europäischen Sicherheit, das bereits ab Mitte der 1990er Jahre zu prinzipiellen Differenzen zwischen Russland und der Nato führte. So wurde Anfang der 1990er Jahre eine Gelegenheit für eine tiefgreifende Regelung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen verpasst. Mangelnde Kommunikation und Verschweigen führten zu gegenseitigem Unverständnis. Der Westen hatte seine zielgerichtete und durchdachte Russland-Politik aufgegeben. Es herrschte die Annahme, Moskau orientiere sich nunmehr selbst Richtung Westen, so dass man dem Land durch einseitige Schritte nicht schaden könne. Diese Politik war nicht darauf gerichtet, Moskaus Interessen zu ignorieren. Sie führte aber genau dazu. Die ukrainische Krise ist die letzte und wichtigste Folge eines Ungleichgewichts der Weltordnung. Um solche Konfl ikte künftig zu verhindern, müssen sich Russland und Europa auf neue Regeln der Zusammenarbeit in Europa und der Welt einigen. Andrej Suschenzow ist Professor an der Hochschule für internationale Beziehungen (MGIMO) und Mitglied des Waldai-Clubs.

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25 Jahre Mauerfall

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INTERVIEW MICHAIL GORBATSCHOW

„ICH BIN GEGEN JEGLICHE MAUERN“ LETZTER PRÄSIDENT DER UDSSR ZUM MAUERFALL IM EXKLUSIVINTERVIEW MIT RBTH UND DER ROSSIJSKAJA GASETA 1989 war das Jahr des Falls der Berliner Mauer. Aber die Mauer fiel erst im November. Bereits im Sommer jenes Jahres wurden Sie nach Ihren Gesprächen in Bonn mit Kanzler Kohl auf der Pressekonferenz gefragt: „Und was ist mit der Mauer?“, und Sie antworteten: „Nichts ist ewig. [...] Die Mauer kann verschwinden, wenn jene Voraussetzungen entfallen, die sie ins Leben gerufen haben. Ich sehe hier keine großen Probleme“. Welche Entwicklung der Ereignisse hatten Sie damals vor Augen? Weder ich noch Helmut Kohl haben im Sommer 1989 natürlich angenommen, dass alles so schnell gehen würde. Wir haben nicht mit dem Fall der Mauer im November gerechnet. Und das haben wir übrigens später auch eingestanden. Ich erhebe keinen Anspruch auf die Rolle eines Propheten. In der Geschichte kommt so etwas vor: Sie nimmt manchmal unerwartet Fahrt auf. Und sie bestraft jene, die zu spät kommen. Aber noch mehr bestraft sie jene, die sich ihr in den Weg stellen. Es wäre ein großer Fehler gewesen, an dem „Eisernen Vorhang“ festzuhalten. Deshalb haben wir von unserer Seite keinerlei Druck auf die Regierung der DDR ausgeübt. Als die Ereignisse begannen, sich mit einem für alle unerwartet hohen Tempo zu entwickeln, traf die sowjetische Führung einstimmig – das möchte ich unterstreichen – die Entscheidung, dass wir uns nicht in die inneren Prozesse, die in der DDR im Gange waren, einmischen würden und unsere Truppen ihre Standorte unter keinen Umständen verlassen sollten. Ich bin auch heute noch der Überzeugung, dass diese Entscheidung richtig war. Was ermöglichte es letzten Endes, die Teilung Deutschlands zu überwinden? Wer spielte Ihrer Meinung nach die entscheidende Rolle bei der friedlichen Wiedervereinigung? Die entscheidende Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands spielten die Deutschen selbst. Ich meine dabei nicht nur die Groß-

BIOGRAFIE EX-PRÄSIDENT DER UDSSR ALTER: 83

MIchail Gorbatschow wurde 1931 in Südrussland als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Er studierte Jura und Agrarwirtschaft. Mit 21 Jahren trat Gorbatschow der KPdSU bei und stieg 1971 ins Zentralkomitee auf. 1985, im Alter von 54, wurde Gorbatschow Generalsekretär und setzte einen Reformprozess in Gang, die Perestroika. Er konnte die Krise in der UdSSR aber nicht verhindern. Nach dem gescheiterten Putsch 1991 schwand seine Macht, die UdSSR löste sich auf. RÜDY WAKS /CORBIS OUTLINE/ALL OVER PRESS

demonstrationen mit der Forderung nach einer Wiedervereinigung, sondern auch, dass die Deutschen sowohl im Osten als auch im Westen in den Nachkriegsjahrzehnten unter Beweis gestellt hatten, dass sie die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben und man ihnen vertrauen kann. Und dabei, dass die Wiedervereinigung friedlich verlaufen ist und dieser Prozess nicht zu einer gefährlichen internationalen Krise geführt hat, denke ich, hat die Sowjetunion eine entscheidende Rolle gespielt. Wir in der sowjetischen Führung wussten, dass das russische, ja, dass alle Völker der Sowjetunion Verständnis für das Streben der Deutschen haben, in einem gemeinsamen, demokratischen Staat zu leben. Ich möchte anmerken, dass neben der UdSSR auch die anderen am Prozess zur endgültigen Regelung der Deutschland-Frage Beteiligten Ausgewogenheit und Verantwortungsbewusstsein bewiesen haben. Ich meine damit die Länder der Anti-Hitler-Koalition: die USA, Großbritannien und Frankreich. Heutzutage ist es kein Geheimnis mehr, dass François Mitterrand und Margaret Thatcher große Zweifel am Tempo der Wiedervereinigung hatten. Denn der Krieg hatte tiefe Wunden hinterlassen. Aber als alle Aspekte die-

ses Prozesses geregelt waren, unterzeichneten sie die Dokumente, die den Schlussstrich unter das Kapitel des Kalten Krieges zogen. Ihnen war beschieden, ein schicksalhaftes Problem der Weltgeschichte zu lösen. Die unter Beteiligung der Großmächte und anderer Staaten international geregelte Deutschland-Frage war ein Beispiel für großes Verantwortungsbewusstsein und die gute „Qualität“ der Politiker jener Generation. Sie zeigten, dass dies möglich ist, wenn man sich – wie Sie es definierten – von einem „neuen Denken“ leiten lässt. Inwieweit sind die heutigen Staatsführer dazu in der Lage, die gegenwärtigen Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen und wie hat sich der Lösungsansatz für die geopolitischen Herausforderungen in den vergangenen 25 Jahren geändert? Die Wiedervereinigung Deutschlands war kein isoliertes Ereignis, sondern ein Teil der Beendigung des Kalten Krieges. Den Weg dorthin eröffneten die Perestroika und Demokratisierung in unserem Land. Ohne sie hätte Europa noch jahrzehntelang in einem gespaltenen und „eingefrorenen“ Zustand verharren können. Und ich bin sicher, dass es wesentlich schwerer gewesen wäre, aus einem

solchen Zustand herauszufinden. Was ist neues Denken? Das ist die Einsicht, dass eine globale Gefahr existiert – damals war dies in erster Linie die Gefahr eines Atomkonflikts –, die man nur durch gemeinsame Anstrengungen überwinden kann. Und das bedeutet, dass die Beziehungen neu gestaltet, ein Dialog geführt und ein Weg zur Einstellung des Wettrüstens gefunden werden muss. Die Wahlfreiheit aller Völker anerkennen und gleichzeitig die Interessen der anderen berücksichtigen, eine friedliche Zusammenarbeit aufbauen und Kontakte anbahnen, um damit Konflikte und Kriege in Europa zu verhindern. Diese Prinzipien wurden der Charta von Paris (1990) für ein neues Europa, dem wichtigsten politischen Dokument, das von allen Ländern Europas, den USA und Kanada unterzeichnet wurde, zugrunde gelegt. Und im Folgenden mussten die Leitlinien der Charta entwickelt und konkretisiert sowie handlungsfähige Strukturen, Präventivmaßnahmen und Mechanismen für die Zusammenarbeit geschaffen werden. So wurde zum Beispiel damals die Einrichtung eines Sicherheitsrates für Europa vorgeschlagen. Ich möchte die damalige Generation der Staatsführer nicht mit der ihr folgenden vergleichen. Aber eines ist eine Tat-

sache: Dies wurde damals nicht umgesetzt. Und die europäische Entwicklung nahm damals eine einseitige Richtung an, was – das soll hier gesagt sein – auch zur Schwächung Russlands in den Neunzigerjahren führte. Heute muss konstatiert werden: Wir haben es mit einer Krise der europäischen und der internationalen Politik zu tun. Einer der Gründe dafür – wenn auch nicht der einzige – ist die Unwilligkeit unserer westlichen Partner, die Sichtweise Russlands und dessen legitime Sicherheitsbedürfnisse zu berücksichtigen. In ihren Worten sympathisierten sie mit Russland, vor allem in der Jelzin-Ära, in ihren Taten nahmen sie jedoch keine Rücksicht auf das Land. Ich meine in erster Linie die NATO-Erweiterung, die Pläne zum Aufbau des Raketenschilds, die Aktivitäten des Westens in für Russland wichtigen Regionen (Jugoslawien, Irak, Georgien und der Ukraine). Sie sagten wörtlich: Das geht Euch nichts an. Im Ergebnis bildete sich ein Geschwür, das nun aufgeplatzt ist. Ich würde den westlichen Staatsführern raten, die gesamte Situation gründlich zu analysieren, anstatt in Russland die Ursache für alle Probleme zu suchen. Sie sollten sich in Erinnerung rufen, welches Europa wir zu Beginn der


25 Jahre Mauerfall

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ZITATE

Helmut Kohl

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Ein sympathischer und interessanter, ein hochinteressanter Gesprächspartner, humorvoll und mit einer Portion Ironie....Unten am Rhein setzten wir uns ganz leger auf die Mauer. Ich sagte...: Die deutsche Einheit wird so sicher kommen, wie der Rhein zum Meer fließt. ... Und ich ergänzte, dass die Mehrheit der Deutschen sich mit der Teilung nicht abfinden würde. Er hat mir erstmals nicht widersprochen.” INTERVIEW; BILD, 2009

George Bush sen.

" DPA/VOSTOCK-PHOTO

Als ich meine Amtszeit antrat, schien die Berliner Mauer ewig zu sein. Aber natürlich war es unser Langzeitziel sie zu beseitigen. So ist es auch gekommen. Es wäre aber nicht passiert ohne Gorbatschows Glauben an das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, also die Freiheit für die Menschen zu wählen, wo sie lieber sein möchten."

FOX NEWS INTERVIEW; NOVEMBER, 3, 2009

Lech Walesa

" DPA/VOSTOCK-PHOTO

Von oben nach unten: 1. Leipziger Demonstranten am 30. Oktober 1989. 2. Berliner bejubeln den Fall der Mauer. 3. Michail Gorbatschow und Helmut Kohl unterzeichnen am 9. November 1990 den Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit.

Neunzigerjahre zu schaffen vermochten und wie sich dieses Europa in den vergangenen Jahren leider verwandelt hat. Eine der Hauptfragen im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Ereignissen in der Ukraine ist die NATO-Osterweiterung. Haben Sie nicht das Gefühl, dass die westlichen Partner Sie bei der Ausarbeitung der weiteren Pläne für Osteuropa betrogen haben? Warum haben Sie nicht auf eine juristische Ausgestaltung der Ihnen gegebenen Versprechen, unter anderem des vom US-Staatssekretär James Baker gegebenen Versprechens zur NATO-Osterweiterung, bestanden? Ich zitiere ihn: Die „militärische Präsenz der NATO in östlicher Richtung wird um keinen einzigen Zoll ausgedehnt“. Die Frage der NATO-Erweiterung wurde in jenen Jahren nicht erörtert und stand nicht zur Diskus-

sion. Ich sage das mit aller Verantwortlichkeit. Kein einziges osteuropäisches Land warf diese Frage auf, auch nicht die Frage nach der Auflösung des Warschauer Vertrages im Jahr 1991. Auch die westlichen Staatsführer warfen diese Frage nicht auf. Es wurde damals eine andere Frage, die wir gestellt hatten, diskutiert: Dass nach der Wiedervereinigung Deutschlands kein Vorrücken militärischer NATO-Struktu ren oder ei ne Entfa ltu ng zusätzlicher bewaffneter Kräfte des Bündnisses auf dem Gebiet der damaligen DDR erfolgt. In diesem Zusammenhang erfolgte die Erklärung Bakers, die Sie in Ihrer Frage erwähnten. Darüber sprachen auch Kohl und Genscher. Alles, was für die Sicherung dieser politischen Zusage getan werden musste und konnte, wurde getan. Und erfüllt. Im Vertrag über die endgültige Regelung für

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Es macht mich traurig, dass Helden aus denen gemacht werden, die keine waren. Gorbatschow wollte weder den Kommunismus noch die Mauer stürzen. Wenn die Dinge so dargestellt werden, heißt das, dass Europa auf einer Lüge errichtet wird. Die Wahrheit ist, dass Papst Johannes Paul II. zu 50 Prozent zum Mauerfall beigetragen hat, 30 Prozent die Solidarnosc und nur 20 Prozent der Rest der Welt. Der polnische Papst rief die Völker Europas auf, das Gesicht der Welt zu verändern, und seine Botschaft hat die Menschen ermutigt, die Politiker zu Veränderungen zu zwingen."

INTERVIEW TVN24; NOVEMBER 2009

Deutschland hieß es, dass im Ostteil des Landes keine neuen militärischen Strukturen geschaffen, keine zusätzlichen Truppen aufmarschieren und keine Massenvernichtungswaffen stationiert werden. Dies wurde all die Jahre eingehalten. Gorbatschow und die damalige sowjetische Führung sollten also nicht als naive Menschen, die um den Finger gewickelt wurden, dargestellt werden. Naivität kam später, als diese Frage auf die Tagesordnung kam und Russland anfangs „nichts dagegen“ hatte. Die Entscheidung der USA und ihrer Bündnispartner zur NATOOsterweiterung wurde endgültig 1993 formuliert. Ich habe dies von Anfang an als großen Fehler bezeichnet. Zweifelsohne war dies eine Verletzung des Geistes jener Erklärungen und Beteuerungen, die 1990 geäußert wurden. Was dagegen Deutschland betrifft, wur-

den diese juristisch fixiert und werden eingehalten. Für jeden russischen Menschen ist gegenwärtig die Ukraine und die Beziehungen zu ihr ein schmerzhaftes Thema. Nun sprechen Sie, zur Hälfte Russe und zur Hälfte Ukrainer, im Nachwort zu Ihrem Buch „Nach dem Kreml“ davon, dass Sie alles, was gegenwärtig in diesem Land geschieht, mit großen Schmerzen nachempfinden. Welche Wege aus der Ukraine-Krise und für die Entwicklung der nächsten Jahre sehen Sie vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine sowie den Ländern Europas und den USA? Für die nächste Zeit ist alles mehr oder weniger klar: Es muss alles umgesetzt werden, was in den Protokollen von Minsk vom 5. und 19. September steht. Die reale Situation macht zurzeit einen sehr fragilen Eindruck. Die Feuerpause wird immer wieder gebrochen. Aber in den vergangenen Tagen ist der Eindruck entstanden, dass der „Prozess im Gange“ ist. Es wird eine Zone zur Truppenentflechtung geschaffen, die schweren Waffen werden zurückgezogen. Es treffen OSZE-Beobachter ein, darunter auch russische. Wenn es gelingt, all dies zu verankern, wird dies eine große Leistung sein – aber es ist lediglich der erste Schritt. Es muss eingestanden werden, dass dem russisch-ukrainischen Verhältnis ein großer Schaden zugefügt worden ist. Es darf nicht zugelassen werden, dass dies zu einer gegenseitigen Entfremdung unserer Völker führt. Hier liegt eine große Verantwortung bei den Staatsführern – den Präsidenten Putin und Poroschenko. Sie müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Die Gemüter müssen sich beruhigen. Wer im Recht ist und wer nicht, kann später geklärt werden. Gegenwärtig ist das Wichtigste, den Dialog zu konkreten Fragen aufzunehmen. Das Leben in den Bezirken, die am meisten zu leiden hatten, muss sich wieder normalisieren, wobei Statusfragen und Ähnliches hinten angestellt werden sollten. Hierbei können sowohl die Ukraine als auch Russland und der Westen helfen – sowohl einzeln als auch gemeinsam. Den Ukrainern steht jetzt viel Arbeit bevor, damit es im Land zu einer Aussöhnung kommt und damit jeder Mensch sich als Bürger fühlt, dessen Rechte und Interessen zuverlässig garantiert sind. Dabei geht es gar nicht so sehr um die verfassungsmäßig garantierten Rechte und die Rechtssicherheit, sondern um das alltägliche Leben. Deshalb würde ich neben den Wahlen empfehlen, dass ein Runder Tisch, an dem alle Regionen und Bevölkerungsschichten vertreten sein sollten, so schnell wie möglich seine Arbeit aufnimmt und an ihm alle möglichen Fragen aufgeworfen und diskutiert werden können. Was die Beziehungen Russlands zu

den Ländern Westeuropas und den USA betrifft, so besteht der erste Schritt darin, den Teufelskreis der gegenseitigen Anschuldigungen und Sanktionen zu durchbrechen. Meines Erachtens hat Russland einen solchen Schritt bereits getan, als es auf Gegenmaßnahmen nach der letzten Runde westlicher Sanktionen verzichtet hat. Nun müssen die westlichen Partner reagieren. Ich denke, sie sollten in erster Linie auf die sogenannten personellen Sanktionen verzichten. Wie kann der Dialog geführt werden, wenn man diejenigen, die Entscheidungen treffen und einen Einfluss auf die Politik haben, bestraft? Man muss miteinander sprechen. Dies ist ein Axiom, das unnötigerweise außer Acht gelassen wurde. Ich bin sicher, dass Berührungspunkte entstehen werden, sobald der Dialog erst wieder hergestellt sein wird. Man muss sich doch nur umsehen – die Welt ist angespannt, es gibt gemeinsame Herausforderungen und jede Menge Probleme, die nur durch gemeinsame Anstrengungen gelöst werden können. Das Auseinanderdriften Russlands und der Europäischen Union schadet allen, es schwächt Europa zu einem Zeitpunkt, wo der globale Wettbewerb zunimmt und sich andere „Anziehungspunkte“ der Weltpolitik verstärken. Man darf sich dem Schicksal nicht fügen. Wir dürfen uns nicht in einen neuen Kalten Krieg verwickeln lassen. Die allgemeine Gefahr für unsere Sicherheit ist immer noch vorhanden. In letzter Zeit sind neue, äußerst gefährliche extremistische Bewegungen aufgetaucht, unter anderem der sogenannte Islamische Staat. Die Probleme im Zusammenhang mit Ökologie, Armut, Migration und Epidemien nehmen zu. Im Angesicht der allgemeinen Herausforderungen können wir erneut eine gemeinsame Sprache finden. Dies wird nicht leicht sein, aber einen anderen Weg gibt es nicht. Die Ukraine will eine Mauer an der Grenze zu Russland bauen. Was glauben Sie, warum unsere Völker, die immer befreundet und Teil eines Landes gewesen sind, sich im Nu so zerstritten haben, dass sie nicht nur eine politische, sondern auch eine echte Mauer nun trennen könnte? Die Antwort ist einfach. Ich bin gegen jegliche Mauern. Diejenigen, die das planen, sollten sich besinnen. Ich glaube, dass unsere Völker sich dennoch nicht zerstreiten werden. Dafür stehen wir uns in jeglicher Beziehung zu nahe. Es gibt keine unüberwindbaren Probleme und Differenzen zwischen uns. Vieles wird jedoch von den Medien und der denkenden Elite abhängen. Wenn diese auf eine Spaltung hinarbeiten, Streit herbeiführen und vertiefen werden, kommt Unheil. Wir kennen die Beispiele. Deshalb rufe ich die Intelligenzija dazu auf, verantwortungsvoll zu handeln. Das Gespräch führte Maxim Korschunow.


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Reisen

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Unterkünfte für Geschäftsreisende

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Von Russlands wichtigster Neujahrstanne auf dem Roten Platz bis zu den festlichen Lichtern der neuen Fußgängerzonen Moskaus. RBTH verrät, wo und wie Sie eine spannende Silvesternacht in Moskau verbringen können.

T R AV E L 2 M O S C O W. C O M HISTORISCHES ZENTRUM Bereits Mitte Dezember verwandeln sich die historischen Fußgängerzonen Moskaus - der Arbat, die Nikolskaja-Straße, die Gassen Kammergerskij und Stoleschnikow – scheinbar in Dekorationen zu einem Weihnachtsmärchen. Konzerte, Märkte mit Souvenirs, Glühwein und heißes Essen - hier kann man tagsüber oder auch abends eine wunderbare Zeit verbringen. In der Silvesternacht versammeln sich auf den Straßen nicht weniger Leute als auf dem Roten Platz, und alle können sich einem Karnevalsumzug anschließen.

SHOPPING UND UNTERHALTUNG Ein russisch-großzügiges Neujahrsfest erwartet Sie auf den verschiedenen Jahrmärkten mitten in Moskau. NACIONALITY: DUTCHmit den berühmten, feinen Wollschals aus der Stadt Pawlowski Die zahlreichen Holzbüdchen locken Possad, den mit Blumen AGE: 56 handbemalten Servierplatten aus Zhostovo und Lebkuchen aus Tula. Dazu gibt es Hütten mit Glühwein, Honigbier und Blinis sowie mit Spielzeug und Neujahrssouvenirs aus allen Ecken CIVIL STATUS: SINGLE Russlands und der ganzen Welt. Der Stadt der Gnome oder dem Märchenland der Weihnachtsengel einen Besuch abstatten oder einen Abstecher auf den Markt für russischen Weihnachtsschmuck aus ganz Russland machen: All das können Sie auf dem Festival „Reise nach Weihnachten“ erleben und sogar einige bekannte Helden russischer Märchen treffen, etwa Jemelja mit seinem selbstfahrenden Ofen, und selbstverständlich die Gastgeber des Fests: Väterchen Frost und seine Gehilfin Snegurotschka.

DER WINTER IN DEN PARKS

ROTER PLATZ Es lohnt sich, bereits tagsüber auf den wichtigsten Platz des Landes, den Moskauer Roten Platz, zu kommen. Dort können Sie über die verschiedenen, üppig geschmückten Gänge des Kaufhauses GUM schlendern, in die festliche Athmosphäre eintauchen und ein paar Neujahrssouvenirs kaufen. Die hellen Lichter des Tannenbaums auf dem Roten Platz, die festliche Beleuchtung der berühmten Basilius-Kathedrale, das Feuerwerk und die jubelnden „Hurra“Rufe von Tausenden Menschen machen einen spektakulären Jahresanfang aus. Tipp: Wer den richtigen Standpunkt auf dem Roten Platz auswählt, nämlich vor der berühmten Turmuhr des Kremls, kann eine eigene Neujahrsbotschaft aufzeichnen im Stil des russischen Präsidenten und diese dann an seine Freunde und Verwandten verschicken.

In den zahlreichen Moskauer Parks werden jedes Silvester neue Festtagsprogramme für Kinder und Erwachsene aufgelegt mit Lichtshows, Aufführungen nach dem Vorbild der sowjetischen Neujahrsmusicals sowie Workshops zur Schmiedekunst und Herstellung von Weihnachtsschmuck. Im Anwesen „Kolomenskoe“ können Sie einen Ausflug zu Pferd machen, im Park Sokolniki werden Wettbewerbe im Schneemannbauen ausgetragen. In allen Grünanlagen begrüßen zudem Väterchen Frost und Snegurotschka in schmucken Kostümen die Besucher.

MOSKAUER EISFLÄCHEN Wer lieber aktiv ins neue Jahr rutschen will, für den stehen in den verschiedenen Ecken Moskaus Eislaufflächen zur Verfügung. Auf der zentralen Eisfläche vor der Einkaufspassage GUM auf dem Roten Platz können Sie in der Silvesternacht nicht nur zur berühmten Glockenmelodie der Turmuhr des Kremls Schlittschuh laufen, sondern auch Sekt trinken, Mandarinen essen und nach russischen Berühmtheiten Ausschau halten, die sich samt ihrer Familien an diesem Abend unter die Feiernden mischen. Die romantischste Eisbahn ist wohl jene zwischen den Bäumen des Parks Eremitage unweit des Puschkin-Platzes. Im Gorki-Park dagegen wartet die größte Eisfläche Europas mit zahlreichen gemütlichen Cafés und Ständen direkt auf dem Eis. Auch die Moskauer Teiche verwandeln sich im Winter in natürliche Eislaufflächen. Daher können Sie den legendären Patriarchenteichen einen Besuch abstatten oder auf dem Eis der Tschistye Prudy, zu deutsch die „sauberen Teiche“, ein paar Kreise ziehen.


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