Karl Leonhard Reinhold Gesammelte Schriften Kommentierte Ausgabe Band 4 Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens
Schwabe
K A R L L EON H A R D R E I N HOL D
GE SA M M E LT E SCH R I F T E N KOM M E N T I E RT E AUSGA BE
H E R AUSGEGE BE N VON M A RT I N BON DE L I
BaNnDd2/1 4 BA
w i s se ns c h a f t l ic h e r Be i r at W I S SE NS C H A F T L IC H E R BE I R AT k a r l A m e r i k s , no t r e da m e , INDIANA M A N F R E D BAU M , W U PPE RTA L M A N F R E D F R A N K , T Ü BI NGE N A N DR E A S GR A E SE R , BE R N H E L M U T HOL Z H E Y, Z Ü R IC H WOL FG A NG RO T H E R , BA SE L /Z Ü R IC H A L E X A N DE R VON S C HÖN B OR N, C OLU M BI A , M I S S OU R I PI E R LU IGI VA L E NZ A , ROM
SCH WA BE V E R L AG BA SE L
K A R L L EON H A R D R E I N HOL D
U E BER DAS U NDAMENT BR IFEFE DES PHILOSOPHISCHEN WISSENS Ü BER DI E K A N T ISCH E NEB ST EINIGEN ERL ÄU PH I LOSOPH I ETERU NGEN Ü BER DIE THEORIE ER ST ERNGSV BA NERMÖGENS D DES VORSTELLU H E R AUSGEGE BE N VON HERAUSGEGE BEN VON MARTIN BONDELI M A RT I N BON DE L I U NTER MITWIRK U NG VON SILVAN IMHOF
SCH WA BE V E R L AG BA SE L
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds Förderung wissenschaftlichen Forschung zurzur Förderung derder wissenschaft lichen Forschung und der UniBern der Stiftung und zur Förderung derForschungsstiftung wissenschaftlichen Forschung an der Universität Bern
© 2007 by Schwabe AG , Verlag, Basel Satz: www.post-scriptum.biz © post 2011scriptum, by Schwabe AG, Verlag, Basel Druck: Schwabe AGAG, , Druckerei, Muttenz / Basel Herstellung: Schwabe Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN978-3-7965-2601-5 978-3-7965-2218-5 ISBN www.schwabe.ch
In ha lt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
1. Zur Entstehung der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Reaktion auf neuere Kritiken der Elementarphilosophie IX. Anknüpfung an die Pläne und Aufgaben der Elementarphilosophie XIII.
2. Zum Kontext der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zur Natur und zu den Entwicklungsschritten der Elementarphilosophie XVI. Etappen der Kant-Kritik XXX. Das Spannungsfeld von Kritik und Verteidigung XXXVII.
XVI
3. Zur Wirkung der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLVI Die Diskussion um den «materialen» Satz des Bewusstseins XLIX. Die Auseinandersetzung mit Kants Fundament der Ermöglichung von Erfahrung LIV.
4. Die zentralen Themen der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LVIII
Die Fundamente des philosophischen Wissens bei Leibniz, Locke und Hume LIX. Das Fundament der Vernunftkritik LXVIII. Das umfassende und feste Fundament der Elementarphilosophie LXXVII. Die Reinhold-Verteidigungen in den Beilagen Erhards und Forbergs LXXXV.
Hinweise zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen und Kurztitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XCI XCIII XCVII
Karl Leonhard Reinhold Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Ueber das Fundament des philosophischen Wissens . . . . . . . . . . . . .
15
VI
Inhalt
Die im 26sten Stück der A.L.Z. von 1791 enthaltene Beurtheilung der Reinholdschen Elementarphilosophie. Geprüft von J. B. Ehrhard aus Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Des Herrn Hofrath und Professor Schwab Gedanken über die Reinholdsche Theorie des Vorstellungsvermögens. Im 2ten St. des 3ten Bandes des Eberhardschen Magazins. Geprüft von M. F. C. Forberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
Einleitung 79. Prüfung einer Beurtheilung der Reinholdschen Elementarphilosophie 81.
Vorbericht des Herausgebers 103. Prüfung der Schwäbischen Einwürfe gegen die Reinholdsche Theorie 105. Zusatz des Herausgebers 125.
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
Allgemeine Literatur-Zeitung 26/27. 28. Januar 1791, 201–208; 209–214 [Rezensent A. W. Rehberg] (Beyträge zur Berichtigung bisheriger Misverständnisse der Philosophen. Erster Band) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
Philosophisches Magazin. Hg. von Johann August Eberhard. Dritten Bandes zweytes Stück. Halle 1790, 125–147 (Ueber den Reinholdischen Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, von J. C. Schwab) . . . .
139
Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 251
Ei n leit u ng Die hier neu veröffentlichte Schrift Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens (Fundamentschrift) aus dem Jahre 1791 gehört zusammen mit dem 1789 er schienenen Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsver mögens und den beiden Bänden der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen von 1790 und 1794 zu den Schlüsseltexten von Reinholds Plan, Kants Ergebnisse der Kritik der theoretischen und prak tischen Vernunft zu einem umfassenden System der Elementarphilosophie fortzuentwickeln. Im Unterschied zum Versuch und zu den Beiträgen findet sich in ihr zwar weder eine umfassende Darstellung noch der Ansatz einer Neudarstellung dieses Systems, jedoch enthält sie eine Reihe hilfreicher Erklä rungen, Präzisierungen und Kontextbestimmungen zu dessen Fundament, d. h. zu dem mit dem menschlichen Seelenvermögen in Zusammenhang ge brachten Ausgangsbegriff der Vorstellung und zu dem in den Rang eines ersten Grundsatzes alles Wissens erhobenen Satz des Bewusstseins. Ungleich deut licher und konzentrierter als in den anderen Werken wird in ihr zum Ausdruck gebracht, welche anspruchsvollen wissenschaftlichen Ziele es bei der Fundie rung und Darstellung des elementarphilosophischen Systems zu verfolgen gilt: die Etablierung eines absolut gewissen, unumstößlichen Grundsatzes alles Wissens sowie die Präsentation des gesamten Wissensgebäudes in einer nach Grund-, Lehr- und Folgesätzen geordneten Systemform. Und in Fortsetzung früherer Überlegungen zum Anschluss an die Vorgaben Kants wird in ihr nun auch die Abhebung der Elementarphilosophie von Kants System der Vernunft kritik mit der nötigen Schärfe markiert. Reinhold ringt sich zur richtungwei senden Auffassung durch, die Vernunftkritik sei in ihrem Fundament «weder allgemein (umfassend) noch auch fest genug, um das ganze wissenschaftliche Gebäude der Philosophie zu tragen»,1 und müsse deshalb, so erfolgreich sie die Mängel bei Leibniz, Locke und Hume aufgedeckt und beseitigt habe, nun auch selbst durch eine höhere Theorieform, die Elementarphilosophie, überwunden werden. Fundament, 129. – Die Seitenangaben beziehen sich auf die Originalausgabe.
1
VIII
Einleitung
Das Urteil Kuno Fischers, die Fundamentschrift sei «der bündigste Ausdruck und die sicherste Form der Elementarphilosophie»,2 ist vor diesem Hinter grund nicht unzutreffend. Allerdings darf dies nicht zum Missverständnis verleiten, sie stehe für die endgültige und vollständig ausgearbeitete Fassung der Reinhold’schen Elementarphilosophie. Wie alle einschlägigen Texte Rein holds zu seinem ambitiösen Systemunternehmen zeugt gleichfalls die Funda mentschrift vom Bemühen, Erreichtes nicht nur zu verteidigen und zu festigen, sondern im Falle berechtigter Kritik auch zu modifizieren. Die sichere, souve rän wirkende Gedankenführung, die in ihr vorherrscht, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass ihr Autor sich im Ganzen gesehen auf einem mühe vollen, keineswegs über alle Zweifel erhabenen Weg der Ausformulierung seiner Grundeinsichten befindet. Hinzu kommt, dass in der Fundamentschrift die von Reinhold angestrebte Fundierung eines theoretischen und praktischen Teils der Elementarphilosophie noch nicht zum Abschluss gelangt ist. Wie der zweite Band der Briefe über die Kantische Philosophie von 1792 dokumentiert, befasst Reinhold sich im Laufe des Jahres 1791 intensiv mit Fragen zum praktischen Teil der Elementarphilosophie und gelangt 1792 zu dem Schluss, dass der Satz des Bewusstseins nur unter Einbeziehung von Überlegungen zu den Begriffen des Selbstbewusstseins und der Willensfreiheit weiterhin als erster Grundsatz der Elementarphilosophie gelten kann. In der Fundament schrift ist dieser Reflexionsschritt noch kaum greifbar. Dasselbe gilt hinsichtlich der Reinhold’schen Bemühung, die Systemform von Grund-, Lehr- und Fol gesätzen begründungsmethodisch zu konkretisieren. In dem 1792 niederge schriebenen ersten Aufsatz3 der Beiträge II wird Reinhold diesbezüglich von einem kooperativen Verhältnis von gesundem Verstand und philosophierender Vernunft ausgehen, das 1791 erst in Andeutungen zur Diskussion steht. Noch überwiegt in der Fundamentschrift die seit Reinholds frühem kantischen Denken übliche Polemik gegen die Parteien und Autoren, die sich auf den gesunden Menschenverstand berufen.
K. Fischer: Geschichte der neueren Philosophie. Sechster Band. Fichtes Leben, Werke und Lehre. 4. durchgesehene Auflage. Heidelberg 1914, 22f. 3 «Ueber den Unterschied zwischen dem gesunden Verstande und der philosophie renden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beyde möglichen Wissens» (Beiträge II, 1–72). 2
Einleitung
IX
1. Zur Entstehung der Schrift Erschienen ist die Fundamentschrift zur Ostermesse 1791 (22.–28. Mai). Von der auf den 17. Mai datierten Vorrede ist zudem im Neuen Teutschen Merkur vom Juni 17914 ein leicht veränderter Wiederabdruck veröffentlicht worden. Zuvor hatte Reinhold im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung eine mit dem Datum des 23. März versehene Anzeige der Schrift eingereicht, die dort in der Ausgabe vom 9. April zusammen mit einem Hinweis des Verlegers Mauke auf die «künftige Ostermesse» herauskommende Reinhold’sche Schrift abgedruckt wurde.5 Über ihre Entstehung geben neben dieser Anzeige die Briefe Reinholds vom Frühjahr 1791 und andere Dokumente, welche diese Periode betreffen, Auskunft. Sie machen deutlich, dass Reinholds damalige Fortsetzung seiner elementarphilosophischen Pläne und Aufgaben wesentlich durch die Verarbeitung massiver Einwände seiner Kritiker mitbestimmt wurde.
Reaktion auf neuere Kritiken der Elementarphilosophie Reinhold hat die Fundamentschrift, wie der vollständige Titel wiedergibt, durch verteidigende Erörterungen zur Theorie des Vorstellungsvermögens ergänzt. Als Beilage hat er zwei akribisch argumentierende Entgegnungen auf kritische Rezensionen zu den Beiträgen I und zum Versuch aufgenommen. Die beiden Entgegnungen, die zunächst offenbar als selbstständige Aufsätze vor gesehen waren,6 stammen von Autoren, die seinem Jenaer Anhängerkreis zu zurechnen sind. Die erste hat der sowohl mit Reinhold als auch mit Kant freundschaftlichen Umgang pflegende Johann Benjamin Erhard verfasst, die zweite Karl Friedrich Forberg, in den frühen 1790er Jahren erfolgreicher Schüler Reinholds, später theologiekritischer Mitstreiter Fichtes. Reinhold leitet den gegenkritischen Beitrag Forbergs in der Funktion des Herausgebers mit einem kurzen «Vorbericht» ein und beschließt ihn mit einem «Zusatz». Wie und worüber läßt sich in der Philosophie Einverständniß der Selbstdenker hoffen? In: NTM 1791 (Juni) II, 134–147. 5 Intelligenzblatt der ALZ 1791. Nr. 47. 9. April, 398f. 6 Dies gilt jedenfalls für den Beitrag Forbergs. Laut Reinholds «Vorbericht» (Funda ment, 185) war dieser nicht von vorneherein als Beilage zur Fundamentschrift vor gesehen. 4
X
Einleitung
Zudem fügt er in beide Texte bekräftigende polemische Anmerkungen ein. Dieses Vorgehen ist für seine damalige Auseinandersetzung mit Kritikern der Elementarphilosophie keineswegs untypisch. Reinhold reagierte stets sehr empfindlich auf Einwände zu seinem Systemunternehmen. Da er sich nach dem ersten Schub von Rezensionen zum Versuch teilweise ungerechtfertigter Kritik ausgesetzt sah, hielt er es für nötig, Gegendarstellungen niederzuschrei ben und diese am Ende der Beiträge I mit einleitenden Bemerkungen abzu drucken.7 Mit der Fundamentschrift setzte er diese Praxis mit Unterstützung seiner Anhänger in akzentuierter Weise fort, wobei im Falle dieser Schrift die Replik auf neuere Kritiken und die Bekräftigung eigener Ansichten von vorneherein auch weit stärker die Entstehungsdynamik prägen sollte als noch im Falle der Beiträge I.8 In der Anzeige aus dem Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung erwähnt Reinhold als Entstehungsgrund seiner Schrift das vordringlich gewor dene Bedürfnis, sich über ein verbindliches Fundament philosophischen Wissens Klarheit zu verschaffen, und führt als Ergänzung an: «Die Fragen: ‘Was hat man unter dem Fundamente des philosophischen Wissens bisher verstan den? Wo wurde dasselbe bisher aufgesucht? Was ist darunter zu verstehen? und wo kann es gefunden werden?’ schienen mir daher eine besondere Ausführung zu verdienen, zu der ich bereits einige Materialien gesammelt hatte: als mich die Recension des Ersten Bandes meiner Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophie, No. 26 und 27 der A. L. Z., in welcher das in diesem Buche beleuchtete Fundament meines eigenen Systemes gänzlich mißverstanden und scheinbar genug gemißdeutet wurde, auf Erörterungen führte, welche mir über den Gegenstand jener Fragen ein mir selbst ganz un erwartetes Licht zu verbreiten scheinen. Da die Aufmerksamkeit selbstdenken der Freunde der Philosophie eben jetzt auf die so allgemein erschütterten Grundfesten des philosophischen Wissens gerichtet ist, und die erwähnten Erörterungen über dieses für das Fundament meiner Theorie Aufschlüsse enthalten, die den Lesern derselben ihre Arbeit erleichtern müssen: entschloß Dies betrifft die Rezensionen zum Versuch von Flatt, Heydenreich und Feder (vgl. Beiträge I, 373–456). 8 D. Henrichs Charakterisierung der Fundamentschrift als eine Art Methodentraktat, mit dem Argumente der Gegner bekämpft und Zweifel in der Schülerschaft zerstreut werden sollen (vgl. Grundlegung aus dem Ich. Bd. 1, 608), ist von daher nicht unzu treffend. 7
Einleitung
XI
ich mich, meine Abhandlung: Ueber das Fundament des philosophischen Wis sens nächste Ostermesse herauszugeben. Da ich aus Gründen, welche ich dem Publikum in den gedachten Beyträgen vorgelegt habe, nie andere Einwürfe, als welche meinen ersten Grundsatz betreffen, öffentlich beantworten kann: so glaube ich mir die Freunde und Gegner der kritischen Philosophie um so mehr zu verbinden, wenn ich Ihnen bey dieser Gelegenheit zugleich die, auch in anderen Rücksichten merkwürdigen, Prüfungen mittheilte, welche zwey mei ner Freunde, der Eine mit den in der Recension der Beyträge in der A. L. Z. von einem ungenannten Verfasser, der Andere mit den im 2 St. des 3 B. des Eberhardschen Magazins von Herrn Hofrath Schwab vorgebrachten Einwürfen gegen die Theorie des Vorstellungsvermögens, vorgenommen haben.»9 Nicht nur die beiden «merkwürdigen Prüfungen», d. h. die Entgegnungen Erhards und Forbergs, haben ihren Anteil an der Genese der Fundamentschrift. Auch die geprüften Texte sind, wie Reinhold im Blick auf die genannte Rezen sion der Beiträge I kenntlich macht, als treibender Faktor zu betrachten. Der Text von Johann Christoph Schwab, dessen sich Forberg gründlich annahm, ist ein Ausdruck der sich verschärfenden Polemik gegen die Philosophie Kants und Reinholds seitens des von Johann August Eberhard herausgegebenen Philosophischen Magazins. In diesem die Lehre von Leibniz und Wolff in Ehren haltenden Organ im Jahre 1790 unter dem Titel Ueber den Reinholdischen Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens er schienen,10 ist er nicht eigentlich eine Rezension, sondern eine auf Diffamierung angelegte Zusammenstellung Reinhold’scher Fehler und Widersprüche. Es versteht sich, dass der Angegriffene schwer umhin konnte, darauf, wenn nicht mit einer separaten Schrift, so doch im Rahmen einer Publikation zur Elemen tarphilosophie, zu replizieren. Mit der Fundamentschrift bot sich hierzu die passende Gelegenheit. Beim anderen geprüften Text, der von Erhard kritisch durchmusterten Rezension der Beiträge I, die anonym Ende Januar in der Allgemeinen Literatur-Zeitung veröffentlicht wurde,11 handelt es sich um eine zwar weniger gehässige, alles in allem aber gleichfalls vernichtende Kritik am gesamten elementarphilosophischen Vorhaben. Wenn Reinhold hierzu er wähnt, dieser Text habe ihn trotz aller Missverständnisse und Fehldeutungen zu Erörterungen geführt, die neues Licht in die Klärung der Fundamentfrage Intelligenzblatt der ALZ 1791. Nr. 47. 9. April, 399. Philosophisches Magazin. 1790, Bd. III, Stück II, 125–147. 11 ALZ 1791. Nr. 26 und Nr. 27. 28. Januar, 201–208, 209–214. 9 10
XII
Einleitung
gebracht hätten, so gilt es in Erwägung zu ziehen, ob die Wirkung, die diese Rezension bei ihm hinterließ, nicht sogar umfassender war. In einem auf März 1791 zu datierenden Brief schreibt Reinhold seinem Herzensfreund Jens Baggesen: «Eine höchst schiefe Recension meiner Beyträge hat eine Abhand lung über das Fundament des philosophischen Wissens bey mir veranlasset».12 Überliefert ist zudem, dass diese Rezension, von der man bald wusste, dass sie von August Wilhelm Rehberg stammt, auf Reinhold vorerst alles andere als erbaulich oder erkenntnisfördernd wirkte. Reinhold war nach ihrer Lektüre sehr verletzt. In Forbergs Bericht über seine Jenaer Jahre mit Reinhold liest man: «Rehberg’s Recension dieser Beiträge in der A. L. Z. betrübte ihn tief. Ich war am Abend jenes Tages, wo ihm die Recension zugekommen, mit mehreren Studirenden bei ihm. Er sprach mit ungewöhnlich gedämpfter Stimme und Thränen standen ihm in den Augen.»13 Zu dieser Niedergeschlagenheit dürften nach Bekanntwerden des Verfassers der Rezension Gefühle der Wut und Enttäuschung hinzugekommen sein. Rehberg war ein im Kreise der – allge mein als kantfreundlich geltenden – Allgemeinen Literatur-Zeitung geschätzter, die kritische Philosophie kompetent beurteilender Autor. Reinhold empfand Rehbergs Rezension somit wohl auch als hinterhältigen Angriff aus dem eige nen Lager. Ob diese Rezension nun lediglich zu einer Richtungsänderung oder einem markanten Klärungsprozess auf seinem Weg zur Fundamentschrift geführt oder ob sie ihn in der damaligen Gefühlslage zu dieser Schrift sogar veranlasst hat, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die Auseinandersetzung mit Rehbergs Rezension darin deutliche Spuren hinterlassen hat. Neben der Replik in Erhards Beilage finden sich auch in den Anfangsteilen des Haupttextes Einlassungen zu Behauptungen, die eindeutig auf Rehbergs Rezension ver weisen. Es ist mithin auch nicht auszuschließen, dass Rehbergs Intervention Reinhold zu einer erneuten Vergegenwärtigung von Lehrstücken Kants drängte und dadurch indirekt zu Reinholds markanter Abhebung der Elementar philosophie von der Vernunftkritik beitrug.
Reinhold an Baggesen ([Anf.]/ 21. März 1791). Korrespondenzausgabe III, Nr. 243. Lebenslauf eines Verschollenen, 31.
12 13
Einleitung
XIII
Anknüpfung an die Pläne und Aufgaben der Elementarphilosophie Aus dem Briefwechsel Reinholds erfährt man erstmals Mitte März 1791 von der in Entstehung begriffenen Fundamentschrift.14 In den Monaten zuvor ist hin sichtlich der Publikationspläne zum Thema der Elementarphilosophie aus schließlich von den Beiträgen und den Briefen die Rede. Noch vor der Veröffent lichung der Beiträge I im Oktober 1790 gab Reinhold bekannt, dass er das ursprüngliche Vorhaben, aus den «Beyträgen» ein Journal zu machen, aufgrund mangelnder Nachfrage aufgegeben und sich stattdessen für die Herausgabe einer ersten Serie von Aufsätzen zur Elementarphilosophie in Buchform entschieden habe.15 Vor dem Hintergrund des Kernstücks der Beiträge I, der «Neuen Darstel lung der Hauptmomente der Elementarphilosophie»,16 war zu erwarten, dass die hiermit begonnene neue und verbesserte Durchführung des mit dem Versuch erstmals realisierten Systemvorhabens demnächst weiter vorangetrieben werden sollte. Was die Briefe anbelangt, hatte Reinhold bereits mit dem Erscheinen des ersten Bandes im Frühjahr 1790 eine Fortsetzung in Aussicht gestellt.17 Diese Aufgabe, die nicht zuletzt die Ausarbeitung des praktischen Teils der Elementar philosophie zum Ziel haben sollte, wurde sodann auch zügig in Angriff genom men. Ein erster in diese Reihe passender Aufsatz wurde im Sommer 1790 nie dergeschrieben.18 Im März 1791 folgte der an Baggesen gerichtete Aufsatz Ueber Neben dem Hinweis auf die Schrift in Reinholds Brief an Baggesen von März 1791 findet sich auch eine Erwähnung im Brief Reinholds an Wieland vom 13. März 1791: «Ich habe itzt eine Abhandlung über das Fundament des Philosophischen Wissens unter der Feder» (Korrespondenzausgabe III, Nr. 246). Im Brief Reinholds an Baggesen vom 15. April ist davon die Rede, «die Abhandlung über das Fundament des Philosophischen Wissens» sei bereits «unter der Presse» (ebd. Nr. 246). Damit kann offensichtlich nicht gemeint sein, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon endgültig oder in sämtlichen Teilen im Druck war. Die Vorrede ist, wie erwähnt, auf den 17. Mai datiert. Eine Äußerung im Brief Erhards an Reinhold vom 10. /11. Mai (vgl. ebd. Nr. 263) deutet darauf hin, dass ersterer zu diesem Zeitpunkt seine Beilage nochmals redaktionell überprüfte. 15 Siehe den Brief Reinholds an Nicolai vom 8. September 1790 (Korrespondenzaus gabe II, 303). 16 Beiträge I, 165–254. 17 Siehe Briefe I, Vorrede X. 18 Ehrenrettung der neuesten Philosophie. In: NTM 1791 (Januar) I, 81–112. – Laut der Mitteilung Reinholds an Göschen vom 15. Juli 1790 war dieser Aufsatz, der 1792 als Anfangsbrief der Briefe II erscheint, «beynahe ganz fertig» (vgl. Korrespondenzaus gabe II, 283). 14
XIV
Einleitung
die Grundwahrheit der Moralität und ihr Verhältniß zur Grundwahrheit der Religion,19 den Reinhold zusammen mit weiteren 1791 und 1792 verfassten Aufsätzen zu Themen der Moral, des Rechts und der Willensfreiheit in die Briefe II integrierte.20 Angesichts dieser Schwerpunkte in Reinholds Publikationsplänen und Aufgabenkatalog zur Elementarphilosophie wirkt die Fundamentschrift etwas außerplanmäßig. Es ist nahe liegend, dass die Entscheidung für ihre Ab fassung erst Ende 1790 oder Anfang 1791 gefallen ist. Dies ändert freilich nichts daran, dass die Schrift thematisch keineswegs im Zeichen eines Bruchs oder eines nebenseitigen Fortgangs der elementarphilo sophischen Gedankenführung steht. Reinhold hatte es nach dem Erscheinen der Beiträge I offenkundig als nötig erachtet, sich primär einer weiteren begriff lichen Durchdringung und Verteidigung des Fundamentes der Elementarphilo sophie zu widmen und damit jene Richtung fortzusetzen, die im Rahmen der Beiträge I in den Abschnitten «Ueber das Bedürfniß, die Möglichkeit und die Eigenschaften eines allgemeingeltenden ersten Grundsatzes der Philosophie»21 sowie «Ueber die Möglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft»22 dominant geworden war. Die aufklärerische Losung, sich für das «Eine, was der Menschheit Noth ist» zu engagieren, die Reinhold zuvor vor allem im Kontext seiner Mitteilungen über die fruchtbare Anwendung moraltheologi scher Resultate der Vernunftkritik artikuliert hatte, wurde mit dieser Entschei dung nun vornehmlich auf das Fundament der kommenden Philosophie be zogen. Ein allgemein akzeptiertes Fundament der Philosophie ist, so Reinholds damalige Vision, die unbedingte Voraussetzung für ein aufgeklärtes, men schenwürdiges Zeitalter. Hinzu kam, dass die im Abschnitt «Ueber das Ver hältniß der Theorie des Vorstellungsvermögens, zur Kritik der reinen Vernunft»23 aus den Beiträgen I begonnene Kritik an einzelnen Lehrstücken der Vernunftkritik umgehend das Bedürfnis weckte, diese Sache künftig noch schärfer und in ihren Schlussfolgerungen offener auszuformulieren. Die im Februar 1791 veröffentlichte Rezension Reinholds zur zweiten und dritten Auflage der Kritik der reinen Vernunft24 bringt eine Präzisierung seiner bis 21 22 23 24 19 20
NTM 1791 (März) I, 225–262. Siehe Reinhold: Gesammelte Schriften 2/2, XIIff. Beiträge I, 93–164. Beiträge I, 341–372. Beiträge I, 257–338. ALZ 1791. Nr. 54 und Nr. 55. 18. Februar, 425–432, 433–435.
Einleitung
XV
herigen Kant-Kritik mit sich und erweist sich damit als bedeutsame Wegmarke im Übergang zu der mit der Fundamentschrift gewonnenen Ansicht, die Vernunftkritik sei durch eine höhere Theorieform zu überwinden. Was in diese Kontinuitäten abgesehen von der intensivierten Auseinandersetzung mit den Kritikern am stärksten als neuartiges Moment hineinwirkt, ist das steigende Interesse an einer Aufhellung der erreichten elementarphilosophischen Posi tion durch den Vergleich mit philosophiehistorischen Paradigmen der Vorstel lungstheorie. Einen Anstoß dazu gaben dabei zweifelsohne die von Georg Gustav Fülleborn seit Ende 1790 geplanten und sich 1791 mit einem ersten Stück präsentierenden Beyträge zur Geschichte der Philosophie.25 Der sich als Anhänger der Elementarphilosophie verstehende Fülleborn war darum be müht, Reinhold als zugkräftigen Autor zu gewinnen.26 Dies mit Erfolg: Reinhold publizierte im ersten Stück den aus einem Vorlesungsvortrag27 ent standenen Aufsatz Über den Begrif der Geschichte der Philosophie, aus dem sich, was die Behandlung von Fragen zur Definition von Philosophie überhaupt betrifft, 28 Parallelen zu den Ausführungen dieser Thematik in der Fundament schrift erkennen lassen.29 Wie aus dem Versuch und den Briefen I ersichtlich wird, war Reinhold seit den Anfängen seiner vorstellungstheoretischen Refle xionen der Überzeugung, diese ließen sich in einen geordneten Zusammen hang mit entsprechenden antiken und neuzeitlichen Theorieansätzen bringen.30 Beyträge zur Geschichte der Philosophie. Hg. von G. G. Fülleborn. Erstes Stück. Züllichau und Freystadt 1791. 26 Man beachte dazu die diesbezügliche Äußerung Fülleborns in dessen Brief an Reinhold vom 20. November 1790 (vgl. Korrespondenzausgabe II, 318). 27 Reinhold las an der Universität Jena im Frühjahr 1791 zu Logik und Metaphysik, zur Kritik der reinen Vernunft anhand des Versuchs sowie zur Geschichte der Philosophie. Ein von ihm zum letzten Thema benutztes Standardwerk war J. Gurlitt: Abriß der Geschichte der Philosophie. Zum Gebrauche der Lehrvorträge. Leipzig 1786. 28 Vgl. Über den Begrif der Geschichte der Philosophie, 5–12. 29 Zu weiteren systematischen Zusammenhängen des Aufsatzes mit der Fundament schrift siehe M. Heinz: Untersuchungen zum Verhältnis von Geschichte und System der Philosophie in Reinholds Fundamentschrift, 334–346; M. Heinz / V. Stolz: Ver nunft und Geschichte: Von Kant zu Reinhold, 162–173. Zur Bedeutung des Aufsatzes für die historische Grundorientierung von Reinholds Elementarphilosophie siehe K. Ameriks: Reinhold über Systematik, Popularität und die ‘historische Wende’, 326–331. 30 Siehe etwa Versuch, 166f., 207ff., 260ff.; Briefe I, 10. und 11. Brief. 25
XVI
Einleitung
Mit den in der Fundamentschrift unterbreiteten Ergebnissen zum Fundament des Wissens bei Locke, Leibniz, Hume, Kant und schließlich zur eigenen Ele mentarphilosophie ist in diesem Punkt eine neue qualitative Stufe erreicht.
2. Zum Kontext der Schrift Als Leser der Fundamentschrift wird man mit Thesen, Argumenten und kriti schen Erörterungen zur Frage des Fundamentes des philosophischen Wissens konfrontiert, die teils aus sich heraus, teils erst bei einer Vergegenwärtigung vorangehender Entwicklungen in Reinholds damaligem Denken verstehbar sind. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass Reinhold sich seit Ende der 1780er Jahre mit der Ausarbeitung eines Systems der Elementarphilosophie befasste, die mehrere Stadien durchläuft und durch Neuansätze gekennzeichnet ist. In die Überlegungen einzubeziehen ist zudem die Tatsache, dass diese Ausarbeitung, die stets mit aufklärerischen Zielen der intellektuellen Vereini gung einherging, zu einer anforderungsreichen und durch damalige Kontro versen komplexer werdenden Bewältigung philosophisch-systematischer Probleme führte. Die Aufstellung eines philosophischen Systems erforderte neben allen innovatorischen Leistungen die Anknüpfung an das Problem niveau großer Vorgängersysteme und profunder systemkritischer Beiträge. Angesichts der gut fundierten und zum Teil subtil aufbereiteten begründungsund grundsatzphilosophischen Resultate, die mit dem klassischen Rationalis mus, dem Empirismus, dem Skeptizismus und schließlich mit der Vernunft kritik Kants zur Diskussion standen, war Reinhold sich bewusst, dass er nicht umhin konnte, eine Reihe diffiziler Fragen zum Systemfundament, zu der damit zusammenhängenden Struktur der Begründung von Wissen, zur System architektonik und zu anderen Sachfragen zu erörtern.
Zur Natur und zu den Entwicklungsschritten der Elementarphilosophie Das zunächst als «Theorie des Vorstellungsvermögens», sodann als «Elemen tarphilosophie», «Philosophie überhaupt» oder auch «Philosophie ohne Bey namen» bezeichnete nachkantische Systemunternehmen, dem Reinhold sich seit seiner Lehrtätigkeit in Jena intensiv zuzuwenden begann, ist Bestandteil seines Mitte der 1780er Jahre vernehmbaren Plans, neben der durch exoteri
Einleitung
XVII
sche, aufklärungspragmatische Antriebe dominierten Anwendung moraltheo logischer Resultate Kants eine durch primär esoterische Gründe geleitete «Organisation des kantischen Systems selbst» zu verfolgen.31 Während das erste Vorhaben in der Folge hauptsächlich mit dem Projekt der Briefe über die Kantische Philosophie umgesetzt wurde, kam das zweite mit dem Versuch von 1789 entscheidend zum Durchbruch. Reinhold unterbreitete mit diesem Werk eine Neudarstellung des gesamten, sowohl den Bereich der theoretischen als auch der praktischen Vernunft enthaltenden Systems der Vernunftkritik. Diese Neudarstellung ist ihrem Aufbau nach derart konzipiert, dass zunächst eine grundlegende Theorie des Vorstellungsvermögens entfaltet wird. Darauf folgen Theorien des Erkenntnisvermögens und des Begehrungsvermögens. Während zu der letzteren eine sich lediglich auf Grundlinien beschränkende Ausführung zu Auffassungen des Begehrens, des Triebes, des Wollens, der Moralität und der Freiheit vorliegt, ist die erstere verhältnismäßig ausführlich in der Reihenfolge einer Theorie der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft entfaltet. Reinhold folgt hiermit Kants Gliederung des transzenden talen Ansatzes in Ästhetik, Analytik und Dialektik. Was er mit dem Versuch vorlegt, ist dabei aber keineswegs ein Kommentar oder eine fasslichere, neu eingekleidete Präsentation der Vernunftkritik. Vielmehr werden die Vorgaben Kants gezielt ausgewählt und gewichtet, teils definitorisch präzisiert, teils vervollständigt. Von vorneherein hegt Reinhold damit den Anspruch, die Vernunftkritik zu revidieren und von Defiziten zu befreien. Allerdings ist der Versuch, wie Reinhold einräumen muss, auch selber noch kein makelloses Werk.32 Vor allem ist er nicht Ausdruck einer bereits vollstän digen Umsetzung des ihm zugrunde liegenden Systemgedankens. Damit ist nicht nur auf die rudimentäre Ausführung des praktischen Teils angespielt, es stellt sich auch heraus, dass Reinholds Systemgedanke umfangreicher und differenzierter ist, als dies aus dem Versuch kenntlich wird. Dem in den Bei trägen I vorgelegten «Versuch einer neuen Eintheilung der Philosophie»33 ist zu entnehmen, dass das Gesamtgebäude der Philosophie, soweit es den Bereich des reinen und nicht jenen des empirischen Wissens betrifft, in eine reine Philosophie als solche (die «Elementar-Philosophie» im engeren Sinne) und Siehe Korrespondenzausgabe I, 153, sowie Reinhold: Gesammelte Schriften 2/1, XXXVIIIff. 32 Zur Selbstkritik, die Reinhold in dieser Hinsicht liefert, siehe Beiträge I, 386–404. 33 Beiträge I, 85–90.
31
XVIII
Einleitung
eine abgeleitete reine Philosophie eingeteilt und dass letztere in eine Reihe von Teilsystemen der theoretischen und praktischen Philosophie untergliedert werden soll. Mit diesem Vorschlag wird Reinhold den Versuch nachträglich als «Theorie zur künftigen Wissenschaft», d.h. als ein zur Wissenschaft lediglich hinführendes Unternehmen umschreiben.34 Während Reinhold mit dem Versuch ein wenn auch nicht vollständiges, so doch umfassendes System des Vorstellungsvermögens präsentiert, liefert er in den folgenden Publikationen nur einzelne Stücke zu seinem neu dimensionier ten System. Der im «Versuch einer neuen Eintheilung der Philosophie» skiz zierte Systemplan wird nur beschränkt realisiert. Die in der «Neuen Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie» aus den Beiträgen I unterbrei teten Abschnitte einer «Fundamentallehre» und einer «Theorie des Erkennt nißvermögens überhaupt» sind insgesamt lediglich ein erster Teil dessen, was unter der reinen Philosophie oder Elementarphilosophie im engeren Sinne ausgeführt werden soll.35 Die Theorie des Erkenntnisvermögens, die im Versuch den Hauptschwerpunkt bildete und die es dem «Versuch einer neuen Ein theilung der Philosophie» gemäß künftig in ihren einzelnen formalen und materialen Segmenten (Mathematik, Logik, allgemeine und besondere Onto logie) innerhalb der abgeleiteten reinen Philosophie zu behandeln gilt,36 be schränkt sich mit der «Neuen Darstellung der Hauptmomente der Elementar Vgl. Reinhold an Baggesen. 11. Juni 1792 (Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi. Leipzig 1831. Erster Theil, 195). – Reinhold argumentiert damit ähnlich wie zwei Jahrzehnte später Hegel, der seinen ersten großen Beitrag zu einem System der wissenschaftlichen Philosophie, die Phänomenologie des Geistes, im Nachhinein zu einer den wissenschaftlichen Stand punkt allererst erklimmenden «Voraussetzung» der Wissenschaft der Logik und des gesamten, enzyklopädischen Systems hinuntergestuft wissen will (vgl. Wissenschaft der Logik. GW 21, 54f.), wobei sich ein Vergleich hier auch insofern aufdrängt, als sowohl der Versuch als auch die Phänomenologie des Geistes in der Tat nicht nur den Charakter von Voraussetzungen oder Einleitungen, sondern auch von Prototypen des Systems der wissenschaftlichen Philosophie haben. Sie nehmen das Grundgerüst und einzelne Materialien des kommenden Systems vorweg. 35 Reinhold plante hierzu eine «Wissenschaft der ursprünglichen Formen der bloßen Vorstellungen» (Beiträge I, 86), die in Anlehnung an den Aufbau des Versuchs eine Theorie des Vorstellungsvermögens überhaupt sowie damit verbundene vor stellungstheoretische Teiltheorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft enthalten sollte. 36 Vgl. Beiträge I, 88f. 34
Einleitung
XIX
philosophie» auf eine Wiedergabe präliminarer Bestimmungen und wird auf einer Stufe entfaltet, welche noch keineswegs die abgeleitete reine Philosophie tangiert. Dagegen gelingt es Reinhold, die Theorie des Begehrungsvermögens, die im «Versuch einer neuen Eintheilung der Philosophie» noch ohne jede Untergliederung aufgeführt ist, um einen entscheidenden Schritt voranzubrin gen. Einige Texte der Briefe II sind erklärtermaßen als Grundlegung der in die Bereiche der Moral und des Rechts zerfallenden praktischen Philosophie zu betrachten.37 Mit den Beiträgen II werden schließlich die Bereiche der Religion und der Ästhetik einbezogen. Die Unterscheidung von theoretischen und praktischen Teilen gewinnt dadurch in den Überlegungen zum Aufbau des Systems der Elementarphilosophie an Gewicht. Dass Reinhold mit seinen Umsetzungen und Durchführungen nur zum Teil reüssierte, hängt neben allen konzeptionellen und sachlichen Schwierigkeiten freilich auch mit dem alles andere als geringen Umfang seines Systemplanes zusammen. Was die Aufgabe einer Revision von Kants Vernunftkritik anbelangt, die hiermit zugleich erfüllt werden soll, sind mehrere und unterschiedliche, von Fragen der Systemarchitektonik bis zu Detailproblemen in der Auslegung des Dinges an sich reichende Aspekte zu betrachten. Reinhold hat sie teilweise im Rahmen seiner Kant-Kritik selbst auch zur Sprache gebracht und sein diesbe züglich revisionäres Vorgehen zu rechtfertigen unternommen. Ein Vergleich der Elementarphilosophie mit der Vernunftkritik macht deutlich, dass sich die von Reinhold eingeschlagene revisionäre Richtung auf zwei Hauptgesichts punkte reduzieren lässt. Der erste betrifft die Einheit des Systems und seiner Erkenntnisbegrifflichkeit, der zweite die Begründung von Erkenntnis.38 Indem Reinhold die theoretische und praktische Vernunftkritik auf der Basis von Definitionen und Erläuterungen zum Begriff des Vorstellungsver mögens neu darstellt, generiert er sowohl ein Gesamtsystem als auch ein Einheitssystem. Die Ansätze der theoretischen und der praktischen Vernunft kritik werden mit der Theorie des Vorstellungsvermögens nicht nur in den Dies gilt besonders für den 6. Brief «Versuch einer neuen Darstellung der Grund begriffe und Grundsätze der Moral und des Naturrechts» sowie für den 7. und 8. Brief, mit denen nicht nur für eine bestimmte kantische Deutung von Willens freiheit argumentiert, sondern die Willensfreiheit auch als Fundament der Sittlich keit vindiziert wird. 38 Ausführlich zu diesen beiden Hauptaspekten M. Bondeli: Das Anfangsproblem bei K. L. Reinhold, Kapitel 1.3. und 1.4. 37
XX
Einleitung
Rahmen eines einzigen Systems eingefügt, sie werden auch vereinheitlicht, als Modifikationen einer gemeinsamen vorstellungstheoretischen Grundlage ge fasst. Allem voran ist dies so zu verstehen, dass sie ausgehend von einem als intentional zu kennzeichnenden Begriff des Vorstellens, einem Verhältnis des Beziehens und Unterscheidens von vorstellendem Subjekt und vorgestelltem Objekt, erschlossen werden. Dasselbe geschieht innerhalb des Bereichs der theoretischen Vernunft selbst. Die Tatsache, dass der Vorstellungsbegriff eine sich modifizierende Anfangsstruktur des Systems der theoretischen Vernunft ausmacht, führt zu einer vereinheitlichenden Wiedergabe von Kants Erkennt niskonzept. Sowohl im Versuch als auch in der «Neuen Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie» aus den Beiträgen I geht Reinhold bei der Präsen tation seines Systems derart vor, dass er ausgehend vom Vorstellungsbegriff eine Reihe definitorischer Bestimmungen vorlegt. Zunächst werden die Momente des Vorstellungsbegriffs definiert: das vorstellende Subjekt, das vorgestellte Objekt und die als Mittelglied begriffene Vorstellung. Danach folgen Definitionen zu den mit dem Subjekt-Objekt-Verhältnis implizierten Begriffspaaren: zum Subjekt als Form und zum Objekt als Stoff der Vorstellung, zur Form als Einheit und Spontaneität, zum Stoff als Mannigfaltigkeit und Rezeptivität. Auf diese Weise entwickelt Reinhold Schritt für Schritt dasjenige, was man als Grundmodell von Kants Erkenntniskonzept bezeichnen kann. Es wird kenntlich gemacht, was vorausgesetzt ist, wenn Formen der sinnlichen Anschauung, reine Verstandesbegriffe und Vernunftideen eingeführt, wenn Raum, Zeit und Kategorien des Verstandes durch transzendentale Deduktio nen als objektiv gültig ausgewiesen werden. Vorausgesetzt ist ein als Form und Instanz der Einheit fungierendes Subjekt des Erkennens, das sich von einem Objekt, welches primär als Stoff und Mannigfaltiges verstanden wird, unter scheidet und das sich, wenn Erkenntnis zustande kommen soll, auf dieses Objekt bezieht. Allerdings beschränkt Reinhold sich nicht auf die Heraushe bung dieses Grundmodells, bilden doch die Vorstellungsstruktur und die damit implizierten Begriffspaare gleichfalls das Grundmuster der anschließenden Definitionen und Erläuterungen zum Erkenntnisvermögen und zu dessen Teiltheorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft. 39 Dies heißt, 39
Dies gilt jedenfalls im Zusammenhang des Versuchs, in dem Reinhold klar dem Aufbau der Vernunftkritik folgt. Ob und wieweit Reinhold daran in der Folge fest hält, ist nicht ersichtlich, zumal die Theorie der Erkenntnis aus der «Neuen Darstel