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Herausgegeben von Eike Feß und Therese Muxeneder Arnold Schönberg Symposium Arnold Schönberg Center, 12.–14. Oktober 2017 Kooperation Arnold Schönberg Center und Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg und die Wiener Schule am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Ausgewählte Beiträge Cover: Arnold Schönberg, Berlin, ca. 1930 Mit Unterstützung von
Impressum Medieninhaber und Verleger: Arnold Schönberg Center Privatstiftung FN 154977h; Handelsgericht Wien Für den Inhalt verantwortlich: Angelika Möser, Direktorin Schwarzenbergplatz 6 A-1030 Wien www.schoenberg.at
Cover und Gestaltungskonzept: Bohatsch und Partner GmbH, Wien Satz und graphische Realisierung: Forte OG, Thomas Stark Herstellung: Grasl FairPrint, www.grasl.eu Koordination Druck: Edith Barta Redaktionelle Mitarbeit: Franziska Brunner © Arnold Schönberg Center Privatstiftung, Wien, 2018 ISBN 978-3-902012-24-1
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Inhalt
Vorwort 7 Jürg Stenzl Interpretationsgeschichte der »Wiener Schule«? Eine Spurensuche
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Eike Feß Aufführungspraxis der Wiener Schule im Verein für musikalische Privataufführungen
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Thomas Glaser »performing with the imagination of the whole« Rudolf Kolisch und das Pro Arte Quartett
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Lars E. Laubhold Eduard Steuermann als Schönberg-Interpret Zu den Tondokumenten der Sechs kleinen Klavierstücke op. 19
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Hella Melkert »… so dass am Schluss in den ganzen Saal von allen Seiten Musik strömt.« Der Raumklang in Arnold Schönbergs Jakobsleiter 83 Federica Di Gasbarro »Berlin 1909–10«. Von Schönberg zu Varèse ... und zurück Fragmente zu einer transatlantischen Geschichte der »atonalen Moderne«
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Therese Muxeneder Arnold Schönbergs Konfrontationen mit Antisemitismus (II)
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Áine Heneghan Schönberg’s Fundamentals of Musical Composition A Source Study
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Elizabeth L. Keathley Marion Bauer, Twentieth Century Music, and Schönberg Reception in America
191
Claudia Maurer Zenck Der mühsame Weg zur konzertanten Uraufführung von Moses und Aron in Hamburg
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Daniel Ender »Kostbar[,] unersetzlich, Platte!« Zum Bestand historischer Tonträger in der Alban Berg Stiftung
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Vorwort
Das Journal of the Arnold Schönberg Center präsentiert ausgewählte Referate des im Oktober 2017 am Arnold Schönberg Center in Wien veranstalteten Symposiums, das für thematisch ungebundene Einreichungen zu Schönberg und seinem Umfeld offen stand. An der in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg und die Wiener Schule am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien veranstalteten Tagung nahmen ReferentInnen aus sechs Ländern teil, die mit ihren Beiträgen ein breites Spektrum aktueller Forschungsprojekte abbildeten. Diese reichen von kulturhistorischen, quellenorientierten und analytischen Ansätzen bis hin zu Fragen der Aufführung sowie der Schönberg-Rezeption. Die Diskussion grundlegender Fragestellungen und Forschungsdesiderate zur Theorie und Praxis der Aufführung in der Wiener Schule bildeten den Auftakt für einen mehrjährigen Arbeits- und Forschungsschwerpunkt am Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg und die Wiener Schule. Rückblickend auf die Rezeptions- wie Interpretationsgeschichte der Wiener Schule gibt Jürg Stenzl am Beginn einen umfassenden Überblick zum Forschungsstand der Thematik. Zahlreiche Aufführungsmaterialien aus Schönbergs Nachlass sind als ehemalige Bestände des »Vereins für musikalische Privataufführungen« gekennzeichnet. Zumeist reich annotiert, treten Ergänzungen zu Dynamik, Artikulation, Phrasierung oder Zeitstruktur dem heutigen Betrachter als Spuren einer Aneignung im Geiste der Aufführungspraxis der Wiener Schule entgegen. Das internationale und stilistisch heterogene Repertoire forderte von den Beteiligten, sich auf unterschiedliche musikalische Horizonte einzulassen. In seinem Beitrag stellt Eike Feß (Mitherausgeber und Archivar am Arnold Schönberg Center) interpretatorische Konzepte zu Werken aus dem ästhetischen Umfeld der Wiener Schule der Arbeit an Claude Debussys Nuages aus den Trois Nocturnes gegenüber, deren Aufführung in einer Fassung für zwei Klaviere vom Vortragsmeister Arnold Schönberg betreut wurde. 7
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Als einer der Hauptvertreter der Aufführungspraxis der Wiener Schule ist Rudolf Kolischs Wirken in zahlreichen Schriften und Tonaufnahmen dokumentiert, deren Schwerpunkt neben dem Schaffen Schönbergs und seiner Weggefährten auf den Streichquartetten Ludwig van Beethovens liegt. Thomas Glaser stellt Kolischs theoretisch fundierte Gedanken zur Interpretationspraxis einem 1946 entstandenen Radiomitschnitt von Beethovens Streichquartett Es-Dur op. 127 mit dem Pro Arte Quartett gegenüber und legt dar, wie analytische Erkenntnisse in Spielpraxis münden können. Einem anderen Exponenten der Schönberg-Schule widmet sich Lars E. Laubhold: in Detailanalyse untersucht er die Tempostruktur verschiedener Aufnahmen des ersten aus Schönbergs Sechs kleinen Klavierstücken op. 19 durch Eduard Steuermann. Dabei wird offenbar, mit welch erstaunlicher interpretatorischer Konstanz sich der Pianist dem Schaffen seines Lehrers im Laufe seines Lebens widmete. In wohl dosiertem Phrasierungsrubato hebt sich sein Ansatz von Vergleichseinspielungen des Stücks ab und setzt Paradigmen der Aufführungspraxis der Wiener Schule in Klang. Schönbergs Jakobsleiter gehört zu den frühesten und bedeutendsten Dokumenten einer vielschichtig auskomponierten Raummusik in der musikalischen Moderne. Hella Melkert nimmt das Werk als Ausgangspunkt für eine Spurensuche nach raummusikalischen Konzepten in der Musikgeschichte. Beginnend mit dem für Schönberg nachweislich bedeutenden Schaffen Gustav Mahlers und Richard Wagners reicht ihre Recherche vom späten 18. Jahrhundert über die Zeit des Barock bis hin zur Musik der Spätrenaissance und entfaltet ein faszinierendes Netz an Bezügen. Als Schüler und Vertrauter Ferruccio Busonis erlangte Edgard Varèse in seiner Berliner Zeit Kenntnisse über Schönbergs jüngste kompositorische Entwicklungen. Harmonische Neuerungen etwa in den Drei Klavierstücken op. 11 deutet Varèse zum verbindlichen System einer chromatischen Harmonik um. Sein persönliches Partiturexemplar der Fünf Orchesterstücke op. 16 weist Eintragungen auf, die er in seinem Werk Amériques vom bloßen Zitat zur strukturtragenden Tonkonstellation weiterentwickelt. Federica di Gasbarro demonstriert, wie die systematische Abstraktion des Tongehalts auch neue Perspektiven auf Schönbergs eigenes Denken, insbesondere im Kontext des Prinzips der »Entwicklung durch Variation« zulässt. Auf drei in Folge erscheinende Teile ist der Beitrag von Therese Muxeneder (Mitherausgeberin und Archivarin am Arnold Schönberg Center) angelegt, welcher Schönbergs Konfrontation mit Antisemitismus von seiner Jugend in Wien bis 1900, über die Jahre bis einschließlich Erster Weltkrieg, das Jahrzehnt vor seiner Emigration in die USA bis zum Nationalsozialismus nebst eines Ausblicks auf die Nachkriegsjahre nachvollzieht. Auf Basis einer weitreichenden Auswertung zeitgenössischer Publizistik, Briefe, Dokumente 8
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und Schriften entfaltet sich entlang der biographischen Leitlinie ein breites historisches Panorama, das über die bekannten Fakten hinaus auf eine Fülle von bislang unbeachteten antisemitischen Konstellationen bzw. Konfrontationen in Schönbergs Vita hinweist. Seit 1967 liegt Schönbergs Fundamentals of Musical Composition in der Fassung seiner ehemaligen Assistenten Gerald Strang und Leonard Stein vor. Áine Heneghan widmet sich erstmals systematisch dem umfassenden Quellenmaterial, das in unterschiedlichen Sammlungen am Arnold Schönberg Center bewahrt wird. Ihre Chronologie erläutert Entstehungsprozesse der Texte, enthüllt Schönbergs Pläne einer umfassenden Kompositionslehre und gibt Einblicke zur Neuedition des Textes als Rekonstruktion seiner ursprünglichen Konzeption. Elizabeth L. Keathley untersucht die Rolle der Komponistin und Universitätsprofessorin Marion Bauer für die Verbreitung von Schönbergs Schaffen in den Vereinigten Staaten. Mit ihrem in wiederholter Auflage publizierten Buch Twentieth Century Music leistete Bauer nicht nur einen wichtigen Beitrag zur musikalischen Laienbildung, sondern bot mit zahlreichen Notenbeispielen auch Komponisten und Musikern einen konkreten Zugang zu den damals noch schwer zugänglichen Werken. Schönbergs Oper Moses und Aron ist heutzutage ein Repertoirestück und wird regelmäßig an den großen Opernhäusern der Welt gespielt. Zur ersten konzertanten Aufführung war es allerdings ein steiniger Weg, der im Beitrag von Claudia Maurer Zenck minutiös rekonstruiert wird: von der aufwändigen Herstellung des Materials, maßgeblich unterstützt durch Hermann Scherchen, über die Probenarbeit unter Beteiligung von Schönbergs ehemaligem Schüler Winfried Zillig bis hin zur Aufführung durch den Dirigenten Hans Rosbaud. Den Abschluss bildet ein Forschungsbericht von Daniel Ender, der sich als Leiter der Abteilung Wissenschaft und Kommunikation der Alban Berg Stiftung in Wien mit Tondokumenten von Werken Schönbergs und Bergs auseinandersetzt, die im historischen Arbeitszimmer Alban Bergs in der Trauttmansdorffgasse sowie dem Kärntner Waldhaus aufgefunden wurden. Neben OperettenAuszügen und Unterhaltungsmusik zählen zu den Fundstücken Auszüge von Schönbergs Sechs kleinen Klavierstücken op. 19 mit Julius Schloß, zwei Platten mit Versuchsaufnahmen des Berliner Rundfunks von Pierrot lunaire op. 21 unter dem Dirigat Arnold Schönbergs sowie eine Aufzeichnung von Bergs Vier Stücken für Klarinette und Klavier op. 5 mit Friedrich Wildgans und Olga Novakovic aus dem Jahr 1943. Eike Feß und Therese Muxeneder Wien, im September 2018
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Vorwort
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ASCI (Arnold Schönberg Center Image Archive) Das Bildarchiv umfasst unterschiedliche Sammlungsbereiche des Archivs am Arnold Schönberg Center, Wien, darunter Fotografien, Lehrmaterialien, Adresskarteien, Konzertprogramme etc. Quellenangaben erfolgen mit einer jedem Objekt eindeutig zugeordneten Signatur. The image archive contains documents from the various Archive collections, including photographs, teaching materials, address files, concert programs, etc. Source citation has a call number that is clearly assigned to each item. ASCC ID (Arnold Schönberg Center Correspondence ID) Die Briefdatenbank erfasst die Korrespondenz Arnold Schönbergs. Den einzelnen Korrespondenzstücken sind eindeutige ID-Nummern zugeordnet, unter denen neben Standort und Publikationsnachweisen in vielen Fällen auch Digitalisate zugänglich sind. The correspondence database contains the correspondence of Arnold Schönberg. ID nos. have been clearly assigned to the individual pieces of correspondence; in many cases both location and publication details, and also digital copies are available. ASSV (Arnold Schönberg Schriftenverzeichnis) Für Schönbergs Schriften werden nur bei unmittelbarer Bezugnahme auf Originalquellen Signaturen angezeigt. In allen anderen Fällen erfolgen Quellenangaben mit Originaltitel und ASSV-Nummer sowie ggf. mit Titel der Zitatquelle bzw. der zitierten Übersetzung. Digitalisate sind über die Schriftendatenbank des Arnold Schönberg Center zugänglich. For Schönberg’s writings, call numbers are only given if there is a direct reference to original sources. In all other cases, source citations are given with the original title and ASSV number and also where appropriate with the title of the citation source or the cited translation. Digital copies can be accessed via the Arnold Schönberg Center database of Schönberg’s writings. Topographie des Gedankens. Ein systematisches Verzeichnis der Schriften Arnold Schönbergs, vorgelegt von Julia Bungardt und Nikolaus Urbanek. Unter Mitarbeit von Eike Feß, Hartmut Krones, Therese Muxeneder und Manuel Strauß, in: Arnold Schönberg in seinen Schriften. Verzeichnis, Fragen, Editorisches. Hrsg. von Hartmut Krones. Wien, Köln, Weimar 2011, p. 331–607 (Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 3).
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Jürg Stenzl
Interpretationsgeschichte der »Wiener Schule«?
Eine Spurensuche
Reinhard Kapp war gerade einmal seit einem Jahr in Wien tätig, als er für das Wintersemester 1993/4 »Aufführungsgeschichtliche Fallstudien I: Rudolf Kolisch« ankündigte; weitere zehn derartige »Fallstudien« sollten bis zum Sommersemester 2012 folgen, darunter solche über Mahler, Schönberg, Webern und »Die Geschichte des Dirigierens«. Entscheidend für die nicht-Wiener und nicht-mehr Studierenden war jedoch das im April des Folgejahres im Wiener Konzerthaus organisierte Colloquium, dessen Vorträge und Diskussionen sieben Jahre später von Reinhard Kapp und Markus Grassl als voluminöser Band Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule1 erschienen. Es ist keine Übertreibung, die 21-seitige Einleitung der beiden Herausgeber als einen der grundlegenden Texte sowohl der Rezeptions- wie der Interpretationsgeschichtsforschung zu bezeichnen, der zu jener Zeit erschien, in der eine eigenständige musikalische Interpretationsgeschichte (im Unterschied zu einer »Lehre«, auch einer Geschichte von »Aufführungspraktiken«) Gestalt anzunehmen begonnen hatte. Heute, knapp ein Vierteljahrhundert nach diesem Konvolut, in dem erstmals eine in neuer Perspektive dargestellte »Wiener Schule« im Mittelpunkt stand, erscheint es sinnvoll, zu Beginn eines weiteren Colloquiums zu neuen Geschichten, zunächst auf diese Paradigmenerweiterung innerhalb der Musikgeschichtsforschung Rückblick zu halten und, daran anschließend, einen Ausblick auf die sich heute stellenden Fragen zu versuchen.
1 Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule. Verhandlungen des Internationalen Colloquiums Wien 1995. Hrsg. von Markus Grassl und Reinhard Kapp. Wien, Köln, Weimar 2002 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 3).
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Vgl. die Rezension von Gerhard Scheit: Democratic Principles of Playing Schönberg. Über die Lehre der musikalischen Aufführung der Wiener Schule, in: Zwischenwelt 22/1–2 (2005), p. 23 f.
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Abbildung 5: Arnold Schönberg. Die Jakobsleiter (1920) Catalogue raisonné 185
Swedenborgs Himmel angelangt ist: zwischen oben und unten, links und rechts gleichsam schwebend auf der Jakobsleiter. Bemerkenswert erscheint vor allem noch, dass die titelgebende Jakobsleiter im Oratorientext gar nicht auftaucht.77 Sie ist ausschließlich in der Musik greifbar – präziser: in der allmählichen Entfaltung des musikalischen Raumklangs, wenn »in den ganzen Saal von allen Seiten Musik strömt.«
77 Und es führt wohl nicht zu weit, in diesem »Aussparen« des Bilds von der Jakobsleiter eine wesentliche Dimension des für Schönberg ab jetzt immer wichtiger werdenden jüdischen Denkens und Glaubens erkennen zu wollen, als latenten Hinweis auf das für ihn so wichtige Bilderverbot; vgl. Richard Kurth: Schönberg and the »Bilderverbot«. Reflections on
»Unvorstellbarkeit« and »Verborgenheit«, in: Arnold Schönberg und sein Gott | and His God. Bericht zum Symposium | Report of the Symposium 26.–29. Juni 2002. Hrsg. von Christian Meyer. Wien 2003, p. 332–372, insbesondere p. 363–366 (Journal of the Arnold Schönberg Center 5/2003); Kurth deckt die Bedeutung des Bilderverbots für das Textbuch der Jakobsleiter auf.
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Federica Di Gasbarro
»Berlin 1909–10« Von Schönberg zu Varèse … und zurück Fragmente zu einer transatlantischen Geschichte der »atonalen Moderne«
Zu Beginn von Amériques (1918–21/1929) exponiert die Altflöte solo ein archai sierendes Motto. Nach einer kurzen Atempause und vor dem Hintergrund eines perkussiven Harfenostinatos antworten drei kurze melodische Einwürfe des Fagotts auf die Wiederholungen des Flötenmotivs. Durch Beschleunigungen innerhalb des Motivs wird die Spannung bis zu dessen siebter Wiederkehr gesteigert, die ihrerseits aufgrund eines plötzlichen a tempo die Funktion einer Reprise annehmen könnte. Stattdessen gipfelt die Phrase im achten Takt kadenz artig in einem durch und durch chromatischen fortissimo-Einsatz des restlichen Orchesters. Als Modell für diese Abschlussgeste hat Varèse die Takte 5–6 aus Arnold Schönbergs Peripetie, dem vierten der Fünf Orchesterstücke op. 16 (1909) herangezogen. Der Zitatcharakter wird allerdings aufgrund der semantischen Funktion einer peripeteia aufgehoben: Durch den dramaturgischen Umschwung und die unwiderrufliche Umkehrung des Verhältnisses zwischen den beiden Protagonisten – Diatonik in der Altflöte und Chromatik im Fagott, wie auch im abschließenden Takt, inszeniert der Komponist außerdem seine eigene musikgeschichtliche anagnorisis: den Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis, entsprechend jenem »therapeutic shock«, den der kräftigende Einfluss [»invigorating influence«]1 des atonalen Schönberg auf die Komponistengeneration seiner Jugend ausgeübt hatte. Die in diesem Satz in nuce enthaltene Dialektik erhebt Varèse zum wahren harmonischen Paradigma für sein gesamtes Werk.
1 Edgard Varèse: Twentieth-Century Tendencies in Music. 30teilige Vortragsreihe an der Columbia University, Juli–August 1948. Alle hier verwendeten Quellen zu Varèse stehen in seinem Nachlass in der Paul Sacher Stiftung (Basel) der Forschung zur Verfügung. Hier sei für ihre freundliche Unterstützung während
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meiner Untersuchung, wie auch für die Genehmigung zum Abdruck der Dokumente insbesondere Felix Meyer und Michèle Noirjean gedankt. Alle Verweise auf Dokumente aus der Sammlung Edgard Varèse sind im Folgenden durch das Kürzel SEV gekennzeichnet.
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Abbildung 1a: Arnold Schönberg: Fünf Orchesterstücke op. 16, Skizze (Arnold Schönberg Center, Wien [MS16, 1479])
Abbildung 1b: Arnold Schönberg: Fünf Orchesterstücke op. 16/3, T. 20, melodischer Auszug
Abbildung 1c: Arnold Schönberg: Fünf Orchesterstücke op. 16/3, T. 20
Terz, die das »springende Fische«-Motiv melodisch abschloss, in der oberen Stimme durch eine kleine Sext, in der unteren durch eine große Terz, so dass er einen maximalen Erneuerungsgrad in beiden Parametern (Chromatik und Diatonik) und beiden Dimensionen (horizontal und vertikal) sicherstellt. Dieselben strukturellen Prinzipien sind in einer ähnlichen Figur in Amériques zu erkennen (T. 492, Abbildung 2b). Nach der fallenden chromatisch expandierten Geste der zwei ersten Töne g’’–c’’’ ([5]) in den [7]-Zweiklang fis’–cis’’, alteriert Varèse das Profil der ursprünglichen Figur, indem er durch die divergierenden melodischen Linien (cis’’–e’’ [3] und fis’–f’ [1]) nicht nur ein strukturelles Merkmal von Schönbergs »Grundgestalt« wieder aufgreift (die melodisch steigende kleine Terz), sondern auch das chromatische Potential durch den vertikal akzentuierten Abschlussklang (f’–e’’ [11]) steigert. Eine andere melodische Figur aus op. 16, diesmal aus Peripetie (T. 18–20, Abbildung 3a), die Schönberg in ihrer Ursprungsform in einem Skizzenbuch notierte (Arnold Schönberg Center, Wien [MS74, Sk779]), weist die gleichen 108
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Abbildung 2a: Arnold Schönberg: Fünf Orchesterstücke op. 16/3, T. 20–21
Abbildung 2b: Edgard Varèse: Amériques, T. 492
strukturellen und morphologischen Besonderheiten auf. Sie besteht aus zwei Teilen, die jeweils den Rahmen einer kleinen Terz ausfüllen, einmal chromatisch und einmal diatonisch. Der zweite Teil kennzeichnet sich durch ein kadenzierendes »auf-ab«-Profil, das das Rahmenintervall der kleinen Terz wie auch die chromatisch fallende Auflösung melodisch in den Vordergrund rückt. Wiederum von einem chromatischen Segment ausgehend nimmt der erste Teil aufgrund von Oktavversetzung, Permutation und Wiederholung des G eine besondere, gebrochene Wellenform an, wobei die durch die Bindebögen angezeigte innere Gliederung beide engen Intervallschritte <–1>, aber auch eine expandierte chromatische Beziehung <+13> hervorhebt. Diese erzeugt durch den sprunghaften Aufstieg nicht nur den dynamischen Höhepunkt der Figur, sondern charakterisiert aufgrund seines expandierten Zickzackprofils auch einen der für Schönbergs atonale Musik kennzeichnenden Figurtypen, der von nachfolgenden Komponisten übernommen und weiterentwickelt wurde. Gerade diese aussagekräftige Kontur muss Varèse in einer Art fasziniert haben, dass er sie zum Motto bzw. zur Hauptgestalt des Oboensolos für den Beginn von Octandre (1923) erhoben hat (Abbildung 3b). Das erste Motiv (T. 1), das anschließend mehrfach variiert wiederholt wird, beruht auf einem chromatischen Segment von vier Tönen, das dergestalt geformt ist, dass es alle drei Präsentationsvarianten der chromatischen Beziehung (<–13, +11, –1>) melodisch ohne jede Ton- bzw. Intervallwiederholung beispielhaft zu Gehör bringt. Bezeichnend ist, dass Varèse als Schlussgruppe seiner ersten Phrase (T. 4–5, Abbildung 3c) eine Motivkombination schafft, die der Schönbergschen 109
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Federica Di Gasbarro: »Berlin 1909–10«. Von Schönberg zu Varèse … und zurück
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zu einem erheblichen Teil eine kontinuierlich verschärfte Judenfeindlichkeit, die 35 Jahre nach seinem Religionsaustritt schließlich den Anstoß zur Rekonversion lieferte. »Antisemitismus u. Religionsänderung«168 standen 1933 in einem weit direkteren Verhältnis als noch 1898. In einem Brief an Wassily Kandinsky (Abbildung 7), geschrieben aus dem Geist aller Erfahrungen, die der Jude Schönberg zu diesem Zeitpunkt (1922) bereits durchlaufen hat, benannte er die Religion als seine »einzige Stütze«: Sie wissen wohl, dass […] wir einiges hinter uns haben: Hungersnot! Die war recht arg! Aber vielleicht – denn wir Wiener haben scheinbar viel Geduld – vielleicht war das Ärgste doch die Umstürzung all dessen, woran man früher geglaubt hat. Das war wohl am Schmerzhaftesten. Wenn man von seinen Arbeiten her gewöhnt war, durch einen eventuell gewaltigen Denkakt alle Schwierigkeiten hinwegzuräumen und sich in diesen 8 Jahren vor stets neuen Schwierigkeiten gesehen hat, denen gegenüber alles Denken, alle Erfindung, alle Energie, alle Idee ohnmächtig war, so bedeutet das für einen, der alles nur für Idee gehalten hat, den Zusammenbruch, sofern er nicht auf einen anderen höheren Glauben immer mehr sich gestützt hat. Was ich meine, würde Ihnen am besten meine Dichtung »Jakobsleiter« (ein Oratorium) sagen: ich meine – wenn auch ohne alle organisatorischen Fesseln – die Religion. Mir war sie in diesen Jahren meine einzige Stütze – es sei das hier zum erstenmal gesagt.169
168 Gertrud Schönberg stellte diesen Zusammenhang in Stichworten zu einem Vortrag oder Gespräch anlässlich der szenischen Erstaufführung von Moses und Aron in Zürich her (Arnold Schönberg Center, Wien [Gertrud Schoenberg Collection, 47.53]).
169 Arnold Schönberg an Wassily Kandinsky, 20. Juli 1922 (Durchschlag; The Library of Congress, s. Anm. 6 | ASCC ID 654); veröffentlicht in: Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky: Briefe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung. Hrsg. von Jelena Hahl-Koch. Salzburg, Wien 1980, p. 88 ff., hier p. 88 f.
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Áine Heneghan
Schönberg’s Fundamentals of Musical Composition A Source Study
The history of Schönberg’s Fundamentals of Musical Composition is a long and complicated one. Published posthumously in 1967, Schönberg began the book three decades earlier – in 1937. The project was conceived, however, at least twenty years earlier: following the completion of the Harmonielehre in 1911, Schönberg proposed to Universal Edition a series of textbooks, including several on musical form,1 while in 1917, as part of his notebooks on coherence [Zusammenhang], he made an outline for one such book – “Zur Formenlehre.”2 That plan, expressed in German, was realized in English as Fundamentals of Musical Composition (edited by Gerald Strang and Leonard Stein), a book that returned to its German origins, courtesy of Rudolf Kolisch, with the publication in 1979 of Die Grundlagen der musikalischen Komposition (edited by Rudolf Stephan).3 The story of Fundamentals of Musical Composition, neatly dovetailing as it does with his relinquishing work on the Gedanke manuscript, poses questions about the continuity of Schönberg’s musical thought and the relationship between his writings in the two languages. This paper investigates the sources for Fundamentals (hereafter FMC) to chart the chronology from inception and realization to publication (summarized in Table 1). In this reconstruction, I have relied on sources in the Arnold Schönberg Center (in Schönberg’s estate as well as the Satellite Collections of Gertrud Schoenberg, Gerald Strang, Leonard Stein, and Josef Rufer), the
1 Arnold Schönberg to Emil Hertzka, July 23, 1911 (Arnold Schönberg Center, Wien [Universal Edition Collection] | ASCC ID 6698); extracts published and translated in Bryan R. Simms: Review of Theory of Harmony (trans. Roy E. Carter), in Music Theory Spectrum 4 (1982), 155–162, 156–157.
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2 See Arnold Schönberg: “Zur Formenlehre” in Zusammenhang, Kontrapunkt, Instrumentation, Formenlehre (1917) (ASSV 2.3.3); published in Arnold Schoenberg: Coherence, Counterpoint, Instrumentation, Instruction in Form | Zusammenhang, Kontrapunkt, Instrumentation, Formenlehre. Edited by Severine Neff, translated by Charlotte M. Cross and Severine Neff (Lincoln/Nebraska, London 1994), 102–107.
3 Arnold Schoenberg: Fundamentals of Musical Composition. Edited by Gerald Strang with the collaboration of Leonard Stein (London 1967); idem: Die Grundlagen der musikalischen Komposition. Translated by Rudolf Kolisch, edited by Rudolf Stephan (Wien 1979).
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1911
Proposal: series of textbooks
German
1917
Outline: “Zur Formenlehre”
German
1937
Begins writing: Fundamentals of Musical Composition
English
1967
Publication: Fundamentals of Musical Composition (Faber and Faber)
English
1979
Publication: Die Grundlagen der musikalischen Komposition (Universal Edition)
German
Table 1: Chronological summary of Fundamentals of Musical Composition
Library of Congress, the Faber & Faber Archive, the Houghton Library at Harvard University, the Oral History of American Music at Yale University, and to a lesser extent, the Österreichische Nationalbibliothek, the British Library, the Staatsbibliothek zu Berlin, and the Paul Sacher Stiftung. The sources are diverse, comprising manuscripts, drafts, letters, oral histories, the contents of Schönberg’s library, and such personal items as calendars, diaries, and financial documents. The book’s long gestation is chronicled by a rich material history: extant are several thousand pages of typescripts, handwritten documents, and musical examples, many replete with multiple annotations. The bulk of the FMC materials are to be found in the Arnold Schönberg Center (TBK [= Textbook] 1), a collection that is described in Rufer’s catalog of 1959,4 and more recently in the Arnold Schönberg Schriftenverzeichnis (ASSV).5 Both descriptions indicate the dates of 1937–1948, obviously taking their cue from Strang, who in his preface to the book wrote that “Work […] continued intermittently from 1937 until 1948.” 6 The catalogs provide little information about the different versions of the text, in part because only a handful of the pages are dated. Since the publication of the ASSV, TBK1 has been augmented: I was able to identify material pertaining to FMC in so-called “miscellaneous teaching” and “unidentified”
4 Josef Rufer: Das Werk Arnold Schönbergs (Kassel etc. 1959), 122–123; idem: The Works of Arnold Schoenberg: A Catalogue of his Compositions, Writings and Paintings (London 1962), 134–135. 5 See ASSV 2.2.1. The following describe the published text but not the sources: Robert Pascall: Models for Beginners in Composition – Structural Functions of Harmony – Preliminary Exercises
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in Counterpoint – Fundamentals of Musical Composition, in Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke. Vol. 2. Edited by Gerold W. Gruber (Laaber 2002), 446–459; and Andreas Jacob: Arnold Schönberg: Fundamentals, in Lexikon Schriften über Musik: Musiktheorie von der Antike bis zur Gegenwart. Vol. 1. Edited by Ullrich Scheideler and Felix Wörner (Kassel, Stuttgart 2017), 461–463.
6 Gerald Strang: Editor’s Preface, in Fundamentals of Musical Composition, see fn. 3, xiii.
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Draft
Date
Personnel
1
1937–38
Schönberg, Strang
2
1939
Schönberg, Strang, Taylor
3
1941
Schönberg, Strang
4
1946–48
Schönberg, Strang
5
1951–54, 1961
Strang
6
1964–65
Stein
Table 2: FMC drafts: chronology and personnel
folders, and following discussions with archivists Therese Muxeneder and Eike Feß, that material was catalogued and integrated into TBK1 as folders 16 through 22. Whether in its original or newly enlarged state, the contents of TBK1 have received no attention until now, a surprising fact given the enduring interest in FMC, a book that has remained in print since publication. The interrelationship of the various American textbooks is such that the sources for FMC are not confined to TBK1. In what follows, therefore, I also refer to TBK4 and TBK7 (Structural Functions of Harmony), TBK5 (Models for Beginners in Composition), and TBK8 (miscellaneous). Together, these sources illuminate the evolution of FMC, revealing a book far more ambitious in size and scope than the published text. Although the preparatory materials contain very few dates (there is, for example, just one in the 1930s),7 it is possible through careful examination of the contents of TBK1 and the Satellite Collections of Strang and Stein (in conjunction with letters, calendars and other sources) to identify six drafts – four during Schönberg’s lifetime and two thereafter. Shown in Table 2 are the dates and personnel associated with each: draft 1 was written in 1937–38, draft 2 in 1939, draft 3 in 1941, and draft 4 in 1946–48. Strang alone prepared draft 5 in 1951–54, revising it in 1961, and Stein made a final redaction – what I call draft 6 – in 1964–65. Because of the large number of sources, I will offer some broad observations on the drafts, how they relate to one another, what they suggest about the writing process, and how the texts published as FMC and Grundlagen reached their final form. According to Strang, writing commenced in 1937. Although there is no source to confirm this date, his claim is plausible. The correspondences with Schönberg’s teaching at University of California at Los Angeles during the Fall 7 A handwritten annotation in 1939: “VI.3/39.” (TBK1.1).
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Áine Heneghan: Schönberg’s Fundamentals of Musical Composition
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semester of 1937 suggest that the earliest sources for FMC may indeed be contemporaneous. As Strang’s classroom notes attest, Schönberg began teaching Form and Analysis (104A) and Composition (105A) courses in September 1937. Strang served as his teaching assistant, and the focus in both courses was on Beethoven’s piano sonatas, as it is in FMC. (The fact that Schönberg made a large payment to Strang in October 1937 corroborates the suggestion that they were engaged in intensive work on FMC around that time.8) In an interview with Vivian Perlis in 1975, Strang described the collaborative writing process: In fact, […] almost all of the material for the Counterpoint[,] Structural Functions and Fundamentals of Musical Composition was worked out with me sitting at the typewriter and him alongside, and sort of working it out sentence by sentence and phrase by phrase. And sometimes we would spend the whole morning arguing over a term, you know. We would study dictionaries […]. And in the Fundamentals of Composition sometimes we would analyze a hundred or two hundred cases from the classical literature, of a particular process, before we would try to formulate, you see, what principles were involved in it.9
The sources bear out this description and enable us to reconstruct how the book was assembled. When a section was complete, Schönberg and Strang would read through the result together, annotating the top and carbon copies respectively. The pages were punched and placed in ring binders. Working in this way meant that pages could be moved or replaced easily, renumbering indicating the expansion or reorganization of a chapter within a particular draft or incorporation into a subsequent one.10 This can be seen in the multiply amended page numbers for the Scherzo (Plate 1): originally page 22 in draft 1, it was renumbered 24 to accommodate the expansion of the previous passage, before being altered to 46 to take account of a major reworking of an earlier section. The reference to 167, however, is not to its location in draft 1 but to that in draft 2. As well as the collaborative work with Strang, Schönberg carried out much of the work on his own. There are many examples of his distinctive typing style.11 For instance, in one of the earliest drafts for the “Melody and Theme” chapter, he starts typing in German – “Die Begriffe Mel[odie]” (The Concepts of Melody […]) – before crossing it out and continuing in English: “The concepts
8 Payment dated October 18, 1937 (ASCI D7018). 9 Gerald Strang: Interview with Vivian Perlis (March 1975); Oral History of American Music, Yale University; quoted from copy of transcription, p. 22 (Arnold Schönberg Center, Wien [Yale University Collection]).
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10 The description in Rufer’s catalog of “many cuts, corrections, and changes” is therefore apposite; see Josef Rufer: The Works of Arnold Schoenberg, see fn. 4, 134.
11 See Julia Bungardt: Arnold Schönberg an der Schreibmaschine. Fabrikate – Schreibprozesse – Konsequenzen für eine Edition seiner Schriften, in Arnold Schönberg in seinen Schriften: Verzeichnis – Fragen – Editorisches. Edited by Hartmut Krones (Wien 2011), 261–279 (Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 3).
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Plate 1: FMC draft 1, Scherzo chapter (Arnold Schönberg Center, Wien [TBK1.1])
melody and theme are very vague. Until their [sic] does not exist a definition which considers them in their constructive meaning[.] This will be attempted here.”12 Schönberg alone also prepaired what is the earliest surviving typescript for the opening of the “Construction of Simple Themes” chapter. And while it was Strang who typed the first pages of draft 1, “Use of the Motive” beginning on page 1, Schönberg himself was responsible for the prefatory page (labeled “B”) in which he attempted for the first time to define the motive in English: Motive is a combination of tones, rhythms and (mostly) harmonies which appears in a definite and basic formulation in general at the beginning of a piece. The motive serves to unify all the ideas represented in every piece of music in […] their totality and in every detail. So far, a piece of music appears almost as produced by a motive and therefore it is often called the germ of a piece. The motive is mostly found at the beginning of a piece. The manner in which it is presented is very different and changes from the most characteristic, definite and significant to the least important and expressionless forms. All depends on the method in which it will be used. Accordingly[,] it could be called sometimes the “smallest common multiple,” because in it are included the elements at least of every later appearing musical
12 Draft 1, page 8g (TBK1.13).
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Marion Bauer (from: David Ewen: New Harmonists, in The American Hebrew, August 24, 1928)
Address card Marion Bauer (Arnold Schรถnberg Center, Wien [Address files] | ASCI A1929)
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Elizabeth L. Keathley
Marion Bauer, Twentieth Century Music, and Schönberg Reception in America
In his Celebrative Speech for the 1974 Schoenberg Centennial, the American composer and music theorist Milton Babbitt (1916–2011) remarked on his own arrival in New York a scant few months after Schönberg had arrived in 1933: […] for me it was not a coincidence, for I had decided to enroll at Washington Square College [of New York University] primarily because of the presence there of Marion Bauer, who had just published a book called Tw e n t i e t h - C e n t u r y M u s i c , which committed the unheard-of professionalism of containing actual musical examples, including some from [Three Pieces for Piano,] Opus 11, E r w a r t u n g , and P i e r r o t L u n a i r e .1
Babbitt correctly identified Bauer’s work as the first book of twentieth-century music history and criticism published in the United States. Not only did Babbitt express delight that Schönberg owned a copy of the book, but he also thought highly enough of it that he wrote the introduction for the 1978 reprint edition. There Babbitt elaborated that Twentieth-Century Music had, “modestly and innocently changed the course of some of our young lives,” and that its publication had had immediate local and national […] impact and consequences. For, particularly for those of us in other places at the time of its appearance, here was a book, a textbook, an ‘appreciation’ book, which concerned itself interestedly, admiringly, enthusiastically, even affectionately with works of music which, in most academic environments, were unmentionables, untouchables, and unspeakables, and anywhere else were unknowns.2
Babbitt’s testimony here and in several other essays makes clear that Bauer’s book, Twentieth Century Music, and, indeed, Bauer herself, were decisive in his musical journey. But while Babbitt’s impact on the academic reception of
1 Milton Babbitt: Celebrative Speech for the Schoenberg Centennial (1976), in The Collected Essays of Milton Babbitt. Edited by Stephen Peles, with Stephen Dembski, Andrew Mead, and Joseph N. Straus (Princeton 2003), 335–340, 336.
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2 Idem: Introduction, in Marion Bauer: Twentieth Century Music: How It Developed, How To Listen to It (New York 1978). Identical to the original 1933 edition, published by G.P. Putnam’s Sons, New York, except for the addition of Babbitt’s introduction.
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Abbildung 1: Arnold Schönberg: Moses und Aron, Anfang. Particell (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 63, 2771])
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Claudia Maurer Zenck
Der mühsame Weg zur konzertanten Uraufführung von Moses und Aron in Hamburg1
Vorgeschichte: Hermann Scherchen und die Uraufführung des Tanzes um das Goldene Kalb Der Einsatz des Dirigenten Hermann Scherchen für das Œuvre Arnold Schönbergs begann bekanntlich 1912 mit der Uraufführungs-Tournee von Pierrot lunaire op. 21, auf der Scherchen Schönberg zeitweise als Dirigent vertreten hatte, und hielt sein Leben lang an – auch über die große Entfernung hinweg, die seit 1933 zwischen ihnen klaffte: hier Winterthur, da Kalifornien. Bald nach Kriegsende standen beide wieder in brieflichem Kontakt, denn Scherchen berichtete dem Meister, was von dessen Œuvre er wo zu dirigieren plante. Er fragte bereits im Herbst 1945 nach den ihm noch unbekannten Orchesterwerken, darunter die 2. Kammersymphonie op. 38;2 er versuchte schon 1946, als Schönberg äußerte, er denke daran, den Sommer in der Schweiz zu verbringen,
1 Neben Einzelbeständen wurden folgende umfangreiche Quellen ausgewertet: • Briefwechsel (Originale bzw. Abschriften und Durchschläge) von Hermann Scherchen und Winfried Zillig mit Arnold und Gertrud Schönberg, Briefwechsel von Hans Rosbaud und Josef Rufer mit Gertrud Schönberg, Briefwechsel zwischen Arnold und Georg Schönberg; Briefwechsel von Rudolf Kolisch mit Gertrud und Nuria Schoenberg; Briefwechsel von Gertrud Schönberg und Winfried Zillig mit Mitarbeitern des NWDR, vor allem Herbert Hübner und Harry Hermann Spitz; • Hermann Scherchens autographe Partitur des Zwischenspiels von Schönbergs Moses und Aron aus dem Nachlass Herbert Hübner (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg [NHH: Ca: 10]); • Hermann Scherchens autographe Partitur von Schönbergs Moses und Aron
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(ohne das Zwischenspiel); Materiale (Stimmen und Klavierauszug) der Uraufführung; im Ars-Viva-Verlag gedrucktes Particell und Materiale des Tanzes um das Goldene Kalb von 1951 (NDR Hamburg, Archiv); • zwei Exemplare des im Ars-Viva-Verlag gedruckten Particells des Tanzes um das Goldene Kalb von 1951 (Akademie der Künste, Berlin, Hermann-Scherchen-Archiv). Großen Dank schulde ich Therese Muxeneder (Archivleiterin des Arnold Schönberg Center, Wien) für die Übermittlung von Scans der Korrespondenzen; Richard Armbruster (Redaktion NDR das neue werk, Hamburg [Norddeutscher Rundfunk]) für die Bereitstellung von Fotos aus dem Umfeld der Uraufführung, für die erfolgreiche Suche nach der Partitur und den Materialen und die Erlaubnis zum Abdruck von Fotos davon; Jürgen Neubacher (Leiter der Historischen Bestände der Staatsbibliothek
Hamburg) für den Hinweis auf die dort vorhandenen Quellen und die Erlaubnis zum Abdruck einer Seite des Zwischenspiels; Anouk Jeschke (Akademie der Künste, Berlin, Musikabteilung) für Auskünfte zu den beiden im Nachlass Scherchens befindlichen Particell-Drucken. 2 Vgl. Hermann Scherchen an Arnold Schönberg, 12. November 1945 (The Library of Congress, Washington D.C., Music Division [Arnold Schoenberg Collection] | ASCC ID 4065); Arnold Schönberg an Hermann Scherchen, 30. November 1945 (Durchschlag; ibidem | ASCC ID 15648); Arnold Schönberg an Felix Greissle, undatiert, ca. 14. Januar 1946 (Durchschlag; ibidem | ASCC ID 4081).
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