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Die Zukunftsforscher

schauexklusiv

„Die Chance einer Pandemie war schon immer extrem hoch. Aber man kann natürlich nicht sagen, wann und wie genau.“

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Matthias Horx

Gute Laune trotz schwieriger Zeiten: Die Vorträge von Matthias (links) und Tristan Horx sind oft provokativ, aber humorvoll und aufmunternd.

Zwei Generationen, zwei Sichtweisen auf die Zukunft: Der erfahrene Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx (65) blickt mit Sohn und Junior-Futurist Tristan (27) im schauTalk auf die Veränderung der Welt durch das Corona-Virus.

MATTHIAS & TRISTAN HORX

Wie sich die Welt verändern wird

INTERVIEW: CHRISTOPH BERNDL, FOTOS SUSANNE EINZENBERGER

Wenn zwei Generationen in die Zukunft blicken, sehen die dann unterschiedliche Szenarien für die kommenden Jahre?

Matthias Horx: Die Aspekte sind verschieden. Es könnte sein, dass Tristan einen Futurismus sieht, in dem alles auf künstliche Intelligenz und Hyper-Mega-Technik ausgerichtet ist. Ich selber bezeichne mich als humanistischen Futuristen, als jemanden, dem die Fragen der menschlichen und sozialen Beziehungen wichtig sind. Wenn wir da extrem weit auseinander wären, hätten wir ein Problem, das wäre natürlich auch ein interessantes Problem.

Tristan Horx: Es ist auch die Frage der zeitlichen Perspektive. Der Begrif, an dem ich schraube, ist im Deutschen bekannt als Posterität, im Englischen „posterity“, oder Enkelfähigkeit oder etwas enkelft machen. Das erstreckt sich für jede Altersgruppe so weit in die Zukunft, dass sie das selbst nicht mehr miterlebt. Das heißt, wenn man diesen Zugang wählt, dann ist das das klassische Abbild, dass die ältere Generation nicht mehr so viel Zukunft vor sich hat und deswegen nicht mehr so weit schauen muss. Das ist dann der Zugang, den auch wir in unseren Forschungen und Diskussionen wählen.

Was sich viele von uns für die Zukunft wünschen, ist ein Licht am Ende des Tunnels. Kann die Zukunftsforschung diesem Wunsch Rechnung tragen?

Matthias Horx: Das Licht am früher. Dabei gibt es auch eine Ende des Tunnels kommt aus der Menge Sachen zu lernen aus der christlichen Mystik. Wir sind in der Krise, die dann aber nicht ernst geGegenwart und schauen uns die nommen werden, wenn man dauWirklichkeit an. Diese Idee, dass die ernd auf eine Erlösungsfantasie Corona-Krise das Schlimme und pocht. Wobei, momentan geht es in Verdorbene ist und danach kommt der Gesellschaft wieder voran, weil die Lichtzukunft, führt uns in die dieser Impfstof da ist, weil zum ersIrre, weil wir da eine große Enttäu- ten Mal sozusagen Progress gemacht schung erleben werden. Die Co- wird. Wir haben immer gesagt, anrona-Krise wird nicht aufhören im fangs haben wir das Ganze mit soziSinne von, dass wir da wieder hin- aler Intelligenz und Empathie eingekommen, wo wir vorher waren. Das dämmt, um auf die technologische ist so ein Bild, das ich für gefährlich „Erlösung“ zu warten. Und die bahnt halte. Und vorher war es auch nicht sich jetzt an, und somit fühlt es sich so toll, oder? Aber dass es besser an, als hätten sozusagen der menschwird, ist klar, das haben wir in der liche Fortschritt und die Ingenuität Geschichte schon oft gesehen. nicht nur auf sozialer VerhaltensWeihnachten ebene, sondern macht alles wieder auch auf technoloauf, aber das heißt gischer, medizininicht, dass es auch „Wir fangen an, scher und biologivorbei ist. Im nächsten und übernächsten Jahr und alles in Frage zu stellen, aber auch scher Ebene zum Fortschritt geführt. Und das fühlt sich noch in zehn Jah- neu zu sehen.“ gut an, weil man ren werden wir merken, dass wir in Matthias Horx sich selber bis zu einem gewissen Grad einer Welt leben, in auf die Schulter der es Viren und klopfen kann. Also Bakterien gibt. Es wenn man Licht ist besser, mit der Wirklichkeit um- am Ende des Tunnels meint, dann zugehen. Und damit umzugehen, vielleicht so. ist, glaube ich, das innere Licht im Tunnel. Hat Sie diese Corona-Pandemie

eigentlich überrascht?

Tristan Horx: Das Licht am Ende Matthias Horx: Ja, in ihrer Ausdes Tunnel wird ja eigentlich assozi- formung. Aber die klassische Risikoiert mit einer Todeserfahrung. So forschung, das machen wir als Zuwürde ich das aber auch nicht sehen, kunftsforscher auch, hat schon seit weil es darauf abzielt, dass es vorbei Jahren gesagt, die Wahrscheinlichist, Augen zu, und es ist alles wie keit, dass ein Komet die Erde trift, liegt so bei 1:100.000 in den nächsten zehn Jahren, aber die Chance einer Pandemie war schon immer extrem hoch. Aber man kann natürlich nicht sagen, wann und wie genau. Mutation ist ja spontan, und das Ding ist ziemlich schlau geworden, das kann man so nicht voraussagen. Aber wir sind natürlich auf alles vorbereitet, das ist unser Job. Da kann uns der Himmel auf den Kopf fallen und wir werden immer noch sagen: Aha, interessant, haben wir auch so vorausgesehen!

Sie sagen, diese Tiefenkrise hat Zukunftspotenzial. Was genau meinen Sie damit?

Matthias Horx: Es gibt verschiedene Arten von Krisen. Einige berühren uns nur am Rande, denken wir mal an ferne Kriege oder die Bankenkrise vor zehn Jahren. Das hat manche Leute beschäftigt und einige sind pleite gegangen, die Banken haben sich verändert. Aber das hat nicht wirklich unser Zivilisationsverständnis oder unser Selbstbild, wie und in welcher Welt wir leben, verändert. Tiefenkrise heißt, dass alle unsere Weltbilder berührt sind: unser Alltag, wir können plötzlich nicht mehr alles machen, unsere Organisation, die Politik greift auf die Gesellschaft über. Wir fangen an, alles in Frage zu stellen, aber auch neu zu sehen. Und das ist der Sinn von Krisen. Wie bei einer klassischen Liebes- oder Berufskrise kann man entweder versuchen, das auszusitzen, aber das wird nicht funktionieren, oder man nutzt es zur Neuerfn-

Für Vater und Sohn steht fest: Es entsteht gerade eine „neue Welt“.

„Das Fantastische, wenn man das so sagen darf, am ersten Lockdown war wirklich, dass fast über den gesamten Globus gleichzeitig alle mal auf den Pausenknopf gedrückt haben.“

Tristan Horx

dung. Das ist eine Tiefenkrise und dadurch entsteht eigentlich immer Innovation.

Tristan Horx: Man sieht sehr schön, wie sich eine Tiefenkrise in die Individuen hineinzieht. Das Fantastische, wenn man das so sagen darf, am ersten Lockdown war wirklich, dass fast über den gesamten Globus gleichzeitig alle mal auf den Pausenknopf gedrückt haben. Das führt natürlich zu einer inneren gesellschaftlichen Katharsis. Dazu gibt es nicht viele Umfragen, aber bei den wenigen vorhandenen sagen die meisten: Ich war überrascht, mit wie wenig ich auskomme. Das muss man natürlich auch erst mal an der eigenen Haut erfahren, weil die überbeschleunigte Konsumwelt von vor Corona hat natürlich immer sehr stark darauf gesetzt, dass die Werbung uns einredet, dass wir das unbedingt brauchen, und man ist nie wirklich dazu gekommen, auch mal ohne zu leben. Ich glaube, die Erfahrung war gesamtgesellschaftlich sowie individuell gesehen kathartisch. Wie viele Leute haben austariert, das bräuchte ich für immer und ewig, und eigentlich war es dann doch gar nicht so wichtig. Das hat schon zu einer Verschiebung in den Individuen geführt, die dann einen Zeitgeistwandel in der Gesellschaft hervorbringen kann.

Matthias Horx: 40 Prozent aller Deutschen sagen, dass sie in der Corona-Krise etwas Positives für sich gelernt haben, das sie auch beibehalten möchten. Das ist dieser Verblüffungsefekt. Es gibt natürlich auch die 20 bis 25 Prozent unter den Leuten, die – auf Österreischisch – extrem angefressen sind. Und dann gibt es noch ungefähr fünf bis zehn Prozent, die es überhaupt nicht aushalten und dann irgendwelche wilden Verschwörungstheorien auspacken und so eine Art Warnreaktion haben. Auch in vielen Unternehmen haben sich Schwachstellen gezeigt und manche Firmen werden nicht überleben. Das tut weh, Krisen tun immer weh, aber sie haben immer auch Erneuerungscharakter, wenn man sie annimmt.

Derzeit ist der neue Zukunftsreport im Entstehen. Welche großen Trends zeichnen sich ab?

Matthias Horx: Das ist nicht immer so ganz einfach. Uns interessieren Entwicklungen, die wir schon vorher gesehen haben, die aber wenig Gehör bekommen haben. Wir haben zum Beispiel eine Umdrehung der Stadt-Land-Dynamik prognostiziert und progressive Provinz oder Reurbanisierung genannt. Das Land wird wieder attraktiv und auch die Metropolisierung ist vorbei, die Menschen ziehen in Zukunft nicht mehr so in die Ballungszentren, sondern suchen nach anderen Lebensstilen. Aber auch die neue Weltunordnung ist ein großes Tema. Corona hat ja vieles durcheinandergewirbelt, letzten Endes hat der amerikanische Präsident, der vorhergehende, noch nicht ganz vorhergegangene, die Wahl verloren, auch dadurch, dass er diesen Ignoranzkurs gefahren hat, das hat schon den Ausschlag gegeben. Und jetzt entstehen natürlich ganz neue Weltverhältnisse als das, was wir gewohnt sind. China hat einen Riesenaufschwung, weil es Corona so gut hinbekommen hat. Alles wirbelt durcheinander und der Zukunftsreport 2021 ist der Versuch, darzustellen, wie diese neue Weltunordnung sich formt. Auch die Digitalisierung ist ein Punkt, denn wir haben einerseits viele digitale Schübe erlebt, in Schulen und am Eventsektor, andererseits macht das natürlich die Sehn-

Wenn schon Auto, dann geteilt.

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sucht nach dem Analogen umso größer. Und wie wird sich das zu neuen Hybriden formen? Ich glaube, der Begrif des Hybriden wird eine ganz große Wichtigkeit haben.

Tristan Horx: Wie wird die Generation Corona? Es gibt ja verschiedene Begrife dafür, zum Beispiel Coronial. Wie wird es denen gehen,

Tristan Horx

die jetzt geboren werden? Die werden 2040 ins junge Erwachsenenalter kommen, wo sie so richtig in die Gesellschaft eintauchen. Die große Frage ist, ob die sozusagen Vorteile durch all das Leiden und die Schwierigkeiten, aber auch die Lernefekte von Corona haben werden. Man muss auch sagen, 2040, da haben wir noch zehn Jahre bis zur Klimakrise, und da wird sich zeigen, ob wir das geschaft und als Gesellschaft etwas gelernt haben. Wie wird es dieser Generation gehen, was wird diese Generation erleben? Das ist natürlich fantastisch, weil die Generation Z, die jüngste Generation, seit 20, 25 Jahren existiert, daher ist es sowieso Zeit für einen Generationswechsel gewesen, und da hilft Corona, um eine neue Generation zu defnieren.

Viele sagen, Corona wird uns nie wieder verlassen. Hat das Thema ein Fixkapitel in den Zukunftsreports der kommenden Jahrzehnte?

Tristan Horx: Viel spannender sind ja die Efekte, die es gab, die nicht mit dem C-Wort beginnen. Laut allen Medizinern ist das ein relativ „langweiliges“ Virus. Das PostCorona-Zeitalter ist viel interessanter als das ewige Corona-Gerede. Matthias Horx: Das war früher ja auch so, in meiner Kindheit gab’s noch Kinderlähmung, ich hatte Freunde, die konnten sich plötzlich nicht mehr bewegen, und zwar lebenslang. Und das war selbstverständlich. Aber deshalb haben die Leute nicht endlos Angst vor Kinderlähmung. Da gibt’s Routinisierung. Aber was man sehen kann, ist, Coronabedingt talkte schauChefredakteur Christoph Berndl per Zoom mit den Experten. dass die Werte verschoben werden, zum Beispiel die Frage von unserem Naturverhältnis und der Nachhaltigkeit. Corona deutet doch hin auf die wirklich große Krise dieser Epoche, die vor uns liegt: Global Warming. Und wenn wir es schafen, das Virus mit Technik und sozialem Verhalten einzudämmen, warum können wir dann nicht die globale Erhitzung eindämmen? Das wird sich jeder fragen und da spielt sicherlich das Generationsverhältnis eine Rolle. Tristan Horx: Diese Illusion, dass wir unser Verhalten nicht verändern können, um eine Krise abzuwenden, ist gebrochen.

Was kann ein junger Mensch aus euren Forschungen mitnehmen, was kann jede und jeder Einzelne für sich daraus ableiten?

Tristan Horx: Momentan ist das, was vor allem die jungen Leute beschäftigt, das Tema Arbeitsmarkt, Sicherheit am Arbeitsmarkt, Pension und Generationsvertrag. Auch wenn der Jobmarkt gerade wirklich blöd ausschaut, man kriegt derzeit nicht einmal mehr ein unbezahltes Praktikum, kommt momentan eine New-Work-Kultur auf, sprich Homeofce, fuides Arbeiten, wofür wir geschafen sind, und diese digitale Afnität. Und die jüngsten sind derzeit die mit dem besten digitalen Bullshit-Filter, sie sind digital am affnsten und sehr gut informiert und erzogen. Das soll heißen, momentan schaut es schlecht aus, aber diese Jungen haben am Arbeitsmarkt von

ZOOM-TALKS WWW.SCHAUCLUB.AT „Es wird eine Verschiebung bei Konsum und Wahrnehmung von Konsum geben – Qualität statt Quantität.“

morgen verdammt gute Karten. Momentan halten die Unternehmen an den alten Arbeitskräften fest und setzen auf das, was sie kennen. Aber in ein, zwei Jahren wird es wahrscheinlich losgehen, da wird man merken, wir müssen einen Generationswechsel reinbringen, um uns an diesem neuen Arbeitsmarkt oder diese neue Arbeitsrealität anzupassen. Und auf diese Zeit muss man vorbereitet sein, da muss man dann zubeißen und darf sich nicht unter seinem Wert verkaufen. Das wäre auch ein Appell: Bereit sein! Momentan schaut’s beruflich echt schwierig aus, aber die Zeit wird kommen.

Matthias Horx: Wir wissen, dass sowohl politische Maßstäbe wie Links und Rechts als auch die Generationen nicht mehr so wie früher funktionieren. Es gibt sehr viele früh vergreiste Jüngere, aber auch sehr junge Alte, und insofern sind das immer auch Konstruktionen, mit denen man arbeiten kann. Aber ich würde mich nicht trauen, das auf diese Art und Weise zu pauschalisieren. Es gab jetzt viele Ältere, die in dieser Krise ihre Frustration nochmal verstärkt haben, aber es gab auch einen massiven Gegenimpuls, eine Ermutigung und letzten Endes das Selbstvertrauen, dass man auch mit Krisen umgehen kann. Wenn man Krisen übersteht und nicht nur übersteht, sondern in ihnen aktiv Wandlung vollzieht, dann entstehen auch Zuversicht, Mut und Euphorie. Das sehen wir immer wieder, wenn eine schwierige Zeit überstanden ist, geht es auch wieder freier.

Was wird Positives von der Corona-Krise bleiben?

Tristan Horx: Ich würde sagen, es wird auf jeden Fall eine Verschiebung bei Konsum und Wahrnehmung von Konsum geben – Qualität statt Quantität. Ich glaube, das ist eine der zentralen Sachen, die den Leuten jetzt bewusst geworden sind.

Matthias Horx: So würde ich es auch ausdrücken. Auch die eigene Zeit wieder in Besitz nehmen. Also wir waren ja im alten Normalen sehr hin- und hergeschleudert, oft gestresst. Und diese Zwangspausen, die uns verordnet worden sind, die hatten manchmal den Efekt, dass viele Menschen sich gefragt haben: Wie will ich eigentlich leben? Will ich eigentlich dieses ganze Gerenne und Gehetze? Sind meine Beziehungen auch im Nahbereich viel wichtiger, als ich sie bislang hingenommen hab? Diese Art von Wandlungshinweis, letzten Endes gibt uns auch die Krise einen Wandlungshinweis, das ist das, was Fortschritt macht. Das können natürlich nicht alle, aber ich glaube, dass sich hier neue Mehrheiten bilden, die konstruktiver mit der Umwelt, mit ihrem eigenen Leben, mit ihrem Verhalten umgehen wollen. Und diese kostbaren Momente von Nähe, von gelungenem Leben, die es in so einer Krise auch gibt, die wollen wir fortführen.

Vielen Dank für das Gespräch. ///

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Familie Horx

Trend- und Zukunftsforscher, Publizisten, Visionäre www.horx.com www.zukunftsinstitut.at

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