Johann Peter Hebel
Kalendergeschichten in Comics & Illustrationen
Johann Peter Hebel
Kalendergeschichten in Comics & Illustrationen Herausgegeben von der Basler Hebelstiftung
Schwabe Verlag Basel
Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel Folgende Institutionen haben einen Beitrag an die restlichen Projektkosten geleistet: E. E. Zunft zu Hausgenossen, Basel E. E. Zunft zu Weinleuten, Basel La Roche & Co Banquiers, Basel Scheidegger-Thommen-Stiftung, Basel Die Basler Hebelstiftung dankt der Berta Hess-Cohn Stiftung für die großzügige Übernahme der Druckkosten und allen Donatoren für ihre Unterstützung des Projekts.
© 2010 Schwabe AG, Verlag, Basel Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden Gestaltung: Chantal Ducommun, Basel Illustrationen Umschlag: Parsua Bashi, Michael Raaflaub Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Basel/Muttenz Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2646-6 www.schwabe.ch
Inhaltsverzeichnis
Januar
Der Seidenschal (‹Unverhofftes Wiedersehen›, 1811)
4
10
Comic Parsua Bashi und Markus Kirchhofer (Szenario) Februar
Die Gockelburg (‹Das letzte Wort›, 1810) Comic Parsua Bashi und Markus Kirchhofer (Szenario)
März
Fliegende Fische (1808) Illustration Michael Raaflaub
16
April
Ein Kriegsschiff (1809) Illustration Simon Schnellmann
20
Mai
Der unschuldig Gehenkte (1809) Illustration Konrad Beck
24
Juni
Kannitverstan (1809) Illustration Jenny Früh
28
Juli
Der Maulwurf (1807) Illustration Mara Berger
32
August
Was in einer großen Stadt draufgeht (1809) Illustration Jonas Baumann
36
September
Das Mittagessen im Hof (1805) Illustration Madleina Janett
40
Oktober
Die lachenden Jungfrauen (1819) Illustration Annina Holzer
44
November
Die Frühlingsrolle (‹Drei Wünsche›, 1808)
48
54
61
Comic Parsua Bashi und Markus Kirchhofer (Szenario) Dezember
Surprise (‹Das schlaue Mädchen›, 1810) Comic Parsua Bashi und Markus Kirchhofer (Szenario)
Anhang
Der Seidenschal (nach Johann Peter Hebels ‹Unverhofftes Wiedersehen›, 1811)
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Januar
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Unverhofftes Wiedersehen (1811) In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: «Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.» – «Und Friede und Liebe soll darin wohnen», sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, «denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein als an einem anderen Ort.» Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen hatte: «So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen» – da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Josef starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die Französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahre 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriol-
wasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also dass man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, «es ist mein Verlobter», sagte sie endlich, «um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer heraufgekommen.» Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf, legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: «Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird’s wieder Tag. – Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten», sagte sie, als sie fortging, und noch einmal umschaute.
Die Gockelburg (nach Johann Peter Hebels ‹Das letzte Wort›, 1810)
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Februar
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Das letzte Wort (1810) Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau, herwärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht füreinander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: «Du Knicker», und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie wieder miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen’s getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm, und sagte noch einmal: «Du Knicker!» Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rat hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts heraus. Als er aber im roten Rößlein den letzten Rausch gekauft hatte,
und konnt ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die Stubentür, und als er nach Haus kam, und die Frau erblickte: «Nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin», sagte er zu ihr. «Und nichts als Unehre und Verdruß hat man von dir, du Säufer, du der und jener, du Knicker», sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: «Wirf die Bestie in die Donau.» Das ließ er sich nicht zweimal sagen. «Wart, ich will dir zeigen, du Vergeuderin, («du Knicker», sagte sie ihm drauf) ich will dir schon zeigen, wo du hingehörst», und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal: «Du Vergeuderin». Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor, und drückte den Nagel des rechten Daumes auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man einem gewissen Tierlein den Tod antut, und das war ihr Letztes. – Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man nicht sagen dürfen, daß der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, sondern er ging heim, und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an den Pfosten.
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März m Meere gibt es Fische, welche auch aus dem Wasser gehen und in der Luft fliegen können. Mann sollte meinen, es sei erdichtet, weil bei uns so etwas nicht geschieht. Aber wenn ein Mensch auf einer Insel wohnte, wo er keinen andern Vogel, als Meisen, Distelfinken, Nachtigallen und andere dergleichen lustige Musikanten des Waldes könnte kennenlernen, so würde er es ebenso unglaublich finden, wenn er hörte, daß es irgendwo ein Land gebe, wo Vögel auf dem Wasser schwimmen und darin untertauchen; und doch können wir dieses auf unserm Gewässer alle Tage sehen, und wir müssen daher auch nicht glauben, daß alle Wunder der Natur nur in andern Ländern und Weltteilen seien. Sie sind überall. Aber diejenigen, die uns umgeben, achten wir nicht, weil wir sie von Kindheit an und täglich sehen.
Was nun die Fische und Vögel betrifft, so schwimmt eine Ente freilich nicht ebenso wie ein Fisch, und ein Fisch fliegt nicht wie ein Storch, sondern damit hat es folgende Bewandtnis. Die Floßfedern an der Brust dieser Tiere sind sehr lang und mit einer weiten Haut überzogen. Durch deren Hülfe kann sich der Fisch eine Zeitlang in der Luft erhalten. Aber erstlich das tut nicht länger gut, als diese Haut naß ist. Sobald sie trocknet, fällt der Fisch ins Wasser zurück. Zweitens, er geht nicht aus dem Wasser ohne Not, fliegt nicht spazieren für Kurzweil oder um seine Kunst zu zeigen, sondern wenn ihn ein Raubfisch verfolgt, und kann ihm nicht mehr anderst entrinnen, und darin ist er klüger als mancher Mensch, der schon Hals und Bein gebrochen hat. Denn der Fisch sagt: Man muß seiner Natur und seinem Stand getreu bleiben, solang man kann, kein Wagstück treiben, wenn’s nicht sein muß, nicht oben
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zum Fenster hinausspringen, wenn die Türe offensteht. Solche fliegende Fische geben den Schiffahreden, die viele Wochen lang nichts als Himmel und Wasser um sich haben, auf ihrer langweiligen Reise manche Kurzweil, besonders wenn der Raubfisch, welcher sie verfolgt, ebenfalls fliegen kann und ihnen nacheilt. Da sieht man eine seltsame Fischjagd in der Luft. Oft erhascht der Raubfisch seine Beute, und zieht sie wieder in das Wasser hinab. Oft entgeht sie durch Geschwindigkeit oder Glück. Manchmal ist noch ein ganz anderer Spaß zu sehen. Denn gewisse Vögel fliegen über dem Wasser her und hin, und stellen den Fischen nach, können ihnen aber nichts anhaben, solang diese daheim im Wasser bleiben, wohin sie gehören. Wenn aber ein solcher Luftkrieg zwischen ihnen angeht, so wird bald der Fliehende, bald der Feind, bald beide von dem
Vogel, der das Fliegen besser versteht, erhascht, und kommen ihr Leben lang nimmer ins Wasser. Und dazu lachen die Schiffer. Merke: Solcher Spaß, bei dem man aber oft lieber weinen als lachen möchte, ist manchmal auch mitten auf dem trockenen Lande zu sehen, wenn zwei Brüder oder Verwandte oder Bundesgenossen Prozeß und Streit miteinander führen, und kommt ein dritter dazu, und beraubt beide des Vorteils, den jeder von ihnen allein haben wollte und keiner dem andern gönnte. Merke: Wann die Fische im Meer Händel haben, ist’s lauter Freude für die losen Vögel in der Luft.
M
an kann sich nicht vorstellen, was zu einem großen Kriegsschiff gehört. Zu einem englischen Schiff, das 100 Kanonen führt, gehören 1000 starke Eichen, also, daß man sagen kann, ein ganzer Wald; ferner 200 000 Pfund Eisen.
Zu den Segeln sind erforderlich 6500 Ellen Tuch; das Tauwerk oder die Seile haben ein Gewicht von 164 000 Pfund, und wenn sie mit Teer überzogen sind, wie es sein muß, so wägen sie 200 000 Pfund. Das ganze Schiff hat ein Gewicht von 5 Millionen Pfund oder 50 000 Zentnern, ohne die Mannschaft und Lebensmittel, ohne das Pulver und Blei; und schwimmt doch so leicht und sicher auf dem Wasser dahin, und geht, wohin der Mensch es haben will. Wenn ein einziger Mensch ein solch Kriegsschiff bauen müßte, und verstünde alle Handwerker, die dazu gehören,
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