Chrêsis III: Christian Gnilka. Der rechte Gebrauch im Spiegel des falschen

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HERAUSGEBER: CHRISTIAN GNILKA

INSTITUT FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE · WESTFÄLISCHE WILHELMS-UNIVERSITÄT MÜNSTER CHRÊSIS DIE

Der rechte Gebrauch im Spiegel des falschen von Christian Gnilka

METHODE DER KIRCHENVÄTER IM UMGANG MIT DER ANTIKEN KULTUR
III
SCHWABE VERLAG 2023

DIEMETHODEDERKIRCHENVÄTER IMUMGANG MITDERANTIKENKULTUR

HerausgegebenvonChristianGnilka

III

QRHSIS CHRÊSIS

HERAUSGEBER:CHRISTIANGNILKA

INSTITUTFÜRKLASSISCHEPHILOLOGIE·WESTFÄLISCHEWILHELMS-UNIVERSITÄTMÜNSTER

QRHSIS CHRÊSIS

DIEMETHODEDERKIRCHENVÄTER IMUMGANG

MITDERANTIKENKULTUR III

DerrechteGebrauchimSpiegeldesfalschen von ChristianGnilka

SCHWABEVERLAG

GedrucktmitUnterstützungderBertaHess-CohnStiftung,Basel

BibliografischeInformationderDeutschenBibliothek

DieDeutscheBibliothekverzeichnetdiesePublikation inderDeutschenNationalbibliografie;detaillierte bibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.dnb.deabrufbar.

DieTitelvignettedieserReiheistdiefreieNachbildungeinermittelalterlichenMiniatur. Vgl.M.Avery,TheExultetRollsofSouthItaly,Princeton/London/DenHaag1963,plateLV,7. DasMotivwurdemitRücksichtaufdieinBandI2 ,S.177–213behandelteSymbolikderBienenarbeitgewählt.

©2023SchwabeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG,Basel,Schweiz

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Satz:Rhema–TimDoherty,Münster

Druck:Hubert&Co.,Göttingen

PrintedinGermany

ISBNPrintausgabe978-3-7965-4750-8

ISBNeBook(PDF)978-3-7965-4757-7

DOI10.24894/978-3-7965-4757-7

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»WasmitdemnüchternenAusdruckBenutzung(Chrêsis) bezeichnetwird,isteineinmaligesFaktumvonwelthistorischerBedeutung:ohnesiehättedasChristentumniemals sichausbreitenkönnen.«

(PaulHacker,KleineSchriften,Wiesbaden1978,349)

Inhalt Vorwort 9 A.Einleitung 11 B.DerAltersbeweis 17 a.Begriff 17 b.DiedreiElementedesAltersbeweises 18 I.Antiquitas 18 II.Abhängigkeit 28 III.Verfälschung 50 c.AltersbeweisundGotteserkenntnis 67 d.WahrheitundÄhnlichkeit 78 e.Rückblick 93 C.ClemensAlexandrinusunddiePhilosophie 95 D.BedeutungdesAltersbeweises 106 a.PanoramaantikerGeisteswelt 106 b.IndirektesRegelwerkderChrêsis 108 I.TerminologiederVerfälschung 110 II.TerminologiederAbhängigkeit 113 III.TerminologiederUnrechtmäßigkeit 122 c.Rückblick 125 E.Paradigmenwechsel:ChrêsisstattMimesis 126 F.TertullianüberdieNotwendigkeitderChrêsis 130 G.MißachtungderChrêsis:dieFolgen 139 a.PhilosophieundHäresie 139 b.BilderdesfalschenGebrauchs 143 I.Falschmünzerei 143 II.Weinpantschen 143 III.GiftstattMostauspressen 145 IV.TrunkenvonWeinoderBranntwein 146 V.AllianzderGegner 147
VI.Häuseraneinanderreihen ......................... 149 VII.RaubundMißbrauchderTempelgefäße .............. 153 VIII.GoldeneZungen ............................... 156 IX.ÖlundWassermischenwollen ..................... 157 c.Rückblick ........................................ 162 H.Gebrauchenundrichtiggebrauchen ........................ 166 Anhang:DasVokabulardesAltersbeweisesinausgewähltenTexten .... 170 I.Vorbemerkungen ...................................... 170 II.Texte ............................................... 172 Register ................................................ 203 I.Stellen ............................................. 203 a.Bibel ............................................ 203 b.AntikeAutoren .................................... 205 II.Wörter ............................................. 215 a.GriechischeWörter ................................. 215 b.LateinischeWörter .................................. 217 III.NamenundSachen ................................... 219 8

Vorwort

DieserdritteBandderReihehatlangeaufsichwartenlassen,überdieGründe wirdinderEinleitunggesprochen.MitdendreierstenBändenistnundasFundamentderForschungsrichtunggelegt,wieesvonAnfangangeplantwar.So erscheintesangemessen,einenkurzenBlickzurückzuwerfenaufdieIdee,die dieseSchriftenreihehervorrief.EswardasdieÜberzeugung,daßderGang derKirchedurchdieerstenJahrhundertedasSchauspielunddasMustereiner großen,gelungenenMissionbiete.UndeslaginderKonsequenzdieserÜberzeugung,daßderPlanentstand,WesenundMethodedieserMissionzudurchleuchten,umdarausfürdieProblemedersog.Inkulturationzulernen,mitdenendieKirchedamalsrangundweiterhinringt.Diehistorisch-philologischen UntersuchungenderfolgendenBändeführenpraktischeBeispieledes ususiustus vor,füllendieRegelnderChrêsismitLeben.Siesinddaherinihremeigentlichen,letztenSinnaufdasgemeinsame,großeZielausgerichtet,undes entsprichtdieserAusrichtung,wenndieMissionswissenschaftdenBeginndes UnternehmensmitZustimmungbegleitete.*MögenanderedieSacheweiterführen!DasFeldistreich,jaunerschöpflich.

InderDarstellungdesvorliegendenBandesbeanspruchenzwarsolcheGedankenerheblichenRaum,derenBedeutungeinezeitbedingteist,aberausall denzeitbedingtenElementenderfrühkirchlichenGeisteswelthebensichdoch immerwiederdiefesten,bleibendenGrundsätzederkirchlichenMissionhervor.Ja,esistgeradedieEntschiedenheit,mitderUnklarheitenundVerschiefungendesfalschenGebrauchsabgewiesenwerden,diesichalswesentliches, gemeinsamesMerkmalderMissionabzeichnet.DiesesMerkmal,die kr–sic,lebendigaufzufassen,kannkaumohneVorteilseinineinerZeit,dadiealtenProblemedesUmgangsmiteinernichtchristlichenKulturfortbestehenunddarüberhinausdieverwandtenFrageneinermöglichenNeuevangelisierungimmer stärkerindenBlickpunktrücken.

*NäheresüberArtundSinndesVorhabens:s.VorwortzuChrêsisI2 ,DörmannsGeleitwort(ibid. 13/17),dasKapitel»PhilologieundChristianisierung«(ibid.21/35)sowiedaseinleitendeKapitel zuChrêsisX:»VoraussetzungsloseWissenschaft?«(9/23).DiebleibendeBedeutungderChrêsis kommtindenAbschnitten»KirchlicheDokumenteausneuererZeit«:ChrêsisII121/27;165/76 zudeutlichemAusdruck.

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DieerstenbeidenBändederReihesowiederzehntewerdenimfolgenden abgekürztzitiert:

ChrêsisI2 DerBegriffdesrechtenGebrauchs(19841 ).Zweite,erweiterte Auflage2012.

ChrêsisIIKulturundConversion1993.

ChrêsisXPratumPatristicum2019.

BesonderenDankschuldeichDr.KonstantinLiebrand,derdenTextelektronischerfaßthatundmirstetsmitRatundTatzurSeitestand.Fürdiesorgfältige BetreuungdesBuchsdankeichDr.ArletteNeumann,SchwabeVerlag,fürdie –wieimmer–überaussachkundigeHerstellungdesSatzesTimDoherty.

MünsterimAugust2022ChristianGnilka

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A. Einleitung 1.

DieErfahrung,daßalteGedankenundbekannteTatsachendurchdieArtihrerDarstellungeineneueWirkungerhaltenkönnen,hatwohlnirgendseinen anmutigerenAusdruckgefundenalsindenWorten,mitdenenFranzvonSales seineIntroductionàlaviedévoteeröffnet 1:

»DieBlumenbinderinGlykeraverstandessogeschickt,ihreBlumenaufmannigfaltige Artzusammenzustellen,daßderMalerPausias,derdieverschiedenenSträußezumalenversuchte,nichtimStandewar,ihrestetsneueFarbenprachtsoaufdieLeinwand zubringen,wiesieGlykeradurchgeschickteAnordnungderBlumenhervorzauberte.SoistesauchmitdenUnterweisungenfürdasgeistlicheLeben.AlleDiener GottestrageninihrenPredigtenundSchriften diegleichenLehren überdieFrömmigkeitvor;unterderLeitungdesHeiligenGeistesbringtsieaber jederinanderer Anordnung undZusammenstellung.BeivölliggleichbleibenderLehresiehtdaherdie Darstellungimmerwiederandersausundwirktauchanders.Auchichwillindieser AnleitungdasgleichesagenwiemeineVorgänger,dieüberdiesenGegenstandschrieben.IchbieteDir,lieberLeser,dieselbenBlumenanwiesie.MeinStraußwirdaber andersaussehen,weilichdieBlumenanderszusammengestellthabe.«

DassindfreilichdieWorteeinesHeiligenundeinesgroßenSeelenführers,der sichfürdieWahrheitseinerLehrenunddieArtihrerDarbietungaufdieLeitungderhöchstenAutoritätberufendarf.AberdaßgleicheGedankendurch verschiedeneDarstellungverschiedeneWirkungerzielenkönnen:dieseErfahrungistdocheineallgemeine,unddeswegenistesauchnichtunpassend,daß derAutorsiedurchdiehübscheGeschichtevonderBlumenbinderinGlykera illustriert,dieerbeiPliniusgelesenhatteunddurchdiesichauchGoetheanre-

1 FrançoisdeSales,Introductionàlaviedévote.Philothea(16195

),Préface.Ichzitierediedeutsche ÜbersetzungvonFranzReisinger:FranzvonSales,AnleitungzumfrommenLeben.Philothea, Eichstätt/Wien1959=DeutscheAusgabederWerkedeshl.FranzvonSales,Bd.1,25.

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genließ 2.AufähnlicheWeiserechtfertigtsichPascal:»Mansagenicht,ichhätte nichtsNeuesgesagt:dieAnordnungdesStoffsistneu.Jederspielt,wennman Ballspielt,mitdemgleichenBall,abereinersetztihnbesser«.Underfügthinzu: »VerschiedeneFolgederWortegibtverschiedenenInhalt,undverschiedene FolgederInhaltegibtverschiedeneWirkung« 3.DieGültigkeitdieserErfahrung wirdschließlichvoneinerganzanderen,weitentferntenInstanzbestätigt:wo CicerosichgegendenVorwurfverteidigt,erseiinderphilosophischenSchriftstellereivölligvondenGriechenabhängig,tuterdasunteranderemmitdem Hinweisdarauf,daßermitdengriechischenPhilosophemendaseigeneUrteil unddieeigeneAnordnungdesStoffsverbinde 4.DurchsolcheStimmenfühle ichmichermutigt,erneuteinThemazurSprachezubringen,dasinjüngerer VergangenheitvielAufmerksamkeitgefundenhat.DenndiesesThemastehtin BeziehungzurChrêsisderKirchenväterunderhält,wiemirscheint,seinerechte Bedeutungerstdann,wennesindiesenZusammenhangeingeordnetwird.

JedeLehre,jedeIdeewirdnichtnurerfaßtinunmittelbarerBetrachtungihrer selbst,sondernauchinVergegenwärtigungihresGegenteils.DieantikeRhetorikmachtesichdiesenGrundsatzzueigen,undsofanderAnwendungauch indenWerkenrhetorischdurchgebildeterAutorenderjungenKirche.Tertulliancharakterisiertdie patientia,indemereinBildder impatientia entwirftund erklärt(Tert.patient.5,2):

sidealiquobonosermoest,respostulatcontrariumquoquebonirecensere: quidenim sectandumsit,magisinluminabis,si,quidvitandumsit,proindedigesseris.

»WennvonirgendeinemGutdieRedeist,erfordertesdieSache,auchdasGegenteil desGutenzubetrachten:dennwasmanerstrebenmuß,wirstdubesserbeleuchten, wenndu,wasmanmeidenmuß,ebensobehandelthast«.

2 Plin.nat.35,125,vgl.GoetheselegischesGedicht»DerneuePausiasundseinBlumenmädchen« (1797):GoethesWerke(Sophienausgabe)I1,Weimar1887,S.272/80;ErnstGrumach,Goethe unddieAntike,Bd.2,Potsdam1949,652.833.FranzvonSaleszitiertwohlausdemGedächtnis. BeiPliniusistnurvoneinemWetteifernderbeidendieRede,nichtvoneinerÜberlegenheitder Blumenbinderin.

3 Pascal,LesPensées,NouvelleÉditionannotéeparAdolpheEspiard,Pariso.J.(Bibliothèque Larousse),S.63.IchzitierediedeutscheÜbersetzungvonEwaldWasmuth,BlaisePascal,Über dieReligionundüberandereGegenstände(Pensées),Heidelberg19545 ,28;dazunoch(ibid.): »AlsobdiegleichenGedankeninverschiedenerAnordnung(parunedispositiondifférente) nichteinenanderenSatzkörperbildeten,wiediegleichenWortedurchverschiedeneAnordnung andereGedanken«.

4 Cic.fin.1,6 eisque (sc. quaedictasuntaGraecis) nostrumiudiciumetnostrumscribendiordinem adiungimus.

2.
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WasTertullianempfiehlt,istdierhetorischeArgumentation econtrario 5.CyprianfolgtderEmpfehlunginseinerBearbeitungdertertullianischenSchrift (Cypr.patient.19): utmagis ... patientiaebonumluceat,quidmaliecontrarioinpatientiainportet,consideremus 6.AuchdieChrêsislehrederKirchenväter hatihrGegenteil,auchGrundlage,MethodeundZieldesrechtenGebrauchs werdendurchdieFehlerbeleuchtet,diedenfalschenGebrauchverursachen. DochentspringtdieArgumentation econtrario indiesemFallnichtunserer eigenenÜberlegung.WirsindinderWahldiesesVerfahrensnichtfrei.Eswird unsdurchdieQuellen,durchdasSchrifttumderKirchenväternahegelegt,jazur Aufgabegemacht.DennschauensieaufdieGeistesweltderheidnischenAntike, erblickensieeinenZustand,wieersichzueinemnichtunwesentlichenTeilaus denFolgeneinesfalschenGebrauchsergab.UndesistdieseVisionderantiken Bildung,dieihrenUmgangmitdieserBildungbestimmt.

DieserGesichtspunktistes,dereinemGedankenkomplex,derinhistorischer HinsichtaufeinemIrrtumberuhtunddenmanalsIrrtumzusehengewöhnt ist 7,einbleibendesInteressesichert.DieVäterwarenderÜberzeugung,daß diegriechisch-römischeKulturinAbhängigkeitvonalttestamentlicherWeisheitentstandensei,wobeidiegriechischenDichterundDenkerdasGut,das sieausMosesunddenProphetenschöpften,durchunpassendeZutaten,durch MißverständnisseundabsichtlicheFälschungenverdorbenundaufdieseWeise eineschillerndeMischungausWahrheitundIrrtum,WahrheitundLügeerzeugt hätten.DieserGedankenkomplexistunterdemNamendesAltersbeweisesbekannt.AusgehendvonsolcherSichtdersieumgebendenKulturbemerktendie kirchlichenDenkerundLiteratenaufSchrittundTrittdieverwehtenSpuren göttlicherOffenbarungindenBüchernderHeiden.DochstanddiesesMaterial ihrereigenenMethodeimUmgangmitPhilosophieundLiteraturnichtnach ArteinesÜbungsbuchsgegenüber,dasmannachLustundLauneaufschlagen oderliegenlassenkann.DerBefundbestimmteihreChrêsis,diedaraufausgerichtetseinmußte,dasGuteundNützliche,dasWahreundSchöneausderVer-

5 Cic.top.47 locusestquiecontrariodicitur.

6 MehrdazubeiJean-ClaudeFredouille,Tertullien,DelaPatience,Paris1984=SourcesChrétiennes310,149.

7 IndemrechtumfänglichenArtikel»Irrtum«,denCatherineOsborneimRAC18(1998)854/ 910vorgelegthat,kommtallerdingsderAltersbeweisnichtvor,wohldeshalb,weilderArtikel erkenntnistheoretischausgerichtetistundhistorischeIrrtümernichterfaßt.AberdurchseinkritischesMomentreichtderAltersbeweisdochtiefhineinindieSubstanzderantikenGeisteswelt, besondersderPhilosophie,undhättedaherindemArtikeleinenPlatzfindenkönnen.

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filzungmitFalschemundBösem,indersieesantrafen,zubefreien.Innerhalb desweiten,jauniversalenGeltungsbereichsdesChrêsisprinzipsistesalsogeradederrechteGebrauchderBildungsgüter,derimAltersbeweisseinnegatives Kontrastbildfindet.DenneinwesentlichesElementdiesesGedankenkomplexes istdieAbwehrderFolgendesfalschenGebrauchs.Unddadieseunerläßliche AufgabeinihrerZeitnichtvonallenrechtbegriffenunderfülltwurde,zeigte sichihneneinneuer,gefährlicherProzeßdesMißbrauchs.Siebeobachtetenihn indenHäresien,diemitgriechischerPhilosophienichtnachdenRegelnrechten Gebrauchsumgingen,sonderneineneueMischungausPhilosophieundEvangeliumzubereiteten. 4.

MeineBeschäftigungmitdemThemadesAltersbeweisesreichtweitzurück. ImerstenBanddieserReihe(19841 )istderAltersbeweisalseinederbeiden GrundlagendesUmgangsderKirchenvätermitderantikenKulturkurzgestreiftunddertheologischenBasisgegenübergestellt 8.WeitereBeobachtungen dazuhabeichineinemVortragdesJahres1985:»MosesundPlatonausder SichtderKirchenväter«zusammengefaßt 9 unddannimSommersemester1986 inmeinerMünsterschenVorlesung:»PhilosophieundWahrheitausderSicht derKirchenväter«ausgeführt.AbermirfehltendamalsZeitundKraft,diebreit angelegteUntersuchungzuEndezuführen.Zudemändertesichbalddarauf dieForschungslage.EstrateinziemlichüberraschenderUmschwungein,wie erinderGeschichtederWissenschaftöfterszubeobachtenist:einGegenstand, derlangenurgeringeBeachtungfand,erregtplötzlichvermehrtesInteresseund wirdvonverschiedenenAutorenfastgleichzeitigaufgegriffen.Natürlichwar auchfrüherschonmancherleizumAltersbeweisbemerktworden.Einsoumfassender,weitverbreiteterGedankenkomplex,dertiefeindrangindieGeistesweltderKirchenväterunddeutlicheSpureninHauptwerkenderfrühchristlichenLiteraturhinterlassenhat,konntenichtübersehenwerden.MeistwarenesaberSpezialarbeitenzueinzelnenSchriftstellern,diedasThemaberührten 10.SeitEndederachtzigerJahrejedochwurdeesinselbständigenMono-

8 ChrêsisI1 15f.;ChrêsisI2 25f.

9 Gehaltenam13.Juni1985vordem»FreiburgerVereinderFreundederAntike«,wiederholt unterdemTitel»MosèePlatonevistidaiPadridellaChiesa«am6.Mai1997inBologna,CISEC (Centrointerdipartimentaledistudisull’EbraismoesulCristianesimo).

10 SoetwaJ.H.WaszinkimKommentarzuTertullian Deanima,Amsterdam1947,106.Weiter ausgreifend:JeanPepin,Le»Challence«Homère–Moiseauxpremierssiècleschrétiens:RevueRel.29(1955)105/22;SalvatoreR.C.Lilla,ClementofAlexandria.AStudyinChristian PlatonismandGnosticisme,Oxford1971(kritischaufzunehmen).

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graphienbehandelt.KurzhintereinandererschienendamalsdieBüchervonArthurJ.Droge,HomerorMoses?EarlyChristianInterpretationsoftheHistory ofCulture,Tübingen1989undPeterPilhofer,PresbyteronKreitton.DerAltersbeweisderjüdischenApologetenundseineVorgeschichte,Tübingen1990. MatthiasBaltesbesprachdieSacheausführlichineinemSammelwerkzumPlatonismus(1990) 11,Ch.RiedwegboteinengehaltvollenÜberblick(1994) 12,in KinzigsBuch»NovitasChristiana«(1994)spieltderAltersbeweisalsGegenpol zurIdeedesFortschrittseinegroßeRolle 13,zweiweitereMonographienfolgten 14.DieseListeistnichtvollständig,magabergenügen,denUmschwungzu illustrieren,vondemichsprach.

WennsichauchbeiLektüredieserArbeitenmancherleiWiderspruchregen kann 15,soläßtsichdochnichtverkennen,daßdurchsieimGanzeneinbedeutenderFortschritterzieltist.DieArgumentationmittelsdesAltersbeweises wurdeindieGeistesweltdesHellenismusundderSpätantikeeingeordnet.Die Kirchenväter,sosahmanjetzt,hattendenAltersbeweisnichterfundenundauch nichtzuihrerZeitalleingeführt.MitdieserErkenntniswareineApologieder Väterverbunden,auchdort,wosienichtausgesprochenundnichtbeabsichtigtwar.ZwargelangtendieDenkformen,indenenderAltersbeweisgründet, imkirchlichenSchrifttumzubesondersscharfemAusdruck,wurdensiedoch MitteleinesgroßengeistigenKampfes,unddabeiwaresunvermeidlich,daßdie SchwächenderKonstruktionoftmalsaufdringlichhervortraten.Aberesließ sichebennichtleugnen,daßdieVäterindieserHinsichtKinderihrerZeitwaren.SeitdemistdieForschungzudemweitenThemanichtstehengeblieben.Sie kommtzurSpracheindenreichhaltigenKapitelnzumAltersbeweis,dieMarkusMülkeinseinerMonographiezuAristobulosvorgelegthat 16 .

11 M.Baltes,PlatonunddieWeisheitdesOstens,in:H.Dörrie,M.Baltes(Hrsgg.),DerPlatonismusinderAntike2,Stuttgart/BadCannstadt1990,Bausteine62/71,Kommentar425/505.

12 Ch.Riedweg,Ps.-Justin(MarkellvonAnkyra?),AdGraecosdeverareligione(bisher:»cohortatioadGraecos«),Basel1994=SchweizerischeBeiträgezurAltertumswissenschaft25/1und 2,hier1,119/29.

13 W.Kinzig,NovitasChristiana.DieIdeedesFortschrittsinderAltenKirchebisEusebius,Göttingen1994=ForschungenzurKirchen-undDogmengeschichte58.

14 D.Ridings,TheAtticMoses.TheDependencyThemeinsomeEarlyChristianWriters,Göteborg1995;S.Ackermann,ChristlicheApologetikundheidnischePhilosophieimStreitumdas AlteTestament,Stuttgart1997.

15 WesentlichePunktesinduntenS.55f.59,36.59/62.63.63,53.90,34.95/102.170f.berührt.

16 M.Mülke,AristobulusinAlexandria,JüdischeBibelexegesezwischenGriechenundÄgyptern unterPtolemaiosVI.Philometor,Berlin/Boston2018=UntersuchungenzurantikenLitera-

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AllerdingsfandichinkeinerdereinschlägigenArbeitendiebleibendeBedeutungdeshistorischenIrrtumsrechterfaßt.IchmeinedamitdasLicht,dasder AltersbeweisaufdasVerhältnisderKirchezurKulturderAntikeunddamit zugleichaufihreMethodedesUmgangsmitdieserKulturwirft.War miralsodurchdieneuereLiteraturvielArbeitabgenommen,sobliebmirdoch dieseAufgabeübrig,dievonAnfanganmeinInteresseanderSachegeweckt hatte.IchverlorsiedahernichtausdemAugeundverfolgtesieindemVortrag: »WahrheitundÄhnlichkeit«,gehaltenam14.Januar2004imRahmeneiner RingvorlesunganderTechnischenUniversitätAachen,inüberarbeiteterFassungunterdemTitel»L’ombradellaverità«am15.Mai2019inBologna.Beide Versionensindpubliziert 17,diedeutschewurdeaufgenommenindenzehnten BanddieserReihe:PratumPatristicum,Basel2019=ChrêsisX25/55.DerText istgrößtenteilsindiefolgendeDarstellungeingegangen.Mirgehteshierzunächstdarum,dieallgemeinenZügederArgumentationausdenQuellenherauszuarbeiten,umdieGrundlagefürdieFolgerungenzuschaffen,diesichdarausfürdieMethodederVäterziehenlassen.

turundGeschichte126,82/117und134/51.EinÜberblickauchbeiM.Fiedrowicz,Apologie imfrühenChristentum,Paderbornusw.2000,215/19.EinebesondereBehandlunghatTatian erfahren:H.-G.Nesselrath,WiemanpaganeGeschichtsschreibung admaioremDeigloriam verwendet.DerAltersbeweisinTatians RedeandieGriechen,in:M.Mülke,Chrésima.ExemplarischeStudienzurfrühchristlichenChrêsis,Berlin/Boston2019=Untersuchungenzur antikenLiteraturundGeschichte138,21/43.EsgehtumTatiansQuellenfürdenNachweisder zeitlichenDistanzzwischenMosesundHomer.

17 R.vonHaehling(Hrsg.),GriechischeMythologieundfrühesChristentum,Darmstadt2005, 194/220;AngelaMariaMazzanti(ed.),Unmetodoperildialogofraleculture.Lachrêsispatristica,Brescia:EditriceMorcelliana2019,15/31.

6.
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B.

DerAltersbeweis

a.Begriff

InseinervollausgebildetenFormvereintderAltersbeweisdreiElemente:den ErweishöherenAltersdesAltenTestaments,denErweisderAbhängigkeit griechischenDenkensunddenderVerfälschungderWahrheit.InderSprachederVäter: ÇrqaiÏthc, m–mhsic, paràkousma,diebeidenletzterenauchverschärftzu klop† und paraqàragma.DerBegriffschillertalsoetwas,trotzdem behalteichihnbei.AusdemZusammenhangdürftedeutlichgenughervorgehen,inwelchemSinnejeweilsinnerhalbdereinzelnenKapitelvom›Altersbeweis‹gesprochenwird.DiedreiSätzehängenfreilichengzusammen,namentlichsetztdieBehauptungderAbhängigkeitdiederPrioritätvoraus;andrerseits zeigtsicheinegewisseSelbständigkeitderArgumentedarin,daßderNachweis desAltersbisweilenalleingeführtwird 1.DerUmstandverdientBeachtung, weilererkennenläßt,welcherWertalleinder antiquitas (ÇrqaiÏthc)imGeisteskampfderSpätantikezuerkanntwurde.

1 JosephuslegtindemWerkgegenApion–zitiertvonOriginesundEusebiusunterdemTitel Per»t®ct¿n>Iouda–wnÇrqaiÏthtoc,derjedochnurdenerstenTeildesWerkstrifft(s.B. NieseinderAusgabedesIosephusvol.5[19552 ]p.IV/VundJohnM.G.Barclay,FlaviusIosephusAgainstApion,Leiden/Boston2007=FlaviusIosephus,TranslationandCommentary,ed. St.Mason,vol.10,p.XXVIII/XXX)–dasHauptgewichtaufdenErweisdesAlters,denGedankenderAbhängigkeitdergriechischenWeisenvonMosesstreifternurgelegentlich,s.unten S.51,6.BeiTheophilusadAutol.3,16ff.gehtesnurumdenAltersnachweis,obwohlandernorts(ibid.2,37,16)auchvomDiebstahlgriechischerDichterdieRedeist.Tertullianbehandelt imApologeticumbeidePunkte,abergetrennt:zuerstdie antiquitas allein(apol.19),danndie Abhängigkeit(ebd.47).ÄhnlichLaktanz(antiquitas:inst.4,5,4/10,vgl.1,23,1/5;Abhängigkeit: s.untenS.119f.)undAugustinusimGottesstaat:civ.8,11wirddieFragederAbhängigkeit erörtert,später(civ.18,37)nocheinmalinanderemZusammenhangdie antiquitas fürsich.

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b.DiedreiElementedesAltersbeweises

I.Antiquitas 1.

Auchindieserersten,allgemeinenFormenthältderAltersbeweisunübersehbareMängel,abersiewirdheutewohljedermannmitjenerNachsichtaufnehmen,diewiretwaantikenBerichtenüberdieFrühgeschichte(Çrqaiolog–a)der VölkeroderüberdenVerfasserderhomerischenEpenentgegenbringen 2.Von derSchichtenanalysedermodernenalttestamentlichenWissenschaftwarendie Kirchenväterweitentfernt,ihnengaltdereineMosesalsVerfasserderersten fünfBücherdesAltenTestaments,undseineZeitsetztensieaufvierhundert odergartausendJahrevorderZerstörungdeshomerischenTrojaan 3,unddamitjeweilsumetwaebensovielJahrezufrüh 4.SiehieltensichdabeihauptsächlichandieChronologie,diederjüdischeHistorikerFlaviusJosephus,aufälterenhellenistischenQuellen,besondersderägyptischenGeschichtedesÄgyptersManetho,fußend,baldnachdemJahr100n.Chr.inseinerSchrift»GegenApion«vorgelegthatte 5.Eswäresehrunbillig,überdieseBerechnungen

2 DiemodernePentateuchkritikentwickeltesichgleichzeitigmitderHomerkritik;vgl.O. Eissfeldt,EinleitungindasAlteTestament,Tübingen19643 ,234.LetzterefandallerdingsAnsätzeschoninderAntike,sogeradebeiJosephus(c.Apion.1,12);vgl.F.A.Wolf,Prolegomena adHomerum,Halle1795,p.LXXVIsq.,CV.K.A.BöttingerimFrühjahr1795überWolfsHomerkritik:»DenmeistenBeifallhatsichWolfvondenneuerenTheologenzuversprechen,die keingeringesTriumphlieddarüberanstimmenwerden,daßnunauchdieserheidnischeMoses entthrontist«(s.Grumach[wieobenS.12,2]Bd.1,144f.).

3 Tatian.or.adGraec.39,2;Clem.Alex.strom.1,102,3;Euseb.chron.p.171Karst(GCS20,Euseb.5):vierhundertJahre;Theophil.adAutol.3,21,6:neunhundertbistausendJahre(vgl.ibid. 3,28);Tert.apol.19,3: millecirciter.Vgl.Anm.5.Imübrigen:daderverklärteHerrmitMoses undEliasaufjenemBerggeredethatte(Mt.17,1/8;Mc.9,2/8;Lc.9,28/34),warenExistenz, Person,AutoritätdesGesetzgebersineinerWeisebeglaubigt,diejedenZweifelausschloß,und Gregorv.NyssakonnteseinLebenzumGegenstanderbaulicherBetrachtungmachen.DievielenFragen,diedieGestaltdesMosesdermodernenWissenschaftaufgibt–dazuE.Otto(Hrsg.), Mose,ÄgyptenunddasAlteTestament,Stuttgart2000=SuttgarterBibelstudien189–,stellten sichdenVäternnicht.

4 DazueinigeHinweise:ChrêsisX27,6.IndessinddieZweifelanderHistorizitätdesGeschehens nieganzverstummt,vgl.etwaF.Hampl,DieIliasistkeinGeschichtsbuch:SertaPhilologica Aenipontana(I),hrsg.vonR.Muth,Innsbruck1962,37/63.

5 Ioseph.c.Apion.1,104:derAuszugdesVolksIsraelausÄgyptengehtdemtrojanischenKrieg etwaumtausendJahrevoraus.ÜberManethozusammenfassendBarclay(wieobenAnm.1) 335/37.DieFragmenteseinerAegyptiacabeiJacobyFGrHist609F1/12undinderLoebLibrary(ed.W.G.Waddell1940).ManethokommtbeiMülke(wieobenS.16,16)mehrfachzu Wort;zurDiskussionderEchtheitsfrageibid.S.158,Anm.555.

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