Seit 1862 findet jährlich ein grosser Kinderfestumzug durchs Kleinbasel mit anschliessendem Jugendfest statt. Organisiert wird dieser traditionelle Anlass durch den Jugendfestverein Kleinbasel. Im Jahre 2012 darf demnach der 150. Geburtstag gefeiert werden. Gleichzeitig kann das Kleine Vogel Gryff Spiel, das Aushängeschild des Jugendfestvereins, auf stolze 100 Jahre zurückblicken. Dieses Doppeljubiläum ist wahrlich Anlass genug, ein neues Basler Kinderbuch herauszugeben! In diesem Bilderbuch berichtet der Basler Fährimaa Simon den jungen Gästen auf der Vogel Gryff Fähre von seinen Erlebnissen als Kind am Jugendfest im Kleinbasel. Gebannt hören alle seiner Geschichte zu und wollen wissen, welche Geheimnisse sich auf dem Speicher des Waisenhauses verbergen und wie Simon zu der Ehre kam, beim Kleinen Vogel Gryff Spiel als Wild Maa mitzutanzen. Ja was, und dann rettete ihn seine clevere Schwester auch noch aus einer äusserst peinlichen Situation? Wie denn das?
Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
DANIEL & DOMO LÖW
DANIEL & DOMO LÖW
Der Autor: Daniel Löw, geboren 1962, ist Lehrer und Schulleiter an einer Basler Schule. Mit grosser Freude schreibt er Kinderbücher und Sachbücher rund um Basel und seine Bräuche. Der Illustrator: Domo Löw, geboren 1966, ist selbstständiger Grafiker und Illustrator vieler Lehrmittel und Kinderbücher.
Schwabe Verlag Basel
Text: Daniel Lรถw / I llustration: Domo Lรถw
Eigentlich ist es nicht üblich, dass ein Kinderbuch ein Grusswort oder Vorwort enthält. Weil dies aber ein ganz spezielles und einmaliges Buch ist, schreiben sogar zwei Persönlichkeiten ihre Gedanken dazu.
Grusswort zum Jubiläumskinderbuch
Liebe Kinder Liebe Jugendliche Liebe Erwachsene Aus Anlass der runden Geburtstage des Jugendfestvereins Kleinbasel, 150 Jahre alt, und des Kleinen Vogel Gryff Spiels, 100 Jahre alt, ist dieses Buch entstanden. Die Geschichte zeigt auf, wie ein lebendiger Brauch und eine uralte Tradition im Kleinbasel mit viel Herzblut aufrechterhalten werden. Sie verbindet Generationen und ist eine Fortsetzung des Kinderbuches Vogel Gryff von Daniel und Domo Löw. Das Buch erzählt eine Begebenheit rund um das Jugendfest mit seinem Kleinen Spiel. Es soll alle Kinder «gluschtig» machen, ein Kostüm anzuziehen, selbst am Kinderumzug mitzuwirken und einen tollen Spielnachmittag zu erleben. Das ist nicht nur im Kleinbasel, sondern auch bei allen anderen fünf Jugendfestvereinen in der Stadt Basel, möglich. «Es isch glich», liebe Kinder, woher Ihr kommt und wo Ihr wohnt, Hauptsache Ihr habt Freude am Verkleiden, am Tragen von historischen Kostümen und am Erleben einer kleinen Zeitreise. Für die Mitwirkung im Kleinen Spiel gibt es separate Bedingungen, aber findet doch diese hier im Buch selbst heraus oder fragt den Spielchef. Ich wünsche Euch, liebe Kinder, liebe Jugendliche und liebe Erwachsene, viel Vergnügen bei dieser spannenden Geschichte und helft doch bitte mit, diese alte Tradition so wie sie ist, weiterhin lebendig zu erhalten! «E liebe Vogel Gryff Gruess» Charly Zeindler, Spielchef Kleines Vogel Gryff Spiel 1912 Präsident OK 2012 Jugendfestverein Kleinbasel 1862
Vorwort
Das Kleinbasler Jugendfest – eine schöne Tradition Das Wort «Tradition» kommt aus der lateinischen Sprache und heisst «Übergabe», «Überlieferung». Wenn wir vom Vogel Gryff oder vom Kleinbasler Jugendfest reden, weisen wir oft darauf hin, dass diese Anlässe im Kleinbasel Tradition haben. Das heisst, dass Menschen, die sich für die Drei Ehrengesellschaften Kleinbasels und den Vogel Gryff einsetzen oder die sich für das Kleinbasler Jugendfest engagieren, ihr Wissen und ihre Erfahrung weitergeben an Menschen einer jüngeren Generation. Nur so kann ein wunderschöner alter Brauch auch später einmal Kindern Freude bereiten, die heute vielleicht noch gar nicht auf unserer Welt sind. Allen denen, die in der Vergangenheit mitgeholfen haben, die wertvolle Tradition des Vogel Gryff und des Kleinbasler Jugendfests zu bewahren, darf ich im Namen des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt ganz herzlich danken. Dem Jugendfestverein Kleinbasel gratuliere ich zum 150. Geburtstag. Es ist sehr schön zu sehen, mit welcher Sorgfalt und mit welch grossem Einsatz viele Freundinnen und Freunde des Kleinbasler Jugendfestes das Jubiläum vorbereitet haben. Im Mittelpunkt stehen die Kinder, sie sollen am Jubiläumsfest Freude haben und das Kleinbasler Jugendfest soll es auch noch in den nächsten 150 Jahren geben. Allen grossen und kleinen Kindern wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen dieses unterhaltsamen Buches. Vielleicht gibt diese Geschichte auch für den einen oder die andere den Anstoss, sich irgendwann einmal selbst für das Jugendfest Kleinbasel einzusetzen. Mit allen guten Wünschen Dr. Christoph Eymann, Regierungsrat Vorsteher Erziehungsdepartement Basel-Stadt Ehrenpräsident OK 2012 Jugendfestverein Kleinbasel 1862
Die Vogel Gryff Fähre lässt sich durch den Rhein gemächlich vom Klingental im Kleinbasel auf die andere Seite ins Grossbasel treiben. Ein herrlich warmer und sonniger Tag im Juni, kurz vor Beginn der Sommerferien!
«Hoppla, jetzt hast du wegen des Fahrtwindes beinahe deinen Zeedel verloren!», ruft Simon, der Fährimaa, einem seiner jungen Gäste zu. «Aber zeig mal, da geht’s ja um das Kleinbasler Jugendfest!»
«Wir waren heute an einer Führung im Waisenhaus», antwortet die Lehrerin prompt, «und am Schluss erhielten alle Kinder dieses Blatt.» «Wart ihr auch im Estrich des Waisenhauses?», will Simon interessiert wissen. «Nein, warum denn?», wird er von allen Seiten bedrängt.
«Weil es im Estrich viele Geheimnisse gibt», erwidert Simon mit einer tiefen Stimme. «Monster? Gespenster? Einen wertvollen Schatz? Ein Gefängnis? Einen HamburgerStand? Einen Glacé-Stand mit Gratis-Glacé für alle? Den achten Harry Potter Band?» Die Ideen sprudelten nur so heraus.
«Wissen Sie noch, Fährimaa, wir sind doch die Klasse, die im Januar bei Ihnen auf der Fähre gewesen ist. Sie haben uns damals die spannende Geschichte von Ihnen am Vogel Gryff Tag erzählt, als Sie beinahe verloren gegangen wären, wenn da nicht der hilfsbereite blau-weisse Ueli gewesen wäre. Können Sie sich noch erinnern?», fragt ein Bub mit unzähligen Sommersprossen im Gesicht. «Natürlich, jetzt erinnere ich mich! Vielleicht habt ihr ja noch ein bisschen Zeit, so kann ich euch eine neue Geschichte rund um die Geheimnisse dieses Estrichs erzählen.» Die junge Lehrerin nickt schmunzelnd: «Wir warten schon ganz gespannt auf Ihre neue Geschichte.»
Alle machen es sich auf den heimeligen Holzbänken draussen auf der Fähre bequem und warten ganz aufgeregt, bis Simon das Steuerruder wieder so eingestellt hat, dass die Fähre in der Nähe des Grossbasler Ufers – in sicherem Abstand zu den schweren, beladenen Schleppschiffen und den schnellen Motorbooten – nicht weiterfahren kann.
Seit meinem aufregenden Erlebnis mit dem blau-weissen Ueli habe ich keinen
Vogel Gryff Tag mehr ausgelassen. Doch damit nicht genug: Ich bestürmte meine Mutter, sie solle mich doch für das Kleine Spiel anmelden. «Aha», lachte meine Mutter, «du willst es den Grossen des richtigen Vogel Gryff Spiels gleichtun! Also gut, du Stürmi, aber deine Schwester Lara darf dafür am Umzug des Jugendfests mitmachen!»
Meine Freude war riesig, als ich tatsächlich einige Monate später – es war wiederum im Juni – einen Brief vom Spielchef des Kleinen Vogel Gryff Spiels erhielt: Er suchte einen neuen Ueli!
So durfte ich dreimal als Ueli am Jugendfest teilnehmen. NatĂźrlich rannte ich als blau-weisser Ueli durchs Kleinbasel! Wie damals mein grosses Vorbild und mein Retter, als ich als kleiner Binggis im GewĂźhl meine Mutter verloren hatte!
Mit dabei war auch jedes Mal Lara: Sie lief stolz im Umzug als Basler Mädchen mit. Als ich mein Uelikostüm nach der dritten Teilnahme zusammengelegt und erschöpft auf dem Sofa im Estrich des Waisenhauses – hier werden nämlich alle Kostüme des Jugendfests und des Kleinen Spiels gelagert – Platz genommen hatte, nahm mich der Spielchef zur Seite.
Er sagte: «Unser Wild Maa tanzte dieses Jahr zum letzten Mal, sein Kostüm ist ihm zu klein geworden. Willst du unser neuer Wild Maa werden?» Mein Herz pochte vor lauter Freude bis zum Halszäpfchen. Natürlich wollte ich!
Ich lernte – unter der Anleitung des «grossen» Wild Maa und unseres Spielchefs – im folgenden Jahr die Tanzschritte des Wild Maa und übte fleissig mit einem Reisigbesen als Ersatztanne! Zuerst noch zögerlich, unsicher und eher ängstlich, dann immer mutiger drehte ich den Tannenersatz zum Takt des Trommelklangs. Auch zu Hause übte ich in jeder freien Minute, bis schliesslich jeder Schritt sass. Übrigens: Der Estrich diente auch als Übungslokal.
Bald war es soweit: Der Propagandamarsch am Vortag des Jugendfests quer durch den minderen Teil unserer schönen Stadt Basel stand vor der Tür. Zuerst Umziehen im Estrich: das Wild Maa Kostüm überziehen, den Efeukranz um die Hüfte schnallen, den «Kopf» mit dem zweiten Efeukranz befestigen, die Tanne schnappen… Zum Glück hatte ich viele erfahrene Helfer, die mir beim Anziehen geduldig und mit geübtem Griff zur Hand gingen.
Über 20-mal tanzten wir drei kleine Ehrenzeichen an verschiedenen Orten im Kleinbasel. Acht Ueli rannten mit ihren Sammelbüchsen voraus, suchten die vielen grossen und kleinen Geschäfte auf und sammelten Geld für den Jugendfestverein Kleinbasel. Nach dem anstrengenden Nachmittag verschlangen wir am Abend hungrig eine grosse Portion Schnitzel mit Pommes und viel Ketchup im Restaurant «Café Spitz». Anschliessend verstaute ich noch schnell die Tanne im Treppenhaus des Waisenhauses und dann schleppte ich mich müde, aber voller Vorfreude auf den morgigen Höhepunkt des Festes nach Hause.
Als ich am nächsten Tag, einem Sonntag, aufwachte, wusste ich gleich: Heute gilt es ernst! Wir trafen uns alle wieder im Estrich des Waisenhauses. Wenig später traten wir verkleidet – angeführt von unserem Spielchef – in den Hof des Waisenhauses. Noch rasch die Tanne gepackt, dann konnte es losgehen! Aber… da war keine Tanne mehr! Ein Wild Maa ohne Tanne! Ich konnte doch meine Tänze nicht ohne meine Tanne durchführen! Die Tränen rannen über meine Wangen. Alle suchten, alles wurde abgesucht und durchwühlt, vergeblich. Die Tanne blieb verschwunden…
... bis unser Spielchef mit dem Hausmeister angerannt kam. Ja, diese Tanne stand doch nur im Weg herum und darum habe ich sie zersägt und daraus Brennholz fßr den kommenden Winter gemacht!, bekannte der Hausmeister schuldbewusst.
Lara erkannte den Ernst der Lage sofort, rannte schnurstracks die steile Treppe zum Estrich hoch und brachte mir einen kurzen Augenblick später «meinen» Reisigbesen. «Besser als nichts!», meinte sie atemlos.