Journal of the Arnold Schönberg Center 12/2015

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Journal of the Arnold Schönberg Center 12|2015

www.schoenberg.at

Journal of the Arnold Schönberg Center 12|2015

Das Crescendo der Beleuchtung beginnt mit schwach rötlichem Licht, das über Braun in ein schmutziges Grün übergeht. Daraus entwickelt sich ein dunkles Blaugrau, dem Violett folgt. Dieses spaltet ein intensives Dunkelrot ab, das immer heller und schreiender wird, indem sich, nachdem es Blutrot erreicht hat, immer mehr Orange und dann Hellgelb hineinmischt, bis das gelbe schreiende Licht allein bleibt. Das gelbe Licht geht rasch in ein schwach bläuliches, mildes (graziöses) Licht über. Arnold Schönberg: Die glückliche Hand op. 18 Farbcrescendo


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Das Crescendo der Beleuchtung beginnt mit schwach rötlichem Licht, das über Braun in ein schmutziges Grün übergeht. Daraus entwickelt sich ein dunkles Blaugrau, dem Violett folgt. Dieses spaltet ein intensives Dunkelrot ab, das immer heller und schreiender wird, indem sich, nachdem es Blutrot erreicht hat, immer mehr Orange und dann Hellgelb hineinmischt, bis das gelbe schreiende Licht allein bleibt. Das gelbe Licht geht rasch in ein schwach bläuliches, mildes (graziöses) Licht über. Arnold Schönberg: Die glückliche Hand op. 18 Farbcrescendo


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Herausgegeben von Eike Feß und Therese Muxeneder in Zusammenarbeit mit Dennis Gerlach

Arnold Schönberg Symposium 2014 Arnold Schönberg Center, Wien, 9.–11. Oktober 2014 Ausgewählte Beiträge und Einreichungen Cover: Arnold Schönberg, Los Angeles 1940 Mit Unterstützung von Wissenschafts- und Forschungsförderung der Stadt Wien, MA 7 – Kultur

Impressum

Medieninhaber und Verleger: Arnold Schönberg Center Privatstiftung FN 154977h; Handelsgericht Wien Für den Inhalt verantwortlich: Angelika Möser, Direktorin Schwarzenbergplatz 6 A-1030 Wien www.schoenberg.at

Cover und Gestaltungskonzept: Bohatsch und Partner GmbH, Wien Satz und graphische Realisierung: Forte OG, Thomas Stark Herstellung: Grasl Druck & Neue Medien GmbH, Bad Vöslau Koordination Druck: Edith Barta

In Kooperation mit Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg

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© Arnold Schönberg Center Privatstiftung, Wien, 2015 ISBN 978-3-902012-17-X

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Inhalt

Vorwort 7

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Jean-Jacques Dünki »... inwiefern Interpretation unentbehrlich ist ...« Anhaltspunkte für Schönberg-Interpretationen am Klavier

11

Gary Tucker “Uninteressant […] auf keinen Fall – aber schön …” Schönberg’s op. 1

25

Kristof Boucquet “Viel Feind’, viel Ehr’”? Schönberg and Georg von Frundsberg

45

Fusako Hamao Schönberg’s Earliest Mirror Canon and His Twelve-Tone Method

62

Ulrich Krämer Der Komponist als Kopist Probleme der Überlieferung von Schönbergs Serenade op. 24

87

Ulrich Wilker Aus der Neuen Welt Tradition und Innovation in Schönbergs Concerto for Violin and Orchestra op. 36

105

Severine Neff Preliminary Exercises in Counterpoint Questions of Sources and Presentation

123

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Daniel Jenkins I Care If You Listen Schönberg’s “School of Criticism” and the Role of the Amateur

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Golan Gur Arnold Schönberg and the Concept of Political Art Reanimating the Expressionism-Realism Debate

189

Robert Lackner Arnold Schönberg, Hugo Botstiber und das Wiener Konzerthaus

198

Beatrix Obal Arnold Schönberg und seine Verleger

211

Elisabeth Kappel »Alle seine Ratschläge sind mir bei meinen weiteren Kompositionen stets gegenwärtig geblieben!« Schönberg und seine Kompositionsschülerinnen

221

Philine Lautenschläger »…vermutlich die einzige als authentisch zu betrachtende Interpretation von Schönbergs eigenen Gedankengängen« Josef Rufers Bemühungen um die Rückkehr von Werken und Ideen Schönbergs nach 1945

235

Joachim Junker Arnold Schönberg und Luigi Nono Spuren einer außergewöhnlichen Beziehung zweier Komponisten

251

Therese Muxeneder Arnold Schönbergs Jugendkreise

264

Familie – Schulfreunde – Exkurs: Schönbergs Banklehre (1891–1895) – Oskar Adler – David Josef Bach – Widmungen – Polyhymnia – Alexander Zemlinsky und sein Kreis – Förderer – Topographie – Jung-Wien – Adolf Loos – Karl Kraus: eine Episode – Personenverzeichnis – Arnold Schönbergs Mitschüler

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Vorwort

Vor knapp vierzig Jahren veranstaltete die Internationale SchönbergGesellschaft anlässlich der Schönberg-Zentenarfeier 1974 ihren ersten Kongress in Wien. 1984 und 1993 folgten zwei weitere Tagungen, auf denen Wissenschaftler aus Europa wie Übersee eine für die Zeit beispiellose Zusammenschau der internationalen Schönberg-Forschung boten. Die von Rudolf Stephan und ab dem zweiten Band auch von Sigrid Wiesmann herausgegebenen, im Wiener Verlag Lafite erschienenen, Kongressberichte sind ein eindrückliches Abbild des Forschungsstandes jener Zeit. Mit der Gründung der Arnold Schönberg Center Privatstiftung 1997 und dem ersten Kongress 1999 wurden fortan thematische Schwerpunkte gesetzt. Über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren konnten in Symposia und zugehörigen Berichten teils wenig beachtete Aspekte detailliert in den Blick genommen und auf breiter Basis diskutiert werden. Mit dem Internationalen Arnold Schönberg Symposium 2014 knüpfte das Center an die Tradition der ISG-Kongresse an und verzichtete auf Themenvorgaben. Auf einen Call for Proposals bewarben sich weltweit über 50 Wissenschaftler mit Beiträgen zu Schönbergs Biographie und Schaffen ebenso wie zu seiner Lebenswelt. An der in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien veranstalteten Tagung nahmen 18 Referenten aus 8 Ländern teil. Die in dieser Publikation versammelten ausgewählten Beiträge bilden ein breites Spektrum aktueller Forschungsprojekte ab, von Analysen einzelner Werke über historische Fragestellungen bis hin zum weiteren Umfeld Schönbergs und seines Schülerkreises. Jean-Jacques Dünki, der im Rahmen eines Forschungsstipendiums am Arnold Schönberg Center über die Interpretation des Klavierwerks gearbeitet hatte (in der Schriftenreihe der ISG veröffentlicht unter dem Titel Schönbergs Zeichen, Wien 2005), eröffnete die Tagung mit einem Lecture Recital. Seine an Schönberg gewonnenen Erkenntnisse stellt er in einen historischen Vergleich 7

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mit Klavierkompositionen der Zeitgenossen Max Reger und Alexander Zemlinsky. Gary Tucker widmet sich den ersten veröffentlichten Liedern Schönbergs im Hinblick auf deren Rezeption und stellt anhand zeitgenössischer Presseberichte die Frage, inwieweit der »Skandal« um den Komponisten im Wiener Konzertleben bereits mit dessen frühen Werken seinen Anfang genommen haben könnte. Ausgehend von Schönbergs Lied op. 3 Nr. 1 folgen durch Kristof Boucquet Überlegungen zur Bedeutung des historischen Landsknechtsführers Georg von Frundsberg als mögliches »alter ego« des Komponisten. Mit einer Quellenstudie zum Spiegel- und Schlüssel-Kanon »auf niederlandsche Art« geht Fusako Hamao Schönbergs Motiven für die Beschäftigung mit anachronistisch anmutenden Kompositionstechniken und PalindromStrukturen im Umfeld der frühen Zwölftonmethode nach. Aus seiner reichen Erfahrung als Mitherausgeber der Arnold Schönberg Gesamtausgabe erörtert Ulrich Krämer Editionsfragen der Serenade op. 24, welche die Komplexität philologischer Detailarbeit widerspiegeln. Eine der wichtigsten Quellen zu diesem Werk, der Fotoabzug eines verschollenen Partiturautographs, kam nach Schönbergs Tod zu Forschungszwecken in den Besitz Josef Rufers und wurde während der Tagung durch die Gesamtausgabe seinem ursprünglichen Bestimmungsort übergeben. Diese Quelle erfährt im vorliegenden Journal eine ebenso ausführliche wie differenzierte Würdigung. Ulrich Wilker widmet sich mit dem Concerto for Violin and Orchestra op. 36 einem Werk aus der amerikanischen Zeit und stellt die bis heute aktuelle Frage, inwieweit die zwölftönige Struktur in der hörbaren Werkgestalt substanziell wirksam ist. Einblicke in bislang nicht erschlossene Quellen eröffnen Severine Neff und J. Daniel Jenkins. Die erstmalige vollständige Sichtung sämtlicher Dokumente zu Schönbergs Kontrapunktlehre steht im Zusammenhang eines Forschungsprojektes von Severine Neff, die als Enkelschülerin Schönbergs durch ihre Lehrerin Patricia Carpenter authentische Eindrücke von Schönbergs amerikanischer Pädagogik empfing und diese in Beziehung zu dessen früher Lehrtätigkeit in Wien und seinen Schriften über Kontrapunkt setzt. J. Daniel Jenkins führt aus, dass sich Schönbergs pädagogische Konzepte nicht nur an angehende Komponisten, sondern auch an engagierte Laien richteten, die er auf eigenen Wegen zu urteilsfähigen Hörern bilden wollte. Golan Gur, ehemals Stipendiat am Arnold Schönberg Center, setzt Schönbergs Kunst in den Kontext marxistischer Theorien. Robert Lackner stellt mit Hugo Botstiber und dessen Tätigkeit am Wiener Konzerthaus einen der wichtigsten frühen Unterstützer Schönbergs vor. Neben Konzertveranstaltern spielen auch die Verleger in Schönbergs Umfeld eine wichtige Rolle, die Beatrix Obal erörtert. Den ihr gebührenden Raum erhält schließlich die Beschäftigung mit Schönbergs Schülern – zunächst durch Elisabeth Kappel, welche drei ausgewählte Biographien von Schönbergs 8

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Schülerinnen aus den pädagogischen Wirkungsbereichen Wien, Berlin und Los Angeles näher betrachtet. Über Schönbergs Lebenszeit hinaus reicht der Beitrag von Philine Lautenschläger zu Josef Rufer, dessen Einsatz für seinen Lehrer die Rezeption in Deutschland nach 1945 wesentlich prägte. Wie Schönberg schließlich mittelbar auch auf folgende Generationen weiter wirkte, erhellt Joachim Junker in Analysen zum Schaffen Luigi Nonos, die dessen ideelle Schülerschaft und Verbundenheit mit seinem großen Vorbild eindrücklich vor Augen führen. Den Abschluss des Bandes bildet ein umfangreicher Beitrag der Mitherausgeberin, welcher zahlreiche Dokumente zu Freunden und Weggefährten des jungen Schönberg erstmals umfassend erschließt. Vielfältige Verbindungslinien innerhalb des schulischen und kulturellen Umfelds beleuchten seinen (nicht nur) künstlerischen Werdegang. Aus der Lektüre zahlreicher bislang unbeachteter Zeitungsberichte lassen sich wertvolle Erkenntnisse zu Schönbergs beginnender Musikerkarriere gewinnen, fehlende Daten ergänzen und frühe Werkkontexte präzisieren. Die Herausgeber des Journal of the Arnold Schönberg Center möchten mit dieser neuen Nummer einen jährlichen Publikationsrhythmus aufnehmen und sich dabei an das Symposium des jeweils vorangehenden Jahres orientieren, ohne dieses notwendigerweise gänzlich abzubilden. Auch Einreichungen, die nicht unmittelbar aus der alljährlichen wissenschaftlichen Tagung am Center hervorgehen, soll im gegebenen Rahmen eine Möglichkeit zur Veröffentlichung geboten werden. Ziel ist es, ein Jahrbuch zu schaffen, das am Puls der aktuellen Forschung bleibt und regelmäßig Einblicke zum unerschöpflichen Thema Arnold Schönberg gewährt. Besonderer Dank sei Dennis Gerlach ausgesprochen, der dieses Journal of the Arnold Schönberg Center mit wertvollen kritischen Anregungen redaktionell begleitet hat. Seiner Idee folgend hat Walter Bohatsch auf Basis von Arnold Schönbergs Farbcrescendo aus dem Drama mit Musik Die glückliche Hand für die folgenden zwölf Bände ein neues Cover-Konzept entwickelt, das in unserer Reihe auch visuell neue Akzente setzen wird.

Eike Feß und Therese Muxeneder Wien, im September 2015

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Abbildung 3a: II. Satz, Menuett, T. 32 f., Erstdruck, Kopen­hagen 1924, p. 15

Abbildung 3b: II. Satz, Menuett, T. 32 f.

Anfang der Ersten Niederschrift (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz [Mus. ms. Autogr. A. Schönberg 2]), f. 3

Particell (The Library of Congress, Washington D. C., Music Division [ML96. S38 CASE]), p. [8]

T. 33. Dies ist in der Ersten Niederschrift, wo die beiden Stimmen auf einem gemeinsamen System notiert sind, besonders deutlich zu erkennen (vgl. Abbildung 3b). Damit stellen sich zwei Fragen, nämlich 1.: An welcher Stelle innerhalb der Überlieferung ist der betreffende Ton abhanden gekommen? Und 2.: Handelt es sich bei dieser Änderung um eine bewusste Entscheidung Schönbergs im Sinne einer Revision oder um einen überlieferungsbedingten Zufall? Eine Antwort auf beide Fragen hält die autographe Partitur bzw. ihre in 97

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Ulrich Krämer: Der Komponist als Kopist

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Abbildung 3c: II. Satz, Menuett, T. 30–36, Negativabzug der Reinschriftpartitur (Arnold Schönberg Center, Wien [Arnold Schönberg Gesamtausgabe Collection]), p. 13

den Photoabzügen überlieferte Textgestalt bereit: In T. 33 der Partiturreinschrift findet sich nicht nur die Ganztaktpause, sondern auch ein Hinweis darauf, wie sie zustandegekommen ist (vgl. Abbildung 3c). Dem Takt geht nämlich ein Akkoladenwechsel voraus, und es ist ein geradezu paradigmatischer Kopistenfehler, Stimmverläufe nach einem derartigen Zeilensprung nicht zu Ende zu führen, vor allem, wenn sie in der Vorlage unübersichtlich notiert sind. Dies ist im Particell der Fall, wo sich die Mandoline ein System mit der dominierenden Geigenstimme teilt. Da umgekehrt der Tonsatz selbst keinen Grund für eine derartige Revision etwa in Gestalt einer ungewollten Tonverdopplung bietet, handelt es sich bei dieser Änderung zweifellos um ein Versehen, das dadurch, dass der Komponist es selbst zu verantworten hat, nicht automatisch zu einer »autorisierten« Lesart wird. Denn hätte Schönberg diese Änderung tatsächlich intendiert, so hätte er sie wie in zahlreichen anderen Fällen in mindestens eine der früheren Quellen rückübertragen. Dies lässt sich etwa an T. 38/39 aus dem IV. Satz zeigen: Hier hatte Schönberg bereits bei der Ausarbeitung des Particells die in seiner »Kopiervorlage«, d. h. der Ersten Niederschrift auf dem untersten System notierte Stimme der Bassklarinette – bestehend aus den beiden Viertelnoten a 98

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Abbildung 4a: IV. Satz, Sonett, T. 37–40

Erste Niederschrift im V. Skizzenbuch (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 79, Sk485])

Particell (The Library of Congress, Washington D. C., Music Division [ML96. S38 CASE]), p. 21

und f – versehentlich nicht übernommen, vermutlich weil das System im vorangehenden und folgenden Takt leer geblieben war. Im Zuge der Korrekturlesung hat er diesen Fehler bemerkt und nicht nur in den Korrekturabzügen, sondern auch im Particell mit roter Tinte korrigiert (vgl. Abbildung 4a). Derartige Rückübertragungen von Korrekturen, die sich nicht nur im Particell, sondern – dann allerdings fast immer als »echte« Revisionen – auch in den Ersten Niederschriften finden, sind äußerst zahlreich; sie betreffen Abbildung 4b: V. Satz, Tanzscene, T. 121 f., Particell in erster Linie »falsch« abgeschriebene Akzidentien, (The Library of Congress, Washington D. C., Music aber auch fehlende Bögen oder dynamische Zeichen Division [ML96. S38 CASE]), p. [32] und – gelegentlich – eben auch fehlende Töne. In einem Fall ergänzte Schönberg bei der Rückkorrektur im Particell sogar explizit den Hinweis »siehe I. Niederschrift« (vgl. Abbildung  4b). Übrigens geht aus den Quellen auch hervor, dass er einige dieser Fehler erst nach der Drucklegung der Partitur entdeckte; in diesen Fällen stimmen die Rückübertragungen mit den Korrekturen in einem der Handexemplare überein. Da Schönberg hierbei jedoch nicht systematisch vorging, handelt es sich um sporadische Funde, die den 99

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Ulrich Krämer: Der Komponist als Kopist

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Zweifel an der als »Fassung letzter Hand« überlieferten Textgestalt eher vertiefen als ausräumen. Doch zurück zu den Beispielen, deren nächstes die Takte 122 ff. aus dem I. Satz in der Fassung des Erstdrucks zeigt (vgl. Abbildung 5a). Wieder geht es um eine Ganztaktpause, die hier in T. 125 die Folge der mit der Bogenstange geschlagenen Doppelgriffe in der Bratschenstimme unterbricht. Der Tonsatz selbst wirkt aufgrund des an dieser Stelle intermittierenden Cellomotivs keinesfalls lückenhaft, so dass erst ein Blick auf die früheren Quellen enthüllt, dass Schönbergs eigentliche Intention darin bestand, das rhythmische Klopfen der Bratsche auch in diesem Takt weiterzuführen. In diesem Fall stößt man auf die richtige Lesart allerdings erst, wenn man bis zum Verlaufsentwurf zurückgeht, da die Fortsetzung der Bratschenstimme bereits im Particell fehlt (vgl. Abbildung 5b). Dass es sich auch hierbei nicht um eine beabsichtigte Änderung

Abbildung 5a: I. Satz, Marsch, T. 122–127, Erstdruck, Kopenhagen 1924, S. 10

Abbildung 5b: I. Satz, Marsch, T. 122–126

Verlaufsentwurf (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 24, 851])

Particell (The Library of Congress, Washington D. C., Music Division [ML96. S38 CASE]), p. 5

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Table 1: Topics in outlines for Schönberg’s counterpoint text and compared with Berg’s study and PEC Topics in outlines/drafts for Schönberg’s counterpoint text TOPICS IN BOTH BERG’S STUDY AND PEC

Tonal species counterpointa

1911: Das Komponieren mit selbständigen Stimmen [Composition with Independent Voices], Parts III–IV (CS2, UEQ 1516, T57.14, T73.03, ASC)

The setting of an original melody acting like a cantus in 1–4 parts

1917: Kontrapunkt, (T37.12.32, ASC)

The setting of an original melody acting like a cantus in 1–4 parts

Cadences without cantus firmusb

manuscript ends with “cadences without cantus firmus”

Modulationc Imitationd Canonse

–––

–––

–––

1926: Kontrapunkt-Lehrbuch [Manual of Counterpoint] (T37.10, ASC)

1931: Disposition eines Lehrbuches des Kontrapunkts [Layout of a Manual of Counterpoint] (T35.19, ASC)

a b c d e

1–4 parts 2–4 parts, with added parts 2–4 parts through parts added to given line and from scratch 2–4 parts modulatory or non-modulatory; also with added voices 2–4 parts in augmentation, inversion, diminution; perpetual canons

other preeminent theorists working in the same tradition. Even this cursory view shows that Fux himself, Johann Albrechtsberger, Luigi Cherubini,18 Siegfried Dehn, Heinrich Bellermann, Heinrich Schenker, and Richard Stöhr19 first required their pupils to learn the five species in one to four parts; then certain

18 For excellent remarks on Cherubini’s works and their role in the history of contrapuntal theory, see Andreas Jacob, chapter VIII. Gedankendarstellung in der Kontrapunktik, in: Grundbegriffe der Musiktheorie Arnold Schönbergs (Hildesheim 2005), vol. 1, 454–520, 458–461 (Folkwang Studien 1). 19 See Richard Stöhr: Praktischer Leitfaden des Kontrapunkts (Hamburg 1911), 3; compare Ulrich Krämer: Schönbergs Kontrapunktlehre, see fn. 14, 151. Stöhr’s text is based on the lectures of composer Robert Fuchs at the Vienna Conservatory

126

from 1875–1912. Since Fuchs himself never wrote a book, Stöhr’s manual is an important source of his teachings. Students in Fuchs’s counterpoint and harmony classes included Gustav Mahler, Julius Korngold, Franz Schmidt, Franz Schreker, Jean Sibelius, Robert Stolz, and Alexander Zemlinsky – Schönberg’s friend and brother-in-law, who informally taught him counterpoint. Schönberg clearly respected Robert Fuchs as a musician; see Arnold Schönberg: This might happen to a work – to an idea … (1938) (ASSV 5.3.2.22.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T52.11]), May 1938, transcribed in Andreas Jacob:

Grundbegriffe, see fn. 18, vol. 2, 734; and Adalbert Grote: Robert Fuchs: Studien zu Person und Werk des Wiener Komponisten und Theorielehrers (München 1994), 152 (Berliner Musikwissenschaftliche Arbeiten 39). Stöhr also taught music theory at the Vienna Conservatory/The Royal Academy of Music and Performing Arts from 1904 to 1938. Schönberg and Berg had no admiration for his compositions: see Briefwechsel Arnold Schönberg – Alban Berg. Edited by Juliane Brand, Christopher Hailey, and Andreas Meyer (Mainz etc. 2007), vol. 1, 120 (Briefwechsel der Wiener Schule 3).

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Table 2: Topics in counterpoint manuals compared with Berg’s study and PEC TOPICS IN BOTH BERG’S STUDY AND PEC

Species Cadences counterpointa without Cantus firmusb

Modulation*c

Imitation*d

Simple Canonse

Fux Gradus ad Parnassum (1725)

 (modal)

 non-modulatory

Albrechtsberger Gründliche Anweisung zur Composition (1790)

 (tonal)

 non-modulatory

Cherubini Cours de contrepoint et de fugue (1835)

 (tonal)

 non-modulatory

Dehn Lehre vom Contrapunkt, dem Canon und der Fuge (1859)

 (tonal)

 non-modulatory

Bellermann Der Contrapunkt (1862)

 (modal)

Schenker Kontrapunkt (1910)

 (tonal)

Stöhr Practischer Leitfaden des Kontrapunkts (1911)

 (modal)

* a b c d e

 in context of the chorale

 non-modulatory

 in context of setting fifth-species line

 non-modulatory

Unique to Berg’s studies; 1911, 1926, 1931 outlines; 1917, 1926 drafts; PEC 1–4 parts, modal or tonal 2–4 parts, with added parts 2–4 parts through parts added to given line or from scratch 2–4 parts modulatory or non-modulatory 2–4 parts in augmentation, inversion, diminution; perpetual ones

of them turned to studies in melody and imitation and, in some cases (Cherubini, Dehn and Stöhr), to simple canon. Schönberg, however, alternated studies in species counterpoint with “compositional applications” encompassing the study of cadences without a cantus firmus, modulation, and imitation (Table 3). In particular, his emphasis on modulation is unprecedented in works of the Fux tradition – in this sense Schönberg was a strikingly original music theorist and teacher as well as a path-breaking composer. Moreover, Schönberg’s contrapuntal theory and practice addressed the perennial issue that had plagued the Fux tradition – the relation between exercises founded in sixteenth-century practice to contemporary composition employing drastically different materials. Above all, this tradition had been 127

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Severine Neff: Preliminary Exercises in Counterpoint

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challenged by the development of harmonic thinking, building first on figured-bass practice and then 1st–5th Species, 2 parts on the fundamental bass theory of Cadences Without Cantus Firmi, 2 parts Jean-Philippe Rameau. Such thinking proved crucial in the creation Modulation, 2 parts of new forms in which composers st th 1 –5 Species, 3 parts used their knowledge of harmony Cadences to Various Regions, Modulation, 3 parts to shape their works’ overall Imitation, 2–3 parts structure. Through the nineteenth century, these aspects had led Canon, 2–3 parts to the incorporation of harmonic 1st–5th Species, 4 parts training into the contrapuntal traAdded Voices dition. In the process, the essence of contrapuntal study – the nature Cadences to Various Regions, Modulation, 4 parts of lines and their voice-leading Imitation, 4 parts relation with each other – received progressively less and less attention. By contrast, all of Schönberg’s exercises focus on aspects of line and only subsequently consider the relation of line to harmony and form. Schönberg began his holistic approach to teaching counterpoint with students setting the so-called “first” and simplest cantus, C–D–F–E–D–C; he required that they make at least twenty but preferably all possible settings of it in each pedagogical exercise, from first species, two parts, to the most complex assignments involving a cantus firmus.20 As a result, the first assignment in Berg’s studies and the initial one in PEC written thirty-two years later are analogous in layout,21 share cantus firmi and a line of counterpoint, and have the same corrections pointing out the forbidden linear contour of a seventh and a tritone22 (see Example 1). Moreover, thirty-one years later, in May 1935, when the American composer John Cage took his first counterpoint course with Schönberg, the subject

Table 3: Alternation of species and compositional applications in PEC

20 Schönberg writes: “The pupil will do good to use for every new task in the future at first this one C[antus] F[irmus] …” see Arnold Schoenberg: Counterpoint, a textbook, fragment (1936) (ASSV 2.3.7.4.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T37.12]), 27. 21 Moreover, their design (i. e., the cantus in the middle, alternative counterpoints above and below) derives from the same source: Heinrich Bellermann: Der Contrapunkt oder Anleitung zur Stimmführung in der musikalischen Composition [Counterpoint,

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or Instructions on Voice Leading in Musical Composition] (Berlin 1862). Schönberg highly praised the book for its belief in the power of line over harmony; see letter to Hugo Leichtentritt, December 3, 1938 (Carbon copy at the Library of Congress, see fn. 1 | ASCC ID 3106); published in Arnold Schoenberg: Letters. Edited by Erwin Stein, translated by Eithne Wilkins and Ernst Kaiser (New York 1965), 206–207. At the same time, Schönberg severely criticized Bellermann for his exclusively historicist approach to contrapuntal study; see [About

a new book on Counterpoint] (1943?) (ASSV 5.3.1.162.) (Arnold Schönberg Center, Wien [T48.06]), transcribed in Andreas Jacob: Grundbegriffe, see fn. 18, vol. 2, 911–913. 22 There are further mistakes concerning outlined sevenths and successively repeated notes between lines unmarked by Schönberg; these are designated in brackets on Example 1.

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[Take voices into account] [Forbidden] Stim ¯ e berücksichtigen

 

 

 

[First set Cantus Firmus]

Sopran

 

 Triton

 

 

 

 

   

Ex. 1 a)

Sa

me

b)

err

or

 

same CF

 

 

Tenor

sept

4

einklang sept   



[F next in CF]

1.set C. F.

Verbote

[unison] [seventh]

Same counterpoint

[Also C to D to C sevenths]

 

 

  

 1

  c)

8

  d)

8

  8

   CF

e)

1

 1

  f)

1

  g)

1

  h)

1

3 —

5

6

3 —

3

3

5

6

2

3

3

3

3

6

6

6

4

5

6

6

8

8

8

 8

[Also repeated C’s]

i)

8

6

3

6

 

(+)

3

8

4

5

6

j)

k)

 l)

5

 3

   

6

6

3

 5

6

3

1

3

5

3

1

3 —

3 —

3

1

5

3

1

3

3

6

 

CF

1

m)

  8

n)

  8

o)

 

3 —

3 —

5

3

6 —

2

3

6

3

6

3

6

6 —

6

8

8

8

8

6

 6

 5

 

8

[F next in CF]

8

p)

5

6

6

3

5

(tr)

8

5

3

8

(7)

(7)

3

1

3

1

3

 5

1

 1

PEC, page 17, clefs altered

F Berg 40/1/12, Austrian National Library: clefs altered Example 1: Exercises in Berg / PEC; same layout derived from Heinrich Bellermann (the cantus in the middle, alternative counterpoints above and below), same CF, same counterpoint, analogous errors

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Severine Neff: Preliminary Exercises in Counterpoint

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