Journal of the Arnold Schönberg Center 16/2019

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Herausgegeben von Eike Feß und Therese Muxeneder Arnold Schönberg Symposium Arnold Schönberg Center, 11.–13. Oktober 2018 Kooperation Arnold Schönberg Center und Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg und die Wiener Schule am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Ausgewählte Beiträge Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird in dieser Publikation mitunter auf geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Cover: Arnold Schönberg, Los Angeles, 1947 (Foto: Florence Homolka) Mit Unterstützung von

Impressum Medieninhaber und Verleger: Arnold Schönberg Center Privatstiftung FN 154977h; Handelsgericht Wien Für den Inhalt verantwortlich: Angelika Möser, Direktorin Schwarzenbergplatz 6 A-1030 Wien www.schoenberg.at

Cover und Gestaltungskonzept: Bohatsch und Partner GmbH, Wien Satz und graphische Realisierung: Forte OG, Thomas Stark Herstellung: Bösmüller Print-Management Wien Koordination Druck: Edith Barta Redaktionelle Mitarbeit: Philipp Kehrer © Arnold Schönberg Center Privatstiftung, Wien, 2019 ISBN 978-3-902012-25-8


Inhalt

Vorwort 7 Stefan Gasch Gedanken zur »inneren Wahrheit« in Arnold Schönbergs Opus 6

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Ulrich Krämer »Une grande portée morale pour l’union entre artistes du monde entier« Schönbergs Tombeau für Debussy und die Anfänge des Parteienstreits um die musikalische Moderne

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Philip Stoecker Analyses of Arnold Schönberg’s Serenade, op. 24 and Wind Quintet, op. 26 by Alban Berg and Julius Schloß

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Appendix: Arnold Schönberg: Bläserquintett op. 26. Die Exposition des ersten Satzes. Analytische Partitur von Julius Schloß

Marko Deisinger Ein Interpret zweier Lehren Paul von Klenau, Heinrich Schenker und die Zweite Wiener Schule

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John Covach The Schönberg Analytical Legacy Rudolph Reti and Thematic Transformation

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Helmut Schmidinger Schönbergs Bedeutung für die aktuelle Kompositionspädagogik

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Fusako Hamao Unveiling Schönberg’s Japanese Connection

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Appendix: A partial translation of Takatoshi Kyōgoku: Interview with Schönberg

Therese Muxeneder Arnold Schönbergs Konfrontationen mit Antisemitismus (III) Anhang: Arnold Schönberg und die »judenreine« Sommerfrische in Mattsee A. Ein Augenzeugenbericht – B. Sommer 1921 im Spiegel der Korrespondenz – C. Sommer 1921 im Spiegel der Presse

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Vorwort

Das Journal of the Arnold Schönberg Center präsentiert ausgewählte Referate des im Oktober 2018 am Arnold Schönberg Center in Wien veranstalteten Symposiums, das für thematisch ungebundene Einreichungen zu Schönberg und seinem Umfeld offen stand. An der in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg und die Wiener Schule am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien veranstalteten Tagung nahmen ReferentInnen aus sechs Ländern teil, die mit ihren Beiträgen ein breites Spektrum aktueller Forschungsprojekte abbildeten. Diese reichen von kulturhistorischen und analytischen Aspekten über Fragen der Schönberg-Rezeption bis hin zu neuen Ansätzen in der Vermittlung von Schönbergs Musik und Gedankenwelt. Arnold Schönbergs zwischen 1903 und 1905 entstandene Sammlung Acht Lieder für eine Singstimme und Klavier op. 6 scheint eine freie Verbindung von Lyrikvertonungen, die der Komponist vornehmlich aus einer populären Anthologie zusammenstellte. Stefan Gasch zeigt, wie die Verknüpfung der Lieder über das beherrschende Grundthema Liebe wie auch die musikalische Sprache einen eigenen Rezeptionshorizont eröffnet. Ein feines Netz an Korrespondenzen zwischen Textinhalt und motivisch dicht verflochtener Chromatik gibt der Liederfolge einen Zusammenhalt, der über zyklische Elemente im herkömmlichen Sinne hinausgeht. Mit Erwin Steins 1924 erschienem Aufsatz »Neue Formprinzipien« ging das erste von Schönbergs Fünf Klavierstücken op. 23 als Paradebeispiel der »Arbeit mit Tönen« im unmittelbaren Vorfeld der Zwölftonmethode in die Musikgeschichte ein. Nach Entdeckung und Verknüpfung bisher unbeachteter Quellen gelingt es Ulrich Krämer, die Ursprünge des Stücks als »Tombeau« für den Komponisten Claude Debussy zu entschlüsseln. Sein Beitrag analysiert den Hommage-Charakter der Komposition und zeichnet ein vielschichtiges Bild von Schönbergs Position innerhalb der nach dem Ersten Weltkrieg geführten Debatten zur Entwicklung der zeitgenössischen Musik. 7

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Schönberg war überzeugt, dass die Entdeckung der Zwölftonmethode den Verlauf der Musikgeschichte wesentlich beeinflussen würde. Durch akribische Auswertung von analytischen Eintragungen in Studienpartituren des Bläserquintetts op. 26 aus den Nachlässen Alban Bergs und dessen Schüler Julius Schloß zeigt Philipp Stoecker, wie Schönbergs Weggefährten die kompositorische Praxis direkt am Werk studierten. Wahrscheinlich um 1930 entwarf Schloß eine »Analytische Partitur« des ersten Satzes. Dieses bedeutende Dokument aus dem Archiv der Universal Edition zur frühen Rezeptionsgeschichte der Zwölftonmethode ist hier erstmals vollständig wiedergegeben. Von 1922 bis 1930 übernahm der dänische Dirigent und Komponist Paul von Klenau die künstlerische Leitung der Wiener Konzerthausgesellschaft, wobei er sich nachdrücklich für die musikalische Moderne einsetzte. Zugleich verkehrte er mit Heinrich Schenker, einem dezidierten Antimodernisten. Marko Deisinger widmet sich dem Spannungsverhältnis, das aus dem Eintreten für aktuelle musikalische Strömungen bei gleichzeitiger Treue zu Heinrich Schenker entstand. Das Verhältnis des Wiener Musiktheoretikers zu Arnold Schönberg wird dabei in manchen Facetten neu beleuchtet. Als gewichtige Stimme der Musikanalyse in der Tradition der Wiener Schule bringt John Covach den Pianisten und Theoretiker Rudolph Reti in die Diskussion. Seine Vorstellung einer organischen Entwicklung von Musik ist in vielerlei Hinsicht dem Denken des Komponisten verpflichtet. Covach bricht eine Lanze für den Musiktheoretiker, dessen Überlegungen unabhängig von jeder Kritik im Detail wichtige Anstöße für eine Analyse geben, welche Einheit in der Vielfalt als Kennzeichen bedeutender musikalischer Werke betrachtet. Neben seinem kompositorischen Schaffen bildete das Unterrichten einen Schwerpunkt in Arnold Schönbergs Wirken. Sein Schülerkreis zeichnete sich durch Breite und Vielfalt aus: Kompositionslehre sollte nicht allein schöpferischen Menschen vorbehalten sein, sondern ganz allgemein zu einem besseren Verständnis musikalischer Werke beitragen. Helmut Schmidinger knüpft an Überlegungen Schönbergs an und stellt sie aktuellen Konzepten zur »Kompositionspädagogik« gegenüber. Das Denken Schönbergs kann didaktische Modelle inspirieren, die einen Einstieg in das Komponieren im Vorfeld der akademischen Ausbildung ermöglichen. Als freie Einreichung zu dieser Publikation erscheint der Aufsatz von Fusako Hamao, die sich nach ihrem Beitrag für das JASC 13/2016 zur SchönbergRezeption in Japan erneut mit dieser Thematik auseinandersetzt. Ausgehend von einer Begegnung des Journalisten Takatoshi Kyogoku mit dem Komponisten im März 1931 in Berlin entstanden mehrere Anknüpfungspunkte mit Japan, die zunächst in einem von Kyogoku publizierten Artikel sowie einem Interview Niederschlag fanden. Die Autorin thematisiert erstmals Schönbergs Interesse an einer Beschäftigungsmöglichkeit in Japan nach seiner Demission von der 8

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Preußischen Akademie der Künste in Berlin 1933. In diesen Beitrag fließen eine Vielzahl von bislang unbekannten Dokumenten ein, welche die Bemühungen um eine Berufung Schönbergs als einem der international bedeutenden vertriebenen Intellektuellen aus Deutschland nach Japan beleuchten. Dem Beitrag angeschlossen ist die englische Übersetzung des Schönberg-Interviews, das nunmehr erstmals einer breiteren Leserschaft außerhalb Japans zur Kenntnis gebracht wird. In mehrere in Folge erscheinende Teile ist der dieses Journal abschließende Beitrag von Therese Muxeneder eingegliedert. Ihr Forschungsbericht widmete sich zunächst Schönbergs Konfrontation mit Antisemitismus von seiner Jugend in Wien bis 1900 (JASC 14/2017), um in weiterer Folge die Jahre bis einschließlich Erster Weltkrieg zu thematisieren (JASC 15/2018). Hierbei wurde eine Reihe von Konstellationen im Leben des Juden Schönberg verhandelt, die seine von Antisemitismus verletzte jüdische Identität grundierten. Private Erlebnisse im unmittelbaren Umfeld erweisen sich retrospektiv als ebenso prägend wie öffentliche Ereignisse, die zudem einen engen Konnex zwischen antijüdischer Lebenswirklichkeit und Abwehr der (musikalischen) Moderne erkennen lassen. Die Aufsatzserie strebt mit ihrer dokumentarischen Ausrichtung eine notwendige Kontextualisierung der biographischen und künstlerischen Entwicklungsgänge Schönbergs an, welche dem Judentum insgesamt rückverbunden sind. Hierzu zählen seine religiösen Kompositionen und Schriften zum Judentum ebenso wie Aussagen zu Fragestellungen der Nation und schließlich seine ethische Haltung. Auf Basis einer weitreichenden Auswertung zeitgenössischer Publizistik, Briefe, Dokumente und Schriften entfaltet sich entlang der biographischen Leitlinie ein breites historisches Panorama, das über die bekannten Fakten hinaus auf eine Fülle von bislang unbeachteten antisemitischen Konstellationen bzw. Konfrontationen in Schönbergs Vita hinweist. Im nunmehr vorgelegten Kapitel ist der Schwerpunkt auf die Jahre 1918 bis 1923 gelegt, die für den Komponisten mit der Entwicklung der Zwölftonmethode einschneidende künstlerische Entwicklungsgänge nach sich ziehen, aber auch eine Reihe von Begegnungen hervorbringen sollten, die seine früher lange auf Zuversicht gebaute Bestrebung der Assimilation grundlegend umwerfen würden. Das sogenannte »Mattsee-Ereignis« vom Sommer 1921 gilt gemeinhin als zentrale antisemitische Erfahrung Arnold Schönbergs und wurde in der Forschung als Initiale für dessen Fokussierung bzw. Rückbesinnung auf seine jüdische Identität gedeutet. Dem »Mattsee-Ereignis« wird in diesem Band ein breiter dokumentarischer Abriss gewidmet, der zeitgenössischen Stimmen – viele davon hier erstmals versammelt – ausführlich Raum gibt. Eike Feß und Therese Muxeneder Wien, im September 2019 9

Vorwort


ASCI (Arnold Schönberg Center Image Archive) Das Bildarchiv umfasst unterschiedliche Sammlungsbereiche des Archivs am Arnold Schönberg Center, Wien, darunter Fotografien, Lehrmaterialien, Adresskarteien, Konzertprogramme etc. Quellenangaben erfolgen mit einer jedem Objekt eindeutig zugeordneten Signatur. The image archive contains documents from the various Archive collections, including photographs, teaching materials, address files, concert programs, etc. Source citation has a call number that is clearly assigned to each item. ASCC ID (Arnold Schönberg Center Correspondence ID) Die Briefdatenbank erfasst die Korrespondenz Arnold Schönbergs. Den einzelnen Korrespondenzstücken sind eindeutige ID-Nummern zugeordnet, unter denen neben Standort und Publikationsnachweisen in vielen Fällen auch Digitalisate zugänglich sind. The correspondence database contains the correspondence of Arnold Schönberg. ID nos. have been clearly assigned to the individual pieces of correspondence; in many cases both location and publication details, and also digital copies are available. ASSV (Arnold Schönberg Schriftenverzeichnis) Für Schönbergs Schriften werden nur bei unmittelbarer Bezugnahme auf Originalquellen Signaturen angezeigt. In allen anderen Fällen erfolgen Quellenangaben mit Originaltitel und ASSV-Nummer sowie ggf. mit Titel der Zitatquelle bzw. der zitierten Übersetzung. Digitalisate sind über die Schriftendatenbank des Arnold Schönberg Center zugänglich. For Schönberg’s writings, call numbers are only given if there is a direct reference to original sources. In all other cases, source citations are given with the original title and ASSV number and also where appropriate with the title of the citation source or the cited translation. Digital copies can be accessed via the Arnold Schönberg Center database of Schönberg’s writings. Topographie des Gedankens. Ein systematisches Verzeichnis der Schriften Arnold Schönbergs, vorgelegt von Julia Bungardt und Nikolaus Urbanek. Unter Mitarbeit von Eike Feß, Hartmut Krones, Therese Muxeneder und Manuel Strauß, in: Arnold Schönberg in seinen Schriften. Verzeichnis, Fragen, Editorisches. Hrsg. von Hartmut Krones. Wien, Köln, Weimar 2011, p. 331–607 (Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 3).

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Ulrich Krämer

»Une grande portée morale pour l’union entre artistes du monde entier« Schönbergs Tombeau für Debussy und die Anfänge des Parteienstreits um die musikalische Moderne

Im November 1920 erschien das erste Heft der von Henry Prunières gegründeten Musikzeitschrift La Revue musicale. In ihrem Untertitel – Revue Mensuelle Internationale d’Art Musical Ancien et Moderne – ist die programmatische Ausrichtung der Zeitschrift, nämlich die Gegenüberstellung von alter und neuer Musik sowie die internationale Perspektive, klar umrissen. Prunières, der bei Romain Rolland an der Sorbonne Musikgeschichte studiert hatte und 1913 mit einer Arbeit über die italienische Oper in Frankreich vor Lully promoviert worden war, sah es als seine Verpflichtung an, eine breite musikalisch interessierte Öffentlichkeit nicht nur in ihrer Liebe zur allgemein anerkannten und daher unverdächtigen Kunst der Vergangenheit zu bestärken, sondern zugleich auch das Interesse an zeitgenössischer Musik zu fördern, der eben diese Öffentlichkeit zum Großteil ablehnend gegenüberstand.1 Die internationale Perspektive ergab sich einerseits quasi zwangsläufig aus dem Fokus auf die Neue Musik, andererseits jedoch auch aus Prunières’ dezidiert paneuropäisch-humanistischer Gesinnung – einer Geisteshaltung, mit der er zur Überwindung des Völkerhasses beitragen wollte, der 1914 die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« ausgelöst hatte und der auch nach Kriegsende noch immer fortwirkte. Es war kein Zufall, dass sich Prunières bei der Gründung seiner Revue musicale organisatorisch wie auch programmatisch an der 1909 von dem Literatenkreis um André Gide gegründeten Literaturzeitschrift 1 Vgl. hierzu das unter der Überschrift »Une heure avec M. Henry Prunières« in der Kunst- und Literaturzeitung Les Nouvelles littéraires vom 5. Oktober 1929 publizierte Interview mit Frédéric Lefèvre, in dem Prunières die Zielsetzung seiner Musikzeitschrift wie folgt zusammengefasst hat: »Le devoir du critique musical digne de ce nom me semble être de tenter les plus grands efforts pour dissiper l’ignorance du public et ses préventions absurdes, lui faire aimer à

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la fois l’art du passé qu’il ne soupçonne pas et l’art du présent qu’il abomine a p r i o r i . C’est dans cet esprit que j’ai fondé en 1920 L a r e v u e m u s i c a l e .« Zitiert nach Michel Duchesneau: La revue musicale (1920–40) and the Founding of a Modern Music, in: Music’s Intellectual History: Founders, Follow­ ers & Fads. Hrsg. von Zdravko Blažeković und Barbara Dobbs Mackenzie. New York 2009, p. 743–750, hier p. 743, Anm. 1.

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d1/g1

g/c1

A/d D/g3

Notenbeispiel 1: Fünf Klavierstücke op. 23, Nr. 1, T. 1–3, 17 f.

O KU

O KU O

KU

O

KU

Notenbeispiel 2: Fünf Klavierstücke op. 23, Nr. 1, T. 1–3 Arnold Schönberg: Werke für Klavier zu zwei Händen. Hrsg. von Eduard Steuermann und Reinhold Brinkmann. Mainz, Wien 1968, 21986 (Sämtliche Werke. Abteilung II: Klavier- und Orgelmusik. Reihe A, Band 4)

Tonsatzmodell ließe sich unendlich fortsetzen und stellt somit einen weiteren Beleg für die besondere Kunstfertigkeit der aufgewendeten kompositorischen Verfahren dar, wie sie für das Tombeau als Gattung charakteristisch ist (Notenbeispiel 2). Das dreitönige Grundmotiv des Klavierstücks stellt darüber hinaus einen möglicherweise zufälligen, vielleicht aber auch beabsichtigten Zusammenhang mit zwei anderen Werken her, von denen anzunehmen ist, dass Schönberg sie gut kannte. Das eine ist die Klarinettensonate in Es­Dur op. 120/2 von Johannes Brahms, in der die besagte Intervallkonstellation nicht nur als Kopfmotiv des 36

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O

KU

O

KU

O

K

U

K

KU

K

K

Notenbeispiel 3: Johannes Brahms: Klarinettensonate Nr. 2 Es-Dur op. 120, 2, 1. Satz, T. 1–9 Johannes Brahms: Sonaten in f und Es für Klarinette und Klavier. Hrsg. von Clive Brown und Neal Peres Da Costa. Kassel etc. 2015

Hauptthemas in Erscheinung tritt, sondern in diversen Varianten sämtliche Themen der drei Sätze miteinander verklammert. Der Vordersatz des Hauptthemas des ersten Satzes beginnt sogar ähnlich wie das Unterstimmenpaar aus op. 23/1 mit einer horizontalen Verschränkung des Grundmotivs mit seiner Krebsumkehrung. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Intervallgröße variabel an den jeweiligen diatonischen Kontext angepasst ist (Notenbeispiel 3). Bei dem zweiten Werk handelt es sich um die Violinsonate von keinem anderen als Claude Debussy. Deren letzter Satz beginnt ebenfalls 37

Ulrich Krämer: »Une grande portée morale pour l’union entre artistes du monde entier«



Philip Stoecker

Analyses of Arnold Schönberg’s Serenade, op. 24 and Wind Quintet, op. 26 by Alban Berg and Julius Schloß

The Alban Berg Estate in the Austrian National Library houses three compositions by Arnold Schönberg bound together in a single volume. Labeled F21. Berg.170 it contains Schönberg’s Second String Quartet, op. 10; the Serenade, op. 24; and the Wind Quintet, op. 26.1 Accompanying this volume is a row chart for Schönberg’s “Sonett,” the fourth movement of the Serenade.2 Throughout this volume are many handwritten annotations and analyses entered onto Schönberg’s scores. For example, the analyses written on Schönberg’s Serenade include form designations and remarks about motivic and thematic structures. The analytical entries on Schönberg’s Quintet primarily consist of twelve-tone row counts in colored pencils and comments about the form of the movement.3 Several scholars have previously discussed the contents of F21.Berg.170 and the analytical annotations on Schönberg’s Serenade and Quintet. Both

I wish to thank the Avenir Foundation and the Hofstra University FRDG for their generous support. I am deeply grateful to Therese Muxeneder and Eike Feß for their expertise and guidance throughout every stage of my research on this topic. A special thanks to Cynthia Leive, David Curtis, Kimberly White, and Joel Natanblut at the McGill University Music Library for allowing me to examine and photograph materials in the Julius Schloss Collection. Thanks also to the staff of the Music Division at the Austrian National Library for being so accommodating. I also wish to acknowledge Regina Busch and Manuel Strauß for their helpful transcriptions of Berg’s handwriting and for sharing their materials on Julius Schloß. And a heartfelt thanks to many of my friends and colleagues who were generous of their time and offered helpful comments and suggestions.

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1 On the second page of the Serenade, Schönberg wrote a dedication to Berg: “Herzlichste Weihnachtswünsche, | Lieber Berg, möge diese | Serenade zu einer | Weihnacht-Musik | taugen; diesmal | wenigstens. | Dein | Arnold Schönberg | 1924.” [Warmest Christmas wishes, Dear Berg, may this Serenade be good for Christmas-music; this time at least. Yours Arnold Schönberg 1924]. 2 The original and inverted row forms are listed side by side at the top of the page. Transpositions of these two row forms are given below. Reading from top to bottom, the rows are transposed up by semitones (E = I, F = II, … D# = XII) and labeled with Roman numerals (I–XII) on both the left and right sides. The row chart was notated in pen on 26-stave paper (J.E.&Co., No. 8a) that was cut in half to only 13 staves. On

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the verso side of this paper, the opening melodic line for the first movement (Marsch) of the Serenade is notated in pencil and bears the description: “op. 24 | I ca 20-tönige Reihe ? | as + b | fehlen!” [op. 24 first movement approx. 20-note row? A and B missing!]. The melody for the third movement (Variationen) of the Serenade is also notated in pencil with its inversion written just below. In the upper right-hand corner of this page is written: “nur der IV. Satz kann als | 12-Ton-Musik bezeichnet werden!” [only the fourth movement [of the Serenade] can be described as 12-tone music!]. 3 The annotations on the Second String Quartet, op. 10 are minimal.


“1,2,3 wiederholt (ohne Fortsetzung) siehe Hr. Takt vorher” [1, 2, 3 are repeated [without continuation] see horn in previous bar] Plate 4: Analysis of bars 16–21 from the first movement of Schönberg’s Quintet, op. 26 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien [F21.Berg.170])

annotated the Quintet with the twelve-tone row counts in colored pencils. To further support my claim that Schloß entered most of these twelve-tone annotations, I will discuss two additional analyses of Schönberg’s Quintet undeniably written by Schloß. Universal Edition Quelle 988 On permanent loan from Universal Edition, the Arnold Schönberg Center houses an analysis of Schönberg’s Quintet by Schloß. Labeled UEQ 988 this folder contains three documents: 1) a twelve-tone row chart; 2) Schloß’s analysis of only the exposition of the first movement; and 3) a six-page, handwritten document. Schloß wrote out all 48 forms of the row, including the retrograde, which he labeled as “K” and the retrograde inversion, labeled here as “KU.” (In addition, Schloß assigned each row with a Roman numeral 58

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from I to XII, included the letters O (Originalreihe), K (Krebs), U (Umkehrung), or KU (Krebsumkehrung), and assigned every note with a number from 1 to 12. Reading the chart from top to bottom, the rows are transposed down by semitones (E = I, D = II, … E = XII). Schloß’s analysis, which he labeled as an “Analytische Partitur” (Analytical Score), is written on seven leaves of 10-stave paper (Appendix). On the back of the first leaf Schloß wrote instructions to the engraver in pencil. The rest of the document consists of Schloß’s analysis for the exposition (bars 1–73) of the first movement. The score is notated by hand in pen and includes the labeling (I, II, III, etc.) and counting (1, 2, 3, etc.) of the twelve-tone rows. Since Schloß did not use colors to differentiate the various row statements, he enclosed Arabic numbers within different shapes, such as triangles, squares, and circles. The same analytical markings that appear in F21.Berg.170 are also included in UEQ 988. In bar 7, for instance, the letter “ W  ” appears, and in bar 19 the three pitches that were assigned brown numbers within orange circles are labeled with the same numbers but now analyzed with circles and diamonds. Schloß’s six-page, handwritten document is organized into two sections. In the first section, he provides explanations of his symbols and his analytical methodology. He begins by defining the four row types (O, U, K, and KU), explains his use of Roman numerals, and notes that Arabic numbers (1, 2, 3, etc.) pertain to the twelve pitches within a row. On page two, Schloß describes what it means when two or more symbols appear on a note: “If there are two or more characters on a note, then this note correspondingly belongs to many indicates the repetition rows.” He also explains the meaning of “ W  ”: “ W of groups of pitches, whose row is usually completely present already.” In the second section of this document, Schloß describes Schönberg’s compositional procedures for just the exposition of the first movement and concludes with “a few brief remarks about the other movements […].” A transcription and English translation of this document is provided in the Appendix to this essay. The circumstances surrounding Schloß’s analysis that was presumably intended for Universal Edition are not clear. Schloß states that his goal is to offer a “twelve-tone technical analysis” of the Quintet in order to truly understand Schönberg’s “composition with 12 tones only related to one another.” He cites publications by Erwin Stein (1924) and Felix Greissle (1925) in Musikblätter des Anbruch, but notes that “since these essays deal only with principle & general issues, they are not able to contribute much to a complete understanding” of Schönberg’s new compositional method.16 The amount of detailed information 16 Erwin Stein: Neue Formprinzipien, in Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (August–September 1924), 286–303. Felix Greissle: Die formalen Grundlagen des

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Bläserquintetts von Arnold Schönberg, in Musikblätter des Anbruch 7/2 (February 1925), 63–68.

Philip Stoecker: Analyses of Arnold Schönberg’s Serenade, op. 24 and Wind Quintet, op. 26 by Alban Berg and Julius Schloß


that Schloß included on his row chart suggests that this analysis was intended for general audiences. In addition, Schloß’s instructions to the engraver seem to indicate that his analytical project was being considered for publication. Perhaps Schloß was inspired by Berg’s thematic guides and analyses of Schönberg’s Pelleas und Melisande; the Chamber Symphony, op. 9; and the Gurre-Lieder, all three published by Universal Edition.17 It is worth noting that Schloß began working for Universal Edition in July of 1928 as a postal worker, and as Patricia Hall writes: “Berg entrusted him with collating the scores of Wozzeck, Der Wein, and the Lulu Suite, and to this end he was employed by Universal Edition.”18 Julius Schloss Collection Remarkably, there is another analysis of Schönberg’s Quintet by Schloß. This heavily annotated score is located in the Julius Schloss Collection at the Marvin Duchow Music Library in Montréal, Québec, Canada; hereafter referred to as SC118.19 Like F21.Berg.170, SC118 consists of twelve-tone row counts in colored pencils, the highlighting of pitch doublings, the identification of note-group repetitions with “ W  ”, and labeling pitches with multiple symbols that belong to two or more rows. A comparison of the two analyses, shown in Plates 5a and 5b, reveals that the handwriting is strongly similar and also shows that the color for most of the twelve-tone numbers appears to be alike. Moreover, the number of analytical annotations that were entered onto the score of the Quintet in SC118 exceeds the number of annotations on F21.Berg.170. A curious detail about SC118 concerns Schloß’s methodology for labeling the transpositions of the rows. An excerpt from the first movement of the Quintet demonstrates (Plate 6). In bar 90, the flute is given the first nine pitches of a row that Schloß originally labeled as “OVIII” in green pencil. Note that Schloß crosses out the “VIII” with a blue pencil and writes a “VI” near “O” and in the left-hand margin.20 This correction corresponds to how the rows are transposed. In Schloß’s row chart for Universal Edition, he originally transposed the rows down by semitones when reading the chart from top to bottom (E = I, D = II, … E = XII). For reasons that are not clear Schloß changed his approach 17 For a discussion of Berg’s analyses of Schönberg’s music, see: Pro Mundo – Pro Domo: The Writings of Alban Berg. Edited by Brian R. Simms (New York 2014). 18 In a letter to Berg on July 16, 1928, Schloß writes: “Vor 4 Tagen habe ich endlich von U.E. Arbeit bekommen, nur leider Postarbeit” (Four days ago I finally received work from U.E., unfortunately only mail work). Österreichische Nationalbibliothek,

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Wien (F21.Berg.1309/24, f. 1). See Patricia Hall: Two Sketches for Alban Berg’s Lulu, in The Rosaleen Moldenhauer Memorial: Music History from Primary Sources: A Guide to the Archives. Edited by Jon Newsom and Alfred Mann (Library of Congress 1999), 117. 19 SC118, Julius Schloss Collection, Marvin Duchow Music Library, Schulich School of Music, McGill University, Montréal, Québec.

20 The Arabic numbers in pencil in bar 94 appear to be in Berg’s hand. Schloß occasionally partitions row statements into three-note units indicated by brackets, such and K  . And note that above the as U symbol appears clarinet in bar 89 the W in green pencil. In F21.Berg.170, the music on this page is not analyzed.


Plate 5a: Analysis of the fourth movement of Schönberg’s Quintet, op. 26 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien [F21.Berg.170])

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Philip Stoecker: Analyses of Arnold Schönberg’s Serenade, op. 24 and Wind Quintet, op. 26 by Alban Berg and Julius Schloß


Flugblatt zum »Seminar für Komposition« an der Schwarzwaldschule (Arnold Schönberg Center, Wien [TBK 8] | ASCI TM3795)


Helmut Schmidinger

Schönbergs Bedeutung für die aktuelle Kompositionspädagogik

Meine erste Begegnung mit den pädagogischen Schriften Arnold Schönbergs liegt bereits einige Jahre zurück. Meine Klavierlehrerin an der Musikschule hat mir, als ich die Oberstufe besuchte, Schönbergs Harmonielehre zur Lektüre empfohlen, deren erster Satz »Dieses Buch habe ich von meinen Schülern gelernt«1 mich damals nachhaltig beeindruckte. Seit dieser Zeit begleitet diese Erkenntnis meine Sichtweise von Unterricht und schärft das Bewusstsein dafür, was Lehrende von Lernenden lernen können. Diese Perspektive erweitert das klassische Lehrer-Schüler-Verhältnis in Richtung einer gegenseitigen Bereicherung. Als ich im Jahr 2000 begann, eine Kompositionsklasse an einer Musikschule aufzubauen, war ich auf der Suche nach geeigneter Unterrichtsliteratur. Im Zuge meiner Recherchen stieß ich auf Schönbergs Buch Modelle für Anfänger im Kompositionsunterricht.2 Auch wenn dieses Werk für meine Zwecke nicht geeignet war, so hat es doch mein Interesse an Schönbergs pädagogischem Wirken geweckt und nach der Begegnung mit der Harmonielehre zur Neuent­ deckung Schönbergs geführt. 2013 wurde ich eingeladen, an der Kunstuniversität Graz ein Studium der Kompositions- und Musiktheoriepädagogik aufzubauen. Dabei gewann die Beschäftigung mit Schönbergs Unterrichtstätigkeit erneut an Aktualität und wurde zur Faszination. Im Zuge der Recherchen für meine Unterrichtstätigkeit bin ich auf ein sprachliches Bild Schönbergs gestoßen, das mich zum Format einer »Komponierwerkstatt« inspirierte, die 2016 das erste Mal am Arnold Schönberg Center, Wien, stattfand: »[…] könnte man beim Komponieren ebenso zuschauen lassen wie beim Malen, könnte es Komponierateliers geben wie es Malateliers gab […].«3

1 Arnold Schönberg: Harmonielehre. Leipzig, Wien 1911, p. V.

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2 Idem: Modelle für Anfänger im Komposi‑ tionsunterricht. Hrsg. von Rudolf Stephan. Wien 1972.

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3 Idem: Harmonielehre, s. Anm. 1, p. 2.


Abbildung 3: Arbeitsphase mit Interpretinnen im Rahmen der Komponierwerkstatt am Arnold Schönberg Center

Junge Komponistinnen und Komponisten werden eingeladen, sich mit einer Skizze eines Werkes für ein vorgegebenes Instrumentarium um einen Platz für ein Stipendium zu bewerben. Die räumlichen Möglichkeiten am Center – es stehen den jungen Komponierenden zwei getrennte Räume mit je einem Klavier sowie die Bibliothek als »stiller« Arbeitsraum zur Verfügung – ermöglichen eine Konzeption der Werkstatt, die durch einen Wechsel der Gruppengröße eine möglichst individuelle Betreuung bei gleichzeitiger Behandlung gemeinsamer Themen in der Gesamtgruppe erlaubt. Die Werkstatt findet in zwei aufeinander aufbauenden Arbeitsphasen statt. Im ersten Block erfolgt der Unterricht in der Gesamtgruppe mit allen 6 Stipendiatinnen und Stipendiaten alternierend zu Phasen des Kleingruppenunterrichts, in dem jeweils 3 Stipendiatinnen und Stipendiaten individuellen Arbeitsaufträgen nachgehen, während die anderen 3 Stipendiatinnen und Stipendiaten individuellen Kompositionsunterricht erhalten. In den Kleingruppenphasen stehen neben der Beschäftigung mit dem jeweils eigenen Werk auch Aufgaben zur Entwicklung des Handwerks auf dem Arbeitsprogramm wie z. B. eine für alle gleiche Instrumentationsaufgabe des Klavierstückes op. 19/6 aus der Feder von Arnold Schönberg für die durch die Werkstatt vorgegebene 129

Helmut Schmidinger: Schönbergs Bedeutung für die aktuelle Kompositionspädagogik


Fusako Hamao

Unveiling Arnold Schönberg’s Japanese Connection*

Among the 265 items in Erwin Stein’s collection Arnold Schoenberg Letters,1 Schönberg’s letter to Takatoshi Kyogoku, dated October 19, 1947, is the only correspondence that was sent to Japan. In the letter, Schönberg makes a statement intended for music lovers in postwar Japan, writing “if we expect appreciation of what we have achieved, we know our debt to our predecessors and want them to be included in our successes.” Other than the letter itself, however, we do not know anything about the correspondence. Who was Kyogoku and what were the surrounding circumstances? The first part of this essay focuses on Kyogoku’s encounter with Schönberg in Berlin in March 1931 and the communication that followed, examining articles by Kyogoku’s that were published in Japan and the correspondence of Schönberg that is archived at the Library of Congress in Washington, D.C. Schönberg’s interest in an employment opportunity in Japan is revealed; the composer heard about this from Wilhelm Furtwängler in July 1933 during his sojourn in Arcachon, France, as an exile from Nazi Germany. The second part of this essay investigates the origin of Furtwängler’s information and why this

* An earlier version of this essay was presented at the Pacific-Southwest Chapter of the American Musicological Society, Fall Meeting, on September 30, 2017. I would like to thank Philip Stoecker for reading the manuscript of this essay and for his invaluable suggestions. All translations (German to English and Japanese to English) in this essay are mine unless otherwise noted. For the Romanization of Japanese words in the main text of this essay, I adopt the “Hepburn system” because Kyogoku employed this system to spell his own name and address in his communication with Schönberg. For the Japanese words appearing in the notes of this essay,

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hereafter, I use the “American Library Association-Library of Congress (ALA-LC) Romanization Table” to be consistent with their catalog. For example, since “Kyogoku” is spelled “Kyōgoku” with the macron that indicates a long vowel in the ALA-LC system, it is spelled Kyōgoku in my notes. As exceptions, I maintain the original spelling of proper nouns in the notes, such as Osaka Mainichi Shimbun (Ōsaka Mainichi Shinbun in the ALA-LC system) and Tokyo Music School (instead of Tōkyō Music School), which have been widely recognized, and titles of articles and books whose spellings were determined by their authors.

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1 The Library of Congress, Washington D.C., Music Division (Arnold Schoenberg Collection) | ASCC ID 4568. Published in Arnold Schoenberg: Letters. Edited by Erwin Stein (London 1964), 248–249. This letter, which had not been included in the German edition (Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe. Edited by Erwin Stein [Mainz 1958]), was added in the English edition as one of Schönberg’s fifteen letters that were originally written in English.


opportunity ultimately did not materialize by studying additional sources such as the correspondence of Wilhelm Solf – a former German ambassador to Japan under the Weimar Republic – that is deposited at the Federal Archives in Koblenz, Germany. By comparing Kyogoku’s articles with source documents available in the West and Japan, which complement each other, this study will attempt to shed light upon Schönberg’s Japanese connection, a connection that has until now never been explored. Arnold Schönberg Through the Eyes of Takatoshi Kyogoku Takatoshi Kyogoku (1900–1974) was born in Tokyo, Japan, as Eigo Kato, the fifth son of Baron Terumaro Kato, a physician to the Emperor of Japan.2 Born to a father who had studied medicine in Germany, Kato was exposed to Western culture growing up.3 At Gakushuin, the school designated for the children of nobility, Kato played viola in a school orchestra and also took vocal lessons. After graduating from Tokyo Imperial University with a degree in Economics, Kato worked as a political writer at the Tokyo Nichi Nichi Shimbun (now Mainichi Shimbun) before working for Yomiuri Shimbun, both major Japanese newspapers. Between October 1930 and April 1932, he traveled to major cities in Europe and the United States as a music correspondent for the Tokyo Nichi Nichi Shimbun. Kyogoku viewed himself more as a music journalist than a critic, and tried to inform his readers about public performances of musicians that he saw or heard without attempting any aesthetic evaluation. In May 1934, he married and changed his name to “Eigo Kyogoku”, and two years later he inherited the title of viscount from his father-in-law. In 1937, Kyogoku retired from the Yomiuri Shimbun to work for the Cabinet Information Division, and was involved in the operation of a government-sponsored competition for selecting a patriotic march song. He was elected to the House of Peers in July 1939, and changed his first name to “Takatoshi” the following year. After the end of World War II, the House of Peers as well as the peerage system were abolished when the Constitution of Japan was enacted in May 1947. While working as a music journalist, Kyogoku held various posts: director of NHK (Japan Broadcasting Corporation) and a committee member for the 1964 Tokyo Olympics were among them.

2 Regarding Kyōgoku’s biography, see Takahisa Furukawa: Kyōgoku Takatoshi no shisō to kōdō: shōwa chūki no seiji to ongaku [Thought and Behavior of Kyōgoku Takatoshi: Politics and Music in War-time

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Japan], in Gunji shigaku [The Journal of Military History] 44/2 (September 2008), 4–21.

3 Terumaro Katō studied pediatrics and immunology in Berlin and Munich between 1884 and 1888. See Who’s Who Hakushi in Great Japan 1888‒1922. Vol. II. Edited by Kurō Iseki (Tōkyō 1922), 90.


Plate 1: Kyogoku’s letter to Schönberg written after the end of World War II (item 1 of Table 1) (The Library of Congress, Washington D.C., Music Division [Arnold Schoenberg Collection] | ASCC ID 4568)

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Fusako Hamao: Unveiling Arnold Schönberg’s Japanese Connection


Abbildung 1: Arnold Schรถnberg, 1920 (Arnold Schรถnberg Center, Wien | ASCI PH1200)

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Therese Muxeneder

Arnold Schönbergs Konfrontationen mit Antisemitismus (III)*

Arnold Schönberg teilte mit vielen seiner jüdischen Zeitgenossen im deutschsprachigen Raum die Kollektiverfahrung von »Dissoziation« und »Identitätskrise«1. Jahrzehntelange Konfrontationen mit Antisemitismus, existenzielle Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, weltanschauliche Sinnsuche sowie die ästhetische Erforschung spiritueller Themen in den 1910er Jahren begleiteten den Prozess von Schönbergs Fokussierung auf seine jüdische Identität. Ein Prozess, der zwischen den Polen Konversion (1898), innerer Rekonversion (1921) und schließlich offizieller Rückkehr in die jüdische Religionsgemeinschaft (1933) aufgespannt werden kann. In Notizen zu einer Ansprache, die Schönberg im Oktober 1934 im Kalifornischen Exil hielt, fasste er seine »Lebensgeschichte« in die Stichworte »Assimilant | Nachlassen des Glaubens | Glaube an Cultur | Glaube an Schutz für Leistungen«.2 Seine Haltung zum Judentum hatte zwischen 1916 und 1921 eine deutliche Profilierung erfahren, welche nach eigenem Bekunden von einem Zusammengehen elementarer Erkenntnisse angestoßen wurde: Scheitern von Liberalismus, Sozialismus und Pazifismus; »Wahn des Internationalismus«; »Unhaltbarkeit der Assimilationsversuche«;3 Unterschätzung der Macht von Feinden aus inneren jüdischen Reihen; Zersplitterung bzw. Uneinigkeit des Judentums4; Abkehr vom Glauben sowie Antisemitismus. * Der vorliegende Beitrag setzt die im Journal of the Arnold Schönberg Center 14/2017 sowie 15/2018 publizierten Teile I und II fort und ist den Jahren 1918 bis 1923 gewidmet. Aufgrund neuer Quellenfunde wird die ursprünglich auf drei Teile konzipierte Beitragsserie in dieser Publikationsreihe in noch unbestimmtem Umfang erweitert. 1 Dagmar Lorenz: Wiener Moderne. Stuttgart, Weimar 22007, p. 144 (Sammlung Metzler 290).

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2 Arnold Schönberg: Rede am 7. Oktober (1934) (ASSV 6.1.24.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T15.04]). Die Stichworte waren für eine Ansprache vor der MAILAMM-Organisation notiert, die Schönberg schließlich am 9. Oktober 1934 hielt, inhaltlich jedoch noch abänderte: At a reception: Driven into the Paradise (1934) (ASSV 6.2.3.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T18.04]). 3 Arnold Schönberg an Stephen Wise, Rabbiner an der Free Synagogue in New York, 12. Mai 1934 (American Jewish Archives, Jewish Institute of Religion,

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Cincinnati [Stephen S. Wise Collection] | ASCC ID 2688); veröffentlicht in: E. Randol Schoenberg: Arnold Schoenberg and Albert Einstein: Their Relationship and Views on Zionism, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 10/2 (November 1987), p. 134–191, hier p. 162. 4 Vgl. hierzu die Ausführungen Arnold Schönbergs im Zusammenhang eines 1934 in den USA formulierten Programms für eine jüdischen Einheitspartei: Jewish United Party / Parti Unique des Juifs / Jüdische Einheitspartei (1934) (ASSV 6.1.25.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T15.04]).


würden: Walther Rathenau (Politik), Albert Einstein (Naturwissenschaft), Arnold Schönberg (Musik/Künste). In diese Überlegungen musste ganz wesentlich die Beobachtung vergangener und gegenwärtiger antisemitischer Übergriffe hineinspielen, welchen jene Vordenker (wenngleich unterschiedlich gewichtet) in einem engen Zeitfenster der jüngeren deutschen Geschichte zwischen Ermordung (Rathenau) und Bedrohungsszenarien der Vertreibung/Auslöschung (Einstein, Schönberg) ausgesetzt waren. Schönbergs Brief an Wassily Kandinsky vom 4. Mai 1923 zieht aus diesem Erfahrungshorizont ebenso logische wie schonungslose Konsequenzen, worin er sich als realitätsnaher Analyst und Antizipator zeitnah kommender Entwicklungen erweisen sollte. – Die gegenüber Kandinsky beschworenen Bartholomäusnächte waren für Schönberg spätestens seit Rathenaus Ermordung in der Realität eingelöst worden. Die folgenden Jahre sollten in Alltag und Kulturleben eine Zuspitzung der Situation des Juden Arnold Schönberg bringen, zumal rassische Fragestellungen auch verstärkt in das Zentrum musikbezogener Veröffentlichungen treten werden. Die Reibungspunkte von (jüdischer) Moderne und deutschvölkischer Weltanschauung werden mehr und mehr zu einer Polarisierung in der Diskussion über den deutschen Kulturbegriff beitragen, bis zu jenem Punkt, da Schönberg in der Öffentlichkeit schließlich als Personifikation des »Untermenschen«180 stilisiert und diskreditiert wird.

180 Richard Eichenauer: Der Untermensch auf der Opernbühne, in: Die Sonne (November 1930), p. 507.

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Anhang: Arnold Schönberg und die »judenreine« Sommerfrische in Mattsee

A. Ein Augenzeugenbericht Felix Greissle: Die Anfänge der Komposition mit zwölf Tönen. Vortrag, gehalten im Schönberg-Haus in Mödling, 22. Juli 19791 […] und wie er [Schönberg] [aus Holland] zurückkam – er wurde dort sehr generös behandelt – hatte er zum ersten Mal seit langer Zeit etwas Geld und wollte sich wirklich ein großes Sommervergnügen verschaffen und ging nach Mattsee mit uns, wohin er eine ganze Anzahl von Schülern nahm; das ist mehr für die Musikologen, die aufgeschrieben haben, wer daran teilnahm – ich muss sagen, ich weiß es nicht genau, ich habe nur die, an die ich mich bestimmt erinnere. – Es ist aber eines der wichtigsten Dinge mit Schönberg, dass er sich immer mit Schülern umgeben hat; […] Es waren damals mit: [Josef] Rufer, den ja alle kennen: und ein Mann mit dem Namen [Julius] Toldi, ich weiß nicht … ich habe ihn nie wieder gesehen – ursprünglich ein Schneidergeselle, der sehr musikalisch war, den Schönberg aufgenommen hat als Schüler 2; [Walter Herbert] Seligman, der in den letzten Jahren als Schüler bei Schönberg war; Othmar Steinbauer, der ja ein bekannter Wiener war; [Rudolf] Kolisch, [Anton] Webern und [Alban] Berg kamen auf Besuch; [Fritz] Kaltenborn, [Hanns] Eisler, [Karl] Rankl, [Max] Deutsch und Cort van der Linden und mich eingeschlossen.3 Es ist dann in Mattsee – das nördlich von Salzburg ein kleines Nest war, sehr idyllisch gelegen, mit einem schönen See – zu antisemitischen Äußerungen gekommen; es wurde stark übertrieben von der »Neuen Freien Presse« [→ p. 246 und 251], es wurde ein Bericht gemacht, der sehr journalistisch gehalten war, und viele dieser Dinge sind in Wirklichkeit nicht vorgekommen; Schönberg war nur äußerst empfindlich, und wenn wir spazieren gingen, hat man uns nachgerufen – diese gewissen Ausdrücke. Daraufhin sind dann Kaltenborn und ich und, ich glaube, Cort van der Linden zum Bürgermeister von Mattsee [Franz Gruber] gegangen; der hatte sich herausgestellt als ein wohlbestallter Landwirt mit einem sehr guten Gasthaus [Mitterhof], der ein bescheidener, aber sehr unsicherer Mann war, anscheinend viel von seinen Gemeinderäten abhing und uns sagte, »Das ist leider der Fall hier, ich weiß, es ist gegen das Gesetz« usw., »aber ich schlage Ihnen vor, dass ich ein paar Gemeinderäte einlade und

1 Umschrift einer Tonbandaufnahme (Arnold Schönberg Center, Wien [Felix Greissle Collection]). Die Transkription wird an dieser Stelle hinsichtlich der darin teils fehlerhaft übertragenen Namen sowie orthographisch geringfügig korrigiert.

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2 Darauf bezieht sich Schönberg in seinem Brief an Felix Greissle vom 26. März 1946: »Erinnerst du dich an Julius Toldi, der 1921 im Sommer mit uns in Mattsee war, als mein Schüler.« (Durchschlag; The Library of Congress, Washington D.C., Music Division [Arnold Schoenberg Collection] | ASCC ID 4315).

Therese Muxeneder: Arnold Schönbergs Konfrontationen mit Antisemitismus (III)

3 Einige der Genannten hielten sich Juni/Juli 1921 nicht in Mattsee auf. Eisler, Kolisch, Rankl und Webern besuchten Schönberg später in Traunkirchen. Alban Berg reiste weder nach Mattsee noch nach Traunkirchen. Siehe die nachfolgend wiedergegebenen Korrespondenzen.


dass wir uns das besprechen«. Wir kamen am nächsten Tag und die Gemeinderäte waren dort; es ist alles sehr nett gewesen bis auf einen Anwalt von Mattsee [Notar Ernst Graß?], ein Gemeinderat, ein ausgesprochener Deutsch-Nationaler, der uns ziemlich unangenehme Dinge gesagt hatte … »Was heißt, das ist ein berühmter Mann? Das steht alles in den Zeitungen« … und solche Sachen. Wir hatten das Schönberg berichtet, und darauf sagte er: »Ich bleibe nicht einen Tag länger hier, wir gehen weg.« Wir gingen nach Salzburg, wo wir, alle Schüler, die Gäste von Familie Ott waren; [Max] Ott war Bürgermeister von Salzburg – eine hoch gebildete Familie –, der dann auch den Ratschlag gab, nach Traunkirchen zu gehen. [Josef] Rufer wurde vorausgeschickt, und es war alles in Ordnung nach zwei bis drei Tagen. Wir gingen nach Traunkirchen und wurden wirklich großartig empfangen von Baronin [Anka von] Löwenthal [Maroičić] und Baron [Hermann] Roner – die Familie, die großen Anteil an den Steyr-Werken hatte, und Schönberg verbrachte dort eine sehr glückliche Zeit. […] Er war sehr glücklich, denn er hatte schon in Mattsee gesagt: »Jetzt passiert mir das mit diesen Geschichten, und ich hab’ so etwas Wichtiges vor!« Und das war das zweite Mal [Greissle nennt zuvor die Serenade op. 24], dass er anscheinend schon ziemlich weit mit der Zwölftonkomposition war.

Felix Greissle: Arnold Schoenberg – Versuch eines Porträts, ohne Datum4 Als es in Mattsee zu den antisemitischen Äußerungen der Bürger gegen Schönberg kam, versuchten wir Schüler dagegen – allerdings erfolglos – beim Bürgermeister Abhilfe zu veranlassen.

B. Sommer 1921 im Spiegel der Korrespondenz Arnold Schönberg an Emil Hertzka, 4. Juni 19215 Lieber Herr Direktor, ich hatte nicht mehr die Zeit, Sie vor meiner Abreise aufzusuchen, so teile ich Ihnen mit, dass ich vorgestern abends erst angekommen, bereits an der Harmonielehre arbeite und mich auch schon mit der Jakobsleiter zu befassen anfange. Ich hoffe es wird gut gehen. Einstweilen etwas langsam, aber mein Tempo wächst rasch. […] Ich grüße Sie herzlichst. Besuchen Sie mich.

4 Typoskript, p. 187 (Arnold Schönberg Center, Wien [Felix Greissle Collection]).

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5 Arnold Schönberg Center, Wien (Universal Edition Collection) | ASCC ID 7046.


Abbildung A1: Mattsee, Villa Nora (The Library of Congress, Washington D.C., Music Division [Arnold Schoenberg Collection] | ASCC ID 16376)

Arnold Schönberg an die Universal-Edition, 6. Juni 19216 Arnold Schönberg Mattsee No56 Salzburg […] Ich hoffe sehr bald eine Partie meiner Harmonielehre […] senden zu können; vielleicht schon Ende dieser Woche. – Hier ists sehr schön. Ich bin sehr zufrieden.

Arnold Schönberg an Alexander Zemlinsky, 6. Juni 19217 Erst vorgestern hier angekommen | kann unmöglich so rasch Reisevorbereitungen treffen. Habe auch dringende Arbeiten.

6

Ibidem | ASCC ID 7252.

7 The Library of Congress, s. Anm. 2 | ASCC ID 120; veröffentlicht in: Alexander Zemlinsky: Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz

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Schreker. Hrsg. von Horst Weber. Darmstadt 1995, p. 225 (Briefwechsel der Wiener Schule 1). Antwort auf eine kurzfristige Einladung Zemlinskys zur Reise nach Prag anlässlich einer Aufführung der Gurre-Lieder am 9. und 10. Juni 1921.

Therese Muxeneder: Arnold Schönbergs Konfrontationen mit Antisemitismus (III)



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