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»abnehmen«
‹ Aus dem lat.: de = Wortteil mit der Bedeutung abnehmen; mens = Denkvermögen, Verstand, Vernunft. Unter Demenz versteht man also begrifflich einen Menschen ohne Verstand oder Vernunft.
‹
[de] [mens] ‹ »Verstand«
— »Aus dem Leben gerissen«. Diesen Ausdruck hört man nach schweren Unfällen oder Schicksalsschlägen. »Aus dem Leben geschlichen« hingegen ist kein geflügeltes Wortspiel. Es beschreibt aber ebenso treffend menschliche Schicksale. Leben, die nicht mit einem kräftigen Schlag ausgelöscht werden, sondern langsam aus unserer Welt verschwinden. Die Rede ist von einer Krankheit, die uns immer häufiger in unserem Umfeld, in den Nachrichten oder in Informationsbroschüren begegnet. Überall ist die Rede von Demenz oder wahlweise Alzheimer, einer Unterform der Demenz. Eine Krankheit, die eigentlich schnell beschrieben ist. Das Gehirn des Betroffenen verliert immer mehr seine Leistungs fähigkeit. Aber nicht auf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt. Betrachtet man nicht nur das Krankheitsbild und die Diagnose, sondern die Menschen und deren Gefühle, so ist es ein rätselhaftes und komplexes Leiden. Und das gilt nicht nur für die betroffene Person selbst. Angehörige verlieren Stück für Stück den Menschen, den sie lieben gelernt haben und müssen diesen schweren Weg mit ihnen gehen.
»Aus dem Leben geschlichen.« Wer diese Krankheit ansatzweise verstehen will, muss kein Arzt sein. Medizinische Erklärungen helfen bei dem Blick auf Demenz nur marginal. Die Krankheit hat sich zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelt und gibt einer Generation von geliebten Kindern Schuldgefühle. Die Frage, ob man seine Eltern in Pflege (welcher Form auch immer) geben soll, beschäftigt derzeit unzählige Söhne und Töchter. Auf der letzten Stufe dieser Kausalkette stehen die Pflegeeinrichtungen selbst, die mit niedrigen Löhnen und geringem Personal diese hochkomplexe Krankheit lindern sollen. Viele der Angestellten wollen den Menschen helfen, aber sie werden mit allerlei Widrigkeiten konfrontiert, die ihnen die Arbeit erschweren. Im Durchschnitt muss sich eine Pflegekraft um viel zu viele Erkrankte kümmern und ist hohen körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Letztlich dreht sich dieses Buch nicht nur um die Demenz, sondern um Menschen und deren Geschichten. Wer sie waren und wer sie heute sind. Wem sie vertraut haben und wem sie heute vertrauen. —
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Demenz? Was bedeutet
Prof. Dr. med. Volker Faust (*1941 in Leipzig) ist ein deutscher Psychiater. Er nutzte als einer der ersten deutschen Psychiater das Internet als Publikationsmedium für seine Texte. Seine Webadresse lautet: www.psychosoziale-gesundheit.net
— Wir leben in einer »alternden Welt«. Jahrtausende hinweg betrug die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen 30 oder gar nur 20 Jahre. Im letzten Jahrhundert aber zeichnete sich eine biologische Revolution ab: Die mittlere Lebensdauer stieg in einmaligem Ausmaß. Zwar hat sich die Lebensspanne, d. h. die maximale Überlebenszeit des Menschen nicht verändert. Sie liegt zwischen 110 und 115 Jahren. Gewachsen ist dafür die Lebenserwartung, d. h. die durchschnittliche Zahl von Jahren, die dem Menschen bei Geburt statistisch zustehen. Allein in Deutschland liegt sie für Männer bei mehr als 71 und für Frauen bei fast 80 Jahren. Man hofft, dass sie sich in den kommenden Jahrzehnten weiter erhöhen lässt. Dies bezieht sich jedoch vor allem auf die sogenannten Entwicklungsländer. Bei den Industrienationen wird sie sich vermutlich um das 80. Lebensjahr einpendeln. […]
5%
Andere Arten
14 %
Mischformen
Formen der Demenz 19 % Vaskuläre Demenz
62 % Alzheimer
Auf jeden Fall hat die ersehnte Langlebigkeit ihren Preis, und der heißt Krankheit auf verschiedenen Ebenen (Multimorbidität). Die Vielzahl der Beschwerden wächst mit den Jahren und führt dazu, dass mehr als jeder Dritte mehrfach belastet ist: Gefäßleiden, insbesondere Arteriosklerose der Herz- und Hirngefäße, Krankheiten der Atmungsorgane, rheumatische Leiden der Muskeln und Gelenke sowie Krebs. Vor allem aber bestimmte seelische Störungen, die mit gestiegener Lebenserwartung deutlich zunehmen. Das sind auf der einen Seite Depression und Angsterkrankungen, auf der anderen hirnorganische Veränderungen im Sinne einer Demenz.
» Betroffen sind inzwischen rund 5 % der Bevölkerung in Deutschland.« Definition und Klassifikation dementieller Erkrankungen Demenz ist ein Sammelbegriff für den erworbenen Abbau intellektueller Funktionen oder Leistungen oder vereinfacht ausgedrückt: ein zunehmendes (und im wesentlichen unaufhaltsames) Hirnversagen. Betroffen sind aber nicht die für die vegetativen Funktionen lebensnotwendigen Teile des Gehirns (z. B. Atmung oder Kreislauf), sondern jene Regionen, die die »höheren« geistigen Funktionen, also verkürzt ausgedrückt das Denken, ausmachen. Die Folgen einer Demenz sind ein fortschreitendes Nachlassen von Gedächtnis, Orientierung, Erkennen, schließlich auch von Erlebnisfähigkeit, Interessenumfang, Gefühl (Gefühlslabilität), Kritikfähigkeit (Kritikschwäche) und schließlich eine Wesensänderung (z. B. Vergröberung entsprechender Charaktereigenschaften). Im Endzustand drohen sogar einschneidende körperliche Behinderungen, z. B. Verlust der Kontrolle über Blasen- und Mastdarmfunktion, neurologische Ausfälle usw. […]
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Wie häufig sind dementielle Erkrankungen? Demenzen spielen in der ersten Lebenshälfte zahlenmäßig fast keine Rolle, um dann aber im höheren und vor allem hohen Lebensalter rasch zuzunehmen. Betroffen sind inzwischen rund 5 % der Bevölkerung in Deutschland. Dies hängt jedoch vom Alter ab. Die Häufigkeit für Demenz-Erkrankungen beträgt in der Altersgruppe der 65- bis 69-jährigen 2,4 bis 5,1 %. Bei den zehn Jahre Älteren sind es bereits 10 bis 12 % und bei den über 80-jährigen etwa jeder Vierte. Schließt man hier leichtere Demenzen mit ein, soll sich das sogar verdoppeln. Frauen sind mit 70 % deutlich überrepräsentiert, was aber vor allem auf ihre höhere Lebenserwartung zurückgeht. Unterhalb 75 Jahren erkranken nämlich Männer häufiger. Beim weiblichen Geschlecht überwiegt die Demenz vom Alzheimer-Typ, beim männlichen werden mehr vaskuläre Demenzen (Gefäßkrankheiten) und Mischformen beobachtet. Die absolute Zahl liegt in Deutschland derzeit bei etwa 850.000, wenn man nur die mittelschweren und schweren Stadien einbezieht. Nimmt man noch die leichteren Stadien hinzu, lauten die Schätzungen 1,2 bis 1,5 Millionen. Weltweit sollen es mehr als 30 Millionen sein, wobei die Milliarden-Kosten gigantische Ausmaße anzunehmen beginnen.
» Demenzen spielen in der ersten fast keine Rolle, um dann aber im Lebensalter rasch zuzunehmen.«
4,8% 65 – 69 Jahre
9,1% 70 – 74 Jahre
50,0% 90 + Jahre
11,6% 75 – 79 Jahre
Häufigkeit von Demenz
in unterschiedlichen Alterklassen
24,7% 80 – 90 Jahre
Lebenshälfte zahlenmäßig m höheren und vor allem hohen Von diesen Kranken leiden mehr als die Hälfte (rund 60 %) an einer Alzheimer-Krankheit und nicht ganz jeder Fünfte an einer vaskulären Demenz aufgrund von Durchblutungsstörungen des Gehirns. Fast jeder Sechste muss mit einer Kombination aus Alzheimer-Krankheit und zusätzlicher vaskulärer Demenz fertig werden. Die meisten Demenzkranken haben also eine oder gar beide dieser Demenzformen. Der Rest der Krankheitsfälle verteilt sich auf bestimmte Leiden, meist neurologischer Art, einschließlich raumfordernder Prozesse (Tumoren u. a.) sowie unbekannte Ursachen. […]
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Alzheimer-Krankeit oder normale Alterserscheinungen? Nicht alles, was ängstlich als Krankheit interpretiert wird, ist tatsächlich Ausdruck einer Krankheit. So gehört z. B. die Vergesslichkeit, eine lästige, ärgerliche oder gar peinliche Einbuße, zu den häufigsten Phänomenen unseres Lebens – und zwar nicht nur unter Stress oder im höheren Lebensalter. Allerdings ist ein gewisses zusätzliches Defizit »mit den Jahren« völlig normal, ja die Regel. Man kann sich dagegen stemmen (und dabei auch einiges tun), aber man kann es nicht völlig verhindern (weshalb man sich nicht ständig darüber ärgern oder gar resignieren sollte). Und so ist es auch mit einer Reihe weiterer Symptome, die oftmals gar keine Krankheitszeichen sind, sondern normale Begleiterscheinungen des Alterns, die man gelassen hinnehmen sollte. Denn der Kummer, den man sich darüber macht, kann mehr an Kraft, Zuversicht und »Nerven« kosten als seine Ursache. So haben auch die Fachleute immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine »physiologische Altersvergesslichkeit« gibt (der frühere englische Begriff lautete sogar übersetzt: »gutartige Altersvergesslichkeit«). Heute spricht man von alters-assoziierten (mit dem Alter verknüpften) Gedächtnisstörungen, der Inhalt besagt das gleiche. Was versteht man darunter? Alters-assoziierte Gedächtnisstörungen (also »normale« Einbußen) äußern sich bei Personen über 50 Jahren in einem langsamen Beginn ohne plötzliche (!) Verschlechterung. In der Regel sind es Gedächtnisstörungen wie ständiges Verlegen von Gegenständen, Schwierig keiten, sich Namen zu merken, Probleme, wenn mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen sind, erinnern von Telefonnummern usw., die aber die selbständige Alltagsbewältigung nicht behindern. […] Ausblick Depression und Demenz, das sind die beiden Leiden, die im höheren Lebensalter am meisten zu irritieren scheinen. Und in der Tat, sie nehmen zu. Doch das ist kein Grund zur Resignation. Zum einen sind sie auch direkte Folge des gestiegenen Lebensalters, dass ja unser aller Wunsch ist – wenngleich am liebsten in völliger bzw. zumindest befriedigender geistiger, seelischer und körperlicher Gesundheit. Doch alles hat seinen Preis. Deshalb gilt es wenigstens die Möglichkeiten zu nutzen, d. h. die Aufklärung und Prävention (Vorbeugung) sowie schließlich Pharmako therapie, Psychotherapie und soziotherapeutische Verfahren. Und man sollte – gerade bei der Alzheimer'schen Demenz – die Gnade haben, von Angehörigen und Freunden behutsam aber konsequent darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass es an der Zeit ist, »etwas dagegen zu tun.« Wer sich verständnislos, überheblich oder uneinsichtig dagegen stemmt, hat die schlechteren Karten. […] — Lesen Sie mehr unter: http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/alzheimer.html
‹
Zukünftige
Demenz Entwicklung von
— Der demografische Wandel in Deutschland führt nicht nur zu einer älter werdenden Gesellschaft, sondern damit verbunden auch zu einer höheren Anzahl von Demenzkranken. So gibt es heute ca. 1,2 Millionen Betroffene von Demenz in der Bundesrepublik und diese Zahl wird sich im Jahr 2060 schon mehr als verdoppelt haben. Bis dahin werden aber deutlich weniger »junge« Menschen zur Verfügung stehen, um sich in der Pflege der Demenzkranken zu engagieren. Diese Entwicklung ist nicht aufzu halten, was jedoch den Pflegesektor in Zukunft noch bedeutungsvoller macht. —
heute
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2060
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Millionen
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1,2
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» Meist ist die Verordnung dieser Art von Medikamenten ein ›trial by error‹ — Vieles über die Krankheit Demenz liegt noch im Dunkeln. Man kann nicht genau sagen aus welchen Gründen sie auftritt oder welche ge nauen Attribute eine Risikogruppe haben könnte. Was jedoch heute außer Zweifel steht, ist, dass die Krankheit nicht heilbar ist. Wieso gibt es also trotzdem ein Mittel »gegen« Demenz? Derzeit sind vier Arzneistoffe vorhanden, die allesamt keine Heilung versprechen, sondern lediglich einen Einfluss auf die Symptomatik haben können. Bestenfalls können diese Antidementiva eine Verzögerung des Fortschreitens von Demenz bewirken (um ca. ein Jahr). Ein Wirkungsunterschied zwischen den verschiedenen Stoffen besteht nicht. Je früher eine dementielle Entwicklung erkannt wird, desto besser kann (nicht nur über Medikamente) interveniert und die Fortschreitung verzögert werden. Antidementiva sind, wenn überhaupt, nur ein Teil der Therapie. Genauso hilfreich kann die körperliche und geistige Aktivierung und das richtige Umfeld für den Patienten sein. Vor der Anwendung solcher Medikamente sollte immer eine ärztliche Beratung stattfinden.
und es muss damit gerechnet werden, dass eine Verbesserung komplett ausbleibt.« Die Wirksamkeit von Antidementiva ist nicht vorhersehbar und von Fall zu Fall verschieden. Die chemische Struktur der Arzneistoffe ist zwar sehr unterschiedlich, sie zielen jedoch alle auf eine Veränderung direkt im Gehirn ab. Meist ist die Verordnung dieser Art von Medikamenten ein »trial by error« und es muss damit gerechnet werden, dass eine Verbesserung komplett ausbleibt. Trotz des Hoffnungsschimmers den Antidementiva verbreiten, sollten die negativen Seiten nicht unbeachtet bleiben. Jüngst wurden immer mehr Zweifel an der Effektivität einiger dieser Mittel laut. Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) kam im Jahr 2009 sogar zu dem Schluss: »Es gibt keinen Beleg für einen Nutzen der Memantin-Therapie1 bei Patienten mit Alzheimer-Demenz.« Außerdem besteht das Risiko einer Reihe von Nebenwirkungen bei der Nutzung von Antidementiva, darunter z. B. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Schlafstörungen. —
1
Memantin ist einer der vier Arzneistoffe gegen Demenz
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— Aluminium ist heutzutage allgegenwärtig. Es ist ein äußerst vielseitiges chemisches Element, welches aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist und dem wir deshalb auch nur schwer aus dem Weg gehen können. Ob in Kosmetik, Medikamenten oder jeglicher Form von Verpackungsmaterialien – es ist fast immer enthalten. Und wenn wir Aluminium oberflächlich betrachten, werden auch nur positive Eigenschaften sichtbar. Es ist formbar, hat dabei nahezu die gleiche Festigkeit wie Eisen, rostet aber nicht. Mittlerweile haben unabhängige Forschungsergebnisse jedoch eine Vielzahl an gesundheitlichen Risiken entdeckt, die offensichtlich von Aluminium ausgelöst werden. An die Öffentlichkeit gelangen solche Informationen nur sporadisch, dafür ist die Aluminium-Lobby zu mächtig, denn mit dem Leichtmetall ist logischerweise viel Geld zu verdienen. Es heißt, dass Aluminium Auslöser für Krebs, Allergien und auch Demenz sein kann.
» Im Falle von dementiellen Erkrankungen, die immer stärker ansteigen, wurde eine vier- bis sechsfach höhere Konzentration von Aluminium im Gehirn festgestellt.« Im Falle von dementiellen Erkrankungen, die immer stärker ansteigen, wurde eine vier- bis sechsfach höhere Konzentration von Aluminium im Gehirn festgestellt. Auslöser könnten in diesem Fall Medikamente sein, insbesondere Tabletten und Pulver gegen Sodbrennen. Dass diese Gefahr besteht, ist auch den Herstellern bekannt. Diese geben zwar Demenz und schwere Hirnschäden als Nebenwirkungen, zusammen mit der Warnung das Medikament nicht über einen längeren Zeitraum einzunehmen, in der Packungsbeilage an. Trotzdem ist es rezeptfrei in jeder Apotheke erhältlich. Außerdem gelten unter vielen Forschern Impf stoffe, die Aluminium als Wirkverstärker einsetzen, als mögliche Auslöser für Alzheimer oder Demenz. Das chemische Element lagert sich in diesen Fällen im Nervensystem ein und kann sogar bis in das Gehirn vordringen. Leider ist auch diese erschreckende Theorie kaum erforscht. —
Die Akte 26,981
Al
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Aluminium
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I. // gesund — Der Abwasch ist erledigt. Der Müll ist rausgebracht. Aber war da nicht noch irgendetwas? Man versucht sich vehement daran zu erinnern, was man vergessen haben könnte. Man ist sich sicher, irgendetwas ist noch zu tun. Nur was? Je mehr man sich darauf konzentriert, desto weiter verschwindet der Gedanke. Dann lässt man ihn los. Fünf Minuten später erinnert man sich. Jeder, egal in welchem Alter, kennt solche Situationen. Manche können sich von Natur aus viele Dinge merken und andere vergessen nahezu genauso schnell, wie sie Informationen aufnehmen. Aber alle schaffen es mit Hilfe ihres Gehirns, den Alltag zu organisieren und zu bewältigen. Je älter man wird, desto mehr von der ehemaligen Leistungs fähigkeit muss man einbüßen. Aber nicht nur körperliche Beschwerden kommen hinzu, oft auch geistige. Man vergisst. Es ist ein natürlicher Prozess des Alterns. Doch genau wie man es im Alter schaffen kann sich körperlich fit zu halten, kann man auch seinen geistigen Zustand trainieren.
» Meist nehmen die Menschen, die der dementen Person nahe stehen, die Problematik sehr viel früher wahr.« Jeder wird im Verlauf seines Lebens vergesslicher. Aber das macht nicht automatisch alle Menschen über 70 zu Demenzkranken. Der Unterschied zwischen einer Demenzerkrankung und Altersvergesslichkeit ist gra vierend, auch wenn in der Anfangsphase noch keine großen Unterschiede erkennbar sind. Im Alter von 80 Jahren ist jeder Zehnte Mensch in Deutschland an Demenz erkrankt, was es noch schwerer macht frühzeitig eine Erkrankung festzustellen. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass nicht ausschließlich alte Menschen betroffen sind. Eine Demenzerkrankung kann auch schon im fortgeschrittenen mittleren Alter auftreten. Meist nehmen die Menschen, die der dementen Person nahe stehen, die Problematik sehr viel früher wahr. Die betroffene Person merkt vielleicht, dass sie etwas vergessen hat, schenkt dem verstärkten Auftreten dieser Situationen aber selten so viel Beachtung wie die Angehörigen. Angehörige, da ist es schon, das Wort das einem im Zusammenhang mit Demenz regelrecht um die Ohren fliegt. Wer oder was sind Angehörige? Die Familie? Die Freunde? Die Bekannten? Wenn hier dieses Wort fällt, bezeichnet es ausschließlich die Personen, die sich aus persönlichen Gründen um die Gesundheit des Erkrankten sorgt. —
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II. // vergesslich — Das erste deutlich erkennbare Stadium der Demenz ist geprägt von Verschleierung und Ausreden. Dies ist aber keine böse Absicht, es dient hauptsächlich zum Selbstschutz, denn die betroffene Person schämt sich. »Hast du deine Wäsche gemacht?« »Nein, ich hatte noch keine Zeit und außerdem ist noch nicht genug Wäsche beisammen.« Meist steckt jedoch hinter solchen Aussagen ein eher banaler Grund: Es wurde vergessen zu waschen.
» Der Drang, den Alltag alleine bewältigen zu wollen, wird proportional stärker und gleichzeitig schwieriger.« Wie beschrieben erkennt die subjektive Wahrnehmung des Demenzkranken erst später als sein Umfeld die tatsächliche Krankheit. Doch auch wenn es ihm allmählich klar wird, will er es nicht wahrhaben und nimmt nur in den seltensten Fällen direkt Hilfe an. Der Drang, den Alltag alleine bewältigen zu wollen, wird proportional stärker und gleichzeitig schwieriger. Immer häufiger werden Termine vergessen oder Objekte verlegt. Einfache Aufgaben im Haushalt nehmen mehr Zeit in Anspruch, auch der finanzielle Teil des Lebens ist immer schwerer zu bewerkstelligen. In diesem Abschnitt sollten Angehörige besonders achtsam sein. Sie müssen sich vermehrt um den Erkrankten kümmern, nicht nur um die Person selbst, sondern auch um dessen Organisation und Lebensstruktur. Hilfe bei dem Zubereiten von Mahlzeiten, Angelegenheiten mit der Bank und viele andere Dinge können anfallen. Auch wenn die erkrankte Person es vermutlich nicht direkt zugibt, herrscht Angst, Verzweiflung und Ungewissheit. Was geschieht mit mir und warum wird es immer schlimmer? Viele Demenzkranke
kennen das Krankheitsbild selbst nicht und sind deshalb mit der Situation doppelt überfordert. Besonders in unserer Gesellschaft ist es immer schwieriger geworden, sich Schwächen einzugestehen. Hilfe wird oft wütend abgelehnt und der eigene Zorn auf die am nächsten stehenden Angehörigen verteilt. Auch Depressionen sind in diesem Abschnitt keine Seltenheit. Der Grund hierfür ist, dass die betroffene Person genau mitbekommt, was mit ihr geschieht und nichts dagegen unternehmen kann. Aus den oben genannten Angstzuständen können immer stärkere Gefühle der Resignation und Niedergeschlagenheit entstehen. Das ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich, aber die Gefahr besteht und ist keine Seltenheit. Letztlich ist es aber in dieser Phase für Betroffene noch möglich den Schein zu wahren. Besonders vor Fremden erscheinen Demenzkranke noch weitgehend normal. Nur wer tiefer blicken kann und tagtäglich mit der Person zu tun hat, kann die Schwere und Tragweite der Demenz bereits in diesem Stadium erkennen. —
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III. // verwirrt — Dieser Abschnitt ist der potentiell konfliktreichste des Krankheitsverlaufs. Ein Zustand, in dem die betroffene Person zwischen dem Ärger über das eigene Vergessen und die Bevormundung durch seine Angehörigen schwankt. Es werden vermutlich viele Unstimmigkeiten auf beiden Seiten entstehen. Besonders wenn sich das Leben des Erkrankten noch hauptsächlich eigenverantwortlich gestaltet hat und nun langsam immer mehr Hilfe, auch zum Schutz, nötig wird. Die Wohnung eines Demenzkranken, sofern noch nicht in einem Pflegeheim untergebracht, enthält jede Menge Gefahren, die ohne Hilfe von außen lebensgefährlich sein können. So kann ein Bügel eisen oder ein Herd in diesem Stadium sehr schnell zu einem Hausbrand führen. Von den Angehörigen ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, um nicht als besserwisserisch sondern als hilfreich angesehen zu werden. Entscheidend, wie leicht der Umgang mit der demenzkranken Person fällt, sind hauptsächlich Faktoren aus der Vergangenheit. Die persönliche Beziehung zu den Angehörigen und der Charakter der betroffenen Person sind ausschlaggebend, wie leicht Hilfe angenommen wird. Alte Konflikte können hier besonders leicht neu entfacht werden.
» So kann ein Bügel eisen oder ein Herd in diesem Stadium sehr schnell zu einem Hausbrand führen.«
Auch die Isolation von allem Neuen und Fremden ist keine Seltenheit. Meist laufen die Tage eines Demenzkranken gleich und mit immer weniger Tätigkeiten ab. Es werden mehr Situationen vermieden, die auch nur ansatzweise ein Problem darstellen. Denn die Problemlösung gehört nicht mehr zu den Fähigkeiten einer demenzkranken Person, besonders in diesem recht fortgeschrittenen Stadium. Heutzutage bestehen selten gute Möglichkeiten für häusliche Pflege und einen Demenzkranken ohne Hilfe im Alltag seinem Schicksal zu überlassen ist nicht nur gefährlich, sondern isoliert die Person auch umso schneller sozial. Deshalb sollten die Angehörigen spätestens zu diesem Zeitpunkt professionelle Hilfe bei der Pflege in Anspruch nehmen. —
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IV. // orientierungslos — Ein kaum vorstellbares Schicksal ereilt nun die meisten Demenzkranken. Die eigene Biographie verschwindet langsam aus dem Gedächtnis, wichtige emotionale Erinnerungen aus der Vergangenheit sind wie weggewischt und kommen nie mehr zurück. Oftmals kommt es vor, dass sich Demenzkranke an letzte Fetzen ihrer Erinnerungen klammern und plötzlich denken, sie leben in der Vergangenheit und längst verstorbene Bezugspersonen seien noch am Leben. Wenn diese Verwirrung, zum Beispiel von Angehörigen oder Pflegern, aufgeklärt wird, kann ein starkes emotionales Ungleichgewicht entstehen.
» Was zuvor mit einem Handgriff erledigt war, verwandelt sich zu einem Gemisch aus Zahlen und Schaltern, die unmöglich decodiert werden können.« Auch zeitliche und örtliche Orientierung ist in diesem Stadium nahezu unmöglich. Die Stunden und Tage vergehen, ohne dass sie auch nur ansatzweise von der erkrankten Person gewertet werden können. Ob ein Besuch fünf Minuten oder zwei Stunden gedauert hat, ist für sie nicht mehr fassbar und wird zeitnah wieder vergessen. An Orten, die früher fast täglich besucht wurden, finden sich Demenzkranken nicht mehr zurecht. Noch schlimmer, sie schaffen es nicht mehr sich dort oder sonst irgendwo neu zu orientieren. Ferner wird die Bedienung von einfachen Gegenständen nahezu unmöglich. Was zuvor mit einem Handgriff erledigt war, verwandelt sich zu einem Gemisch aus Zahlen und Schaltern, die unmöglich decodiert werden können. Die einfachsten Funktionen des Alltags können von der demenzkranken Person noch geleistet werden. So zum Beispiel das Essen, der Toilettengang oder das Ankleiden. Darüber hinaus wird alles zu einer fast unmöglichen Anstrengung, die in irgendeiner Form unterstützt werden muss. Für die Angehörigen kommt es spätestens in diesem Zeitraum zu einer enormen Umstellung, was die Beziehung zu der erkrankten Person betrifft. Besonders bei den Kindern der dementen Person findet eine komplette Umkehr des bisherigen Verhältnisses statt. Fungierte das Elternteil zuvor als starker Bezugspunkt und Ratgeber, dreht sich jetzt der Spieß um und die Nachkommen müssen diesen Bezugspunkt für ihre Eltern bilden. Zu diesem Zeitpunkt findet der Rollenwechsel zwar für beide Parteien relativ natürlich statt, trotzdem ist es vor allem für Kinder mit einem ehemals starken Elternvorbild schwierig, die Person in dieser Lage zu sehen und sich um sie zu kümmern. —
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V. // hilflos — Die einfachsten alltäglichen Aufgaben sind jetzt für die betroffene Person nicht mehr zu bewältigen. Auch beim Ankleiden, Duschen und Essen wird jederzeit Hilfe benötigt. Eigenständigkeit ist zu diesem Zeitpunkt ein absolutes Fremdwort, auch die Körperfunktionen nehmen immer weiter ab. Inkontinenz ist keine Seltenheit und das Tragen von Windeln wird empfohlen. Die Demenz ist in diesem Stadium nicht nur im Gespräch erkennbar, sie ist auch sofort klar sichtbar. Ein leerer Blick und enormer körperlicher Abbau kehren die stetig größer werdende innere Leere nach außen.
» Die Angehörigen sind der letzte Anker zu einer Welt, die sich ansonsten schon kilometerweit entfernt hat.« Ein Großteil der Erlebnisse der dementen Person sind aus dem Gedächtnis verschwunden. Das Andenken lebt ausschließlich in den Köpfen der Angehörigen weiter. Auch das Kurzzeitgedächtnis ist nicht mehr funktionsfähig und macht somit im hier und jetzt handlungsunfähig. Vorhaben können nicht mehr umgesetzt werden, denn die Absicht ist vergessen, bevor sie in die Tat umgesetzt werden kann. Es kann jetzt leicht passieren, dass sich die Persönlichkeit der erkrankten Person verändert und für Angehörige nicht mehr nachvollziehbar wird. Auch Gefühlsschwankungen können ohne ersichtlichen Grund auftreten. Der dementen Person ist es nicht mehr möglich, sich deutlich zu verständigen. Dies kann zu noch stärkerer Isolation führen.
Bei den Angehörigen entsteht oft das Gefühl von Verlust. Es scheint ihnen, als würden sie einen völlig fremden Menschen treffen. Doch demente Personen können noch reagieren, wenn auch nur auf der emotionalen Ebene. Rein rationale Fragen oder gewöhnliche Unterhaltungen können nicht mehr geführt werden, da die komplexen Vorgänge einer Konversation durch das beschädigte Lang- und Kurzzeitgedächtnis nicht mehr verarbeitet werden können. Aber wer der erkrankten Person noch Liebe schenken kann, hilft in dieser Phase der Demenz ungemein. Aus diesem Grund tut der Besuch von vertrauten Gesichtern auch weiterhin gut. Es werden zwar in vielen Fällen keine Namen mehr richtig zugeordnet, aber Gefühle können noch mit bestimmten Gesichter verknüpft werden. Die Angehörigen sind der letzte Anker zu einer Welt, die sich ansonsten schon kilometerweit entfernt hat. —
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VI. // wortlos — Dies ist der letzte Abschnitt des langwierigen Verschwinden des Geistes. Diese Phase endet immer mit dem Tod, wann und aus welchen Gründen ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man stirbt nicht direkt an Demenz, aber indirekt an ihren Folgen. Die häufigsten Todesursachen sind Abmagerung, Austrocknung, eine Lungenentzündung oder ein akutes Herz-Kreislauf-Versagen. Auch die Angehörigen nehmen, ob bewusst oder unbewusst, wahr, dass das Ende näher kommt. Das ist ein schwieriger Moment, in dem Schuldgefühle und Hilflosigkeit eine starke Rolle spielen. Auch langsame Resignation und Trauer können entstehen, während die demenzkranke Person langsam aus dem Leben gleitet. Es ist für die Angehörigen, die vielleicht schmerzvollste Phase, weil sie einem geliebten Menschen beim Sterben zusehen und noch nicht in die Trauerphase übergehen können. Dennoch sollte man versuchen, so oft es geht für die demente Person da zu sein und sie auf diesem schweren Weg zu unterstützen. Hier helfen weniger Worte, sondern körperlicher Kontakt und Zuwendung.
»Man könnte es ein inneres Koma nennen.« Mit jedem Tag wird die erkrankte Person schwächer und verliert ein Stück mehr an Lebenskraft und Lebenswillen. Jederzeit ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, nichts kann mehr ohne Hilfe von außen getan werden. Die erkrankte Person kann nicht mehr sitzen, gehen oder den Kopf halten, alles muss in irgendeiner Form unterstützt werden. Auch die Mimik ist wie eingefroren, ein Lachen nicht mehr möglich und selbst beim Schlucken können Probleme auftreten. Oft werden bestimmte Wörter oder Silben wiederholt, die noch tief in ihrem Inneren begraben liegen. An eine gewöhnliche Unterhaltung oder einfache Aussagen ist nicht mehr zu denken. Die Tage vergehen meist regungslos und ziehen ohne eine zeitliche Wahrnehmung vorbei. Man könnte es ein inneres Koma nennen. Die Person ist am Leben, aber nicht in der Lage in irgendeiner Form aktiv zu werden. Selbst die Erkenntnis, das die eigene Endlichkeit bevorsteht, bleibt den Erkrankten verwehrt. Vermutlich können sie aber spüren, dass sie bald sterben werden. —
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Persönlichkeits und Identitätsverlust — Wer ist man ohne Vergangenes? Wie kann eine Zukunft aussehen, ohne dass sie in irgendeiner Relation mit dem Vergangenen gestellt werden kann? Besteht eine Identität nur aus Erfahrungswerten? Diese Fragen muss man sich stellen, will man verstehen, welche Auswirkungen Demenz auf die Persönlichkeit und nicht nur auf das Er innerungsvermögen eines Menschen hat. Denn jeder von uns macht prägende Erfahrungen in seinem Leben. Egal ob diese positiv oder negativ sind, sie bestimmen unsere zukünftigen Entscheidungen. Bei Menschen die an Demenz erkrankt sind, kommen keine neuen Erfahrungswerte mehr hinzu. Im Gegenteil, es verschwinden sogar immer mehr von ihnen. Hierdurch verlieren Demenzkranke mehr und mehr ihres eigentlichen Selbst. Ein Charakter mit eigener Meinung ist kaum noch erkennbar. Je weiter die Krankheit fortgeschritten ist, desto größer wird die Scheu vor eigenen Entscheidungen, was logisch ist, denn es fehlt schlichtweg die Grundlage einer ausgebildeten Persönlichkeit. In gelegentlichen Lichtblicken treten alte Verhaltensweisen zwar wieder ans Tageslicht, jedoch nur für kurze Zeit. Die ethische Frage, die sich hierbei stellt, ist: Sitzt dann bei einer demenzkranken Person im Endstadium nur noch eine leere Hülle vor uns? Und die Antwort hierauf lautet eindeutig: Nein. Der Wert eines Menschen wird eben nicht durch seine geistige Leistungsfähigkeit festgelegt. Die an Demenz erkrankte Person hat immer noch Gefühle und Wahrnehmung und kann diese bis zum Schluss mit anderen Menschen teilen. —
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— Jeder ist ein Gefangener der Zeit. In der modernen Welt steht man häufig unter zeitlichem Druck, Deadlines oder dringende Termine prägen den Begriff heutzutage eher negativ. Der Wunsch, sich von diesem Zwang zu befreien ist groß, aber ist das wirklich so erstrebenswert? Immerhin strukturiert Zeit das Leben, gibt Anhaltspunkte und lässt Dinge besser einordnen. Denkt man den abstrakten Gedanken, ein Leben ohne jegliches Zeitgefühl zu führen, bis zum Ende, so würde man eine der wichtigsten Konstanten des Lebens verlieren. Wer an Demenz leidet, verliert nicht nur sein Gedächtnis und seine kognitiven Fähigkeiten. Darüber hinaus verschlechtert sich auch die Wahrnehmung von Zeit. Ein Test zur Früherkennung von Demenz kann den sogenannten »Uhrentest« enthalten, bei dem der Patient ein Ziffernblatt und eine Uhrzeit in einen vorgegebenen Kreis einzeichnen soll. Dies testet besonders die Wahrnehmungsfähigkeiten, zeigt aber auch, dass bei dementen Personen das allgemeine Zeitverständnis stark abnimmt. Eine demente Person kann, vor allem in späteren Stadien, nicht nur keine Uhrzeiten nennen, sie kann auch nichts mehr mit Zeitbegriffen im Allgemeinen anfangen, ob sie nun konkret oder abstrakt sind. »Wir sehen uns später«, hat also für einen Demenzkranken keinerlei greifbare Bedeutung mehr. Das liegt besonders daran, dass demente Personen aufgrund ihres schlechten Kurzzeitgedächtnisses kein Gefühl mehr von Zeit haben. Es fällt schon schwer sich überhaupt an die nahe Vergangenheit zu erinnern, geschweige denn diese zeitlich einzuordnen. Auch die innere Uhr, sowie der Rhythmus zwischen den Tageszeiten ist häufig gestört. Das führt zu nächtlicher Unruhe und hoher Müdigkeit tagsüber. Dieser Umstand kann durch eine gleichmäßige Routine und viel Tageslicht verbessert werden. —
»Wo ich gestern
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»Wo ich gestern war, Ernst Albrecht,
Ministerpräsident von 1976 –1990
ich muss nachsehen.« ‹
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Menschen — Man kann viel im Leben verlieren, aber in den meisten Fällen bleibt eine Konstante bestehen: Die Familie. Menschen, die man liebt und zu denen man eine langfristige Beziehung aufgebaut hat. Ob es die Eltern, die eigenen Kinder oder der Ehepartner ist. Diese Bindungen sind meist so eng, dass sie nur durch den Tod getrennt werden. Das sagt beispielsweise auch der Trauspruch: »Bis dass der Tod euch scheidet«. Doch was, wenn diese Verbindungen langsam verschwinden? In späten Stadien einer Demenz kann es dazu kommen, dass die Verbindung zwischen zwei Menschen an der Oberfläche getrennt wird. Die demente Person weiß schlichtweg nicht mehr, wer gerade vor ihr steht. Selbst wenn sie die Person seit Jahrzehnten kennt, wird sie das Gesicht in keinster Weise zuordnen können und höchstens auf einer tieferen, emotionalen Ebene so etwas wie Vertrauen oder Zuneigung spüren. Aber wirklich greifbar ist für den dementen Menschen nichts mehr an der früher so tiefen Beziehung. Es ist, als wären all die Jahre der Gemeinsamkeit wie weggewischt. Doch nicht alles ist Verschwunden. Da eine Demenz das Kurzzeit gedächtnis stärker als das Langzeitgedächtnis angreift, sind noch Erinnerungen an geliebte Personen vorhanden. Sie liegen nur viel weiter zurück und können dem jetztigen Bild dieser Personen nicht mehr zugeordnet werden. Es entsteht sozusagen eine Divergenz zwischen der Erinnerung und der Realität. —
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// K o n s e q u e n z e n
— Die meisten Menschen sind nicht gerne über einen längeren Zeitraum alleine. Abgeschiedenheit kann für den Moment gut tun, wer aber dauerhaft wenig bis keinen Kontakt zu anderen Mitmenschen hat, verliert den Bezug zur Wirklichkeit. Man nennt diese Problematik »Soziale Isolation« und sie kann durch die unterschiedlichsten Umstände hervorgerufen werden. Diese Isolation, ob selbstbestimmt oder nicht, ist äußerst schädlich und kann unter anderem zu depressiven Störungen oder Drogenmissbrauch führen. Im Falle einer Demenz ist dieser Zustand zwar nicht selbstbestimmt, es gibt aber kaum eine Möglichkeit, ihn zu stoppen. Prinzipiell gilt, je länger eine dementielle Erkrankung anhält, desto stärker nimmt auch die Isolation und Einsamkeit zu. Im Anfangsstadium findet dies hauptsächlich im Bekannten- und Freundeskreis statt, doch später werden auch Familienmitglieder und enge Freunde von der demenzkranken Person isoliert. Das liegt hauptsächlich daran, dass eine Entfremdung stattfindet. Denn durch die Demenz verändert sich der Mensch in seiner Persönlichkeit, womit nicht alle Angehörigen
Die
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umgehen können. Viele ängstigt es, dass sich ein vertrauter Mensch plötzlich ganz anders verhält. Umso wichtiger ist es, trotz allem die demente Person nicht links liegen zu lassen. Man sollte stattdessen versuchen, auf die betroffene Person einzugehen und das Gefühl zu vermitteln, dass alles in Ordnung ist. Dies geht oft schon durch einfachste Beschäftigungen, wie zum Beispiel aus einem Buch vorlesen. In unserer heutigen Zeit ist es kaum noch möglich, dass Demenzkranke bis zum Schluss ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt werden. Der Großteil stirbt im Pflegeheim, oftmals komplett isoliert. Krankenpfleger können neben den pflegerischen Tätigkeiten nicht auch noch die zwischenmenschliche Komponente bewältigen. Das heißt alleine die Tatsache der Unterbringung im Pflegeheim erhöht oftmals die Isolation. Das liegt zum Beispiel daran, dass sich die Angehörigen nicht in nächster Nähe befinden. Außerdem ist man in einem Pflegeheim hauptsächlich von demenzkranken Patienten umgeben, die sich ebenfalls in einem mehr oder weniger starken Isolationszustand befinden. Deshalb sollte man als Freund oder Familienmitglied versuchen, so oft wie möglich bei der demenzkranken Person zu sein. Letztlich sind die Besuche von Angehörigen der einzige Schutz vor absoluter Isolation. —
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Heilmittel.« A. Erlenmeyer (1854)
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Mein Geburtstag ist
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Ich bin mit Frieda S
Meine Tochter heiĂ&#x;t
Ich habe Philosophi
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Schenk verheiratet.
t Lisa Schenk.
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mer ist 0931/4856.
62 D e m e n t i a
// K o n s e q u e n z e n
Das alte Ich
— Der Begriff »Das alte Ich« wird oft benutzt, nachdem ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. Er charakterisiert dann einen Menschen in seinem früheren Gemüts- und Geisteszustand. In vielen Fällen ist der Ausdruck negativ belegt, denn er bezeichnet den Zustand vor einer Weiterentwicklung. Auch bei einer Demenz macht die Bezeichnung »Das alte Ich« Sinn, sie beschreibt die Person, bevor die Krankheit zugeschlagen hat. Alles was früher passiert ist, verschwindet langsam aus der Erinnerung der erkrankten Person und lebt nur noch in den Gedanken anderer Menschen weiter. In diesem Fall ist eher der Nachher-Zustand negativ belegt, denn bei einer Demenz handelt es sich nicht um eine Weiter-, sondern um eine Rückentwicklung. »Das alte Ich« existiert somit für die demente Person nur noch in Bruchstücken und ist kein fester Bestandteil der jetzigen Persönlichkeit mehr. —
»Die Mama badet das Kind ‹
doch irgendwann badet das Kind ‹ die Mama« Maeckes, Rapper
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68 D e m e n t i a
// K o n s e q u e n z e n
Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis — Kopfschmerzen oder Vergesslichkeit sind Leiden, die direkt mit dem Gehirn zusammenhängen. Man kennt sie nur zu gut, sie sind nicht angenehm, aber gehören doch zu den Beschwerden des Alltags. Was eine demenzkranke Person hingegen, besonders in späteren Stadien, durchmachen muss, sind Symptome von schweren Hirnerkrankungen und mit leichten Kopfschmerzen nicht vergleichbar. Wer an Demenz erkrankt, verliert seine Orientierung, seine Erinnerungen, seine Merkfähigkeit und befindet sich meist in einem andauernden Zustand der Verwirrtheit. Die Wahrnehmung ist stark gestört, es ist als stünde die Welt hinter einer dicken, undurchdringbaren Nebelwand. Worte und Sätze können nur schwer verarbeitet werden und es sind nur noch
swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen swirrungen einfache Satzkonstruktionen zu verstehen. Die Organisation des Alltags wird unmöglich, da selbst einfache Zusammenhänge nicht mehr begreifbar werden. Eine Person, die an Demenz erkrankt ist, braucht in vielen alltäglichen Prozessen Unterstützung. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto mehr häufen sich diese Momente und desto dringlicher ist die erkrankte Person auf Hilfe von außen angewiesen. Anfangs kann das beispielsweise eine Entlastung bei den Einkäufen bedeuten, am Ende einer Demenz ist selbst das Essen oder der Gang zur Toilette nicht mehr alleine zu bewältigen. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass eine Demenz dem Menschen seiner natürlichsten Fähigkeiten beraubt. —
»Oft heißt es, an Demenz erkrankte Menschen seien wie kleine Kinder – kaum ein Text zum Thema, der auf diese Metapher verzichtet; und das ist ärgerlich. Denn man kann sich unmöglich zu einem Kind zurückentwickeln, da es zum Wesen des Kindes gehört, dass es sich nach vorn entwickelt.
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Kinder erwerben Fähigkeiten, Demenzkranke verlieren Fähigkeiten. Der Umgang mit Kindern schärft den Blick für Fortschritte, der Umgang mit Demenzkranken den Blick für Verlust. Die Wahrheit ist, das Alter gibt nichts zurück, es ist eine Rutschbahn, und die größte Sorge, die es einem machen kann, ist die, dass es zu lange dauert.« aus Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil
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// G e sp r ä c h e
I. // Betroffene
F r ieda R in g e lma nn
Frieda Ringelmann ist 87 Jahre alt. Sie wurde am 26.09.1926 in Rimpar Âgeboren. Seit dreieinhalb Jahren ist sie aufgrund einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht und sitzt dort im Rollstuhl. Ein Gespräch mit einer Frau, deren Gedanken langsam verloren gehen.
76 D e m e n t i a
// G e sp r ä c h e
Guten Tag Frau Ringelmann. Wie geht es Ihnen heute?
— Gut. (Nicken) Wie alt sind Sie?
— Ich? Ja. Wann sind Sie denn geboren?
Haben Sie heute Schmerzen?
— 26.
— Nein. (Kopfschütteln)
1926? Und in welchem Monat?
Fühlen Sie sich wohl hier?
— September.
— Ja.
Und an welchem Tag?
Verstehen Sie sich gut mit Ihren Pflegern?
— Ich weiß nicht.
— Ja. Mit allen?
— (keine Antwort) Warum leben Sie hier?
— (keine Antwort) Wissen Sie warum Sie hier sind?
— Warum ich da bin? Nein. Wie lange leben Sie schon hier?
— Wie lange? Ja, wie lange? Länger als ein Jahr?
— Nein.
Wo sind Sie geboren?
— 26.
Sehen Sie Ihre Angehörigen regelmäßig?
— (keine Antwort)
Nein, wo sind Sie geboren?
— Achso. Hier.
Sehen Sie Ihre Tochter regelmäßig?
— Meine Tochter? Hier? Sind Sie nicht in einem Krankenhaus geboren?
— Nein, hier. Was haben Sie heute zu Mittag gegessen?
— Heute? Ich weiß nicht was es war.
Ja, besucht Sie Ihre Tochter?
— Ja. Besucht sie Sie oft?
— Die kommt oft. Vielen Dank für das Gespräch.
Gab es vielleicht Suppe?
— Ja, erst eine Suppe. Wie viele Kinder haben sie?
— Zwei. Wissen Sie wie Ihre Kinder heißen?
— (lange Pause) Hildegard und Rainer.
78 D e m e n t i a
// G e sp r ä c h e
II. // Angehörige
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Hildegard Kneitz ist 57 Jahre alt. Sie wurde am 10.07.1956 in Würzburg geboren. Sie ist die Tochter von Frieda Ringelmann und pflegte ihre Mutter drei Jahre lang aufgrund ihrer Demenzerkrankung zu Hause. Ein Gespräch über das langsame Verschwinden von nahen Angehörigen.
80 D e m e n t i a
// G e sp r ä c h e
Hallo Frau Kneitz. Wer von Ihren Angehörigen leidet an Demenz?
— Meine Mutter. Gab es in Ihrer Familie ansonsten Krankheitsfälle mit Demenz?
— Nun, die Krankheit ist ja erst seit einigen Jahren so bekannt, deshalb fällt es schwer das einzuordnen. Ich glaube aber, dass sonst keiner meiner Familienangehörigen an Demenz erkrankt ist. Wie hat sich die Krankheit zuerst bemerkbar gemacht?
— Ich habe es anfangs gar nicht bemerkt. Dann hat sich meine Mutter eine Rippe gebrochen und musste ins Krankenhaus. Da habe ich in ihrer Wohnung nach Unterlagen gesucht und fiel aus allen Wolken. Die Wohnung war unaufgeräumt, sehr untypisch, denn meine Mutter war immer äußerst ordentlich. Auch Ihr Unterlagen waren nicht mehr geordnet. Da wurde es mir langsam klar. Lebt Ihre Mutter noch bei Ihnen zu Hause oder in einem Pflegeheim?
— Meine Mutter lebt nun seit dreieinhalb Jahren in einem Pflegeheim. Haben Sie Ihre Mutter davor zu Hause gepflegt?
— Ja, ich habe sie drei Jahre lang zu Hause gepflegt. Das ging aber nur, weil meine Mutter sehr nah bei uns lebte und mit Unterstützung einer Tagespflege. Dort wurde sie morgens hingebracht und nachmittags wieder abgeholt. Was waren die Gründe für die Unterbringung in einer Tagespflege?
— Ich konnte meine Mutter nicht mehr alleine lassen. Sie wurde zu diesem Zeitpunkt inkontinent und hat auch aufgehört selbstständig zu essen. Und da ich berufstätig bin, konnte ich mich nicht rund um die Uhr um sie kümmern.
Sind Sie zufrieden mit der Betreuung im Pflegeheim?
— Jein. Ich habe schon schlechte Erfahrung gemacht, als meine Mutter in Kurzzeitpflege in einem anderen Pflegeheim untergebracht war. Dort war die Betreuung mehr als mangelhaft und sogar gesundheitsschädlich für meine Mutter. Deshalb bin ich, was Pflegeheime betrifft, ein gebranntes Kind und in hohem Maße skeptisch. Wie oft besuchen Sie Ihre Mutter?
— Mindestens jeden zweiten Tag, sofern ich nicht zu stark beruflich eingespannt bin. Aber das sind dann meistens Einzelfälle. Man kann sagen, dass ich prinzipiell jeden zweiten Tag hier bin. Hat sich die Beziehung zwischen Ihnen geändert?
— Von Seiten meiner Mutter kann ich das nicht beantworten, da sie nicht mehr viel spricht. Manchmal bin ich wütend, aber dann denke ich im nächsten Moment, dass niemand etwas dafür kann. Am allerwenigsten meine Mutter. Fühlen Sie sich in mancher Hinsicht schuldig?
— Ja. Schuldig, dass sie hier im Pflegeheim sein muss. Was war Ihre Mutter früher für ein Mensch? Und was für ein Mensch ist sie heute?
— Früher war sie sehr ruhig und genau. Man könnte sagen diffizil. Sie hat sehr viel gearbeitet. Nun ja, heute ist ihr alles gleichgültig und sie lässt alles mit sich machen. Ist noch einer der früheren Wesenszüge Ihrer Mutter erhalten geblieben?
— Nein, das würde ich nicht sagen. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kneitz.
82 D e m e n t i a
// G e sp r ä c h e
III. // Krankenpfleger
H e l ge B r e n n d ö rfer
Helge Brenndörfer ist 41 Jahre alt. Er wurde am 27.10.1972 in Kronstadt, Rumänien geboren. Er arbeitet seit 15 Jahren im Pflegebereich und seit sechs Jahren in einem Pflegezentrum für Demenz. Ein Gespräch über die Arbeit mit der Krankheit des Vergessens.
84 D e m e n t i a
// G e sp r ä c h e
Guten Tag Herr Brenndörfer. Wie lange arbeiten Sie schon in der Pflege?
— Ich arbeite seit 1999 in der Pflege und seit 2008 speziell in der Demenzpflege. Wie lief Ihre Berufsausbildung ab?
— Eine Ausbildung in diesem Berufszweig habe ich nicht, ich bin gelernter Kaufmann im Einzelhandel und somit mehr oder weniger Quereinsteiger. 1999 habe ich begonnen für 9 Jahre einen gelähmten Mann rund um die Uhr zu pflegen. Das nennt sich individuelle Schwerst behindertenpflege und ich war in diesem Zeitraum praktisch die Arme und Beine des Mannes. Nachdem er verstorben war, wurde ich an ein Demenzpflegeheim vermittelt und arbeite seitdem dort. Arbeiten im Bereich der Pflege häufig Quereinsteiger?
— Sicher gibt es Quereinsteiger, ich bezweifle aber, dass es häufiger als in anderen Berufen vorkommt. Die Regel ist schon eine mindestens ein Jahr lange Ausbildung. Haben Sie einen persönlichen Bezug zu der Krankheit Demenz?
— Nein, in meinem familiären Umfeld gab es keinen Demenzfall. Meine Mutter hatte jedoch Krebs und ich habe mich ein halbes Jahr gemeinsam mit meinen Brüdern um sie gekümmert. Das war noch bevor ich begonnen habe in der Pflege zu arbeiten. Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei Ihnen aus?
— Um 6 Uhr beginnt die Frühschicht und in der ersten halben Stunde findet die Übergabe mit der Nachtschicht statt. Danach werden die Patienten gewaschen und um 8 Uhr fangen wir mit dem Frühstück an. Ab 9 Uhr werden ca. eine Stunde lang die bettlägerigen Bewohner gewaschen und nach einer kurzen Pause helfen wir bei Toilettengängen und bereiten das Mittagessen vor. Um 11:30 kommt das passierte Essen für die bettlägerigen Patienten und gegen 12 Uhr gibt es für die anderen Bewohner Essen im Speisesaal. Daraufhin werden sie frisch gemacht und gegebenenfalls noch einmal für einen Mittagsschlaf zu Bett gebracht. Gegen 14 Uhr bis 14:30 Uhr findet dann die Übergabe für die nächste Schicht statt.
Für wie viele Patienten sind Sie in einer Schicht gemeinsam mit Ihren Kollegen verantwortlich?
— In einer Schicht sind wir entweder zu fünft oder sechst und kümmern uns derzeit um 43 Patienten. Wie schätzen Sie diesen Umstand ein?
— Ich persönliche denke der Pflegeschlüssel ist einfach zu gering. Wenn man beispielsweise einen Patienten nach dem Lehrbuch wäscht, benötigt das eine halbe Stunde oder länger. Würden wir so vorgehen, könnten wir nicht einmal die Hälfte der Patienten waschen. Für was bleibt Ihrer Meinung nach zu wenig Zeit in der Pflege von Demenzkranken?
— Mit Sicherheit für die persönliche Beschäftigung. Auch für diesen sehr wichtigen Teil der Demenzpflege ist der Pflegeschlüssel zu gering und es bleibt kaum Zeit sich mit jedem Bewohner länger auseinanderzusetzen. Natürlich hat man hier und da fünf Minuten für ein Gespräch, aber in der Regel kommt dieser Bereich zu kurz. Was ist der große Unterschied zwischen der Pflege von Demenzkranken und »normaler« Pflege?
— In der Pflege von Demenzkranken spielt die Gefühlsebene eine sehr große Rolle. Die Patienten verstehen keine Logik mehr und deshalb ist es umso wichtiger, auf die Menschen emotional einzugehen. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Brenndörfer.
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Ohne
Andenken? — Frieda Bug ist dement. Angefangen hat es mit Sätzen wie: »Ich weiß das nicht mehr. Ich kann mir doch nichts mehr merken!«. Doch damals hatte niemand geglaubt, dass die Krankheit so hart und vor allem so schnell zuschlagen würde.
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// G e s c h i c h t e n
»Ich weiß das nicht mehr. Meine Großmutter lebte bis vor zwei Jahren gemeinsam mit meinen Eltern und mir in einem Haus im Würzburger Vorort Rimpar. Ihre geräumige Sechszimmerwohnung im Erdgeschoss bewohnte sie seit dem Tod meines Großvaters, den ich nicht mehr kennengelernt habe, alleine. Für mich hatte es immer den Anschein, als käme sie gut zurecht, auch wenn ihr der frühe Tod ihres Ehemannes sicher zu schaffen machte. Wir mochten einander, auch wenn ich ihr im Alltag weniger begegnete, als es mir im Nachhinein lieb gewesen ist. Sie war eine sehr ordentliche und sorgsame Frau und sie liebte Kinder. Bevor die Krankheit ihr Leben veränderte, hatte sie bereits die Befürchtung, ihr Gedächtnis und ihre Merkfähigkeit zu verlieren. Schon sehr frühzeitig besuchte sie Fachärzte, um letztlich die Diagnose Demenz zu erhalten. Mit Medikamenten konnte der Ausbruch leicht verzögert werden, doch aufhalten kann man diese Krankheit nicht. Ich selbst habe von ihrer Demenz am Anfang nicht viel mitbekommen. Es schien mir alles relativ normal, nur dass sie sich viele Dinge nicht mehr so leicht merken konnte. Diesen Umstand hielt ich für gewöhnliche Altersvergesslichkeit. In ihrer Wohnung fanden sich immer mehr Notizzettel, welche ihre schwindende Gehirnleistung kompensieren sollten.
Ich kann mir doch nichts mehr merken!«
Wenn ich vor dem Ausbruch der Krankheit zu meiner Großmutter kam, hat sie meistens Hausarbeiten erledigt oder die Zeitung gelesen. Ich hätte sie damals als eine geschäftige Frau bezeichnet. Doch in der Zeit, als sich die Demenz langsam bei ihr bemerkbar machte, saß sie häufig einfach nur in ihrem Wohnzimmer und tat nichts weiter. Oft starrte sie demonstrativ die Wand an. In diesem Moment war für mich das erste Mal klar, dass etwas nicht stimmte und meine Großmutter nicht mehr die selbe wie früher sein würde. Wie stark sich die Demenz damals schon ausgebreitet hatte, kann ich nicht sagen. Aber nach allem, was ich zu diesem Zeitpunkt über dementielle Erkrankungen wusste, war mir klar, dass es noch schlimmer werden würde.
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// G e s c h i c h t e n
»…« Meine Großmutter war eine sehr stolze Frau. Sie war es gewohnt, die Dinge auf ihre Art zu erledigen. Dieser Umstand war eine große Problematik, als klar wurde, dass sie durch die Demenz nicht mehr in der Lage war, ihren Alltag alleine zu bewältigen. Sie war jetzt auf Hilfe angewiesen, die sie aber nur sehr widerwillig annahm. Anfangs ließen meine Eltern sie nach langem Streit darüber oft in Ruhe. Aber mit der Zeit häuften sich ihre gedanklichen Aussetzer in einem Maß, dass sogar lebensgefährliche Situationen entstanden. Meine Großmutter hatte die Angewohnheit, ihre nassen Handtücher zum Trocknen auf den Gasofen zu legen. Doch durch ihre Krankheit vergaß sie die Tücher sofort, nachdem sie sie auf den Ofen gelegt hatte. Glücklicherweise wurde ich durch den Rauchmelder alarmiert und konnte Schlimmeres verhindern. Von da an war klar, dass sich etwas ändern musste, denn meine Eltern und ich waren nicht in der Lage, 24 Stunden auf meine Großmutter aufzupassen.
Zuerst wurde sie zwei Mal in der Woche zur Tagespflege gebracht. Schon diese »Ausflüge« geschahen nur unter großem Protest. Doch irgendwann reichte auch das nicht mehr aus. Die Krankheit hatte sich so stark verschlimmert, dass meine Großmutter rund um die Uhr Betreuung benötigte. Meine Eltern trauten sich nicht mehr, gemeinsam für längere Zeit das Haus zu verlassen, aus Angst vor einem Hausbrand oder ähnlichen Gefahren. Also fassten sie den Entschluss, meine Großmutter in einem Pflegeheim für Demenzkranke unterzubringen. So etwas fällt keinem Menschen leicht und so war es auch in unserer Familie eine schwere Entscheidung, die erst nach langen Überlegungen getroffen wurde.
94 D e m e n t i a
// G e s c h i c h t e n
Nun ist zwar in meinem Elternhaus Ruhe eingekehrt, doch die Situation meiner Großmutter hat sich in den vergangenen zwei Jahren nur noch verschlechtert. Bezüglich der Pflege gibt es wenig zu beanstanden, sie bekommt regelmäßig zu Essen, wird von den Pflegekräften gewaschen und steht unter ständiger Betreuung. Es wird sich um alle Probleme, die bei einer Demenzerkrankung anfallen, gekümmert. Und trotzdem schleicht sich bei jedem Besuch das schlechte Gewissen ein, denn es wurde ein geliebter Mensch von seiner gewohnten Umgebung und von seinen nächsten Angehörigen getrennt. In den letzten Monaten ist meine Großmutter kaum noch zum Reden zu animieren. Als eine gut gelaunte Frau habe ich sie in dieser Um gebung nur sehr selten wahrgenommen. Häufig liegt sie in ihrem Bett und verlässt dieses höchstens zu den Essenszeiten. Es ist schwierig zu sagen, wie viel sie überhaupt noch wahrnimmt. Wenn ich ihr Zimmer im Pflegeheim betrete, fürchte ich jedes Mal, dass sie mich nicht mehr erkennt.
Ich habe mir im letzten halben Jahr häufig die Frage gestellt, welches Andenken ich von meiner Großmutter aus ihrer Demenzphase mitnehmen kann. Ihre eigene Biografie hat sie vergessen, klare Gedanken zu formulieren ist unmöglich und auch körperlich baut sie immer stärker ab. Aber man kann trotzdem viel von einem Menschen lernen, der schon teilweise aus dieser Welt verschwunden ist. Wenn ich meine Großmutter betrachte, werden viele Dinge relativ und mir wird klar, was einem am Ende seines Lebens bleibt: Die Familie und Menschen, die man liebt. —
Die Metapher
vom Verschwinden des Geistes
Das Leben, sagt man, ist eine riesige Sauerei. All diese Angst, die Schmerzen, der Verlust, die Kränkung, das ganze für das bisschen Sex und Sauerbraten, eine kleine Kindheitserinnerung und Beethovens 9. oder Captain Beefhearts 3. Dann wird man mit ziemlicher Sicherheit auch noch sterben, und möglicherweise vorher den V erstand verlieren. Und zu a lledem kommt noch der Ärger mit dem Geld. Der Kapitalismus macht das Leiden des Menschen größer, er macht es nur eine Zeit lang leichter, nicht daran zu denken. Für die Gewinner jedenfalls.
Georg SeeSSlen (*1948 in München) ist ein deutscher Autor, Feuilletonist, Cineast und Filmkritiker. Seine Kritiken einzelner Filme sowie seine Bücher sind stets auch kritische Auseinandersetzungen mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Sein Weblog lautet: www.seesslen-blog.de
— Wovon man nicht sprechen kann, sagt der Philosoph, darüber muss man schweigen. Der Praxis hält dieses Gebot indes nicht stand. Wir müssen vielmehr tagtäglich umgehen mit Komplexen, von denen uns keine verlässliche Nachricht ereilt, und über die sich nichts Verbindliches sagen lässt. Was geht vor in der Innenwelt eines Wahnsinnigen, eines Dementen, eines Menschen im Koma, eines Sterbenden? Niemand kann es wirklich wissen, denn wer dort ist, spricht nicht die Sprache der Menschen auf der anderen Seite, und das Ur-Instrument der Kommunikation, die Erinnerung, die sich zur Sprache bringt, hat ihre Wirkmacht weitgehend verloren. Wir müssen umgehen mit Menschen, von denen und mit denen wir nicht sprechen können, jedenfalls nicht in der Weise des logischen und transparenten Diskurses, und wir können weder von den Problemen noch von den Leiden dabei schweigen.
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Wir können also nicht »sprechen«, aber wir müssen erzählen. Wovon man nicht sprechen kann in der vielleicht nur scheinbar klaren Sprache von Wissenschaft und Gesetz, davon muss auch im öffentlichen Diskurs erzählt werden. Daher scheint es angebrachter nicht vom Wissen etwa von der Demenz oder vom Prozess des Sterbens zu sprechen, sondern von den Erzählungen. Es gibt die wissenschaftlichen, die medizinischen, die sozialen, die biographischen, die metaphorischen, die ethischen Erzählungen. Sie alle richten sich nach einem kulturellen Konsens aus, nach dem Versuch, eine Meta-Erzählung zu bilden, die eine Mehrheit als »richtig«, »akzeptabel«, »vernünftig«, »menschlich«, »brauchbar«, »schön« oder »angemessen« hält (und der, wie allen Erzählungen, eine Minderheit widerspricht). Doch gerade um diese Mehrheitsfähigkeit des Diskurses zu erreichen, muss die Erzählhaftigkeit des Diskurses und seine Entstehung unter dem Gebot des gesellschaftlichen Konsenses, und das heißt am Ende auch seine Unterwerfung unter die soziale, politische und ökonomische Nützlichkeit und unter das hegemoniale Interesse, verschleiert werden. So ist ein »Ethikrat« – oder soll es sein, es knirscht da immer wieder an manchen Ecken und Enden – eine Erzählmaschine. Eine unter vielen. Am unteren lukrativen Ende haben wir wie immer unsere Medien der Niedertracht, die mit der Angst vor der Demenz und dem Sterben (und noch mehr der Angst vor der Demenz und dem Sterben unserer Angehörigen) ihre Geschäfte machen. Und mit der Lust, andere den Verstand und das Leben verlieren zu sehen.
» Die statistische und machen aus der Kra eines Kollektivs.« Demenz wie Sterben sind Metaphern eines Verschwindens des Menschen, das der herkömmlichen Trennung von Leben und Tod vehement widerspricht. Es ist ein Zustand zwischen Da-Sein und Fort-Sein, der sich offensichtlich immer weiter ausdehnt, von einem verlängerten Leben hin zu einem verlängerten Sterben. Die Ursachen für die Ausdehnung dieser »Zone des Untodes« sind vielfacher, als es zunächst den Anschein haben mag. Natürlich hat der medizinisch-wissenschaftliche Fortschritt ein längeres Menschen-Leben ermöglicht, das haben wir statistisch und biographisch vor Augen. Eingriffe und Medikationen machen ein Weiterleben möglich wo noch vor kurzem alles zu spät gewesen wäre und man den Menschen statt dem Arzt dem Priester übergeben hätte um ihn mit Gott aber möglichst rasch ins Jenseits zu entlassen. Das Weiterleben indes bedeutet in den seltensten Fällen ein Weiter leben wie bisher. Daher wächst, parallel zum medi zinischen Fortschritt, die Angst, das Bewusstsein,
d die soziale Erzählung der Demenz ankheit eines Menschen die Krankheit der Erzähldrang. In der prolongierten Zeit des Verschwindens müssen nämlich alle die Grundbegriffe, auf die wir uns mühsam geeinigt haben, die Werte und Beziehungen, mindestens modifiziert werden (und natürlich hat die Modifikation am Rand des Lebens auch ihre Auswirkungen auf die Mitte des Lebens): Person, Freiheit, Recht, Bewusstsein, sogar Mensch und Leben selbst. Demenz und Sterben sind Meta-Krankheiten, die wie »gewöhnliche« Krankheiten immer auch als Metaphern auf die Gesellschaft zurück wirken, also als Meta-Metaphern, die aber auch zugleich ganz real das Grundwissen der Menschen von sich selbst aufheben: Die große Erzählung vom verschwindenden Menschen ist zugleich die Erzählung davon, dass die Gesellschaft nicht hilft. Der Fortschritt für den Menschen wird zur Bremse für den Fortschritt von Maschine und Kapital. In dieser Erzählung stirbt der Glaube an Kultur, Gesellschaft und Fortschritt so sehr, wie in anderen Erzählungen zuvor der Glaube an die Götter gestorben ist. Die Erzählung vom Verschwinden des Menschen geht über in die Erzählung von der verschwindenden Gesellschaft, die mit dem verschwindenden Menschen umgeht, nicht gut, in aller Regel. Und das Leiden der Demenz geht über in das Leiden an der Gesellschaft, die angesichts des verschwindenden Menschen nicht nur ihre Gleichgültigkeit, sondern auch ihre Hilflosigkeit offenbart. Zur Meta-Metapher von Demenz und Sterben gehört, im intimen einzelnen Leben wie im großen allgemeinen, das Allein-Gelassen-Sein. Allein in einer kontrollsüchtigen Gesellschaft ist der verschwindende Mensch und der, der ihn ein Stück bei seinem Verschwinden begleitet, ob er es will, kann und muss oder nicht.
Als Demenz bezeichnet man im Oberbegriff Erkrankungen, die mit dem Verlust der geistigen Funktionen, Denken, Erinnern, Entscheiden, Orientieren, Kommunizieren, Sprechen, Wahrnehmen etc. einhergehen und dies so umfassend und fortschreitend, dass am Ende auch die einfachsten alltäglichen Verrichtungen unmöglich geworden sind. Die häufigsten Formen der Demenz sind die Alzheimer-Krankheit, die »Vas kuläre Demenz«, die als Folge von Durchblutungsstörungen im Gehirn (nach einem Schlaganfall etwa) entsteht, »Morbus Pick« und andere »frontotemporale« Formen der Demenz (neurodegenerative Erkrankungen der Stirn- Schläfenlappen), welche zuvorderst eher »Persönlichkeitsveränderungen« als Gedächtnisverlust zur Folge haben und daher phänotypisch eher als »Geisteskrankheit« empfunden werden (die Metapher der bösen Veränderung an Stelle der Metapher des Verschwindens). Andere, seltenere Formen (Lewy-Körperchen-Demenz, Demenz bei Parkinson etc.) der Demenz werden problematisch eben dadurch, dass Alzheimer- und Vaskuläre Demenz ein so hegemoniales Krankheitsbild bieten; etwa 60% aller Formen der Demenz werden als »Alzheimer« diagnostiziert.
» Demenz wie Sterben sind Metaphern eines Verschwindens des Menschen, das der herkömmlichen Trennung von Leben und Tod vehement widerspricht.« Der Name geht auf den Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer zurück, der unter seinen Patienten die 50 Jahre alte Auguste Deter hatte, deren psychisches Siechtum er fünf Jahre lang bis zu ihrem Tod im Jahr 1906 beobachtete. Nach der Untersuchung des Gehirns der Verstorbenen veröffentliche er seine Untersuchungen über die histologischen Veränderungen, die zum Modell für weitere Beschreibungen von Krankheitsbildern wurden. Im »Lehrbuch der Psychiatrie« aus dem Jahr 1910 ist bereits von einer »Alzheimer-Krankheit« die Rede. Dass sie einst zur »Volkskrankheit« werden könnte, dass jede kleine Vergesslichkeit im Alltag mit dem Reflex »Alzheimer« (oder, für jüngere Spaßvögel: »Alzheimer Junior«) bedacht werden würde, wäre damals wohl kaum vorstellbar gewesen. Es schien viel eher, progressistisch gedacht, einer von vielen Vorstößen ins unbekannte Reich der Innenwelt.
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Die organischen Ursachen der Alzheimer-Erkrankung sind nach wie vor nicht eindeutig geklärt, möglicherweise treffen dabei mehrere Faktoren aufeinander, von Mutationen verschiedener Gene bis zu Störungen des Botenstoffs Glutamat. Wie bei allen Krankheiten ist die Früherkennung ein wesentliches Kriterium, und wie bei allen Krankheiten ist die Organisation der Vorsorge nicht nur problematisch, weil sie einen Dauerdruck der Sorge erzeugt, sondern auch, weil kulturelle Faktoren, politische und nicht zuletzt wirtschaftliche Interessen hinein wirken. Das amerikanische National Institute on Aging hat einen Katalog der Warnzeichen für eine prädemente Disposition zusammen gestellt. Wer solches an sich und mehr noch an anderen feststellt sollte nach Anschauung des NIA auf ärztlichen Beistand dringen:
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Der Erkrankte… … wiederholt immer wieder die gleiche Frage. … erzählt immer wieder die gleiche kurze Geschichte. … weiß nicht mehr, wie alltägliche Verrichtungen funktionieren. … hat den sicheren Umgang mit Geld verloren. … findet Gegenstände nicht mehr oder legt sie an ungewöhnliche Plätze. … vernachlässigt anhaltend sein Äußeres, bestreitet dies aber. … antwortet auf Fragen, indem er die ihm gestellte Frage wiederholt.
»Die Unfähigkeit den auch im Zustand Wie hilfreich ein solcher Katalog sein mag oder nicht, so verrät er doch zweifelsfrei soziale Normen. Demenz heißt also immer beides, ein klinisches Krankheitsbild und ein sozial problematisches Verhalten. Wie »schwer« die Krankheit Demenz also ist, hängt auch mit ihrem sozialen Umfeld zusammen, mit dem Auffälligen, dem Störenden, nicht zuletzt dem »Unkontrollierten«. Symptomatisch erscheint die Aussage des deutschen Ethikrates: »In der Regel kann alles, was dem Betroffenen erlaubt, in Kontinuität mit seinen Lebensgewohnheiten zu bleiben, Leiden mindern und Pflege erleichtern«. Oliver Tolmein erhebt in der F.A.Z. sehr zu Recht Einspruch: »Schon die Gleichsetzung von ›Pflege erleichtern‹ und ›Leiden mindern‹ stimmt aber misstrauisch. Und wieso ist hier nur von ›Leiden‹ die Rede, nicht aber – hier geht es um Selbstbestimmung – beispielsweise von ›Freiheit‹? Wieso soll der demente Mensch, der in einen, verglichen mit seinem bisherigen Leben, Extremzustand geworfen wird, darauf mit großem Interesse an Kontinuität reagieren? Das Gegenteil erscheint mindestens so plausibel«.
Kurzum: Es gibt zwei möglicherweise gar einander zuwiderlaufende Projekte in Bezug auf den geistig verschwindenden Menschen, nämlich einerseits die klassische medizinische Aufgabe, die Ursachen dieser Krankheit herauszufinden und sie nach allen Möglichkeiten der ärztlichen Kunst zu behandeln, also die Leiden mindern, den Verlauf verlangsamen, wenn möglich eine Therapie entwickeln, am Ende gar eine Prophylaxe, die »Krankheit auszurotten«, und andererseits die Aufgabe, die Krankheit sozialverträglich, erzählbar, am Ende, mit unserem Lieblingswort, »marktkonform« zu machen. Dies Doppelgesicht der Medizin im Spannungsfeld von Ökonomie und Politik belastet uns, unter anderem, mit ethischen Fragen. Das haben wir nicht so gerne. Zur gleichen Zeit ist der Kampf gegen Alzheimer nie zu einer solchen heroischen Medizin-Erzählung geworden wie, sagen wir, »Der Kampf gegen das Wundfieber« oder noch »Der Kampf gegen den Krebs«. Dies hängt bestimmt nicht allein mit den eher entmutigenden Nachrichten aus der Forschung zusammen. Eine Sackgasse war offenbar beispielsweise die Konzentration auf das Beta-Amyloid das sich mit neurofibrillären Bündeln im Hirn anlagerte. Wenn eine Alzheimer-Krankheit erste Symptome zeigt, ist es für eine Behandlung an dieser Stelle nämlich bereits zu spät. Seit den Jahren nach 2011 konzentrierte man sich dagegen mehr auf die beeinträchtigte Energieversorgung. Pharmakologische Forschung und Gedächtnistraining und Bewegung sollen gemeinsam wirken. Eine neue Studie am Horizont verspricht, dass »polyklomale Antikörper« die Krankheit immerhin um etwa drei Jahre zu stoppen vermögen. Aber solche Nachrichten glimmen oft auf und verschwinden wieder. Die medizinische Erzählung ist in Wahrheit für den Mainstream unlesbar.
Menschen zu lieben, seines Verschwindens.«
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Dennoch wird jeder Hoffnungsschimmer dankbar zur Nachricht geformt auch im Mainstream-Segment, ob man nun recht versteht, was dahinter steckt oder nicht. Im Sommer 2012 schien eine Studie, die bei einem Kongress in Toronto von Dr. Norman Relkin vom Weill Cornell Medical College in New York vorgestellt wurde, einen Durchbruch zu verheißen. Sie präsentierte übrigens Daten von »einer erweiterten Phase II-Studie mit IVIG-Therapie (AAIC 2012; Abstract P3-381). 24 Patienten mit leichtem bis moderatem M. Alzheimer bekamen sechs Monate lang Immunglobuline oder Kochsalzlösung (Placebo). (…) Bei den vor Patienten, die drei Jahre lang 0,4 g IVIG / kg alle zwei Wochen erhalten hatte, konnte die Krankheitsprogression gestoppt werden«. Die Phase III-Studien werden im Jahr 2013 folgen, und vielleicht auch eine Übertragung der frohen Botschaft in unsere Medien-Sprache. Zwischen medizinischer Forschung und Mainstream-Medien vermitteln vor allem die Medien der pharmazeutischen Industrie. Auf der Internetseite www.alzheimer-kompakt.de erfahren wir, auch wenn wir andere Informationen erhofft hätten, zuerst etwas über das Unternehmen dahinter: »Lundbeck ist ein forschendes, pharmazeutisches Unternehmen. Unser Fokus liegt auf der Entwicklung innovativer Medikamente, die zur Behandlung von Störungen des Zentralen Nervensystems (ZNS) eingesetzt werden: u. a. bei Depressionen, Schizophrenie, Morbus Alzheimer, Angststörungen und Morbus Parkinson. Lundbeck hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität von Menschen, die von Erkrankungen des ZNS betroffen sind, zu verbessern. Deswegen arbeiten wir intensiv daran, bewährte Behandlungskonzepte zu verbessern
und neue Therapiewege aufzuzeigen. Dabei suchen wir den engen Schulterschluss mit Partnern, die sich demselben Ziel verschrieben haben«. Das versteht doch jeder. Und neben »innovativen Medikamenten« gibt es das Angebot einer »Gedächtnissprechstunde (Memory-Klinik)«, so wird die Sache messbar. Kurzum: Es gibt zwei medizinische Erzählungen von Demenz – die manchmal bis an den Rand des Pessimismus vorsichtige der medizinischen Forschung und die bis an den Rand der Propaganda optimistische der medizinischen Ökonomie. Etwas bizarr immerhin erscheinen dabei die politischen Impulse, diese beiden gegenläufigen Erzählungen zusammen zu bringen. So verspricht die Regierung der USA programmatisch und »in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern«, dass bis zum Jahr 2025 Wege gefunden würden, die Alzheimer-Erkrankung aufzuhalten bzw. erfolgreich zu therapieren. Garant dafür soll ein »National Alzheimer’s Project Act (NAPA)« sein, den der US-Kongress verabschiedete, ganz so als handele es sich dabei um etwas wie ein Mondlande-Unternehmen. Aber was soll ein solcher Zeitplan für eine medizinische Forschung? Ein Vertrösten (nach Ansicht mancher Ärzte: um zu verschleiern, dass viel zu wenig Geld für die Forschung zur Verfügung gestellt wird)? Eine populistische Einschreibung in Marktzyklen (nach Ansicht anderer: um der PharmaIndustrie eine Innovationsdramaturgie zu geben)? Worum es zu gehen scheint, ist die Balance von privater Angst und gesellschaftlicher Hoffnung. — Lesen Sie weiter unter: http://www.getidan.de/gesellschaft/georg_seesslen/48193/ demenz-die-metapher-vom-verschwinden-des-geistes
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Unordnung von innen nach außen — Zuerst beginnt es im Kopf. Kaum ein klarer Gedanke kann mehr gefasst werden, nichts mehr ist da, wo es hingehört. Es verschwinden Überlegungen, die vor einer Minute noch greifbar waren. Auf dem Weg, etwas zu erledigen, ist entweder schon vergessen warum, oder wo es genau hingehen sollte. Diese innere Unordnung macht sich mit der Zeit auch in den Wohnräumen bemerkbar. Immer mehr Dinge werden verlegt, oder finden sich in den kuriosesten Anordnungen und Kombinationen wieder. Der unsichtbare, verwirrte Geist wird so nach außen gekehrt und durch dieses Durcheinander sichtbar. —
Muster #1
Muster #2
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»Erkennst du mich nicht mehr?«
— Oma lebt nun schon eine ganze Weile im Heim. Am Anfang war sie nicht sehr glücklich darüber. Sie hat sich dagegen gewehrt, wurde oft wütend und hat herumgeschrien. Doch je länger sie dort wohnte, desto weniger hat sie geschrien. Sie wurde im Allgemeinen sehr ruhig und sagte kaum noch etwas. Als ich sie eines Tages besuchte, geschah etwas Seltsames. Ich öffnete ihre Zimmertür und sagte wie immer: »Hallo Oma, wie geht's dir?«. Auch wenn Oma nicht mehr viel gesprochen hat, wenn ich sie sonst besucht habe, hat sie sofort gelächelt und mich zurückgegrüßt. Dieses Mal saß sie einfach nur auf ihrem Stuhl und blickte mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen. »Erkennst du mich nicht mehr? Ich bin's, dein Enkel!«. Ein Stirnrunzeln, mehr nicht. Dann blickte sie aus dem Fenster und ich wusste, ab heute war ich für meine Oma für immer verschwunden. —
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Im Niemands
land
— Im Alter von 78 Jahren hat meine letzte große Reise begonnen. Es sollte meine längste und schwierigste werden. Eine Reise ohne Rückflugschein und ohne das Wissen, wo ich genau landen werde. Es fing unscheinbar an, eine ganze Weile merkte niemand, dass etwas nicht stimmte. Ich habe Telefonnummern vergessen, Namen vertauscht oder meinen Geldbeutel verlegt, das passiert doch jedem mal. Nur mir passierte so etwas eben immer häufiger. Manchmal verlief ich mich bei meinen Spaziergängen im Park oder beim Einkaufen. Ich irrte dann meist Stunden herum, bis ich entweder durch Zufall wieder zu Hause ankam oder mich ein netter Mitbürger nach Hause brachte. Irgendwann traute ich mich gar nicht mehr aus dem Haus, denn ich hatte gemerkt, dass ich schon in den eigenen vier Wänden kaum mehr die nötige Orientierung hatte. Also setzte ich mich vor den Fernseher und sah auf die leuchtende Mattscheibe. Doch selbst den Bewegtbildern konnte ich nicht mehr folgen und so kam es, dass ich die meiste Zeit des Tages einfach nur herumsaß und aus dem Fenster starrte. In regelmäßigen Abständen bekam ich Besuch von meiner Tochter. Sie redete dann auf mich ein, oder machte mir etwas zu essen. Ich freute mich, sie zu sehen. Trotzdem antwortete ich ihr immer weniger, denn ich war schon auf halbem Weg ins Niemandsland und keiner konnte mich mehr aufhalten.
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Ich weiß nicht mehr wie alt ich jetzt bin, aber es ist mit Sicherheit eine lange Zeit vergangen, seit ich meinen letzten wirklich klaren Gedanken fassen konnte. Man kann sagen ich bin angekommen, angekommen im Niemandsland. An den letzten Teil meiner Reise kann ich mich nur noch sehr bruchteilhaft erinnern. Die Welt, wie ich sie kannte, liegt meilenweit hinter mir. Es ist alles anders, keine vertrauten Gesichter und niemand, der mir helfen kann. Es ist kalt und ich fühle mich allein. Alles um mich herum liegt hinter einem undurchdringbaren, milchigen Schleier, der mir den klaren Blick versperrt. Ich habe vergessen, wie man spricht. Alles was ich noch tun kann ist fühlen und alles was ich noch fühle ist Traurigkeit. Doch manchmal spüre ich eine vertraute Berührung, das ist wie eine Zeitreise. Eine Reise zurück, als die Welt noch fröhlicher war. Das Niemandsland ist ein einsamer Ort. Es gibt hier zwar Menschen, aber sie sprechen nicht meine Sprache und sind oft grob zu mir. Deswegen bleibe ich eigentlich nur noch in meinem Bett liegen und warte. Warte darauf, dass meine Reise ein Ende hat. —
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Im
Nebel Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein. — Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. — Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. — Seltsam, Im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.
Hermann Hesse
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Wo bin ich? Wer ist diese Frau? Ich kenne sie nicht. Was will sie von mir? — Sie fasst mich an. Was passiert hier? Ist das ein Gefängnis? Wie komme ich hier raus? — Sie zieht mich aus dem Bett. Spricht zu mir. Sie setzt mich in einen Rollstuhl. Ich bekomme Panik. — Wir fahren aus dem Zimmer.
nach
Hause
Unheimlich viele Gänge. Keine Orientierung. Was mache ich hier? — Ich fürchte mich. Vor der Frau. Vor den Gängen. Vor allem. — Ich will nach Hause.
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Werd fremd vor diesen Bergen stehn, nicht wissen mehr, wohin; und das, was meine Blicke sehn, woran sie müd vorübergehn bleibt mir nicht lang im Sinn. — Und das, was mir einmal vertraut, ob Mensch, ob Baum, ob Wald, wird wieder fern und ungeschaut. Die Dinge gehen ohne Laut und werden nicht mehr alt. — Und wenn mir auch das Schweigen spricht so ist es ohne Sinn. Und jedes dunkle Wort zerbricht und weiß seine Bedeutung nicht und auch nicht, wer ich bin. — Nur eins erhebt sich dunkeltief und schickt sich an zu sein: Die Kindheit, die verhalten schlief und sich nun selbst ins Werden rief wird groß und allgemein. — Die Jahre fallen bedeutungslos wie Blätter ab vom Baum. Und Jahr um Jahr fällt, Stoß um Stoß und legt sich sanft ins weiche Moos. Daraus erwächst dann, still und groß, der letzte, tiefste Traum. Tobias Deger
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// I m p r e ss u m
// i m p r e ss u m — Konzeption, Text und Gestaltung Manuel Bug HAW | FH W-S | Fakultät Gestaltung Kurs »Typografie« Dozentin Christina Hackenschuh Sommersemester 2014 2. Semester — Auflage 4 Stück (2014) — Druck Druckerei Genheimer, Lohr am Main — Bindung Buchbinderwerkstatt Fakultät Gestaltung, Würzburg — Papier XEROX Colotech+ 90 g / qm RecyStar Nature 135 g / qm RecyStar Nature 250 g / qm — Schriften Univers, 1957 Design: Adrian Frutiger Walbaum, 1800 Design: Justus Erich Walbaum
— Bildnachweis Friedrich Fuchshuber Umschlag / Seite 3 / Seite 19 jumk.de/mein-pse/aluminium-2.jpg (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 17 Tristan Vostry Seite 23 / Seite 25 / Seite 27 / Seite 29 / Seite 31 / Seite 33
— Quellennachweis pflegewiki.de/wiki/antidementiva (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 15 sein.de/koerper/heilung/2013/aluminium-das-allgegenwaertige-gift.html (28. Juni 2014, 22:00 Uhr)l Seite 16
Helmut Böing Seite 62 / Seite 63
pflegedienst-aml.de/ media/mmst-test.pdf (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 19
Manuel Bug Seite 74 / Seite 78 / Seite 82 / Seite 88 / Seite 89 / Seite 90 / Seite 91 / Seite 92 / Seite 93 / Seite 94 / Seite 95
pflegen-zuhause.net/die-krankheitverstehen/die-stadien-der-demenz/ (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 22 / Seite 24 / Seite 26 / Seite 28 / Seite 30 / Seite 32
haV_SnaPPer (dslr-forum.de) (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 96 / Seite 100 / Seite 105
Stella Braam »Ich habe Alzheimer« Seite 22 / Seite 24 / Seite 26 / Seite 28 / Seite 30 / Seite 32
Jonas Gerhardt Seite 106 / Seite 107 / Seite 108 / Seite 118 / Seite 119
bayern-evangelisch.de/www/engagiert/ 2BCAFAA8C5B340CDBB6DA094682 45F0E.php (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 38
Nikolaj Dannhäuser Seite 114 / Seite 115
www.wegweiser-demenz.de/ tag-und-nacht.html (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 45 apotheken-umschau.de/Alzheimer/ Validation-Mit-Demenzkrankenrichtig-sprechen-125901.html (28. Juni 2014, 22:00 Uhr) Seite 50