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Freitag, 6. März 2015
Ausgabe für Luxemburg Diese Beilage erscheint exklusiv im Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times, La Repubblica and El Pais.
F Ü R D E N I N H A LT I S T AU S S C H L I E S S L I C H D I E R E DA K T I O N VO N R U S S I A B E YO N D T H E H E A D L I N E S ( R U S S L A N D) V E R A N T WO R T L I C H .
BLUMENMEER FÜR EINEN UNBEQUEMEN OPPOSITIONELLEN Zehntausende Moskauer erweisen dem ermordeten Politiker Boris Nemzow die letzte Ehre. Die Hauptstadt und das ganze Land sind schockiert. Was bleibt, ist die quälende Frage: Wie ist ein solch dreister Mord möglich, und wer steckt dahinter? SEITEN 2 UND 3
RUSSLANDS AUTOMOBILMARKT ZIEHT DIE HANDBREMSE
Der Verkauf von Autos stockt. Dabei wurde Russland als potenziell größter Markt in Europa gehandelt. Konzerne investierten Millionen in Produktion und Verkauf. Nun müssen sie gute Nerven beweisen. SEITEN 4 UND 5
VOM TAG DER FRAU PROFITIERT AUCH DER EINZELHANDEL Am 8. März wird in Russland der Internationale Frauentag gefeiert. Nach mehr als hundert Jahren hat sich seine ursprüngliche Bedeutung gewandelt: Aus dem Kampftag für die Rechte der Frauen in der Gesellschaft ist eine Mischung aus Valentinsund Muttertag geworden.
Boris Nemzow: Ein Land trauert, ein Land rätselt
SEITE 7
EPA/VOSTOCK-PHOTO
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Freitag, 6. März 2015
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
POLITIK
ATTENTAT In Russland trauern Tausende Menschen um den erschossenen Politiker
Schock und Trauer in Moskau Um den Tod von Russlands bekanntestem Oppositionellem ranken sich Verschwörungstheorien. Währenddessen trauern Tausende Moskauer und nehmen Abschied. JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA RBTH
Es waren Tausende, die Abschied nehmen wollten. Die Schlange quälte sich langsam am Moskauer Gartenring hinunter zum Moskwa-Fluß und dann links weiter bis zum Sacharow-Zentrum. Insgsamt mehrere hundert Meter. Dort stand in einem Raum mit bloßen Backsteinwänden der Sarg mit dem Leichnam des ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Ab und an hielten große Limousinen vor dem Gebäude, einem Kulturzentrum, das dem sowjetischen Dissidenten Andrej Sacharow gewidmet ist. Nicht nur alte Weggefährten, Verwandte und gewöhnliche Stadtbewohner waren gekommen, auch hohe Beamte erwiesen Nemzow die letzte Ehre, darunter der Vizepremier Arkadij Dworkowitsch, Medwedews Sprecherin Natalia Timakowa und Putins Bevollmächtigter in der Staatsduma Garri Minch. Auch Sberbank-Chef German Gref und der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin haben Abschied genommen. Die Bilder zeigen: Kaum ein Oppositioneller ist so bekannt und so gut vernetzt gewesen wie Nemzow. Nicht nur in der Opposition, sondern auch bei jenen im Kreml, die gewöhnlich zum liberalen Flügel gezählt werden. Russische Politikwissenschaftler finden, dass die Konsolidierung der Opposition ohne Nemzow nun noch schwerer fallen wird. Umfragen zeigen, dass Nemzow mehr als zehn Jahre nach seinem Ausscheiden aus der großen russischen Politik noch immer der bekannteste Oppositionelle gewesen ist, noch vor Alexej Nawalny. Wohl auch deshalb war die Abschiedszeremonie bereits der zweite Anlass, der nach Nemzows Tod Tausende Menschen auf die Straße trieb.
REUTERS; ALEXANDER KOROLKOW/ROSSIJSKAJA GASETA
Ein Trauermarsch ersetzte die geplante Kundgebung. Zehntausende schwenkten Russland-Fahnen und hielten Nemzow-Plakate hoch.
„Die Tragödie Nemzows ist auch meine Tragödie“ Schon zum Trauermarsch am vergangenen Sonntag kamen verschiedenen Angaben zufolge bis zu 70 000 Men-
WHAT ARE THE TOP INSTITUTIONS FOR MASTER‘S PROGRAMS IN RUSSIAN AND POST SOVIET-UNION STUDIES IN THE US?
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WHICH UNIVERSITIES RANK TOP IN OTHER RATINGS?
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WHO RANKS TOP IN REPUTATION SURVEY?
20%
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DATA COLLECTED FROM 33U.S. UNIVERSITIES WITH MASTERS IN RUSSIAN AND POST-SOVIET STUDIES
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schen, mehr als erwartet. Und auch viel mehr als zum ursprünglichen Protestmarsch, der am gleichen Tag in einem Moskauer Außenbezirk stattfinden sollte. Viele Teilnehmer nannten den Mord an Nemzow eine persönliche Tragödie und eine Zäsur für die Opposition. Noch vor Beginn des Marsches gab es eine lange Schlange beim Blumenkiosk in der Nähe des Slawjanskaja-Platzes im Zentrum. Auf dem Platz selbst standen unzählige Durchgangsmetalldetektoren. Die Sicherheitsvorkehrungen waren verständlicherweise äußerst streng. Die Massen setzten sich langsam ohne die üblichen Demo-Rufe in Bewegung. Über den Köpfen trugen sie Russlandfahnen mit Trauerbändern. „Ich trauere sehr über diesen Tod“, sagt die Rentnerin Jewgenija Ipatowa. „Russland verliert seine besten Söhne. Er war ein großer Wissenschaftler (Nemzow hatte über 60 wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Physik verfasst), beschloss aber, sich dem Volk zu widmen, das Volk hat ihn aber nicht verstanden.“ „Ich will in einem freien Land leben, ich will nicht, dass man auf uns schießt, uns sprengt. Ich will öffentlich das sagen können, was mir gefällt und was nicht. Deshalb ist die Tragödie von Nemzow auch meine eigene Tragödie“, sagt Wiktor Artamonow, der mit Boris Nemzow seit 1992 zusammengearbeitet hatte.
Die Versionen Auch fast eine Woche nach dem Mord geht die Suche nach den Tätern weiter. Für Diskussionen sorgt am meisten die Frage nach den Drahziehern. Es gibt zwei Versionen, wer Nemzow umgebracht haben könnte: Es soll entweder jemand aus dem Kreis der Machthaber gewesen sein oder eine dritte Kraft, die eine Spaltung im Land erreichen möchte. Anhänger der ersten Version sind auf der Straße deutlich in der Mehrheit. Einigkeit herrscht allein darin, dass es sich um einen Auftragsmord handelt. Verschwörungstheorien machen die Runde. „Boris Nemzow war für unsere Machthaber sehr unbequem. Er sorgte für Bewegung in der Politik in dem Sinne, dass er die Aktivität der Bürger förderte. Er deckte Korruptionsmechanismen auf und bereitete einen Bericht über eine direkte russische Beteiligung am Konflikt in der Ukraine vor“, meint die Unternehmerin Ljudmila Koch. „Irgendjemadem in unseren Machtstrukturen gefällt es gar nicht, dass Putin in der Ukraine-Frage auf die Bremse getreten ist. Der Mord wurde in Auftrag gegeben, um keine weitere Regulierung zuzulassen“, ist sich hingegen der 56-jährige Witalij Gorskij sicher.
Bei der Abschiedszeremonie im Moskauer Sacharow-Zentrum bildete sich eine mehrere hundert Meter lange Schlage. Die Moskauer brachten Blumen, einige Weggefährten hielten kuze Reden.
Boris Nemzow, der Unbequeme Boris Nemzow nahm einen wichtigen Platz unter den Politikern der 1990er-Jahre ein. Von 1991 bis 1997 war er Gouverneur der Region Nischnij Nowgorod, bis er auf Wunsch des damaligen Präsidenten Boris Jelzin als Energieminister und Vizepremier in die Regierung wechselte. Nemzow setzte sich für weniger staatliche Einmischung in der Wirtschaft ein und wurde zeitweise als Nachfolger von Jelzin gehandelt. Nach dem Staatsbankrott 1998 trat er von seinem Ämtern zurück. Von 1999 bis 2003 war Nemzow Abgeordneter der Duma. 2004 unterstützte er Wiktor Juschtschenko im ukrainischen Wahlkampf und wurde anschließend sein inoffizieller Berater. Seine immer harschere Kritik an Wladimir Putin äußerte Nemzow wiederholt bei Demonstrationen. 2011 und 2012 gehörte er zu den Anführern der bis dato größten Kundgebungen gegen die Staatsmacht.
Ein Tod, der vereint? Einige Oppositionelle, darunter Ilja Jaschin, ein enger Freund Nemzows, hoffen, dass Russlands Demokraten nun mehr Eintracht zeigen: „Ich möchte glauben, dass es eine Einigung geben wird, dass dieser Tod jene Oppositionsführer zusammenschweißen wird, die bislang nicht einmal miteinander gesprochen haben“, sagt er. Doch die von RBTH befragten Politikwissenschaftler geben sich hinsichtlich einer Konsolidierung skeptisch. Der Vizedirektor des kremlnahen Instituts für Sozialwirtschaftliche und Politische Studien Alexandr Poschewalow denkt, dass Nemzow eine Person war, die „in-
nere Konflikte in der inhomogenen Bewegung der Opposition ausgeglichen hatte und es schaffte, eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten“. Der Politikwissenschaftler erinnert, dass Nemzow es war, der Ende 2014 über die Notwendigkeit sprach, die Opposition solle eine Koalition „für eine europäische Wahl“ eingehen. „Es ist offensichtlich, dass die Bedeutung Alexej Nawalnys in der Oppositionsbewegung steigen wird, er und seine engsten Mitstreiter werden versuchen, die Situation für sich auszunutzen. Das kann zu neuen inneren Konflikten in der Opposition führen“, fügt Poschewalow hinzu. „Unsere Opposition kann sich nur bei solch traurigen Ereignissen konsolidieren“, bemängelt Konstantin Kalatschew, Leiter der unabhängigen russischen politischen Expertengruppe. „Als Konsolidierungsgrundlage mag das aber nicht ausreichend sein.“ Seiner Ansicht nach ist die Opposition, was Organisation und moralische Führung betrifft, sehr schwach aufgestellt. „In diesem Fall sollte man nicht erwarten, dass das Kind einen Monat nach der Zeugung geboren wird. In Russland kann eine neue Opposition entstehen, aber nur, wenn eine wirklich schwere Wirtschaftskrise das Land heimsucht. Und dann wird es sicher keine Opposition sein, die ihr Programm auf sozialwirtschaftlichen Grundlagen aufbaut“, sagt Kalatschew.
SONDERBEILAGEN UND SONDERRUBRIKEN ÜBER RUSSLAND WERDEN VON RBTH, EINEM UNTERNEHMEN DER ROSSIJSKAJA GASETA (RUSSLAND), PRODUZIERT UND IN DEN FOLGENDEN ZEITUNGEN VERÖFFENTLICHT: THE DAILY TELEGRAPH, GROSSBRITANNIEN • THE NEW YORK TIMES, THE WALL STREET JOURNAL, THE INTERNATIONAL NEW YORK TIMES, THE WASHINGTON POST, USA • HANDELSBLATT, DEUTSCHLAND • TAGEBLATT, LUXEMBURG • LE FIGARO, FRANKREICH • EL PAÍS, SPAINIEN • LA REPUBBLICA, ITALIEN • LE SOIR, BELGIEN • GEOPOLITICA, SERBIEN • ELEFTHEROS TYPOS, GRIECHENLAND • THE ECONOMIC TIMES, INDIEN • MAINICHI SHIMBUN, JAPAN • HUANQIU SHIBAO, CHINA • THE NATION, PHUKET GAZETT, THAILAND • LA NACION, ARGENTINIEN • FOLHA DE SÃO PAULO, BRAZILIEN • EL OBSERVADOR, URUGUAY • JOONGANG ILBO, SÜDKOREA • THE SYDNEY MORNING HERALD, THE AGE, AUSTRALIEN • GULF NEWS, AL KHALEEJ, VAE.
Freitag, 6. März 2015
Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
POLITIK
LIBERALISMUS ALS LEBENSSTIL
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ZITATE
«
MICHAIL GORBATSCHOW EHEMALIGER PRÄSIDENT DER SOWJETUNION
IRINA CHAKAMADA POLITIKERIN
Der Mord an Boris Nemzow ist ein Versuch, die Situation komplizierter zu machen, vielleicht sogar die Lage im Land zu destabilisieren und die Konfrontation zu verstärken. Von welcher Seite aus diese Tat verübt wurde, ist schwer zu sagen. Man darf keine voreiligen Schlüsse ziehen, sondern muss die Angelegenheit in Ruhe klären.
«
Langjährige politische Weggefährtin und Parteigenossin von Boris Nemzow. Bekleidete verschiedene Ämter während seiner Ministerzeit DMITRI MEDWEDEW MINISTERPRÄSIDENT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Ein großer Verlust für unsere Gesellschaft, deren Freiheiten und Werte er immer verteidigte. Boris Nemzow wurde zu einem der talentiertesten Politiker in der Zeit der politischen Transformation unseres Landes. Bis zum letzten Tag blieb er eine markante Persönlichkeit, ein Mensch der Prinzipien.
« GRIGORI AWOJAN
B
oris Nemzow mischte schon mit seinem ersten Auftreten die politische Arena Russlands auf. Er war jung, hübsch, intelligent, provokant und umwerfend charmant – die Sowjetunion hatte solche Menschen nicht gekannt. 1991 – er war gerade zum Gouverneur gewählt worden, ich startete meine Laufbahn als Politikerin. Beide waren wir Neueinsteiger in der postsowjetischen Nomenklatura, und das brachte uns natürlich einander näher. Aber bis 1997 beobachtete ich sein Agieren nur aus der Distanz, dafür jedoch mit großem Interesse. Wenn Lew Tolstoi als Spiegel der russischen Revolution bezeichnet wird, so spiegelt Boris Nemzow die gesamte Entwicklung der Übergangszeit wider: den Abenteuergeist, der den Menschen aus Sotschi, wo auch Nemzow geboren wurde, eigen ist, den romantischen Glauben an den Sieg der Demokratie und das forsche Auftreten eines ehemaligen Komsomol-Funktionärs. In der Regierung, in der ich 1997 mitarbeiten sollte, war er bereits ein anderer Mensch – seinen Charme und die kreative Energie hatte er sich bewahrt, aber der Enthusiasmus des Komsomolzen war dem Verantwortungsbewusstsein eines gesamtrussischen Reformers gewichen. Boris er-
langte politisches Gewicht, aber anders als die meisten hatte er nicht seinen Willen verloren, die Welt zum Besseren zu verändern. Die Auseinandersetzung mit dem Oligarchen Beresowskij, der Sitzstreik der Bergleute vor dem Weißen Haus, der Staatsbankrott 1998 und die anschließende Abdankung der Regierung waren für uns alle eine große Herausforderung, aber keiner gab auf, sondern alle setzten ihre Arbeit mit noch stärkerem Elan und größerer Energie fort – ungeachtet dessen, dass man uns bereits als politische Leichen betrachtete. Und Boris war der Erste, der eine neue Mannschaft zusammenstellte. Was auch immer er anstrebte, das Ergebnis war für ihn das Entscheidende. Die Union der rechten Kräfte, die von ihm ins Leben gerufen wurde, schaffte es mit ihrem Spitzenkandidaten Sergej Kirijenko ins Parlament. Nemzow war in den letzten Jahren als Abgeordneter eine der herausragenden Persönlichkeiten in der Staatsduma, in der schon nicht mehr die Kommunisten, sondern die Regierungspartei die Mehrheit hatte, und das Land bereits nicht mehr von Boris Jelzin, sondern von Wladimir Putin geführt wurde. Nemzow zog, im Gegegensatz zu Sergej Kirijenko, der recht schnell in die Exekutive wechselte, die Unabhängigkeit
Stand der Ermittlungen im Mordfall Boris Nemzow Nach bisherigen Erkenntnissen soll laut Ermittlungsbehörde der Mörder kein Profi gewesen sein. Er wird im nationalen Spektrum gesucht. JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA RBTH
Das Versagen der Videokameras des FSO gab einmal mehr Anlass zu Verschwörungstheorien.
Die Ermittler haben die Vermutung geäußert, dass die Tat nicht von Profis begangen worden sei. Das erklärten Mitarbeiter der Polizei gegenüber der Zeitung Kommersant. Bekannt wurde auch, dass keine einzige Kamera des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSO) um den Kreml herum den Mord an dem Politiker aufgezeichnet hat. Bislang gibt es mehrere Ermittlungsansätze, besonderes Augenmerk gilt der „ukrainischen Spur“: Es besteht der Verdacht, dass Nemzow von radikalen russischen Nationalisten aus der Ukraine wegen seiner Unterstützung der Kiewer Regierung ermordet worden sei. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Igor Krasnow, be-
kannt als Experte für Fälle mit nationalistischem Hintergrund, die Leitung der Ermittlungen übernommen hat. Grund zur Annahme, die Mordtat sei von Laien begangen worden, gab die Schusswaffenanalyse. Die Patronenhülsen waren zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Betrieben hergestellt worden. „Dies weist eindeutig auf Banditen hin. Sie haben mit Patronen geschossen, die sie gerade zur Verfügung hatten“, so der Generalmajor des FSB a.D. Alexander Michailow gegenüber RBTH. „Profis haben ihre Waffen stets einsatzbereit und pflegen sie.“ Das Versagen der Videokameras des FSO gab einmal mehr Anlass zu Verschwörungstheorien. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass der Tatort in unmittelbarer Nähe zum Kreml im Visier etlicher Überwachungskameras gelegen hätte. Laut Kommersant waren jedoch die Aufzeichnungen entweder nicht scharf genug, oder sie fehl-
und die im Parlament verbliebene politische Opposition vor. Die Zweitausenderjahre waren reich an Ereignissen: die Geiselnahme im Musical-Theater Nord-Ost, die Chodorkowskij-Affäre, die Niederlage der beiden liberalen Parteien bei den Parlamentswahlen 2003. Nemzow landete wieder einmal „außerhalb des Systems“. Aber er steckte auch diesen Tiefschlag weg und brachte seine ganze Erfahrung ein, um eine Opposition aufzubauen. In dem Maße, in dem der politische Raum zur Umsetzung seiner Ideen schrumpfte, nahmen seine Äußerungen und seine Arbeitsmethoden an Radikalität zu. Am Beispiel Nemzows kann man nachverfolgen, wie ein liberales Projekt aus dem System (vertreten durch den Machtapparat) auf die Straße abgedrängt wurde. Und dessen Anführer wurde nun ermordet – demonstrativ und brutal. Auf eben der Brücke, die sowohl zum Gotteshaus, wie auch zum Kreml führt – den beiden Symbolen des heutigen Russlands. Wurde durch diese Schüsse der Liberalismus in Russland getötet? Der Trauermarsch für Boris Nemzow, zu dem sich am 1. März Zehntausende freie Bürger aus dem ganzen Land zusammengefunden haben, gibt uns die Hoffnung, dass dem nicht so ist.
ten ganz, weil die Kameras zu Wartungsarbeiten abgeschaltet worden waren. Später erklärte der FSO, dass sie zwar intakt, jedoch auf das Kremlgelände gerichtet waren. Die Brücke, auf der Nemzow erschossen wurde, gehöre nicht in den Zuständigkeitsbereich des FSO. Russische Nationalisten wehren sich gegen die schweren Vorwürfe und haben die Vermutung, der Mord sei von radikalen Patrioten oder von dem in Russland verbotenen „Rechten Sektor“ begangen worden. „In den letzten drei Jahren kooperierte Nemzow aktiv mit den Nationalisten und setzte sich engagiert für die Idee eines ‚ehrlichen Parlaments‘ ein, dem unter anderem auch Anhänger der nationalistischen Bewegung angehören sollten“, behauptet Wladimir Jermolajew, führender Politiker aus dem ethnopolitischen Verein Russkije. Nach Meinung des Menschenrechtlers und Rechtsanwalts der Nationalisten, Matwej Zsen, ergibt das Verbrechen insgesamt ein diffiziles Bild, in das auch die Aufständischen im Donbass kaum passen. „Man muss professionell geschult sein, um einen Menschen derart zu bespitzeln, dass man ihn nicht aus den Augen verliert und dabei selbst nicht auffliegt. Im Krieg aber lernt man das sicher nicht“, betont Zsen.
SERGEJ KIRIJENKO LEITER DER ATOMENERGIEBEHÖRDE ROSATOM Von April bis August 1998 war Kirijenko außerdem Ministerpräsident der Russischen Föderation.
In meiner Erinnerung bleibt er ein Mensch der extremen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Er tat immer das, woran er glaubte. Er konnte sich irren, andere täuschen, selbst getäuscht werden. Das kam vor. Aber er war nicht käuflich. Es war unmöglich, ihn zu etwas zu zwingen oder ihn einzuschüchtern. Mit ihm konnte man streiten. Diese Streitereien konnten hart und prinzipiell sein, aber von ihm hatte man niemals Gemeinheiten, Intrigen oder Handlungen hinter dem Rücken zu befürchten. Es ging ihm nicht um kommerzielle Interessen. Er war ein Romantiker der Politik, vielleicht der letzte seiner Art.
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
DAS THEMA
RUSSLANDS AUTOMOBILMARKT SO OPTIMISTISCH DIE HERSTELLER IN GUTEN JAHREN SIND, SO BITTER IST DIE STIMMUNG, WENN ES ZUR KRISE KOMMT. ZUM ZWEITEN MAL SEIT 2009 MÜSSEN SIE EINEN DRAMATISCHEN EINBRUCH VERKRAFTEN.
KRISE TRIFFT AUTOBRANCHE MIT VOLLER WUCHT
NIKOLAI SCHIJANOW
Standorte der russischen Automobilindustrie
Russlands Automobilmarkt ist in Katerstimmung. Nach Panikkäufen im Dezember vergangenen Jahres müssen Händler, Hersteller und Zulieferer nun einen dramatischen Einbruch der Verkaufszahlen hinnehmen. ALEXEJ LOSSAN RBTH
Für viele Manager der Branche ist es ein Déjà-vu. 2008 wurde Russland noch als neuer Star unter den Automärkten gehandelt. Dann kam die Vollbremsung 2009. Auch jetzt zieht der Absatz lange Bremsspuren hinter sich her – nachdem Russland zuvor wieder zum zweitwichtigsten Markt in Europa aufgestiegen war. Nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat sank der Pkw-Verkauf im Januar 2015 um 45 Prozent zum Vormonat. Im Vergleich zum Januar 2014 betrug der Rückgang immerhin 26 Prozent. Wie Analysten der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers erklären, liegen die Hauptgründe dafür in der makroökonomischen Situation im Land und in der Schwäche des Rubels. Auch das gesamte vergangene Jahr, mit Ausnahme des letzten Quartals, lief holprig: Im Ergebnis ist laut PwC der Verkauf von Neuwagen um 10,1 Prozent auf 2,3 Millionen Stück zurückgegangen. Anders als bei der
letzten großen Krise liegt der russiFür die rusMarkt nicht im globalen Trend. sische Volks- sche Schließlich konnten der japanische, wirtschaft europäische und amerikanische Absatzmarkt eine positive Entwicklung haben der vorweisen. Pkw-Markt Verzwickte Situation und die die russische Volkswirtschaft Autoindustrie Für haben Pkw-Markt und Autoinduseine große trie eine große Bedeutung. Die ersten Fabriken wurden noch in den Bedeutung.
Neunzigerjahren errichtet – damals eröffneten Daewoo, Ford und General Motors ihre Montagewerke. Der Durchbruch kam 2006, als in Russland der Einfuhrzoll auf Fahrzeugkomponenten für die Autoindustrie abgeschafft wurde. Gleichzeitig wurden gebrauchte und auch neue Autos mit hohen Zöllen belegt, um einerseits den Lada-Hersteller Avtovas zu schützen und andererseits ausländische Automobilkonzerne anzulocken. Bereits Ende 2008 eröffnete in Moskau ein Renault-Werk, in Sankt Petersburg ging Toyota an den Start, in Kaluga, 180 Kilometer südlich von Moskau, ließ Volkswagen Autos zusammenbauen. Letzten Endes wurden 2010 bereits etwa 90 Prozent der gefragtesten Pkw-Marken direkt in Russland produziert. Gleichzeitig garantierte die Regierung den Herstellern nach dem Beitritt Russlands zur
WTO im Jahr 2012 eine Kompensation der Verluste, die durch eine zukünftige Senkung des Einfuhrzolls auf Gebrauchtwagen entstehen würden. Doch auch ungeachtet des WTOBeitritts und der künftigen Zollsenkungen hat etwa Daimler 2013 die Produktion seines Sprinter Classic beim Transporthersteller GAZ aufgenommen. Das ehemalige WolgaWerk in Nischni Nowgorod liegt 420 Kilometer östlich von Moskau. In den vergangenen Jahren wurde Russland immer wieder prophezeit, es werde zum größten Automobilmarkt aufsteigen. Doch bereits 2013 gerieten die Verkäufe ins Stocken. Die endgültige Wende kam im Herbst 2014, als der Rubelkurs gegenüber dem US-Dollar und dem Euro auf die Hälfte gefallen war. Das führte zu einer Verteuerung der Automobilkomponenten und zu einem Rückgang der Nachfrage. Schließlich wurde Mitte Februar dieses Jahres das Renault-Werk in Moskau für drei Wochen geschlossen, und die Fabrik von General Motors in Sankt Petersburg arbeitet seitdem nur noch in einer Schicht. Auch Ford warnte davor, seine Bänder kurzzeitig anhalten zu müssen. „Die Situation auf dem Pkw-Markt ist recht angespannt, und in der nächsten Zeit kann damit gerechnet werden, dass eine Reihe
Im Dezember kam es zu Panikkäufen. Viele Verbraucher versuchten, ihre Rubelersparnisse vor dem Verfall zu retten.
Händler aufgeben wird“, sagt der Projektleiter von FinExpertisa Alexander Silberman. Ilja Balakirew, Analyst bei UFS IC, berichtet von Panikkäufen kurz vor Neujahr. Viele Käufer hätten so versucht, ihre Rubelersparnisse zu retten. Die Produzenten ihrerseits seien gezwungen gewesen, die Preise anzuheben, da der Einkaufspreis für Neuwagen von den Wechselkursen abhänge. „Unterm Strich hat sich auf dem Markt eine Art Schere gebildet: Auf der einen Seite befinden sich die Verbraucher, die ihren Bedarf zum großen Teil bereits gedeckt haben, und auf der anderen die Hersteller, die gezwungen sind, die Preise anzuheben“, erklärt der Experte.
Trübe Aussichten Nach einer Prognose von PwC ist für 2015 mit einem weiteren Preisanstieg zu rechnen, und im Zusammenhang mit dem Absatzrückgang könnte es zu einem Rückzug einer Reihe von Marken vom russischen Markt kommen. Das betrifft vor allem die Automobilproduzenten mit einem relativ geringen Marktanteil in Russland. „In einer weitaus besseren Lage befinden sich in der aktuellen Situation jene Autohersteller, die über einen sehr hohen Lokalisierungsgrad in Russland verfügen, vor allem die russischen Pro-
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DAS THEMA
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DIE PREISE in Russland steigen nicht nur bei importierten Gütern und Lebensmitteln
Luxuslimousinen: in guten wie in schlechten Zeiten
511 Avtovas Togliatti, Ischewsk
237 Hyundai
188
Sankt Petersburg
Russen lieben teure Autos. Daran ändert die Krise vorerst nur wenig – zunächst müssen die Mittelklassewagen Federn lassen. Wie lange die Luxushersteller allerdings verschont bleiben, weiß niemand. MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH
VW Kaluga
150 Renault Moskau
186 Avtotor Kaliningrad
Russlands größte Autobauer (Autoproduktion in Tausend, 2014) AVTOVAS gehört mehrheitlich zu Renault-Nissan und produziert die russische Traditionsmarke Lada. HYUNDAI Seit 2010 in Sankt Petersburg, stiegen die Koreaner 2014 zum größten ausländischen Hersteller auf. VW Volkswagen hat nach Avtovas den meisten Local Content. Der Polo Stufenheck besteht zu 60 Prozent aus russischen Bauteilen. AVTOTOR Der Auftragsfertiger montiert unter anderem BMW und Opel in Kaliningrad. RENAULT Gehört zu den Veteranen der Automobilindustrie in Russland und produziert seit 1999 in Moskau.
duzenten“, heißt es in einer PwC-Analyse. Nach Angaben der Beratungsgesellschaft ist in erster Linie die Rede vom größten russischen Autohersteller, dem Konzern Avtovas, der die in Russland populärste Marke Lada herstellt. Aber selbst bei Avtovas steht bei Weitem nicht alles zum Besten: 2014 stieg der Reinverlust um das 3,7Fache auf 25,4 Milliarden Rubel (338 Millionen Euro). Wie man im Unternehmen erläuterte, sei einer der Gründe für die Verluste eben jener Rubelverfall, da die Fahrzeuge, die der Konzern produziert, zu etwa 20 Prozent aus Import-Komponenten bestehen. Bisher rechnen die Marktteilnehmer mit einer Unterstützung durch den Staat. So hat die russische Regierung eine Art Abwrackprämie initiiert: Gebrauchtwagen werden beim Kauf eines Neuwagens in Zahlung genommen, und der Käufer erhält einen saftigen Rabatt. Wie der russische Finanzminister Anton Siluanow am 18. Februar verkündete, seien allein für das erste Quartal 2015 zehn Milliarden Rubel (150 Millionen Euro) für das Programm bereitgestellt worden. „Wenn der Staat den Markt in ausreichendem Maße unterstützt, wird der Verkauf von Personenkraftwagen in Russland bis zum Jahresende wahrscheinlich um 20 bis 25 Prozent zurückgehen, andernfalls könnten es 35 Prozent werden“, sagt der Leiter der Pkw-Abteilung bei PwC Russland Sergej Litwinenko. Auch Ilja Balakirew spricht von einem deutlichen Einbruch des Marktes. Wie lange dieser andauern werde, hänge von der allgemeinen Wirtschaftslage, der Kreditvergabepolitik und weiteren Preisnachlässen seitens der Autohersteller ab. Andernfalls werde die Nachfrage sich endgültig auf den Gebrauchtwagenmarkt umorientieren – dort macht sich der Preisanstieg bislang noch nicht ganz so stark bemerkbar.
Thomas Sterzel ist wohl selten in Russland so herumgekommen wie im vergangenen Jahr. Perm, Jekaterinburg, Rostow am Don, Kasan – bei der Eröffnung der neuen Autohäuser wollte der Chef von Porsche Russland persönlich dabei sein. „Es war ein sehr produktives Jahr, in dem wir unsere Präsenz auf dem russischen Markt weiterhin gestärkt haben“, erklärt der Manager. Die Zahlen geben Sterzel recht. Mehr als 4700 Fahrzeuge konnte die Zuffenhausener Automobilschmiede in Russland verkaufen, das ist ein Plus von fast 25 Prozent. Werte, von denen die meisten Hersteller auf dem kriselnden russischen Markt nur träumen können. Doch Porsche schwimmt längst nicht allein gegen den Trend. Auch andere Luxushersteller haben ein erfolgreiches Jahr hingelegt. Mercedes-Benz erzielte im vergangenen Jahr ein Plus von elf Prozent und steigerte seinen Absatz auf 50 000 verkaufte Autos. In seinem Jahresbericht sprach der Konzern gar von einem Mercedes-Jahr in Russland. Die hauseigene Sportmarke AMG konnte sogar um 50 Prozent auf 2000 verkaufte Exemplare zulegen. Auch andere Luxusmarken wie Landrover, Infiniti oder Lexus schnitten überdurchschnittlich gut ab. Wie aussagekräftig diese Zahlen derzeit sind, lässt sich allerdings schwer beurteilen. Schließlich hat der Dezember mit seinem rapiden Rubelverfall und einer regelrechten Kaufpanik die Verkaufsstatistiken durcheinandergewirbelt. Russland landete in einem Preisvakuum, weil die Hersteller mit den Preiserhöhungen nicht hinterherkamen. „Nirgendwo auf der Welt gab es so günstige Preise für Luxusautos“, bemerkt Dmitri Baranow, Chef des Autohändlers Sportcar Center. Die Menschen erwarteten deutlich höhere Preise und rissen sich um vermeintlich günstige Autos.
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Luxushersteller Porsche und Mercedes-Benz haben trotz Rubelkrise ein erfolgreiches Jahr auf dem russischen Markt hingelegt.
Alte Liebe zu Luxuskarossen Dass Russen, zumindest jene, die es sich leisten können, ein Faible für teure Wagen aus Deutschland oder Japan haben, ist kein Geheimnis. In den 1990er-Jahren hatte sich die S-Klasse von Mercedes in der Top-Variante S600 einen Ruf als das Gefährt für neureiche Russen schlechthin erarbeitet. Nach einem Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins Focus sollen in Moskau bis Mai 1993 angeblich mehr S-Klasse-Limousinen verkauft worden sein als 1992 in ganz Westeuropa. Die Marke BMW, im Jargon „Boomer“ genannt, erfreute sich dagegen großer Beliebtheit bei den schweren Jungs im Dunstkreis der S-Klasse-Besitzer. Nach der Jahrtausendwende stieg der Wohlstand. 2007 erreichte der Verkauf des Stuttgarter Top-Modells etwa 12 000 Stück pro Jahr. Und wer herausstechen wollte, musste schon zur Luxusausführung Maybach greifen. Etwa 130 Stück gab es in Moskau vor der Weltwirtschaftskrise 2008, so viele wie nir-
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RUSLAN SUCHUSCHIN
gendwo sonst. Auch der Bestand von Bentleys konnte sich mit etwa 700 sehen lassen. Dabei sei die Kundenstruktur der Luxusmarken völlig anders als in Westeuropa gewesen, berichteten Händler westlicher Autokonzerne. Beispielsweise habe das durchschnittliche Alter mit 25 bis 45 Jahren deutlich niedriger als das der europäischen Kunden gelegen. Heute dominieren die günstigen Modelle von Lada oder Hyundai die Zulassungsstatistiken. Doch der Blick auf die Umsätze zeigt, dass Luxushersteller noch immer viel Geld verdienen. Mit etwa 4,1 Milliarden Euro landet Mercedes auf Platz zwei hinter Toyota. Gleichzeitig offenbart sich auch das Problem der Konzerne. Weil die Autos in Euro gerechnet billiger werden, sinken bei allen Herstellern die Umsätze. Doch auch hier kommt die Oberklasse glimpflich davon. Während der Umsatz von Opel und Volkswagen etwa um ein Viertel zurückgegangen ist, blieb das Minus bei Land Rover, Porsche oder Lexus im einstelligen Prozentbereich.
Die Provinz liebt Lamborghini Fast alle Experten sind überzeugt, dass sich das Premiumsegment auch weiterhin stabiler entwickeln wird als der übrige Markt. Die Hauptlast der Krise trügen die Mittelklassehersteller, meint Wladimir Mozhenkov vom Branchenverband der russischen Autohändler ROAD. Demnach stiegen nur die wenigsten Käufer von Oberklassewagen auf billigere Marken um, während dies im unteren Mittelklassesegment gang und gäbe sei. Dahinter steckt eine einfache Logik: Wer 90 000 Euro für ein Auto ausgibt
– so viel betrug laut Autostat der durchschnittliche Kaufpreis eines Mercedes in Russland –, der kann meistens auch noch etwas tiefer in die Tasche greifen. Ähnlich sieht das auch Wjatscheslaw Subarew, Chef des Vertragshändlers von Porsche in Kasan, Hauptstadt der Teilrepublik Tatarstan. „Derzeit ist die Nachfrage höher als das Angebot. Darüber hinaus leidet das Premiumsegment in Krisenzeiten am wenigsten. Die Nachfrage nach luxuriösen Fahrzeugen entwickelt sich dynamisch“, sagte er bei der Eröffnung des neuen Autohauses in Kasan Ende Oktober. Im vergangenen Jahr hat Subarews Unternehmen auch ein BMW-Autohaus in Kasan eröffnet. Denn Luxusautos sind längst nicht mehr nur in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg beliebt. Zwar liegt die Hauptstadt nach wie vor bei einem Marktanteil des Premiumsegments von 25 Prozent ganz vorn. Doch insbesondere Provinzhauptstädte im Fernen Osten liegen dank hohen Gehältern nur knapp dahinter. Auch der Urlaubsort Sotschi sowie Krasnojarsk in Sibirien und Kaliningrad haben in den letzten Jahren aufgeholt. Erst kürzlich schwärmte der Chef von Lamborghini Moskau über die breite Geografie seiner Verkäufe. „Wir verzeichnen viele Verkäufe in den Regionen, weil es dort Menschen gibt, die Wert darauf legen, ein Auto zu haben, das es nur ein Mal in der Stadt gibt“, erklärte Sergej Mordwin. Im vergangenen Jahr habe man jedenfalls die Russland-Quote bei Lamborghini schon vor dem großen Rubelsturz im Dezember ausgeschöpft.
REISEN
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Freitag, 6. März 2015
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
MEINUNG
DER RUSSISCHE BÄR UND ANDERE VORURTEILE
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NIKOLAI ZLOBIN POLITOLOGE Russisch-amerikanischer Politikwissenschaftler und Präsident des Center on Global Interests in Washington, D.C., USA
ie heutige Vorstellung des Westens von Russland ist veraltet und bedarf einer Korrektur. Dazu müsste Russland seine langfristigen Interessen genauer definieren und weniger auf Propaganda setzen. Während meiner Zeit in den USA habe ich gelernt, dass es einen großen Unterschied gibt – zwischen dem amerikanischen Denken über Russland und wie sich die Russen ihrerseits das amerikanische Denken über Russland ausmalen. So handelt es sich zum Beispiel nur um ein großes russisches Vorurteil, dass die Amerikaner glauben, Bären gehörten ins russische Straßenbild. In Wirklichkeit begegnen die Amerikaner Russland weitaus offener und mit großem Respekt. Zugegebenermaßen, die Metapher des Taiga-Bären, die Wladimir Putin in seinen Reden über Russland in letzter Zeit manchmal bemüht, lässt Russland in der Fremdwahrnehmung nicht wirklich sympathischer erscheinen. Die westliche Schule der politischen Russistik teilt sich in zwei Lager auf. Das erste geht davon aus, dass Wladimir Putin aus Russland ein autoritäres Land mit einer schwachen Zivilgesellschaft machen will. Die Anhänger dieser Richtung, darunter auch die aktuelle US-Regierung, nehmen an, dass Putin die politische Struktur des heutigen Russlands entworfen hat. Ohne Putin wäre das gegenwärtige Russland einfach nicht überlebensfähig, ganz so wie es bei vielen seiner Vorgänger der Fall war. Deren Russland-Entwürfe endeten mit ihrem Abdanken. Ihre
Nachfolger mussten ihren eigenen Weg gehen. Das zweite Lager versteht Putin historisch gesehen als einen typisch russischen Staatschef. Sein Ziel besteht nicht in der Verwirklichung eines genauen Programms, über das er gar nicht verfügt, sondern darin, den machtpolitischen Status quo und die jahrhundertealte Entwicklungsstrategie Russlands aufrechtzuerhalten. Ganz nach dem Motto: Es gibt kein „Russland Putins“, es gibt nur einen „russischen Putin“. Letzterer entspringt der nationalen politischen Kultur, ihren Institutionen und Traditionen. In den ersten zehn Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion war dies die grundlegende Auffassung, die der US-amerikanischen Politik im Umgang mit Russland zugrunde lag. Die beiden Lager argumentieren keineswegs gradlinig. Ich vereinfache hier mit Absicht. Der Westen wird oft und nicht ganz unberechtigterweise beschuldigt, sich nicht mit dem „wirklichen Russland“, sondern lieber mit einem virtuellen auseinanderzusetzen. Darüber lässt sich streiten. Zweifelsohne aber braucht es heute einen neuen, frischeren Blick auf Russland.
Um für den Westen verständlich zu sein, muss Russland zuerst selbst Antworten auf die wichtigsten Fragen finden. Vor allem geht es darum, die eigenen langfristigen nationalen Prioritäten zu definieren. Angesichts der Tatsache, dass der Anschluss der Krim als ein Eckstein russischer Staatlichkeit dargestellt wird, ohne dass jemals zuvor weder der russische Präsident noch das russische Militär oder Diplomaten und Experten dies ansatzweise auf die Agenda gesetzt hätten, kann man nachvollziehen, dass die Welt darauf mit wenig Verständnis reagiert. Es ist ebenso naiv zu glauben, dass ein Land, dessen letztes Jahrhundert von vielen Brüchen gekennzeichnet ist, von der Weltgemeinschaft plötzlich als ein Garant traditioneller Werte angesehen wird. Es braucht eine Weile, bis man sich internationales Ansehen erworben hat. Die Grundlage hierfür müssen konkrete Anhaltspunkte sein und nicht der Glaube an die eigene Propaganda. Es ist auch falsch, den internationalen Wettbewerb mit Feindseligkeit und Konfrontation gleichzusetzen, wie dies in Russland häufig geschieht. Natürlich möchte Russland ein ernstzunehmender Konkurrent zu den USA und
« Dem Westen wird häufig vorgeworfen, sich nicht mit dem wirklichen Russland auseinanderzusetzen.
ALEXEJ JORSCH
Europa sein. Nicht weniger natürlich ist allerdings, dass auch der Westen in Russland einen Konkurrenten sieht und entsprechend handelt. Die Zeit ist ganz offensichtlich reif, die langfristige Sicht auf Russland grundlegend zu überdenken. Ein Neuanfang wird jedoch durch die Sanktionen erschwert, die den westlichen Vertretern den Zugang zu Russland verbieten. Es ist schlicht und einfach nicht weitsichtig, Russland an den Rand des Weltgeschehens zu drängen, bloß weil man mit bestimmten Aspekten seiner Außenpolitik nicht einverstanden ist. Umgekehrt ist die grundlegende Korrektur der westlichen Sicht ohne die radikale Korrektur der langfristigen Sicht Russlands auf den Westen absolut unmöglich. Die aktuelle politische Zwietracht hat in Russland zu einer sinnlosen Verunglimpfung westlicher Zivilisation und ihrer Werte geführt. Russland selbst muss verstehen, welche Antwort es auf die Frage nach „Putins Russland“ oder dem „russischen Putin“ hat. Wie lange ist das größte Land der Welt noch bereit, sich für einen Bären zu halten? Der Beitrag erschien zuerst bei RBC Daily.
PUTINS NEUE FREUNDE IN DER WELT
S NIKOLAJ SURKOW POLITOLOGE Dozent am Lehrstuhl für Orientalistik des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO)
eit der Westen im Frühjahr 2014 begann, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, ist das Verhältnis zu den früheren westlichen Partnern sehr distanziert. Kontakte, die in den Jahren zuvor zu den USA und den europäischen Ländern aufgebaut wurden, liegen auf Eis. Die russische Führung hat daher ihre außenpolitischen Prioritäten neu geordnet und sich neue Verbündete gesucht. Es stellte sich dabei heraus, dass Moskau international gar nicht so isoliert ist, wie es die Initiatoren der Sanktionen erwartet hatten. Erst vor einigen Wochen war Wladimir Putin auf Staatsbesuch in Ungarn. Mit Ministerpräsident Viktor Orbán handelte er neue Bedingungen für russische Gaslieferungen aus und unterzeichnete eine Reihe zwischenstaatlicher Abkommen. Man müsste dem Vorgang keine größere Bedeutung zumessen, aber unter den Bedingungen der gegenwärtigen Krise hat dieser Besuch Symbolcharakter. Dem Kreml ist es wichtig zu zeigen, dass Europa in der Ablehnung Moskaus nicht gar so einig ist. Orbán verfolgt dabei die Interessen seines Landes, das Erdgas zu annehmbaren Preisen zu beziehen, und nebenbei kann er die EU ein wenig ärgern, indem er zusammen mit Putin
vor den Kameras der Journalisten posiert und sich dadurch der Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit sicher sein kann. An einer Freundschaft mit Moskau ist auch der Sieger der griechischen Parlamentswahlen, die Linkspartei Syriza, interessiert. Griechenland befindet sich seit 2008 in der Schuldenfalle und schafft es nicht, sich aus eigener Kraft zu befreien. Die Griechen wollen Druck auf die EU ausüben, um günstigere Bedingungen für die Tilgung ihrer Schulden auszuhandeln und bandeln deshalb mit Moskau an. Man kann also davon ausgehen, dass die Wand der europäischen Aversion Risse bekommen hat, wenn auch nur kleine. Es besteht die Hoffnung, dass sich das Verhältnis zu den europäischen Partnern, zumindest im Wirtschaftsbereich, allmählich wieder normalisiert. Moskau beschränkt sich bei der Suche nach Verbündeten aber nicht nur auf Europa. Es unternimmt intensive Anstrengungen, um Fortschritte in dieser Hinsicht auch in Asien und im Nahen Osten zu erzielen. Ein wichtiger Durchbruch gelang 2014 mit der Annäherung an Ägypten. Eines der größten Länder der arabischen Welt und einer der wichtigsten arabischen
Verbündeten der USA äußerte den Wunsch, eine große Lieferung russischer Waffen zu erwerben und insgesamt die Beziehungen zu Moskau in diversen Bereichen auszubauen. Der Besuch Putins in Ägypten erinnerte an den von Chruschtschow Anfang der 1960er-Jahre. Die Ergebnisse des jüngsten Besuchs in Kairo rufen eine Art Déjà-vu hervor. Damals wurde durch die Sowjetunion der Bau des Assuan-Staudamms finanziert und realisiert, jetzt plant Russland, den Bau des ersten Kernkraftwerks in Ägypten zu unterstützen. Das russisch-iranische Verhältnis verbessert sich ebenfalls zusehends. Das 2014 intensiv diskutierte Abkommen über den Verkauf iranischen Erdöls an die Russische Föderation mit einem Volumen von mehr als 17 Milliarden Euro kam zwar nicht zustande. Aber Teheran benötigt auch weiterhin moderne Technologien, Rüstungsgüter und Kernenergie. Ein anderes regionales Schwergewicht, die Türkei, hat es auch nicht sehr eilig, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Ankara hat nach dem Aus für das Pipeline-Projekt South Stream schnell reagiert und profitiert nun am meisten von der geplanten Alternative.
«
Es ist bezeichnend, dass China im vergangenen Jahr mit Russland eine Reihe von Energieabkommen abgeschlossen hat.
Nach dem Zerwürfnis mit der EU sind die wichtigsten Verbündeten Russlands die BRICS-Partner. Auch wenn sie Moskau nicht öffentlich unterstützt haben, verurteilten sie es zumindest nicht für die Eingliederung der Krim im April 2014. Es ist der Eindruck entstanden, dass die BRICS-Staaten im Prinzip genug haben von der tölpelhaften US-amerikanischen Politik der letzten Jahrzehnte, die sich durch messianische Ideen auszeichnet, aber doch in der ewigen Gratwanderung zwischen der Politik von Demokraten und Republikanern gefangen bleibt. Es ist bezeichnend, dass China im vergangenen Jahr mit Russland eine Reihe von Energieabkommen geschlossen hat und Indien auch weiterhin russische Waffen kauft. Von eben diesen Ländern wird Russlands Stellung in der morgigen Welt abhängen. Denn solange sie ihre Beziehungen mit Moskau aufrechterhalten, kann von einer Isolation nicht die Rede sein. Allerdings hat die neue Außenpolitik Russlands einen entscheidenden Nachteil: Ausnahmslos alle gegenwärtigen Verbündeten und Partner Russlands sind Länder, die sich dadurch günstigere Preise für die Erdöl- und Erdgaslieferungen oder aber Waffen versprechen.
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Freitag, 6. März 2015
GESELLSCHAFT
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INTERNATIONALER FRAUENTAG Am 8. März feiern die Russen ihre Frauen. Zumindest an einem Tag im Jahr
Galoppierende Pferde aufhalten Mit Frauenrechten hat der 8. März schon lange nichts mehr zu tun: Anstatt seine Frau zu stehen, wird das weibliche Geschlecht mit Blumen und Pralinen überhäuft. JAROSLAWA KIRJUCHINA FÜR RBTH
An diesem Tag hat allein sie das Sagen – die russische Frau. Es ist der 8. März: Männer jeden Alters und jeder Herkunft strömen mit farbenprächtigen Tulpen- und Mimosensträußen sowie Pralinenschachteln unterm Arm scharenweise über die Straßen des Landes. Ihre mal mehr, mal weniger geheime Mission ist es, die Geschenke Vertreterinnen des „schwachen Geschlechts“ – Ehefrauen, Gelieben, Töchtern, Kolleginnen und Müttern – als Zeichen ihrer Dankbarkeit dafür zu überreichen, dass sie ihre Welt jeden Tag aufs Neue verschönern. Auch die russischen Behörden unterstützen die Idee: Seit einem Erlass von dem sowjetischen Generalsekretär Leonid Breschnew aus dem Jahr 1966 ist der 8. März ein arbeitsfreier Feiertag. Doch brauchen russische Frauen diesen Tag wirklich, und lässt er sich mit den Traditionen des Landes in Einklang bringen?
Frauen in die Wirtschaft Der ursprünglich von amerikanischen Feministinnen erdachte Frauentag wurde nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland eingeführt und hatte zum Ziel, Frauen zu ermutigen, gemeinsam mit ihren Männern Hammer und Sichel in die Hand zu nehmen – in etwa so, wie es die Plastik „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ der Künstlerin Wera Muchina in Moskau vorführt. Heute beschweren sich Frauenrechtlerinnen darüber, dass der Feiertag nichts oder nur wenig dazu beiträgt, mehr weibliche Führungskräfte in Wirtschaft und Politik zu etablieren und Akzeptanz für die Gleichstellung bei den Männer zu erwirken. Auch die 31-jährige Unternehmerin Maria ist der Meinung, dass sich die Einstellung Frauen gegenüber im Laufe der letzten 100 Jahre kaum verändert hat. Und sie erklärt, dass das Übermaß an Grußkarten und SMS, die sie an diesem Tag erhält, ihr für den Rest des Jahres das Leben nicht unbedingt erleichtert: „Wenn ich mit Männern am Verhandlungstisch sitze, werde ich von ihnen oft nicht als ebenbürtig betrachtet. Sie sehen und behandeln mich als Frau – mit all den Schwächen, die dem ‚weiblichen Geschlecht‘ zugeschrieben werden.“ Außerdem kritisiert sie, dass an der russischen Version des Internationalen Frauentags einige Dienstleister gehörig absahnen. Der Wunsch der Männer, Frauen zu zeigen, wie liebevoll und fürsorglich sie sind, verhilft Floristen, Parfümerien und Confiserien zu erheblichem Profit.
Frauenrecht und Kirche Marias Aussagen treffen sich mit einigen offiziellen Zahlen zum Thema. So kam aus dem Ministerium für Handel und Dienstleistungen vorletztes Jahr der Hinweis, dass schon eine ganze Zeit vor dem 8. März die Blumenpreise um 50 bis 60 Prozent angestiegen waren. Die Russisch-Orthodoxe Kirche, obwohl ansonsten in stetem Einklang mit dem Kreml, hat wenig Verständ-
RIA NOVOSTI
Der Internationale Frauentag hat noch einen anderen angenehmen Nebeneffekt. Viele – nicht nur Frauen – sehen in ihm den Beginn des Frühlings und freuen sich über die ersten Tulpen.
Zahlen
Die Emanzipation der Frau in Russland
JURI SMITJUK /TASS
Seit einem Erlass vom sowjetischen Generalsekretär Leonid Breschnew ist der 8. März ein arbeitsfreier Feiertag.
nis für den Internationalen Frauentag: Sie sieht in ihm ein westliches Erbe. Zwar ist sie nicht darum bemüht, den Tag, der den Frauen gilt, wie Valentinstag und Halloween zur Gänze abzuschaffen, setzt sich allerdings dafür ein, dass den traditionellen religiösen Feiertagen wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im vorletzten Jahr hatte die orthodoxe Kirche allen Ernstes vorgeschlagen, am 8. März Kuchen zu essen, um der russischen Heiligen Matrjona Nikonowa zu gedenken. Tatsächlich gibt es genug Gläubige in Russland, die von Haus aus vier Tage vorher, am 4. März, feiern, um den Drei Heiligen Jungfrauen zu gedenken. „Ich möchte keine Blumen, nur weil ich Frau bin. Gott, der Allmächtige, hat mich erschaffen, so wie ich bin. Warum sollte ich dafür beschenkt werden und deswegen auch noch eine hohe Meinung von mir haben?“, sagt Swetlana, Mutter von drei Kindern. Sie ist Ehefrau eines Diakons und erklärte Gegnerin des Internationalen Frauentags. „Der 8. März ist ein feministischer Feiertag, der nichts mit russischen Traditionen zu schaffen hat. Im alten Russland war die Frau wie eine Hausgöttin, sie war fürsorgliche Mutter und aufopferungsvolle Ehefrau und nicht eine von diesen karrierebeses-
senen egoistischen Geschäftsfrauen“, meint Swetlana. Die meisten Geschlechtsgenossinnen sehen das jedoch anders: Laut einer Umfrage gaben zuletzt sieben von zehn befragten Frauen an, sich auf diesen Tag zu freuen, da er den Beginn des Frühlings symbolisiert und das andere Geschlecht dazu auffordert, seine Liebe und Anerkennung ihnen gegenüber zu zeigen. Dieser Meinung ist auch die 22-jährige Natalja, die oft Überstunden machen muss, um für ihre Ausbildung aufzukommen: „Ich bin es gewohnt, den ganzen Haushalt zu führen. Außerdem arbeite ich wie ein Pferd. Deshalb freue ich mich immer auf den Tag, an dem mein Freund mich verwöhnt und auch mal bei der Hausarbeit anpackt.“ In diesem Sinne ließe sich Nikolaj Nekrasow zitieren, ein russischer Poet des 19. Jahrhunderts: „Eine hart arbeitende Frau, die in der Lage ist, ein Pferd im Galopp zu bremsen, geht auch in ein brennendes Haus hinein.“ Diese Worte beschreiben wohl am besten die russische Frau, die 363 Tage im Jahr arbeitet – außer am 8. März, denn dieser Tag gehört ihr ganz allein. Die männlichen Vertreter Russlands haben übrigens ihren eigenen Feiertag. Am 23. Februar sind sie „Verteidiger des Vaterlands“.
GAIA RUSSO
MÖCHTEN SIE GERNE VERSTEHEN, WAS RUSSISCHE DICHTER ÜBER DEUTSCHLAND GESCHRIEBEN HABEN? LESEN SIE IM ORIGINAL!
Finden Sie Russischkurse in Ihrer Nähe auf russjahr.de Die russische Dichterin Marina Zwetajewa
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REISEN
INDUSTRIETOURISMUS Bodenschätze brachten der Tundra-Stadt Surgut ihren heutigen Wohlstand
Surgut: Erdöl, Ski und Rentierreiten in Sibirien Dank des Erdöls entwickelte sich die Stadt im westsibirischen Tiefland zu einer Wirtschaftsmetropole. Touristen haben die Wahl zwischen moderner Industriegeschichte und der traditionellen Welt der Ureinwohner. JOE CRESCENTE FÜR RBTH
Die älteren Bewohner Surguts erinnern sich noch gut an die gar nicht allzu lang vergangenen Zeiten, als Surgut ein Dorf war und mit seinen rund 6000 Einwohnern in den Bevölkerungsstatistiken kaum Beachtung fand. Der rasante Aufstieg zur modernen Industriestadt mit gigantischen Einkaufszentren, Restaurants, einem florierenden Nachtleben und protziger Architektur ist der Ölförderung zu verdanken. Heute haben hier wichtige Konzerne entweder ihren Stammsitz, so wie Surgutneftgas mit über 82 000 Beschäftigten, oder unterhalten Niederlassungen wie der Gasriese Gazprom.
Vom Dorf zur Stadt An die Vergangenheit als Fischerdorf erinnert auch der Name der Stadt, der einer Version zufolge in der chantischen Sprache so viel wie „Fischgrube“ bedeutet. Surgut liegt im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen, der Ureinwohner Sibiriens. Heute bilden sie in der Stadt mit ihren 300 000 Einwohnern die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. Wer Surgut so erleben möchte, wie es einst vor dem Ölboom aussah, sollte zunächst nach Stary Surgut (zu Deutsch: „Altes Surgut“) fahren, ein erst kürzlich rekonstruiertes Dorf. In den 14 Holzhäusern sind unter anderem ein Museum für die indigene Bevölkerung untergebracht, eine rekonstruierte Holzkirche, typisch für den russischen Norden, und außerdem einige Restaurants. Das Museumsdorf erinnert daran, dass die Stadt eine der ältesten russischen Siedlungen Sibiriens ist. 1594 ließ Zar Fjodor I., Sohn von Iwan dem Schrecklichen, sie als Vorposten seines Rei-
Zitat
«
Ich bin erstaunt, wie dick die Mauern des Hotels in Surgut sind. Ist ja auch klar, wenn da im Winter minus 40° C herrschen.»
JUDGE SAX STUTTGART
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ches gründen. Ein eindrucksvolles Denkmal ist den drei Gründungsvätern gewidmet: einem Kosaken, einem Kaufmann und einem Heerführer. Bereits im 17. Jahrhudert wurde die Siedlung ein Ort des politischen Exils. Im 19. Jahrhundert lebten hier sogar einige Dekabristen. Nach der Revolution 1917 verlor Surgut seinen Stadtstatus, für einige Zeit galt es als Dorf. Die Wende kam Ende der 1950er-Jahre, als man mit der Suche nach Erdöl begann. Am 21. März 1961 entdeckte der Geologe Farman Salmanow ein großes Ölvorkommen. In Surgut brachen fortan andere Zeiten an. Heute widmet sich das Salmonow-Museum ganz dem berühmten Geologen. Das Haus, in dem er wohnte, als er 1957 zum ersten Mal nach Surgut kam, bietet außerdem Einblicke in die Wissenschaft und Technik der Ölförderung. Das Gebäude ist restauriert und zeigt die Lebensbedingungen im Surgut der 1960er-Jahre. Das Heimatmuseum beherbergt eine Dauerausstellung zur lokalen Geschichte mit so unterschiedlichen Facetten wie dem Leben der Altgläubigen, der Ära des politischen Exils und der Revolutionszeit. Man kann hier auch einige demontierte Statuen aus der Sowjetära sehen. Gezeigt wird außerdem eine interessante Sammlung zum Thema „Kindheit in der Sowjetunion“ mit Kleidung und Spielzeug. Das Surgut Art Museum präsentiert wechselnde Ausstellungen zu lokalen Trachten, zum Kunsthandwerk und zu traditioneller Ikonenmalerei.
Wo nach Öl gebohrt wird Neben den klassischen Museen wird der sogenannte Öltourismus immer beliebter. Wer will, kann hautnah dabei sein, wenn das schwarze Gold gewonnen wird, und einen Bohrturm erklimmen oder ein Erinnerungsfoto in der Montur eines Ölarbeiters machen. Besucher können versuchen, doch noch Einlass in das mittlerweile offiziell geschlossene Öl-Museum in der lokalen Geschäftsstelle von Gazprom zu be-
SHUTTERSTOCK/LEGION-MEDIA(2)
Oben: Technik und Natur – ein Bohrturm in der verschneiten Winterlandschaft Unten: Surguts Wahrzeichen in der Innenstadt – die Verklärungskirche mit ihren goldenen Kuppeln
kommen. Denn für Reisegruppen und Schulklassen wird manchmal eine Ausnahme gemacht. Wer sich lieber aktiv erholen will, dem stehen diverse Wintersportmöglichkeiten zur Verfügung. Drei Orte, die unter anderem zum Skifahren einladen, sind Olimpia, Sneschinka und Myss Kamennyj. Skifahren macht hungrig – wie gut, dass Gourmets in Surgut ebenfalls auf ihre Kosten kommen. Fisch ist die wichtigste Delikatesse, der Muksun steht hier an erster Stelle. Stör und Weißlachs sind ebenfalls sehr beliebt, man kann sie geräuchert oder frisch kaufen. Die Einheimischen bieten im
Tipps für Reisende ANREISE Über Moskau gibt es tägliche Flugverbindungen von Aeroflot und UTair nach Surgut (Flugzeit knapp drei Stunden). UNTERKUNFT bieten das preisgünstige Ob-Hotel (Zimmer ab 28 Euro) und das Hotel Centre für Geschäftsreisende (Zimmer ab 64 Euro ohne Frühstück). ESSEN Gesundheitsbewussten Besuchern sei die Vegan Health Food Bar empfohlen. Das Lokal Sjem Pjatniz („Sieben Freitage“) hat russische und einige europäische Gerichte auf seiner Karte.
Winter Fisch, Rentierfleisch, Nüsse und Beeren auf der Straße an. Gesundheitsbewussten Besuchern sei die Vegan Health Food Bar empfohlen, in der man sonntags frühstücken, Smoothies trinken und Livemusik hören kann. Es lohnt sich übrigens auch, die Umgebung der Stadt zu erkunden und den rund 130 Kilometer langen Weg von Surgut Richtung Norden nach Russkinskaja auf sich zu nehmen. Die Tundra-Stadt bietet als wichtigste Sehenswürdigkeit ein Naturkundemuseum, in dem unterschiedliche Ausstellungen zur heimischen Flora und Fauna und zur indigenen Bevölkerung gezeigt werden. Ende März findet in Russkinskaja ein Festival der Jäger, Fischer und Rentierzüchter statt. Dies ist eine besonders gute Reisezeit für all jene, die sich einen lebendigen Eindruck von der Kultur der Ureinwohner Sibiriens machen wollen. Mutige können einen Ritt auf einem Rentier riskieren. 95 Kilometer nordwestlich von Surgut liegt das malerische Chanten-Dorf Ljantor am Ufer des Flusses Pim. Hier stellt ein ethnografisches Museum mit Freiluftgelände den Lebensraum der Chanten vor.
RIA NOVOSTI
R E I S E N Ü B E R I H R E FA N TA S I E H I N AU S NATURSCHÄTZE:
Von Kamtschatka bis zu den Lena-Felsen: Russlands Stätten des UNESCO-Weltnaturerbes Das Herz von Jakutien: Mammuts, Wodka und der Zar der Kälte
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