Teil I Executive Compensation – eine über 2000-jährige Kontroverse
«Wenn Leute gierig werden (…), führt das zwingend zu einem Desaster. Für mich ist es Korruption, wenn Unternehmensführer waghalsig und rücksichtslos Geschäftsrisiken in Kauf nehmen, um viel zu verdienen. Ich bezeichne es als korrupt, wenn Geld alles ist.» Kellermann, B., 20101
Die faire Vergütung der Arbeitsleistung von Führungskräften ist seit jeher ein Thema des öffentlichen Diskurses. Nicht erst heute werden Managerlöhne diskutiert (wie das oben aufgeführte Zitat zeigt), sondern bereits Lukas hat in seinem Evangelium2 aufgezeigt, dass die Dorfbewohner den Zöllner Zachäus ächteten, weil er – aus Sicht der Öffentlichkeit – zu viel Entschädigung für sein Wirken beanspruchte. Die Dorfbewohner konnten den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und der hohen Vergütung dafür nicht abschätzen, aus diesem Grund ordneten sie den Reichtum ihres Zöllners als unfair ein. Aber auch Lukas’ Geschichte über den König, der drei Untertanen eine gleiche Geldsumme zur Verfügung stellte und denjenigen am besten belohnte, der innert kurzer Frist am meisten Gewinn damit erwirtschaftet hat, führt zu einer negativen Bewertung der dafür bezahlten Entschädigung. Dies, weil der König bei der Beurteilung des erwirtschafteten Gewinns durch die drei Männer in keiner Weise die Risiken der drei «Mitarbeiter» beurteilt, sondern nur den erwirtschafteten Ertrag. So wird in der Geschichte des Königs der Anleger mit 1’000 % Rendite – ungeachtet des eingegangenen Risikos – damit belohnt, Verwalter über zehn Städte zu werden und das Geld zu behalten. Andererseits hat der König dem sicherheitsorientierten Mitarbeiter, der in der gleichen Frist aufgrund seiner Risikoeinschätzung keine Anlagen tätigte und dem König die sichere Verwaltung des Vermögens rapportierte, als Strafe das Geld weggenommen und es den beiden anderen Mitarbeitern übergeben. Auch diese Vergütungslogik wird vom Evangelisten als unausgewogen dargestellt. Die Einschätzung, ob eine fixe und/oder variable Vergütung gerechtfertigt ist, führt je nach Beurteiler zu einem anderen Ergebnis. Vielfach divergieren die Einschätzungen der Öffentlichkeit und diejenigen der Vergütungsverantwortlichen. Nicht selten zeigen sich teils selbst die letztlich verantwortlichen Mitglieder im jeweiligen Verwaltungsrat überrascht über das Ausmass eines einst von ihnen abgesegneten Vergütungsmodells und dessen Aussenwirkung (z.B. Novartis, UBS, Credit Suisse, Raiffeisen, Valiant, Krankenkasse KPT, Softwarefirma Temenos). Erstaunlich ist höchstens, dass aus der nicht einmal zehn Jahre zurückliegenden Causa Percy Barnevik und Göran Lindahl, die den ABB-Konzern geführt haben und mit 233 Mio. Franken Abfindung zuletzt «ordnungsgemäss» entschädigt worden sind, andernorts keine Lehren daraus gezogen worden sind. Wenig vertrauenserweckend war die im Frühjahr 2002 bekannt gewordene Tatsache, dass kein Verwaltungsratsmitglied der ABB sich an den genauen Beschluss zu erinnern vermochte, der zu diesem Betrag geführt haben soll; und offensichtlich war es auch nicht Usanz, die entsprechenden VR-Beschlüsse ordentlich zu protokollieren und deren Umsetzung im Auge zu behalten. 1 2
Kellermann, B., Tages Anzeiger. 2010. online. Lukas Evangelium, Kapitel 19, Verse 1–27. 3
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Die Vergütungsthematik ist nicht neu. Sie ist längst branchenübergreifend und international; und in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen stossen die unterschiedlichsten Vergütungen auf mehr oder weniger Akzeptanz bei den relevanten Anspruchsgruppen. Zentral an der Finanzbranche ist allerdings, dass Vertrauen eine wichtige Grundlage sämtlicher Geschäftsbeziehungen ist. Um dieses Vertrauen zu stärken, setzte man schon früh auf Transparenz. Auch in der Vergütung. Als im 19. Jahrhundert die Kantonalbanken gegründet wurden, ging es darum, wettbewerbsfähige Bankinstitute einzurichten und den Zugang zu Finanzdienstleistungen auf alle Bevölkerungsgruppen auszuweiten. Die Finanzaristokraten des Ancien Régime waren intransparent und genossen wenig Vertrauen in der breiten Bevölkerung. Deshalb war es den neuen Instituten auch wichtig, Transparenz über die Vergütung jener Personen herzustellen, denen die Hauptaufgaben des Bankgeschäfts übertragen worden sind. So wurden typischerweise die variablen Vergütungen (Tantiemen) des Direktors und des Kassiers auf den Rappen genau ausgewiesen (vgl. als Beispiel den Auszug aus der Schaffhauser Kantonalbank über das Geschäftsjahr 1886, S. 32).
Abbildung 1: Titelseite des vierten Geschäftsberichts der Schaffhauser Kantonalbank3 3
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Schaffhauser Kantonalbank. Geschäftsbericht 1886.
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Abbildung 2: Auszug aus dem vierten Geschäftsbericht der Schaffhauser Kantonalbank4 Die nachhaltige Transparenz ging später verloren; das Interesse kehrte aber mit immer höheren Managervergütungen zurück. Der spezielle Fokus wurde in den letzten zwei Jahren auf die Finanzbranche gelegt, wo gewisse Fehlanreize zwar seit Längerem bekannt sind, aber keine Kräfte zur Selbstregulierung erkannt werden konnten. Einerseits werden in der Finanzbranche durchschnittliche Eigenkapitalrentabilitäten erzielt, die sich nicht von jenen in anderen Branchen unterscheiden, jedoch weniger stabil sind.5
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Schaffhauser Kantonalbank. Geschäftsbericht 1886. S. 32. Mehr Details dazu findet man im Geschäftsbericht 2009 der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ. Auch bei den beiden Schweizer Grossbanken hat sich die durchschnittliche Eigenkapitalrentabilität in den letzten Jahren unter 10% bewegt, wie FINMA Direktor Patrick Raaflaub an einem Referat am ETH-KOF Wirtschaftsforum vom 1. Juli 2010 in Zürich ausgeführt hat. 5
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Abbildung 3: Netto Eigenkapitalrentabilität der US-Banken: 8,8% (1880–2009)6
Abbildung 4: Netto-Eigenkapitalrentabilität der UK-Banken: 9,9% (1880–2009)7 6 7
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Vgl. Referat von Patrick Raaflaub vom 1.7.2010 an der KOF-ETHZ. Vgl. Referat von Patrick Raaflaub vom 1.7.2010 an der KOF-ETHZ.
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Andererseits sind längerfristig die aus den gängigen Geschäftsmodellen erhofften Risiko/Ertragsprofile deutlich unter den Erwartungen geblieben und Anleger in Titel von Finanzinstitutionen wurden in Phasen gesamtwirtschaftlicher Anspannungen besonders enttäuscht.8 Noch im Frühjahr 2008, vor dem Ausbruch der grossen Finanzkrise, kritisierte SNB-Direktoriumsmitglied Thomas Jordan die Finanzbranche dafür, dass die Wertschöpfung im Finanzsektor, aus der die variablen Vergütungen bezahlt werden, nicht an die individuelle Leistung verknüpft sei; auch nicht zwingend an das Geschäftsmodell einer Finanzinstitution. Die Vergütung sei allenfalls oberflächlich an das unternehmerische Ergebnis angelehnt, aber in allererster Linie hochgradig mit dem globalen Aktienmarkt korreliert.
Abbildung 5: Entwicklung der Wertschöpfung im Finanzsektor9 Stossend für vielerlei Anspruchsgruppen war die Beobachtung im Frühjahr 2009 und 2010, dass selbst bei einer deutlich negativen Ertragsentwicklung (teils kam es zu horrenden Verlusten) die variable Vergütung ausgeschüttet wurde – gewissermassen als wohlerworbenes Recht aus guten Zeiten. Die Bemühungen des Institute of International Finance (IIF), dem globalen Institut aller Finanzdienstleistungsunternehmen, mit den im Juli 2008 beschlossenen sog. Principles of Conduct and Best Practice Recommendations, verliefen im Sand. Aufgrund des Selbstregulierungscharakters blieb alles unverbindlich resp. mit Empfehlungscharakter. Dennoch waren
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Vgl. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ, 80. Geschäftsbericht, S. 85. Vgl. Referat von Thomas Jordan, SNB, vom 23. März 2008 in Zürich. 7
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die Best-Practice-Aussagen als Antwort auf die Finanzkrise nicht zu unterschätzen. So lauten die drei ersten Grundsätze zur Vergütungspolitik im Bericht10: s #OMPENSATION INCENTIVES SHOULD BE BASED ON PERFORMANCE AND SHOULD BE ALIGNED WITH shareholder interests and long-term, firm-wide profitability, taking into account overall risk and the cost of capital. s #OMPENSATION INCENTIVES SHOULD NOT INDUCE RISK TAKING IN EXCESS OF THE lRM S RISK APPEtite. s 0AYOUT OF COMPENSATION INCENTIVES SHOULD BE BASED ON RISK ADJUSTED AND COST OF CAPITAL adjusted profit and phased, where possible, to coincide with the risk time horizon of such profit. Und zuletzt als Grundsatz hält das IIF fest: s 4HE APPROACH PRINCIPLES AND OBJECTIVES OF COMPENSATION INCENTIVES SHOULD BE TRANSPArent to stakeholders. Dem sollte mit Nachdruck zur Umsetzung verholfen werden. Nach zahlreichen Interventionen nationaler und supranationaler Institutionen, die geholfen haben, den Banken- und Versicherungssektor vor allem in Europa und in den USA vor dem eigenen Kollaps zu retten, setzte alsbald die Frage ein, wie diese Sektoren verstärkt zu regulieren seien. Dass die damit einsetzende Regulierungshektik nicht nur auf ökonomischen resp. marktwirtschaftlichen Grundsätzen basiert, sondern in einem nicht widerspruchsfreien Mix von populistischen Überlegungen, opportunistisch genutzten Regulierungszeitfenstern und realpolitischem Handlungseifer gedeihen konnte, überrascht kaum. Ob Ursache, Wirkung oder beides: Die prononcierten Betrachtungen der Vergütungsthematik zeigten sich in der starken Gewichtung in der Tagespresse. Seit dem rasanten Anstieg der Topmanagement-Vergütungen Ende der Neunzigerjahre steigen auch die Diskurse über Bonuszahlungen und Gesamtvergütungen an. Im Frühjahr 2010 gab es fast täglich Schlagzeilen in den Medien, welche die Bonuszahlungen der leitenden Mitglieder der beiden Schweizer Grossbanken diskutierten und bewerteten. Verschiedenste Punkte standen im Fokus der Kritik: Höhe, Angemessenheit, Hebelwirkung in guten wie in schlechten Zeiten (Asymmetrien), Umfang, Kreis der Empfänger, Kriterien der Leistungsbeurteilung, Berücksichtigung des Vergleichsumfelds, Berücksichtigung endogener und exogener Faktoren, (In-)Transparenz, (unsichtbare) Verbindung mit dem langfristigen Aktienkurs, (unklare) Verknüpfung mit der strategischen Zielsetzung u.v.m.
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Vgl. Institute of International Finance: Final Report of the IIF Committee on Market Best Practices. July 2008, S. 49 ff.
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Abbildung 6: Schlagzeilen in der Tagespresse zu 11
Managergehältern11
Zufällige Schlagzeilenauswahl aus Deutschschweizer Medien (Frühjahr 2010). 9
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Dabei fällt auf, dass Transparenz ein sehr wichtiges Element bei der Vergütungsberichterstattung ist. Transparenz über die Ausgestaltung der Entschädigungssysteme, damit die Systeme nachvollziehbar sind und eine Meinungsbildung stattfinden kann. Die Informationsqualität bewegt sich derzeit zwischen «prägnant transparenten» und «umfangreich verschleierten» Vergütungsberichterstattungen. Das Marktsystem, das als Argument von Führungskräften für deren «marktgerechte» Vergütungen oftmals beigezogen wird, basiert auf Transparenz. Sie ist für eine unvoreingenommene Meinungsbildung sogar unabdingbar. Aktionäre, Obligationäre, Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Verwaltungsratsmitglieder, Marktaufseher, Finanzanalysten und auch andere Anspruchsgruppen sollen ihre Entscheidungen auf Fakten begründen können, nicht auf Interpretationen und Illusionen. Deshalb soll die Mechanik des Vergütungssystems klar und verständlich aufgezeigt werden – inklusive deren Verknüpfung mit den strategischen Zielsetzungen, den operativen Leistungen und dem Umgang mit Risiken. Alle interessierten Parteien müssen beurteilen können, aufgrund welcher eingegangenen Risiken welche Erträge nachhaltig erzielt werden sollten und wie diese Erträge auf die unterschiedlichen Anspruchsgruppen – in guten wie auch in schlechten Zeiten – aufgeteilt werden. Gemäss Begriffsdefinition werden die Instrumente «Vergütung»12, «Entschädigung»13 und «Kompensation»14 dafür eingesetzt, Einschränkungen der Gegenpartei auszugleichen, die im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung entstanden sind. Diese Begriffe gehen alle davon aus, dass eine ausgleichende Wirkung zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen soll. Die Vergütungssysteme haben zwischenzeitlich für die Unternehmen eine weitere Funktion erhalten. Moderne Vergütungssysteme sind – gemäss Kommunikation in den aktuellen Geschäftsberichten – ein wichtiges Element zur Personalgewinnung und -retention geworden. Die Vergütung ist (gerade im Topmanagement-Bereich) nicht mehr nur eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit resp. für die erzielten Resultate; sie wird zusätzlich zur moralischen Verpflichtung bzw. zur Hemmschwelle für die Empfänger, den Arbeitgeber nicht zu wechseln. Diese Entwicklung erschwert es, die geleisteten Vergütungen öffentlich rechtfertigen zu können. Weil immer ausgeklügeltere Entschädigungsprogramme namens ISU, PEP, PIP, SISU oder «Special Share Awards» mit «Caps», «Floors», «Multiplikatoren» usw. dermassen instrumentalisiert werden, werden deren Auswirkungen zudem immer schwieriger einschätzbar. Erschreckend ist auch, so moniert die NZZ jüngst in einem Kommentar, «wenn Verwaltungsräte, welche für die Vergütungen verantwortlich sind, Sitzungen mit kritischen Aktionären nach
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«Als Vergütung bezeichnet man die für eine Dienstleistung in Geld entrichtete oder zu entrichtende Gegenleistung (…)» Wikipedia (a). 2010. online. «Eine Entschädigung ist eine Leistung, insbesondere eine Geldleistung, die zum Ausgleich erlittener Nachteile oder Einschränkungen geleistet wird. (…)» Wikipedia (b). 2010. online. «(…) Kompensieren = fachspr. ausgleichen, durch Gegenwirkung aufheben (…)» best-news. 2010. online.
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kurzer Zeit abbrechen müssen, weil sie deren Fragen nicht beantworten können und zuerst beim Vergütungsberater des Unternehmens nachfragen müssen» 15. Seit den Neunzigerjahren werden regelmässig «Long Term Incentives» eingesetzt. Die Grundidee dieser Vehikel ist es, Vergütungen an die langfristige Auswirkung der eigenen Arbeitsleistung und des nachhaltigen Unternehmenserfolgs zu knüpfen. Die Ausgestaltung der Programme ist aber komplex und die Auswirkung nicht immer abschätzbar. So sind z.B. im Jahr 2010 für einen CEO einer Grossbank Zahlungen aus einem mehrjährigen Programm um einen (im Programm vorgesehenen) Faktor mehr als verdoppelt worden, hauptsächlich weil die Konkurrenz schlechte Ergebnisse schrieb. Dieser Faktor als Element des Vergütungssystems wurde zum Zeitpunkt der Auszahlung durch verschiedenste Experten wie auch durch die Öffentlichkeit kritisch beurteilt – insbesondere, weil der Mechanismus erst bei der Auszahlung klar ersichtlich wurde und nie als zentrales Element des Vergütungssystems transparent gemacht wurde. In Zeiten des grassierenden Herdentriebs in der Finanzbranche mag nämlich die Berücksichtigung des Wettbewerbsumfelds in den Vergütungssystemen geradezu besonders Sinn machen. Die transparente Berichterstattung des Vergütungssystems und dessen Verknüpfung mit Strategie, Risiko und Ertrag ist ein bedeutender Schritt, um die Meinungsbildung über Managementgehälter auf eine sachliche Ebene zu lenken und den Aktionären eine gute Grundlage zu geben, die Vergütungsberichte bei der Genehmigung an der Generalversammlung («Say on Pay») faktenbasiert einzuschätzen. Der Weg zur transparenten Vergütungsberichterstattung von Schweizer Unternehmen ist jedoch noch weit. Nur wenig Hintergrundinformationen und Zahlen zu den gewährten Entschädigungen werden bekannt gegeben, und es erfolgt keine aktive Steuerung dieses Themas durch die Unternehmen. So ist z.B. in einer Publikation zur Zukunft des schweizerischen Finanzsektors «Die Bank der Zukunft – die Zukunft der Bank»16 keiner der knapp 50 Artikel direkt oder indirekt auf die Vergütungs- resp. Entschädigungsthematik ausgerichtet. Und dies, obwohl die meisten dieser Artikel von Personen geschrieben sind, die mit der Geschäftsleitung von Finanzinstituten betraut sind oder als Verwaltungsrat von Finanzinstituten zeichnen. Bewusst gesetzte Transparenz – oder eben Intransparenz – war seit jeher ein Mittel zur aktiven Steuerung von Entschädigungsmechanismen. Dies zeigt die vorzügliche Legende über den Erfinder des Schachspiels, der für sich selbst ein Vergütungssystem entwickeln durfte. Der König Sher Khan zeigte sich mit der vom Erfinder selbst definierten Vergütungssystematik einverstanden, konnte aber – ebenso wie seine Berater – aufgrund seines Bildungs- und Informationsstandes nicht abschätzen, dass die von ihm zugesagte Prämie aufgrund einer mathematischen Formel zu einer so hohen Auszahlung führt, die die Leistungsfähigkeit des gesamten Königreichs überfordert. Ist das auch ein «Moral Hazard»-Phänomen des Begünstigten? 15
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Vgl. NZZ am Sonntag, Meinungen: Anreizpläne abschaffen und Fixlöhne einführen, 11.7.2010, S. 15. Bernet & Partner, 2009. Die Bank der Zukunft – die Zukunft der Bank. 11
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Legende17: Der Weise Mann, der König und das Schachbrett Einer alten Legende nach lebte einst in Indien ein König namens Sher Khan. Während seiner Regentschaft erfand jemand das Spiel, das heute Schach heisst. Der König war von diesem königlichen Spiel so begeistert, dass er den Erfinder des Spieles zu sich an den Königshof rufen liess. Als der Erfinder, ein weiser Mann, vor ihn trat, sagte der König, er wolle ihm eine Belohnung geben für diese vortreffliche Erfindung. Er sei reich und mächtig genug, ihm jeden Wunsch zu erfüllen, sei er auch noch so ausgefallen. Der Mann schwieg eine Weile und dachte nach. Der König ermunterte ihn und sagte, er möge keine Scheu zeigen und einfach seinen Wunsch äussern. Der Mann jedoch erbat sich Bedenkzeit bis zum nächsten Tag, um über seinen Wunsch nachzudenken. Dann, so sagte er, wolle er dem König seinen Herzenswunsch mitteilen. Als der Mann am nächsten Tag abermals vor den König trat, bat er um ein einziges Reiskorn auf dem ersten Feld des Brettes. Der König lachte und fragte ihn, ob das wirklich alles sei, er könne sich doch mehr wünschen? Da antwortete der Mann, er hätte gerne auf dem zweiten Felde zwei Reiskörner, auf dem dritten vier, auf dem vierten acht, auf dem fünften Feld sechzehn Reiskörner. Die Berater des Königs begannen schallend zu lachen, weil sie diesen Wunsch für äusserst dumm hielten. Schliesslich hätte der Mann sich Gold, Edelsteine, Land oder alles Mögliche andere wünschen können. Der König hatte ja sein Wort gegeben und müsste ihn mit Reichtümern überschütten, wenn er es verlangte. Der König war verärgert, weil er dachte, der Erfinder halte ihn für zu arm oder zu geizig. Er sagte, er wolle ihm für alle Felder Reiskörner geben – auf jedem Feld doppelt so viele Körner wie auf dem Feld davor. Doch der Wunsch sei dumm, weil er ihm viel mehr hätte geben können. Der König schickte den Erfinder des Schachspiels aus dem Palast hinaus und liess ihn am Tor warten. Dorthin würde man ihm seinen Reis bringen. Der Weise ging leise lächelnd hinaus. Am Tor setzte er sich hin und wartete geduldig auf seine Belohnung. Abends erinnerte sich König Sher Khan an den seltsamen Wunsch und fragte, ob der Erfinder seine Belohnung schon erhalten habe. Seine Berater wurden nervös und erklärten, dass sie die Belohnung nicht hätten zusammenbringen können – es sei einfach viel zu viel, und die Getreidespeicher würden nicht genug Reis enthalten, um ihn auszuzahlen. Da wurde der König wütend und schimpfte, sie sollten dem Mann endlich seine Belohnung geben, schliesslich habe er es versprochen und das Wort des Königs gelte. Da erklärten seine Berater und der Hofmathematiker, dass es im gesamten Königreiche nicht genug Reis gäbe, um den Wunsch des Mannes zu erfüllen. Ja, dass es auf der gesamten Welt nicht so viel Reis gäbe. Wenn er sein Wort halten wolle, müsse er alles Land auf der Welt kaufen, es in Reisfelder verwandeln und sogar noch die Ozeane als Ackerfläche trockenlegen lassen, um genügend Reis anpflanzen zu können. König Sher Khan schwieg verblüfft. Dann fragte er, wie viele Reiskörner es denn seien. 18.446.744.073.709.551.615 Reiskörner waren die Antwort. Da lachte der König schallend. Er liess den Weisen zu sich rufen und machte ihn zu seinem neuen Berater.
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Persische Sage. Quelle: kochmix. 2010. online.
Executive Compensation – eine über 2000-jährige Kontroverse
Wir wollen uns nicht über Könige im Verwaltungsrat, Vergütungsberater, Hofmathematiker und andere Rollen unterhalten. Die Diskurse in der Historie zeigen jedoch, dass die allgemein verständliche Darstellung von Verantwortlichkeiten und Auswirkungen der Vergütungssysteme zentrale Bedeutung haben. Die Regulatoren sind sich dessen bewusst und haben in jüngster Zeit verschiedene Regelwerke erstellt. Das Financial Stability Board (FSB) definierte Prinzipien, wie Vergütungssysteme auszugestalten sind. Das EU-Parlament hat strikte Vorschriften erlassen, die insbesondere die Vergütungssysteme im Investment Banking verändern werden. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat gewisse Regeln nach schweizerischer Manier adaptiert und für einige wenige Institute bereits als bindend erklärt. Eine Ausweitung der Regeln auf weitere Finanzinstitute und auf zusätzliche Branchen ist nicht nur wahrscheinlich, sondern zu erwarten. Deshalb liegt ein grosses Interesse bei den (Finanz-)Unternehmen, ihre Vergütungsstrukturen den aktuellen Entwicklungen anzupassen und im Bereich der transparenten Berichterstattung zu diesem Thema einen Schritt über die derzeitigen Minimalgrenzen hinaus zu machen. Eine Vorreiterrolle in der Berichterstattung nimmt die kanadische Bank of Montreal (BMO) ein. Aus ihrer seit vielen Jahren vorzüglichen Geschäftsberichterstattung ist in einer – für die Schweiz – unüblichen Klarheit u.a. ersichtlich, welche Managementmitglieder aufgrund welcher persönlichen Leistungen und unternehmerischen Resultate Vergütungen erhalten; die Ergebnisse beinhalten auch eine qualitative Wertung der erreichten Ergebnisse durch den Verwaltungsrat. Die Gehälter der Managementmitglieder erreichen ähnliche Dimensionen wie diejenigen der Schweizer Kollegen. Die Transparenz in der Berichterstattung lässt es aber zu, die Gründe für diese hohen Entschädigungen nachzuvollziehen. Besonders reizvoll an diesem Beispiel ist auch die vorbildhafte Kraft, welche diesem Beispiel entspringt: Der Umfang sprengt nicht die Schweizer Dimensionen, aber dessen Stringenz, Transparenz, Offenheit und Klarheit. Selbst die beiden Vergleichsgruppen (sog. «Peer Groups»), mit denen sich die BMO seit vielen Jahren misst, werden einem transparenten Mehrjahresvergleich mit den Risiken, Erträgen und Ergebnissen der Bank unterzogen. Wohl kaum überraschend ist, dass diese nordamerikanische Bank die Finanz- und Wirtschaftskrise sehr gut gemeistert hat. Das Beispiel fanden wir so bedeutsam und aufschlussreich für die vorliegende Publikation, dass wir es – zumindest ausschnittweise – in den Anhang aufgenommen haben. Die gesamte Geschäftsberichterstattung kann unter www.bmo.com heruntergeladen werden. Die öffentliche Meinung über das Wesen von Millionenentschädigungen und die sozialpolitische Einordnung hoher Gehälter kann mit klaren Vergütungssystemen und transparenter Berichterstattung zwar nicht beeinflusst werden. Jedoch kann durch die Erfüllung der heutigen Regelwerke – oder gar der Angleichung an die internationale «Best Practice» – ein Schritt zur Versachlichung der Diskussion getan werden. Daran sollten insbesondere die Verantwortlichen für die Vergütungssysteme ein Interesse haben. Dieses Buch zeigt auf, welche technischen und inhaltlichen Anforderungen heute an Vergütungssysteme bestehen, wie diese heute in der Praxis umgesetzt werden und welche Mög13
Executive Compensation – eine über 2000-jährige Kontroverse
lichkeiten die Vergütungsverantwortlichen haben, Vergütungssysteme zukunftsgerichtet zu gestalten. Für eine Zukunft, in der Vergütungen wieder im Sinne der Definition wahrgenommen werden: als faire Gegenleistung für eine erbrachte Eigenleistung.
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