Grenzen in Ritual und Kult der Antike

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Grenzen in Ritual und Kult der Antike

Martin A. Guggisberg ist seit 2008 Professor für Klassische Archäologie an der Universität Basel. 1993 promovierte er ebenda mit einer Arbeit zur «Frühgriechischen Tierkeramik». 1998 habilitierte er sich ebenfalls in Basel mit einer Studie zum «Goldschatz von Erstfeld. Ein keltischer Bilderzyklus zwischen Mitteleuropa und der Mittelmeerwelt». Weitere wissenschaftliche Stationen waren Rom, London, Marburg und Bern. Die wissenschaftlichen Schwerpunkte von M. A. Guggisberg sind die Archäologie Griechenlands von der mykenischen bis zur archaischen Epoche, die Archäologie früher Eliten, die Prozesse kultureller Begegnung in den Kontaktzonen der mediterranen Welt sowie die keltische Kunst und die Kunst der Spätantike. Seit vier Jahren leitet er ein Ausgrabungsprojekt in Francavilla Marittima, Kalabrien.

Martin A. Guggisberg (Hrsg.)

Grenzen in Ritual und Kult der Antike

Guggisberg

In der von den Kultur- und Sozialwissenschaften geprägten Debatte um die Bedeutung von Grenzen hat die Antike bislang nur geringe Beachtung gefunden. Der vorliegende Band vereint die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die vom Departement Altertumswissenschaften der Universität Basel gemeinsam mit der Fondation pour le Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae im November 2009 in Basel durchgeführt wurde. Ihr Ziel war es, am Beispiel des zentralen Erfahrungsbereichs von Ritual und Kult die Tragweite der Fragestellung der Grenze für die Altertumswissenschaften auszuloten. Bewusst wurde dabei ein breiter Zugang gewählt, welcher der Frage nach dem Stellenwert religiöser Grenzen in Ägypten und dem Vorderen Orient ebenso Rechnung trägt wie in Griechenland, Etrurien und Rom bzw. den nordwestlichen Provinzen des Römischen Reiches. Ein zentraler wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn besteht in der Feststellung der grossen Dynamik, Durchlässigkeit und Dehnbarkeit des antiken Grenzkonzepts, das sich nicht zuletzt dadurch von der Grenzwahrnehmung der Moderne absetzt. Gleichzeitig bildet die Fähigkeit zur Grenzziehung eine konstituierende Voraussetzung der kulturellen Ordnung und damit der Ausbildung der antiken Hochkulturen an sich.

S C H W E I Z E R I S C H E B E I T R ÄG E Z U R A LT E RT U M S W I S S E N S C H A F T

I S B N 978-3-7965-2900-9

Schwabe Verlag Basel www.schwabeverlag.ch

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783796 529009

Schwabe

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SCHWEIZERISCHE BEITRÄGE ZUR ALTERTUMSWISSENSCHAFT (SBA) Herausgegeben im Auftrag der Schweizerischen Vereinigung für Altertumswissenschaft von Margarethe Billerbeck

Band 40 Herausgegeben von Margarethe Billerbeck, Leonhard Burckhardt und Alexandrine Schniewind


Martin A. Guggisberg (Hrsg.)

Grenzen in Ritual und Kult der Antike Internationales Kolloquium, Basel, 5.–6. November 2009

Schwabe Verlag Basel


Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Signet auf der vorderen Umschlagseite: Schwan, römisches Bronzebeschläg aus Augst

Copyright © 2013 Schwabe AG, Verlag, Basel, Schweiz Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschliesslich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden. Satz: Ricarda Berthold, Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Basel/Muttenz, Schweiz Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2900-9 rights@schwabe.ch www.schwabeverlag.ch


Inhalt Abkürzungen ……………………………………………………………

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Einleitung ………………………………………………………………

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Die gedachte Grenze ……………………………………………………

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Susanne Bickel Dynamische Grenzen und Grenzkonzepte im altägyptischen Tempel

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Richard G. A. Buxton The boundary between male and female in Bacchae: The importance of discrimination …………………………………

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Tonio Hölscher Die griechische Polis und ihre Räume: Religiöse Grenzen und Übergänge …………………………………

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Die erlebte Grenze ………………………………………………………

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Ingrid Krauskopf Der Weg ins Jenseits – und ein Stück zurück? Etrurien und Griechenland im Vergleich ……………………………

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Vassilis Lambrinoudakis Grenzen im Asklepioskult

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Antoine Hermary Recherches récentes sur le territoire et les frontières des royaumes chypriotes (VIIIe–IVe siècles av. J.-C.) ………………

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Martin A. Guggisberg Tore griechischer Heiligtümer ………………………………………

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Die gezogene Grenze


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Inhalt Bruno Jacobs Die Heiligtümer Antiochos’ I. von Kommagene als sakrale und soziale Räume ………………………………………

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Peter-Andrew Schwarz Der gallorömische Tempelbezirk von Oedenburg (Biesheim, F) und seine Grenzen …………………………………………………

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Abkürzungen Zusätzlich zu den Sigla und Abkürzungen des Deutschen Archäologischen Instituts (http://www.dainst.org/de/content/Abkuerzungsliste?ft=all#I) werden die folgenden Abkürzungen verwendet: ThesCRA IG CEPOA

Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum Inscriptiones Graecae Centre d’Étude du Proche-Orient Ancien



Εἰ καθαράν, ὦ ξείνε, φέ|ρεις φρένα καὶ τὸ δίκα[ι]|ον ἤσκηκες ψυχῇ, βα[ῖ]|νε κατ’ εὐίερον· εἰ δ’ ἀ|δίκων ψαύεις καί σοι | νόος οὐ καθαρεύει, | πόρρω ἀπ’ ἀθανάτων | [ἔ]ργεο καὶ τεμένους· | οὐ στέργει φαύλους | [ἱ]ερὸς δόμος, ἀλλὰ κο|λάζει, τοῖς δ’ ὁσίοις | [ὁ]σίους ἀντινέμει | [χάριτας]1 Inschrift aus dem Heiligtum des Zeus Lepsynos in Euromos: Merkelbach/Stauber (1998) 70.

Einleitung In einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten sind Grenzen bis heute allgegenwärtig. Dementsprechend wird die Thematik der Grenze in vielen Wissensbereichen intensiv debattiert, namentlich in den Kultur- und Sozialwissenschaften, wo sie im Zeichen des «Spacial Turn» seit geraumer Zeit zu den bevorzugten Diskussionsfeldern gehört2. Während der Raum auch in den Altertumswissenschaften seit Längerem im Fokus steht3, hat die ihn definierende Grenze erst ansatzweise die Aufmerksamkeit der altphilologischen, althistorischen und archäologischen Forschung gefunden4.

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«Wenn du, Fremder, einen reinen Sinn mitbringst und in deiner Seele das Gerechte ausgeübt hast, dann trete ein in dieses schöne Heiligtum. Wenn du aber unrechte Dinge berührst und dein Sinn nicht rein ist, dann halte dich weit entfernt von den Unsterblichen und dem heiligen Bezirk. Das heilige Haus liebt die Schlechten nicht, sondern züchtigt sie; aber den Frommen gibt es frommen Dank zurück.» Aus der reichen Literatur kann hier nur eine Auswahl aufgeführt werden: Parker Pearson/Richards (1994); Faber/Naumann (1995); Bauer/Rahn (1997); Schmale/Stauber (1998); Gestrich/Krauss (1998); Schroer (2006); Geulen/Kraft (2010). Gehlen (1995); Hölscher (1998); Hölscher (2003); Cole (2004); Talbert/Brodersen (2004). Am markantesten tritt das Forschungsfeld des antiken Raumes gegenwärtig in der breit abgestützten Exzellenzinitiative «Topoi. The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations» in Berlin zutage: www.topoi.org. Die altertumswissenschaftlichen Disziplinen der Universität Basel haben das Thema der Grenze seit einigen Jahren zum Schwerpunkt ihrer interdisziplinären Lehr- und Forschungstätigkeit erhoben. Aus den diesbezüglichen Vorarbeiten resultierte auch die Tagung, deren wissenschaftliche Erträge in der vorliegenden Arbeit präsentiert werden. Grundlegend sind noch immer die Studien von J. P. Vernant (1963) und L. Kahn (1978) (vgl. dazu auch den aus einer Tagung zum Thema «Problèmes de la frontière dans l’antiquité» in Strassburg 1978 hervorgegangenen Beitrag derselben Autorin: Kahn [1979]). Zur jüngeren Diskussion in Auswahl: Sartre (1979); Daverio Rocchi (1988); Olshausen/Sonnabend (1994); Confini e frontiera (1999); Albertz et al. (2007); Fögen/ Lee (2009).


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Martin A. Guggisberg

Der vorliegende Band ist einem ganz spezifischen Aspekt der weiten Grenzthematik gewidmet, den Grenzen in Ritual und Kult der Antike. Er geht zurück auf ein Kolloquium, das im Anschluss an eine Vorgängertagung des Jahres 2004 von der Stiftung für das LIMC und den altertumswissenschaftlichen Disziplinen der Universität Basel am 5. und 6. November 2009 in Basel veranstaltet wurde5. Das Ziel der beiden Veranstaltungen war es, im gemeinsamen interdisziplinären Diskurs einen Beitrag zur Erhellung von zentralen Aspekten der antiken Religionsgeschichte und Mythologie zu leisten. Im Mittelpunkt des Kolloquiums von 2009 stand die Analyse der Wahrnehmung und Inszenierung von Grenzen im antiken Kultgeschehen: Wo und wie wurden Grenzen in Kult und Ritual visualisiert, wie wurden diese Grenzen von den Kultteilnehmerinnen und -teilnehmern erfahren, in welcher Form wurden Kulte und Rituale selbst zur Grenzziehung eingesetzt und wie konnten Grenzen überschritten werden? In Anbetracht der Vielzahl von Fragen, die das Thema aufwirft, wurde der inhaltliche und chronologische Rahmen der Tagung bewusst weit gefasst und umspannte sowohl die griechische als auch die römische Antike. Das Ergebnis war ein breit gefächerter Diskurs, der trotz der Unterschiede im methodischen und thematischen Zugang zahlreiche inhaltliche Berührungspunkte zwischen den in verschiedenen Bereichen der Altertumswissenschaften verankerten Beiträgen hervortreten liess6. Die im vorliegenden Tagungsband vereinten Berichte lassen sich unter drei thematischen Schwerpunkten subsumieren: der gedachten, der erfahrenen und der gezogenen Grenze. Im ersten Abschnitt sind Beiträge zusammengefasst, die aus unterschiedlicher disziplinärer Perspektive der Frage nach dem semantischen und symbolischen Gehalt von Grenzen und Grenzmarkierungen nachgehen. Grenzen können dabei die göttliche Ordnung des Kosmos widerspiegeln, wie das Beispiel der hinter hohen Mauern verborgenen Tempel Ägyptens offenbart (S. Bickel). Sie können aber auch, wie in der griechischen Polis, die ‹Welt-Ordnung› als Ganzes symbolisch umreissen und dabei die dem Mensch-Sein per se immanente Dichotomie von Drinnen und Draussen, von Zugehörigkeit und Fremdheit, in vielfältiger Abstufung reflektieren (T. Hölscher). Soziale und kulturelle Schranken treten in der literarischen Überlieferung mit besonderer Deutlichkeit hervor, insbesondere in der griechischen Tragödie, zu deren zentralen Themen, wie namentlich das Beispiel von Euripides’ Bakchen zeigt, die Widersprüchlichkeit der menschlichen Ordnung gehört (R. Buxton). 5 6

Zur Tagung von 2004 s. Lambrinoudakis/Jaeger (2009). Von den zwölf an der Tagung gehaltenen Vorträgen griffen zwei auf Ergebnisse zurück, die an anderer Stelle publiziert wurden bzw. werden sollen: Wallraff (2006); A. Bierl, Grenze und prozessionale Überschreitung: Die Performativität des einziehenden Chors als Manifestation des Dionysos in der Parodos der Euripideischen Bakchen.


Einleitung

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Zwei Beiträge, die sich aus der unterschiedlichen Optik von Grab und Heiligtum mit dem Thema der menschlichen Grenzerfahrung auseinandersetzen, bilden den zweiten Schwerpunkt des Tagungsbandes. Am Grab erlebten die Hinterbliebenen die unüberbrückbare Kluft von Leben und Tod direkt und persönlich (I. Krauskopf). Der Heilkult des Asklepios bot den Gläubigen die Möglichkeit, die Wirkungsmacht der Gottheit am eigenen Leib zu erfahren (V. Lambrinoudakis). Beiden Erfahrungsbereichen ist gemeinsam, dass die Überquerung der Grenze nicht als abrupter Vorgang gedacht ist, sondern als ein Prozess, der sich in einer spezifischen räumlichen und zeitlichen Dimension abspielt. Der dritte Abschnitt schliesslich vereint Beiträge, die auf die Funktion der Grenze als Trennlinie von Territorien fokussieren. Neben Herrschaftsräumen (A. Hermary) sind dies insbesondere Temene, sakrale Räume, die mittels klar umrissener Grenzen vom profanenen Umland getrennt, jedoch durch Tore und Türen (M. Guggisberg), aber auch durch kultische und wirtschaftliche Bezüge (B. Jacobs) mit diesem zugleich eng verzahnt sind. Dieser Durchlässigkeit nach aussen entspricht in vielen Fällen auch eine Öffnung nach innen. Der umgrenzte Sakralraum bildet nämlich auch zu seiner Mitte hin nur selten eine Einheit. Wie das Beispiel von Biesheim/Oedenburg zeigt (P.-A. Schwarz), bildet gerade die Vielzahl der ihrerseits wieder räumlich separierten Kulte innerhalb eines Temenos ein weit verbreitetes Kennzeichen der griechischen und römischen Heiligtümer. Überhaupt ist die Dynamik der kultischen und rituellen Grenze, ihre Dehnbarkeit und Durchlässigkeit ein Wesenszug, der über Kulturen und Epochen hinweg konstant bleibt. So ist der ägyptische Tempel von einer Vielzahl von räumlich gestaffelten Grenzen bestimmt, deren Überwindung bis zum Innersten allein dem König vorbehalten ist. Ebenso zeichnen sich das griechische und das römische Heiligtum durch die konzentrische Anlage seiner Grenzen aus: vom Hain, der – wie in Epidauros – ausserhalb des Temenos liegt, oder dem äusseren Ring der Fels- und Naturheiligtümer, wie wir ihnen an den Abhängen der Athener Akropolis begegnen (T. Hölscher) über die Peribolosmauer und die internen Kultbezirke für verschiedene Götter bis hin zum einzelnen Tempel, in dem das Kultbild fern von den Gläubigen aufbewahrt und verehrt wird. Auf dem Weg vom Draussen ins Drinnen passieren die Gläubigen Grenzen unterschiedlichster Art und erfahren dabei die graduelle Annäherung an die Gottheit. Ganz ähnlich ist auch das Jenseits als ein Ort gedacht, den man über einen Weg mit mehreren Stationen teils zu Land teils zu Wasser erreicht, wobei vielfältige Prüfungen und Hindernisse zu bestehen bzw. zu überwinden sind. Grenzen sind naturgemäss ambivalente Gebilde: sie schliessen ein und aus, sie sind dicht und durchlässig, dynamisch und konstant, sie stehen gleichermassen für Kontinuität und Wandel. Im Kult markieren sie die Stelle des Übergangs und der Verwandlung, den Ort also, an dem bestehende Normen aufgehoben und neue bestimmt werden. Indem die Menschen die Überwindung dieser Grenzen durch Rituale regelten und die Grenze im Raum durch spezifische Bauwerke, Inschriften


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und Bildprogramme normierten beziehungsweise den Übergang im Myhtos exemplarisch verankerten, machten sie die Zäsur selbst zum konstituierenden Träger der kulturellen Ordnung. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Grenzen im Kult und Ritual der Antike allgegenwärtig. Es versteht sich von selbst, dass ein einzelner Anlass wie das Basler Kolloquium der komplexen Frage nach dem Wesen der religiösen Grenzen in der Antike nicht gerecht zu werden vermag. Wenn die punktuellen Beiträge des Basler Kolloquiums jedoch den Anstoss dazu geben, die Diskussion fortzuführen und zu vertiefen, so hat sich damit ein wesentliches Anliegen der Organisatoren erfüllt. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung haben viele mitgeholfen. Ihre inhaltliche Ausrichtung verdankt sie gemeinsamen Überlegungen von Richard Buxton, Antoine Hermary und Martin Guggisberg. Bertrand Jaeger und die Mitarbeitenden der Zentralredaktion des LIMC in Basel haben bei der konkreten Planung der Tagung mitgeholfen. Annegret Schneider und Johanna Wintzenrieth waren für die Durchführung der Veranstaltung verantwortlich. Gemeinsam mit Matthias Grawehr und Marianne Mathys sowie den Hilfsassistierenden des Archäologischen Seminars haben sie dafür gesorgt, dass es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern während der Tagung an nichts fehlte. Martin Dennert und Ricarda Berthold haben mit grosser Effizienz und Sorgfalt die Schlussredaktion und das Layout der Publikation besorgt. Ihnen allen sei an dieser Stelle für ihre Mithilfe ganz herzlich gedankt. Zu grossem Dank verpflichtet bin ich ausserdem Reto Zingg vom Schwabe Verlag für die verlegerische Betreuung des Projektes. Margarethe Billerbeck, Leonhard Burckhardt und Alexandrine Schniewind sei für ihre Bereitschaft, den Tagungsband in die Reihe der Schweizerischen Beiträge zur Altertumswissenschaft aufzunehmen, gedankt. Ein besonderer Dank gilt schliesslich den Institutionen, die die Durchführung der Tagung und den Druck der vorliegenden Publikation ermöglicht haben: der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Basel, im Februar 2013

Martin A. Guggisberg


Einleitung

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Bibliographie Albertz et al. (2007). – Rainer Albertz/Anke Blöbaum/Peter Funke (Hgg.), Räume und Grenzen. Topologische Konzepte in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes (München 2007). Bauer/Rahn (1997). – Markus Bauer/Thomas Rahn (Hgg.), Die Grenze: Begriff und Inszenierung (Berlin 1997). Cole (2004). – Susan Guettel Cole, Landscapes, Gender and Ritual Space. The Ancient Greek Experience (Berkeley 2004). Confini e frontiera (1999). – Confini e frontiera nella Grecità d’Occidente. Atti del trentasettesimo convegno di Studi sulla Magna Grecia, Taranto 3-6 ottobre 1997 (Taranto 1999). Daverio Rocchi (1988). – Giovanna Daverio Rocchi, Frontiera e confini nella Grecia antica (Roma 1988). Faber/Naumann (1995). – Richard Faber/Barbara Naumann (Hgg.), Literatur der Grenze – Theorie der Grenze (Würzburg 1995). Fögen/Lee (2009). – Thorsten Fögen/Mireille M. Lee (eds.), Bodies and Boundaries in Graeco-Roman Antiquity (Berlin/New York 2009). Gehlen (1995). – Rolf Gehlen, Welt und Ordnung. Zur soziokulturellen Dimension von Raum in frühen Gesellschaften (Marburg 1995). Gestrich/Krauss (1998). – Andreas Gestrich/Marita Krauss (Hgg.), Migration und Grenze (Stuttgart 1998). Geulen/Kraft (2010). – Eva Geulen/Stephan Kraft (Hgg.), Grenzen im Raum – Grenzen in der Literatur (Berlin 2010). Hölscher (1998). – Tonio Hölscher, Öffentliche Räume in frühen griechischen Städten, Schriften der Philosophisch-Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 7 2(Heidelberg 1998). Hölscher (2003). – Tonio Hölscher, «Körper, Handlung und Raum als Sinnfiguren in der griechischen Kunst und Kultur», in: Karl-Joachim Hölkeskamp (Hg.), Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum (Mainz 2003) 163–192. Kahn (1978). – Laurence Kahn, Hermès passe ou les ambiguïtés de la communication (Paris 1978). Kahn (1979). – Laurence Kahn, «Hermès, la frontière et l’identité ambiguë», Ktema 4 (1979) 201–211. Lambrinoudakis/Jaeger (2009). – Vassilis Lambrinoudakis/Bertrand Jaeger (Hgg.), Religion. Lehre und Praxis, Archaiognosia Suppl. 8 (Athen 2009). Merkelbach/Stauber (1998). – Reinhold Merkelbach/Josef Stauber (Hgg.), Steinepigramme aus dem griechischen Osten 1. Die Westküste Kleinasiens von Knidos bis Ilion (Stuttgart/Leipzig 1998).


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Olshausen/Sonnabend (1994). – Eckart Olshausen/Holger Sonnabend (Hgg.), Grenze und Grenzland. Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 4, 1990 (Amsterdam 1994). Parker Pearson/Richards (1994). – Michael Parker Pearson/Colin Richards (eds.), Architecture and Order. Approaches to Social Space (London 1994). Sartre (1979). – Maurice Sartre, «Aspects économiques et aspects religieux de la frontière dans les cités grecques», Ktema 4 (1979) 213–224. Schmale/Stauber (1998). – Wolfgang Schmale/Reinhard Stauber (Hgg.), Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit (Berlin 1998). Schroer (2006). – Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (Frankfurt a. M. 2006). Talbert/Brodersen (2004). – Richard J. A. Talbert/Kai Brodersen (eds.), Space in the Roman World. Its perception and presentation (Münster 2004). Vernant (1963). – Jean-Pierre Vernant, «Hestia-Hermès: sur l’expression religieuse de l’espace et du mouvement chez les Grecs», L’homme 3,3 (1963) 12–50. Wallraff (2006). – Martin Wallraff, «Ego sum ostium. Kirchenportale und andere Türen im antiken Christentum», in: Thomas K. Kuhn/Ekkehard W. Stegemann (Hgg.), «Was von Anfang an war». Neutestamentliche und kirchengeschichtliche Aufsätze Rudolf Brändle gewidmet anlässlich seiner Emeritierung am 30. September 2006 (Basel 2006) (= Theologische Zeitschrift 62,2) 321–337.


Die gedachte Grenze



Dynamische Grenzen und Grenzkonzepte im altägyptischen Tempel Susanne Bickel, Basel Wohl kein anderer Bereich der altägyptischen Kultur weist ein so dichtes Netz von Grenzen auf wie die Tempel. Tempelbezirke und Tempelhäuser sind strukturiert durch Grenzen die sowohl abweisen und ausschliessen, als auch verbinden und wichtige Berührungspunkte und Berührungszonen markieren sollen. Ebenso finden sich konkret materialisierte Abtrennungen und imaginäre, nur für kulturinterne Nutzer wahrnehmbare Grenzen. Im Tempel wurde ein Raum konstruiert in dem alle Sphären der ägyptischen Vorstellungswelt aufeinander trafen. Er bildete das Interface der drei kosmischen Bereiche Himmel-Erde-Unterwelt. In ihm begegneten sich auch die unterschiedlichen Wesensformen Götter, König, Menschen und zum Teil auch Verstorbene. Diese Charakteristika gelten, in unterschiedlicher Dichte und Komplexität, für alle Zeiten, in denen Tempel errichtet wurden (3. Jahrtausend v. Chr. – 2. Jahrhundert n. Chr.), für Göttertempel genauso wie für die sogenannten königlichen Totenkulttempel (‹Millionenjahrhäuser›) und unabhängig von der Grösse, Bedeutung und Widmung des Heiligtums. Die Tempel des Neuen Reiches (2. Hälfte 2. Jahrtausend) hatten sich zu räumlich und konzeptuell höchst komplexen Konstruktionen entwickelt, in denen sich zahlreiche Funktionen ritueller, repräsentativer, sozialer und wirtschaftlicher Art akkumuliert und konkretisiert hatten. Sie bildeten eine dichte und in sich abgegrenzte Semiosphäre1, deren bauliche Ausformulierung sehr vielfältigen Bedeutungs- und Funktionsebenen diente und die zugleich Raum und Bühne stark kodierter Kommunikationsformen bildete. In den monumental abgegrenzten, in sich geschlossenen und von vielen Binnengrenzen durchzogenen Tempeln wurden im Medium der Rituale die für die altägyptische Weltanschauung zentrale Verbindung der kosmischen Sphären sowie die Begegnung der unterschiedlichen Wesensformen zelebriert. Insofern war der markant abgegrenzte ‹Behälter› Tempel sowohl als Ort des Ausschlusses als auch als Raum der Integration unvereinbarer Existenzsphären konzipiert. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, dieses Netz von Einund Ausgrenzungen zu skizzieren und die – unserem heutigen Verständnis zugänglichen – im Raum materialisierten funktionalen und konzeptuellen Schranken

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Mein herzlicher Dank gilt Faried Adrom für die Aufbereitung der Abbildungen und Hubertus Münch für Kommentare zum Manuskript. Lotman (1990).


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aufzuzeigen. Schliesslich wird kurz auf die soziale Rolle dieses Dispositivs eingegangen. Die gewählten Beispiele stammen entweder aus dem Neuen Reich oder aus Tempeln der Ptolemäerzeit2.

Grenzkonzepte in der Tempelarchitektur Wie in vielen Kulturen, steht auch in Ägypten der Tempel fast immer hinter hohen Mauern. Dies gilt insbesondere für all die Fälle, in denen Tempel inmitten einer Stadt standen und so – ohne eine topographisch erhöhte Position einnehmen zu können – einen sehr markanten Einschnitt im urbanen Gefüge bildeten. Die Umfassungsmauern wiesen bei grösseren Tempeln meist eine Höhe von über 10 m auf, schirmten also das Innere völlig von der umliegenden Stadt ab. Sie

Abb. 1. Der Tempel von Medinet Habu, Luftaufnahme. Foto L. Zignani.

materialisierten eine deutliche Trennung zwischen der Aussenwelt und dem eingefriedeten Tempelbezirk, in dem sich das eigentliche Tempelhaus mit seinen Sanktuaren und dazugehörigen Vorräumen und Höfen sowie nicht im engeren Sinne sakrale Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude befanden (Abb. 1 und 2). 2

Zu den Charakteristika älterer Tempel und den Entwicklungen, die zu dem ab ca. 1400 v. Chr. vorherrschenden Grundriss führten, vgl. Baines (1997). Zu den späten Tempeln, Arnold (1999).


Dynamische Grenzen und Grenzkonzepte im altägyptischen Tempel

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Fokus und ‹raison d’être› aller Tempelanlagen war jeweils ein kleiner verschlossener Raum, der unabhängig von den sehr variablen Dimensionen des gesamten Tempelbezirkes lediglich ein Ausmass von ca. 3 × 3 m besass. Darin befand sich ein Schrein mit der Statue der Hauptgottheit des Tempels. An dieser Statue wurde der tägliche Kult vollzogen, sie fungierte als Manifestation und Garant der Präsenz der jeweiligen Gottheit auf Erden. Ähnlich wie der König in seinem Palast, wurde auch die Götterstatue täglich genährt, frisch gekleidet, geschmückt und besungen3. Ebenso wie der Umgang mit dem König, war auch derjenige mit der Götterstatue in höchstem Masse räumlich und sozial restringiert. Der Umgang mit dem Göttlichen auf Erden definierte sich über die beiden Konzepte Reinheit (wab) und Abgeschiedenheit (djoser), die erst in Kombination das Besondere und das Heilige charakterisierten4. Die Eigenschaft des Abgesonderten wurde noch durch die des Verborgenen und Geheimen (seschta) verstärkt. Diese Konzepte wurden sowohl von der Architektur unterstützt, als auch über Zulassungsbeschränkungen und rituelle Vorschriften gesichert. Eine der Hauptfunktionen der Tempelarchitektur bestand darin, den Schutz des Götterbildes zu gewährleisten, als dessen Wohnsitz der Tempel erachtet wurde. Dazu wurde der im hintersten und innersten Sanktuar verwahrten Götterstatue von einer Vielzahl von Schranken und Umschalungen die notwendige Abgeschiedenheit garantiert, eben diese Qualität der Absonderung, die mit Abb. 2. Grundplan des Tempelbezirks dem Konzept des Heiligen von Medinet Habu. verbunden war5. 3 4 5

Tacke (2003). Loprieno (2001) 13–50. Zu dieser Grundfunktion des Tempels und dem Konzept des «temple-écrin», vgl. Traunecker (1991).


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Susanne Bickel

Diese baulich ausgestalteten Schranken entfalteten sich zum einen in Form architektonisch markierter und physisch verschlossener Durchgänge entlang der Hauptachse, zum andern in Form etlicher um das Sanktuar konzentrisch verlaufender Ummauerungen (Abb. 3), die gemeinsam die effiziente Abschirmung gegenüber der Aussenwelt zu gewährleisten hatten. Im kanonischen Plan des ptolemäerzeitlichen Tempelhauses wurden diese konzentrischen Schranken sogar noch um eine äussere Schalenmauer des Tempelhauses, das sogenannte ‹couloir mystérieux›, verstärkt.

Abb. 3. Axiale und konzentrische Abgrenzungen im Tempel Ramses’ III. von Medinet Habu.


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