Bauten im Baselbiet

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bauten im ba selbiet E i n e A r c h i t e k t u r g e s c h i c h t e m i t 12 S pa z i e r g ä n g e n

Sc h wab e



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baute n im ba s e lbi e t E i n e Arc h ite k turg e sc h ic hte m it 12 S pa zi e rgäng e n K atja Ha sc h e un d M ic hae l Hanak A mt fßr r aumpl an ung , K antonale De n km alpfleg e Ba s e l- L an dsc haf t ( h r sg . )

Sc h wab e Ve rl ag Ba s e l



G russ wort Jörg Krähenbühl, Regierungsrat Vorsteher der Bau- und Umweltschutzdirektion

Ein Architekturführer für den Kanton Basel-Landschaft? Ein Architekturführer für den Kanton Basel-Landschaft! Dieses Buch ist weit mehr, als sein Titel vermuten lässt. Es ist sicher das, was man wohl unter einem klassischen Architekturführer verstehen mag: Das Buch nimmt Sie mit auf Spaziergänge entlang ausgewählter architektonischer Meisterwerke in unserem Kanton. Diese finden wir in den Vorortsgemeinden rund um die Stadt Basel, wir finden sie aber auch im ausgeprägt ländlichen Oberbaselbiet. Mit diesem Buch halten Sie jedoch weit mehr als einen «blossen» Architekturführer in Ihren Händen. Entlang der baulichen Entwicklung von 1833 bis heute lässt sich auch die Geschichte unseres Kantons nachverfolgen. Die Geschichte diverser Schlösser wie etwa dem Ebenrain in Sissach. Die Geschichte von Industriebauten im Waldenburgertal, zum Beispiel zu Zeiten der Seidenbandfabrikation bis hin zum Kraftwerk Birsfelden. Oder die Geschichte ganzer Siedlungen, seien dies das Freidorf in Muttenz oder Im Lee in Arlesheim. Diese Siedlungen wiederum sind Abbild der Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung bis hin zur heutigen Zeit. Die gesamte architektonische Entwicklung ist aber auch Ausdruck der gegenseitigen Abhängigkeit von Stadt und Land, so verschieden und eigenständig wir sind. Die Schlösser sind ehemalige Landsitze des Stadtadels, die Seidenbandfabrikation oder Posamenterei stillte seinerzeit ein weitgehend städtisches Bedürfnis. Davon profitierte wiederum das Baselbiet, das zu jener Zeit von der Armut bedroht war. Und die Siedlungen beispielsweise im unteren Baselbiet zeugen von der zunehmenden Raumknappheit in der Stadt. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und anschliessend spannende Rundgänge, verbunden mit vielen bleibenden Erkenntnissen.


© 20 10 Sc h wa b e AG , Ve rl ag , Ba s e l © A b b i ldu n g e n : s i e h e Ab b i ldu ng s­nac h we i s Ke i n Te i l d e s We r k s dar f i n i rg e n d ­e i n e r F o r m o h n e sc h r i f tl ic h e G e n e hm ig u ng d e s Ve r l ag e s r e pro duz i e rt o d e r e le k tro n i sc h ve r a r b e ite t, ve rvi e lfältigt o d e r ve r b r e ite t we r d e n . Auto r e n : K atja Ha sc h e u n d M ic ha e l Ha na k H e r au sg e b e r : a mt f ü r r aum pl an u ng , K a nto nale D e n k m alpf le g e Ba s e l- L a n dsc ha f t, L i e s tal F otog r a f i e : Bö r je Mü lle r , Ba s e l Le k to r at: M a r ia n n e Wac ke r nag e l , Sc h wa b e AG G e s taltu n g u n d sat z : An n e H o f fm an n G r a ph ic D e s i g n , Zü r ic h G e sa mth e r s te llung : Schwabe AG , Drucke re i , Mut te n z / Ba s e l Pr i nte d i n S w it z e r l a n d I S BN 978 -3 -79 6 5 -26 6 4 - 0 w w w. sc h wa b e .c h

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Vorwort

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E i n füh rung i n di e Arc h ite k turg e sc h ic hte de s Ba s e lbi e t s

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Ausg e wäh lte Baute n im ganze n K anton sg e bi e t

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Th em ati sc h e S pa zi e rgäng e durc h 12 G eme i n de n

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All schwi l Räume für das Gemeinwohl: öffentliche Gebäude

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Ari s dorf Landwirtschaftliche Herkunft: stolze Bauernhäuser

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Bi r s f e lde n Bauboom in der Vorstadt: private und kommunale Gebäude

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Höl s te i n Feinmechanik: eine Kleinindustrie und ihr Umfeld

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L ang e n bruc k Gesunde Landluft: Schritte für Genesung und Erholung

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L aufe n Geistliche und weltliche Repräsentation: Kirchen, Kapellen und Villen

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Li e s tal Der Staat richtet’s: Verwaltungsgebäude und öffentliche Bauaufgaben

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Münch e n s te i n Raumgreifende Siedlungs­­ erweiterung: frühe Gewerbe- und neuere Sportbauten

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Mut te nz Vom Dorf zur Stadt: Schritte der Ortsentwicklung

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Olti ng e n Altes Handwerk: Posamenterei, Mühle und Säge

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Pr at te ln Fortschreitende Industrialisierung: Fabriken und Arbeiterhäuser

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S i ssac h Wachstum im ausgehenden 19. Jahrhundert: Verkehrs- und Gewerbebauten

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Pe r son e n reg i s te r

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Lite r aturve r ze ich n i s

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Abbi ldungs nac hwe i s


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Vorwort Brigitte Frei-Heitz und Jürg Berrel

Sie halten das Buch in den Händen, in dem zum ersten Mal die architektur- und siedlungsgeschichtliche Entwicklung des Kantons Basel-Landschaft von der Kantonsgründung bis in die Jetztzeit dargelegt wird. Die Basis für dieses Werk wurde mit dem zwischen 2001 und 2008 erstellten Bauinventar Baselland geschaffen, einer Dokumentation aller schützenswerten Gebäude im Siedlungsgebiet. Nach denkmalkundlichen Kriterien sind darin alle Bauten und Anlagen, die vor 1970 erbaut wurden, bewertet worden. Die Zeitgrenze 1970 ergibt sich aus methodischwissenschaftlichen Überlegungen, erlaubt doch eine zeitliche Distanz von ein bis zwei Generationen eine objektivere Beurteilung. Mit dem Bauinventar liegt nun eine kantonsweite Sichtung und Bewertung der Baukultur vor, welches für die Behörden wie für die Bauwilligen eine wichtige fachliche Grundlage für die künftige Bautätigkeit bietet. Die Ergebnisse dieser Inventarisation sollen indessen allen Interessierten zugänglich gemacht werden; einen Einblick bietet die vorliegende Publikation, für die aus eintausendeinhundertelf schützenswerten Objekten eine Auswahl getroffen wurde. Hauptsächliches Auswahlkriterium für die vorgestellten Objekte und Gemeinden war ihre repräsentative, typische Bedeutung in architektur-, wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Hinsicht. Zwölf ausgewählte Gemeinden werden jeweils unter einem Motto vorgestellt, welches die für das Erscheinungsbild entscheidenden Faktoren benennt. Das Fortbestehen einer bäuerlichen und kleingewerblichen Kultur, die industrielle Überformung, der Ausbau der Infrastruktur als Folge eines raschen Bevölkerungszuwachses, die Abwanderung aus der Stadt – all dies sind Themen, welche die Gestaltung der Baselbieter Gemeinden prägen und anhand ausgewählter Beispiele anschaulich vor Augen geführt werden. Um die Darstellung der Architekturentwicklung bis in die Gegenwart fortzusetzen, wird im Buch auch auf nach 1970 entstandene Gebäude hingewiesen. Als Referenz dient dabei die «Auszeichnung Guter Bauten», eine von den beiden Halbkantonen seit 1985 zusammen durchgeführte Bewertung zeitgenössischer Architektur. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Kriterien für die Auszeichnungen nicht mit denjenigen des Bauinventars übereinstimmen. Sind für das Bauinventar denkmalkundliche Aspekte ausschlaggebend, so stehen bei der «Auszeichnung Guter Bauten» architektonische und städtebauliche Qualitäten im Vordergrund. Die Entwicklung der Landschaft Basels vor der Kantonstrennung ist gut erforscht und bereits in zahlreichen Publikationen dargelegt worden, was keine erneute Darstellung erfordert. So versucht das vorliegende Buch, die Architektur­ geschichte des jungen Kantons nachzuzeichnen, mit all ihren Brüchen, Widersprüchen und offenen Fragen. Dies tut sie in einem ersten Teil, der in kurzen Kapiteln siedlungs- und architekturprägende Themen aufgreift und die Entwicklung nachzeichnet. Erläutert werden diese gestaltgebenden Themen anhand einzelner Bauten und Anlagen, die sich über den ganzen Kanton verteilen. Im zweiten Teil wird der Leser zu Spaziergängen in zwölf Baselbieter Gemeinden eingeladen, auf devorwort  9


nen typische und schöne Bauten zu sehen sind. Auf einem Ortsplan ist der Rundgang eingezeichnet, die einzelnen Bauten werden in Bild und Wort vorgestellt. Zu den historischen Bild- und Planaufnahmen gesellen sich zeitgenössische Farbauf­ nahmen. Die Publikation endet mit Angaben zu weiterführender Literatur. Abschliessend gilt es zu danken. In erster Linie dem Landrat, insbesondere der zuständigen parlamentarischen Kommission, welche nicht nur mit der Kreditzusage, sondern auch mit der wohlwollenden Unterstützung die Ausarbeitung des Bauinventars überhaupt ermöglichte. Dem Inventarisator Claudio Affolter wie auch dem zuständigen Fachgremium unter dem Präsidium von Jürg Berrel ist ein grosser Dank auszusprechen für die während sieben Jahren geleistete Arbeit. Das Buch schliesslich wäre nicht ohne den Effort der beiden Autoren Katja Hasche und Michael Hanak zustande gekommen. Sie haben sich in die vorhandenen Grundlagen eingearbeitet und die Quintessenz des Bauinventars für die vorliegende Publikation herausgeschält. Ihnen gebührt ein grosses Dankeschön. Zur fachlichen Diskussion des Buchinhaltes beigetragen haben Claudio Affolter, Othmar Birkner und Dieter Wronsky. Vom Staatsarchiv Baselland haben Regula Nebiker und Beat Meyer die umfangreichen Bauakten zur Verfügung gestellt. Der Erfolg eines Buches ist nicht allein durch dessen Inhalt gegeben, sondern wird wesentlich mitbestimmt durch eine ansprechende und schöne Gestaltung. Hier geht der Dank an Anne Hoffmann und ihr Team. Last but not least geht ein grosser Dank an den Schwabe Verlag, insbesondere an Marianne Wackernagel für das sorgfältige Lektorat.

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E infüh rung in die Architek turgeschichte des Baselbie t s Michael Hanak und Katja Hasche L ändliches Bauen vor de r S tadt

Architektur im Baselbiet? Wer denkt nicht zunächst an verstreut in der Hügellandschaft liegende Bauerndörfer? Gleichzeitig breitet sich rund um die Stadt Basel das Spinnennetz der verstädterten Vororte in die umliegenden Täler aus. Zwar zeugt ein Grossteil der Architektur von der Bescheidenheit des anfänglich finanzschwachen Kantons, doch finden sich hier auch einige beachtliche architektonische Meisterwerke wie das Kraftwerk Birsfelden, die Schulanlage Neumatt oder die Kirche Reinach (S. 104/105, 51–53, 55). Wie ist also die Baselbieter Architektur zu charakterisieren? Sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Land und Stadt, Berg und Tal, Landwirtschaft und Industrie. Dieses Buch zeigt einen Querschnitt durch diese Vielfalt. Die Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt lassen sich aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit am besten über die Abgrenzung voneinander definieren. Die Geschichte der Architektur ist reich an wechselseitigen Einflüssen, ebenso eng miteinander verwoben sind die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Während die Stadt als wirtschaftlicher Motor für den Kanton Basel-Landschaft fungierte, bot das Land die dafür notwendigen Spielräume. Bereits im Mittelalter, als Stadt und Land noch politisch zusammengehörten, errichtete der Basler Stadtadel repräsentative Schlossanlagen auf dem Land, beispielsweise in Münchenstein. Eine spätere, das Baselbiet heute noch prägende Form städtischer Repräsentationsbauten stellen die seit dem 17. Jahrhundert in Stadtnähe errichteten Landsitze dar. Typische Basler Landsitze wie das Bruckgut in Münchenstein (S. 190) und das Schloss Ebenrain in Sissach (S. 258) wurden von reichen Industriellen als Zweit- bzw. Sommerwohnsitz genutzt. In der Helvetischen Republik entwickelte sich die Typologie des barocken Landsitzes hin zu grosszügigen, frühklassizistischen Villen, zu denen die Merian-Villa in Münchenstein gehört (S.186). In der Architektur und im Städtebau wirkten die Einflüsse von der Stadt auf das Land: Die zu geschlossenen Strassenfluchten aneinandergebauten Häuserreihen – ein Hauptcharakteristikum der Baselbieter Dörfer – sind nicht nur eine Folge des Wachstums innerhalb des Dorfetters, sondern auch eine Übertragung der städtischen Baugewohnheiten auf die Landgemeinden. Die Bevölkerung verteilte sich bis zur Kantonstrennung 1833 ziemlich ausgeglichen auf das gesamte Gebiet. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Basel zur Grossstadt und wurde zum Magneten für die umliegende Region. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Stadt fast überall bis an ihre Grenzen herangewachsen. Der Einfluss der Stadt führte zu einer gegenläufigen Entwicklung im unteren und im oberen Baselbiet. Während die Ausläufer der Oberrheinischen Tiefebene und die Nähe zur Stadt im unteren Baselbiet gute Voraussetzungen für die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe boten, waren diese im oberen Baselbiet aufgrund des weiträumigen, stark gefurchten Juras sehr viel weniger günstig. Die Gemeinden behielten ihre ländliche Prägung, ihre Entwicklung stagnierte mit dem Rückgang der Posamenterei Ende des 19. Jahrhunderts. v o r w o r t   11


Im 20. Jahrhundert gab es wiederholt Bemühungen um eine Wiedervereinigung der beiden Halbkantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die vor allem in der Stadt und in den angrenzenden Gemeinden begrüsst wurden. Im Kanton BaselLandschaft schwand die Bereitschaft zur Wiedervereinigung mehr und mehr, man hatte an Selbstbewusstsein gewonnen und war auf dem Vormarsch. Während die Einwohnerzahl in Basel-Stadt ab Mitte der 1960er Jahre stagnierte, stieg sie in Basel-Landschaft weiterhin an und überholte in den 1970er Jahren erstmals diejenige von Basel-Stadt. (1) Als schliesslich 1969 eine neu ausgearbeitete gemeinsame Kantonsverfassung zur Abstimmung kam, wurde sie nur in Basel-Stadt angenommen. Ein Grund für das Baselbieter Nein war vermutlich die Unabhängigkeit, die das Baselbiet durch den Ausbau der kantonseigenen Infrastruktur mit Schulen und Spitälern gerade erst gewonnen hatte. Heute beruht das Verhältnis der beiden Kantone auf partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Im Gegensatz zum urban geprägten Kanton Basel-Stadt schöpft der Kanton Basel-Landschaft seine Identität aus der Spannweite zwischen Landwirtschaft und Industrie, Grossstadt-Agglomeration und Jura-Dörfern. Dies führte zu einer breiten Palette von Bauten, die vom ursprünglichen Bauernhaus im erhaltenen Dorfbild bis zur hochmodernen Produktionsanlage im Industriequartier reicht. Bestimmend für das heutige Baselbiet sind, schon rein anzahlmässig, die Bauten der Nachkriegsmoderne: Einfamilienhäuser und Wohnsiedlungen, Schulen und Kirchen sowie Infrastrukturbauten. Durch diese starke Erweiterung der Siedlungsgebiete fügt sich der Kanton Basel-Landschaft nahtlos in das Bild weiter Teile der Schweiz ein. Es ist das Bild urbaner Ländlichkeit respektive ländlicher Urbanität. Auf de r Suche nach dem S elbs tbild

Die Suche nach dem Selbstbild des Kantons Basel-Landschaft geschah in enger Auseinandersetzung mit dem Kanton Basel-Stadt. Durch die Pariser Julirevolution von 1830 bestärkt, forderte die unzufriedene Landbevölkerung Anfang des 19. Jahrhunderts mehr Rechte. Die teils blutigen Auseinandersetzungen führten 1833 zur Teilung des damaligen Kantons Basels in Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Damit gewann die Landbevölkerung zwar ihre Freiheit, verlor aber auch ihre Sicherheit: Neben Geld fehlte es an einer Gesetzgebung und einem funktionierenden Verwaltungsapparat. Während der Kanton sich erst neu organisieren musste, konnten die Gemeinden nach eingespielten Abläufen agieren, was zu Konkurrenzkämpfen führte. Noch Ende der 1880er Jahre konstatierte der Ständerat Martin Birmann: «So ist Baselland heute noch ein Conglomerat von Gemeinden und ferne von einem ‹Staat› mit gemeinsamem Streben und ‹Staatsbewusstsein.›» (2) Das fehlende Staatsbewusstsein schlug sich in den Kantonsbauten nieder. Statt repräsentative Bauwerke zu erstellen, verbarg sich der Kanton in bestehenden Gebäuden, die er allenfalls für seine Zwecke umbauen und erweitern liess. So tagte (1) Anna C. Fridrich/Daniel Hagmann (Red.), Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft, Bd. 5: Armut und Reichtum. 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 2001, S. 73. (2) Zitiert nach: Anna C. Fridrich/Daniel Hagmann (Red.), Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft, Bd. 5: Armut und Reichtum. 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 2001, S. 228.

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der Landrat zunächst im Liestaler Rathaus, bevor er in die ehemalige Stadtschreiberei neben dem ehemaligen Untertor zog (S. 165). Diese war zwar zuvor als neues Regierungsgebäude umgebaut worden, allerdings ist von Prunk auch hier keine Spur. Mit dem neu aufgestockten Landratssaal, dem neuen Dach, den Saalbalkonen und Portalverdachungen erhielt das Gebäude ein zurückhaltendes, klassizistisches Gepräge. Die Vermutung, dass dieses unprätentiöse Auftreten des jungen Staats nicht nur an fehlenden finanziellen Mitteln lag, sondern auch an einem fehlenden oder allenfalls bescheidenen Selbstverständnis, wird durch die Forderung des Architekten Carl Ferdinand von Ehrenberg bestärkt. Der führende Architekturtheoretiker in der Schweiz forderte 1839: «Bauen wir einfach, edel, dabei dem Zweck entsprechend, so bauen wir im republikanischen Sinn.» (3) Den durch die Revolution neu definierten Werten entsprechend wollte der Staat mit seinem Auftreten verbildlichen, dass für ihn das Gemeinwohl im Vordergrund stand. Als Konsequenz entstanden Bauten, die mit dem neuen Staatsverständnis von massvoller Vernunft übereinstimmten und auf schmückende Details verzichteten. Weitere Beispiele für Bauten, die im 19. Jahrhundert in der Kantonshauptstadt für Kantonszwecke umgenutzt wurden, sind die ehemalige Gestadeckmühle, in der zwischen 1833 und 1863 die Kaserne untergebracht war (S. 174), und das ehemalige Staatskornhaus, das an der Stelle des heutigen Amtshauses lag und zwischen 1835 und 1875 als Zeughaus diente (S. 174). Erst als 1847 das Amt des kantonalen Hochbauinspektorates und ein Gesetz über öffentliche Staatsbauten geschaffen wurden, entstanden repräsentativere öffentliche Bauten. Wie bei den Umbauten überwog auch hier der spätklassizistische Stil. Der erste Hochbauinspektor, Benedikt Stehle, erweiterte das Regierungsgebäude 1850 bis 1854 mit einer spiegelbildlichen Verdoppelung, die dem Bau bedeutend mehr Gewicht verleiht. Ausserdem liess er 1852 bis 1854 das stattliche Kantonale Altersheim (Pfrund, ehemaliges Kantonsspital, S. 171) erstellen. Der monumentale Bau profitiert nicht nur von seiner repräsentativen Lage auf einer Anhöhe oberhalb der Rheinstrasse, sondern greift auch auf eine palastartige Grundform zurück. Im Detail weist das Gebäude eine bürgerlich vereinfachte Gestaltung auf – der Staat wollte sich präsentieren, jedoch nicht protzen. Bei der 1861/62 erstellten Kaserne wandte Stehle wieder einfachere Formen an. Weitere öffentliche Bauten führte nach Stehles Tod dessen Nachfolger Johannes Bay aus. Bay errichtete 1874/75 neben dem Spital an der Rheinstrasse ein neues Zuchthaus und an dessen vorherigem Ort 1879 bis 1881 das Amtshaus (S. 174). Als erstes zentrales Verwaltungsgebäude des jungen Kantons ergänzte das Amtshaus mit seiner symmetrischen Schaufassade das benachbarte Regierungsgebäude. Mit der Errichtung dieser öffentlichen Bauten war für eine ganze Weile vorgesorgt. Erst das rasante Bevölkerungswachstum Mitte des 20. Jahrhunderts erforderte einen erweiterten Verwaltungsapparat. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend fielen die Verwaltungsbauten an der Liestaler Rheinstrasse sehr zurückhaltend aus (S. 167, 170). Schon allein durch ihre Stellung, mit der Stirnseite zur Rheinstrasse, (3) Carl Ferdinand von Ehrenberg, Republikanische Einfachheit im Bauwesen, in: Zeitschrift über das gesamte Bauwesen, 3. Bd., 1839, S. 95–96, zitiert nach: Christoph Allenspach, Architektur in der Schweiz. Bauen im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 1998, S. 25. v o r w o r t   13


bieten die Gebäude wenig Repräsentationsfläche. Ihre Detaillierung entspricht der zurückhaltenden Eleganz der 1950er Jahre. Die Qualität dieser Architektur drängt sich nicht auf und kommt erst auf den zweiten Blick zum Tragen. Wesentlich eindrucksvoller sind die nachfolgenden, aus Wettbewerben hervorgegangenen Bauten – das Kantonsspital, die Kantonsbibliothek und das Staatsarchiv. Das 1957 bis 1964 errichtete Kantonsspital an der Rheinstrasse überzeugt mit seiner differenziert gestalteten Anlage (S. 168/169). Eine entscheidende Wende in der kantonalen Repräsentationslust zeigt sich jedoch erst mit der Kantonsbibliothek 2005 (S. 175) und der Aufstockung des Staatsarchivs 2007 (S. 172). Als städtebauliche Leuchttürme innerhalb des heterogenen Liestaler Stadtgebildes künden beide Bauten von einem neuen, selbstbewussten Auftreten. Mit ihrer extrovertierten Dachbzw. Fassadengestaltung verbergen sich die Gebäude nicht mehr, sondern machen auf sich aufmerksam. Ob diese veränderte Haltung auf ein gewachsenes Selbstbewusstsein des Kantons zurückzuführen ist oder auf das ehrgeizige, zeitgenössische Selbstverständnis seines Hochbauamts – vermutlich kommt beides zusammen. Mit Sicherheit spielt auch der aktuelle Trend hin zur publikumswirksamen und plakativen Schau-Architektur eine grosse Rolle. Private wie auch öffentliche Gebäude fungieren mehr denn je als Marketinginstrument, als Träger von Inhalten, Bildern oder Illusionen. Blühende H eimarbeit und wachsende Dörfe r

Während der Kanton noch mit Organisations- und Verwaltungsfragen beschäftigt war, erfuhren die Baselbieter Gemeinden im 19. Jahrhundert einen wirtschaftlichen, demografischen und baulichen Aufschwung. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Grösse der Baselbieter Dörfer durch ihre Einfriedung, den sogenannten Etter, bestimmt. Eine typologische Ausnahme bildeten die im Oberbaselbiet verstreut in der Landschaft liegenden Einzelhöfe, die als Sennhöfe unabhängig vom Dorfverband funktionierten und meist über ein Herrenhaus, eine Pächterwohnung und ein Ökonomiegebäude verfügten. Nachdem sich die Baselbieter Dörfer lange Zeit kontinuierlich entwickelt hatten, erfuhren sie mit der Heimarbeit der Seidenbandweberei ein erstes grösseres Wachstum. (4) Die Lücken zwischen den bestehenden Gebäuden wurden gefüllt, und es entstanden die heute für das Baselbiet typischen geschlossenen Häuserzeilen. Von seiner Intensität her ist das bauliche Wachstum zwischen 1810 und 1840 durchaus vergleichbar mit dem Bauboom der letzten Jahrzehnte. (5) Obwohl der Bau von Liegenschaften ausserhalb des Dorfet­ ters schon mit der Aufhebung des Flurzwangs in den 1820er Jahren möglich wurde, konzentrierte sich die Bautätigkeit zunächst noch auf die Siedlungskerne. Erst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wuchsen die Dörfer entlang der Hauptverkehrswege in die Landschaft hinaus.

(4) Hans-Rudolf Heyer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Landschaft, Bd. 1: Der Bezirk Arlesheim, hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Basel 1969, S. 4. (5) Fritz Grieder, Glanz und Niedergang der Baselbieter Heimposamenterei im 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 1985, S. 40.

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Der Grund für das bauliche und wirtschaftliche Wachstum war die sich seit dem 17. Jahrhundert in fast allen Gemeinden des Baselbiets ausbreitende hausindustrielle Herstellung von Seidenbändern, die Posamenterei. Im Auftrag von Basler Geschäftsleuten sicherten sich die Bauern durch die Fertigung von Seidenbändern ein zweites Einkommen. Vor allem in den Gemeinden des Mittel- und Oberbaselbiets, wo die landwirtschaftlichen Bedingungen schlechter waren, fasste die Posamenterei Fuss – an den Jurahängen im Reigoldswilertal, teilweise auch im Waldenburgertal. Der technische Fortschritt und der durch die Eisenbahn angekurbelte internationale Handel trugen in den 1850er Jahren dazu bei, dass Landwirtschaft, Gewerbe und Posamenterei aufblühten. Inwieweit die Posamenterei die Veränderung bestehender und den Bau neuer Bauernhäuser beeinflusste, ist bis heute umstritten. Sicher bildete sie die finanzielle Grundlage für die Haus- und Fassadenentwicklung. (6) Ursprünglich bestanden die meisten Bauernhäuser im Baselbiet aus einem quer zum First unterteilten primären Vielzweckbau mit zweigeschossigem Wohnhaus, Tenn (Scheune) und Stall unter einem Dach. Typologische Abweichungen sind regional bedingt. So sind in den vom Sundgau beeinflussten Dörfern des unteren Birstals und des Leimentals Mehrhaushöfe bzw. sekundäre Vielzweckbauten aus Fachwerk zu finden, die aus mehreren Gebäudeteilen bestehen und giebelständig zur Strasse stehen. Die auffälligste, in Zusammenhang mit der Posamenterei auftretende Veränderung ist die Vergrösserung der Fensterflächen in den Webstuben. Die grösseren Fassadenöffnungen entsprachen dem Wunsch nach mehr Tageslicht am Arbeitsplatz, lagen aber auch im allgemeinen Trend zu einer repräsentativeren, klassizistischen Fassadengestaltung. Unumstritten ist, dass sich mit der Nutzung der Stube als Arbeitsraum die Wohnkultur im Baselbiet stark veränderte – in fast allen Stuben lief permanent, oft tags und nachts, mindestens ein Webstuhl. Die Grösse der Stube war gegeben, so dass man die Anzahl der Webstühle an den vorhandenen Platz anpasste. Dort, wo der Raum zu klein war, baute man an oder stockte auf. Typische Posamentergemeinden waren Bubendorf, Gelterkinden, Reigoldswil und Ziefen. Im Jahr 1870 zählte Reigoldswil 1409 Einwohner und 300 Webstühle (7) , auf etwa jeden fünften Einwohner kam also ein Webstuhl. Der Drang nach Veränderung war gross. Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, wurden viele der ursprünglichen Kleinbauernhäuser umgebaut oder erweitert. Im 19. Jahrhundert entstanden mehrere Posamenterhäuser im klassizistisch-biedermeierlichen Stil – mit feingesprossten Rechteckfenstern, Steingewänden und eingemitteten Eingangstüren. Während sich Reigoldswil mit den umliegenden Gemeinden bereits Anfang des 19. Jahrhunderts als Posamenterzentrum etablierte (8) , zogen andere Gemeinden wie Rünenberg und Wenslingen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Nur wenige Gemeinden wie Sissach und Gelterkinden schafften den (6) Martin Furter, Die Bauernhäuser der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt, Basel 1999, S. 245. (7) Claudio Affolter, Bauinventar Basel-Landschaft (BIB), Gemeinde Reigoldswil, (Liestal) 2004, S. 3. (8) Fritz Grieder, Glanz und Niedergang der Baselbieter Heimposamenterei im 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 1985, S. 224. v o r w o r t   15


Sprung von der Heim- zur Fabrikindustrie. Ende des 19. Jahrhunderts ging es für die Posamenterei wirtschaftlich bergab. Die Seidenbänder wurden fortan in Manufakturen und Fabriken gefertigt. Die Webstühle wurden auf die Posamenterbezirke Waldenburg und Sissach konzentriert, und dort hauptsächlich in den abseits gelegenen Talgemeinden und Plateaudörfern. (9) Nach der Rezession in den 1890er Jahren führte der Erste Weltkrieg zum endgültigen Niedergang der Posamenterei. Aufgrund von Zollrestriktionen, der Wirtschaftskrise und der veränderten Mode sank der Absatz von Seidenbändern. Die Posamenter wanderten aus ihren Dörfern in die industrialisierten Gemeinden des unteren Baselbiets ab. Das Ende der Posamenterei führte zu einem grossen Nord-Süd-Gefälle innerhalb des Kantons: Die Entwicklung im Oberbaselbiet stagnierte, während das industrialisierte Unterbaselbiet einen industriellen und finanziellen Aufschwung erlebte. Ve rne t zung du rch Ve rkeh r s wege

Baselland ist ein Durchgangsland. Seine geografische Lage verbindet das Rheintal mit den Juratälern und ist für den Nord-Süd-Transit prädestiniert. Innerhalb des Kantons bedingten Handel und Gewerbe, später die Industrie eine funktionierende Infrastruktur. In Bezug auf den Verkehr standen nach der Kantonsgründung der Ausbau der Strassen und seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Aufbau des Eisenbahnnetzes im Vordergrund. Ergänzend wurde im 20. Jahrhundert der Rhein für die Schifffahrt befahrbar gemacht. Diese Verkehrseinrichtungen waren ausschlaggebend für den Übergang vom Kleinhandel zur Grossindustrie. Sie waren aber auch Voraussetzung für den aufkommenden Fremdenverkehr. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlangten die beiden über den Basler Jura führenden Strassenübergänge, die bereits von den Römern benutzt worden waren und seither als wichtige Teilbereiche der Nord-Süd-Transversale dienten, nach Erneuerung. Bei den Alpenpässen waren solche Modernisierungen bereits erfolgt. (10) Obwohl die Untere Hauensteinstrasse 1751/52 erweitert und verbessert worden war, musste sie zwischen 1827 und 1830 den Anforderungen des Kutschenverkehrs angepasst werden. 1830 bis 1834 wurde die Passstrasse am Oberen Hauenstein ausgebaut. Zu den Aufgaben des von der Stadt Basel abgetrennten Kantons Basel-Landschaft gehörte in den folgenden Jahrzehnten, das übrige Strassennetz zwischen den Ortschaften zu verbessern. Entlang der Strassen entstanden zahlreiche Wirtshäuser und Fuhrhaltereien. Als die Liestaler 1893 das erste Automobil sahen, bewunderten sie die dynamische Fortbewegung. Als aber immer mehr Autos kursierten, waren diese aufgrund des Staubs, den sie auf den Landstrassen aufwirbelten, auf dem Lande unbeliebt. Dass man die Strassen mit Wasser bespritzte, half nicht viel. So wurden die Kantonsstrassen nach und nach geteert. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren

(9) Fritz Grieder, Glanz und Niedergang der Baselbieter Heimposamenterei im 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 1985, S. 157. (10) Christian Adolf Müller, Baselbieter Bau- und Siedlungsgeschichte von der Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, (145. Neujahrsblatt Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen), Basel 1967, S. 104.

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68 Prozent der insgesamt 377 Kilometer «staubfrei» gemacht, wie man damals sagte. (11) Doch Personenfahrzeuge waren teuer. Als weitverbreitetes individuelles Verkehrsmittel diente zunächst das Fahrrad. Erst ab 1973 gab es mehr Personenwagen als Fahrräder in Baselland. (12) Der Ende der 1960er Jahre einsetzende Bau des Autobahnnetzes, welches das Landschaftsbild massiv veränderte, verlieh schliesslich der Agglomerationsbildung einen erneuten Schub. Die umfassende Mobilität erhielt in der Autobahnraststätte in Pratteln gleichsam einen Symbolbau (S. 241). In den 1990er Jahren wurde das Strassennetz einer durchgreifenden Erneuerung unterzogen. Einschneidende Veränderung der Landschaft brachte auch die Eisenbahn mit sich. Als 1844 die Elsässische Bahn die Verbindung Strassburg–Basel vollendete, war dies die erste Eisenbahnstrecke auf Schweizer Boden. 1853 wurde in Basel die Schweizerische Centralbahn gegründet, die das schweizerische mit dem französischen und dem deutschen Netz verknüpfte und bis 1902 Linien nach Brugg, Bern, Thun, Biel und Luzern baute. Olten wurde zum Eisenbahnknotenpunkt, wie es die vom Bundesrat 1850 in Auftrag gegebene Expertise der britischen Ingenieure Robert Stephenson und Henry Swinburne vorgeschlagen hatte. Die Strecke von Basel nach Olten war als die geeignetste Verbindung ins Schweizer Mittelland bezeichnet worden. Der aus Württemberg berufene Ingenieur Karl von Etzel arbeitete die Einzelheiten der Streckenführung aus. Sofort wurde an der Grenze Basels mit dem Bau der Brücke über die Birs begonnen. (13) Zugleich wurde durch den Jura der Hauensteintunnel gegraben, der damals als längster Tunnel Europas galt. Zwischen Liestal und Lausen wurden über den Taleinschnitt der Frenke zwei eiserne Gitterbrücken auf steinernen Pfeilern erstellt, von denen eine noch heute besteht. Im Anstieg wurde in Rümlingen ein 25 Meter hohes Viadukt aufgemauert (S. 37). Bei der Ausführung dieser eindrücklichen Kunstbauten, die als früheste Eisenbahnbauwerke in der Schweiz gelten, orientierte man sich an der Semmeringbahn bei Wien. Mit der Eröffnung der Strecke Liestal–Olten 1858 verloren die Passstrassen an Bedeutung. Als der Hauensteintunnel bei Läufelfingen an seine Kapazitätsgrenzen stiess, wurde er um den 1916 fertiggestellten Hauensteinbasistunnel ergänzt. Alternative Jura-Durchstiche nach Balsthal (Wasserfallenbahn und Kellenbergbahn) oder Aarau (Schafmattbahn) waren diskutiert und wieder verworfen worden. (14) 1875 eröffnete die Jurabahn die Strecke Basel–Laufen–Delémont. Eine Schmalspurbahn führt seit 1880 von Liestal nach Waldenburg. Von 1891 bis 1916 verkehrte eine von Beginn an elektrisch betriebene Schmalspurbahn zwischen Sissach und Gelterkinden.

(11) Ruedi Epple (Red.), Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft, Bd. 6: Wohlstand und Krisen. 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 2001, S. 52. (12) Anna C. Fridrich/Daniel Hagmann (Red.), Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft, Bd. 5: Armut und Reichtum. 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 2001, S. 325. (13) Christian Adolf Müller, Baselbieter Bau- und Siedlungsgeschichte von der Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, (145. Neujahrsblatt Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen), Basel 1967, S. 111. (14) Paul Winter, Die Verkehrstechnik am Hauenstein, in: Baselbieter Heimatbuch, Bd. 6, Liestal 1954, S. 113. v o r w o r t   17


Der Bahnbau brachte einschneidende Veränderungen in der Siedlungsentwicklung mit sich. Für viele Gemeinden bedeutete der Anschluss an das Bahnnetz den Aufbruch ins Industriezeitalter. Denn die Eisenbahn transportiert Güter und Arbeiter. Um die stadtnahen Gemeinden mit Basel zu verbinden, wurden mehrere, radial verlaufende Schmalspurstrecken und Tramlinien erbaut: 1887 nach Therwil (Birsigtalbahn), 1897 nach Birsfelden, 1902 nach Dornach (Birseckbahn), 1905 nach Allschwil, 1907 nach Aesch. Autobusse vervollständigten das öffentliche Verkehrsnetz. 1974 wurden diverse Transportunternehmen in der Baselland Transport AG zusammengeführt, mit dem Vorteil einer gemeinsamen Betriebsstruktur. Das öffentliche Verkehrsnetz weitete das Einzugsgebiet Basels wesentlich aus. (15) Anhand ihrer Bauten lässt sich die Entwicklung der Bahn nacherzählen. Die Stationsgebäude in Sommerau, Sissach und später Laufen gehören zu den gut erhaltenen Gründerbauten. In Sissach, wo Vorspannlokomotiven für die Steigung bis Läufelfingen und zum Hauensteintunnel bereitgehalten wurden, machen zudem Lagerschuppen, Remise, Wasserturm und Bahnwärterhaus die Bedeutung der Bahnlinie deutlich (S. 246/247). In Muttenz visualisieren die prägnanten Bauten des Rangierbahnhofs von 1931 und 1970 dessen volkswirtschaftliche Wichtigkeit (S. 202/203). Der Rhein bot eine weitere Transportart. Die lang gehegte Idee, Ober- und Hochrhein als Schiffstrasse für den Güterverkehr auszubauen, erhielt durch die Bemühungen von Ingenieur Rudolf Gelpke neuen Auftrieb. 1903 demonstrierte er, dass Basel und Schweizerhalle mit einem Dampfschiff erreicht werden konnten. Doch es sollte noch bis 1941 dauern, bis die ausgedehnte Hafenanlage bei Birsfelden mit den imposanten Fahrkranen für die Flussschiffe bereitstand. Seit 1912 ist der kanalisierte Rhein stromaufwärts bis nach Rheinfelden schiffbar. Schleusen entstanden bei den Flusskraftwerken. Seit 1884 bestanden Pläne für ein Kraftwerk in Birsfelden, seit 1893 für ein solches im aargauischen Augst. Realisiert wurden sie nach langem Hin und Her, denn die Herausforderungen waren gross: Augst 1907 bis 1912, Birsfelden 1953/54 (S. 104/105). Im Zuge der Elektrifizierung nutzte man auch die kleineren Fluss- und Bachläufe. In den Dörfern wurde die neue Energiequelle sichtbar an den Transformatorenstationen, oft in markanten, turmförmigen Bauten. In der Zwischenkriegszeit elektrifizierte die SBB alle Bahnstrecken im Kanton Basel-Landschaft. Von der Verkehrsinfrastruktur versprach man sich nicht nur eine erhöhte eigene Mobilität. Ebenso erhofften sich die Baselbieter einen einträglichen Fremdenverkehr. Anziehungspunkte wurden bereits im 17. und 18. Jahrhundert und vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Solbäder. Salz- und mineralhaltige Quellen sprudeln zahlreich in der Rheinebene und an den Hängen des Juras. Repräsentative bauliche Zeugen sind Bad Bubendorf, Bad Eptingen, Bad Schauenburg bei Liestal sowie die Gasthöfe Falken in Liestal und Neubad in Binningen. Zu einem gänzlich vom Tourismus geprägten Ort wurde Langenbruck. Die Lage in den Anhöhen des Juras prädestiniert Langenbruck als Luftkurort für Kranke und Erholungsbedürftige (S. 136 – 138, 141). Seit dem Rückgang des Tourismus mit dem (15) Paul Messmer, Der öffentliche Verkehr, in: Baselbieter Heimatbuch, Bd. 16, Liestal 1987, S. 67–78.

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