KÖRPER CHRI STI A N S C HOL Z
KÖR P E R C H R I ST I A N S C H O L Z
SCHWAB E VE R LAG BAS E L
© 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel © Photographien und Nachwort: Christian Scholz © Vorwort: Martin Heller Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Buchkonzept: Christian Scholz Scans und Interpretation in Abstimmung mit Christian Scholz: Ursula Heidelberger, Laboratorium, Zürich Lektorat: Marianne Wackernagel, Schwabe Graphische Umsetzung: Thomas Lutz, Schwabe Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Papier: Tatami Natural FSC, matt gestrichen, 170 g/m2 Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2758-6 www.christianscholz.ch www.schwabe.ch
F Ăœ R G erd S ander
I N H A LT Kö rper sehen V on M artin H eller D I E B I L DTA F E L N
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T I E R KÖ R P E R F LU G KÖ R P E R M E N S C H E N KÖ R P E R K L A N G KÖ R P E R
T itel D E R B I L DTA F E L N
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D ie M itschrift der B ilder V on C hristian S cholz
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Kö rper sehen v on Martin Heller
«Körper» ist ein irritierender Titel für dieses fast schwerelose Buch . Er lässt an eine breite Untersuchung denken , eine erschöpfende Systematik , vielleicht an einen Bildatlas . Und doch trifft dieser Titel einen Wesenskern der fotografischen Arbeit , die Christian Scholz hier v orlegt : als strenges Spiel , das konzeptuell ebenso gefangen nimmt wie durch die tastende Sinnlichkeit seiner Bilder. Zumal die knappe Auswahl der Fotografien aus einem reichen Fundus getroffen wurde , der über lange Zeit hin entstanden und gereift ist . Was gibt es nicht alles für Körper ! Den eigenen zuerst , der pulsiert , stirbt , vergeht , als Mass vieler Dinge und als Zugang zur Welt schlechthin . Dann das Universum der Körper aller anderen Lebewesen , aber auch jener Formen , in deren toter Materie wir ein Leben zu sehen meinen , das sich Raum schafft und nimmt . Bis hin zu den sozialen Körpern , Organismen zwischen Ausschluss und Zugehörigkeit , deren geschichtlicher Missbrauch uns lehrt , mit Übertragungen dieser Art v orsichtig umzugehen . Darum fällt es sonderbarerweise viel leichter, von Feuerwerkskörpern zu reden als vom Stadtkörper. Und der Körper eines guten Weins ist gefühlte Essenz ohne jede Materialität . Solche Lebenserfahrung und solches Bewusstsein nimmt Christian Scholz in Anspruch, wenn er in selten kühner Zusammenschau vier unterschiedliche Körperlichkeiten verbindet . Sowohl als Begriffe – Tierkörper, Flugkörper, Menschenkörper, Klangkörper – wie auch über den fotografischen Blick, dessen Gestaltungsmittel und dessen Lust auf Überschreitungen. Seine Erzählung beginnt an den Rändern des Vertrauten. Was wir kennen, ist die Voraussetzung für neue Erfahrungen. Und was wir dort sehen, macht glücklich, weil wir im neugierigen Sehen nicht zuletzt unseren Körper erweitern. Was aber geschieht dabei? Christian Scholz verführt uns mit einer doppelten Zumutung . Zuerst eliminieren seine Bilder die Differenz ihrer Gegenstände. Alles, was sie zeigen, kann in gleicher Weise gesehen werden – als Körper eben. Ob Fellwirbel oder Blechhaut, Muskeltonus oder Handwerksglanz: die Fotografie sucht vergessen zu machen, dass die Kamera unterschiedliche Realitäten prüft . Stattdessen breitet sie eine Fülle von Beziehungen im Dazwischen aus. 9
Lassen wir uns, staunend , darauf ein , so eröffnen sich Momente empfindender Erkenntnis hinsichtlich dessen, was eine Kuh ist , im existentiellen Sinne, oder eine Geige – weit über jede Begegnung mit Hornvieh oder Resonanzkörpern hinaus. Allerdings bleiben dabei bestimmte Konventionen der Erkennbarkeit gewahrt . Blättern wir uns durch die präzise Bildfolge , so lässt uns Christian Scholz keineswegs im Unklaren , w o und in welcher Körperlichkeit wir gerade sind . Es geht nicht um Verrätselung . Jeder Körper ist mit uns , aber zugleich auch bei sich , und das ist nur schlüssig . Denn diese Gewissheit führt geradewegs zur zweiten Zumutung . Nämlich: Das scheinbar unspezifische Sehen , das uns der Korpus v on «Körper» nahelegt , ist in Wirklichkeit und auf einer zwei ten , oft unbewussten Ebene ein höchst besonderes. Denn sobald ich weiss , welche Körper ich v or mir habe , gewinnt mein Sehen ein bestimmtes, wenngleich noch unscharfes Ziel. Tierkörper, Flugkörper, Menschenkörper, Klangkörper: ich sehe
sie alle im Zeichen bestimmter Absichten und Wünsche , die mein Sehen leiten . Vielleicht sind diese Wünsche individuell verschieden . Gewiss aber haben sie eine gemeinsame menschliche Grundlage. Die Kühe wecken ein gleichsam tastendes Sehen . Eines, das greifen und spüren möchte, Vertrautes und Fremdes, Kindheit und Gegenwart . Das sofort in die Hände fährt , in die Fingerspitzen, um die Wärme des Tierkörpers wahrzunehmen, das glatte und dann wieder struppige Fell zu streicheln , die Knochen zu ertasten, sich der Glätte des Horns und der seltsam weichrauhen Oberfläche des Euters zu versichern . Anders bei den Flugkörpern . Hier will das Sehen entweder fliegen, weil die Technik den alten Menschheitstraum wahr macht und die Fotografie uns in den Äther davon trägt . Oder es will verstehen – die ungewohnten Formen, Perspektiven, Ausschnitte, die Reflexe auf den schimmernden Gliedmassen , die unheimlich gewaltige und auch zerstörerische Kraft, die sich abzeichnet in dem , was als Bild vor uns steht . Menschenkörper wiederum binden nahezu jedes Sehen an ein umfassendes körperliches Begehren. Das braucht keineswegs nur das erotische oder sexuelle Verlangen zu sein , das durch eine Geste , eine reizv olle Spannung oder die Intimität einer Andeutung ausgelöst wird . Ebenso leitet der Wunsch nach Jugend und Unversehrtheit angesichts des Alters oder nach Entspannung im Da- Sein , im Sich- Zeigen , im Nachempfinden des Vor-Bilds. 11
Schliesslich die Klangkörper: sie zu sehen heisst zwangsläufig , Bild für Bild, sie zu hören. Unmittelbar treffen das Holz oder das Metall an unsere Ohren; jedes Ventilgeräusch füllt den Raum zwischen uns und der Fotografie, jedes Rutschen der Finger über den Bund und die Saiten , jedes Atemholen der unsichtbaren Musikerinnen und Musiker. In den Klängen dieser Körper steckt unser Wissen über ihren Gebrauch und ihren Zauber. Christian Scholz lässt uns an seiner Klarheit der Wahrnehmung teilhaben und – als deren Ergebnis – an einer Wahrheit im Bild, die auf jede egoistische Expressivität verzichtet . Diese künstlerische Entschiedenheit aber verlangt nach Themen, in denen sie sich entfalten kann , ohne der Anekdotik der Welt anheimzufallen. «Körper» breitet eine solche Thematik aus. Die Untersuchung , v on der eingangs die Rede war, ist v on seltener Konsequenz . Sie konzentriert und bereichert den Blick z ugleich. Klassisches Handwerk, das äusserste Sorgfalt mit einschliesst in Bildgebung, Druck und Edition, stellt sich bei Scholz in den Dienst einer kontrollierten, aber gerade deshalb wirksamen Radikalität der Problem stellung. Seine Körper erzählen von der
eigenen Bedingtheit, vom Geflecht ihrer Gemeinsamkeiten, von der Geschichte und Gegenwart der Fotografie, von unmodischer Eigenwilligkeit und von der Freude, die es bereiten kann, dieser Position zu folgen. Und ja: Diese Freude ist der Grund für die Schwerelosigkeit des Buchs, für das Christian Scholz den Titel «Körper» gewählt hat, weil und obschon es von befreiendem Sehen handelt .
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