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Mittwoch, 3. Juni 2015

Deutsche Ausgabe

Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times.

Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich. Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt.

Brics: An der Schwelle zur Macht

THEMA DES MONATS

SEITEN 6-7 MICHAEL KLIMENTYEV/ RIA NOVOSTI

Reisen ins Rubelland

Importsubstitution heißt das neue Zauberwort in Moskaus Regierungskreisen. Doch für zusätzliche Produktion in Russland fehlen Investitionen und Kredite. Staatliche Hilfs-

Russlands Währung notiert gegenüber Euro und US-Dollar derzeit etwa ein Drittel billiger als noch vor einem Jahr. Für ausländische Touristen ist vieles dadurch günstiger geworden.

programme sind restlos überzeichnet. Abhilfe könnten chinesische Banken schaffen. Erste Projekte laufen bereits. Seite 3

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Doch wird das Land dadurch als Reiseziel auch beliebter? Sein Potenzial könnte es jedenfalls besser nutzen, sagen Experten. TASS

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Unternehmen

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

INTERVIEW FRANK SCHAUFF

Der russische Markt bleibt attraktiv INVESTITIONEN IN RUSSLAND LOHNEN

Russlands Rückkehr zum Parallelimport

SICH, SAGT FRANK SCHAUFF, DIREKTOR DER ASSOCIATION OF EUROPEAN

Die russische Regierung stimmte Anfang Mai der Einführung eines Parallelimports für einige Warenkategorien zu. Dies könnte als Antikrisenmaßnahme wirken und zu einer Preissenkung beitragen. Derzeit werden Waren von offiziellen Vertreibern nach Russland importiert, die auch die Preise für den russischen Markt festlegen dürfen. Der direkte Import ist derzeit ohne die Einbeziehung von offiziellen Mittelfirmen verboten. Nach Schätzungen der Eurasischen Wirtschaftskommission wird der Parallelimport den Preis von importierten Original-Autoersatzteilen um 60 bis 80 Prozent, von Parfümerieprodukten um 20 bis 60 Prozent und von Automobilsitzen um bis zu 50 Prozent senken. Der Parallelimport wurde in Russland 2002 verboten. Die Kontrolle über den Verkauf importierter Waren wurde den Eigentümern der Marken übertragen, der freie Import und Verkauf von Waren ohne deren Genehmigung galten seitdem als Straftaten. Das Verbot hat ausländische Investoren auf den russischen Markt gelockt, um dort eigene Produktionen aufzubauen. So eröffnete Bayer 2010 in Noginsk bei Moskau eine eigene Produktionsstätte.

BUSINESSES (AEB), IM RBTH-INTERVIEW.

BIOGRAFIE POSITION: CEO ALTER: 47

Dr. Frank Schauff ist seit Juni 2007 CEO der Association of European Businesses (AEB) in Russland. Davor war er außenpolitischer Referent beim Parteivorstand der SPD. Schauff studierte Geschichte an der Universität zu Köln und an der Staatlichen Universität Wolgograd (UdSSR). Seinen Master machte er in Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaft an der London School of Economics and Political Science (LSE). Nach seiner Promotion in Osteuropäischer Geschichte 2000 in Köln war er Dozent für Osteuropaforschung an der Freien Universität in Berlin. Er spricht und versteht sechs Sprachen.

Welche Faktoren beeinflussen gegenwärtig das Verhältnis der europäischen Geschäftsleute zu Russland am meisten, der Rubelverfall und der niedrige Erdölpreis oder vielleicht doch die Sanktionen? Einige ausländische Investoren in Russland sind schon sehr lange hier tätig und haben die vergangenen K r isen der Ja h re 1998 u nd 2008/2009 noch gut in Erinnerung. Die gegenwärtige Krise in Russland unterscheidet sich dadurch, dass sie von geopolitischen Faktoren beeinflusst wird. Wenn ich einschätzen sollte, wie die Faktoren sich in etwa auswirken, würde ich sagen: Die Investoren werden zu etwa 80 Prozent von dem schwachen Rubelkurs und dem

Russia Direct is a publication that experts and senior decision makers rely on to debate and understand Russia’s relationship with the world.

RUSSIA-DIRECT.ORG May Quarterly Report

KREMLIN LOBBYISTS IN THE WEST In May, Russia Direct will release a new brief examining the topic of Russian lobbying in the U.S. and the EU. Authored by Sergei Kostiaev, associate professor at the Financial University under the Government of the Russian Federation, the brief will touch upon a wide array of issues, from the differences in promoting Russian interests in Brussels and Washington to the effects of the crisis in Ukraine on the Kremlin’s foreign lobbying opportunities.

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PRESSEBILD

Gegenwärtig werden die russische und europäische Geschäftswelt sehr stark durch die gegenseitigen Sanktionen Russlands und der Europäischen Union beeinflusst. Welchen politischen Einfluss hat diese Abkühlung auf die Unternehmer? Die politische Lage beeinflusst natürlich den Geschäftsbetrieb der europäischen Unternehmen in Russland. Denn wenn wir uns die Sanktionen der Europäischen Union genauer anschauen, so erstrecken sie sich zwar formal betrachtet lediglich auf ein paar Großunternehmen, die in bestimmten Branchen tätig sind: in der Rüstungsindustrie, dem Finanzbereich und der Erdöl- und -gasförderung. In Wirklichkeit haben die Sanktionen eine wesentlich größere Auswirkung: Viele Unternehmen zögern, in Russland zu investieren, obwohl das von den Beschlüssen der Europäischen Union nicht vorgesehen war, und die europäischen Banken lassen sich nur sehr vorsichtig auf Projekte ein, die mit Russland zu tun haben. Darüber hinaus haben die Sanktionen der USA, die viel schärfer sind als die europäischen, einen extraterritorialen Effekt, da sie sich de facto auf alle Unternehmen erstrecken, die auf dem US-amerikanischen Markt tätig sind. Einen unmittelbaren Effekt auf das Investitionsklima in Russland haben auch der niedrige Erdölpreis und der schwache Rubel sowie der damit verbundene Nachfragerückgang vonseiten der russischen Verbraucher und die Herabstufung des internationalen Ratings.

niedrigen Erdölpreis beeinflusst und nur zu 20 Prozent von den Sanktionen. Dabei mussten im ersten Quartal 2015 viele europäischen Unternehmen mit Erstaunen erkennen, dass die Situation auf den russischen Märkten viel besser ist, als sie erwartet hatten. Ist es Ihnen gelungen, in einen Dialog mit den russischen Behörden zu treten? Wie bewerten Sie Ihren Erfolg beim Verfechten der Interessen europäischer Investoren in Russland? Bei unserer Tätigkeit ist es sehr schwer, die Effektivität der Arbeit einzuschätzen, weil es keine objektiven Bewertungskriterien gibt. Wir unterhalten einen engen Kontakt zu den russischen Behörden. Den Mitgliedern unserer Organisation brennen die verschiedensten Probleme unter den Nägeln, da ist vor allem die Importsubstitution zu nennen. Einerseits hat die russische Führung erkannt, dass es klare Spielregeln für ausländische Investoren geben muss. Andererseits existiert kein einziges objektives Kriterium, um zu definieren, was ein russischer Produzent ist, da die Produktion vieler Waren in Russland durch ausländische Unternehmen lokalisiert wurde. So beschränkte die russische Regierung 2014 die öffentliche Auftragsvergabe für bestimmte ausländische Waren, darunter auch von bereits in Russland angesiedelten Unternehmen, was deren Absatzmöglichkeiten auf dem russischen Markt beeinträchtigen kann. Unlängst fasste die russische Regierung den Beschluss, den Parallelimport für einige Warengrup-

pen zu gestatten. Wie bewerten Sie diese Initiative? Gegenwärtig führen wir zu dieser Frage mit verschiedenen Behörden viele Gespräche, da der Parallelimport in Russland mehr als zehn Jahre lang verboten war. Auf dieser Grundlage haben Unternehmen sich dafür entschieden, in eine eigene Produktion in Russland zu investieren. Deswegen ist die Legalisierung des Parallelimports eine Frage, die diskutiert wird. So könnte diese Entscheidung auch dazu führen, dass Unternehmen nicht mehr länger Produktion ansiedeln möchten oder dass vermehrt gefälschte Produkte auf den russischen Markt gelangen. Ich denke, dass deshalb das Verbot für Parallelimporte nach Russland beibehalten werden sollte. Sehen Sie denn gegenwärtig vonseiten der europäischen Hersteller eine Chance für Investitionen in die Produktion in Russland? Werden Ihnen ungeachtet der Sanktionen entsprechende Anfragen gestellt? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es aufgrund des steigenden Rubelkurses sehr aussichtsreich, in Russland ein Unternehmen zu gründen, und die Immobilienpreise sind auf dem Markt zurzeit sehr niedrig. Aber bei Weitem nicht alle europäischen Unternehmen erkennen diesen Vorteil. Wir sehen allerdings auch Beispiele für den entgegengesetzten Trend: Unternehmen entscheiden sich für einen Eintritt in den russischen Markt, zum Beispiel in der Pharmazie, im Konsumgüterbereich oder im Maschinenbau. Darüber hinaus sind aufgrund des schwachen Rubelkurses die

Produkte, die in Russland hergestellt werden, auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger geworden. Deshalb haben die Mitglieder unserer Organisation bereits damit begonnen, ihre Waren aus Russland zu exportieren. So liefert zum Beispiel das Unternehmen Roсa, ein Hersteller von Sanitärtechnik, seine Produkte nach Kasachstan, Belarus und in andere Länder. Mit welchen Schwierigkeiten sind die europäischen Unternehmen in Russland konfrontiert? Alle ausländischen Märkte verfügen über ihre eigenen spezifischen Schwierigkeiten, in Russland ist eines der größten Probleme die Bürokratie: Es sind immer sehr viele Fragen mit den Behörden zu klären und die Beamten sind recht unflexibel. Dabei sei jedoch zu bemerken, dass sich die Situation in letzter Zeit in vielen Belangen gebessert hat. Die Association of European Businesses engagiert sich als Vertreterin der ausländischen Investoren in Russland sehr stark für die Gewinnung neuer Spieler auf dem russischen Markt. Mehr als 50 Prozent der ausländischen Investoren, die in Russland arbeiten, sind Unternehmen aus Europa. Russland ist ein Markt, an dem diese Unternehmen interessiert sind. Selbst wenn die Sanktionen beibehalten und nicht eingestellt werden, kann der Zustand trotzdem stabil sein. Aber dafür dürfen die russischen Behörden keine größeren Schritte in Richtung Protektionismus unternehmen. Das Gespräch führte Alexej Lossan.


Investitionen

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Chinas Banken vergeben Kredite in Moskau

Russland will mehr selber produzieren, doch ohne Investitionen ist dies unmöglich. Nun sucht das Land nach neuen Geldquellen, unter anderem bei chinesischen Banken. ALEXEJ LOSSAN RBTH

Die Chinesen kamen nicht nur, um die russischen Atomraketen zu bestaunen, die am 9. Mai über den Roten Platz rollten. Während die ganze Welt vor einigen Wochen Putins Gästeliste zur Siegesparade diskutierte, wurden im Hintergrund Geschäfte gemacht. So unterschrieb am 8. Mai die China Development Bank (CDB) einen Vertrag, welcher der größten Bank Russlands, der staatlichen Sberbank, eine Kreditlinie von 869 Millionen Euro einräumte. Die Mittel sind für die Modernisierung des größten russischen Zementproduzenten Ewrozement vorgesehen. Zudem erhielt die Wneschtorgbank, die russische Außenhandelsbank, von der China Exim-Bank 565 Millionen Euro als Darlehen für Investitionen in die Spezialstahl-Herstellung. Seit Russland von den westlichen Finanzmärkten beinahe vollständig ausgeschlossen ist, muss sich die Wirtschaft des Landes nach neuen Geldquellen umsehen. Schließlich ist die mangelhafte Finanzierung nach Meinung von Experten die größte Hürde für die Weiterentwicklung der Industrie. So sank nach Angaben des Gaidar-Instituts das Volumen der an kommerzielle Kreditnehmer vergebenen Darlehen im Zeitraum von Januar bis Februar 2015 um nahezu ein Viertel von 90,8 Milliarden Euro im Vergleichszeitraum des Vorjahres auf 69,8 Milliarden. Am stärksten ließ die Kreditaktivität in der Bauwirtschaft nach (um 63 Prozent), um 40 Prozent ging die Kreditaufnahme im Maschinenbau und der Metallurgie zurück. Gleichzeitig hat Russlands Führung die Importsubstitution als neue wirtschaftliche Strategie

ausgerufen. Ohne mehr Kredite wird die Produktion im Inland aber kaum anzukurbeln sein. „Eine Importsubstitution bedeutet immer einen recht langwierigen Prozess. Der Bau neuer Produktionskapazitäten und das Erreichen der vollen Leistungsfähigkeit dauert normalerweise mehrere Jahre, in der Landwirtschaft bis zu drei und im Maschinenbau bis zu fünf Jahren“, erklärt Timur Nigmatullin, Analyst der Investmentholding Finam. Ein weiteres Problem ist der Mangel an Fachkräften. „Die Umsetzung der Importsubstitutionen erfordert eine Anwerbung zusätzlicher Arbeitnehmer, die in der Lage sind, den durch den Wegfall der Importwaren entstandenen erhöhten Bedarf an Produkten zu decken“, ergänzt Alexej Koslow, Senior-Analyst von UFS IC.

Einst wurde Käse massenweise aus Europa importiert. Nun sind russische Hersteller fast ohne Konkurrenz.

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FAKTEN ÜBER INVESTITIONEN IN RUSSLAND

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China investiert, wie schon früher, hauptsächlich in die Rohstoffförderung, die Forst- und Energiewirtschaft, den Handel, die Baubranche und den Bereich der Telekommunikation. So halten chinesische Investoren 20 Prozent am Gasförderer Novatek und 12,5 Prozent am Düngergiganten Uralkali.

Günstige Staatskredite Die neue Strategie der Importsubstitution wurde zunächst in der Landwirtschaft ausprobiert. Vergangenen August führte Russland ein Importverbot für Lebensmittel aus der Europäischen Union, den USA und einer Reihe weiterer Länder ein. Die Nachfrage nach heimischen Produkten stieg. Zusätzlich verschaffe der schwache Rubel den heimischen Herstellern einen Konkurrenzvorteil, meint Timur Nigmatullin. Das gelte besonders für die Landwirtschaft und die Produktion von Konsumgütern. Dem will die Regierung nachhelfen. Um die Importsubstitutionen zu stimulieren, wurde in Russland der Föderale Industrie-Entwicklungfonds geschaffen, in den der Staat bereits 350 Millionen Euro zur zweckgebundenen Finanzierung unter Vorzugsbedingungen für konkrete Projekte eingezahlt hat. Die Programme dieses Fonds sehen für jedes Projekt ein Kreditvolumen von bis zu 700 Millionen Rubel (12,3 Millionen Euro) mit einer Laufzeit von bis zu sieben Jahren

POLITIK

ONLINE LESEN

STANISLAW KRASILNIKOW / TASS

Russlands Wirtschaft fehlt Geld für Investitionen

Afghanistan: Russland schneidet Nato den Weg ab

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Russische Firmen investieren in die Industrie, das Bauund Transportwesen. Das größte Projekt ist der Bau einer Ölraffinerie, an welcher der Konzern Rosneft beteiligt ist. Die russischen Investitionen in China belaufen sich auf 869 Millionen US-Dollar.

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Anspruch auf Subventionen haben Investoren in Branchen mit einem Importanteil von mindestens 80 Prozent, einem Gesamtprojektvolumen von unter zwei Milliarden Rubel (36 Mio. Euro) und einem Eigenanteil an den Investitionen von mindestens 20 Prozent.

ZAHLEN

14,7 Mrd. Euro betrugen die Direktinvestitionen Russlands im April, vier Prozent mehr als im März. Im Vergleich zum Vorjahresmonat bedeutet der Wert allerdings ein Minus von 4,8 Prozent.

WIRTSCHAFT Russland steht vor Rückkehr zum Parallelimport

Staat will Investitionen subventionieren Russlands Ministerium für Industrie und Handel verfolgt einen eigenen Plan, wie die neue Strategie der Importsubstitution umgesetzt werden soll. Dazu sind laut Ministerium Investitionen in Höhe von etwa 28 Milliarden Euro in die verarbeitende Industrie notwendig, wovon knapp 24 Milliarden Euro private Investoren leisten

sollen. Zuvor hatte das Ministerium bereits 18 Projekte in der Ölindustrie mit staatlichen Fördermitteln ausgestattet. So sind beispielsweise mehr als vier Milliarden Euro in den Bau von Maschinen für die Ölindustrie geflossen. Bis 2020 soll dadurch die Importabhängigkeit in diesem Bereich von 60 auf 43 Prozent sinken.

bei einem Zinssatz von lediglich fünf Prozent pro Jahr vor. Verglichen mit kommerziellen Banken sind diese Bedingungen ein Traum. Zwar hat die Zentralbank den Leitzins Anfang Mai von 14 Prozent wieder auf 12,5 Prozent gesenkt. Für Unternehmen ist die Kreditaufnahme aber immer noch ein teures Vergnügen. Nach Angaben des Föderalen Industrie-Entwicklungfonds für Anfang Mai 2015 wurden bereits 800 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 280 Milliarden Rubel (4,9 Milliarden Euro) entgegengenommen, was das Volumen des Fonds um ein Vielfaches übersteigt. Inzwischen hat der Fonds alle Projekte mit höchster Priorität finanziert, einschließlich der Fertigung von Güterwaggons, Agrarmaschinen für die Getreideverarbeitung und von Stanzen zur Herstellung von Aluminiumteilen für die Automobilindustrie.

rückläufig. Nach einem Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent zum Jahresende 2014 fiel das BIP im März 2015 um 0,4 Prozent, was hochgerechnet zum Jahresende 2015 einen Wachstumsrückgang von 2,9 Prozent bedeuten würde. Lange galt die verarbeitende Industrie als Stabilitätspfeiler für das Wachstum, doch angesichts der gesunkenen Produktion, etwa im Bereich der Automobilfertigung, sank die Produktion im April um 4,5 Prozent zum Vorjahresmonat. Auch der Einzelhandelsumsatz schrumpfte im ersten Quartal nach offiziellen Angaben um sechs Prozent. Es sind aber nicht nur konjunkturelle Probleme, die Russlands Industrie plagen, sondern auch strukturelle. So nahmen die Investitionen in Russland von Ende der Neunzigerjahre bis 2013 aufgrund der niedrigen Arbeitsproduktivität langsamer zu als in anderen Volkswirtschaften der Welt. Russland müsse den Rahmen für effizientere Produktion schaffen, fordert Jewgenij Jasin, wissenschaftlicher Leiter der Higher School of Economics in Moskau. Ohne Investitionen in die Industrie sei dies aber unmöglich.

Strukturelle Probleme Für die Gesamtwirtschaft dürften sich solche Investitionen jedoch als Tropfen auf den heißen Stein erweisen. Anfang 2015 war das Wachstum der russischen Wirtschaft erstmals seit fünf Jahren

LIFESTYLE Kosmonauten-Futter: Was essen Raumfahrer?

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Wirtschaftsgeschichte

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Siemens gehörte schon im Zarenreich zu den wichtigsten Unternehmen des Landes

aus eben jenem Werk große Bekanntheit, allerdings auch wegen ihrer technischen Anfälligkeit. Mitte des 19. Jahrhunderts musste sich Siemens jedoch wieder Sorgen um das Geschäft machen, denn die Staatskasse war nach der Niederlage im Krimkrieg leer und neue Aufträge blieben aus. Die Siemens-Brüder versuchten ihr Glück zwar mit anderen Investitionen, etwa in eine Kupfermine im Kaukasus, konzentrierten sich jedoch fortan auf ihre Niederlassung in London, wohin der jüngere Carl seinem Bruder Werner 1867 folgte. Neuen Schwung bekam das Geschäft erst Anfang der 1880er-Jahre, als Carl sich nicht mehr mit der Junior-Rolle zufriedengeben wollte und nach Russland zurückkehrte. Zuvor hatte sich Siemens einen Auftrag zum Bau einer Kabelverbindung zwischen Odessa und Sewastopol sichern können. Eigens dafür wurde das Kabelwerk in der Newa-Mündung errichtet, das bis heute an den Erfolg des Unternehmens erinnert.

Glühbirnen für den Zaren Vor 160 Jahren bewahrte das Russland-Geschäft Siemens vor der Pleite. Heute gehört das deutsche Unternehmen wieder zu den größten ausländischen Investoren im Land. MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Abruptes Ende

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ULLSTEIN BILD/VOSTOCK-PHOTO

Oben: Carl Siemens hatte maßgeblichen Anteil am Erfolg der russischen Niederlassung von Siemens & Halske und verbrachte viele Jahre als Leiter der Vertretung in Russland. Rechts: Kupfermine im Kaukasus, die von Siemens & Halske als Nebengeschäft betrieben wurde.

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Der Fabrikschlot strahlt trotz seines Alters unübersehbare Eleganz aus. Der Giebel der Werkshalle aus dunkel angelaufenen Backsteinen ist liebevoll mit kleinen Zinnen verziert. Lediglich zwei Klimaanlagen an der Mauer verraten, dass der Industriebau aus dem 19. Jahrhundert im hier und jetzt steht. Das denkmalgeschützte Gebäude in dem grauen Industriegebiet im Westen Sankt Petersburgs kann es nicht wirklich mit den Sehenswürdigkeiten der alten Zarenstadt aufnehmen. Nur selten verirren sich Touristen hierher. Dabei wurde genau hier ein gutes Stück der russisch-deutschen Industriegeschichte geschrieben. Es war Carl Siemens, der das Grundstück in der Newa-Mündung 1853 erwarb und auf dem später die Kabelfabrik erbaut wurde. Zusammen mit seinem Bruder Werner war er gerade dabei, in Russland einen riesigen Markt zu erschließen. Zwei Jahre zuvor hatte die kleine Firma Siemens & Halske einen Großauftrag über 75 Telegrafen aus Russland erhalten. In der deutschen Heimat liefen die Geschäfte eher stockend. 1852 reiste Werner von Siemens auf Einladung der russischen Regierung nach Sankt Petersburg und knüpfte dort Kontakte zu Graf Kleinmichel, der russischer Transportminister war. Der Geschäftsmann aus Deutschland hatte Hightech im Angebot, unter anderem Pläne für die weltweit erste Telegrafenlinie am Meeresgrund, die 1853 zwischen Petersburg und der Seefestung Kronstadt realisiert wurde.

CHRONIK Enormer Nachholbedarf Es waren jedoch nicht nur technisches Know-how und persönliche Kontakte, die Siemens & Halske zum Erfolg verhalfen. Just hatte sich Russland mit Großbritannien überworfen – somit war die wichtigste Konkurrenz der Deutschen ausgeschaltet. Zudem offenbarte sich nach Ausbruch des Krimkriegs 1853 enormer Nachholfbedarf in der Infrastruktur. Siemens & Halske brachte die Aufträge.

Siemens in Russland 1853 • Dieses Jahr gilt als offizieller Start für die russische Niederlassung von Siemens & Halske. Es begann der Aufbau des Telegrafennetzes.

1916 • Im Zuge des Ersten Weltkriegs beginnt die Nationalisierung der Produktionsstätten von Siemens & Halske in Russland.

1879 • Siemens erhält die Baugenehmigung für die erste Kabelfabrik in Russland.

1971 • Siemens eröffnet ein Büro in Moskau und exportiert zunächst Medizinausrüstung in die UdSSR.

Bereits im gleichen Jahr übertraf das Volumen des Russland-Geschäfts die Umsätze der Firma in Deutschland um ein Vielfaches. Mit 24 Jahren übernahm Carl Siemens das Unternehmen und gründete in einem Wohnhaus auf der Wasiljewskij-Insel eine eigene Werkstatt in Sankt Petersburg, die ab 1855 als Zentrale der russischen Zweigstelle fungierte. Viele Jahre später wurde daraus das Kositzky-Werk, eine Fabrik für Radioausrüstung. In der DDR erlangten seinerzeit die Raduga-Fernseher

Der Zweite Weltkrieg hat das Schicksal zahlreicher Menschen und Staaten geprägt. Der Krieg ist jedoch überall unterschiedlich in Erinnerung geblieben. In Russland wird er mit dem Großen Vaterländischen Krieg assoziiert, der am 22. Juni 1941 mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann und mit der Niederlage des Faschismus am 9. Mai 1945 endete. Diesen, im Westen wenig bekannten Krieg, möchte RBTH stärker in den Mittelpunkt rücken. MEHR PERSÖNLICHE GESCHICHTEN, UNBEKANNTE FAKTEN UND EXPERTENMEINUNGEN ÜBER DEN KRIEG FINDEN SIE IN UNSERER SONDERRUBRIK: D E . R BTH .CO M/ 70_ JA H R E _ K R I E G S E N D E

Es folgten Aufträge zur Straßenbeleuchtung in Sankt Petersburg und Moskau. 1897 baute Siemens das heute älteste Kraftwerk Moskaus direkt gegenüber dem Kreml am Ufer der Moskwa. Die Mitarbeiterzahl in Russland stieg auf über 4 000. Allein zwischen 1908 und 1910 kletterte der Umsatz von 6,8 auf 9,1 Millionen Rubel. 1912 errichtete Siemens die letzte Fabrik in Sankt Petersburg, in der Generatoren und Transformatoren hergestellt wurden. Mit dem Ausbruch des Krieges 1914 endete die russische Siemens-Geschichte abrupt und mündete in einer Enteignung der Betriebe. Doch die Verbindung nach Russland brach nie ab. Nach den Wirren der Oktoberrevolution stieg Leonid Krassin zum Wirtschaftsminister des neuen Russlands auf. Krassin war aber nicht nur Revolutionär, sondern auch Geschäftsmann. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er die Petersburger Niederlassung von Siemens geleitet und so kam es, dass das deutsche Unternehmen wieder ins Geschäft kam. So beteiligte es sich in den 1920er-Jahren an der Planung der Moskauer U-Bahn und am damals größten Wasserkraftwerk Dneproges. Eine eigene Vertretung eröffnete Siemens jedoch erst 1971 und eine eigene Niederlassung erst nach der Öffnung der Sowjetunion weitere 20 Jahre später. Der Technologiekonzern, der heute wieder mehr als 3 000 Mitarbeiter in Russland und den GUS-Ländern beschäftigt, setzte im vergangenen Jahr etwa zwei Milliarden Euro um.


Wirtschaftsgeschichte

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Finanzen im Zarenreich

FÜR RBTH

Alexander von Stieglitz hatte sich eigentlich daran gewöhnt, dass in Russlands Staatsfinanzen ohne seine Wenigkeit fast nichts mehr ging. Doch diesmal hatte Zar Nikolaus I. eine besondere Aufgabe für den 40-jährigen Bankier. Das Russische Reich lieferte sich gerade eine militärische Konfrontation mit den beiden mächtigsten Ländern Europas, Frankreich und Großbritannien. Die Staatskasse brauchte Geld und Stieglitz war der Mann, der es im Ausland beschaffen sollte. Kein leichtes Unterfangen, doch Stieglitz hatte beste Verbindungen und genoss hohes Ansehen in Europa. Und so konnte er mithilfe des preußischen Bankhauses Mendelssohn & Co. russische Staatspapiere im Wert von 15 Millionen Rubel zu vergleichsweise günstigen Zinsen an der Berliner Börse platzieren. Kaum jemand hätte es wohl für möglich gehalten, welche Karriere auf die Stieglitz-Familie wartete, als sich die drei Brüder Jahrzehnte zuvor aus Hessen auf den Weg nach Russland machten. 1803 holte Nikolai Stieglitz seinen Bruder Ludwig in die russische Hauptstadt und stattete ihn mit Kapital aus. Ludwig baute nicht nur ein erfolgreiches Handelsunternehmen auf, sondern machte sich auch als ehrlicher Kreditgeber einen Namen, so dass er nach wenigen Jahren bereits als Hofbankier gehandelt wurde. Ludwigs Sohn Alexander wurde gar vom Zaren persönlich überredet, das Bankgeschäft weiterzuführen, w ie r ussische H istor iker berichten. Zwischen 1842 und 1859 wurden alle ausländischen Kredite für Russland unter Beteiligung des Bankhauses Stieglitz & Co. auf den Weg gebracht. Weil es noch keine Aktienbanken

Der Kassensaal einer Filiale der russischen Staatsbank in Nischni Nowgorod, 1913.

Explosion des Investitionsvolumens Der Umstand, dass eine deutschstämmige Bankiersfamilie großen Einfluss auf Russlands Finanzwesen hatte, sorgte schließlich dafür, dass auch nach dem verlorenen Krimkrieg (18531856) deutsche Geldhäuser eine wichtige Rolle in Russland spielten. Mitte der 1860er-Jahre erfasste das Eisenbahnfieber Russland. Gleichzeitig wurde das Bankwesen reformiert, um die kriegsgebeutelten Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Es entstanden mehrere Dutzend Aktienbanken, an denen sich auch ausländische Kapitalgeber beteiligten. Darunter das Bankhaus Mendelssohn und die Disconto-Gesellschaft, die in zwei neue Institute investierten. Mendelssohn gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der Großen Russischen Eisenbahngesellschaft. 1863 begann der Handel mit russischen Eisenbahnpapieren an der Berliner Börse. 1876 summierten sich die deutschen Investitionen in diese Papiere auf fast 900 Millionen Mark. Der Handel mit Eisenbahnanleihen und staatlichen Papieren gehörte zu den lukrativsten Geschäften für deutsche Banken und so schlossen sich diese zum sogenannten „Russenkonsortium“ zusammen, das den Handel mit russischen Papieren in Russland monopolisierte. Neben Mendelssohn gehörten dazu auch die Bankhäuser Warburg, Robert Warschauer, S. Bleichröder und das Berliner Handelshaus.

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FAKTE N ZU DEUTSCHEN GELDERN

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Nach dem Krimkrieg und der Reform des Finanzwesens entstanden in Russland neben Großbanken in den Metropolen auch zahlreiche regionale Institute, an deren Gründung deutsche Banken mitgewirkt haben.

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Das Bankhaus Mendelssohn löste als einzige deutsche Bank Obligationen ein. Das erste russische Wertpapier an der Berliner Börse war 1863 die fünfprozentige Prioritätsanleihe der Eisenbahn Moskau-Rjasan.

Neustart mit den Bolschewiken

© ALEKSEJ WARFOLOM / RIA NOVOSTI

MICHAIL BOLITIN

gab, war das Institut auch gleichzeitig Russlands größte private Bank. 1860 wurde schließlich das Bankhaus Stieglitz nach einem Erlass des Zaren verstaatlicht und zur Nationalbank ausgerufen, wobei Alexander von Stieglitz Präsident der ersten russischen Zentralbank wurde.

Alexander von Stieglitz verhalf Russland an die Berliner Börse.

Diese Monopolstellung brachte freilich Kritiker und Neider auf den Plan. Allen voran versuchte ab 1881 die Deutsche Bank, im Russlandgeschäft mitzumischen, und beteiligte sich an der Russischen Bank für Außenhandel. Bis zum Ersten Weltkrieg war an der Vormachtstellung des Konsortiums allerdings nicht zu rütteln. Verschiedenen Berechnungen zufolge betrug der gesamte Anteil deutschen Kapitals an russischen Aktienbanken Ende 1914 etwa 30 Prozent oder 178 Millionen Rubel. Doch der Erste Weltkrieg und die Revolution wirbelten die Branche

FOTOSOYUZ/VOSTOCK-PHOTO

Eine deutsche Familie prägte Russlands Bankwesen im 19. Jahrhundert mit. Gleichzeitig gehörten deutsche Bankhäuser zu den wichtigsten Geschäftspartnern des Zaren.

FOTOSOYUZ/VOSTOCK-PHOTO

Russisches Bankwesen aus deutscher Feder

Russische Banken waren 1914 zu einem Drittel in deutschem Besitz.

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES EMPFIEHLT >>

XIII. Deutsch-Russische Städtepartnerkonferenz

„70 Jahre nach Kriegsende: Die Kraft der kommunalen Begegnung“

Die Konferenz wendet sich an Vertreter der kommunalen Verwaltungen, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft aus Russland und Deutschland. Beteiligen Sie sich am Dialog! Informationen unter:

27.–30. Juni 2015

www.deutsch-russisches-forum.de

in Baden-Baden und Karlsruhe

Russische Dichterin Marina Zwetajewa

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Die Lieferungen der UdSSR an Deutschland betrugen 1934 das Dreifache der deutschen Russlandexporte. Bei Kriegsbeginn 1941 gab es noch nicht eingelöste „Russenwechsel“ für über 151 Millionen Reichsmark.

durcheinander. Das Finanzsystem Russlands wurde verstaatlicht, gleichzeitig lag auch das deutsche Bankwesen lange Zeit am Boden. Bereits Mitte der Zwanzigerjahre näherten sich beide Länder wieder an. 1925 begann die Deutsche Bank mit der Exportfinanzierung von deutschen Gütern in die Sowjetunion. Sie gewährte zusammen mit anderen Banken einen Kredit über 100 Millionen Reichsmark und im Jahr darauf über 300 Millionen. Immer wieder schlossen sich deutsche Banken zu Konsortien zusammen, um größere Kredite aufzulegen. Insgesamt gab es bis 1941 zwölf solcher Konsortien. Erst Anfang der Siebzigerjahre konnten deutsche Finanzinstitute an diese Tradition anknüpfen, als die Deutsche Bank und die Dresdner Bank den Bau von Pipelines aus der Sowjetunion Richtung Europa finanzierten. Ein vollwertiges Russlandgeschäft war jedoch erst nach der wirtschaftlichen Wende Russlands möglich. So bezifferte 2014 der Bundesverband deutscher Banken die Forderungen der hiesigen Geldinstitute in Russland derzeit auf etwa 17 Milliarden Euro.

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Thema des Monats

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

BRICS GLOBAL

Die Wettbewerbsvorteile der Brics-Länder im Vergleich

DIE BRICS-STAATEN, EINST EIN FANTASIEKONSTRUKT VON INVESTMENTBANKERN, WOLLEN MIT NEUEN INSTITUTIONEN DIE EIGENE ROLLE IN DER WELT FESTIGEN.

Auf dem kommenden Gipfeltreffen in Russland wollen die Brics-Staaten neue Finanzinstitutionen schaffen und so mehr Bedeutung und Verantwortung in der Welt gewinnen. ALEXEJ LOSSAN RBTH

Am 1. April 2015 hat Russland den Vorsitz der Brics-Gruppe, der informellen Vereinigung der größten Schwellenländer, übernommen. Diese Länder durchleben gerade aber eine schwere Zeit: Die Volkswirtschaften Russlands und Brasiliens verzeichnen gegenwärtig kein Wachstum und auch China legt langsamer zu. Moskau hat nun zum Hauptziel der Gruppe in diesem Jahr die Gründung eigener Finanzinstitute – einer neuen Entwicklungsbank und eines Valutareservefonds – erklärt. Beide sollen in Wettbewerb mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank treten. Die endgültige Entscheidung über die Gründung der neuen Finanzinstitute soll auf dem Gipfeltreffen am 9. und 10. Juli in Ufa, einer Stadt 1 300 Kilometer östlich von Moskau, gefällt werden. Die Neugründungen könnten zu einem Impuls für die Staatengruppe werden. Diesen hat die Organisation dringend nötig. „Grundlage der Vereinigung war das große Wachstumstempo dieser Volkswirtschaften, das im Durchschnitt sechs bis sieben Prozent pro Jahr betrug“, sagt Valeri Abramow, Professor am Lehrstuhl für staatliche Wirtschaftsregulierung am Institut für Öffentlichen Dienst und Verwaltung der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentliche Verwaltung in Moskau. Diese Länder beeinflussten mit ihren riesigen Ressourcen und Absatzmärkten im entscheidenden Maße die Entwicklung der Weltwirtschaft.

Chronik der Brics-Gründung

Bündnis der Ungleichen „Dabei befinden sich die BricsMitglieder hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur und ihres sozialökonomischen Entwicklungsniveaus auf vollkommen unterschiedlichem Stand“, sagt Abramow. Nach Angaben des IWF betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung nach Kaufkraftparität im Jahr 2014 in Russland 24 800 US-Dollar, in der Republik Südafrika 13 050 US-Dollar, in China 12 880 und in Indien 5 850 US-Dollar. „Russlands Wirtschaft ist wettbewerbsfähiger, weil das Land über das größere wissenschaftlichtechnische Potenzial verfügt. Dieses erlaubt es Russland, einen innovativen Entwicklungsweg einzuschlagen und die technologische Führung in der Gruppe der BricsStaaten zu übernehmen“, meint Professor Abramow. Allerdings wächst die Wirtschaft anderer Mitglieder der Gruppe schneller als die Russlands. So konnten nach Angaben der Ratingagentur Moody’s lediglich Indien und China das bisherige Wirtschaftswachstum von sieben Prozent beibehalten. Doch ungeachtet aller Unterschiede einigen die Brics-Staaten vor allem gemeinsame Wirtschaftsinteressen. „Die Länder streben einen Ausbau ihrer nationalen Souveränität an. Sie wollen ihre regionale Vorherrschaft ausbauen und dabei ihre ökonomische und politische Abhängigkeit von der sogenannten Goldenen Milliarde, den reichen Industrienationen, verringern“, erläutert Abramow.

Neue Institutionen Der Aufbau neuer Finanzinstitute soll eben diesen gemeinsamen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen dienen. Das Abkommen über die Gründung eines gemeinsamen Brics-Reservefonds wurde

während des letzten Gipfeltreffens in Brasilien unterzeichnet. Er soll mit einem Startkapital in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar ausgestattet werden. Dazu tragen die einzelnen Brics-Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Beiträgen bei: China zahlt 41 Milliarden US-Dollar ein, Russland, Brasilien und Indien jeweils 18 und Südafrika fünf Milliarden US-Dollar. Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine Art „Solidaritätskasse“, die genutzt werden kann, wenn einer der Brics-Mitgliedstaaten finanziell ins Schlingern gerät. „Das Rahmenabkommen über den Reservefonds zieht keine unmittelbaren Verpflichtungen nach sich. Geld wird erst ausgezahlt, wenn die Zentralbanken der Mitgliedstaaten eine Vereinbarung unterzeichnen“, erläutert Abramow. Gleichzeitig würden die Zentralbanken ihre Ressourcen, die dem Anteil des jeweiligen BricsMitglieds am Reservefonds entsprechen, als eigene internationale Reserve führen. „Dieser virtuelle Währungspool soll eine Alternative zu Instituten wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank darstellen“, bemerkt der Experte. Das zweite Projekt der Brics-Staaten ist die Schaffung einer Neuen Entwicklungsbank (NDB), deren Kredite für Investitionen in institutionelle oder Infrastruktur-Projekte auch in anderen Ländern dienen sollen. In der Startphase soll die Brics-Entwicklungsbank mit zehn Milliarden US-Dollar ausgestattet werden. Der Geschäftssitz wird sich in China befinden, der erste Präsident soll von Indien gestellt werden. Anfang Mai dieses Jahres benannte der stellvertretende russische Finanzminister Sergej Stortschak den ersten möglichen Empfänger von Hilfeleistungen der Brics-Bank: Griechenland. Dessen Verschuldung beträgt 320 Milliarden Euro oder mit anderen

GAIA RUSSO

SCHWELLENLÄNDER RÜTTELN AN IWF UND WELTBANK

Worten 177 Prozent des BIP. Allein Deutschland schuldet Athen 56 Milliarden Euro.

Quo vadis, Brics? Die endgültige Entscheidung über die Schaffung der neuen Institute soll in Ufa gefällt werden. Experten sehen die Projekte noch skeptisch. Mit der von China initiierten Asiatischen Bank für Infrastrukturinvestitionen (AIIB) gibt es bereits einen ernst zu nehmenden Konkurrenten. Darüber hinaus werden zwischen Russland und China bilaterale Abkommen außerhalb des Brics-Rahmens geschlossen. So einigten sich die beiden Länder während des offiziellen Besuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping Anfang Mai in Moskau über eine künftige Beteiligung Russlands an dem „Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel“, den

China plant. Und russische Banken erhielten von China Kredite in Yuan. Alexej Koslow, Chefanalyst von UFS IC, ist der Ansicht, dass die westlichen Investitionsinstitute dennoch die Hauptkonkurrenz sowohl der Brics-Entwicklungsbank als auch der AIIB blieben. Doch ungeachtet der Schwierigkeiten könnten die neuen Finanzinstitute ein effektives Instrument der interregionalen Wirtschaftsintegration werden. „Aus einer Gruppe von Ländern, deren gemeinsamer Nenner lediglich ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum war, hat sich Brics in eine geopolitische Vereinigung, in eine politische Kraft, verwandelt, hinter der in etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung steckt“, fasst Koslow zusammen. Die Bedeutung dieser Organisation werde für ihre Mitglieder wachsen, ist er überzeugt.


Thema des Monats

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ZAHLEN

KOMMENTAR

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Starke Freunde für ein isoliertes Land

Milliarden Euro betrugen die Exporte Deutschlands in die Brics-Staaten im vergangenen Jahr. Im Jahr 2000 waren es gerade einmal 27 Milliarden.

Alexander Gabuew EXPERTE

E

300 Milliarden US-Dollar beträgt der Handel zwischen den Brics-Staaten nach einer Schätzung des russischen Ministeriums für Industrie und Handel.

FRAGE & ANTWORT

Der IWF schafft es nicht alleine ARKADIJ KOLIBALOW / RG

NAME: JAKOW MIRKIN BERUF: EXPERTE DER RUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Brics-Länder in Zahlen

Gibt es derzeit Bedarf für eine Brics-Bank? Die Brics-Bank muss zusammen mit dem geplanten Reservepool betrachtet werden. Die Länder verfügen gemeinsam über Rücklagen in Höhe von fünf Billionen Dollar. Gleichzeitig haben die Brics-Staaten nicht nur Interesse an Stabilität, sondern auch daran, diese nach eigener Vorstellung zu gestalten und Schocks abzuwehren. Überall auf der Welt entstehen derzeit Alternativen zu den bestehenden Instrumenten. Zumal die Reform des Internationalen Währungsfonds, die gerade den Brics-Staaten mehr Mitsprache garantieren sollte, nicht abgeschlossen ist. Stellt sie eine Konkurrenz für den IWF und die Weltbank dar? Zweifelsohne wird es zu einem Wettbewerb der Ideen und der Weltsichten kommen. Die Praxis zeigt aber auch, dass verschiedene Institutionen, wie im Falle Griechenlands, kooperieren können. Das Finanzsystem ist zu kompliziert für den IWF und die Weltbank alleine. Die Welt braucht nachgelagerte Strukturen.

Doch ungeachtet aller Unterschiede einigen die Brics-Staaten vor allem gemeinsame Wirtschaftsinteressen.

s ist noch gar nicht so lange her, da waren die BricsStaaten lediglich ein Gedankenkonstrukt des Chefökonomen der Investmentbank Goldman Sachs, Jim O’Neill. Er brachte die Abkürzung 2001 in Umlauf, um die schnell wachsenden Volkswirtschaften der Welt zusammenzufassen und gleichzeitig den Kunden ein neues Investitionsobjekt bieten zu können. Die Bank legte sogleich Portfolios auf mit Wertpapieren aus den vier Ländern. Der Brics-Gipfel, der nun Anfang Juli in Ufa stattfindet, wird bereits die siebte Zusammenkunft der Schwellenländer sein und die fünfte, seit Südafrika dabei ist. Russland hat eine besondere Beziehung zu Brics. Denn die Idee, diesem börsianischen Fabelwesen politisches Leben einzuhauchen, stammte aus Moskau. Im September 2006 fand auf Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin in New York ein erstes Ministertreffen im BricFormat statt. Im Mai 2009 empfing Jekaterinburg den ersten Gipfel der Bric-Staaten, Gastgegeber damals war Präsident Dmitrij Medwedjew. Und wenn es auch keine konkreten Ergebnisse vorzuweisen gab, hatte das Treffen einen wichtigen, propagandistischen Effekt für Russland. Die Beziehungen zum Westen waren damals auf einem Tiefpunkt und Moskau konnte so den USA und der Europäischen Union demonstrieren, dass es auch andere einflussreiche Partner hat. In den vergangenen Jahren hat die Organisation ihr Tätigkeitsfeld erweitert. Nach geopolitischer Machart ist sie dazu übergegangen, neue internationale Normen zu schaffen. Die wichtigste Brics-Initiative ist der Versuch, eine Alternative zur westlich dominierten Finanzarchitektur der Welt zu bieten. Die Länder koordinieren ihre Positionen diesbezüglich auch aktiv im Rahmen der G-20-Treffen. 2014, als klar wurde, dass der US-Kongress eine von der G20 gebilligte IWFReform blockieren würde, die eine Umverteilung der Stimmrechte zugunsten der Entwicklungsländer vorsah, haben die Brics-Teilnehmer die Gründung einer eigenen Bank und eines Pools nationaler Wärungen vereinbart. Künftig könnte dies helfen, das internationale Finanz-

wesen unabhängiger vom Duopol von Euro und Dollar zu machen. Allerdings bleibt dies bisher auch der einzige ernst zu nehmende Meilenstein der Brics-Staaten. Einer der Gründe für die mangelnde Effizienz der Brics-Staaten als internationale Struktur stecken in den Besonderheiten ihrer bürokratischen Funktionsweise. Brics ist womöglich die einzige Vereinigung, bei der ein Gipfel der Staatsund Regierungsschefs nicht die Krönung des Vorsitzes darstellt, sondern den Beginn. So wird die Agenda ein ganzes Jahr von einem Land vorbereitet, während die Entscheidungen bereits in einem anderen gefällt werden. Mangels Synchronität bleiben viele Initiativen nur schlecht ausgearbeitet. Russland hat dem Ganzen nun als erstes Land den Riegel vorgeschoben. Formal begann Moskaus Vorsitz bereits in Mai, somit wird der

Der Brics-Gipfel hat für Russland nicht nur praktischen, sondern vor allem symbolischen Stellenwert. Gipfel ein Ergebnis von drei Monaten Arbeit darstellen. China wird noch mehr Glück haben. Der Gipfel im Reich der Mitte im kommenden Jahr wird das Ergebnis eines vollwertigen, einjährigen Vorsitzes sein. Bereits im Rahmen seines Vorsitzes versucht Russland, die Agenda so breit wie möglich aufzustellen. Anfang des Jahres forderte der Kreml die föderalen Behörden dazu auf, eigene Vorschläge einzubringen. Deswegen stehen auf der Tagesordnung des Gipfels in Ufa bereits 130 Punkte. Und dennoch, in der jetzigen Situation zählt für Russland, wie schon 2009, auch die Symbolkraft des Treffens. Der Westen versucht im Zuge der Ukraine-Krise, Russland zu isolieren. Moskau ist formal aus der G8 ausgeschlossen. Die Siegesfeier am 9. Mai in Moskau, bei der westliche Staatschefs weitgehend fehlten, wurde zu einem weiteren Zeichen für Russlands Isolation. Nun wird Russland in Ufa die Gelegenheit haben, sich als Anführer der „nichtwestlichen“ Welt zu präsentieren. Der Autor ist Leiter des Programms „Russland im asiatisch-pazifischen Raum“ des Carnegie-Zentrums in Moskau.


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Märkte

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Beraterseite Warum Controlling, Transparenz und Compliance so wichtig sind

In Russland antizyklisch investieren Russland durchlebt derzeit mehrere Krisen. Der Ölpreisverfall führte zu dramatischen Einnahmeverlusten und der temporär überzogene Rubelverfall erschütterte die Märkte.

Die starke Aufwertung des Rubels der vergangenen Monate kam ebenso unerwünscht wie der Verfall des Ölpreises und des Rubels. Auf der einen Seite wird sich die russische Wirtschaft mittelfristig wohl wenig dynamisch entwickeln. Auf der anderen Seite ist nicht zu erwarten, dass russische Unternehmen die Bedürfnisse der wachsenden Mittelschicht befriedigen können. Das Markenzeichen „Made in Germany“ ist in Russland weiterhin ein Garant für gute Absatzpreise. Seit einigen Monaten sind erneut mehr Markteintritte deutscher Unternehmen in Russland zu verzeichnen.

Vorteile des antizyklischen Handelns Antizyklisches Handeln in Russland hat gute Gründe: • Der Geschäftsaufbau dauert in Russland deutlich länger als in anderen Märkten. Die Gründe dafür liegen in der längeren Produktanlaufphase und in der Komplexität von Gasanschluss, Elektrizität usw. bei Produktionsaufbau. • Russland ist das Land der Extreme. Von extrem schlecht kann die

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Moscow City. Ein Geschäftsaufbau dauert in Russland länger als in anderen Märkten.

fehlendem Erfolg eine langwierige Rückabwicklung vornehmen zu müssen, schrecken ab. OutsourcingModelle, wie zum Beispiel eine lokale Mitarbeiterüberlassung, komplett eingerichtete Arbeitsplätze und Nutzung einer Büroinfrastruktur sind Alternativen, mit denen man schnell und unkompliziert in den Markt einsteigen kann und ein überschaubares Risiko eingeht. Deutsche Unternehmen in Russland werden durch die lokalen Partner sehr geschätzt – auch für ihre Zuverlässigkeit. Doch nicht selten ist zu hören, dass deutsche Manager naiv an Investitionsvorhaben in Russland herangingen. Nicht gering ist die Anzahl deutscher Investoren, die sich durch ihren russischen Partner betrogen fühlen.

Wirtschaftsleistung sehr schnell auf Überhitzung springen. Wer spät einsteig t, findet kau m Ansprechpartner. • Wer in schwierigen Zeiten zum russischen Markt steht, dem wird später auch mehr Respekt gezollt. Deutsche Unternehmen sind dafür bekannt, auch in harten Zeiten in Russland die Zelte nicht abzubrechen.

Markteinstieg mit Rückversicherung Deutsche Exporteure wissen, wie wichtig in Russland Präsenz vor Ort ist. Die Gründung einer Repräsentanz und die damit verbundenen administrativen Verpflichtungen, wie etwa eine Buchhaltung ab der ersten Stunde und das Risiko, bei

Stichworte sind ein Aufbau von parallelen Vertriebsstrukturen oder „vereinfachte“ Importstrukturen. Ist eine Struktur nicht verständlich, sollte sie gemieden werden.

wird in der Praxis noch stark durch das Steuerrecht und durch das Prinzip „Form over Substance“ bestimmt. Daher sollten eine gute Finanzanalyse und ein ControllingSystem, gegebenenfalls mit einer automatisierten Überleitung zu Rechnungslegungsvorschriften nach HBG respektive IFRS entwickelt werden. • Wer selbst Import oder Produktion betreibt, ist ein durchdachtes, verständliches und nachvollziehbares ERP-System unabdingbar. Meistens kommen hier das russische System 1C oder SAP zum Einsatz. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, die vor dem Start eines Implementierungsprojektes analysiert werden sollten. Hinterfragen Sie die Finanzen Ihres Engagements im Russlandgeschäft! Sind diese für Sie nicht transparent, ist der Weg bis zum Totalverlust Ihres Investments nicht weit. Denn wie bereits angesprochen, ist Russland das Land der Extreme: Großer Erfolg und totaler Verlust liegen hier sehr nah beieinander.

Basisinstrumente für Transparenz Russland hat Compliance-Regeln, die den westlichen Regeln teilweise sehr ähnlich sind; gleichwohl werden sie in Russland aber noch häufig anders gelebt. Wichtige Instrumente für Transparenz in Russland sind die folgenden: • Auch gesetzlich ist jedes Unternehmen nach Artikel 18 des Gesetzes über die Buchhaltung verpflicht et, I nt e r n a l C ont r ol s z u betreiben. • Das russische Rechnungswesen

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Rubelkurs Russland kauft wieder verstärkt US-Dollar auf dem Währungsmarkt

Zentralbank interveniert auf dem Devisenmarkt

ALEXEJ SERGEJEW FÜR RBTH

Russland füllt den Tresor seiner Zentralbank mit US-Dollars. In den vergangenen zwölf Monaten sind die Reserven des Landes um ein Viertel auf 365 Milliarden USDollar zurückgegangen. Nicht zuletzt deswegen hatten die Währungshüter Interventionen auf den Währungsmärkten im Herbst eine Absage erteilt. Kommt gut ein halbes Jahr später die Wende in der Geldpolitik? Die Rede ist vorerst von einer vergleichsweise kleinen Summe mit einem Volumen von bis zu 100 bis 200 Millionen US-Dollar pro Tag. So erwarb die russische Zentralbank etwa am 13. Mai 181 Millionen US-Dollar, am Tag darauf waren es 200 Millionen Dollar. Wie Alla Dworezkaja, Professorin an der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Russischen Akademie für Volks-

wirtschaft und öffentlichen Dienst, bemerkt, befinde Russland sich im Vergleich mit internationalen Standards für Währungsreserven absolut im grünen Bereich. Es zähle zu jenen zehn Ländern, die über ein ausreichendes Polster verfügten, mithilfe dessen Importengpässe überbrückt und Auslandsschulden beglichen werden könnten. Als wesentlich gewichtigere Gründe für die Dollarkäufe nennt sie die Angst vor einer überzogenen Stärkung des Rubels.

Signal für die Märkte „Berücksichtigt man, dass das tägliche Handelsvolumen in etwa fünf Milliarden US-Dollar entspricht, können Ankäufe in Höhe von 100 bis 200 Millionen Dollar unterm Strich keine allzu große Bewegung auf dem Devisenmarkt auslösen“, glaubt Dmitrij Berdjenkow, Leiter der Analyseabteilung von IK Russ-Invest. Das Vorgehen der Währungshüter interpretiert er eher als Signal. Die Zentralbank gebe den Märkten zu verstehen, dass sie an einer Stärkung des Rubels nicht interessiert sei. Alla Dworezkaja erklärt die Mo-

LORI/LEGION MEDIA

Seit dem Crash im Dezember hat der Rubel wieder stark an Wert gewonnen. Das freut längst nicht jeden im krisengeschüttelten Land.

Einheitliche Politik

Russlands Zentralbank will den Rubelkurs niedrig halten.

tivation dahinter: „Gegenwärtig können wir eine gewisse außenpolitische Stabilität verzeichnen, die Preisentwicklung auf dem Ölmarkt ist mehr oder weniger stabil. Im Zusammenwirken mit den Interventionen hat das den Rubel dermaßen verteuert, dass der Import bereits wieder ansteigt. Das torpediert jedoch die angestrebte Importsubstitution und ein auf einheimischen Quellen basierendes Wirtschaftswachstum.“

Exporteure und Staat leiden Gleichzeitig widerspräche eine Stärkung des Rubels den Interessen der Exporteure, vor allem im Rohstoffsektor, was sich wiederum nachteilig auf den Staats-

haushalt auswirken würde. Denn der russische Staatsetat speise sich zu über 50 Prozent aus den ErdölExporten. „Exportorientierte Unternehmen sind an einem schwachen Rubel interessiert. Das trifft noch im viel größeren Maße auf die Unternehmen zu, die keine Rohstoffe, sondern Produkte mit einem großen Wertschöpfungsanteil exportieren“, sagt Ilja Balakirjew, Analyst von UFS IC. Darüber hinaus befänden sich die Preise auf den Weltmärkten, vor allem in der metallverarbeitenden Industrie, in einem langfristigen Tief, und ein starker Rubel bereite den Exporteuren metallurgischer Erzeugnisse Probleme, fügt der Experte hinzu.

Die neue Praxis der russischen Zentralbank konterkariert die gefällte Entscheidung, zu einem freien Rubelkurs überzugehen. „Die wieder aufgenommenen Valutaankäufe auf dem Binnenmarkt erscheinen auf dem ersten Blick als ein Rückschritt“, meint Alla Dworezkaja. Anfang 2014 seien die gezielten Ankäufe ausländischer Währungen eingestellt worden, Ende 2014 habe die Zentralbank sogar versucht, den Markt ganz zu verlassen, was den Rubelkurs, der aufgrund makroökonomischer und geopolitischer Faktoren ohnehin schon geschwächt gewesen sei, vollends zum Absturz gebracht habe, erklärt die Expertin. Deshalb dürfte „die Spekulation auf einen sinkenden Kurs ein taktisches Manöver bleiben“, ist die Professorin überzeugt. Strategisch müsse Russland sich an einer größeren Autorität seiner Währung, an deren Wettbewerbsfähigkeit und an der Kaufkraft orientieren. „Als die Zentralbank im zweiten Halbjahr 2014 versuchte, dem Verfall des Rubels entgegenzusteuern, hat sie mehrere Milliarden pro Tag in den Markt gepumpt, und selbst das hat nicht geholfen“, bemerkt Ilja Balakirjew. „Gefragt sind Signale an den Markt, die die Währungsspekulanten beruhigen“, sagt der Experte. Wenn diese systematisch und eindeutig seien, wirke sich das positiver auf den Markt aus als eigene Valutaankäufe.


Meinung

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RUSSLAND UND DEUTSCHLAND: RÜCKKEHR ZUM DIALOG? Alexej Fenenko EXPERTE

TATIANA PERELYGINA

D

ie Feier zum 70. Jahrestag des Sieges am 9. Mai hat den russisch-deutschen Dialog, der seit dem Winter vergangenen Jahres festgefahren war, wiederbelebt. Zunächst trafen sich am 7. Mai in Wolgograd die Außenminister der beiden Länder, Sergej Lawrow und Frank-Walter Steinmeier, und am 10. Mai kamen Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau zusammen. Die Wiederaufnahme des deutschrussischen Dialogs an sich kann bereits als Erfolg erachtet werden. Das Modell der privilegierten Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland wurde bereits Mitte der Neunzigerjahre formuliert. Doch die Krise in der Ukraine hat dieses Modell zunichtegemacht und Berlin zu einem der größten Kritiker Russlands werden lassen. Die Frage ist nun, ob dieses Modell wiederhergestellt werden kann. Die russische Außenpolitik ist bislang eine Fortsetzung der sowjetischen Politik zu Zeiten Breschnews gewesen. Seit Anfang der Sechzigerjahre basierte das politische Spektrum in Westeuropa auf der Rivalität zwischen den sogenannten Atlantikern und den Euro-Atlantikern. Die Ersteren, die vor allem in Großbritannien und den Niederlanden anzutreffen waren, sprachen sich für bevorzugte Beziehungen zu den USA aus. Letztere, in Italien, Frankreich und Deutschland weit verbreitet, erkannten die Führungsrolle der USA zwar an, sprachen sich jedoch für deren Eindämmung aus. Paris, Rom und Bonn sahen im Dialog mit der Sowjetunion ein Mittel, den Einfluss der USA auszugleichen. Der Kreml unterstützte diese Bestrebungen, um Amerikas Handlungsspielraum einzuschränken. Moskau versuchte, etwas Ähnliches im Rahmen der russisch-deutschen Beziehungen zu implementieren. Seit etwa 1995 war klar, dass eine Partnerschaft zwischen Russland und den USA nicht zustande kommen würde. Der Kreml sah in Deutschland eine Alternative. Als Mitglied der Nato fungierte Berlin in allen wichtigen Krisen als Ver-

mittler zwischen Russland und den USA. Dieses Modell der russischdeutschen Beziehungen ermöglichte das Dreieck Washington-BerlinMoskau, das das Fundament der europäischen Sicherheit bilden sollte. Der deutsch-französische Antiamerikanismus am Vorabend des zweiten Golfkriegs öffnete ein Fenster für Moskau. Zum Jahreswechsel 2003/2004 führten Frankreich, Deutschland und Russland regelmäßig Konsultationsgespräche als eine Art Gegengewicht zum Einfluss der USA. Der russisch-deutsche Energiedialog – der im NordStream-Projekt seine praktische Umsetzung fand – und die Ausarbeitung eines Vertrags über die europäische Sicherheit festigten diese Entwicklung. Der grundlegende Wandel in der Politik von Merkels Kabinett wurde in Moskau nicht richtig registriert. Die russische Elite sah in den Annäherungsversuchen der neuen Kanzlerin gegenüber Warschau und Riga lediglich taktische Manöver. Der Kreml versuchte, durch die Euro-Atlantische Sicherheitsinitiative (EASI) als russischdeutsch-US-amerikanisch konzipiertes Forum ein neues Modell der Sicherheit in Europa zu institutionalisieren. Die russische Regierung überhörte jedoch die Alarmglocken: das Scheitern der Initiative auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 und die negative Reak-

tion des deutschen Establishments auf Putins Rückkehr ins Amt. Der Kreml hegt noch immer die Hoffnung auf eine Wiederbelebung des deutsch-russischen Dialogs. Die Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format, die im Sommer 2014 ins Leben gerufen wurden, bekundeten Moskaus Wunsch, mit Deutschland und Frankreich,

ren Entwicklung ab. Erstens könnte Deutschland privilegierter Juniorpartner der USA werden. Es sieht ganz so aus, als ob Washington einige Aufgaben für die Verhandlungen mit Russland an Berlin delegiert hat. Im Kern soll Berlin Moskau ermahnen, bestimmte Vorschläge der USA im Austausch gegen symbolische Zu-

Die Ukraine-Krise machte das Modell der privilegierten Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland zunichte.

Das Normandie-Format bekundete Moskaus Wunsch, mit Deutschland und Frankreich ohne die USA zu verhandeln.

aber ohne die USA über die Ukraine zu sprechen. Doch die Realität entwickelte sich anders. Merkels Regierung arbeitete in der Krise eng mit Washington zusammen. Das russische Establishment und diverse Experten waren davon überzeugt, dass die Amerikaner die deutsche Diplomatie als Kanal nutzten, um ihre Interessen in den Verhandlungen mit Russland durchzusetzen. Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint die Wiederherstellung des russisch-deutschen Dialogs in seinem früheren Format höchst unwahrscheinlich. Ob erneut ein Dialog entsteht, hängt von der weite-

geständnisse aus dem Weißen Haus zu akzeptieren. Von diesem Szenario würde Washington profitieren, aber es ist wahrscheinlich, dass Russland dann nach anderen Partnern in Europa suchen würde. Ein zweites Szenario sieht die Positionierung Deutschlands als Gegenspieler Russlands vor. Das wäre für die Obama-Regierung, die einen militärischen Schlüsselpartner in Europa sucht, von Vorteil. Als Stimme des russlandkritischen Klimas in Mitteleuropa könnte Deutschland sich objektiv Moskau widersetzen. Diese Möglichkeit wäre vorteilhaft für London, das sich nur zu gerne den Hut des Vermittlers

zwischen Russland, Deutschland und den USA aufsetzen möchte. Das dritte Szenario ist die Übertragung des Normandie-Formats auf die Ebene vollwertiger Verhandlungen über die europäische Sicherheit. Um dieses Szenario umzusetzen, müsste Deutschland mehr Einfluss auf die mitteleuropäischen Staaten, einschließlich der Ukraine, ausüben. Aber mit Merkel als Kanzlerin wird Berlin wohl kaum der russlandkritischen Stimmung widerstehen. Letzteres ist das natürliche Ergebnis der Politik des Kabinetts Merkel. Als dieses zum Sprachrohr der kleinen russlandkritischen Länder Mitteleuropas wurde, hat Deutschland unwissentlich seinen Status auf deren Niveau herabgesenkt. Merkel konzentriert sich im laufenden Jahr auf die Notwendigkeit, „die Anliegen der Länder Mitteleuropas“ zu thematisieren. Folglich überlässt Deutschland die Fragen der Sicherheit in Europa den USA und Großbritannien. Das könnte alle Versuche Deutschlands, eine umfassendere Rolle bei der Schaffung einer neuen europäischen Sicherheitsvereinbarung mit Russland zu spielen, einschränken. Der Autor ist promovierter Historiker und Dozent an der Fakultät für Weltpolitik an der Lomonossow-Universität Moskau.

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Tschetscheniens Oberhaupt: Kadyrow ohne Grenzen? Der umstrittene Politiker galt bislang als loyal gegenüber Putin. Doch nun könnte er übermütig werden.

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Tourismusmarkt

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URLAUB IM KRISENLAND ENDE 2014 HIELT DER RUBELVERFALL DIE RUSSEN IN ATEM. UND MACHTE RUSSLAND ZU EINEM ATTRAKTIVEN REISELAND. ZUMINDEST IN FINANZIELLER HINSICHT.

RUBELSTURZ LOCKT URLAUBER ALEKSANDR PETROSJAN / FOCUSPICTURES

Platz 9 in Europa und Platz 17 weltweit: Sankt Petersburg gehört laut Reiseportal „Tripadvisor“ zu den besten Urlaubszielen in Russland.

Der schwache Rubel macht Russland billig für ausländische Touristen. Doch von einem Ruf als attraktives Urlaubsland ist es noch weit entfernt. Denn die Hürden für Besucher sind groß. ALEXANDER BRATERSKIJ FÜR RBTH

„Was halten Sie von dem Film ‚Ein russischer Sommer‘ über das letzte Lebensjahr Leo Tolstois?“, fragt eine polnische Touristin ihre junge Reiseleiterin an dem bescheidenen Grab des Schriftstellers in Jasnaja Poljana. Die Reiseleiterin lächelt verlegen und sucht nach passendem englischen Vokabular, um zu antworten. Jemand aus der polnischen Gruppe wirft ein paar Brocken Russisch ein und so wird eine gemeinsame Sprache schließlich doch noch gefunden. Leo Tolstoi vereint Welten. An Wochenenden und Feiertagen ist das Anwesen Leo Tolstois nahe der Stadt Tula, einer traditionsreichen russischen Waffenschmiede knapp 200 Kilometer südlich von Moskau, ein beliebtes Ausflugsziel von Russen. Viele Gäste kommen aber auch aus dem Ausland. Ein schwacher Rubel hat seine Vorteile: Russland zu besuchen, ist günstiger geworden, und Russlandreisen werden immer attraktiver. Die Daten der russischen staatlichen Tourismusagentur, Rostourism – verantwortlich für die Tourismusentwicklung im Land –, bestätigen den Eindruck, dass die Anzahl der Touristen nach dem Rubelsturz im Dezember gestiegen ist. Zwar sind die Einreisezahlen ausländischer Touristen 2014 um drei Prozent gefallen. Aktuell sei jedoch insgesamt ein Aufwärtstrend von drei bis fünf Prozent zu beobachten, wie kürzlich der stellvertretende Vorsitzende von Ros-

tourism, Nikolaj Korolew, in einem Tass-Interview betonte. Die Liste ausländischer Gäste in Russland führte traditionell Deutschland an. Im Jahr 2013 kamen mehr als 380 000 Menschen aus der Bundesrepublik. Es folgten China mit 372 000 und die USA mit 197 000 Besuchern. Ein Jahr später ist China mit 410 000 Touristen auf den ersten Platz vorgerückt, wohingegen die Besucherzahlen aus Deutschland mit 350 000 und aus den USA mit 160 000 Menschen zurückgegangen sind.

Der schwache Rubel als Vorteil Russische Experten beurteilen die Aussichten der Tourismusbranche

skeptisch. Russlands einziger Trumpf im Reisesektor sei der schwache Rubel, ist Wladimir Kantorowitsch, Präsidiumsmitglied in der Vereinigung russischer Reiseveranstalter (VRRV) überzeugt. Dieser Vorteil, so der Experte, werde von einem großen Nachteil überschattet: von den verschlechterten Beziehungen zwischen Russland, der Europäischen Union und den USA. „Klar, das liegt nicht am Tourismus, doch ein Tourist möchte die Länder bereisen, die gute Beziehungen zu seinem Land unterhalten“, erklärt Kantorowitsch. Die Reiseveranstalter stimmen dem zu: „Leider fiel der günstige Rubelkurs mit einer schlechteren

Wahrnehmung Russlands im Ausland zusammen. Wesentlich anziehender wurde Russland für Ausländer dadurch nicht“, sagt Alexandra Lanskaja, geschäftsführende Direktorin des Patriarschij Dom Tours, einer Reiseagentur, die ausländischen Touristen Exkursionen zu kulturellen Highlights russischer Städte bietet. Auch die staatliche Behörde Rostourism ist sich durchaus bewusst, dass die touristische Anziehungskraft Russlands trotz des Kulturerbes zu wünschen übrig lässt. Dem will die Agentur entgegenwirken und erstmals Auslandsvertretungen der russischen Tourismusagentur eröffnen. Eine ist be-

reits in Dubai entstanden, weitere in Deutschland und China sollen folgen.

Reiches Erbe, dürftiges Englisch Dabei hat Russland durchaus Potenzial als Urlaubsland, welches auch internationalen Experten nicht verborgen geblieben ist. Im Mai kletterte Russlands Rating hinsichtlich seiner Attraktivität im internationalen Travel & Tourism Competitiveness Report um 18 Punkte von Platz 63 auf 45. Gelobt wurde Russland für seine kulturellen Sehenswürdigkeiten und das Luftverkehrsnetz. Das niedrige Sicherheitsniveau und das er-

Luftverkehr Trotz sinkender Nachfrage bleibt der russische Markt interessant.

Russische Airlines: Unfreiwillig Billigflieger Die Russen fliegen weniger, doch der schwache Rubel macht einheimische Airlines konkurrenzfähiger. Auch Regionalflughäfen hoffen auf neue Kunden. KIRA JEGOROWA RBTH

Russlands Luftfahrtbranche erlebt turbulente Monate. Wegen der Abwertung des Rubels Ende 2014 ist die Nachfrage eingebrochen. Angesichts dieser konjunkturellen Entwicklung haben einige europäische und asiatische Airlines Flüge nach Moskau gestrichen. Auch Delta Airlines, eines der größten Luftfahrtunternehmen in den USA, musste die Strecke New York-Moskau aufgeben. Russische

Marktteilnehmer kämpfen ebenfalls mit Schwierigkeiten. Im Januar 2015 ist ihr Passagieraufkommen erstmalig seit 2009 gesunken, um 1,3 Prozent. Laut Lufthansa-Sprecher Martin Riecken ist um den Jahreswechsel die Nachfrage im Vergleich zu 2013 um bis zu 40 Prozent gesunken, was sich in den Westeuropa- und Nordatlantik-Verbindungen besonders widergespiegelt habe. Um sich an die neue Konjunkturlage anzupassen, haben viele russische und internationale Unternehmen ihre Kapazitäten nach der bestehenden Nachfrage ausgerichtet. „Auf einigen Flügen wurden kleinere Maschinen eingesetzt. Auf hochfrequentierten Strecken, wie Frank-

furt-Moskau, die die Lufthansa fünfmal täglich bedient, wurde die Anzahl der Flüge reduziert“, erklärt Riecken. Das Erstarken des Rubels im April und Mai habe die Situation etwas verbessert. Auch die Nachfrage der Russen nach Auslandsreisen erhole sich angesichts einer stärkeren Landeswährung, sagt Alexander Burtin, geschäftsführender Direktor des Reiseanbieters Tez Tour: „In erster Linie schauen die Reiselustigen in Richtung Griechenland, Zypern und Italien.“ Doch der Rubelverfall sei nicht der einzige Grund für Airlines wie Delta gewesen, Russland zu verlassen. Die Hauptursache sei nach Einschätzung des Direktors der Ana-

lystenagentur Aviaport Oleg Panteleew ein massiver Einbruch bei der Nachfrage nach NordamerikaVerbindungen. „Zudem ist es für Delta schwierig, mit russischen und europäischen Luftfahrtunternehmen, die Zwischenstopps in Paris und Amsterdam anbieten, zu konkurrieren“, meint Panteleew. Russische Airlines wollen dank billigem Rubel die sinkende Nachfrage im Innern mit Transitflügen ausgleichen. „Durch Preisnachlässe wurden die Europa- und Asientarife von Aeroflot und Transaero unschlagbar günstig. Im Vergleich zu anderen Carriern kostete ein Ticket 150 bis 200 US-Dollar weniger“, erklärt Janis Dzenis, PR-Direktor von Jetradar.


Tourismusmarkt

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Rubelkrise macht Russland attraktiv

Barrierefreies Reisen steckt in Russland noch in den Kinderschuhen

Am 6. Mai wurde der Travel & Tourism Competitiveness Report 2015 veröffentlicht. Russland nimmt darin den 45. Platz ein, womit es seine Position um 18 Punkte gegenüber 2013 verbessert hat. Das Ranking umfasst 141 Länder und wird in Zweijahresabschnitten durch das Internationale Wirtschaftsforum und die Strategy Partners Group zusammengestellt. Reisen nach Russland wurden nach dem Rubelverfall günstig: Seit Mai 2014 ist der Preis der russischen Nationalwährung in der Dollar-Umrechnung um 44 Prozent gesunken. Damit sind auch Hotels günstiger geworden. Für zusätzliche Punkte in der Gesamtbewertung haben die zahlreichen Sehenswürdigkeiten in Russland, die Natur und Kultur bieten, gesorgt. Außerdem wurde eine Verbesserung der Luftverkehrsanbindung berücksichtigt.

Eines der größten Probleme des Landes seien die zu harten Visumsanforderungen an Ausländer, beklagen Experten. Außerdem sei die Aufgeschlossenheit Russlands gegenüber dem Ausland auf einem niedrigen Niveau. Die Autoren der Studie bemängeln auch das ungünstige Geschäftsklima in Russland. Was die Sicherheit anbelangt, befindet sich Russland etwa auf dem gleichen Stand wie Myanmar oder Jamaika. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Daten noch vor der Angliederung der Krim an Russland erhoben wurde. „Ob die aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Faktoren sich auf das Ranking 2015 auswirken werden, wird erst nach der nächsten Studie klar“, sagt Alexej Prasdnitschnych, Partner der Strategy Partners Group.

„Versuch’ es, aber du musst fit sein“

schwerte Visaverfahren sorgten allerdings für schlechtere Werte. Zwar lässt sich über die Sicherheitsfrage durchaus streiten – viele ausländische Gäste betonen, sich in zentralen Lagen von Großstädten durchaus sicher zu fühlen. Doch die Visabeantragung ist sehr mühevoll. Ein russisches Visum zu bekommen, gleiche einem Papierkrieg, sagt Wladimir Kantorowitsch von der VRRV und spricht sich dafür aus, dass Russland sich in dieser Frage nachgiebiger zeige: „Niemand hindert uns daran, diesen Schritt einseitig zu wagen und das Visum abzuschaffen.“ Er verweist auf die beidseitige Aufhebung der Visumspflicht mit Israel, die dazu geführt habe, dass die Touristenströme aus Israel um 50 Prozent gestiegen seien. Ein weiteres Problem sei die englische Sprache, fügt Kantorowitsch hinzu. Fehlende Englischkenntnisse beim größten Teil des Servicepersonals in Russland würden die Geduld ausländischer Gäste überstrapazieren. Diese beschwerten sich oft darüber, keine Antwort zu erhalten, wenn sie die Metro-Mitarbeiter aus Gewohnheit auf Englisch ansprächen. Doch die Situation bessere sich allmählich: In der Metro würden vermehrt Schilder auf Englisch angebracht und das russische Innenministerium habe eigens eine Touristenpolizei eingerichtet.

Kaum günstige Hotels

RUSLAN SCHAMUKOW / TASS

Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung sind zudem die Unterkünfte. Zwar wurde kürzlich das Park Izmailovo Moscow, ein Vier-Sterne-Hotel mit 110 Betten der türkischen Dedeman-Kette, eröffnet. Aufgrund der Krise wurde jedoch der Bau einiger WorldClass-Hotels in der Hauptstadt vorerst eingestellt. Darunter seien auch das ambitionierte Projekt der Crocus Group zum Bau eines Holiday-Inn-Hotels mit 1 050 Betten und ein Marriott-Hotel, schreibt die russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Vor allem die Verfügbarkeit bezahlbarer Gasthäuser bleibt ein Problem. Angesichts dessen plant die Moskauer Stadtverwaltung, kleinere Hotels im Stadtzentrum zu errichten, die von den Hoteliers für eine Laufzeit von 49 Jahren gepachtet werden können. Auch in der Provinz ist die Lage im Hotelbau ungewiss. In den letzten Jahren sind in den anziehungsstärksten Gegenden Russlands anspruchsvolle Tourismusresorts entstanden – etwa das Altay Resort im Altai oder das schillernde Grand Hotel Rodina in Sotschi. Doch die Krise zwingt zu Bescheidenheit. Kürzlich hat das Sportministerium, das die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland verantwortet, seinen Verzicht auf den Bau von 25 Hotels in mehreren Gastgeberstädten erklärt.

Russland ist nach europäischen Maßstäben kaum barrierefrei. Touristen mit Behinderung haben sich dennoch auf den Weg gemacht. Und sie würden es wieder tun. DMITRY VACHEDIN FÜR RBTH

„Warum möchte ein Blinder überhaupt schwimmen?“ Die Frage einer Schimmbadmitarbeiterin lässt noch immer die Empörung in Katja Pirogowa hochsteigen. Die Petersburgerin betreut gelegentlich deutsche Touristen mit eingeschränkten Fähigkeiten und stößt des Öfteren auf verschlossene Türen. Diesmal war es ein öffentliches Bad. „Wir standen davor und wurden einfach nicht hineingelassen“, erzählt Pirogowa. „Erst nach langem Diskutieren und unzähligen Formularen durften wir doch noch hinein. Meinen Pass musste ich aber als Pfand hinterlassen, für den Fall, dass mein Freund, der blinde deutsche Tourist, ertrinkt.“

ZAHLEN

11,98 Milliarden © MAKSIM BLINOW / RIA NOVOSTI

US-Dollar (etwa 10,5 Milliarden Euro) gaben ausländische Touristen nach aktuellen Angaben des Weltwirtschaftsforums (WEF) im Jahr 2013 in Russland insgesamt aus.

2,6 Millionen

Regionen sind profitabler Probleme zwingen Airlines, ihren Blick auf die russischen Regionen zu richten. Finnair, Flydubai und Etihad Airways eröffneten auch 2014 und 2015 neue, vor allem regionale Verbindungen in Russland. „In der bevorstehenden Saison startet der spanische Billigflieger Vueling in Kooperation mit Tez Tour in drei neuen Regionen: Krasnodar, Samara und Kasan. Die Flüge gehen nach Barcelona“, sagt Alexander Burtin. „Das Interesse

an den Regionalmärkten wird dadurch begünstigt, dass Moskau zu einem heiß umkämpften Markt geworden ist. Dort ist die Rendite sehr gering. Die Regionalflughäfen sind dagegen bereit, den Airlines gute Konditionen zu bieten“, erklärt Panteleew. Außerdem entstehe mit dem Einkommenswachstum in den Regionen auch eine Käuferschicht, die Direktflüge ohne Zwischenstopps in Moskau bevorzugt. „Das Potenzial gibt es also“, meint der Experte.

ausländische Touristen haben Russland im Jahr 2014 besucht. Das waren drei Prozent weniger als im Jahr zuvor, wie das russische Touristenamt Rostourism mitteilte.

Russland gilt als ein Land, das für Menschen mit Behinderung nur selten ein Genuss ist. Andreas Pröve, Buchautor und Abenteurer, der mit seinem Rollstuhl die ganze Welt bereist hat, sieht das allerdings gelassen: „Russland ist ein gut entwickeltes Land“, sagt er. „Wenn ich zum Beispiel an Indien denke, wo die Menschen ganz andere Sorgen haben, als ihr Land rollstuhlgerecht auszubauen, dann haben es die Russen doch vergleichsweise gut.“ Pröve war mit der Transsibirischen Eisenbahn schon zu Zeiten unterwegs, als es noch keine rollstuhlgeeigneten Waggons gab. „Bis auf die Toilettenbesuche war alles in Ordnung“, erzählt er heute. „An den Haltestellen stand ich an der Tür und versuchte, mit Zeichen um Hilfe zu bitten, da ich kein Russisch konnte. Und immer gab es jemanden, der geholfen hat. Dieses soziale Verhalten verbindet die Menschen auf der ganzen Welt.“ „Die Russen sind hilfsbereit“, bestätigt auch Lydia Grabowski, die mit ihrem Mann Wolfgang Gruppenreisen für Rollstuhlfahrer um die ganze Welt organisiert. Oft hapert es an Details. „Mittlerweile gibt es in der Transsib zwar Waggons für Rollstuhlfahrer, aber keine Übernachtungsmöglichkeiten. Das heißt, man muss ständig den Zug verlassen und in Hotels unterkommen. Diese Unterbrechungen nerven.“ Grabowski schwärmt von den eingelegten Gurken und Pelmenis in Sankt Petersburg. Die Stadt sei für Rollstuhlfahrer viel besser ausgebaut als Moskau. Beispielsweise gebe es dort barrierefreie Ausflugsboote. Die Metro allerdings sei in beiden Städten völlig ungeeignet für Behinderte.

Falsches Mitleid

350 Tausend deutsche Touristen reisten Angaben von Rostourism zufolge 2014 nach Russland. Mehr ausländische Besucher kamen nur aus China (410 000 Touristen).

„Als ich meinem blinden deutschen Freund den Newski-Prospekt zeigte, sprach uns eine alte Dame an“, berichtet Katja Pirogowa weiter. „Sie holte aus ihrem Portemonnaie verknitterte Rubelscheine heraus und wollte das Geld meinem Freund geben. Die Möglichkeit,

dass er als Blinder ja auch ein reicher Mann sein konnte, kam ihr nicht in den Sinn.“ Die alte Dame lud den Deutschen sogar als Gast in ihre bescheidene Wohnung ein. Die Infrastruktur von Sankt Petersburg sei für Besucher mit eingeschränkter Sehfähigkeit nur bedingt geeignet. Die Warmherzigkeit und die Empathie der Stadtbewohner haben den deutschen Gast aber überzeugt. „Wenn ich überlege, ob ich einem Rollstuhlfahrer als Alleinreisenden eine Tour nach Russland ans Herz legen kann, würde ich sagen: Versuch’ es, aber du musst fit sein“, meint der Abenteurer Andreas Pröve. Bei Lydia Grabowskis Gruppenreisen ist der Ablauf gut eingespielt. Sie lobt die Organisation der Ankunft mit dem Schiff im Hafen von Sankt Petersburg. Auch die Reise von Sankt Petersburg nach Moskau mit modernen Zügen klappe einwandfrei. „Alles, was in Russland renoviert oder neu gebaut ist, ist für uns super geeignet“, unterstreicht Grabowski. Ob beim Bolschoi-Theater in Moskau oder beim Mariinski-Theater in Sankt Petersburg – man spüre, dass die Russen sich Mühe geben. „In Sankt Petersburg ließ man uns mit den Rollstuhlfahrern für einen kleinen Aufpreis in die Zarenloge, zu der wir mit einem Aufzug gelangten.“ Der Kreis der Firmen, die Reisen nach Russland organisieren, ist recht überschaubar. Die meisten Aufträge erhält das Reisebüro Liberty in Sankt Petersburg. Die Leiterinnen Marija Bondar und Natalja Gasparjan haben sich einen Namen in Deutschland gemacht. Wenn in Russland wieder einmal an einer Verbesserung der Infrastruktur für Rollstuhlfahrer gearbeitet wird, ist es nicht selten der Energie dieser beiden Frauen zu verdanken. Egal, ob man als Einzeltourist oder Gruppenreisender nach Russland kommt, man trifft vor allem gute Menschen. Dafür gewisse Abstriche beim Komfort in Kauf zu nehmen, ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss.


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Reisen

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Internationale Gipfel sollen die russische Stadt bekannter machen und den Tourismus ankurbeln

Baschkirisch

Ufa: Multikulti auf Ufa, moderne Millionenstadt und Heimat der Baschkiren, empfängt im Juli den Brics-Gipfel. Davon soll die Stadt nachhaltig profitieren. JOE CRESCENTE FÜR RBTH

Ufa wurde im Jahre 1574 von Iwan dem Schrecklichen als Festungsstadt gegründet. Den Südwesten des Zarenreiches sollte sie vor dem Einfall feindlicher Truppen schützen. Zwischen 1773 und 1775 war die Stadt Schauplatz des Pugatschow-Aufstands, bei dem Bauern gegen den Zaren aufbegehrten. Der Aufstand wurde von dem ehemaligen Leutnant Jemeljan Pugatschow entfacht und angeführt. Er endete mit einem Sieg der zaristischen Truppen sowie mit der Gefangennahme und Hinrichtung Pugatschows. Das bekannteste Symbol Ufas ist daher das Salawat-Julajew-Denkmal. Es wurde zu Ehren eines Anführers des Pugatschow-Aufstands und Begründers der baschkirischen Identität gebaut. Nachdem die zaristischen Truppen ihn 1774 gefangen genommen hatten, wurde er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Gebrandmarkt und in Ketten gelegt, wurde er gemeinsam mit seinem Vater nach Paldiski, einer Hafenstadt in Estland, deportiert, wo er im Jahre 1800 starb. Das Denkmal steht auf einem Hügel, von wo aus man einen atemberaubenden Blick über den

3 RESTAURANTS MIT SINN FÜR SPEZIALITÄTEN

Fluss Belaja reka (zu Deutsch „Weißer Fluss“), hat. Es ist das wohl populärste Denkmal der Republik, mit ihm werden gerne Souvenirs und Preise geschmückt. Nach Salawat Julajew wurden zudem eine kleinere Ortschaft und das örtliche Eishockey-Team, das in der Kontinentalen Hockey-Liga (KHL) spielt, benannt. Gleich in der Nähe des Denkmals befindet sich der Kongresssaal von Baschkortostan, ein Messe- und Wirtschaftszentrum, das außerdem ein Museum, einen Konzertsaal, ein baschkirisches Restaurant sowie ein großes ShoppingCenter beherbergt. Für den BricsGipfel wurde das Gebäude renoviert – hier sollen sich die Staatsund Regierungschefs treffen.

Hauptstadt der Kirchen und Moscheen Das Landschaftsbild der Republik Baschkortostan prägen Moscheen und orthodoxe Kirchen. Sie zeigen, dass man sich hier im multiethnischen und multireligiösen Teil Russlands befindet, dessen Einwohner seit vielen Jahrhunderten friedlich zusammenleben. Das wohl prominenteste Bauwerk von Ufa ist die Moschee Ljalja Tulpan, die etwa 13 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im Park Pobedy liegt. Sie ist vor allem für

che ihr altes Antlitz zurückgewonnen und bietet Platz für mehrere tausend Gläubige.

Heimat der Literaten

LORI/LEGION MEDIA

Treffpunkt der Aufständischen

Rechts hinter dem SalawatJulajew-Denkmal ist der neue Kongresssaal zu sehen.

OLEG MENKOV

Ufa hat sich gründlich vorbereitet. Wenn am 8. Juli die Delegationen für die Gipfel der Brics-Länder und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in der Stadt eintrudeln, warten ganze sieben neue Hotels und ein taufrisches Flughafenterminal auf die Gäste. 170 Millionen Euro wurden in die Infrastruktur investiert, und die Regionalregierung hofft, dass dies auch den Tourismus ankurbeln wird. Nicht ohne Grund, denn die Hauptstadt der im östlichen Teil des europäischen Russlands gelegenen Republik Baschkortostan hat mit ihren über einer Million Einwohnern jede Menge zu bieten.

Die Minarette der Moschee Ljalja Tulpan.

Tipps für Reisende ANREISE Nach Ufa kommt man am besten mit dem Flugzeug. Die Airlines Utair, S7 und Aeroflot fliegen die Stadt von allen drei Moskauer Flughäfen an. Die Flugdauer beträgt etwa eine Stunde und 40 Minuten. UNTERKUNFT Für Geschäftsreisende empfiehlt sich ein Aufenthalt im Iremel Hotel. Etwas zentraler befindet sich das Hotel Baschkortostan. Ein Zimmer kostet etwa 80 Euro.

ihre Minarette bekannt, die 53 Meter hoch in den Himmel ragen. Damit ist die Ljalja Tulpan die dritthöchste Moschee Russlands. Das berühmteste christliche Bauwerk der Republik ist die himmelblaue Roschdestwo-BogorodskijKirche (Muttergottes-Kirche), die gegen Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurde. Zwischen 1950 und 1991 diente der Bau als Kino. Danach wurde es an die RussischOrthodoxe Kirche zurückgegeben und es begann eine umfangreiche Sanierung. Inzwischen hat die Kir-

Usbekische Suppe

Türkische Süßigkeiten

Baschkirischer Pilaw

Wer in Ufa auf der Suche nach usbekischen Delikatessen ist, kommt im Restaurant Usbetschka in der Uliza Tsyurupy 27 voll auf seine Kosten. Die Besitzer stammen beide aus der Stadt Taschkent. Serviert werden hier

Wer die türkische Küche bevorzugt, kommt in Ufa ebenfalls nicht zu kurz. Ein Geheimtipp ist das Fast-Food-Restaurant Evren, das einen Garten hat und in der Uliza Lenina 16 zu finden ist. Für einen bescheidenen Preis

Die Köstlichkeiten aus der heimischen Küche Baschkortostans finden Sie in den Pyschka-Cafés, die über die ganze Stadt verteilt sind. Auf der Speisekarte stehen Pilaw, Hühner- und Fleischsuppen sowie süße, sal-

Schaschlik, Fleischoder Käseteller sowie eingelegtes Gemüse. Täglich gibt es wechselnde Mittagsangebote im Menü für umgerechnet etwa fünf Euro.

(etwa ein Euro pro Gericht) gibt es hier Torten und Desserts, türkisches Fladengebäck, orientalischen Tee sowie große Portionen Fleisch oder Salat.

R E I S E N ÜBER IHRE FANTASIE HINAUS NATURSCHÄTZE: Von Kamtschatka bis zu den LenaFelsen: Russlands Stätten des UNESCO-Weltnaturerbes

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DTE: HAUPTSTÄ tze des gene Schä or rb ve Fünf Kremls

zige Piroggen und Quarkbälchen. Alle Gerichte werden auch zum Mitnehmen zubereitet. Die Preise werden je nach Gewicht des Gerichts berechnet.

Ufa ist auch ein wichtiger Ort der russischen Literatur. Hier wurde 1941 Sergej Dowlatow geboren. Seine ersten drei Lebensjahre verbrachte der Schriftsteller im Haus 56 an der Uliza Gogolja. In den 1970er-Jahren war er einer der bekanntesten kritischen Autoren der Sowjetunion. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er in New York, wo er 1990 verstarb. Auch der 1791 geborene russische Schriftsteller Sergej Aksakow, der mit Iwan Turgenew und Lew Tolstoj befreundet war, stammte aus Ufa. Der für seine Geschichten über das russische Alltagsleben bekannte Autor verbrachte einige Jahre seiner Kindheit an den Ufern der Belaja reka. Heute ist das Haus in der Uliza Rasulewa 4, in dem Aksakow einst lebte, ein Museum. Gleichzeitig ist es ein gutes Beispiel für die Holzarchitektur des 18. Jahrhunderts in dieser Region Russlands.

Ökologisches Reiseziel Auch außerhalb der Stadtgrenzen gibt es vieles zu sehen – der Ökotourismus in Baschkortostan erlebt gerade seine Blütezeit. So ist der See Asylykul vor allem im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel. Der größte See von Baschkortostan kann von Ufa aus in etwa zwei Stunden erreicht werden. Auch Höhlenbegeisterte und Wildwasserliebhaber finden außerhalb von Ufa zahlreiche Sportangebote. Agenturen wie etwa Otdych w derewne organisieren eine Vielzahl an Freizeit- und Sportaktivitäten wie Rafting- und Fischer-Touren, Jagdausflüge und Exkursionen in kleine Dörfer. Die meisten ihrer Ausflüge enden mit dem Besuch einer russischen Sauna.

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